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Uns trennte das Leben

Was für ein schöner Tag...


Eigentlich sollte ich gar nicht hier sein... Ich sollte mein Leben leben, meinen Pflichten nachgehen, versuchen meine Umwelt wahrzunehmen, versuchen nicht an dich zu denken und in meinen Gedanken zu ertrinken. Doch ich habe mich heute dagegen entschieden...
Dieser Tag ist viel zu schön. Viel zu schön, um dich nicht endlich wiederzusehen. Es ist schon so lange her… viel zu lange… dass du gegangen bist und mir damit nur noch die Möglichkeit blieb dir irgendwann zu folgen...
Es ist so mühsam, sich durch jeden Tag zu quälen. Die Menschen um einen herum sagen dir "Hey, irgendwann wird es einfacher", "Du darfst den Kopf nicht hängen lassen, dein Leben geht weiter" und ähnliche Floskeln. Doch egal ob ehrlich gemeint oder eine Aussage, um Interesse zu heucheln… sie alle haben unrecht…
Ich wollte gar nicht wirklich, dass es mir besser geht. Ich wollte nicht loslassen, wollte kein Leben ohne dich aufbauen. Doch ein kleiner Teil von mir, der ohne dich kaum mehr wahrnehmbare Überrest von Überlebenswillen, hat auf diesen Tag gewartet. Auf einen Tag, an dem es einfacher ist… Auf einen Tag, an dem sich nicht jeder Atemzug anfühlt, als würde ich an den ungeweinten Tränen ersticken…


Die Sonne scheint hell auf meine langen blonden Locken und lässt sie wundervoll glänzen, während ich auf dieser Wiese sitze. Sie scheint auf das knielange, helle Sommerkleid, das was du so mochtest. Ich war deine Sonnenblume, ich habe ein Strahlen in dein Leben gebracht, hast du immer gesagt…
Es ist unsere Wiese, auf der ich sitze. Unsere Wiese, auf der wir uns zum ersten Mal küssten, uns zum ersten Mal liebten, uns versprachen nie wieder auseinander zu gehen… Auf der ich in deinen Armen lag und oftmals das ganze Glück nicht so recht fassen konnte, was mich mit dir zusammen durchströmte…
So viele Blumen hier auf unserer Wiese. In allen Farben blühen sie. Es würde dir bestimmt gefallen. Hin und wieder streicht ein sanfter Windhauch über sie hinweg und lässt sie ihre Blüten und Blatter sacht wiegen. Es sieht fast aus, als würden sie sich heute für mich enger zueinander drängen. Als wollten sie meine Einsamkeit mit ihrer Fülle vertreiben…
Magst du rote Blumen? Ich glaube, ich habe dich das nie gefragt…
Um mich herum sind so viele rote Blumen. Sie sehen in dem hellen Schein der Sonne wirklich wunderschön aus. Sie glänzen matt, auf eine fast einladende Art und Weise… Eine Einladung, die nicht ausgesprochen werden muss, die unumstößlich ist und einen Weg aus der Schwere hinaus verspricht…
Einige ihrer Blütenblätter sind auf meinen Beinen. Sie ruhten einen winzigen Moment auf meinen Handgelenken, um sich dann - fast schon überstürzt - in meinen Handflächen zu sammeln. Um dann aber langsam ihren Weg dort hinaus und weiter hinunter zu finden, auf meine Beine und schließlich viele auch weiter auf die Wiese…
Ich fühle mich wundervoll… Frei und leicht, mitten in unserer Wiese, in einem Feld aus roten Blumen, die um mich herum und auf mir ruhen. Die vorherige Schwere verschwindet schnell, erhebt sich von meinen Schultern, von meiner Seele… Sie lässt das Atmen zu einer reinen Nebensächlichkeit werden und eine beruhigendere, willkommene Schwere in meinem Körper zurück…
In mir ist das Bewusstsein, dass ich dich bald wiedersehen werde, bald wieder in deinen Armen liegen werde, in deine Augen schauen werde. Es macht mich ganz ruhig, entspannt mich. Du bist gegangen. Aber ich werde dir folgen. Ich breche unser Versprechen nicht. Ich bleibe bei dir…


Beinahe ist es, als würde ich dich schon spüren. Wie du mit deinen Fingern sachte meine Arme hinunter fährst, die Handgelenke entlang, über meine Handfläche und die Finger. Ganz leicht nur die Berührung, doch ein kühler Schauer durchfährt meinen ganzen Körper und die Wärme des Vormittags, die bald drohte zur Mittagshitze zu werden, ist nicht mehr zu spüren…
Ich beginne schläfrig zu werden. Ich meine bereits deine Nähe spüren zu können… Und in deiner Nähe ist es ist einfach viel zu schön. Ich spüre es… Immer näher komme ich dir, während die roten Blüten noch immer keinen Halt machen, sich weiter zu sammeln, um sich schließlich weiter auf mir und um mich herum auszubreiten…
Meine Augenlider sinken langsam herab, mein Blickfeld verdunkelt sich. Nur noch rot ist zu sehen und es ist wunderschön und macht mich glücklich…
Die letzte Kraft weicht langsam aus mir und meinen Gliedern. Meine Augen schließen sich endgültig, ich liege da und empfange die Dunkelheit, die mich nun umgibt…
Doch die Blumen hatten ebenfalls unrecht… Sie mussten die Einsamkeit niemals vertreiben. Denn wirklich einsam war ich nie, du hättest mich niemals alleine gelassen, das hast du mir schließlich versprochen. Ich konnte dich nur nicht sehen, meine Augen waren vom Leben geblendet…
Die Blumen hatten unrecht, das weiß ich nun auch… Denn schließlich, schließlich da spüre ich, wie sich deine Arme um mich legen. Du küsst mich sacht auf die Stirn, so wie du mich schon immer begrüßt hast...

Ich bin so unendlich froh, denn uns trennte das Leben…

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.05.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für jene, die vielleicht die Hoffnung auf ein schöneres Leben verloren haben, aber niemals aufhören sollten für sie zu kämpfen

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