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Inhaltsverzeichnis



I. Einführung

II. Klarträume

1. Traumcircus (S.10)
2. Das große Traumgeheimnis (S.14)
3. Das seltsame Ding (S.17)
4. Interview mit dem Toten (S.23)
5. Auftrag von Traumseite (S.29)
6. Fahnengleiter (S.33)
7. Tolka (S.34)
8. Die Geschichten von Hodscha

a. Wünsche erfüllen (S.39)
b. Die Geschichte von Ibn Nabib und Abu Dgilal (S.45)
c. Der Seeungeheuer (S.47)
d. Aus dem Russland mit Schnupfen (S.53)
e. Anfangslos (S.58)


9. Meditation auf dem Friedhof der Träume (S.65)
10. Beduine (S.68)
11. Die Murmelbahn (S.72)
12. Die wundersame Brille der Klarheit (S.74)
13. Bergpredigt (S.79)
14. Der Fisch hat gesprochen (S.84)
15. Spinner (S.90)
16. Speed Dating (S.94)
17. Albino (S.97)
18. Tim Torjak (S.107)
19. Kuma-Um (S.111)
20. Rinatosen erobern die Welt (S.115)
21. Taina (S.117)
22. Klara und Karl (S.122)
23. Traumverkäufer Aksakal (S.127)
24. Der Pfahl (S.133)
25. Im Land der erleuchteten Fliegen (S.137)
26. Dreamcar – eine Zeitmaschine
a. Reise in die Zukunft


i. Teil 1: Das Jahr 2507 (S.140)
ii. Teil 2: Hinteralphacentauria! (S.143)
iii. Teil 3: Zurück nach Hause (S.145)


b. Die Bibliothek von Alexandria


i. Verschollene Erinnerungen (S.147)
ii. Ein Tag vor dem großen Brand (S.149)
iii. Fünf Tage vor dem großen Brand (S.151)
iv. Drei Tage vor dem großen Brand (S.154)
v. Vier Tage vor dem großen Brand (S.156)
vi. Zwei Tage vor dem großen Brand (S.156)


27. Maggy (S.159)
28. Museumsraub (S.164)
29. Die Hand Gottes (S.169)
30. Mellini’s Vogel (S.175)
31. Reise durch eine innere Dimension (S.180)
32. Stummes Mädchen (S.183)
33. Sukut (S.186)
34. Aus der Traumbibliothek (S.194)
35. Dein Wille geschehe!(S.198)
36. Missis Annabel (S.202)
37. Das letzte Wort (S.204)
38. Die Wolke (S.207)
39. Der große GE (S.209)
40. Der König … (S.213)
41. Reudeggebba (S.215)
42. Der Niesepeter (S.219)
43. Auf der Suche nach einer Universellen Form (S.221)
44. Udilo und drei Kühe (S.225)
45. Rede mit Dja Raj, iss ihn auf, oder stirb! (S.227)
46. Wachmayer, Wachmayer! (S.232)
47. Teufelsautomat (S.238)


Einführung



Ich stamme aus einer kleiner sibirischer Stadt „Abakan“, was in der Nomadensprache „Bärenblut“ bedeutet. Mit zwanzig Jahren kam ich nach Deutschland, um Psychologie zu studieren und blieb nach dem Studium hier leben. Als ich im Frühling 2004 aus der Dresdens größte Bibliothek „SLUB“ heraus spazierte, konnte ich nicht ahnen, welches Schicksal mich draußen erwartet. Mein Leben veränderte sich ab jenen Moment, wo ich an einem Zeitschriftenstand stehengeblieben bin. Ich ließ mich mit einer Zeitschrift „Gehirn und Geist“ beschenken und las unterwegs ein Artikel über die sogenannte Klarträume. Eine Psychologin erklärte dort einfach und logisch, wie man solche bewusste Träume mittels bestimmter Konditionierung erreichen kann und was damit alles möglich ist. Ich war fasziniert, las auch im Internet wie man die Träume erkennen und steuern kann, fing an, einen Traumtagebuch zu führen und hatte bereits nach drei Tagen meinen ersten Klartraum! Einen halben Jahr hat es gedauert, bis ich meine eigene Vorgehensweise „Dreamcar“ rausgefunden habe und gelernt habe im Traum lange Zeit bewusst zu bleiben.
Ein reger Austausch mit anderen Klarträumern via Internet, wissenschaftliche psychologisch-physiologische Untersuchungen im Schlaflaboren ZI Mannheim und MPI München mithilfe von EEG, Kernspintomographen und Nahinfrarotspektroskopie haben mir geholfen viel neues und wissenswertes über die Klarträume (luzide Träume) zu erfahren und zu einem Oneironaut (grich. für „Klarträumer“) zu wachsen.

Doch am meisten habe ich von den Klarträumen selbst profitiert. Ich habe für mich eine neue Dimension entdeckt, mit spannenden Abenteuer und neuen Erkenntnissen, skurrilen Ideen und tiefgründigen Weisheiten. Ich habe im Klartraum gelernt Einrad zu fahren und zu jonglieren, bereitete mich auf die Prüfungen und Vorträge vor, übte neue Gesangtechniken aus und lernte mich selbst kennen.
Mit dieser Sammlung schönsten Erlebnissen lade ich euch herzlich ein, einen Einblick in die kunterbunte Welt der Klarträume zu werfen, eine Welt, die jenseits jeglichen Grenzen liegt.


Traumcircus



Eigentlich sollten wir den ersten Platz bekommen. Auf dem einzigartigen Circusfestival standen wir jenseits jeglicher Konkurrenz. Und das obwohl hunderte von bunten Wanderleuten von aller Welt hierher kamen, um ihre feine Kunst unter Beweis zu stellen. Obwohl die große Wiese außerhalb der kleinen Stadt mit den Künstlern vollgefüllt war, genossen wir eine exklusive Aufmerksamkeit.

Das Geheimnis unseres Circus wurzelte auf der ruhmreichen Tradition des Theaters von einer Seite und auf der Poesie des Balagans von der Anderer. Kein Vergleich zu dem „Möchtegerncircus“ von Pildini. Diese Pildinis gingen uns ordentlich auf dem Keks. Sie waren auch der Grund, warum wir keinen ersten Platz bekommen haben. Den Pildiniscircus mangelte so ziemlich an allen, was einen guten Circus ausmacht, vor allem aber an guten Ideen. Drum schickte Pildini andauernd seinen Spitzel zu unseren Proben. Sie spionierten und klauten bei uns alle Einfälle, so wie es ihnen nur möglich war: von Kostümen zu den Bühnenbild, von der Musik bis zu Art und Weise wie man auftritt. Ja widerlich waren diese Pildinis, doch nicht ihr Plagiat war die Ursache unserer Niederlage. Ja, sie klauten uns die Ideen, mogelten sich vor um diese als eigene zu verkaufen, doch jeder wusste, woher der Wind weht. Sie versuchten ihre Show entsprechend aufzupeppen, doch Pildinis fehlte vor allem an Geschmack. Und ohne Geschmack wirkten ihre Shows immer nur lächerlich.

An einem Abend jedoch erblickte ich einen recht ungewöhnlichen Bild: der Platz vom Pildiniszelt war mit Schaulustigen überfüllt. Freie Plätze gab es anscheinend nicht mehr, die Vorstellung war restlos ausverkauft. Ausverkauft! Und das bei Pildinis! „Bestimmt zeigen sie wieder eine der von uns geklauten Ideen.“ – dachte ich mir. Ich war neugierig, ging auf die andere Seite des Zeltes, schlüpfte unter Absperrung und kam unbemerkt von der rechten Seite ins Zelt.
Was ich dort gesehen habe, überraschte mich sehr. Wie ich erwartete, passte bei Pildinis nichts zusammen. Es donnerte die Rockmusik, das Bühnenbild war kitschig und die Kostüme der Darsteller waren völlig aus dem Kontext rausgerissen. Aus dem Kontext unseren Show, muss mal wohl bemerken. Natürlich konnte es nie der Anlass der ausverkauften Vorstellung sein. Pildini selbst agierte auf der Bühne. In seinem eleganten schneeweißen Anzug, mit einem schwarzem Hemd drunter und einem ebenso schwarzem Zylinder fuchtelte er mit den Händen und… und er ließ eine Darstellerin in der Luft schweben. Es war ein starkes Stück, denn ich konnte nirgendwo Seile oder etwas Ähnliches erkennen. Ich hielt die Luft ein, in der Erwartung einer Vorstellung, die an das Wunder grenzt. Doch geschmacklos wie Pildini ist, entwickelte er daraus keine Geschichte, keine Story, keine Erzählung. Nach und nach schickte er die Darsteller in der Luft zappeln. Mal auf einem Stuhl, mal auf einem Bett und bald hängte unter dem Zirkuszelt eine ganze Menge von Menschen und Krimskrams.

Etwas beruhigt verließ ich heimlich den Pildiniszelt. Mag sein, dass er irgendwie die Magie des Schwebens geknackt hat, aber am Schönheitssinn hat es sich dadurch kaum was geändert. Ich war überzeugt, dass unser Theatercircus mit seinen Märchen und seiner einigartigen Atmosphäre immer noch besser als die Pildinis Zauberstückchen ist. Doch es war leider nur meine Meinung. Die nach einer Sensation durstenden Zuschauer entschieden sich Abend für Abend für die neue bizarre Vorstellung von Pildini und nicht für unsere. Die Chancen für den ersten Platz schmolzen rascher als der Schnee im Frühling.

Am Morgen fuhren wir wie immer in die Stadt heraus. Meine Kameraden machten einen Ausflug und guckten sich die Sehenswürdigkeiten an. Ich nahm jedoch mir die Zeit frei und ging allein spazieren. Immer wieder musste ich über die Pildinis Show zurückdenken. Die Bilder von der schwebenden Darstellerin in einem mit Sternen überhäuften Kostüm tauchten von meinem geistigen Auge auf. „Wie schaffte er es, die Menschen und die Gegenstände schwerelos zu machen? Welche Kraft muss dahinten stehen?“ Ich ging durch die Stadt spazieren und in meinem Kopf ging ich alle Möglichkeiten durch. Irgendwann bin ich wie von einem Blitz getroffen stehen geblieben: „TRAUM, DAS MUSS EIN TRAUM SEIN! JA DAS IST ES, ICH TRÄUME!“

Schnell, so schnell wie es möglich war, rann ich zu meinen Kollegen und sagte, dass ich das Mysterium der Welt begriffen habe. Jetzt starten wir eine bombastische Show und lassen die Menschen wahrlich verzaubern! Schnell stiegen wir in die Kutsche und fuhren zurück zur Spielwiese. Jedoch irgendwie kriegte auch Pildini mit, dass ich Bescheid wusste und war darauf besessen uns aufzuhalten. Er verfolgte uns mit seiner Kutsche, klatschte wild mit seiner Peitsche und knirschte mit den Zähnen. Doch wir waren schneller und gaben Bescheid über eine total neue Vorstellung in unserem Circus.

Das Zelt war voll, als ich am Abends in die Manege kam. Ich schaute die neugierigen Gesichter von Besucher und holte tief Luft ein. „Meine Damen und Herren!“ – verkündigte ich – „diesen Abend werden sie nie vergessen!“ Die Stille brach ein. Genau derselbe Stille, wie bei der Pildinis Vorstellung. Erwartungs- und ehrfurchtvoll schaute mich die Menge an. Die Zeit verging, doch ich wusste nicht mehr wie der magische Spruch ging!!! Irgendwie soll jetzt alles durch die Gegend schweben, etwas ganz tolles soll jetzt auf jeden Fall passieren… aber was? Ich stand allein in der Manege und wusste nicht mehr wo vorne und wo hinten ist! Und in jenen hochpeinlichen Augenblick, wo jegliche Hoffnung bereits verloren schien, sah ich den Traum! Ich sah diesen Traum mit der Klarheit, in der Klarheit und für die Klarheit. „Nie, nie wieder mag ich dieses Gefühl vergessen!“ – schrie ich auf und öffnte den Traum ganz. Die Klarheit stieg, wurde rot, wurde gelb, wurde glühend weiß… und entflammte um das Traumbild herum! Das Circuszelt und die Zuschauer, mein Traumkörper und die ganze Stadt wurden von diesen Flammen verzehrt. Voll begeistert stand ich in der Manege, begeistert und glücklich über diesen Feuerwerk. Und dann ereignete es ein riesigen Applaus! Etwas verwundert schaute ich die klatschenden Besucher an. Unbeschädigt saßen sie auf ihren Plätzen und blickten entzückt meine Visionen an, die sich vor ihren Augen materialisierten. Als ich es schnallte, fing die Vorstellung erst richtig an! Ich tauchte in die andere Träume ein, band sie zusammen, schleppte sie in den Circuszelt mit und stellte sie zur Schau. Ach welche wunderschönen Bilder entfalteten sich an jenen Abend in der Manege! Ich zeigte die traumhafte Landschaften, fabelhafte Welten, wo die Menschen mit anderen Wesen freudig spielen und tanzen, singen und feiern! Und die Zuschauer sprangen in die Manege und sie wurden auch ein Teil der gesamten Freude.


Das große Traumgeheimnis



Ich bin ein Weißkopfadler und fliege über das Meer. Ich genieße den Flug: spüre mit jeder Feder die Luftströmung, lasse mich von ihr hochsteigen und betrachte mit meinen scharfen Augen das Meer und die Insel.
Auf einer Insel sehe ich ein Gebäude, das nach einer Klartraumschule aussieht. Wie ein Stein stürze ich hinein und setze mich auf die Schulter von meinem Lehrer. Der steht in seinem langen Mantel da und beendet gerade den Unterricht. Ich packe ihn mit meinen kräftigen Krallen an die Schulter und hebe ihn hoch. Wir fliegen über das Meer, höher und höher, durch eine dicke Wolkenschicht zur ewigen Sonne hinaus. Irgendwann kommen wir an einer unsichtbaren energetischen Grenze und fliegen durch. Die Grenze flammt kurz um unseren Konturen mit flimmernder Goldfarbe auf, und auf der anderer Seite steht auf den Wolken ein Adlermensch: mit dem Kopf eines Weißkopfadlers und den Körper gehüllt in einen langen Mantel von meinem Lehrer.
Ich laufe über die Wolken um die Ecke und befinde mich plötzlich in einem kleinen Saal. Es ist Nacht, der große Kaminoffen brennt, der Saal ist im viktorianischen Stil möbliert, ich sitze im Sessel am Feuer den Adlermenschen gegenüber und wir trinken einen schottischen Whisky.
- Du wolltest doch das Neue wissen, sagt der Adlermensch zu mir, ich werde dir heute ein großes Traumgeheimnis verraten. Hör zu!

Wir Träume sind die älteste und zugleich höchste Form der Existenz. Evolutionsgemäß haben wir uns vom unbewussten Traumfetzen zu einer Art die jenseits von Zeit und Raum ist und über jegliche Gesetzmäßigkeiten herrscht, entwickelt. Doch auch die entwickelten Wesen haben ihre Schattenseite. Jedes Traumwesen hat am Tag auch ein Wachleben. Früher wurde diesem Aspekt des Traumdaseins kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Wachleben wurde oft als Traummüll bezeichnet: gefangen in einen menschlichen Körper, den physikalischen Gesetzmäßigkeiten unterworfen, verdummt und versklavt. Dort ist die Traumwirklichkeit leider nur eine schwache Erinnerung. Den anderen Ansichten nach ist das Wachleben eine biologisch bedingte Notwendigkeit, ein Übel, das man in Kauf nehmen muss um sich vom Traumgeschehen zu erholen und um die Traumphantasien zu verarbeiten.
In der letzten Zeit wurden jedoch mehrere Versuche unternommen um das Wachleben gezielt zu beeinflussen. Ein Traumwesen, das gleich zwei Namen trug, Sigmund und Freud, bewegte die anderen Menschen dazu, sich um ihr wahres Traumdasein zu kümmern. Er ließ einen anderen Menschen über seine Traumerinnerung sprechen, unterbrach ihn zuerst nicht und im Weiteren versuchte er durch unsinnige Bemerkungen den Gesprächspartner vom Wachlebenbewusstsein abzulenken, um das Traumwesen dadurch entfalten zu lassen.
Der zweite Wachlebensforscher, ein Traumwesen Namens Tholey, vereinfachte die ganze Prozedur radikal. Der Mensch sollte, Tholey nach, ein Traumerinnerungstagebuch führen und sich mehrmals am Tag die Frage stellen: „wach ich oder träum ich“? Wobei die Betonung auf „träum ich“ liegt. Als Folge davon findet der Mensch in seiner Wachumgebung mehrere Beweise für den Traum und begreift, dass er in Wirklichkeit ein Traumwesen ist. Die andere Methode, die Tholey entworfen hat, beinhaltete, das wenn man vom Wachleben endlich zum Traum übergeht, dann soweit wie möglich auch das Wachlebenbewusstsein mitnimmt, um es im Traum zu untersuchen und besser kontrollieren zu können. Ein Traumwesen Namens LaBerge bemühte sich um eine unmittelbare Wirkung des Traumwesens auf das Wachleben. Er lies die Traumwesen die ihr Wachlebenbewusstsein unter Kontrolle haben im Wachleben mit komplizierten Geräten anschließen um diesen Traumwesen die Möglichkeit zu geben sich direkt auszudrücken. Leider sind diese Experimente bis jetzt fehlgeschlagen weil die Untersucher selber nur ein begrenztes Wachlebenbewusstsein besaßen und dementsprechend auf Buchstaben und Zahlen konditioniert waren. Sie haben mehrere herrliche Traumwesenbücher lediglich als Gehirnstromwellen interpretiert. Um Kommunikation zwischen Traumwesen im Wachzustand zu ermöglichen, schufen die Traumwesen ein globales Computernetz mit Knoten, wo sich die vom Tag benebelten Traumwesen treffen können. Dort können sie ihre Traumerinnerungen und Techniken zum Erlangen vom Traumwesenbewusstsein austauschen. Und so sitzt du jetzt vor diesem Buch, liest diese Zeilen und ich hoffe, dass du mich verstehst. Es ist der Grund warum du in deinem Wachleben so oft unzufrieden bist; es ist das, wonach du suchst; es ist das, was dich unruhig macht; das, warum du so oft und solange im Internet hängst. Es ist das Geheimnis. Die Zeit ist gekommen um es zu wissen..... „Wir Träume sind voneinander nicht getrennt! Sei dir deinem Traumwesen bewusst!“

Ich bin jetzt der Adlermensch, nehme einen Schluck vom schottischen Whisky und lasse meinen Kopf in den Nacken fallen damit der Whisky auch runterrutscht.
Der Sessel mir gegenüber ist leer.


Das seltsame Ding




... immer wieder erlebe ich es beim Eintauchen. Viele hypnogogen Bilder, Szenen und Handlungen münden in einem Gedanken. Er ist der Knoten, der Schlüssel für zukünftiges und vergangenes Geschehen. Er ist das Tor. Ich gehe durch und komme an einen Laden. Ich beobachte und drehe eine Erinnerungsschleife: dieser Prozess ist mit einer Sanduhr vergleichbar. Der Sand der Gedanken des wachen Bewusstseins geht durch die Verengung und wird zum Traumsand des Unbewussten.




Es ist ein sonniger Tag, ich schwänze heute die Schule und stehe vor einem Laden „Das seltsame Ding“

. Ich weiß nicht, wie der Laden wirklich heißt: das Namensschild hängt hoch und für mich, dem Kind, ist es unmöglich es zu lesen. Das brauche ich auch nicht, ich nenne es einfach „Das seltsame Ding“


Dieser Laden wirkt auf uns Kinder wie ein Magnet. Abseits der großen Straße, einmal links um die Ecke, dort steht er. Dort werden allerlei merkwürdige und unnützliche Sachen angeboten. Jedes Ding ist sonderbar und eigensinnig. Ich betrachte eine kleine Skulptur: Es ist ein Soldat aus dem ersten Weltkrieg. Er hat keine Beine, sitzt auf einem Rollbrett und lacht. Seine Arme sind extrem lang, seine Hände ruhen auf der Erde. Warum lacht er? Ist es so witzig, wenn man keine Beine mehr hat? Er freut sich. Ja, er freut sich, weil er das Skateboard erfunden hat. Er ist stolz auf sich, so etwas kann nicht jeder!

Die Atmosphäre im Laden ist auch seltsam. Das Tageslicht schafft es gerade noch einen Meter hinter die Glasscheiben, bleibt dann aber in der staubigen Luft hängen. Der Tresen steht ganz im Schatten. Ich ahne bloß, dass der Verkäufer, ein großer, dicker, bärtiger Mann, da ist. Er ist komisch. Ich habe noch nie erlebt, dass er irgendetwas verkauft hat. Versteckt hinter irgendeiner Zeitung, pafft er seine Pfeife und schweigt. Das ist auch gut so. Wir Kinder haben Angst vor ihm und es ist schön zu wissen, dass er sich kaum bewegt oder was sagt.

Ich schaue mir eine seltsame Karte an. Da hat sich jemand so viel Mühe gemacht sie per Hand zu zeichnen und dann auszumalen. Sie ist unglaublich detailliert und hat verschiedene Schichten in sich. Ich schaue tiefer und tiefer und entdecke Berge, Höhlen in den Bergen, unterirdische Seen in diesen Höhlen, unbekannte Fische...

Manchmal dringt das eine oder andere Geräusch von draußen rein: ich höre wie die Mütter draußen reden, sehe wie der Wagen vom Wach- und Schließdienst vorbei fährt, wie die Kinder spielen. Da draußen ist es normal. Im Laden gibt es nicht mal eine Uhr. Die Zeit verliert sich zwischen diesen vielen absurden Gegenständen und gerät ins vergessen.

Ein weiteres seltsames Ding ist ein kleiner runder Standspiegel. Immer, wenn ich an ihm vorbeigehe, sehe ich eine wunderschöne asiatische Frau. Ich sehe ihren geneigten Kopf, ein bezauberndes Lächeln und wenn ich schon vorbeigegangen bin, höre ich sie lachen. O, ihr Lachen! Es klingt wie ein silbernes Glöckchen, so plötzlich, wie ein junger Bach im Frühling. Fasziniert gehe ich immer ein paar Schritte zurück, schaue in den Spiegel und sehe nur meine weit geöffneten Augen. Doch wenn ich es nicht erwarte und dann vorbeikomme, sehe ich sie wieder.

Es geschehen seltsame Dinge in diesem Laden. Als Tomaschek aus unserer Klasse dort rum irrte und von der wunderschönen Fremden angelächelt wurde, stieß er gegen ein Regal und ein merkwürdiger Turm fiel um. Dieser Turm war ca. 30 cm groß, angefertigt aus Elfenbein. Eigentlich bestand dieser Turm aus 4 Türmen. Jeder von diesen war nur einwenig schief, so dass sie sich oben berührten und gegenseitig stützten. Also ich war da, als der Tomaschek den Turm umkippte. Der Turm fiel um, zerbrach aber nicht, er fiel dabei nicht mal auseinander! Tomaschek aber hat Angst gekriegt und wollte als erstes abhauen. Doch er stolperte dabei und fiel ebenfalls um. Diesmal schlug er nichts ein, außer seiner Nase. Dem Verkäufer war scheinbar jegliche Aufregung fremd und das machte Tomaschek noch mehr Angst. Er stand auf und landete erneut auf dem Boden, diesmal mit seinem Hintern. Als er zum dritten Mal umfiel, begriff sein Kumpel endlich und stellte den Turm zurück ins Regal: Tomaschek war wieder frei und konnte abhauen.

Das Traumtor machte es möglich, dass ich jetzt hier stehe und all die seltsamen Sachen bestaune. Interessanterweise wissen keine Erwachsenen, keine Eltern, nicht mal mein älterer Bruder von dem Laden. Es ist selbstverständlich, dass wir darüber keinem etwas erzählen und das ist der Grund, warum ich heute Nacht in Schwierigkeiten geraten werde. Ich schaue mir die Karte an und höre, wie draußen ein Auto bremst. Ich schaue raus und sehe einen Wagen von der Firma: "Wach- und Schließdienst“. O, ich habe schon wieder die Zeit vergessen! Ich werfe meinen Schulranzen von einer Schulter auf die andere und gehe raus. Die Sonne geht schon unter, es ist schon spät. Hoffentlich wird meine Mam nicht sauer. Ich gehe schnell nach Hause und laufe die Treppe hoch. Ich denke: wie kann der Verkäufer leben, wenn er gar nichts verkauft? Und woher stammen all diese unglaublichen Dinge? Und wieso ist es dort immer so ruhig?

Ich stecke meine Hand in die Hosentasche und fühle dort etwas. Nanu, was ist denn das? Ich hole eine Netsuke raus. Eine Netsuke aus dem seltsamen Laden! Wie kommt sie zu mir, in meine Tasche? Ich schaue sie mir an: Auf der 5 cm großen Holzskulptur sind 8 Schnitte eingetragen. Je nach dem, von welcher Seite man sie anguckt, bei Tageslicht oder wie jetzt im dunklen Flur, sieht sie ganz anders aus. Mal ist es ein Affe mit 4 Gesichtern, mal ein Angler mit seinem Fisch, mal ein liebendes Paar, mal ein alter Greis. Oh, oh, ich muss sie schnell in den seltsamen Laden zurückbringen, sonst wird der Verkäufer noch denken, dass ich sie geklaut habe. Ich werfe meinen Schulranzen von der einen Schulter zur anderen und renne zurück zum seltsamen Laden. Es wird schon dunkel und die Straßen wirken leer. Noch über die große Straße, ein mal links um die Ecke, dort ist es. Es ist keiner mehr im Laden drin, ich bin wahrscheinlich schon zu spät gekommen. Ich drücke die Klingel und die Tür geht auf! Nanu, es ist gar nicht abgeschlossen! Ich darf aber nicht reingehen, wenn dort keiner drin, und das Licht ausgeschaltet ist. Ich bin doch kein Einbrecher. In diesem Augenblick sehe ich wie von der großen Straße ein Auto abbiegt. Ich erkenne ihn wieder: es ist der Wagen vom „Wach- und Schließdienst“! Ich erschrecke mich, springe schnell in den Laden rein und mache die Tür hinter mir zu. Das Auto fährt vorbei. Uf-f-f... das war knapp! Ich hole aus meiner Hosentasche die Netsuke raus und stelle sie auf ihren Platz. Ich schaue mich um: obwohl kein Licht brennt, ist es im Laden relativ hell. Manche seltsamen Figuren, oder mache Bilder phosphorieren in der Dunkelheit. Ab und zu, wenn ein Auto vorbeifährt und das Licht vom Scheinwerfer in den Raum fällt, werfen alle Sachen im Laden Schatten, welche sich schnell im Uhrzeigersinn drehen. Es ist wohl klar, warum ich im Laden geblieben bin. Obwohl ich ein wenig Angst hatte und mir gruselig war, überwog meine Neugier. Vorsichtig, um nichts umzukippen, bewege ich mich durch den Raum weiter in die Tiefe, dorthin, wo der Tresen steht, dorthin, wo noch keiner von uns Schüler jemals gewesen ist. Ich gehe hinter die Theke und sehe auf einmal unten eine Kiste. Irgendwie weiß ich, dass dort etwas drin ist, was ich noch nie gesehen habe. Mein Herz schlägt stärker und ich fange an, die Kiste auszupacken. Weißes Verpackungsmaterial, Papierschnipsel, Holzspäne... alles raus. Ich stecke meine Hand tiefer und ziehe sie erschrocken raus -dort ist etwas Lebendiges! Das gibt’s wohl nicht! Ich fühlte etwas Warmes und es bewegte sich! Ich entferne weiter vorsichtig das Verpackungsmaterial und sehe in der Kiste... ein Herz!

Ein Ruf des Erstaunens kommt aus meinem Mund. Ich halte mir erschrocken den Mund zu. In diesem Augenblick höre ich, dass jemand die Holztreppe runter geht. Der Verkäufer! Er hat wahrscheinlich meinen Ausruf gehört! Ich schnappe mir das Herz, stecke es mir in meine innere Jackentasche und renne zur Tür raus. Draußen blendet mich plötzlich die Sonne. Waaas? Ich habe dort die ganze Nacht verbracht? O Mist, meine Eltern! Sie drehen doch durch! In Windeseile renne ich nach Hause, die Treppe hoch, werfe meinen Schulranzen in die Ecke und stürme in die Küche: „Mam, ich bin da!“ Meine Eltern und mein Bruder sitzen am Frühstückstisch und essen. Sie nehmen keine Notiz von mir. Mam, Pap, ich bin da!!! Doch keiner reagiert darauf. „Na hört auf, ich weiß, dass ich die ganze Nacht nicht da war, aber mir ist etwas seltsames passiert!
Keine Regung. Für mich ist nicht mal gedeckt, ist nicht mal mein Stuhl da, nicht mal meine Fotos auf dem Kühlschrank, nicht mal... Ich renne erschrocken ins Kinderzimmer. Wo ist mein Bett, mein Schrank, mein Spielzeug? Ich stürze wieder in die Küche und schlage die Topfdeckel zusammen -keiner merkt es. Ich schubse meinen Vater, doch er bleibt unberührt.
Das seltsame Ding!


Ich muss zurück in den Laden! Ich renne auf die Straße raus und werde fast vom Auto überfahren. Es ist ein Dienstwagen vom “Wach -und Schließdienst“. Ein Mann steigt aus, reicht mir eine Sanduhr, dreht sie um, so dass der Sand wieder nach unten rieselt und sagt mir: „Höre auf dein Herz, Kleiner!“
Ich laufe durch die Straßen. Keiner kann das Kind sehen, keiner bemerkt mich. Ich bin erwachsen.


Interview mit dem Toten



Durch den Lärm draußen bin ich klar geworden. Das Ziel heute war ein Gespräch mit meinem Onkel, der leider bereits verstorben ist. Er war ein Jäger und Säufer. Mich interessierte vor allem, wie es ist, wenn man stirbt, oder gestorben ist.



Wir sitzen am Tisch. Mein Onkel hat sich für das Interview extra fein angezogen und rasiert. Er trägt schwarze Hosen, in denen sein weißes Hemd gesteckt ist. Ich halte ein Notizblock und Bleistift parat.
- Erzähle mir von Anfang an, sagen wir, von der Stelle, wo du krank warst und im Bett lagst.
- Mir ist zuerst an den Beinen kalt geworden. Draußen war es warm, aber die Beine froren. Dann habe ich das Gefühl in den Beinen verloren und konnte sie gar nicht mehr bewegen. Da bekam ich aber Schiss! Und danach habe ich mitgekriegt, dass Baikal an der kurzen Leine festgehalten wurde. Ich sagte zu ihnen, lasst ihn los, lasst ihn los! Doch sie hörten nicht auf mich..., sie können ihn doch nicht so eng halten...
- Moment mal, aber dein Lieblingshund, Baikal, ist schon vor vielen Jahren gestorben!
- Na und, keiner darf ihn so behandeln! Sie fesselten ihn wie einen Pudel! Ich war so wütend, bin dann selber zu ihm gegangen und habe ihn losgelassen.
- Stopp, Stopp. Baikal ist schon tot und du konntest doch nicht laufen. Noch mal von vorne: du lagst in deinem Bett und deine Beine bewegten sich nicht, was passierte unmittelbar danach?
- Weiß nicht. Kann mich nicht erinnern. Auf jeden Fall hat mich tierisch aufgeregt, dass sie Baikal so behandelt haben. Er hat mir doch mein Leben gerettet. (Mit „Sie“ meint er seine Ex-Familie – Anmerkung des Interviewers)


- Mich würde der Moment interessieren, wo du das Gefühl in deinen Beinen verloren hast. Beschreibe bitte detailliert deine Erlebnisse
- (Schweigen)
- Jetzt hör mal zu, ich weiß, dass du nur meine Projektion bist, also brauchst du jetzt nicht meine Klartraumzeit mit Schweigen vergeuden, sie ist kostbar! Wie war der Übergang?
- Weiß nicht. Normal.
- Na toll, dass hilft mir weiter.
- (Schweigen, mein Onkel vermeidet den Augenkontakt und fummelt mit dem Locher, der auf dem Tisch steht, rum. Er nimmt ein Blatt Papier und macht dort ein Loch) Warum macht der Locher zwei Löcher und nicht eins?
- Keine Ahnung. Es ist eben so.
- Genau so ging es mir damals. Ich habe keine Ahnung, es war einfach so.
- Na gut, wenn du so willst: wenn er nur ein Loch machen würde, würde das Blatt leichter abreißen. Doppelt hält besser.
- Na mir ging es auch viel besser, als ich Baikal endlich mal befreit hatte und mit ihm auf Jagd gegangen bin.

Ich gebe auf und lasse den Onkel über seine Abenteuer in der Taiga berichten. Die Stimmung hebt sich, das Gespräch verläuft lebendig und spannend. Unter dem Tisch höre ich ein Geräusch: der treue tote Hund Baikal ist da! Ich freue mich total ihn wiederzusehen, kuschele mit ihm, er schaut mich von unten mit seinen klugen Augen an. Baikal ist ein Laikahund, der für diese Rasse aber viel zu groß ist. Er hat eine ungewöhnlich breite Brust und eine königliche Haltung. Die erste Geschichte (die ich schon so oft von meinen Onkel hörte) widmet er natürlich seinen Lieblingshund.

- Es war einmal im Winter. Da bin ich Fell schlagen gegangen: Eichhörnchen, Zobel, Marder und sonstiges Kleinvieh. Baikal konnte sie sehr gut aufspüren. Er rannte von Baum zu Baum und zeigte mir wo sie sitzen. Dann griff uns ein Bär an. Normalerweise schlafen die Bären im Winter. Doch wenn sie aus irgendwelchen Gründen aufwachen, dann sind sie sehr gereizt und aggressiv. Man nennt sie dann „Herumtreiber“, weil sie herumziehen und keine Ruhe haben. An diesem Tag hatten wir, Baikal und ich, großes Pech einen Herumtreiber zu begegnen. Der Bär ist der König der Taiga. Vor ihm kann man nicht wegrennen, er ist schneller. Er kann besser als der Mensch schwimmen und klettert flinker auf die Bäume als ein Affe. Ich hatte nur Schrot für Kleinvieh in meiner Flinte und mir blieb nichts anderes übrig, als den Herumtreiber damit zu beschießen. Dabei verletzte ich ihn nur und machte ihn noch wütender. Er sprang auf mich (mein Onkel war ein dünner, eher kleiner Mann – Anmerkung des Interviewers)

. Es kam mir vor, als ob ein Berg auf mich zusammenstürzen wurde. Ich machte mich ganz klein und verkroch mich unter seinen Hinterbeinen. In diesem Augenblick sprang Baikal auf den Bär und biss ihm ins Genick. Der Bär richtete sich auf und wedelte kurz mit seiner Pfote, so, als ob er eine lästige Mücke verjagen würde. Baikal flog ein paar Meter und schlug mit dem Rückgrat gegen den Baum. Ich nutzte diese Möglichkeit, zog mein Messer raus und stach dem Bär mehrmals ins Herz. Er röchelte und fiel über mich tot um. Ich kroch dann raus und schleppte Baikal bis zur Winterhütte. Er konnte danach nicht mehr richtig laufen. Ich brachte ihn nach Hause und pflegte ihn wie einen Menschen, bis er starb. Er hat mir das Leben gerettet.

Der Onkel schaut glücklich und stolz seinen Hund an. Sogar beim liegen hält sich Baikal edel und tut so, als würde er alles verstehen. Wobei...wer weiß schon bei diesen Toten. Die zweite Geschichte passierte meinem Onkel im Sommer:

- Manchmal gehe ich zum Salzberg jagen. Tiere wie die Menschen auch, brauchen Salz. Sie können das Salz nicht im Geschäft kaufen, sondern gehen zu einem vom Salz durchdrungenen Boden und lecken dort. Sie wissen natürlich, dass es ein großes Risiko für sie ist und machen das nicht am hellen Tag. So schmierte ich mich und meine Flinte einmal am Abend mit Bärenfett ein, damit es nicht nach einem Menschen oder nach Eisen stinkt, ging zum Salzberg und versteckte mich hinter den Felsen. Rasch wurde es dunkel. Ich band meine Taschenlampe oben an das Zweiröhrengewehr, damit ich dann sehen kann, wohin ich schieße. Ich wartete lange. Dann hörte ich, dass irgendetwas Großes zum Salzberg kommt: Tap-tap, tap-tap – hörte ich die Schritte. Meine Phantasie malte mir ein Tier nach dem anderen auf: Für einen Luchs klang es zu schwer, war das ein Bär? Bestimmt ein ganz großer. Er kam näher und näher, ich saß und hielt mein Atem an. Plötzlich sprang er auf meinen Felsen und brüllte aus vollem Hals: „Bä-he-eh-eh-eh!“. Vor lauter Schreck fiel mir sogar die Waffe runter: ein Ziegenbock! (es folgt eine kompliziert eingesetzte Reihe von Schimpfwörtern, die wohl eher eine Erleichterung zum Ausdruck bringen soll– anmerk. des Interviewers).

Wir lachen über den Ziegenbock und ich passe auf, dass ich mich nicht zu toll in den Geschichten verliere.
- Und habe ich dir schon erzählt wie ich mehrere Monate allein in der Taiga hungern musste?
- Nein, noch nicht.

- Ich ging einmal ziemlich weit raus. Die Winterhütte wird verriegelt aber nicht abgeschlossen, damit ein anderer Jäger sich erwärmen kann oder was zu essen bekommt. Ich war den ganzen Tag unterwegs und als ich zurückkam, sah ich um die Winterhütte großen Bärenspuren. Der Bär schaffte es irgendwie die Verriegelung zu durchbrechen und kam in die Hütte. Für solche Fälle werden die Nahrungsmittel immer oben versteckt gehalten. Doch dieser Herumtreiber schaffte es alles rauszufinden. Er fraß mir alles weg, und das, was er nicht gefressen hat, zermatschte er. Nicht mal die Zahnpaste hat er verschont! Ich war erledigt! Es war Jagdanfang, ich wurde vor kurzem hierher gebracht und musste noch 3 Monate leben, bevor mich das Auto abholen wird. Und man kann nicht mit leeren Magen durch die Taiga laufen. Mir blieb nur Fleisch zum essen. Ich habe hundert Gerichte mit Fleisch gemacht: mit Bärenfett gebraten, mit Nadeln von den Bäumen gekocht, geräuchert... brr! Und fast jede Nacht hörte ich wie der Herumtreiber um meine Hütte rumschnüffelt... das war eine Zeit...

Mein Onkel vertiefte sich in die Erinnerungen. Ich streichele Baikal und frage ihm:
- Und was machst du sonst noch, wenn du nicht jagen gehst?
- Ich besuche ab und zu meine Familie (er wurde wegen Trinksucht verlassen– anmerk. des Interviewers.)
- Und wie reagieren sie?
- Sie reden nicht mit mir, schon lange nicht mehr, seit unserer Scheidung.
- Ich habe das Gefühl, dass du ein wichtiges Thema verdrängst. Sag mal, ist dir bewusst, dass du tot bist?
- Wenn ich tot bin, wie kannst du mit mir hier sitzen und reden?
- Na ja, es gibt so etwas wie Klartraum. Wenn ich schlafe, steuere ich bewusst meinen Traum, stecke den Universalanschluss und lade die Information runter.
- Und dein Körper?
- Er schläft im Bett.
- Mein Körper ruht sich auch aus, aber ich kann genauso wenig behaupten dass ich tot bin wie du.
- Hmm...und wie fühlst du dich?
- Ganz normal.
- Was heißt das schon wieder?
- Na wie fühlst du dich, wenn du dein Körper verlässt?
- Eigentlich normal... jetzt versuche bitte nicht das Spiel umzudrehen...
- Weißt du noch was Kosma Prutkow geschrieben hat? (Kosma Prutkow ist ein Lieblingsschriftsteller meines Onkels. Eigentlich existierte er gar nicht. Unter diesen Namen haben im 19. Jahrhundert eine Künstlergruppe um die Gebrüder Schemtschuschnikow witzigen und poetischen Quatsch geschrieben– Anmerkung des Interviewers.)


Schau in die Wurzel!



Auftrag von Traumseite



Ich bin durch den Wecker klar geworden und bin nacheinander in den verschiedenen Welten gelandet. Doch mir hat es nirgendwo gefallen und ich ging in ein großes Bürogebäude.



Ich begegne einer Sekretärin, sie eilt vorbei. Sie sieht ganz normal aus: weiße Bluse, schwarzer Rock...und mein Gesicht! Es ist kein maskenhaftes Gesicht und sie hat schon ihre eigenen Gesichtszüge und ihre Identität, aber sie ist eindeutig ich! Ich laufe weiter, Treppe hoch, ich treffe im Gang verschiedene Büroangestellte und alle haben mein Gesichtswesen!
Ich schaue in einen runden Plenarsaal und sehe dort viele Regierungsabgeordnete, die alle mein Gesicht haben.
Ich gehe noch eine Etage höher und trete ins Chefzimmer ein. Am großen massiven Tisch sitzt der Boss...mit meinem Gesicht. Das ist ja nett, dass die alle mein Gesicht haben, denke ich, da brauche ich mir nicht ständig einreden, dass sie ich sind.
- Hallo, grüßt mich der Chef, wie war ihr Spaziergang an der Grenze?
- Ging so...
- Wissen sie, was das erste Gesetz für jede Welt ist?
- Vergänglichkeit!
- Genau. Sie bekommen einen Auftrag.
- Auftrag? Wow, von der Traumseite hat mir noch keiner einen Auftrag gegeben! Soll ich im Wachzustand für sie etwas erledigen?
- Machen sie keine Witze. Im Land der unerschrockenen Vögel wurde das erste Gesetz gebrochen. Die Vögel haben an einem Herbsttag die Zeit gestoppt und pfeifen auf Gesetze. Wissen sie was passiert mit denjenigen, die gegen das erste Gesetz vorstoßen? Was sie erwartet?
- Tod.
- Ja. Hier ist ihr Auftrag, Grenzüberwacher. Der Boss schiebt mir ein Blatt Papier mit dem Auftrag über den Tisch.

Ich nehme den Auftrag, drehe mich auf dem Bürostuhl und schon sitze ich in einem Kanu und fahre durch das Seeland der unerschrockenen Vögel. Es herrscht eine seltsame Stille. Sie ist so kristallklar, dass ich aufpassen muss, wenn ich mein Ruder auf der linken und rechten Seite abwechselnd ins Wasser tauche, um sie nicht zu zerbrechen.

Es ist Herbst und die rot-gelben Blätter fallen geräuschlos von Bäumen ins spiegelglatte Wasser. Die Möwen sind gar nicht scheu, sie setzen sich auf mein Boot und sogar auf meine Schultern und schauen aufmerksam in meine Augen. Fische schwimmen auch frei neben dem Kanu, eine Wasserrate überquert mir den Weg und am Seeufer stehen die Rehe.
Ein Fluss führt mich aus dem See ins Innere des Landes, die Bäume bilden einen Tunnel über mein Kopf und ich verstehe, warum die Stille so makellos ist: die Vögel schweigen. Der Fluss wird zum Bach und bald muss ich aussteigen. Ich nehme aus dem Boot meine Staffelei, meine Rahmen, Pinsel und Malkasten. Ich laufe durch den Wald und komme direkt zur Stadt. Es ist eine sehr kleine Stadt. In der Mitte steht eine Kirche mit Turm, um sie herum ist ein Platz und eine Reihe von Häusern. Die Stadt ist menschenleer, die Häuser stehen verlassen, überall laufen Tiere und sitzen die Tauben. Ich wähle eine Wohnung aus, die die großen Fenster mit Blick auf den Kirchenturm hat. Dorthin bringe ich meine Sachen und sage zu den Vögeln: ich miete diese Wohnung. Die Vögel haben offensichtlich nichts dagegen und ich baue meine Staffelei auf.

Danach male ich viele Bilder. Bei gutem Wetter gehe ich an den See und male Fische, Hirsche, Bäume, Wasser, Enten, Möwen...bei schlechtem – arbeite ich in meiner Wohnung und male die Kirche, die nassen Tauben, den Regen...Irgendwann bin ich mit meiner Arbeit fertig. Ich nehme alle Bilder und gehe auf den Platz.

- Es ist immer noch Mittag, sage ich zu den Vögeln, immer noch der Tag als ich hierhergekommen bin. Die Sonne hängt immer noch an derselbe Platz und es ist Herbst.
- Unsere Turmuhr ist vor vielen Jahren kaputt gegangen, antworten mir die Vögel.
- Das erste Gesetz ist unvermeidlich, es geht nicht zu stoppen.
- Warum nicht? Wir leben schon seit vielen Jahren so.
- Ihr wisst, was ihr für diesen Widerstand bekommt.
- Du bist doch ein Künstler und kein Mörder
- Ich bin ein Grenzüberwacher.

Ich ziehe einen Malkasten mit schwarzen Farben raus. Diese verdünne ich mit Wasser und trage die graue Farbe auf ein Bild mit dem Kirchenturm. Es wird Abend. Ich gehe auf den Turm und ziehe die Stöcke, die Vögel ins Uhrwerk steckten, raus. Dann kehre ich zurück und sage zu den Vögeln und Tieren: legt euch hin, versucht euch zu entspannen und einzuschlafen, es ist bestimmt schmerzhaft, zu sterben. Dann male ich das Bild schwarz und obendrauf übermale ich es mit weiß.

Es bricht die Dunkelheit ein, es wird wesentlich kälter, sogar frostig. Am nächsten Morgen sind Kirche und Platz voll mit Schnee bedeckt. Alle Tiere und Vögel liegen um mich herum tot. Sie sind in der Nacht eingefroren. Es schneit.

Ich stelle alle meine Gemälde enger in den Kreis und sage zu den Vögeln und Tieren, die in den Bildern leben: Haltet durch! Ich zerbreche meine Pinsel, meine Staffelei und mache daraus ein großes Lagerfeuer. Der Wind wird stärker, er versucht den Schnee auch in die Bilder zu werfen, aber ich decke sie mit meinem Körper, und die Schneeflocken tauen in dem Feuertanz.

Dann wird der Himmel klar und die Sonne kommt raus. Ich werfe das schwarz -weiße Gemälde ins Feuer und gehe zu meinem Kanu. Als ich ihm erreiche ist es bereits Frühling, ich steige ein und fahre durch das Hochwasser zurück...drehe mich auf dem Bürostuhl wieder zu dem Boss.
- Hast du es wieder so hingekriegt, wie es dir gefällt, brummt der Chef
- Die Vergänglichkeit funktioniert und es ist doch das wichtigste, oder?
- Du bekommst dein Klarheitspunkt, sagt der Boss zufrieden, willst du ihn gleich einlösen oder später?
- Lieber später, falls ich einen Auftrag von der anderen Seite bekomme

Ich wache auf.




Fahnengleiter




Ich bin klar, da ich meinen Mut zusammen kratze. Ich befinde mich in der folgenden Lage: Auf einem Hochhaus ist ein riesiges Stück Stoff gespannt. Ich stehe ganz oben auf dem Baugerüst. Ich trage ein Korsett, an dem um mein Rücken 2 Hacken oder Sicheln befestigt sind. Die Hacken sehen dabei wie 2 Flügel aus, was irgendwie auch stimmt. Vorne, am Korsett habe ich einen Lenker, der die Hackenwinkel verändern kann. „Es ist ein Traum“, so bekomme ich den Rest zum Mut für mein erstes Fahnengleiting. Ich hacke die Sichel an den Rand des Stoffes und springe in die Tiefe!!!

Es ist ein fulminantes Gefühl!!! Die Sicheln schneiden den Stoff und ich gleite dabei wie im langsamen Flug nach unten. Ich betätige das Lenkrad und gleite nach links, dann nach rechts...
Die Massen unten (die meisten sind Juden, die mir dieses Kunstprojekt bezahlt haben...) jubeln vor lauter Begeisterung und der Kommentator erzählt: „... wurde gedacht als Symbol der menschlichen Unabhängigkeit und Freiheit. Die technisch-wissenschaftliche Unterstützung des Projektes wurde realisiert durch die Herren Krank & Krass...“

Ich bin heil unten angekommen und der Stoff hat jetzt einen imposanten Längsschnitt.


Tolka




Die Verabredung war um 15.00 Uhr. Ich stand da und wartete auf meinen Freund. Wir suchten zusammen nach etwas verborgenem, nach etwas geheimnisvollem, nach etwas was nicht mal wir selber wussten. Wir trafen uns immer einmal in der Woche und erzählten uns untereinander unsere Fortschritte. Es gab eigentlich nicht viel zu berichten: die Sehnsucht nach diesem Etwas wuchs, doch wir sind ihm keinen Schritt näher gekommen. An diesem Tag rief mich mein Freund an und sagte dass wir uns zuerst im Hotel treffen sollten und dass er etwas gefunden hat, was uns weiter bringt. Ich war schon ganz gespannt.

Mein Freund kam eine halbe Stunde später und brachte zwei Männer mit. Das hat mir nicht gefallen. Was machen die anderen bei dieser Suche? Die beiden waren eindeutig aus anderem Holz geschnitzt. Ihre Motive waren alles andere als rein. Das interessierte mich eigentlich gar nicht. Ich vertraute meinem Freund. Wenn er die beiden ins Spiel gebracht hat, dann soll es wohl so sein. Aus dem Hotel gingen wir los um noch vier andere Typen abzuholen. Ich mag keine Gesellschaften. Nicht bei dieser Suche. Die vier anderen holten wir bei der Haltestelle ab. Es waren Schwarze, sie wirkten wie Musiker. Meine Laune ging in den Keller. Zu acht wurden wir von 2 Geländewagen abgeholt. Als ich die beiden Wagen und die Typen dort sah, war mir klar, dass es Drogendealer waren. So eine Scheiße! Wir setzten uns rein und fuhren los. „Wie kam er bloß auf diese blöde Idee?“, dachte ich über meinen Freund. Doch viel Zeit zum nachdenken hatte ich nicht. Wir kamen im Wald an: Alle stiegen aus und setzten sich auf die Wiese hinter den Autos. Ich überlegte fieberhaft, wie ich von hier verschwinden kann. Dabei merkte ich nicht, dass eine riesige Tüte gebastelt wurde, von jedem gezogen wurde und ich als nächster an der Reihe war. Ich nahm den Joint und zog, doch er brannte nicht. „Na toll!“, dachte ich. Als ich es auch sagte, goss einer der Dealer mir eine schwarze Flüssigkeit in den Joint rein und ich zog wieder. Diesmal war die halbe Tüte weg, doch ich verspürte nichts. „Ihm reicht’s“, sagte der andere Dealer, nachdem er mir in die Augen geschaut hat. „Hm, was soll hier schon reichen“, dachte ich und gab die Tüte weiter. In einer Minute waren wir fertig. Wir setzten uns wieder in die Autos und die Dealer fuhren uns zurück zur Haltestelle. Ich fühlte mich beschissen. Mir war schwindlig, alles drehte sich vor meinen Augen, als ob ich krank wäre. Ich hasse Drogen! Ich verlor die Kontrolle. Die Dealer schauten mich mit prüfendem Blick an. „Und damit verdienen sie ihre großen schicken Geländewagen!“ Die Schwarzen verdrehten die Augen und sahen wie Zombies aus. Tolle Gesellschaft! „Ich will nach Hause!“, äußerte ich mich. „Ja, Ja...“ war die Antwort.

Wir saßen hinten. An der Kreuzung war rot, wir blieben stehen. Ein Dealer drehte sich um und zeigte mir und meinem Freund eine Karte. Wir befinden uns hier, zeigte er mit dem Finger. Ihr müsst da rüber, über die verschneiten Berge, ins Land Tolka. Es ist unsere Leistung. Ab dort geht ihr eurer Suche weiter nach. Ich schaute zu und merkte plötzlich, dass ich über die Berge fliege. Die Stimme des Dealers begleitete mich: „Wir sind nur für diesen Weg zuständig. Wenn ihr von der Suche zurückkehrt, würden wir uns freuen, wenn ihr in Tolka bei uns Urlaub machen würdet“. Dabei überquerte ich die wunderschönen Berge und schwebte an der Meeresküste. Es ist ein unglaublich schönes Stückchen Erde! Ich habe schon vergessen, dass solche Landschaften existieren: leuchtendes, grünes Meer, Felsen ragen aus dem Wasser, Sandstrand, Strohhütte, Sonne... Ja, hier würde ich gern meinen Urlaub verbringen. Aber es war nur ein Vorgeschmack. Das Bild wurde kleiner (ich wurde zurückgezogen) und fühlte mich fast wieder im Auto sitzend. Schade! Der Dealer sah es: „Na wenn ihr mir versprecht nach eurer Suche bei uns zu buchen, dann gebe ich euch jetzt eine Möglichkeit. Für unsere Clubmitglieder gibt es ein 45 minütiges Bonuspaket. Wenn ich euch jetzt beide als Clubmitglieder anmelde, könnt ihr diesen Bonus gleich einlösen“. „Er ist ein übler Verkäufer“, dachte ich. „Aber in dieser Sache ist er ein Profi“. Ich stimmte zu.
Sergej Pawlow unterschied 3 Stufen des Traumes:
1. man sieht den Film
2. man hat das Ich-Gefühl, das sich ein Film anschaut
3. man ist selber im Film
Die Reise ins Land Tolka, war auf Stufe 2. Was danach kam, war die Stufe 3. Plötzlich saßen mein Freund und ich in der Eingangshütte von Tolka, live dabei. Ich hatte das Gefühl, dass ich meine Schambala, mein Paradies bereits erreicht habe und es von hier aus in unermesslicher Schönheit weitergeht! Ich erlebte eine Ekstase.
Am Tresen stand eine wunderschöne schwarzhaarige Frau im Bikini und mit Strohrock. Sie mixte ein Getränk und mit einer erotischen Stimme sagte sie zu uns: „Herzlich Willkommen bei uns in Tolka!“ Mein Freund sprang auf, rannte zu ihr und rief: „Das ist die Frau meines Lebens!“ Daraufhin lächelte sie, beugte sich zu ihm und sagte: „Warte ab bis du meinen Vater gesehen hast!“ Für mich blieb sie immer noch Sie selbst, aber für meinen Freund wurde sie zu einem älteren, edlen, grauhaarigen Herrn. „Oh Meister!“, rief mein Freund aus. Er wurde vom Meister absorbiert. Ich sah dies alles nicht, das war nur sein Leben. Aber ich wusste, dass es so war. Es war einfach eine andere Ebene. Auf meiner Ebene sah ich nur noch die Konturen von meinem Freund. Und die Schöne steuerte auf mich zu. Sie kam mir gefährlich nah, verletzte meine persönliche, private und intime Sphären, berührte mich fast mit ihren vollen, roten Lippen, als sie mich fragte: „Und, was wünschst du dir?“
Ich war so glücklich, dass ich hier war, dass sie da war, dass ich endlich mal so sein konnte wie ich bin. Ich weinte vor Glück und Erleichterung und antwortete: „Ich weiß nicht, ich weiß es nicht. Alles vergeht, vergeht so schnell. Wenn ich mir was wünsche, dann ist es auch vorbei. All das hat keinen Bestand, deswegen weiß ich es nicht.“
„Ja, und was glaubst du, wo du sitzt?“, fragte mich die Schöne. „Sitzt du in Tolka?“
„Nein, das glaube ich auch nicht. Ich glaube an gar nichts denn alles ist nur Einbildung.“
„Und wer spricht diese Wörter aus?“
Ich weinte und wusste, dass ich bereit war, die Eingangstür zu betreten.

Und ich betrete die Eingangstür von Tolka. Auf der anderen Seite ist nichts. Dann begegne ich der Oma! Nicht einer Oma. Nicht meiner Oma. Nicht irgendeiner Oma, sondern Der Oma! Ich lache und singe: „OHHMMAA!“ Das steigert die Klarheit und sie wird noch höher als früher. Kein Tolka, keine Oma. Ich fühle mich in beiden Welten gut aufgehoben. Aus dieser Stabilität kann ich meine Pinsel ins Unbewusste eintauchen und malen. Ich nehme meinen Pinsel/Gedanken und steuere sie bewusst: „Eine Stadt in Spanien“ (male von links nach rechts) Es entsteht eine kleine Stadt. „In Südspanien“, korrigiere ich mich. Die Sonne knallt, die Straßen sind Menschenleer, es ist Siesta. Ich freue mich und übermale den Himmel dunkelblau – „es ist dort Nacht“. Die Menschen gehen auf die Straße, erste Sterne funkeln am Himmel. Mich starren ein junger Mann und eine junge Frau an.
„Wie bitte, das habe ich nicht gemalt.“
Ich lösche alles und verweile in traumloser Klarheit. Nach einer Weile bekomme ich einen Zugang. Es ist so, als wenn du in einer total fremder Umgebung bist und alles sich anders anfühlt. Dabei kann ich meine normale Wahrnehmung behalten. Danach bekomme ich einen zweiten Zugang, so als wenn du die Welt durch die Augen eines anderen Menschen sehen kannst. Und gleichzeitig auch mit deinen eigenen. Dann bekomme ich dritte, vierte... Zugänge...- es freut mich – es visualisiert sich wie tausend Schläuche, die an meinem Körper andocken. Zum Schluss werde ich zu einem Allroundzugang – ich lache: „Jetzt bin ich eine Oma!“
Ich entschließe mich zu dieser optimistischen Note den Zustand zu beenden. Ich wache auf.



Es ist 9.00 Uhr. Genau um diese Zeit wollte ich aufstehen. Ich war eine Stunde klar.




Die Geschichten von Hodscha



Hodscha I: Wünsche erfüllen



Ich habe mich umgedreht und bin klar geworden. Unter mir drehte sich eine Kette mit Knoten, wo verschiedene schöne Geschichten zusammengefaltet waren. Ich surfte darauf und freute mich. Ich konnte hören, was im RL passierte und die Traumwelt sehen. Es ist faszinierend!
Doch zuerst wollte ich überprüfen, ob ich fest genug schlafe. Ich kam auf die Schönfelderstraße und sammelte irgendwelche Zettelchen. Als ich auf der nächsten Straße ankam, sah ich, dass sie richtig zugemüllt war. Zuerst sammelte ich den Müll, dann aber blieb ich stehen: was mache ich bloß! Ich beamte mich in den Zustand zurück, wo ich auf den Knoten surfte. Ich wählte mir einen sympathischen Knoten und sprang vom Surfbrett rein.



Auf dem Marktplatz ist eine Menge von Leuten versammelt. Die meisten sind einfache Bauern oder Handwerker. Es ist eine Stadt im Orient oder Asien. Ein dicker, pompös angekleideter Mann steht auf dem Podest und liest laut aus der Schriftrolle vor: „... und deswegen muss jeder, der 2 Arme hat, 2 Tan’ga an unseren Sultan abgeben. Damit zeigt derjenige, dass unser lieber Sultan seine unermessliche Gnade...“ Die Menschen drehen sich und gehen um mich rum, weg vom Podest. Sie murren vor sich hin: „Schon wieder 2 Tan’ga! Es hieß doch letzte Woche 2 Tan’ga für 2 Beine und vorletzte Woche 1 Tan’ga für eine Nase. Was kommt noch auf uns zu?“ Keiner sagt aber etwas dagegen! Jetzt wird mir meine Rolle klar, ich freue mich und gehe zu dem Palast.

Dort halten mich zwei Wächter auf:
- Stopp, du darfst nicht rein!
- Ich muss mit dem Sultan reden.
- Wer bist du schon?
- Ich bin Hodscha, ich kann A) die Wünsche des Menschen erkennen und B) diese wahr machen. Deswegen muss ich unbedingt mit dem Sultan sprechen.
- Ja, ja – wedelt einer der Wächter mit der Hand – natürlich. Dann erkenne mal meinen Wunsch!
- Du wünschst dir nicht bei dieser Hitze Wache zu halten, sondern baden zu gehen.
- H-m-m... das ist wahr! Und jetzt mach, dass dieser Wunsch auch wahr wird!
- Mit Vergnügen! Lass mich aber zuerst zum Sultan gehen.
- Na gut. Komm mit!

Der Wächter begleitet mich ins Innere des Palastes. Auf dem Thron aus vielen Kissen sitzt der Sultan.
- Euer Gnaden - wendet sich der Wächter zu ihm – hier ist einer, der sich Hodscha nennt. Er behauptet, die Wünsche des Menschen erkennen und erfüllen zu können!
- Das klingt interessant. Hey, Hodscha, erkenne was Wir Uns wünschen!
- Sehr gerne, eure Hohlheit, aber lasset zuerst die Wache ablösen!
- Ja, ja... Hauptmann, löse die Wache ab! Jetzt erzähle Uns geschwind, was Wir Uns wünschen!

Der Wächter schaut einen Augenblick verdutzt, dann macht er ein kleines Freudentänzchen, bedankt sich stürmisch bei mir und rennt baden. Ich stehe aber vor dem Sultan und soll seinen Wunsch erraten. Oh, Oh! Ich weiß doch gar nicht, was er sich wünscht! Da habe ich mich aber schön reingeträumt! Ich kriege die Krise.

Allah sei Dank, ist es nur mein Klartraum. Ich friere die Zeit ein und denke nach. Was kann er sich wünschen? Mir fällt nichts ein. Aber es muss doch gehen, der Sultan ist nur meine Traumprojektion, ich muss es also wissen! Ich lasse meinen Geist frei und fließe in seinen eingefrorenen Körper. Fantastisch! Das macht Spaß! Ich bin der Sultan und bin echt gespannt was mir dieser Schurke erzählen wird, denn... ich habe keine Wünsche!
Mein Geist kehrt in Hodschas Körper zurück. Schöner Mist, er hat keine Wünsche! Ich entfriere die Zeit:
- O Eure Hohlheit! Ihr habt es wirklich nicht einfach! Wenn Ihr euch nur äußert: „Wir haben Hunger“ – steht schon das Essen auf dem Tisch. Wenn Ihr schlechte Laune kriegt, spielt schon eine lustige Musik... Ihr wünscht Euch so sehr einen Wunsch zu haben, der nicht sofort in Erfüllung geht! Einen Wunsch, für den Ihr selber was machen müsst, einen Wunsch, der sich nach und nach entfaltet und Euch immer wieder Freude bereitet!
- O werter Hodscha, du sprichst Uns aus der Seele! Nun hast du Unseren Wunsch wahrhaftig erkannt, erfülle ihn jetzt!

Vom Regen in die Traufe! Was soll ich denn jetzt machen? Und wie sollen die Menschen ihre Tan’gas zurückbekommen? Hilfe! Mama!
- Die Antwort auf diese Frage kenne ich nicht. („Es ist immer besser, die Wahrheit zu sagen“ –zitiert nach Mutti). Aber einer von Euren Untertanen, der an seiner Hand 5 Finger trägt, kennt sie! Er wird Euch Euren Wunsch aber nur für fünf Tan’gas preisgeben. Fraget ihn!
- Haltest du Uns für Narren? Wir befehlen dir Uns Unseren Wunsch zu erfüllen und du erzählst, dass Wir Unsere Tan’gas an den Bettler vergeben sollen? Du kannst keine Wünsche erfüllen, Betrüger!
- (Schluck) Eure Hohlheit! Ich habe bereits Euren Wunsch erfüllt! Ihr wolltet doch einen Wunsch haben, der nicht sofort in Erfüllung geht, einen Wunsch für den Ihr selber was machen könnt! Hier habt Ihr ihn! Ihr habt jetzt einen Wunsch - den Wunsch zu haben - bekommen! Fühlt Ihr ihn? Der hat alles was Ihr wollt!
- (Der Sultan schaute völlig verwirrt.)
- Jetzt lese ich in Euren Augen noch einen Wunsch: Ihr wollt, dass ich Euch dabei helfe.
- Ja, werter Hodscha, das wollen Wir wirklich!
- Gut, ich erfülle Euch Euren Wunsch!

Auf dem Marktplatz wurde diesmal ein anderer Befehl verkündet: „Jeder der 5 Finger an der Hand hat, soll zu einem persönlichen Gespräch zum Sultan gehen und dafür noch 5 Tang’as bekommen!“

Es dauerte lange, aber irgendwie war es immer wieder gleich: ein verängstigter Bauer kam rein und fiel vor dem Sultan auf die Knie. Der reichte ihm fünf Tan’gas und fragte: „Sprich, was wünschen wir uns?“ Der murmelte etwas wie „viel Glück“, „Gesundheit“, „ein ewiges Leben“ oder irgendwelchen ähnlichen Unsinn und wurde entlassen. Zum Schluss, als alle Untertanen abgefragt wurden, saß der Sultan da, mit leerer Kasse, ohne einen genialen Wunsch zu besitzen. (oh, Oh! Schluck)
- Wie hieß es noch mal? „Der Wunsch, der sich nach und nach entfaltet und Uns immer wieder Freude bereitet?“ Wir erleben nur Frust und Zorn! Wir hoffen, dass du jetzt eine gute Ausrede hast!
- (Ich verschluckte mir die Zunge)
- O Wurm! Jetzt wirst du erleben, was es bedeutet, einen Sultan zu betrügen! Dafür wist du deinen Kopf verlieren! Oder zuerst deine Körperteile, ja dir werden zuerst deine Arme abge... (Der Sultan stutzte plötzlich) Du hast auch 5 Finger an deiner Hand! Hier, nimm schnell die fünf Tan’gas und erzähle Uns Unseren Wunsch!
- O Euer Gnaden! Eure Weisheit ist unermesslich! Jetzt, wo ich diese 5 Tan’gas sehe, fällt mir ein, dass auf der Erde 5 riesige Königreiche existieren. In jedem Königreich gibt es eine prächtige Hauptstadt. Und dort befindet sich ein Weltwunder. Das erste von diesen 5 Weltwundern ist...
- Warte mal! – ruft der Sultan aus – erzähle Uns nichts davon! Wir wünschen Uns selber diese 5 Königreiche zu besuchen und die Weltwunder anzuschauen! Und dich ernennen wir zu Unserem Visier. Du bleibst hier und regierst statt Uns, bis Wir wieder kommen! Alles bereit machen für die große Reise!
- Wie Ihr wünscht, Eure Hohlheit!

Ich stehe vor einem Dilemma: auf der einen Seite will ich weiterziehen in die anderen Träume/ Geschichten, von der anderen will ich auch, dass der Sultan abhaut. Ach, es ist doch ein Traum! Ich entzweie mich, lasse ein Ich regieren und gehe als zweites Ich raus. Als das der arme Sultan sieht, dreht er völlig durch. Er springt runter, umarmt meine Knie und schreit:
- O Allah! O Allah! Verzeih mir, Allah!
- Allah? Heißt es nicht der Eine? Na dann stimmt es sogar!

Ich gehe aus dem Palast. Auf dem Marktplatz wartet eine riesige Menge von Menschen auf mich. Sie skandieren: Ho-dscha! Ho-dscha! Hey, ich habe doch heute Geburtstag! Leute, ich gebe heute einen aus! Mit der Kraft meiner Gedanken schaffe ich eine lange Tafel, Wein und Bier und hübsche Kellnerinnen vom Oktoberfest dazu. Hinten erschaffe ich eine Bühne, wo orientalische Musikinstrumente gespielt werden und einen Sänger. Fertig! Ich springe in die Masse und tanze mit! Der Sänger rappt:

Zwei Tan’gas, Ein Tan’ga
Keiner hat mehr Geld da
O-o-o komm hierher…
Ho-dscha!


Hodscha II:
Die Geschichte von Ibn Nabib und Abu Dgilal




Der Sultan hatte zwei Wesire: Ibn Nabib und Abu Dgilal. Die beiden hatten den gleichen Posten und konnten sich gegenseitig nicht leiden.

Einmal, als Ibn Nabib vom Bagdad nach Damask ging und Abu Dgilal von Damask nach Bagdad, trafen sie sich auf einer Brücke über einen kleinen Fluss. Nun war die Brücke leider zu schmal, um zwei Menschen durchzulassen. Ibn Nabib wie auch Abu Dgilal, waren viel zu stolz, um den Weg frei zu machen und so standen die beiden den ganzen Tag auf der Brücke. Am Abend, als die Sonne unterging und die ersten Nachtgrillen ihre Lieder anstimmten, kam Hodscha auf seinem Esel vorbeigeritten. Schnell erkannte er die Situation und wendete sich an beide Wesire:

- O ehrenwerte Ibn Nabib und Abu Dgilal! Wie ich sehe, seid Ihr in eine Sackgasse geraten. Menschen Eurer Position dürfen den anderen nicht aus dem Weg gehen, doch vorwärts kommt Ihr auch nicht.
- Wahrlich du hast unsere Lage erkannt, O Reisender. Nun was sollen wir bloß tun?
- Wer darf schon den weisen Wesiren Rat geben? Ihr versperrt aber die einzige Verkehrsader, bitte tretet zur Seite, dass die Andere sie benutzen können.

Die Wesire gingen von der Brücke und Hodscha ritt los. Doch mitten auf der Brücke blieb Hodscha’s Esel plötzlich stehen und machte keinen Schritt weiter. Hodscha stieg ab, zerrte seinen Esel und schob ihn – das alles half nicht. Schließlich gab er auf und bat die Wesire: „Helft mir bitte dieses widerspenstige Tier wegzuschieben und ich werde Euch bei Euren Streit helfen!“ Die Wesire kamen dazu und sie trugen zu dritt den Esel von der Brücke. Hodscha setzte sich wieder auf sein Tier und sprach: „So ist es mit diesen dummen Eseln: ein paar seltsame Gedanken und die Brücke ist versperrt!“

Und er ritt davon.


Hodscha III:
Der Seeungeheuer




Was für eine Nacht! Die Türken im Hostel wo ich lebe, lernen Persisch, das brach wohl einige Inspirationen mit sich.



- Muuhaha, jetzt sterbe, du Wurm! – ein hünenhafter Henker schwingt sein monströser Axt in die Höhe, um augenblicklich mein Kopf von den Schultern zu trennen.
- Stopp!!! Das letzte Wort! Ich habe das Recht auf ein letztes Wort! – rufe ich in der letzten Sekunde.
- Na dann beeile dich – der König rutscht ungeduldig hier und her auf seinem Thron – wir können kaum erwarten mit deiner hohlen Birne Ball zu spielen.

Ich setze mich erleichtert auf die Erde und fange mit der Geschichte an:

Von weiten Welten, von allen Seiten, von nah und fern, von uns, von beiden, von heller Sonne, von dunklem Mond, von Tigerschrei, von Tiergeschrei, von Mein, von Dein, von da bis da ertöne Lied über Ali, der das Schrecken besiegt!

Es lebte einmal vor langer langer Zeit ein junger Musiker namens Ali. Er wanderte durch die Welt immer auf der Suche nach Menschen, deren Seelen er mit seiner Musik berühren kann.
Einmal, weit oben in den Bergen entdeckte er ein kleines hübsches Dörfchen, welches idyllisch um einen wunderschönen blauen See gelegen war. Die Dorfbewohner waren froh seine Musik zu lauschen und so blieb Ali dort einigen Tagen leben. Er spielte seine merkwürdige Musikinstrumente und sang dazu seine fröhliche Lieder. Doch nach einer Weile bemerkte er, dass die Dorfbewohner sehr bekümmert waren. Sie müssten auch schwer arbeiten, ja sie gingen ganz weit über die Berge, um sich Wasser zu holen und das war mehr als anstrengend.
- Warum geht ihr so einen beschwerlichen Weg? – fragte der junge Ali nach – warum holt ich das Wasser nicht einfach aus dem See?
- Die alte Legende besagt, dass in diesem See ein Ungeheuer wohnt, welcher jeder von uns zu fürchten muss. Drum ist der See für uns verboten.
Junge Ali ging ans Ufer und schaute sich den See an: alles schien friedlich und schön zu sein, nirgends konnte er nur ein Zeichen des Seeungeheuers zu sehen. Doch dann erblickte er plötzlich einen riesigen, mit Stachel übersäten Schwanz, welcher sich kurz über den See erhob und wieder in der blauen Tiefe verschwand. Ein Seeungeheuer!

Ali kehrte ins Dorf und sprach zu den Dorfältesten: „Ich werde für euch den Ungeheuer mit meiner Musik besiegen, damit ihr in Ruhe leben könnt!“ Nichts, aber gar nichts antworteten die Alten darauf und schauten nur skeptisch den jungen Mann an.
Doch er holte seine Musikinstrumente und ging wieder am Ufer des Sees.
Man muss schon sagen, dass Ali’s Musikinstrumente wirklich einmalig waren. Es waren für sich genommen eigentlich gar keine Musikinstrumente, sondern viele Bauteile, die er nach Lust und Laune zu einem Musikinstrument zusammenschraubte. Mal kam daraus ein schottischer Dudelsack, mal ein indischer Shurtibox, andermal eine peruanische Quena.
Also breitete Ali am Ufer des Sees sein Teppich aus, verneigte sich gen Mekka, rief den Allah zur Hilfe und fing an, die Teile zusammenzusetzen. Herauskam ein recht ungewöhnlicher Instrument, welcher noch keiner spielte. Ali trommelte an seinen Seiten und die hohen Töne tanzten über die Wasseroberfläche, schmuggelten sich zwischen den Wellen, tauchten bis zum Seeboden. Der Seeungeheuer wurde aufgeweckt. Langsam erhob er seinen furchterregenden Kopf über das Wasser. Wie ein Berg wuchs er in die Höhe, stand auf und überdeckte sogar die Sonne. Der armen Ali wurde der Atem gestohlen. Der Ungeheuer war so riesig, dass der See ohne ihn zur einen kleinen unbedeutenden Pfütze wurde. Die zittrigen Hände des Musikers könnten kein Instrument mehr halten. Es fiel runter und die Musik verstummte.
Der Seeungeheuer rülpste laut und legte sich in die Pfütze, die in diesen Moment wieder zu einem blauen See wurde.
Die Dorfältesten holten den zittrigen Musiker ab: „Du kannst uns nicht von unseren Schrecken befreien", sagten sie zu ihm, "denn damit geht unser geliebte See verloren“. Und der Musiker folgte ihnen ohne einen Laut von sich zu geben.

- Und weiter? – fragt der König nach - wie geht es weiter?
- Ich weiß es noch nicht – gebe ich ehrlich zu – mir fehlt nichts ein.
- Ha, ein miserabler Geschichtenerzähler verdient es nicht sein Kopf zu tragen! Köpfe ihm!
- Muuhaha, jetzt sterbe, du Wurm!... - der hünenhafter Henker lässt wieder sein monströser Axt freudig in die Höhe schwingen
- Stopp! - diesmal ist es aber der König, der das schreit – was brauchst du, um deine Geschichte weiter zu erzählen?
- Ich benötige ein wenig Schlaf, Eure Hohlheit! Denn diese aufregende Hinrichtung hat mir viele Kräfte beraubt.
- Na gut, du kriegst noch eine Nacht geschenkt. Morgen früh wirst du die Geschichte bis zum Ende erzählen und danach sterben.
- Vielen Dank!

Ich gehe also in mein Haus schlafen und mein Traum bringt mich weiter. Am nächsten Morgen setze ich die Geschichte fort:

Ali fiel in sein Bett, doch in dieser Nacht fand er keine Ruhe. Ein Albtraum nach dem anderen verfolgte ihn in seinen Träumen. All seine misslungene Auftritte, all seine Versagen und schief gesungene Töne quellten ihn in dieser Nacht. Und als die Krönung träumte er, dass der Seeungeheuer sich unter der Decke der Dunkelheit in seine Hütte stahl, sich über den armen Musiker vorbeugte, seinen schrecklichen mit Haderern übersäten Maul aufsperrte und „WASSER!“ sprach. Da sprang aufgewachte Ali von seinem schweißnassen Bett und rannte hoch in die Berge.
Am nächsten Tag suchte er erneut die Dorfältesten auf. „Ich hatte eine schlimme Nacht“, sagte er „und jetzt trage ich euren Schrecken auch in meiner Brust. Aber dadurch weiß ich wie es sich anfühlt. Ich kann unmöglich den Schrecken für euch besiegen. Nur ihr selbst könnt es schaffen. Und ich werde euch dabei helfen. Lass uns die Legende neu schreiben! Lass uns das tun, was schon längst getan werden muss! Wir brauchen 7 Eimer frisches Wasser aus der Quelle!“
Die Dorfältesten sendeten Wasserträger ab. Ali suchte sich die größte Schale im Dorf und platzierte sie am Ufer. Gegen den Abend kamen die Wasserträger zurück und Musiker befahl sieben Eimer in die Schale zu kippen. Dann verteilte er die Bauteile von seinen Instrumenten zwischen den Dorfleuten und zeigte, wie man diese bespielt.
„Ich weiß, dass ihr Schrecken habt, den habe ich auch. Doch wir sind viele und wir können nicht alle auf einmal verschlungen werden. Lass uns spielen!“
Und er fing als erstes an durch seine Musik den See zu beunruhigen. Die Dorfmenschen folgten ihm erst vorsichtig, ließen dann aber in der Musik ihren ganzen Frust heraus und spielten zunehmend lauter und lauter. Der See wurde unruhiger und der Ungeheuer erhob sich über das Wasser. Er kam heraus und die Dorfmenschen ließen vor lauten schrecken die Musikinstrumente fallen. Der Ungeheuer schaute sich um und entdeckte die Schale mit frischem Quellwasser. Er hockte neugierig davor und trank genüsslich die Schale leer. Dann rülpste er laut und legte sich vergnügt in die Pfütze, die in diesen Moment wieder zu einem blauen See wurde.
Die Dorfmenschen trauten ihren Augen nicht. Der Seeungeheuer, der Schrecken, der Albtraum… war eigentlich gar kein Ungeheuer.
Seit dem brachten sie ihm öfters das Wasser aus dem Bergen und die Kinder fingen sogar an, im See zu baden und das Ungeheuer als eine Rutsche zu benutzen.

Ali aber packte seine Musikinstrumente und wanderte weiter.

- Ist deine Geschichte jetzt zu Ende?
- Ja, euere Hohlheit.
- Hmm… nett... So, jetzt bist du aber dran mit sterben!
- Muuhaha, jetzt sterbe, du Wurm! - der hünenhafter Henker zieht seine Axt heraus
- Wasser! – schreie ich – Eure Hohlheit, gebt mir Wasser!
- (der König steht von seinem Thron auf und läuft zum Podest) Dir kann ich kein Wasser reichen, Hodscha, aber vielleicht kannst du uns unsere Ängste wegnehmen. Komm mit uns und sei unser Gast!

Ich träume weiter von einem Theaterstück, wo der hünenhafter Henker „Muuhaha, jetzt sterbe, du Wurm!“ schreit und wir mit dem König herzlich lachen müssen.


Hodscha IV:
Aus dem Russland mit Schnupfen




Nach einem kurzen Telefonat, schließ ich wieder die Augen und sehe, wie die grünen aus der Pappe ausgeschnittenen Flaschen durch eine Wattewolke hochgeschoben werden. Eine nach der anderen. Hypnagoge Bilder! Ich schlafe ein! Sofort starte ich den Hodscha -Plan.



Ich, Hodscha laufe durch die hohen leeren Saale des königlichen Palastes in Petersburg. Die Kälte klettert mir unter die Kutte, meine Schritte hallen in der Stille und es ist einfach ungemütlich. Irgendwas stimmt hier nicht. Das habe ich nie und nimmer geplant. Die große Tür geht vor mir auf und ich betrete die letzte Halle. Eine Hand voll Menschen steht um einen edlen Stuhl, welch wahrscheinlich ein Thron darstellen soll, daneben steht mir mit dem Rücken ein Mann. Er dreht sich um und ich erkenne den Zaren, Nikolaj, der Zweite. Sein auseinandergehender und kringelnder Bart ist recht einmalig. Verwirrt stehe ich da und lasse mich von seinen müden schweren Augen durchmustern. An der anderen Seite des Throns erkenne ich den bärtigen Rasputin, der Zaren wahnsinnigen Berater, daneben noch einige Generale.

„Meine Tochter Nastassia ist spurlos verschwunden“ – der Zar Nikolaj wirft mir seine Worte wie der Herr, der gezwungen wurde, einem fremden Hund die guten Knochen mit zu viel Fleisch drauf überlassen: lustlos und widerwillig – „finden Sie sie!“ – und er dreht sich wieder weg. Nur Rasputin steht wie versteinert da und bohrt mich mit seinem bösen Blick. Ich habe mir ihn größer vorgestellt, aber finster kann er schon schauen.

Irgendwas stimmt hier nicht. Ich schnappe mir mein dickes Drehbuch und blättere durch: Orient, Sonne, Wüste, schöne Frauen, weise Sprüche, Sultan, Märchen, süße Halwa – nichts mit kalten Russland, Menschen die es verlernt haben zu reden, bösen Rasputin und „finden Sie sie“. Bin ich etwa ein Detektiv, oder was? Wie soll ich jemanden finden, wenn keiner mit mir reden will? Wem soll ich meine Märchen verkaufen, wenn keiner zuhört? Seufzend stecke ich das Drehbuch weg. Die Herren um den Zar Nikolaj schauen in die Leere, ein Zeichen für mich, dass ich verschwinden soll, das Gespräch wurde bereits beendet. Ich drehe mich um und gehe raus.

Ich höre das Quietschen der Takelage, spüre salzige Luft des Mittelmeeres und werfe mich in die Hängematte meines Schiffes. Urlaub! Ich habe dringend Urlaub verdient!

„Werter Hodscha!“ – reißt mich aus den Träumen eine Stimme – „wie schön, dass Sie die Zeit gefunden haben, zu uns zu kommen!“ Ich drehe mich um: ein rundlichen Mann mit wenigen Haaren auf dem Kopf und breitem Grinsen holt mich an der Tür ab. Vorsichtig nimmt er mich am Ellenbogen und führt weg von der Zarenhalle. Was die anderen Russen in Sachen Gesprächsführung verlernt haben, hat er dreifach drauf. Er sprudelt vor Begeisterung mich zu sehen, er spricht ununterbrochen und seine Haltung weist auf die höchste Bereitschaft den anderen anzunähern.

Sein Name ist „Alexej“ und es tut ihm schrecklich leid, dass er mich noch nicht früher abgeholt hat. Ein großes Unglück ist vor kurzem in der Zarenfamilie geschehen. Die Tochter Nastassia, die mittlerweile ihren 16 Lebensjahr hinter sich gelassen hat, ist von heute auf morgen verschwunden. Die Geheimpolizei war nicht imstande sie zu finden, und in Anbetracht der komplizierten politischen Lage wurde es nicht möglich sie öffentlich zu suchen. Der Zar Nikolaj befahl die heiligen Männer zu rufen, die ihren hellseherischen Fähigkeiten bei der Suche ihrer Tochter einsetzen sollten. „Herr Rasputin und sie, werter Hodscha, waren die ersten, die seinem Ruf gefolgt haben. Hoffentlich haben sie mehr Erfolg bei der Ermittlung, als Herr Rasputin. Die ganze Sache ist ja gar nicht so kompliziert, wie es scheint. Herr Rasputin hat alle nur noch mehr verwirrt. Die junge Prinzessin ist bestimmt mit irgendwelchen hübschen Offizier durchgebrannt. Das Leben im kalten Palast kann einem manchmal bis zum Hals raushängen. Findet man den Offizier, so hat man schon die Prinzessin…“

Ich bleibe stehen. „Alexej, wie war Nikolaj zu seiner Tochter Nastassia?“
- Was meinen Sie, Hodscha? Er ist doch ihr Vater.
- Ja und der Zar gleichzeitig. Ich meine wie waren seine Gefühle zu ihr?
- Hmm… keine Ahnung. Ich weiß es nicht, denn seine Gefühle hat er ja öffentlich nie gezeigt. Aber das ist normal hier bei uns. Man muss wissen, dass…
- Alexej, unterbrach ich ihm. Wir finden Nastassia, schneller, als du denkst. Wir müssen sie nicht mal suchen. Der Vogel sucht die Freiheit im Himmel, doch sein Zuhause ist auf der Erde.
- Du sprichst in Rätseln.
- Hier ist ein Trunk. Gibt etwas davon heimlich den Zar und verbreite Gerücht, dass er vor Kummer sterben wird. Er wird sich wegen dieses Abführmittels tatsächlich paar Tage elend fühlen, doch seine Tochter wird bald da sein.
- Du bist ein wahres Schlitzohr, Hodscha! – ruft Alexej freudig auf und rennt in die Küche.

In dieser Zeit kehre ich in die Zarenhalle zurück. Dort steht ein großes Bett mit dem sterbenden Nikolaj drauf. Der Zar sieht wirklich schlimm aus und die Angehörige seiner Familie sowie Freunde schauen besorgt zu ihm. Auch Rasputin steht an seinem Bett und schaut mich verdächtigt an.
Ich wende mich zum Zar und hole ein Satz heraus, welchen ich schon längst vorbereitet habe und nur irgendwie hier verbraten möchte: „Eure Majestät, ich bin ein Märchenerzähler. Die Märchen sind wie eine exotische Frucht: oben ist köstlicher Fruchtfleisch der Geschichte, damit sie überhaupt ankommt; doch innerdrin ist der harte Kern der Wahrheit. Wer dieser Kern knackt, der findet der Samen der Liebe. Denn ohne Liebe gibt es auch kein Leben."

Jetzt kapiert endlich auch der Zar, er fängt an zu reden, doch seine Stimme ist schwach und er macht große Pausen, um Luft zu holen:
„Meine treuen Freunden…, seit dem ich meine liebe Nastassia verloren habe…, ist meine Lebenskraft zu Ende gegangen… Wie gerne würde ich mich von ihr verabschieden… um ihr zu sagen…

Die Frau von Nikolaj hält es nicht aus und fängt an bitterlich zu weinen. Ich komme näher, stoße den Rasputin meinen Ellenbogen in die Rippen und flüstere ihm ins Ohr: „Das reicht jetzt, sind es dir nicht genug Beweise für die Liebe? Es ist an der Zeit das Wunder zu vollbringen!“

Ich gehe raus. Alexej rennt mir hinterher, er ist ganz aus der Atmung. „Hodscha, Hodscha, der Herr Rasputin ist auf die Knie gefallen und er… er… er verwandelte sich in die Nastassia! Was ist los?“

- Es war kein Rasputin, sondern die Nastassia selbst. Sie wollte schauen, was ihr Vater machen wird, wenn sie verschwindet, ob er überhaupt leiden wird, ob er sie liebt. Ich habe das Ganze nur beschleunigt.
- Aber woher wusstest du…

Ich wache auf.




Hodscha V: Anfangslos




Hodscha ritt auf der leeren und staubigen Straße nach Samarkand. Aus dem Bagdad wurde Hodscha mehr oder weniger rausgeworfen. „Was ist bloß aus diesem weisen Mann geworden?“ - rätselten die Leute. „Er war doch früher immer so vorkommend und bescheiden“ Doch die letzte Zeit verbrach Hodscha meistens auf den Friedhöfen. Er wurde zunehmend immer verrückter, umarmte die Grabsteine, tanzte auf den Gräber und küsste die Bäume. Das konnte in so einer vornehmen Stadt wie Bagdad nicht lange gut gehen. Es war also der Grund, warum er von dort weg ging und auf seinem alten Esel gemächlich gen Samarkand ritt. Es war auch der Grund, warum er beim reiten sehr nachdenklich mit dem Kopf hoch und runter wackelte. Nicht wegen der Meinung der Menschen, nein. Die innere Bilder, die er seit kurzem sehen konnte, das neue Ausmaß der geistigen Schau stellte ihm von den ganz neuen Rätseln auf, den Rätsel, die er noch nicht lösen konnte.

Unweit von Samarkand wurde er aus seinen Gedanken durch zwei bewaffneten Söldnern rausgerissen, die ihm festnahmen und zum Sultan schleppten. Der Sultan saß auf seinem Thron mit der verbundenen rechten Hand und schaute unglücklich auf.
- Oh werter Hodscha, sprach er, wir haben gehört, dass du der weiseste Mann von Bagdad bist, der bereits viele Wunder verbracht hast!
- Die Menschen reden so mancher Unsinn – antwortete Hodscha schlicht.
- Wir brauche deine Hilfe, denn wir befinden uns in einer heiklen Lage und wissen nicht, wem wir uns sonst noch anvertrauen können!
- Gut, ich höre zu.
- (Der Sultan entließ seine Wache und nahm Verband von seiner rechten Hand weg)
- Allah al Akbar! – rief Hodscha erstaunt. Er kam näher und untersuchte den Arm des Sultans. Dort wo alle Menschen normalerweise eine Hand mit 5 Finger haben, hatte Sultan gar nichts. Die Hand wurde weder abgesägt, noch abgehackt, weder abgerissen, noch abgebissen – sie war einfach weg!
- Wie ist es passiert? – fragte Hodscha.
- Früh am Morgen wachten wir auf und fanden unsere Hand nicht mehr. Vermutlich geht dies aber auf eine Begebenheit zurück, der vor einer Woche hier in unserem Palast geschehen ist. Da kam eine Frau in einer Parandscha und bat uns um die Audienz. Wir hatten keine Zeit und erlaubten ihr nur kurz ihren Anliegen vorzutragen. Sie quasselte aber lang und weinerlich, dass sie schon sehr alt ist und dass ihre Söhne im Krieg gefallen sind, dass ihr Haus bei dem letzten Erdbeben zerstört wurde und dass sie uns, dem Sultan um die Hilfe anfleht. Allmählich verloren wir unsere Geduld und befahlen die Alte rauszuwerfen. Doch als die Wache sie festhielt, richtete sich die Alte auf und warf ihre Parandscha zu Boden. Da sahen wir, dass es keine andere, als unsere geliebte Mutter war.
- Mutter - wunderten wir uns - was soll diese Verkleidung!
- Sei still, du Hund! Ich habe schon viel von den Menschen gehört, dass du den Alten nicht hilfst und sie verachtest. Jetzt habe ich das selbst erlebt!
- Aber Mutter, wenn wir wüssten, dass es Sie waren, dann würden wir Sie natürlich mit dem Gold überschütteln…
- Und das soll mein Sohn sein? Ich verfluche dich und nehme das, was ich dir als Kind gegeben habe, zurück. Wir sehen uns nicht wieder, denn ich will nicht mit dir in diesem Palast wohnen und reise nach Buchara ab!
Sie drehte sich also um und ging weg. Wir rätselten lange, was ihr nun widerfahren ist und jetzt, eine Woche später, verloren wir unsere Hand!“

- Eure Hohlheit, sprach Hodscha, eure Lage ist mehr als gefährlich! Vor einer Woche vernahm ich eine geistige Stimme die mir ein einziges Wort offenbarte: „Anfangslos“!
- Anfangslos? Was mag das bedeuten?
- Ich wusste zuerst auch nicht und musste viel Zeit auf den Friedhöfen des Bagdads zu verbringen, um es rauszufinden. Doch in Euren Fall wird es mir deutlich: Ihr habt der Alten nicht geholfen, Ihr trägt der Fluch Eurer Mutter mit Euch und jetzt wird das, was am Anfang Euch gegeben wurde, wieder weg genommen. Ihr werdet zuerst eine Arm verlieren, dann die andere, Eure Beine und ganzen Körper folgen ihnen nach, so dass Ihr in Kürze körperlich nicht mehr auf der Erde verweilen werdet.
- Nicht mehr? Werden wir sterben?
- Nein, noch viel schlimmer. Auf den Friedhof habe ich erfahren, dass die Seelen, die ihren Körper verloren haben, ohne dass diese durch die Krankheit, Gewalt oder Alter befallen wurden, dann noch auf der Erde aufhalten, jedoch den bösen Geistern schutzlos ausgeliefert sind. Die Seelen sind auf die Jahrzehnte verdammt von ihnen aufgefressen und gefoltert zu werden!
- Oh Allah! – stöhnte der Sultan – wir würden alles wieder gut machen, doch bis wir unsere geliebte Mutter erreicht haben, wird es zu spät sein. Ah, wir haben eine Idee! Wir werden einen Gesetzt verkünden, dass jeder alte Mensch im unseren Reich genug Gold bekommt, um sorglos zu leben!
- Ihr könnt Euch nicht freikaufen, das wird der Fluch nicht aufhalten!
- Was sollen wir dann tun?

Hodscha dachte nach. Er vertiefte sich in die geistige Schau und sah verschiedene Welten. Endlich sprach er: „Ihr müsst zuerst erfahren, wie die andere Menschen mit den alten Leuten umgehen. Lasst uns gemeinsam unbemerkt in die Stadt gehen und es herausfinden!“

Der Sultan war einverstanden, kleidete sich als einfacher Kaufmann ein und die Beiden gingen auf die Straßen des Samarkands. Lange streiften sie durch die Märkte und Gassen und sahen überall, dass die Älteren mit äußeren Respekt und Zuvorkommenheit behandelt wurden. Sie gingen in eine Tchaichana und nahmen dort Platz. Auch dort wurden zuerst die Ältesten bedient.
- Hodscha, wendete sich Sultan, warum werden die Älteren von Allen so besonders beachtet? Wissen denn alle Menschen außer uns, dass die Alten die Macht haben, das Leben zurückzunehmen?
- Nein, das nicht. Aber die Menschen wissen, dass die Alten etwas haben, was sie nicht haben können.
- Was ist das?
- Das ist das Wissen über den Anfang. Die Alten kommen aus früherer Zeit und sind dementsprechend an den Anfang wesentlich näher.
- Das ist es! – rief der Sultan aus – Das ist es was wir brauchen!
Als der nächste Greis die Tchaichana betraf, eilte der Sultan hochpersönlich zu ihm hin, brach ihm in seiner linken Hand eine Piala voller Tee und schob ihm sogar einen Kissen unterm Hinter.
„Gut, dass du das Alter respektierst, lobte ihm der Greis, und das ist obwohl du nur einen Arm hast!“ Der Sultan schaute sein Arm an – der ganze rechte Arm war mittlerweile weg und der Ärmel seiner Kleidung hängte am Körper.
- Oh Werter, rief Sultan aus, zahlreich sind deine Jahren, viel hast du erlebt und erfahren, ich flehe dich an, erzähle mir wie der Anfang gewesen ist!
- Der Anfang?
- Ja der Anfang von allem!
- Das weiß ich nicht, aber unser Schuster Mustafa kennt viele Märchen und Geschichten. Wir wollten uns heute treffen. Mustafa ist schon alt geworden und halbblind und kann seiner Arbeit nicht nachgehen, aber erzählen kann er vorzüglich. Wenn du Lust hast, kannst du mitkommen!
Der Sultan war dankbar einverstanden und sie gingen zu dritt zum Schuster Mustafa.

Mustafa war nicht allein Zuhause. Seine Freunde, andere alten Männer saßen bei ihm, tranken den Tee und sprachen über die Welt und der Allah. Sultan verbeugte sich vor dem Mustafa und bat ihm über den Anfang von allem zu erzählen. Der Mustafa setzte sich bequemer, nahm Schluck Tee und fing an mit seiner rauer Stimme zu erzählen:

„Diese Geschichte hat mir mein Vater erzählt. Und ihm hat wiederum sein Vater erzählt. Und dem Großvater hat sein Onkel erzählt, und dem Onkel hat sein Vater berichtet…
Am Anfang war der Bäcker. Der Bäcker nahm den Teig und knetete daraus einen Mann und eine Frau. Er fügte den beiden unterschiedlichen Zutaten zu und buk sie fertig. Seit Jahrtausend von Jahren war der Beruf des Beckers die heiligste Berufung der Welt, die viel höher als der Rang der Sultanen oder Muftis geachtet wurde. Doch mit der Zeit verloren die Becker das Geheimrezept des Anfangs und buken immer kleinere Brötchen.“

- Wie schade! - seufzte Sultan
- Wenn du mehr darüber erfahren möchtest – sprach Mustafa – geh doch zu unseren alten Becker hier auf der Straße, vielleicht weiß er mehr als nur die alte Geschichten.

Der Sultan bedankte sich und ging mit Hodscha zum Becker. Dort öffnete er sich dem Becker und erzählte ihm sein Leid. Der Becker hörte sich alles an und schaute mitleidig den mittlerweile armlosen Sultan an:
- Ja, diese Geschichte kenn ich gut und den alten Rezept des Anfanges wurde Generation für Generation von einem Becker zu anderen behutsam aufbewahrt, jedoch kann man heutzutage nach ihm nicht backen, denn auf der Erde findet man die wichtigste Zutat, die Schattenmondpflanze schon seit langer Zeit nicht mehr. Die wächst nicht mehr und damit ist das heilige Rezept wertlos.
- Doch, entgegnete Hodscha, ich habe viel Zeit auf den Friedhöfen verbracht und dort habe ich diese Pflanze paar Mal gesehen! Sie wächst völlig unbemerkt im Schatten der Grabsteine und ist nur beim Vollmond sichtbar.
- Dann habt ihr noch eine Chance, sprach Becker und zeigte auf den verkleideten Sultan – in zwei Tagen ist der Vollmond, wenn sie die Pflanze finden und selbst abpflücken, dann backe ich ihnen, was sie wollen!

Hocherfreut machten sich Sultan und Hodscha auf den Weg. Sie suchten einige Friedhöfe ab und auf den ältesten fanden sie im Licht des Vollmondes die kostbare Schattenmondpflanze. Der Sultan pflückte die Pflanze vorsichtig mit seinem Mund ab und Hodscha trug ihn zum Becker, denn mittlerweile fehlten dem Sultan die Beine. Der Becker machte sich gleich an die Arbeit und mischte einen riesigen Fass mit dem Teig an. Er zerhackte die Blätter der Schattenmondpflanze klein, fügte ein Haar vom Sultans Kopf hinzu und knetete aus diesem Teig einen großen menschlichen Körper zusammen. Als der Teigkörper fertig war und ins Offen geschoben wurde, verschwand Sultans Körper und auch sein Kopf.
Doch dann hörten Hodscha und Becker seine Stimme aus dem Offen: „Holt mich raus, es ist verdamm heiß hier!“ Sie zogen das Brot aus dem Offen und brachten die Kruste auf – innerdrin lag Sultan nackt und in voller Besitzt seines Körpers.

„Der lodernde Feuer des Sterbens hat meine Seele geläutet, stieß der Sultan feierlich, ich bedanke mich bei euch, meine Freunde! Und jetzt ist es an der Zeit dass ich einige Gesetze in meinem Reich ändere und meine geliebte Mutter aufsuche, um ihre Gnade zu erbeten.“


Meditation auf dem Friedhof der Träume




Der Friedhof der Träume besteht aus 3 unterschiedlichen Ebenen:

Zum ersten ist es ein ganz normaler alter Friedhof, wohin man sich mitten in der Nacht begibt. Durch das große Eingangstor kommt man zu zerfallenen, aber schönen Gräbern, die Bäume hängen dort ihre Asthände über die kopflosen Statuen und der Uhu macht mit seinen unregelmäßigen Gestöhne die Umgebung so richtig spannend. Selbstverständlich hängt da ein riesiger Vollmond am schwach bewölktem Himmel und sein silbernes Licht fällt auf die Friedhofskirche. Dadurch wirkt die Kirche, wenn nicht unheimlich, dann schon klassisch gruselig. Dazu würden noch ein paar Fledermäuse passen, die habe ich aber nicht gesehen. Ich sitze auf einem Grabstein.

Auf zweiter Ebene sieht man den Inhalt des Friedhofs. Die einzige Gemeinsamkeit mit der ersten Ebene ist das Eingangstor, das genauso aussieht. Ab da ist dieser Platz total anders, er ist vollgefüllt mit Träumen: alten Träumen, vergessenen Träumen, verdrängten Träumen, verstorbenen Träumen; den Träumen, die keiner mehr braucht und den Träumen, die überhaupt keiner kennt. Es ähnelt ein wenig einer riesigen und bunten Müllhalde – dort ragt ein Phantasieauto aus der Erde, da türmen sich die Reste von Urlaubsinseln, drüben unterhalten sich merkwürdige Wesen und wo anders liegen Gedichte zerstreut. Meistens befinde ich mich auf dieser Ebene, die Traumlandschaft finde ich wunderbar chaotisch, die Mehrzahl der Träume sind intakt, sie lassen einen in Ruhe und so kann ich leicht klar bleiben. Ich beobachte passiv die naiven reinen kindlichen Träume und die gewissensbissigen von den Alten, aggressive männliche und unruhige Tierträume. Sie entfalten sich kurz vor mir und brechen wieder zusammen – schwach und kraftlos ohne gedankliche Energie.

Die dritte Ebene fängt auch mit demselben Eingangstor an. Und auf der anderen Seite endet sie. Ab da ist es nur ein Abgrund, wo ein lila-rosa Nebel in der Luft hängt. Aus dieser Substanz werden auf der anderen Ebene all die unterschiedlichen Träume gewebt und in sie kehren sie auch nach ihrem Tod wieder zurück. Mein Traumkörper hängt dort auch in der Luft. Zuerst, als ich diese Ebene entdeckte, war mir dort ein wenig schwindelig, doch dann habe ich die Sache geklärt und mir macht es nichts mehr aus, wenn ich dort lande.

Nun sitze ich also auf zweiter Ebene und beobachte. Ich beobachte dabei auch meinen realen Körper, der liegt und schläft; mein Gefühl der Freude, dass endlich mal ein längerer und stabilerer KT funktioniert; und natürlich die zäh fließende stabile Klarheit. Dabei entdecke ich bei mir noch ein Gefühl, nämlich das Gefühl der Erwartung. Ich vermute, dass ein besonderer und nicht behinderter Traum zu mir kommt und mich vereinnahmen wird. So wie ich es erwarte, so kommt es. Die Erwartung geht in die Erfüllung über und ich lande amüsiert bei dem Büchermacher.

Der Büchermacher ist ein besonderer Mensch aus Realleben. Im Sommer sitzt er Zuhause, warm angezogen, weil er (um die Bücher besser zu gestalten) in seiner Phantasiewelt nach Sibirien verreist, im Winter zieht er nach Feuerland. Er macht aus Nummern Buchstaben und aus den Buchstaben Lesezeichen. Ich besuche ihm im WL ab und zu, denn er sucht den Schlüssel zu den Wörtern und so einen Schlüssel (falls er gefunden wird) könnte ich gut zur Beschreibung von Klarträumen gebrauchen. Letztes Mal berichtete ich ihm über meine Reise ins Schlaflabor und der Büchermacher sagte mir, dass ich bei ihm mittels KT aufkreuzen soll.
Nun bin ich da, stehe (schwebe) hinter seinem Rücken und schaue ihm bei seiner Arbeit zu. Der Büchermacher arbeitet akribisch und konzentriert. Er baut zu jedem Buchstaben einen eigenen Zugang, bevor er ihn in das Buch setzt. Plötzlich merkt er mein Dasein. Er erschreckt sich (er kann mich nicht sehen, nur ahnen), überspielt es aber gekonnt, in dem er eine Arbeitspause einlegt. Ich finde es lustig, da ich nur ein Beobachter bin und mein Konzentrationsobjekt das Gitter ist. Der Büchermacher fängt an, sich geistig zu durchsuchen: „ein Fremdbewusstsein...“ „ein Überflieger ist da...“ – höre ich seinen Gedanken. Wie war noch mal sein Gedicht?
„Starker Krieger, schwacher Sieger-
über Flieger, Überflieger...“

Mein Freund weckt mich, ich muss arbeiten.




Beduine



Ich traf einen blinden Mann. Er klagte über sein Schicksal. Ich sagte zu ihm:
- Es ist mein Traum, du bist nicht blind!
- Doch, das bin ich - antwortete er
- Nein - wiederholte ich und schob ihn leicht
- Machst du dich über mich lustig?
- Ja, weil du nicht blind bist – ich schlug den Blinden einmal und noch mal, um ihn zu beweisen, dass er nicht blind ist. Doch er glaubte mir nicht. Ich schenkte ihm eine ordentliche Tracht Prügel, er fiel auf dem Boden, ich trat ihn mit den Füssen... und, oh Wunder, er konnte sehen!
- Dafür erzähle ich dir ein Märchen über einen Beduinen – sagte der ehemalige Blinde
- Ich schmunzelte vor mich hin (aha, da will ich mir schon wieder was erzählen) – ich bin ganz Ohr!
- Warum läuft die Katze?
- Hmm... keine Ahnung
- Weil sie Beine hat!
- Ha-ha, toller Witz! Du wolltest mir doch ein Märchen über einen Beduinen erzählen.
- Aber du weißt, dass ich du bist...
- Na und, das stört mich nicht, es spielt eigentlich gar keine Rolle...
- Na gut, es lebte einmal ein alter Beduine... – (hier werde ich in die Geschichte eingesaugt und erlebe sie)

Er lebte allein in der Wüste und war mit sich und der Welt ziemlich zufrieden. Doch es war für ihn so langsam an der Zeit zu sterben. Der alte Beduine fand aber das Leben bequem und wollte überhaupt nicht sterben. Er füllte einen Lederbeutel voll mit Wasser (einen wahren Schatz in der Wüste) und ging den Karawanenweg, um dort die Reisenden nach Rat zu fragen.

Lange saß der Alte unter einen Baum. Immer wenn die Kaufleute vorbeigingen, gab er ihnen einwenig vom kostbaren Wasser und fragte wie er unsterblich werden kann. Aber keiner von den Reisenden wusste die Antwort.

Einmal sah der Beduine einen neuen Karawanenzug vorbeiziehen. Dort bemerkte er einen großen, schmalen Mann, der ganz in Schwarz gehüllt war. Zu ihm ging der Alte, bat ihm um ein Schluck Wasser und fragte nach Möglichkeiten um unsterblich zu werden. Zu seiner Freude war dieser Mann in Schwarz ein großer Magier. Er bedankte sich für das köstliche Wasser und schaute sich den alten Beduinen an. Der Alte hatte das Gefühl durchschaut zu werden. „Hier ist das Elixier der Unsterblichkeit, sprach der Magier, trinke es aus und du wirst dir über deinen Tod keine Gedanken mehr machen“. Überwältigt vom Glück nahm der Beduine das Fläschlein und leerte es mit einem Schluck.

Er wurde leichter und leichter und bald schwebte er über der Karawane, über der Wüste, über der Erde. Er sah von dieser unglaublichen Höhe eine riesige Stadt. Dort waren viele Steingebäude, Kirchen mit Türme, und Tausende von Menschen auf dem Marktplatz. Sie sangen, feierten und trugen einen großen grünen Nadelbaum in die Kirche. Dort herrschte eine einzigartige und freudige Atmosphäre. Der Alte war von der Fremdheit des Lebens fasziniert, er schaute neugierig rein und sein Blick war wie der vom Magier – scharf und alldurchdringend.

In diesen Moment, wo der Beduine von der fremden Welt so absorbiert war, wurde er (und das auf dieser unglaublichen Höhe!) von einem Zug überfahren. Zum Glück ist er inzwischen so leicht geworden, dass er mühelos durch die Lock sickerte und im Zug landete. Merkwürdigerweise war der Zug absolut leer. Der Lockführer und der Schaffner betonten mit ihrem Dasein desto mehr die Sinnlosigkeit des leer fahrenden Zuges.
- Wohin fährt dieser Zug, oh werter Schaffner? – fragte der Alte
- Wohin sie sich wünschen – entgegnete der Schaffner sehr korrekt.
- Ich würde gern in eine große Stadt fahren, dorthin, wo die Menschen singen und einen großen Nadelbaum in die Kirche tragen.
- Nach Deutschland? Wir können aber auch nach New York, Rio oder Moskau reisen.
- O ja, New York wäre schön!
- Dann sage ich den Lockführer Bescheid. Machen sie es sich bequem!

Der Schaffner ging weg und der Beduine schaute sich diesen wundersamen, fliegenden Zug an. Es war ein doppelstöckiger langer Zug. Überall lagen Sachen von anderen Reisenden, Zeitungen, Stifte, Kleider und Taschen, doch keiner war zu sehen. Der Beduine ging eine Treppe höher in den zweiten Stock, der auch leer war. Nun entdeckte der Alte, dass die Treppe noch höher führte. „Was soll da oben auf dem Zugdach sein?“ – wunderte sich der alte Mann. Neugierig ging er die Treppe hoch und kam auf dem Schiffsdeck an. Das Schiff fuhr über das grenzenlose Meer.

Als der Alte um sich herumblickte, entdeckte er, dass auch der schwarze Magier neben ihm auf dem Deck stand.
- Vielen Dank, o Erhabener, für ihr Elixier, ich habe wundersame Sachen gesehen!
- Und gefällt es dir?
- Sehr! Ich finde großes Gefallen am Reisen.
- Leider kannst du nicht weiterkommen, denn dein Körper ist schwer und krank und an seinen Platz gebunden.
- Ich würde sehr gern leichter werden und ohne Körper weiterreisen.
- Dann bist du für deinen Tod bereit?
- Ja!

Der alte Beduine starb und der Magier trank sein Wasser aus.

„Feine Geschichte“, sagte ich zum Exblinden. „Ich kann auch ein Zauberstück“
Ich öffnete über mir eine Luke, die wie eine Socke aussah und klappte die Socke um, kletterte aus dem Traum heraus und schloss die Socke wieder zu. Der Exblinde blieb plötzlich allein im Traum und verstand die Welt nicht mehr.

Ich sitze auf einer Seifenblase des Traums und schaue mich um. Überall, soweit ich sehen kann, schweben große und kleine, regenbogenfarbige Seifenblasen des Traumes. Sie wachsen und platzen, tanzen im raumlosen Dasein. Wo bin ich? Vielleicht ist es...

Und ich werde von meiner Tochter zum Frühstück geweckt.





Die Murmelbahn



Viele alte Männer sitzen in einer Reihe. Sie sehen alle gleich aus, wie geklont: lange, graue Haare, langer, grauer Bart, spitzes Gesicht. Die Reihe schlängelt sich weiter und weiter. So weit wie man sehen kann. Die Alten sitzen im Schneidersitz und murmeln etwas vor sich hin.
- Wer sind Sie? - fragt Don Rinatos
- Es ist eine Murmelbahn - antwortet ihm eine weibliche Stimme.
- Murmelbahn, wie soll das gehen?
- Weißt du nicht wie eine Murmelbahn geht? Du musst die Kugel ins Rollen bringen.
Don kapiert, bückt sich zum ersten, sitzenden Alten und flüstert ihm ins Ohr: „Edegeji“ Der Alte unterbricht kurz sein Gemurmel, wiegt sich von links nach rechts und brummt im Takt: „Ede-egeji, Ede-egeji“....
Der nächstsitzende alte Mann wird davon angesteckt und schon geht das „Ede-egeji, Ede-egeji" murmeln durch die Murmelbahn. Don Rinatos schafft es noch rechtzeitig in die Bahn zu springen, er macht es sich bequem am Fenster, schaut die Bilder draußen an, reist durch die Köpfe der Alten.

Innerhalb von herrlichen Bergen, von wunderschönen verschneiten Landschaften, von funkelnden Sonnenstrahlen reißt der Film ab. Die Dunkelheit gefüllt mit dem Stöhnen des Windes öffnet sich erst als ein Spalt, und verschlingt dann das gesamte Bild. „Die Liebe ist die Basis für den Hass. Ekle dich nicht, du wolltest es wissen. Grausamkeit und Gewalt entspringen aus ihr...“ Alter Krum zündet die Kerze an. „Die Berge verbergen die Höhlen, der Verstand verbirgt die Dunkelheit der Seele...“(Wieso habe ich kein Papier dabei?) „... der Frieden macht den Krieg möglich, pflanze die Güte und du wirst das Böse ernten“
-Was soll ich dann tun… dann tun… dann tun… dann tun...
das Echo wirft mir die Worte zurück.
-Hänge deinen Geist an den Nagel.

Frisch ausgebildet und doch noch mit einem unbeschriebenen Brett im Kopf wandert Don Rinatos auf dem Wasser. Er sieht den Samen im Topf und lässt ihm augenblicklich zur Pflanze wachsen, er nimmt sich den Kochtopf und verwandelt ihn zur Zeitmaschine, er schwebt im roten Sofa über die Stadt. Er ist ganz leicht und wird noch leichter, auf Zehenspitzen über die Wasseroberfläche geht er zum Ufer.
„Von Traum zu Traum vollbringe ich Wunder. Ich fliege und atme dabei nicht, ich nehme parallel mehrere Welten wahr, ich bringe das Eis zum schmelzen... und jedes Mal staunen die Passanten. Meine Freunde, meine Feinde, mein Chef oder meine Geliebte- in jeden Traum sind sie immer wieder aufs Neue begeistert. Und dabei haben sie es schon x-mal gesehen, erlebt, ja selber all diese Kunststücke vorgeführt. Unglaublich!

Ich brauche einen Geist, der gleich ist und doch nicht ich bin, einen Spiegel ohne Glas und Silberfolie, eine Wirkung ohne Ursache.“

Die Blumen auf der Topfpflanze verwelken und werden zu Früchten. Don pflückt eine davon und kostet:
- ein Traum... ich habe ihn schon ganz vergessen! Und noch einer und noch....! O wie reich bin ich, wie erfüllt!
-„Ede-egeji“ murmelt der letzte Alte.


Die wundersame Brille der Klarheit



Um 00:20 fing ich mit der Meditation an. Es lief sehr gut und ich bekam sogar eine Vision. Mir erschien in der Entfernung von ca. 10 cm der Bodhisattva des Lichtes. Er sah klassisch-kitschig aus: im Lotussitz, mit mehreren Armen, unglaublich schön und erfüllt mit leuchtend, oranger Farbe. Er schenkte mir die wundersame Brille der Klarheit mit einem Fokus auf Bodhisattva. Diese Stellung der Augen soll die Klarheit erhöhen. Der Bodhisattva versicherte mir, dass ich Klarheit bekomme. Ich knotete meine Beine auseinander und meditierte weiter in einer bequemeren Position.



Ich stehe mitten auf der Straße in einer Menschenmenge. In meiner linken Hand halte ich die schwarze, wundersame Brille der Klarheit. Diese setze ich auf meine Nase: ich sehe wie mit einem Röntgenblick durch die Menschen und weiße Skelette, die vorbeilaufen. Große, kleine Skelette und sogar ein niedliches Skelletchen eines Hundes. Ich putze meine Brillengläser und sehe durch die Knochen: ich sehe luftige oder klumpige Seelen der Menschen. Ich reinige die wundersame Brille der Klarheit zum drittenmal (fokussiere präziser) und sehe, dass jede Seele ein Lichtlein in sich trägt: mein Bewusstsein.

Ich nehme die wundersame Brille der Klarheit ab und setze sie wieder auf: die Traumszenerie verändert sich. Ich sitze im Kabinett, Prof. Jo gegenüber. Das war ja so geplant, ich habe noch ein paar Fragen übrig.
- Warum kann ich nicht klar sein?
- Aber bitte, du hast doch einen Klartraum
Prof. Jo schaut mich durch seine Brille an. Auf dem Tisch vor ihm liegt ein Teelöffel am Rand der Untertasse. Auf dem Teelöffel steht eine kleine Tasse Tee. Der Prof. ballt plötzlich seine Hand zur Faust und haut damit auf den liegenden Löffel! Die Tasse katapultiert sich hoch, der Tee springt aus der Tasse noch höher. Die Tasse macht 2 Mal einen Salto und landet mit dem Henkel in der ruhigen Hand von Prof. Jo. Eine Millisekunde später fällt auch der Tee rein! (so was kann nur ein Prof.! Klasse KT!)
- Ja, aber warum kann ich nicht immer Klarträume haben, jede Nacht, sie sind doch mein Unbewusstes, sagen sie es mir...
- Die Trennung von Bewusstes und Unbewusstes ist nur scheinbar...
- Sie scheint mir aber ziemlich unüberwindbar zu sein, diese scheinbare Trennung.
Der Prof. versinkt in Gedanken. Er holt seine Pfeife raus, klopft sie am Tisch, pustet durch... alles sehr automatisch...unbewusst. Wenn er Ich bin, dann kann ich ihn willentlich steuern? Ich verbiete ihm Tabak rein zumachen. Er fummelt maschinell an seiner Pfeife rum, findet aber keinen Tabak! Jetzt bin ich echt gespannt... rauchen darf er, bloß keinen Tabak. Was wird er jetzt reinlegen? Papierschnipsel? Seine herrliche, blaue Krawatte? Sein Ellenbogen steht auf dem Tisch, sein Zeigefinger, mit dem er in der Pfeife rumgefummelt hat, zeigt in die Höhe. Nachdenklich dreht er den Zeigefinger im Kreis. Was wird er bloß in seine Pfeife stecken? Der Prof. dreht den Zeigefinger schneller und schneller und zu meinem Erstaunen verdichtet sich die Luft fast wie Wasser und es bildet sich ein Luftwirbel! Blitzschnell packt Jo den kleinen Luftwirbel in seine Pfeife, hält ihm mit der linken Handfläche und zieht daran... . (ich bin so überrascht und muss lachen: cooler Trick, deswegen liebe ich Klarträume!). Er atmet blaue Ringe aus, einer nach dem anderen, der Erste, der Größte, hängt ganz oben und die anderen, immer kleinere bilden so eine Art von Denkblase wie es in Comics dargestellt wird.
- (In der Denkblase) Ich habe es eigentlich so organisiert, dass du am Tag regierst und ich in der Nacht... fair, oder?
- Aber können wir uns nicht abwechseln?
- (In der Denkblase) Mit Vergnügen, ich werde dann am Tag auftreten wann ich will und du in der Nacht, wenn du Lust hast.
- (ich muss an die Szene mit der fliegenden Teetasse denken)...äh... ich werde darüber nachdenken.
Während dem Gespräch beobachte ich den Prof. weiter. Er hat seinen Luftwirbel schon aufgeraucht und klopft die imaginäre Asche überall aus: am Tisch und sogar am eigenen Kopf. Das tut er alles mit einer sehr nachdenklichen Mine. Ich fühle mich teilweise wie im Theater, herrlich! Was raucht er weiter? Jo zieht wieder an seiner Pfeife und diesmal pustet er wunderschöne, regenbogenfarbige Seifenblasen aus!
- Du (er zeigt mit dem Zeigefinger auf mich) du hast Angst davor, nicht wahr? Du willst nicht die Trennung aufheben, also genieße deinen Klartraum.

Das Gespräch ist für mich beendet, ich springe aus dem Fenster raus und öffne den Paraplan. Ich habe sehr gute Laune, verwerfe also den Fallschirm und fliege einfach so.

Auf der Erde gelandet, mutiere ich zu einer unsichtbaren, energetischen Welle, die die ganze Erdkugel umfasst... doch überall zu sein ist gleich wie nirgendwo zu sein, und ich sammle mich wieder zu meinem normalen Traumkörper.

In dem Augenblick erscheint schräg vom Himmel der Bodhisattva des Lichtes:
- na wie gefällt dir der Klartraum?
- Ja, hmm, sehr gut! – ich schaue ihm etwas überrascht an.
- Du siehst, wir, Bodhisattven, halten unser Versprechen!
- Ja, das sehe ich, danke!
- Wir helfen anderen Menschen gern, das ist unsere Aufgabe...
- jo, klasse macht ihr das, ganz prima, muss ich sagen (was will er denn von mir?)
- Wir beteiligen uns am Glück der anderen...
- Na ich wünsche allen Klarträumern auch immer viel Klarheit, wenn ich eine habe
- Wenn du irgendwelche Anliegen hast, du weißt Bescheid...
- Alles klar
Der Bodhisattva des Lichtes verschwindet.

Ich habe eine Inspiration und fange ein Kunststück an: in der Ferne erschaffe ich durch die Kraft der Gedanken einen goldenen Lichtwirbel. Der dreht sich und bildet einen goldenen Kokon. Daraus manifestiert sich eine wunderschöne, absolut goldene, nackte Frau. Sie kommt zu mir und sagt:
- Wache auf!
- Warum sollte ich?
- Weil gleich der Wecker klingelt und du die Hälfte vergessen wirst!
- Ach quatsch, ich erinnere mich doch wunderbar. Ich werde mich doch nicht aus diesem wunderschönen Traum wecken!
- Begehe nicht diesen Fehler! Wenn du dich selber aufweckst, kannst du es steuern, der Wecker löst bei dir neue Assoziationen aus, die mit dem Klartraum nichts mehr zu tun haben. Ich bin dein Freund, wecke dich auf!
- Du erzählst mir von irgendeinem Wecker, ich höre doch gar nichts!
Die Frau aber schluckt und ich (mein echter Körper) muss auch schlucken... Mist, ich wache auf! Ich drehe schnell die Erinnerungsschleife und als ich vom Anfang bis zu diesem Dialog ankomme, klingelt mein Handy, es ist um 08:00 Uhr.


Bergpredigt



Es klopfte an der Tür.
- Ich habe Zahnschmerzen – klagte ein Bauer – hast du was gegen sie?
- Lass mich sehen. - ich untersuchte den Mund des Mannes – ach es ist doch alles in Ordnung.
- Aber es tut weh!
- Du kriegst halt einen neuen Zahn, der schiebt den alten raus
- Neuen Zahn?! Ich bin doch kein Kind!
- Nein, bist du nicht. Es ist ein Weisheitszahn, raus mit dir!

Andauernd stören mich diese blöden Bauern. Und dabei habe ich es mir so schön eingerichtet: eine einfache Hütte, leicht zu programmieren und einfach aufrecht zu erhalten. Nicht weit vom Dorf, damit ich die Geräusche des Lebens hören kann und weit genug, um das wahre Leben zu hören.
Es ist schon eine Weile her, als ich in die Natur gegangen bin und in der Nacht am schwarzen Fluss das leuchtende Quadrat sah. Ich wollte dort hineingehen, wollte es weiterschenken, doch keiner brauchte es.
Dem Kind verdankte ich mein Erwachen. Sein Ruf führte mich hierher. Seitdem meditierte ich in der Strohhütte beim Dorf.

Es klopfte erneut. Der Bauer mit einem von Kummer verdunkeltem Gesicht stand da wie angewurzelt.
- Hilf uns, meiner Tochter hat der Tiger im Dschungel beide Beine abgebissen!
- Und, wo ist das Problem? (ich muss an den „Sinn des Lebens“ von MP denken)
- Sie blutet!
- Es ist halt so, wenn einem die Beine abgebissen werden.
- Willst du uns nicht helfen?
- Nein, ich muss meditieren, das ist wichtiger. Nimm das Leben so wie es ist.
- Aber sie hat Schmerzen! Macht dir das nichts aus?
- Euer Leid ist mein Leid. Eure Freude ist meine Freude. Na gut, ich werde mitgehen.

Wir gingen runter ins Tal durch das Dorf bis zu der Hütte des Bauern. Im zweiten Zimmer lag ein neunjähriges Mädchen, mit Lumpen an den verstümmelten Oberschenkeln, die ihr Blut stoppen sollten. Es war aber bei Bewusstsein.
- Ich brauche eine Decke und alle sollen das Zimmer verlassen! – Wir blieben allein und ich deckte den Rest von den Beinen mit der Decke zu - willst du ein Märchen hören?
- Ja
- (Ich nahm eine beidseitige Trommel auf meinen Schoss und setzte mich daneben. Die Trommel hatte kein Trommelfell, ich konnte aber wunderbar spielen. Es ist eine alte Form von Spiel, abgeleitet vom „in-die-Hände-mit-einer-Hand-klatschen!“ Dazu erzählte ich singend ein Märchen) –

Es lebte einmal eine schwarze Katze und eine weiße Katze
Sie fingen eine graue Maus,
Ja, eine graue Maus

Die schwarze und weiße Katze stritten,
Wem die graue Maus gehört,
Der schwarzen Katze oder der weißen?

Sie stritten und zankten sich
Die weiße Katze kratze die schwarze Katze
Und die schwarze Katze biss die weiße Katze

Die beiden Katzen bluteten,
Die schwarze Katze und die weiße Katze
Hatten rotes Blut

- Ich habe auch rotes Blut – rief das Mädchen - als der Tiger mir die Beine abgebissen hat, habe ich es gesehen!
- Ja, ich habe auch rotes Blut. Auch der Tiger, die graue Maus auch. Wir alle.

Die schwarze und die weiße Katzen bluteten,
Doch die graue Maus haute ab
Ja, weg war die graue Maus.

So war es. Ich stand auf und ging zurück zu meiner Hütte, ohne mich umzudrehen. „Die Beine wachsen nach!“ –hörte ich erstaunliche Rufe hinter mir. Ich kam nach Hause und meditierte weiter.

Es klopfte wieder an der Tür. Ich machte auf. Eine unendliche Schlange von Dorfbewohnern stand vor meiner Tür. Ihre Augen durchbohrten mich erwartungsvoll.
„O.k. Du, Du, Du und Du“ – ich zeigte mit dem Finger auf 4 Männer – „ihr könnt ab jetzt heilen und übernehmt diese Arbeit.“ – Ich machte die Tür wieder zu.

Doch die Ruhe war nicht von Dauer. Schon bald musste ich wieder meine Meditation an den Nagel hängen. Das ganze Dorf stand komplett da.
- Was wollt ihr, ich habe euch doch die Heiler gegeben!
- Wir haben andere Sorgen und viele verschiedene Probleme. Wir wollen keine Heiler haben, wir wollen dich! Wir wollen glücklich sein!
- Ach, darum geht es...

Ich ging raus, ins Feld und kletterte auf einen Hügel. Die Dorfbewohner eilten mir hinterher.
- Hört zu! Es gibt für euch nur eine Möglichkeit dem Leid zu entrinnen. Ihr müsst euer Leben abgeben und zu mir kommen. Ich bin der Weg und ich bin das Ziel. Ich bin der Anfang und das Ende. Vergesst eure Häuser! Eure Väter sind nicht eure Väter und eure Mütter sind nicht eure Mütter. Ich bin die Rettung! Ich gebe euch Leben!
- Warum gibst du uns dann so ein leidvolles Leben? Und wer gibt dir das Leben? Wie können wir leben, wenn wir dir das Leben abgeben?
- Gibt auch eure Klugheit ab! Denn eure Klugheit ist meine Klugheit, aber sie verblendet euch. Behaltet nichts für euch, denn ihr seid nichts! Ich gehe jetzt zurück meditieren. Kommet zu mir! Aber ich bin nicht in meiner Hütte und bin nicht in eurer Kirche! Ich bin viel näher, ich bin bereits in euren Herzen! Sucht mich dort, und wenn ihr mich findet, findet ihr das Glück!
Es war meine Bergpredigt. Ich kehrte zurück und meditierte. Keiner klopfte an meine Tür. Ich schaute raus: keiner war da und das Dorf stand wie leergefegt. Sie sind doch nicht so dumm wie ich dachte!

Ab diesen Moment konnte ich mich gut auf die Meditation konzentrieren und erreichte bald einen Zustand, wo die Gedanken unfruchtbar wurden und sich sogar gegenseitig vernichteten.
Es ist vergleichbar mit einem wunderschönen Bild, das frisch gemalt wird und über welchem dann der Wischlappen drüber geht. Der Schriftsteller, der sein Manuskript verbrennt und zusieht, wie schön die Flammen spielen, erlebt das. Es gab einen Maler, der seine Bilder auf den Gemälden von anderen malte... wie hieß er? Ach ja, der Übermaler...
Ich merkte, dass meine Gedanken wieder fruchtbar wurden und sich gegenseitig raufschaukelten. Ich ließ die Beschreibungen und kehrte zu meiner gedanklichen Ruhe zurück.
Eine faszinierende Reise durch Tausende von Lichtjahren, durch unzählige Universen... je weniger man davon mitnimmt, desto weiter geht die Reise.

Auf einmal erfasste ich das Karma. Ich sah alle Verbindungen zwischen allen lebendigen und unlebendigen Organismen und Gegenständen. Alles beeinflusste sich gegenseitig und keiner nahm es wahr. Es war absolut logisch und leicht nachvollziehbar. Diese Verknüpfungen hatten auch u.a. Ursache-Wirkung Ketten, ich wusste, dass ich von meiner Freundin geweckt werde, da sie selber von Kostja geweckt wurde. Das Karma heißt Wiedergeburt. All die Verbindungen und Verknüpfungen existieren durch meine Gedanken und in meinen Gedanken. Das Karma heißt Wiedergeburt. Die Wiedergeburt der Gedanken. Sie vermehren sich...

Meine Freundin weckt mich, es ist 12:00 Uhr.




Der Fisch hat gesprochen



Auf einmal sah ich 6 identische Schamanen. Mir fiel ein Satz, den Tholey geschrieben hat, ein: „im klaren Zustand ist man auch der Traumsymbole bewusst“. Mir war bewusst, dass ich meiner Traumsymbole überhaupt nicht bewusst war. Aber das ließ sich leicht beheben:
- Welche Bedeutung habt ihr Schamanen? – fragte ich
- Wir symbolisieren die 6 Wochentage.
- Und wo ist der siebte?
- Willst du das wirklich wissen?
- Ja
- Dann sei bereit dich für die Geschichte zu öffnen.
Die Schamanen sprachen einer nach dem anderen, so als ob ein Geist durch die 6 Körper wanderte.
Die Geschichte saugte mich ein:



- „... und so bist du zum Tode verurteilt! Der Fisch hat gesprochen!“
- Was? Das darf nicht wahr sein! - Weggezerrt, schlug ich wild mit Armen und Beinen und schrie zum Richter einem Fisch und zum Herold, der mein Urteil verkündete: - Ich bin ein königlicher Dieb! Ich muss mich in Form halten! Ihr könnt mir nicht wegen einem Stückchen Käse das Leben nehmen! - Ich wurde in eine Zelle verfrachtet und eingesperrt. Ich trommelte gegen die Tür und schrie weiter: -„Der Fisch hat gesprochen“ Ich habe den Fisch gar nicht gehört! Was hat er denn gesprochen? Es wurde nur eine Papierrolle vorgelesen! Lasst mich frei!
- Hey - tönte es aus einer Ecke - beruhige dich, was hast du angestellt?
(Ich drehte mich um und sah einen mageren Mann, der auf Stroh kauerte)
- Ich habe nichts Besonderes getan, ich habe nur ein Stück Käse bei dem König geklaut. Einfach so, aus sportlichem Interesse.
- Nichts Besonderes? Tickst du noch richtig? Du wurdest bestimmt wegen dem Anschlag auf das königliche Käseloch beschuldigt.
- Genau, so lautet das Urteil. Was ist mit diesem Käseloch?
- Für den König ist das Käseloch das Allerheiligste auf der Erde. Er ist schon seit seiner Kindheit von der Magie des Käselochs fasziniert. Er gab früher sogar ein Gesetz raus, das die Steuer mit Käselöchern bezahlt werden müssen. Doch alles was gesammelt werden konnte, waren gelöcherte Käsescheiben und keine richtigen Käselöcher.
- Verdammt! Wieso weiß ich als königlicher Dieb solche Dinge nicht! Und warum sitzt du hier?
- Mein Schicksal ist mehr als unglücklich. Ich bin der königliche Perückenmacher. Du weißt, dass der König sich nicht selber waschen, anziehen oder kämen darf. Und ich musste nicht nur seine königliche Perücke zurecht machen, sondern ihn auch rasieren. Ich habe eine sichere Hand aber man kann den König nicht festhalten. Es war nur eine Frage der Zeit, das er sich beim rasieren plötzlich drehte und ich ein Tropfen vom königlichen Blut vergoss.
- Na und?
- Hm...m...m..- mein Urteil lautete: Ein Anschlag auf das königliche Leben!
- So ein Quatsch! „Der Fisch hat gesprochen!“, so ein Mist!
Am nächsten Morgen sollten wir hingerichtet werden. Wir sprachen die ganze Nacht über den schweren Dienst beim König und über das ungerechte Rechtssystem und dass der Richter, der Fisch, wohl überhaupt nicht mehr durchblickt. Im Morgengrauen wurden wir aufs Schafott geführt. Der ganze Hof war da, sogar der König wollte die Show nicht verpassen. Ich trat raus und rief laut:
- Ich bestehe auf mein Recht einen letzten Wunsch auszusprechen!
- Sprich – befahl der König.
- Ich gestehe meine Schuld und will mich zum allerletzten Mal beweisen. Lass mich und den Perückenmacher für einen Monat frei und ich werde euch ein traumhaftes Käseloch bringen. Ein Loch ohne Käserand. Ein königliches Käseloch! Und der Perückenmacher wird euch nach diesem Monat nie mehr beim rasieren schneiden!
- Der König überlegte: Ihr bekommt einen Monat frei, aber dann musst du mir Steuern von 20 Jahren in Käselöcher (ohne Ränder) sammeln und zu mir bringen! Der Perückenmacher soll mir nach einem Monat einen Beweis liefern, dass er mich nie mehr beim rasieren schneiden wird. Wenn ihr das nicht schafft, werdet ihr nach einem Monat hingerichtet. Ihr habt also 24 Tage Zeit!

Wir gingen erleichtert vom Schafott und aus der Stadt hinaus.
- Sag mal, spinnt der König total? - fragte ich den Perückenmacher - Er gibt uns einen Monat und verkürzt ihn auf 24 Tage. Ein Monat dauert doch 30 Tage?
- Bist du vom Mond gefallen? Es wurde schon seit langem eingeführt, dass eine Woche 6 Tage hat und der Sonntag dem König gehört. Wir haben 4 mal 6 Tage bevor unsere Köpfe abgeschlagen werden!
- Sieh doch nicht so schwarz, wir schaffen das schon!
Auf dem Weg aus der Stadt trafen wir eine alte Oma.
- Grüß Gott, Omchen - wendete ich mich an sie - kannst du uns vielleicht in unserem Unglück helfen?
- Unglück? Um Himmelswillen! Ich habe mit meinem eigenen Unglück zu tun!
- Nein, wir brauchen nur einen guten Rat.
- Wenn ihr in der Klemme steckt, geht zum Traumbaum, legt euch an seine Wurzel auf den Rücken und stellt eure Frage. Jeder bekommt vom Traumbaum eine Antwort. Lasst mich vorbei, ich bin in Eile!

Mehrere Tage wanderten wir bis zu dem großen, mächtigen Baum. Als wir ihn erreichten, war dort kaum Platz. Überall lagen Menschen auf dem Rücken mit geschlossenen Augen und träumten vor sich hin. Wir quetschten uns dazwischen. Ich lag auf dem Rücken und schaute mir die Blätter an, die sich im Wind bewegten, bis ich einschlief.
Ich schaffte es noch rechtzeitig meine Frage zu stellen:
„Wie soll ich die Steuer von 20 Jahren in Käselöcher auftreiben? Es rauschte in der Baumkrone und ich vernahm eine Stimme:
- Ein Käseloch ohne Rand? Das gibt es nicht. So etwas kann man nicht auftreiben. Das ist die Antwort. Aber viel wichtiger ist die Frage „ warum habt ihr vor dem König so eine Angst und lasst euch von ihm so schikanieren? Ich wachte auf und ging zum Perückenmacher, der auch gerade aufstand:
- Und hast du vom Traumbaum eine Antwort bekommen?
- Ja. Er sagte mir: „Rasieren ohne zu schneiden? – das gibt’s nicht. Vergiss es! Ich frage mich, warum ihr vor dem König so zittert?

- Hm. ...das sagte er mir auch ...Ah! Jetzt verstehe ich! Du sollst den König gar nicht rasieren, er soll einen Bart tragen!
- Ja. Ja. Und du sollst ihn keine Käselöcher bringen, stimmt?
- Lass uns zum König gehen! Aber vorher würde ich gern meine Fähigkeiten als Dieb einsetzen und beim Fischrichter vorbeischauen!

Am 24. Tag standen wir wieder vor dem König.
- Habt ihr alles, was ich verlangt habe? - fragte der König.
- O ja, eure Majestät, doch die Sachen die wir mitbringen sind kostbar. Wir fordern dafür, dass der siebte Tag der Woche, nämlich der Sonntag, wieder allen Menschen gehört.
- Was? Ihr fordert? Zeigt mir zuerst was ihr habt und dann werde ich entscheiden, ob es euer Leben Wert ist. Der Perückenmacher trat vor:
- Eure Majestät. Es gibt eine sichere Möglichkeit sie nie mehr beim rasieren zu verletzen. Wenn ihr einen Bart tragt, werde ich dafür sorgen, dass er immer ordentlich aussieht ohne euch dabei zu schneiden!
- Ich soll einen Bart tragen? Kommt nicht in Frage. Morgen wirst du hingerichtet. Der Nächste!
- Eure Majestät! Hier in dieser Dose sind alle Käselöcher von euerm Königreich gesammelt.
- Zeig sie mir!
- Sie können sie anschauen, aber ich warne sie, die Käselöcher sind sehr luftig. Öffnen sie die Dose, verflüchtigen sich die Käselöcher!
- Hältst du mich für einen Narren? Öffne die Dose... Das ist ja nur Käsegestank!
- Ich habe euch doch gewarnt!
- Morgen verlierst du auch deinen Kopf!

Am nächsten Morgen standen wir Beide wieder auf dem Schafott. Die Massen tobten und der König saß in der ersten Reihe. Der Fischrichter trat hervor und verkündete das Urteil. Die Schriftrolle wurde vorgelesen: „Hiermit verkünde ich, dass die Steuer für 20 Jahre in Käselöcher ausgezahlt wurden. Der König soll einen Bart tragen und der Sonntag ist ein Feiertag für alle. Der königliche Dieb und der Perückenmacher bekommen eine großzügige Belohnung. Der Fisch hat gesprochen!“

Der König schaute verwirrt, aber die Massen jubelten. Und ich habe Bestätigung für meine Fähigkeiten als Dieb bekommen, denn ich habe die Schriftrollen vertauscht.


- Jetzt kennst du die Bedeutung - beendete der siebte Schamane die Geschichte.






Spinner



„Graue Häuser, graue Straßen, der Winter ist verdammt kalt. Verdammt kalt ist er und verflucht lang. In dieser Stadt ist alles grau, sogar die Menschen. Sie sind grausam.“

Der Büchermacher rieb sich die Hände am kleinen gusseisernen Ofen. Seine Möbel hat er schon vor einer Woche verfeuert, er hatte kein Geld für Kohle, jetzt saß er auf dem Fußboden.

„Diese Grausamkeit ernährt sich vom Geld, nicht von Büchern... nicht von meinen Büchern! Dieser Winter kann nicht vergehen, die Kälte ist tief im menschlichen Herzen eingewurzelt, verdammt tief, sogar die Tinte friert ein!“

Der Büchermacher schrieb ein Manuskript, sein Meisterwerk. Er wusste, dass dieses Buch keiner lesen, geschweige denn kaufen wird. Doch er konnte es nicht anders machen und er wollte es auch nicht anders schreiben. Er war wahrscheinlich schon seit einiger Zeit krank, er bekam Hustenanfälle, er fieberte und zitterte am ganzen Leib.

In seinem Manuskript handelte es sich um einen Irren, einen Verrückten, der in der Irrenanstalt ein Bild malte. Eigentlich ging es dort weniger um den Kranken, sondern um sein Gemälde. Ein Arzt schlug unglücklicherweise dem Irren vor, sich zum seelischen Ausgleich künstlerisch zu betätigen und ein wenig zu musizieren oder zu malen. Seit dem ist der Irre voll und ganz in seine Arbeit versunken, Tag und Nacht malte und übermalte er seine Leinwand und es entstand ein sagenhaftes Bildnis:

Wie sein wildes Blut spritzte er zuerst ein chaotisches Rot drauf und vermischte es dann mit der blauen Farbe seiner Depression. Zwanghaft setzte er giftgrün drauf und starrte stundenlang ins additive Weiß. Wie die Pointilisten seiner Bilder sich aus tausend winzigen Farbpunkten zusammensetzten, die sich erst auf der Netzhaut des Betrachters zu gleichmäßigen Farbflächen verbinden, so trug er Tausende von Formen und Zeichen auf, die beim Betrachten, zusammen absolut nicht zu sehen waren. Nach Wochen und Monaten intensiver Schaffung sah das Gemälde immer noch unschuldig unberührt aus. Die Krankenschwestern kicherten und der Arzt verschrieb dem Irren starke Beruhigungsmittel. Doch das, was einem oberflächlichen Zuschauer entgangen war, würde jeden aufmerksamen Menschen ins Staunen bringen - eine wundersame und eigenartige Welt erstreckte sich auf dem Leinen.

Ich erlebte die kalte Wohnung des Büchermachers, schrieb mit ihm zusammen sein Buch und vertiefte mich in dessen Inhalt. So gelang ich in die Irrenanstalt und schaute dem Irren hinter die Schulter, wie er sein Gemälde gemeistert hat. Der Irre war mit seiner Situation sehr zufrieden. Es war ihm nur Recht, dass keiner sein Bild sehen konnte, denn jetzt ging es ernsthaft zur Sache. Er nahm den dünnsten Pinsel und bearbeitete die Details zwischen der Farbe und den Formen. In dem Moment, als er so konzentriert seinen Pinsel in das Leinen eintauchte, merkte er, das der Pinsel durch die Leinwand ging. Er schaute auf die andere Seite des Bildes, dort kam der Pinsel nicht raus. Der Irre freute sich noch mehr. Er arbeitete weiter an den Details und bald tauchte der ganze Pinsel durch das Bild. Der Verrückte wartete bis er allein war und steckte seine Hand durch - sie passierte das Bild widerstandslos. Der Irre tauchte seinen Kopf, seine Schulter und seinen ganzen Körper hinein.

Auf der Rückseite des Gemäldes landete er an einer Brücke, die über einen Abgrund hing. Entschlossen ging er über die Brücke in eine andere Dimension. Seltsame Vegetationen, unglaubliche Tiere und fremdartige Vögel lebten dort. Doch der Verrückte ging zielstrebig den Weg weiter. Weiter weg von den Formen in eine farbenprächtige Wüste. Doch auch dort hielt er sich nicht lange auf. Weiter weg von den Farben in eine weiße Schneewüste. Er wurde sichtlich alt. Seine Haare wurden grauweiß und seine Haut verlor die lebendige Farbe. Nicht nur die Umgebung sondern auch er selber entbehrte Farbe und Form. Bis er dort ankam, wo es keine Gegend mehr gab und wo er sich auch nicht mehr von der Umgebung unterscheiden konnte.
Als er auch diese Nichtgegend passierte, kam er wieder an ein weißes Feld. Doch das Weiß war hier mehr Grau, denn hinter dem Feld fing schon die Stadt an. Er ging durch diese Grau-kalte Stadt durch, in eine alte Wohnung hinein und fand dort einen halberfrorenen Büchermacher. Der Irre nahm den Büchermacher auf den Arm, packte sein Buch ein und trug ihn aus der grauen Stadt ins weiße Feld hinaus...

Es klingelte. „Wach auf“, sagte meine Freundin, „du hast Besuch.“ „Ich weiß“, entgegnete ich und sprang aus dem Bett. Vor meiner Tür stand der Verrückte mit hochstehenden Haaren und irrsinnigen Augen. Er hielt einen anderen Mann in seinen Armen.
- Kommt rein, sagte ich zu ihm, hier ist es warm und ich setze Tee auf.
Der Irre durchbohrte mich mit seinen großen Augen.
- Wir haben keine Zeit, du bist derjenige, der das alles zusammengesponnen hat. Du bist ein Spinner. Sag uns, was soll das und welchen Sinn haben unsere Schicksale?
- Was kann ich schon dafür, antwortete ich. Nicht ich habe mich in diese Welt hinein geboren und nicht ich habe diese Bedingungen erschaffen. Wenn ihr auf den Grund gehen möchtet müsst ihr denjenigen suchen, der mich malt, schreibt oder erträumt.
- Kommst du mit? - fragte mich der Irre.
Ich war einverstanden. Wir gingen raus. Raus in den Schnee.

Als wir die große Nichtgegend ohne Farben und Form durchquerten, stiegen wir hinter das Geheimnis unserer Erschaffung. Wir entdeckten die wahre Natur unserer Existenz! Wir alle, der Irre, der Büchermacher und ich sind die Buchstaben dieser Erzählung.



Speed Dating (aus der Serie: Klarträume in der Straßenbahn)




Inspiriert wurde ich von einer Gruppe Studentinnen, die in Rahmen des Beobachtungspraktikums Idee hatten, einen Speeddating zu organisieren, um Verhalten von Männchen zu erfassen. Nun fahre ich mit der Straßenbahn und schlafe übermüdet ein. „Speeddating“ – denke ich und genauso schnell entsteht ein Traum:



„Speeeeed daaating“ – der Moderator schreit begeistert ins Publikum, das klatscht wie bezahlt und tobt, die Fernsehshow fängt an. „Begrüßen Sie heute mit mir Don Rinatos! *Applaus* Mutige Don Rinatos entschloss sich vor den laufenden Kameras in einem Speeeeeddaaaating die Liebe seines Lebens zu finden! Also hinein mit ihm!!!“
Der Moderator quasselt ununterbrochen und ich renne auf die Bühne heraus. Meinen Platz finde ich auf einem Barhocker hinter einem hohen Tisch. Auf andere Seite dreht sich der Fußboden im Kreis, diese Drehscheibe soll mir meine Speeddatingspartner von den Kulissen aus abholen und dorthin wieder verfrachten. Ich habe nur wenige Augenblicke für eine Begegnung, bis ein Alarm ertönt und die rote Lampe zu blinken beginnt. Die Show beginnt und zu meinem Tisch wird eine junge Frau eingefahren:

- Wie heißt du? – frage ich sie.
- P – antwortet sie lakonisch.
- P?
- P.
- Ist das dein Vor-, oder Nachname?
- Mein Vorname.
- Und wie ist dein Nachname? M?
- Nein, Rosa.
- Rosa?
- Ja
- Prosa? – ich wundere mich.

Doch in diesen Augenblick ertönt Alarm und meine Speeddatingpartnerin wird weggefahren. Statt ihr fährt mir gegenüber ein Computer ein.
- Hallo, Herr Schrank – begrüßt er mich mit einer tiefer Stimme.
- Schrank? Ich bin kein Schrank! Du bist selbst ein Schrank!
- Wie viel ist Dreihundersoundso mal Sechshunderhmhmhm (die genauen Zahlangaben habe ich vergessen).
- Keine Ahnung.
- Na sage ich doch – freut sich Computer – total beschränkt!

Doch die Lampe blinkt rot und der altkluge Computer wird Gott sei Dank weggebracht. Ein Schwein nimmt sein Platz ein.
- Hallo Schwein – ergreife ich die Initiative – Wie heißt du?
- Kir
- Kir?
- Ja
- Ist das dein Vor- oder dein Nachname?
- Vorname
- Und wie heißt du mit dem Nachnamen?
- Schwein, wie sonst denn!
- Kirschwein? – ich amüsiere mich prächtig und das Schwein verwandelt sich währenddessen in eine Flasche.

Doch auch diese wird weggefahren und ich denke, dass mich nichts mehr überraschen kann. Jedoch irre ich mich gewaltig, denn als nächste kommt die Haltestelle eingefahren.
- Ein Paket für Sie! – ertönt der Lautsprecher von der Haltestelle
- Für mich? Ein Paket? Wieso?
- Ja, für Sie! – die Haltestelle merkt mein verwirrter Blick– hier (sie holt den Paket von der Bank)
- Was soll ich damit? –ich drehe einen kleinen Paket in der Hand
- Halte! Stelle!
Ich verstehe endlich und stelle das Paket an die Seite. Auf einmal zerreist sich das Verpackungspapier und ich sehe einen Musikschlüssel von mir. Es ertönt coole Hiphop Musik, ich springe auf und fange an zu rappen:

Bist du bereit?
Die ganze Welt in deinen Kopf wird zerstört
Bist du bereit?
Alle Worte fließen durcheinander
Bist du bereit für den totalen Chaos?
Bist du bereit, dass du dich nie mehr vorbereiten kannst?

Hmm…, ob ich bereit bin? Halt! Meine Haltestelle! Ich wache auf und verlasse mein Traumtram.




Albino



Es ist Abend und in Kürze wird die Bibliothek geschlossen. Ich verstecke mich auf der Toilette und warte ab. Die Besucher werden gebeten die Räumlichkeiten zu verlassen, es klappern die Schlüssel vom Schließdienst, das Licht geht aus und es wird ganz still. Ich sitze in der Dunkelheit auf der Toilette und höre, wie meine Uhr tickt. Es ist ein irres Gefühl, allein in einem riesigen Gebäude zu sein! Ich mache die Tür auf und taste mich vorwärts. Ich will kein Licht riskieren, es fällt genug Mondschein durch die Fenster und das Glasdach, so dass ich mich umsehen kann.

Die Bibliothek in der Nacht hat eine ganz andere Bedeutung als am Tag. In Mondschein ist es keine sinnlose Anhäufung der Bücher mehr, sondern ein Zollamt, ein Grenzhaus, eine Pforte. Die Bücher haben einen gemeinsamen Inhalt, egal wo du es liest, es ist immer dasselbe: magische Wörter füllen mein Herz mit Ehrfurcht und Demut. Das Mondlicht wirft die Schatten der Bäume auf die Seiten und sie zeigen das, was zwischen den Zeilen geschrieben steht: Das Geheimnis der Natur und die Entfremdung des Verstandes, die Einleitung zum Anfang und die Ausführung des Letzten... O, wie viele wunderbare Nächte verbrachte ich hier! Ich baute aus Büchern Paläste und Leitern zum Himmel, legte sie auf dem Boden zu riesigen Ornamenten aus und stapelte sie zu unmöglichen Türmen!

Doch heute lasse ich die Bücher stehen und gehe geradewegs zur Karteischrankwand. Die braune Schrankwand wirkt in der Nacht noch gewaltiger als am Tag: tausende Griffe von den Schubfächern, wo Millionen Karteikärtchen verstaut sind, erzeugen eine optische Illusion. Ich sehe eine Landschaft, die nirgendwo endet. Es hängen von oben zwei riesige Federn, die unten an einem Gurt befestigt sind. Heute soll ich ihn selber anlegen. Ich spanne die Feder ein, klemme mein Fuß unter dem Karteischrank, damit ich nicht hoch gezogen werde und schnalle mir den Gurt fest. Die Federn quietschen, als ich meinen Fuß befreie und sie mich hoch ziehen.

Die Federn ziehen mich hoch bis zur Decke und ich kralle mich an einem Schubfach fest. Heute fängt meine Reise hier an. Ich ziehe das Schubfächerchen raus, lege mich hin, schnalle den Gurt ab und das Schubfächerchen geht zu. Heute möchte ich nicht einfach die Schrankwand passieren und irgendwo rausfliegen, sondern genau wahrnehmen was in der Schrankwand drin ist. Das Schubfächerchen wird reingezogen und ich beobachte was es ist. Jede Karteikarte ist ein Passagier, der mit der Bahn fährt. Wir kommen am Hauptbahnhof an. Dort steigen Passagiere aus und ein: die Karteikärtchen werden neu sortiert. Es passiert automatisch, ich höre wie eine kaltmechanische Frauenstimme den Zug ansagt:

Grüne Katze, dichtes Haar
Fische fliegen wunderbar
Kala-Mala flockenfloh
Stocken sticken durch das Stroh

Nach der Ansage fährt unser Zug weiter. Er verlässt die Karteischrankwand auf der anderen Seite, verwandelt sich in ein Flugzeug, das plötzlich stehen bleibt, so dass alle Passagiere nach vorne rausfliegen.

Ich falle mit dem Gesicht in den Matsch. Ich stehe auf und schaue entnervt auf meine verdreckten Sachen. Meine Jeans und mein T-Shirt sind im Eimer. Unterdessen merke ich nicht dass ich mich in einer völlig unbekannten Gegend befinde, nicht weit von der Grenze meines Klartraumes. Und auf der anderen Seite vom Matsch steht eine sehr große weiße Gestalt. Sie wendet sich zu mir:
- Grüß Dich, Don Rinatos! Mein Name ist Albino. Gerade eben hast du die Grenze deines Klartraumes verlassen und befindest dich nun auf meinem Terrain. Gewiss wusstest du nicht, dass es ein schwerer Gesetzesverstoß ist. Deswegen gebe ich dir diese Karte, mit einer Einladung zum Gericht. Wenn du dir meine Gegend angeschaut hast, entzweie diese Karte und du teleportierst dich ins Gerichtsgebäude. Dort werde ich schon auf dich warten.
- Aber ich bin bloß ein Klartraumtourist.
- Macht nichts, das kann jedem passieren. Wir sehen uns im Gericht. Viel Spaß in meinem Universum.
Ich schaue mir den Albino genau an. Er hat eine adlige Gestalt. Lange, weiße Haare und einen weißen Bart, sein Gesicht und sogar seine Augen sind weiß. Um genau zu sagen hat er eine durchsichtige, weiße Maske auf unter welcher viele verschiedene Gesichter auftauchen und wieder verschwinden. Seine langen weißen Kleider winken mir einmal zum Abschied und Albino löst sich auf.

Nun bin ich zum ersten Mal in der Traumwelt eines Anderen. Das, was ich sehe ist total anders, als meine Wach- oder Traumlandschaft: diese Welt ist nur Zweidimensional – schwarz / weiß wie im indonesischen Wayang, Schattenspiel. Es ist ein krasser Übergang, die Bäume, das Gras, die Vögel, die Menschen und ich selber (ich sehe mich von der Seite) sind schwarze flache Schattenspielfiguren in diesem Schattentheater. Ja, sogar die Sonne ist eine schwarze Scheibe, die am Himmel festklebt. Und das alles geschieht auf einen weißen Hintergrund, an einer weißen Leinwand. Sie leuchtet aus sich selbst und ermöglicht, dass all diesen Schattenfiguren gesehen werden... dieser weiße Hintergrund ist der Albino. Ja, das ist sein Kunststück, sein Theater, er ist hier der King und der Gott und ich bin nur eine Schattenspielfigur. Ich gehe durch die Schattenwelt und genieße die romantische Struktur dieses Lebens, seine Einfachheit und Linearität. Hier wirken andere Gesetzmäßigkeiten, man darf z.B. die andere Schatten nicht hintergehen, man darf ihnen nur begegnen oder man kann die Leinwand (Albino) nicht verlassen, sonst verschwindet man.

Mir reicht es, ich habe genug davon gesehen und zerreiße die Teleportationskarte. Augenblicklich befinde ich mich in dem Gerichtsgebäude. Hier ist wieder die „normale“ dreidimensionale Welt, vorne sitzen 12 Richter in schicken Mänteln, rundherum hinter einer Absperrung treten sich die Schaulustigen auf die Füße und vor mir steht grinsend der große Albino selbst. Ich bin gespannt wie der Prozess verlaufen wird. Albino tritt hervor und spricht:
- Laut dem Gesetz kämpfen zwei streitende vor den Richtern um ihr Recht, wenn einer dem anderen seinen Unmut als Karte geäußert und der Gegner diese Karte zerrissen hat. Die Karte ist zerrissen, ich bitte um die Erlaubnis zum Kampf!
- Du hast unsere Erlaubnis – verkündete einer der Richter. Ich habe ein Gefühl im falschen Film zu sein, in einer falschen Haut zu stecken.
Doch die Show geht seinen Gang und Albino macht sich für den Kampf warm. Ich entspanne mich, denn ich kämpfe nicht. Kämpfen ist doof. Albino verändert sich. Er wird zu tausend Schneeflocken, sie werden zu Nebel, ich kann nichts mehr sehen, mein Kopf ist benebelt. Ich verliere die Klarheit und drifte ab.

Als ich wieder aufwache befinde ich mich in einem Gefängnis. Es ist nicht nur ein Raum der mit Gittern abgesperrt ist, sondern auch ein Zeitloch. Ein Zeitloch im Traum, damit ich nie wieder aufwache. Ich sitze im Gefängnis und es vergehen Tage, Wochen und Jahre.

Irgendwann nach einer Ewigkeit bekomme ich Gesellschaft. In einer Nachbarzelle wird eine junge Frau reingeworfen. Sie schlägt wild gegen das Gitter, beschimpft Albino, tigert durch ihre Zelle und entdeckt mich schließlich.
- Don Rinatos, ruft sie. Du bist hier, so ein Glück! Du bist der einzige, der Albino entgegentreten kann. Es macht nichts, dass du vor dem Gericht gegen ihn verloren hast. Wir müssen hier nur raus und mit deinen Namen können wir viele Freiheitskämpfer für uns gewinnen.
- (Ich schaue sie an. Sie hat lange schwarze Haare, eine sportliche Figur und viel Elan.) Ich habe nicht gegen ihn verloren, ich habe nicht gekämpft!
- Nicht gekämpft, wieso?
- Ich bin kein Kämpfer!
- Ach so, du bist nicht von hier, und weißt gar nicht, wer Albino ist. Er ist einer der 13 Magier, die im hohen Gericht durch die Macht der Magie das Gleichgewicht im Universum gehalten haben. Doch er war auch derjenige, der sich am meisten nach Macht gesehnt hat. Man muss zugeben, Albino ist auch einer der besten Magier. Irgendwann entdeckte er, was hinter dem Geheimnis der Magie steckt. Er verließ das hohe Gericht und fing an, das Universum zu erobern. Nach und nach unterdrückte er alle Planeten und Zivilisationen. Alles Lebendige und Unlebendige wurde zu Schatten und Albino der Einzige der überall als weißer Hintergrund herrscht. Mein Vater entdeckte eine Prophezeiung, in der 7 Namen standen, von denjenigen, die Albino aufhalten können. Doch Albino besiegte meinen Vater und meine Brüder, warf sie ins Gefängnis und machte sich auf den Weg die 7 Menschen zu finden, die sich ihm entgegen stellen können. Gnadenlos versklavte er 6 von ihnen und der letzte von dieser Prophezeiung bist du, Don Rinatos. Ich flehe dich an, das hohe Gericht ist die letzte Instanz die Albino noch nicht unterworfen ist, aber es ist an Gesetze gebunden. Jetzt wo du auch im Gefängnis bist, hat Albino keine Angst vor der Prophezeiung. Er wird die 12 Magier des hohen Gerichtes versklaven und dann kann ihm nichts mehr passieren.
- Ja, da hat er es wohl geschafft.
- O, Fremder! Die Schatten in der Albinowelt werden immer blasser. Dieser Unhold steckt die Menschen ins Gefängnis, sodass nur ihre Schatten sich frei bewegen können. Jede Nacht besucht er in den Träumen die Gefangenen und zieht ihnen Lebensenergie ab. Du bist der Held der Prophezeiung, rette uns!
- Weißt du, in dieser Welt, woher ich komme, gibt es merkwürdige Geschöpfe. Wir nennen sie Regenwürmer. Im Sommer wenn es geregnet hat und die Sonne wieder scheint, kriechen die Regenwürmer aus der Erde auf den warmen nassen Asphalt. Es ist ein wunderbares Bild. Die Regenwürmer haben keine Zähne, keine gefährlichen Waffen, keine starken Muskeln. Sie werden von den Vögeln gefressen. Sie werden unter den Füssen des Menschen zermatscht... Doch das macht ihnen nichts aus. Das nächste Mal, wenn es regnet, sind sie wieder da.
- Du bist ein Feigling! - zischt die Frau und spuckt mir ins Gesicht. Dann dreht sie sich um und geht in die andere Ecke von der Zelle.
Mir gefallen ihr Temperament und auch ihr Aussehen. Ich überlege. Es ist eigentlich das, was ich im KT noch nicht ausprobiert habe: zu lieben. Ich meine nicht Sex zu haben, sondern ein tiefes Gefühl für einen anderen zu entwickeln. Also lasse ich den Traum in diesem Punkt entzweien. In der 1. Variante verliebe ich mich in diese Frau und in der 2. Variante nicht.

1. Variante

"Ist dir denn bewusst, dass wir in einem Zeitloch gefangen sind?" frage ich die Frau. Sie antwortet mir nicht. "Weißt du warum Albino keinem tötet? Er steckt doch alle nur ins Gefängnis."
- Weil er die Lebensenergie der anderen braucht.
- Nicht nur deswegen. Er ist auf anderen Menschen, auf ihre Schatten angewiesen. Ich kenne auch das Geheimnis, das hinter der Magie steht.

Mit einer leichten Bewegung entferne ich die Gitter.
- Heißt das, das du mit uns in den Kampf ziehst? Fragt die junge Frau und ihre Augen leuchten vor Freude.
- Ich bin kein Kämpfer, antworte ich. Aber ich bin ein Krieger, und kriege genau das was ich will. Deswegen muss ich zuerst gut überlegen was ich wirklich will.
In diesem Augenblick erscheint Albino. Er freut sich auch, dass endlich mal ein ehrwürdiger Gegner Mut und Energie hat, ihm entgegenzutreten. Meine Geliebte, springt mir auf den Rücken und flüstert heiß ins Ohr. Offensichtlich will sie mich damit aufheizen. Ich vereinige weibliche und männliche Elemente in einen Wirbelsturm und das ganze Schattentheater fällt auseinander wie ein Kartenhaus. Alle Gefangenen sind befreit. Es scheint die Sonne, alle freuen sich. Es wird ein großes Fest angerichtet. Doch dann sagt meine Geliebte plötzlich: "Schau mal, ich habe einen Schatten, was ist das? Ich dachte Albino ist weg und es gibt keine Schatten mehr." "Wie du willst, meine teuerste", ich schalte alle Schatten ab. "Wo sind jetzt die Schatten", wundert sie sich. "Sie können doch nicht so spurlos verschwinden. Was ist hier los?"
- Das ist das Geheimnis das hinter der Magie steckt. Das ist mein Klartraum.
- Das verstehe ich jetzt nicht. So wie bei Albino?
- Nein, Albino war nur Hintergrund in der Schattenwelt. Klartraum heißt, das alles ist Don Rinatos. Das sind meine Gedanken.
- Heißt das, dass wir jetzt an dich versklavt sind?
- Schön wäre es. Das würde bedeuten, dass ihr überhaupt existiert.

Das Feuer des Hasses entflammt in den Augen meiner Geliebten. Sie zieht ihr Messer raus und sticht es in meine Brust. Nun schaue ich aus ihrer Perspektive und lächele. Sie merkt es und jagt sich das Messer unter die Rippen. Diesen ganzen Massenmord kann ich mir sparen. Ich kehre zurück zu dem Punkt, wo ich den Traum entzweit habe.

Variante 2:

Ich sitze wieder im Gefängnis und meditiere. Ein Wassertropfen fällt von der nassen Decke auf den Fußboden und zerspringt in zwei kleine Tropfen. „So ist es auch mit dem Bewusstsein – kriege ich meine Erkenntnis – die Reflexion der Trennung in die totale Fraktalität des Systems.“ Ich konzentriere mich.

Es knallt und rauscht und aus einer Rauchwolke treten nacheinander spektakulär 12 Richter-Magier herab. Sie wedeln mit ihren langen fließenden Klamotten, stellen sich im Ring auf und wenden sich an mich:
- Don Rinatos, es an der Zeit, dass wir uns gegen Albino verbinden. Er ist nicht mehr zu stoppen. Seine Macht verblendet seinen Verstand, jetzt fordert er sogar uns, seine ehemaligen magischen Brüder zum Kampf auf! Wir brauchen einen 13. Magier, damit wir ihm die Stirn bieten können. Albino lässt uns keine Wahl. Die herrliche Vielfalt der Formen und Farben erlischt. Komm mit und kämpfe auf unserer Seite für die Freiheit aller Wesen in der Welt!
- Das versteht ihr unter Freiheit? Ich kämpfe nicht.
- Wenn du bloß wüsstest, wie grausam Albino ist! Er ist ein Ur-Alb vom Planet der Asche. Wenn wir diesen Kampf verlieren, wird keiner überleben!
- Ihr seid doch Magier, ihr müsst besser als ich wissen, dass die Schwäche stärker als die Macht ist. So bleib ich hier und werde aufpassen, dass ich nicht auf die dumme Idee komme, meine Macht auszuüben.
Verärgert drehen sich die Magier um, und verlassen mit Knall und Rauch mein Appartement. Ich bleibe in der Zelle und richte mich auf. Es vergeht keine Zeit im Zeitloch.

Ich spüre irgendjemanden. Es ist Albino.
- Weise war deine Entscheidung, mein Freund – schmiert er mir Honig um den Mund – die alten Richter verstanden nichts von der Magie.
- Verstanden?
- Ja, sie haben verloren. Und das Gesetz gehört jetzt mir. Ich bin gekommen um dich zu fragen, ob du dich mit mir verbinden willst?
- Habe ich eine Wahl?
- Nein. Die Tage der Einsamkeit und des Chaos sind gezählt. Die Schatten der Vergangenheit werden jetzt vor mir ausgeblendet. In jedem Gefängnis, in jeder Zelle erscheine ich jetzt gleichzeitig und stelle meine letzte Frage: willst du dich mit mir verbinden?
- Was wird mit mir geschehen?
- Du verlierst dein Leben, doch dafür erlebe ich die Ewigkeit.
- Na da bin ich schon gespannt. Ich gebe dir mein Einverständnis!
- Wahrlich, Don Rinatos, du wirst deine Entscheidung nicht bereuen!

Wie wunderschön ist der Planet der Asche! Hier ist die Asche überall: sie liegt auf der Erde und fliegt in der Luft. Wie viele Nuancen hat das Grau! Dunkelgrau der Aschenfelsen und hellgrau der Phönix, silbergrau der Aschenblätter und nebelgrau der Täler. Ich bin Albino, der Aschenfels vom Planet der Asche und ich unterbreche kurz meine Versenkung um die Herrlichkeit der Umgebung zu erblicken. Mein treuer Freund und Meister der Aschenfels links von mir, ist schon bis zur Hälfte bedeckt mit weißer Asche. Er ermutigt mich meine Augen wieder nach ihnen zu wenden um mich weiter zu reinigen. Ich erkenne die gespaltenen Aspekte meines Wesens und binde sie zusammen. Ich dringe in die dunklen Ecken meines Seins vor und leuchte sie aus. Ich fasse das unfassbare und werde immer weißer und immer leichter.

Der Wind hebt den weißen Aschenfels hoch und trägt ihn bis zu den Wolken.
Dort zerfällt Albino.


Tim Torjak




Die Tür ging auf und ein großer, schwerer Mann bat mich hinein. Auf der anderen Seite ging eine Treppe steil hinunter. Durch das hinuntergehen bin ich klar geworden. Unten war eine normale Wohnung, wo in der Mitte aber ein ovaler Teich, oder Brunnen war.
- Ich bin ein Engler - beantwortete der Mann meine stumme Frage. Er holte zwei Anglerstöcke, setzte sich ans Ufer und lies die Beine ins dunkle Wasser.
- Engler, was bedeutet das wohl, ein Engel, der angelt? Wonach angelt er?
- Ich angle nach dem Schicksal von Tim Torjak, entgegnete er meinem fragenden Blick.
Ich nahm meinen Angelstock und setzte mich daneben. Mein inneres Sehen glitt tief in die Dunkelheit des Teiches.

Auf dem Grund des Brunnens stand Tim Torjak. Er stand vor einer riesigen Statue, einem überdimensionalen Abbild eines Helden. Dieses Denkmal war Tim Torjak gewidmet. Der große Steinheld hielt einen Schutzschild in seiner Hand, wo Hunderte von Pfeilen steckten. Tim stand vor seiner eigenen Statue und sein Kopf reichte nur bis zum Zeh des Steinfußes. Das ist das Ende des Schicksals. Ich gehe der Sache auf den Grund.

Vor vielen Jahren entdeckten mehrere Menschen unabhängig voneinander, dass der menschliche Geist eine wunderbare Frequenz hat, mittels welcher Menschen sich geistig verbinden können. Dieser geistige Bund erweiterte sich und wuchs von Jahr zu Jahr. Die Informationen, Gedanken, Gefühle, Erlebnisse waren nicht mehr in einer Person eingesperrt, sondern erreichten augenblicklich jedes Individuum. Die verbundenen Subjekte erlebten dieselbe Realität und nach ein paar Jahren war keiner der dieser Objektivität nicht gehörte. Keiner außer Tim Torjak. Sonst in allen Punkten ein gesunder Mann, schien er in dieser Hinsicht eine Behinderung zu haben. So war sein Schicksal. Er war von der Gesellschaft ausgeschlossen.


Mich interessierte auch wer der Engler ist, und wie man zu einem Engler wird. Parallel zu Tim Torjaks Schicksal erlebte ich die Kindheit des Englers.
Die erste Erinnerung war im Boot seines Meisters, wo er Fische zu angeln lernte. Das Boot ruhte in der Mitte des Flusses verankert. Der Meister war schon sehr alt, er trug einen langen weißen Bart und fing in seinem Leben noch keinen einzigen Fisch. Regungslos saß er im Boot und schaute das fließende Wasser an. Ich habe gehört, dass Fluss aufwärts im natürlichen Stausee ein Wettbewerb von Zauberkünstlern ausgerufen wurde. Ich klaute meinem Meister ein Boot, ein Ruder und machte mich davon. Oben kamen schon viele Magier und Schaulustige an. Manche fuhren mit großen Schiffen, die anderen, so wie ich in gelöcherten Booten. Der Gegenstand des Wettbewerbes war der Stausee. Als ich ankam verwandelte gerade ein Zauberkünstler mit viel Salz und wenig Zauberformel den See zu einem Meer. Ich schlug auf dem Ufer mein Zelt auf und schaute dem Wettbewerb zu:
Mitten im Sommer wurde das Wasser bis zu minus Temperaturen gekühlt und es bildete sich Eis. Ein anderer Zauberer verwandelte das Wasser zu Milch und kochte sie auf. Es bildete sich eine Hautschicht, die man betreten und auf welcher man wippen konnte. Erstaunt sah ich zu, wie der dritte Magier das Wasser zu einer riesigen Wolke ausdampfen lies, und wie das kühle Wasser wieder hineinregnete.
Inspiriert von diesen Kunststücken begab ich mich in mein Zelt um ein noch besseren Zauberspruch auszudenken und den Hauptpreis zu gewinnen.

Tim Torjak war mehr als unglücklich. Er war der letzte Mann der für die Kommunikation mit anderen seine Sprache benutzte und das wurde ihm von Tag zu Tag immer schwerer. Weil die anderen es schnell verlernten. Keiner weiß wann das Unglück kam. Einer vom Bund bekam als Erster einen besonderen geistigen Virus. Dieser verbreitete sich in einer Lichtgeschwindigkeit auf alle anderen Menschen und hatte eine Inkubationszeit von sieben Tagen. Sieben Tage hatte die Menschheit um sich zu retten. Der Bund vereinigte seine ganze geistige Kraft und fand heraus, dass Tim Torjak der Antipod, der Gegensatz des Bundes ist. Er allein hatte die Möglichkeit das Virus zu stoppen. Alle Menschen wie Einer bat Tim um Hilfe, und er war einverstanden. In wenigen Tagen baute der Menschenbund einen großen Verstärker und durch diesen wurde Tim Torjak mit der konzentrierten geistigen Frequenz bestrahlt. Der geistige Virus verließ den Bund und floss in den Antipod rein. Bei Tim Torjak bildete dieses Virus nur einen Pickel, doch der Bund verlor seine geistige Frequenz und zerfiel in Milliarden einzelner Subjekte. Die Menschen waren froh darüber, bauten Tim Torjak ein riesiges Monument und unternahmen keine Versuche mehr sich zu verbinden.



Um den Hauptpreis zu bekommen sollte ich mir was Besonderes einfallen lassen. Ich schrieb viele Zauberformeln auf, aber war mit diesen unzufrieden. Was kann ich besser als die anderen machen? Wo sind die Grenzen von jedem Zauberkünstler, die Grenzen, die ich brechen kann? Ich entdeckte, dass für die Aufrechterhaltung von jeden Zaubern ein großer Aufwand von magischer Energie benötigt wird. Egal wie stark der See verwandelt wurde, kehrte er schon nach ein paar Stunden in seinen ursprünglichen Zustand zurück. Ich suchte nach einer Möglichkeit den See wirklich zu verändern, nicht für ein paar Stunden oder Tage oder Jahre, sondern für immer. Je länger ich suchte, desto mehr wurde mir klar, dass keiner von den Zauberkünstlern tatsächlich zaubern konnte. Ich nahm mein Boot und fuhr flussabwärts zu meinem Meister. Ich setzte mich zu ihm und lernte weiter zu angeln. So bin ich ein Engler geworden. Ein Engel der Angler. Später baute ich mir dieses Haus mit dem Brunnen auf, wo ich die Schicksale angeln kann.

Tim Torjak stand still vor seinem Abbild. Er war mit jedem Menschen verbunden und jeder Mensch war Tim Torjak.




Kuma-Um



Ich laufe durch die Königstraße in Stuttgart. Dort spielen und unterhalten verschiedene Künstler. Ich sehe einen alten Märchenerzähler, der in dunkler Jacke mit spitzer Kapuze sitzt und 5-6 Kindern eine Geschichte erzählt. Ich komme näher und höre mit Begeisterung seine wundervolle Stimme:

Es war einmal vor langer, langer Zeit, hinter den 3-mal 9 Ländern. Dort lebte ein merkwürdiger, großer, dicker, fast kugelrunder Mann. Am größten war natürlich sein runder glatt polierter Wasserbauch. Die ganze Welt spiegelte sich dort: Im Nabel schien unsere liebe Mutter Sonne, weiter strahlte der blaue Vater Himmel und am Rande war die Erde samt uns allen. Aber nicht nur das machte den Mann so besonders. Außer dem runden Wasserbauch hatte er ein Sprechohr, Einmalauge und zwei Haare: ein glühendes und ein kühles. Der kugelrunde Mann führte ein einfaches und angenehmes Leben: Er erzählte sich mit dem Sprechohr schöne Geschichten und malte dazu mit dem Einmalauge bunte Bilder. Im Winter wärmte er sich mit dem glühenden Haar auf und im Sommer verhalf er sich mit dem Kühlen. Doch einmal passierte dem kugelrunden Mann etwas ganz ungewöhnliches.



- Zeigen Sie bitte Ihren Ausweis!
Zwei Polizisten, die von hinten kamen, unterbrachen gefühllos die Geschichte.
- Lasst ihn in Ruhe, wendete ich mich an sie, Ihr stört!
Die Polizisten drehten sich zu mir um.
- Haben Sie Ihren Ausweis dabei?
- Nein.
- Tja, wenn Sie sich nicht ausweisen können, müssen Sie mitkommen. Und der Märchenerzähler auch.
- Ich soll mich ausweisen?
- Ja, damit wir Sie identifizieren können.
- Ah, identifizieren! Identisch ist gleich. O.k. Ich bin der Märchenerzähler, der kugelrunde Mann und die beide blöden Polizisten. Und jetzt nimmt jeder von Euch ein Palmenblatt und haltet es über den Märchenerzähler, damit ihn die Sonne nicht stört.
Die Polizisten gehorchten und der Märchenerzähler fuhr weiter fort:

Also einmal passierte dem kugelrunden Mann etwas ganz ungewöhnliches. Als er zum Bach ging um ein wenig frisches Wasser für seinen polierten Wasserbauch zu holen, traf er einen Igel. Der Igel war in Not, denn seine Pfote wurde zwischen den Wurzeln eingeklemmt, so dass er nicht mehr raus konnte. Der kugelrunde Mann eilte zu ihm und befreite den Igel. Wie ihr Kinder wisst, sind die Igel sehr liebevolle und weise Wesen. Er bedankte sich herzlich beim kugelrunden Mann und bat ihn an, seinen Wunsch zu erfüllen. Und tatsächlich hatte der kugelrunde Mann seit langen einen Wunsch, den er nicht bekommen konnte. Der Wunsch nach dem Fliegen. Der Igel wie versprochen, erfüllte diesen Wunsch. Blitzschnell schoss er eine Nadel in den polierten Wasserbauch des kugelrunden Mannes. Der Bauch platzte und der Druck des ausströmenden Wassers war so stark, dass der Mann in die Luft flog und zu einem Kuma-Um wurde.


- Kuma-Um, flüsterte ehrfurchtsvoll ein Kind mit großen Augen, was ist das?
- Wir können nicht mehr so still stehen und die Palmenblätter halten, beschwerten sie die Polizisten.
- Kuma-Um, das ist schon eine andere Geschichte- antwortete der Märchenerzähler und sie kostet extra Geld. Geht zu euren Eltern und bittet sie um noch ein paar Cent, dann erzähle ich weiter.

Die Kinder rannten weg und ich entließ die Polizisten. Dann nahm ich mein ganzes Geld aus dem Portmonee, meine EC-Karte, schrieb darauf meinen Pin-Code und schob das alles zu dem Märchenerzähler:
- Ich flehe dich an, erzähle mir die Geschichte von Kuma-Um.
- Gut. Du bist schon größer und wirst es verstehen. Kuma-Um bedeutet: goldenes Baby.
Als der kugelrunde Mann vom weisen Igel gestochen los flog, durchbohrte er die Geheimnisse der Natur und landete als Kuma-Um in der Zukunft. Dort wird die Fruchtblase von gekonnter Hand einer Hebamme gesprengt und Kuma-Um wird herausfliegen. Es wird ein außerordentliches Baby sein. Gleich nach der Geburt wird es auf seinen Beinen stehen können. Um sich herum wird es eine goldschimmernde Schicht haben, daher bekommt es auch seinen Namen: Kuma heißt Gold und Um heißt Baby. Diese goldene Schicht wird es vor allen Krankheiten, Verletzungen und Bosheiten schützen. Seine Augen werden Liebe und Freude spenden. Sein Lachen wird als wunderschöne Melodie erklingen und die Dunkelheit vertreiben. So herrlich wird Kuma-Um sein.
Weise und aufmerksam wird es jedoch schnell merken, dass die anderen Menschen nicht so glücklich und schön leben können. Und dass sein Lachen nicht alles Leid und Pein beseitigen kann. Und so wird es im zarten Alter von 7 Jahren seine goldene Schicht ablegen, seine Eltern verlassen und in fernen Ländern die Einsamkeit suchen. Und einmal am Ufer des Waldbaches wird er das kühle Wasser trinken und die Sonne wird ihm dabei auf seinen Kopf scheinen. Und er wird plötzlich die Einsamkeit finden und lachen und wir alle werden mit ihm am Rande seines Wasserbauches Kuma-Um sein.




Rinatosen erobern die Welt




Was macht man, wenn man träumt und dabei mittelmäßig klar wird? Sich klonen natürlich. Wie die alten Yogis sich millionenfach in ihrer phänomenalen Welt klonten. Na ja, für den Anfang reichen auch 100 Don Rinatos´s. Ich fühle mich wie Urfin mit seinen hölzernen Soldaten. Ich schaue die Herde an und klettere auf einen Thron. (Oh Mann, hier wachsen die Throne schneller als Pilze im Herbst nach dem Regen). So, ich soll jetzt wohl eine Rede halten. Wie soll ich sie denn ansprechen: Brüder? Nein das sind nicht meine Brüder. Soldaten? Nee, die bekommen von mir keinen Sold.
- Hey, ihr da! Wir sind alle wie eins und Einer wie alle. Lass uns in den Krieg ziehen und die Welt erobern! Für Don Rinatos!
- Für Don Rinatos!- rufen begeistert die Rinatosen. Sie jubeln und werfen ihre Fäuste in die Luft. Sie sind jung, stark und dumm, so dumm kann nur ich sein. Keiner fragt sich, was für eine Welt das ist. Sie nehmen mich an die Schulter und die Armee zieht mit Militärgesang los.

Bald erreichen wir eine Grenze wo das Eis der Antarktis anfängt. Auf der weißen Fläche steht ein Pinguin. Er steht und schaut uns an. Keine Armee von Pinguinen, kein Monsterpinguin sondern ein kleiner Babypinguin. „Ist das ein Gegner?“ - frage ich meine Jungs.100 mal Achselzucken zeigt die Unsicherheit der Armee. Na klar ist das ein Gegner, wir haben doch gar keinen anderen. Doch meine Jungs machen sich mächtig in die Hose. Der kleine Pinguin feixt.

„Jungs, wir sind einer wie alle und alle wie eins. Der Sieg ist nah. Stellt euch in ein Dreieck auf. Für Don Rinatos, Attacke!!!“ Die Armee stellt sich keilförmig auf und marschiert los. Das Beste bei der Armee ist die wunderschöne synchrone Marschbewegung. Wenn einer ein Bein hochhebt, nehmen auch alle anderen das exakt gleiche Bein nach oben. So passierte es, dass der erste Don Rinatos, der die Eisschicht erreicht hat, auf diesem einen Bein ausrutschte und mit den Armen rudernd nach hinten fiel. Mit herrlichem Dominoeffekt stößt er alle anderen um und meine brave Armee landet auf dem Boden. „Rückzug“ – brülle ich. Der Babypinguin lacht sich kaputt.

Doch das, was nach einen Rückzug aussieht, ist in Wirklichkeit ein einfacher aber supergenialer Schachzug vom Admiral (mir also) höchstpersönlich. Telepathisch vermittle ich meinen Jungs, dass wir jetzt zurückmarschieren. Zurück zu den schnellwachsenden Thronen und weiter gerade aus. Denn die Erde ist rund und wir werden den Feind in den Rücken fallen. Lange dauerte es und ich schlief auf den Schultern meiner Krieger. Als wir von der anderen Seite endlich angekommen sind, war von dem Babypinguin keine Spur. Verzweifelt und beängstigt schauten mich meine Rinatosen an. War der Feind stärker und klüger? Haben wir den Krieg verloren? Aber natürlich nicht, wir sind um die ganze Welt gegangen und haben die Erde erobert. Nichts steht uns im Weg. Sogar der Babypinguin floh vor der tollen Armee. Die Jungs jubelten und die Stimmung war gerettet.

Danach wurde ich unklar. Wie kann man sich sonst erklären, dass ich meine Armee dazu überredet habe einen lebendigen Turm zu bauen; dass ich darauf geklettert bin und von der Käsescheibe des Mondes ein Stück abbiss...?



Taina



Der Blick ist auf eine schwarzhaarige Frau gerichtet. Sie sitzt im schwarzen T-Shirt am Schlagzeug und fängt an zu spielen: Dom-tz-tz--tz, dom-tz-tz--tz. Das Sehfeld erweitert sich und man sieht die anderen Bandmitglieder: 2 Jungs stehen mit Gitarren da und nehmen den Beat auf: es erklingt eine herrliche Surfmusik: d-r-e-a-m (tz-tz—tz), d-r-e-a-m (tz-tz—tz), d-r-e-a-m, d-r-e-a-m, D-R-E-A-M!!! Die Sologitarre fängt an zu erzählen.
Wie kann man dabei schlafen? Don wird klar und rennt auf die Bühne: „Meine Damen und Herren, ich will euch heute ein Märchen erzählen“. Nun Märchen höre ich immer gern, ich mache es mir gemütlich und vernehme meine eigene Stimme:



Einmal, als das goldene Knäuel der Sonne ihren leuchtenden Faden über die Erde schickte, als die schneeweißen Wolken im Wind über den grenzlosen Ozean des Himmels surften, wurde in unserem Dorf ein Mädchen Namens Taina geboren. Ihr Vater war ein Bauer und ihre Mutter passte zuhause auf die Kinder auf, denn es gab 5 davon. Die kleine Taina hatte 2 ältere Brüder und 2 ältere Schwestern. Das war schön für sie, denn die Brüder halfen dem Vater bei den Feldarbeiten und die Schwestern der Mutter zuhause. So hatte die kleine Taina genug Zeit zum spielen und zum träumen. Taina hatte eine besondere Fähigkeit: wenn sie ihre Augen schloss, konnte sie immer einen Menschen sehen, nämlich sich selbst. Lange schaute Taina sich in die Augen. Sie sah dort ihr Haus, ihr Dorf, andere Dörfer und Städte und sogar andere Länder wiedergespiegelt. Auch andere Menschen konnte sie in ihren Augen erkennen. Nicht nur dessen Gesichter, sondern ihre Gedanken und das, was sich hinter den Gedanken verbirgt, die Schicksale der einzelnen Menschen.

Gern erzählte sie den Eltern und Anderen ihre Entdeckungen und Visionen. Sie konnte ganz genau sagen, was und wo etwas stattfinden wird und welche Sachen auf der Welt existieren. Die Dorfbewohner mochten Taina, sie fragten sie oft nach dem Wetter im nächsten Sommer und nach der Ernte, welche Feste wo gefeiert werden und welches Getreide besonders gut gedeihen wird. Immer gab Taina ausführliche Antworten und immer stimmten sie mit den realen Ereignissen überein.

Der Ruf dieses ungewöhnlichen Mädchens erreichte einmal auch den König. Er verkleidete sich als einfacher Händler und reiste ins Dorf. Als erstes fand er die Eltern von Taina, verriet ihnen seine Identität und fragte, ob er mit Taina sprechen kann. Sie wurde augenblicklich gerufen. Kaum sah sie den König, sprach sie laut: „du wirst sterben!“. Der König wurde ganz blas ins Gesicht. „Nehmen sie sich das nicht zu Herzen, eure Majestät - beruhigten ihn Taina’s Eltern – das sagt sie als Allererstes zu jedem, der zu ihr kommt.“ Doch der König schaute immer noch erschrocken: „Das stimmt aber tatsächlich, es ist genau der Grund, warum ich hier bin. Seit einem Jahr alter ich viel schneller als andere Menschen. Ich weiß nicht ob es ein Fluch oder eine Krankheit ist, aber es bleibt mir jetzt nicht mehr viel Zeit auf der Erde. Kannst du mir bitte sagen, woher das kommt und was ich dagegen machen kann?“ „ Ja, ich kann nachschauen – antwortete das Mädchen – komm mit, wir müssen dafür allein sein.“ Sie gingen ins Zimmer und schlossen die Tür ab. Dort setzten sie sich auf dem Fußboden, Taina schloss ihre Augen und schaute in sich nach dem Schicksal des Königs. Nach einer Weile öffnete sie ihre Augen und sprach:
- Das ist eine unheilbare Krankheit die du hast. Es gibt keine Möglichkeit, sie zu beenden.
- Dann war alles umsonst – stöhnte der König – und ich muss sterben.
- Sterben muss jeder – bestätigte das Mädchen – aber ich kann dir helfen über den Tod hinauszugehen.
- Ist das möglich? Wie soll das gehen?
- Du musst jetzt sterben. Wenn ich dabei bin, schaffst du es viel weiter zu gehen, als der Tod Macht hat.

Der König dachte nach und schenkte Taina schließlich sein Vertrauen. Das Mädchen setzte sich ihm gegenüber und diesmal waren ihren Augen weit geöffnet. Lange schaute sie den König gerade an und er konnte sich selbst auf einmal in ihr erkennen. Er sah in seine eigenen Augen dieses Haus und Dorf, andere Dörfer und die Hauptstadt seines Königreiches, sowie andere Reiche und Länder. „Weiter, flieg weiter!“ – hörte er Taina’s Stimme im Hintergrund. Und er flog mit ihr weiter. Über die hohen Berge und die rote Wüste, über die Eisgegend und die Weite des Meeres... rein in die Dunkelheit der Nacht. Sie landeten zwischen 2 Türmen, die mit einem ungewöhnlichen Licht von innen heraus leuchteten. Es waren viele Menschen da und alle strömten in einen kleinen Raum. Sie gingen auch dorthin und vernahmen eine schrecklich dröhnende Musik. Der kleine Raum war verraucht, die Leute zappelten in einer Ekstase und stießen sich gegenseitig. Dem König wurde schwindlig und er floh ins Nebenzimmer. Dort hängten Spiegel. Der König schaute hinein und entdeckte, dass er ein junger Mann ist, der auf der Toilette einer Disko benebelt da steht. “Ja, es war wohl zu wenig Sauerstoff auf der Tanzfläche. Ich dachte schon, ich bin ein sterbender König... so ein Quatsch“. Der junge Mann wusch sich das Gesicht und wurde munter. In diesen Augenblick ging die Tür auf und eine schöne Frau betrat die männliche Toilette. „Ich bin Taina“ – sprach sie – "jetzt bist du gestorben, o König, doch du sollst dich nicht verlieren, sonst bist du dem Tod wieder ausgeliefert.“ Ruckartig erinnerte sich der junge Mann, dass er mit Taina in der Bauernhütte sitzt.
- Wo bin ich wirklich? - fragte er sie
- Du alterst nicht mehr so schnell – antwortete Taina – doch du musst dich weiter bewegen!
Sie ging heraus und der König eilte ihr hinterher.

Er stand vor der Klasse und erzählte mit seiner gewohnten Manier: „Im Atomkern befinden sich positiv geladene Protonen und ungeladene Neutronen. In der Hülle schweben negativ geladene Elektronen. Diese Elektronen werden für den Stromkreis benötigt. In unserem Physikunterricht werden wir meistens mit Gleichstrom arbeiten, das heißt, dass hier ein eindeutiger Plus- und ein eindeutiger Minuspol vorliegen. Der Strom fließt vom Minus- zum Pluspol. Ein Beispiel für Gleichstrom ist eine Batterie.“
Eine Schülerin hob ihre Hand hoch.
- Ja, was willst du fragen?
- Weißt du, es ist sinnlos sich an irgendeine Lebensform festzuklammern. Jede Ausprägung der Phase hat auch ihre Einprägung, ihre Null.

In der Höhle wo sie saßen wurde es schon fast dunkel. Die Kerze brannte ab und Taina’s graue Haare wirkten wieder schwarz.
„Wer bist du?“ - fragte der Mönch ehrfruchtvoll und lauschte dem Echo. Er blickte ihr in die Augen und sah dort sich selbst: den Mönch, den Lehrer, den Diskogänger, den König, den Erzähler. Das Leben entfaltete sich wie eine Landkarte und zeigte ihre verborgenen Seiten.

Ich wache auf.




Klara und Karl



Keine Ahnung, wie das so alles anfängt: man setzt sich ans Lagerfeuer, weil es dort warm und hell ist, man redet und schaut zu und schon ist man mittendrin. Der Andere, ein zugewachsener alter Mann mit einem spitzen Hut auf seinem Haupt knabbert an einem Knochen. Er isst und wedelt damit in der Luft:
- Rippe, hmm... alles hat seine Rippe! Die Rippe der Poesie und Inspiration, die Exponentialfunktion der Rippe hält die ganze Geschichte... Du! (er steckt mir plötzlich das Gerippchen in die Nase) Was willst du?
- Ich suche die Klarhei...
- Psst! – presst mir der Spitzhutträger seinen Knochen gegen die Lippen – wir befinden uns im Zauberwald, in einer Märchenwelt! ... du sagst also, dass du eine gnädige Prinzessin Klara aufsuchst?
- Woher weißt du das?
- Jeder holder Ritter braucht eine Dame, die seine geheimen Fähigkeiten zum Leben erweckt.
- Von mir aus, ja Klara.
- Ein glücklicher Stern scheint über dich zu scheinen, o Beispielloser! Denn ich weiß, wo die schöne Prinzessin verweilt. Doch es wird nicht einfach für dich sein, sie zu erreichen. Denn sie wird festgehalten von einem noch stärkeren Zauberer als ich, vom mächtigen Karl.
- Was, vom Karl? Wer zum Henker ist denn das noch, mein Unbewussten?
- Pass gut auf! (er bückt sich zu mir so nah, dass sein mit Fett übergossener Bart mich stachelt und flüstert mir plötzlich auf Russisch ins Ohr) „Karl ukral u Klary koraly, a Klara ukrala u Karla klarniet“. (Karl klaute Klara die Korallen, und Klara klaute Karl die Klarinette).
- Veräppelst du mich?
- (Sein Kinn wandert nach oben, seine Augen rudern vielsprechend im Kreise) Es ist eine gefährliche Mission, wir brauchen jede Unterstützung!
- Wir?
- Ein Regenschirm und eine starke Stimme müssen auf unserer Seite sein.
- Natürlich.
- Wir sollen gleich aufbrechen, um diese Männer zu finden.
- Aha. Den Herrn Regenschirm und die starke Stimme?
- Nein, den Herrn Hüter und Sager.
- Verstehe. Sonst ist aber alles dicht bei dir?
- Folge mir! (er steckt das Gerippchen unter seinen Hut und ich will echt nicht wissen, wie viele davon schon dort nisten.)

Er springt auf und bewegt sich sicher und tanzend in die Dunkelheit. Ein vielversprechender Anfang, denke ich mir und renne hinterher. Es ist schon am Tag, als wir in eine mittelalterliche Burg ankommen. Auf dem Markt ist die Hölle los und es kann eigentlich Jeder hier Herr Hüter oder Herr Sager sein. Laut teile ich meine Zweifel dem angeblichen Zauberer mit. „Der Juwel ist dort versteckt, wo keiner sucht.“ – antwortet er lispelnd und schüttelt mit dem Kopf. Die Knochen unter seinem Hut klingen wie die Münzen in einem Spielautomat. „Keiner sucht das, was offensichtlich ist...“ er kichert und erstickt fast selbst an seinem Witz.
Ich schaue mich um und sehe auf dem Podest einen Verkündiger. Er liest aus der Schriftrolle neue Befehle des Herrn vor. Starke Stimme! Ich warte ab, bis er damit fertig wird, drängele mich vor und zupfe ihm am Hosenbein:
- Herr Sager?
- Nein, mein Name ist Lautsprecher, was wünschen Sie?
- (Lautsprecher – hoho) Ich habe eine wichtige Botschaft für Sie, kommen Sie mit! (ich ziehe ihm von der Bühne herunter und schleppe ihm zum Zauberer).
- Ach Sie sind das - sagt Lautsprecher bloß, als er den spitzen Hut erblickt – na das gibt ja einen Haiden Spaß! Geht den Anderen suchen, ich lege fix mein Testament nieder.

Der Junge weiß wohl Bescheid! Und auf den Mund ist er auch nicht gefallen. So, jetzt muss ich noch den Herrn Hüter finden. Doch der Zauberer weist mir wieder den Weg und steht vor einem Laden, das von oben bis unten mit Gelumpe vollgestopft ist. Ein Muskelpaket versperrt uns den Weg und guckt äußerst unfreundlich.
- Was wollt ihr? –fragen seine Augenbraunen durch hochklettern auf die Stirn.
- Wir suchen Herrn Hüter, wegen dem Regenschirm – (wieso komme ich mir immer so bescheuert vor?)
- Ihr seid auf der Suche – er atmet aus und wird auf einmal viel zierlicher und kleiner. – kommt rein, ich bin Herr Schoner, ich zeige Euch meinen Wunderschirm.

Er gräbt einen Gang ins Innere des Ladens, zwischen all diesen unnützlichen und kaputten Utensilien und ich wünsche mir, dass der Lautsprecher dabei wäre. Er niest laut, ja er ist schon da. Der kleine Laden ist innen groß und leer. Von wegen: außen wie innen! Herr Schoner weist uns die Plätze zu und holt einen großen Regenschirm heraus. Dieser Schirm ist voll bemalt mit wunderbaren leuchtenden Bildern. Er zeigt uns den geschlossenen Schirm, eine Falte nach der Anderen, wie ein Buch und dann... Und dann öffnet er den Schirm!!!
Das ganze Buch wird zu einer Karte, einer atemberaubenden Landschaft, einer anderen Dimension. Doch es ist noch nicht alles. Er dreht den Schirm in seiner Hand, die Landschaft lebt auf und wir fliegen über diese Landschaft: der Zauberer, der LautSprecher, der BildSchirmSchoner und ich.

Eine Bruchlandung. Wir sind merkwürdige Vögel.
- Noch alle Tassen im Schrank? – Der Zauberer hüpft als Erster auf.
- Tassen? Bei dir sind eh nur Knochen unter dem Hut.
- Die Flügel sind zum flattern da, nicht um den Schnabel festzuhalten. – Bildschirmschoner lacht laut über Lautsprecher, der noch etwas verloren auf dem Fußboden sitzt.
- Kra-Kra – er bringt komische Geräusche heraus.

Wir flattern auf einen Baum hoch und halten einen Krakriegsrat. Der Besserwisser Zauberer erzählt die alte Geschichte:
- Keiner weiß, wer von wem als erster geklaut hat: Karl behauptet, das war Klara, da er damals Klarinette spielen übte und sie es nicht ertragen konnte. Klara jedoch entgegnete, dass Karl zuerst sein Auge auf ihre wunderschöne Koralle warf. Das Gericht legte das Urteil fest: „Menschen’s Kinder!“ doch der Streit wurde damit nicht beendet. Laut der Legende, wird einmal ein Held dazwischen laufen und mit seinem Werk das Kriegsbeil begraben.
- Was soll ich nun machen? – ich wurde wie immer aus seinen Geschichten nicht schlauer.
- Das kann dir Keiner sagen. Schau dir zuerst die Burg von Karl ein. Bitte ihn dann um eine Audienz, tausche die Prinzessin gegen etwas Kostbares um... und die Sache ist geritzt.
Ein lautes Lachen links von mir und ein dumpfes Geräusch danach - Lautsprecher vergaß wohl wieder mit den Flügeln zu flattern.

Der mächtige Zauberer Karl haust auf einer Platte. Entgegen meinen Erwartungen dreht sich diese nicht, sondern ist fest in den Bergen verankert. Es dauerte nicht lange und schon treten wir mit unserem Anliegen vor Karl vor.
- Klara? Ihr wollt meine geliebt/gehasste Prinzessin Klara haben? Warum soll ich sie ihnen geben?
- Warum nicht? (einfache Lösungen zuerst). Sie brauchen sie doch nicht.
- O doch, sie ist mit Abstand das Einzige, was sich auf meiner Festplatte irgendwie bewegt. Mit ihr erlebe ich mich als Ich und somit den Dualismus mit allem drum rum.
- (Zauberer! Hilfe!)
- Wir hätten etwas viel besseres als sie – mischt sich der Alte ein– als TAUSCH sozusagen. (das Wort „Tausch“ war für mich bestimmt - aha!)
- Ja, da ihre Festplatte sich nicht drehen kann, möchten wir ihnen ein Kunststück zeigen.
- Klar, her damit!

Wir machen uns warm und dann legen wir uns ins Zeug: der Bildschirmschoner reibt seinen Schirm schonungslos auf den Fußboden, so dass er fürchterlich quietscht, der Lautsprecher singt dazu eine Arie und der Zauberer fuchtelt mit den Armen. Nur ich schleiche leise nach hinten und befreie die wunderschöne Prinzessin Klara. Ich laufe mit ihr auf dem Arm, laufe so schnell wie ich kann um meinen Werk zu vollenden...

Ah-aha-ah... Verfolgungsjagd auf der Festplatte, zwischen Lautsprecher und Mäusen, zwischen Laufwerk und Bildschirmschoner – Wach auf!



Traumverkäufer Aksakal



Ich bin der Traumverkäufer Aksakal und gehe in meinem bunt geflickten Halat und mit einem Holzstab durch ein asiatisches Dorf. Eine Hitze ist hier! Die Straßen sind fast leer, Menschen ruhen sich in ihren Lehmhäusern aus. Doch am Rande merke ich jemanden, der im Staub hockt und in seine Hände weint. Es ist eine junge bildhübsche Frau, fast ein Kind, sie trägt ein traditionelles langes Gewand und ein schwarzes Tuch.
- Was ist mir dir? – frage ich sie.
- Mein Leben ist am Ende – seufzt sie auf und schaut mich von unten an – vor ein paar Jahren starben meine Eltern und ich bin eine Weise geworden. Doch als ob das nicht genug wäre, brannte gestern auch noch mein Haus ab, das ich von meinen verstorbenen Eltern geerbt hatte. Der Himmel hat keine Gnade mit mir! Ich verdiene kein Leben!
- Du hast viel mehr als du glaubst – entgegne ich ihr - derjenige der alles verloren hat, der nichts zu besitzen hat, ist der Glückliche in seiner Freiheit.
- (Die Frau schaut mich ungläubig an)
- Ich bin der Traumverkäufer Aksakal und ich möchte dir einen Traum verkaufen, nimm dieses Armband! – ich reiche ihr ein geflochtenes Lederarmband mit vielen kleinen silbernen Glöckchen dran. – Ziehe es an und lege dich im Schatten dieses Baumes hin. Wenn du im Traum deinen Arm bewegst und die Glöckchen erklingen, hüpfe hoch!
- Danke – die Frau trocknete ihre Tränen ab – aber ich kann deinen Traum nicht bezahlen.
- Darum sorge dich nicht, geh und ruhe dich aus!

Ich gehe weiter, verlasse dieses Dorf und sehe mit meinen geistigen Augen was mit dieser jungen Frau passiert. Sie befestigt das Armband an ihr Handgelenk, legt sich unter den Baum und schläft völlig erschöpft ein. Später, am Nachmittag kommt ein edler Prinz, ein Königsohn mit seiner Begleitung vorbeigeritten und entdeckt die schlafende Schönheit. Er lässt sie wecken und fragt sie, ob sie Lust hätte ihn zu begleiten. Er würde sich um sie kümmern und sie versorgen. Fröhlich stimmt die arme Frau zu, dankt den Himmel samt gutem Traumverkäufer und macht sich mit dem Prinz auf den Weg.
Doch als sie in den Palast ankommen entpuppt sich der Königsohn als ein ungeheurer Tyrann. Er lässt junge schöne Frauen von überall her einsammeln, steckt sie in tiefe Erdlöcher und lässt sie dann später vor seinen Augen durch wilde Tiere zerfleischen. Die arme Frau wird ebenso angekettet und landet auch in einem tiefen feuchten Erdloch. Die Tage und Nächte vergehen und sie verzweifelt mehr und mehr. O, Himmel! – ruft sie aus dem Loch empor – warum muss ich das ganze Leid der Erde tragen! Doch keiner antwortet ihr, nur die Ketten an ihren Händen und Füssen klingen traurig und hell.
Das Klingeln! Der Traumverkäufer hat gesagt…! Sie stellt sich aufrecht hin und hüpft leicht auf ihren schwachen Beinen. O, Wunder! Sie fängt an zu schweben, schwebt aus dem Erdloch und aus dem Palast heraus und… wacht unter dem Baum am Rand der Straße wieder auf.

Indessen verlasse ich das Dorf und betrete eine neue Umgebung, wo die Häuser höher und die Straßen mit Pflastersteinen ausgelegt sind. Kaum habe ich mich umgesehen, kommt schon ein dicker, mit einer Keule bewaffneter Mann angeritten, und stoppt mich.
- Halt, wir brauchen in unserer Stadt keine Bettler. Bezahle die Steuer oder verschwinde!
- Ich bin kein Bettler. Sondern ein reicher Kaufmann. Merke dir, mein Freund, nicht derjenige ist reich, der viel verdient, sondern derjenige, der wenig ausgibt. Schau mich an, ich gebe fast nichts aus.
- Kaufmann? – der dicke Mann grinst – womit handelst du denn?
- Ich verkaufe die besten Träume des Orients.
- Na dann kannst du mir sicher auch die Steuer bezahlen. Damit beweist du, dass du kein Bettler bist, sondern ein reicher Kaufmann.
Was hat er nur mit seiner Steuer? Ich schaue ihn an: nein er sieht nicht so aus, als würden ihn die Träume interessieren. Das einzige was er sehen will ist das Geld. Genau das, was ich nicht habe. Ich glotze ihn an und er von oben mich. Klar könnte ich jetzt meine Traummuskeln spielen lassen, doch ich will meinen Beruf ausüben und dazu gehört auch der gewaltfreie Umgang mit solchen Typen. Es ist eine peinliche Pause. Eine Minute vergeht, verstreicht die Zweite… wie einer Prüfung, wo man ein Black-out kriegt, vor der Kommission sitzt und kein einziges Wort findet. Sein Blick durchbohrt mich erwartungsvoll…
Die Glöckchen klingeln… ach ja!

Bevor ich die arme Frau traf, begegnete ich einem Wasserhändler (die Story wird augenblicklich rekonstruiert). Dieser überaus freundliche Mann sah mich von weiten gehen und winkte mir mit der Hand. Als ich ankam, sah ich ihn an einem (an seinem) Brunnen stehen. Er schenkte mir ein Schluck Wasser und bat das restliche Wasser für einen unerhörten Preis bei ihm zu erwerben.
- Ein Tausch wäre auch möglich – schätzte er meine finanzielle Lage ein – was haben Sie, oh Verehrter anzubieten?
- Ich bin ein Traumverkäufer und handle mit Träumen. Ich bekomme einen goldenen Dinar vorher und so viele goldene Dinare nachher, je nachdem wie viel dir der Traum Wert war.
- Na-na – der Wasserhändler schüttelte mit dem Kopf – ich kann doch keine Katze im Sack kaufen. Ich kann einen Traum ausprobieren und wenn er gut war, bezahle ich auch gern mit Wasser.
- Abgemacht! Was machst du mit den Brunnen wenn du schläfst?
- Da passt entweder meine Frau oder mein Sohn auf oder ich mache den Deckel zu und hänge ein großes Schloss daran. Keiner bekommt mein Wasser umsonst.
Ich empfahl ihm heute Nachmittag und am Abend keinen Tropfen Wasser mehr in den Mund zu nehmen und so auch schlafen zu gehen. Der Wasserverkäufer war einverstanden und ich lief die Straße weiter, wo ich später auch die arme Frau traf.

Der Wasserhändler hielt sich an unsere Abmachung. Er verkaufte weiterhin sein Wasser, doch trotz aller Hitze trank er selber keinen einzigen Schluck davon. Nun merkte er wie kostbar seine Ware war, wenn man richtigen Durst hat und verdoppelte den Preis. Spät am Abend ging er ins Bett und träumte einen wunderschönen Traum:

Er war ein Sultan und lebte in einem prächtigen Palast, der von einen hohen, kunstvollen Gitterzaun umkreist war. Prächtige Bäume wuchsen dort und Fontänen schlugen aus der Erde. Ein Wasserbecken zum schwimmen stand vor seinem Haupteingang, er war reich, jung und gesund. Die Jahre vergingen und der junge Sultan wollte heiraten. Er befahl seinen Hofleuten ihn zu begleiten, und verließ seinen prächtigen Palast. Doch das, was er draußen sah, ließ sein Herz stehen bleiben. Die Straßen der Stadt waren menschenleer und nur der Sand wehte durch die Gegend. Die Märkte waren still und kein Vogel erhob die Stimme. Alles war dürr und trocken und der Sultan mit seiner Begleitung war allein in einer riesigen Wüste.

Erschrocken erwachte der Wasserhändler und trank als erstes viel Wasser. Seit dieser Nacht verkaufte er kein Wasser mehr, sondern schenkte es den Menschen und passte auf, dass jeder Dorfbewohner seine Portion gerecht erhielt. Für seine Taten wurde er sehr respektiert und geliebt.

Die Glöckchen klingeln… ach ja! Ich stehe immer noch schweigend dem Steuereintreiber gegenüber, doch irgendwas hat sich verändert. Die Glöckchen! Da ist die junge Frau, die zu mir eilt. Sie gibt mir das Armband zurück und bedankt sich für den Traum.
- Ich kann jetzt mein Leben schätzen – sagt sie und ihre Augen lachen.
Das freut mich sehr und die Frau geht wieder. Doch jetzt kommt der Wasserhändler und gibt mir eine Flasche Wasser: „Ich halte mich an unsere Abmachung, der Traum war es Wert!“
Der dicke Steuereintreiber schaut verwundert zu: „Na deine Träume scheinen doch was in sich zu haben! Wenn du mir einen schönen Traum gibst, erlasse ich deine Steuer!“
Ich bin einverstanden und wir gehen in den Schatten. Der Dicke befestigt eine Hängematte zw. den Bäumen und legt sich hinein. Ich setze mich auf die Erde, lehne mich an einen Baum, hole eine flache Handtrommel heraus und fange an zu spielen und zu singen. Ich singe in einer mir unbekannten Sprache und höre eine Stimme, die mir das Ganze in Prosa übersetzt:
„die Wüste ist groß, die Karawanen sind lang, sie gehen und gehen und das hat kein Ende…“
Meine Stimme klingt hoch und fröhlich, doch der Dicke schläft trotz meinem Geschrei ein. Und er träumt von der Wüste und er sieht die Karawane. Er fliegt höher und höher und sieht das Meer und die Schiffe, die als Karawane das grenzenlose Meer überqueren. Er fliegt noch höher und sieht andere Länder und andere Städte und andere Steuereintreiber und andere Traumverkäufer. „Das ist der Sand der Wüste, das sind die Tropfen des Meeres…“ –singt er plötzlich mit. Er ist aufgewacht, lacht und singt: „Der Weg ist weit, kein Ende, kein Anfang – wo sind Sie auf diesem Weg, O Erhabener?“ Ich singe ihm die Antwort: „Ich bin noch ganz am Anfang, keine Spur habe ich im Sand gelassen, kein Staub ist auf meinen Halat gefallen, denn hier ist das Ende“
Wir setzen in unseren singenden Dialog ein und mich freut es sehr, einen Suchenden vor mir zu haben.


Der Pfahl



Man glaubt ja nicht, was alles passieren kann: der Herrscher der Zeit, selbst gefangen in einer Endlosschleife, versklavt von den eigenen Wünschen hütet seine Uhr, als wäre sie das Kostbarste auf der ganzen Welt…




In unserem Dorf lief das Leben immer im Kreis: am Morgen, so gegen 4 wurden die Hühner wach, sie weckten die Kühe, die Menschen und die Sonne. Die Kühe wurden gemelkt und auf die Straße rausgeschickt. Dort lief Micha, der Hirte und pfiff sie zusammen. Der Himmel war blau, das Gras war grün und saftig und am Brunnen trafen sich die Frauen. Es war Sommer, ich weiß nicht warum, aber es war Sommer und es war sehr warm. Die Pferde kühlten sich am Fluss ab und die Fliegen waren allgegenwärtig. Am Abend standen die Kühe wieder am Haus vorm Tor und riefen tief und laut. Sie wurden rein gelassen und wieder gemelkt. So wie jeden Tag.

Doch an diesem Tag passierte etwas Ungewöhnliches: gegen Mittag kamen Bauarbeiter mit einem langen Lastwagen und brachten einen Pfahl mit. Wir, Kinder und auch der alte Fedor eilten hinterher. Die Bauarbeiter waren definitiv aus der Großstadt, vielleicht sogar aus der Hauptstadt, denn sie trugen weiße Hose und weiße Jacken, als wären sie Ärzte. Der riesige Lastwagen war weiß, genauso wie der unglaublich lange Pfahl, den sie mitbrachten. Der alte Fedor schüttelte nur mit dem Kopf und sprach wichtig zu uns: „der Bastschuh passt zur Kuh und die Stiefel zum tanzen“. Entgegen seinen Erwartungen blieben die Bauarbeiter aber immer weiß. Sie rauchten nicht, tranken kein Bier, fluchten nicht mal und legten sonst ein recht merkwürdiges Verhalten an den Tag. Der Pfahl wurde vom Lastwagenkran in die Höhe gehoben und am Rand des Dorfes, mitten auf der Wiese in die Erde rein gedonnert. So stand er da, absolut weltfremd, total glatt, etwas dicker in der Mitte und schneeweiß. Groß war er, viel größer als die Häuser und die Bäume, ganz groß. Der alte Fedor schüttelte Tabak in die Pfeife und fragte langsam und würdevoll nach den aktuellen Preisen in der Stadt und ob dort auch eine gute Ernte zustande kommt. Doch die Bauarbeiter richteten schweigsam den Pfahl aus, befestigten ihn und setzten sich wieder in den Lastwagen. Keiner sagte, was dieser Pfahl zu bedeuten hat, warum er ausgerechnet hier aufgestellt wurde, ob das überall so gemacht wurde oder nicht… da konnten wir nur rätseln.

Als am Abend alle Kühe gemelkt wurden und die Männer von der schweren Feldarbeit zurückkamen, versammelte sich das ganze Dorf um den Pfahl. Weiß stand er da, von keinem Hund angepinkelt, von keinem Vogel verunreinigt, nicht mal die Strahlen der untergehenden Sonne könnten ihn verfärben. Jeder versuchte irgendwie sein Dasein zu erklären: Einer sagte, es sein ein Denkmal, ein Obelisk; der Andere – es sei ein Fernsehmast, der Dritte behauptete das ist eine Wetterstation. Doch wir Kinder wussten, dass es weder das eine noch das andere war und ehrlich gesagt glaube ich, dass die Erwachsenen auch so dachten. Im Abendgrauen fing der Pfahl plötzlich an, sich zu drehen. Zuerst langsam, gegen den Uhrzeigersinn, dann schneller und schneller. Ein erstauntes „Oh!“ ging durch die Versammlung und wir traten einen Schritt zurück. Gebannt schauten wir dem Pfahl zu und wohl keiner merkte, dass die Wildtiere aus dem Wald hervorkamen und hinter den Rücken der Menschen ebenfalls den Pfahl anstarrten.

Der Pfahl drehte sich und seine Bewegungen waren auch seltsam. Er quietschte nicht wie die Walze des Brunnens, man konnte keine Trennlinie bei ihm sehen und keine Ursache für seine Bewegung feststellen. Auf einmal kam von der Spitze des Pfahles eine dunkellila Farbe. Sie folgte den Drehungen und rutschte in einer Spirale den Pfahl herunter. Dabei verfärbte er sich rot, gelb, grün, rosa… hypnotisiert von dieser atemberaubenden Schönheit könnte sich keiner mehr vom Fleck bewegen. Der ganze Pfahl leuchtete und spielte mit allen möglichen und unmöglichen Farben, veränderte sie augenblicklich, mixte daraus fantastische Kombinationen und kreierte wilde Szenen…
Genauso unerwartet blieb der Pfahl stehen, wieder weiß und unbefleckt, als wäre das alles nur ein Traum. Die Tiere kamen als erste zu sich und eilten zurück in die Wälder. Wir standen noch lange da und keiner wagte irgendwas zu sagen. So ging jeder nach Haus, schweigsam der exotischen Farbenpracht nachgehend.

Am nächsten Tag verschliefen zum ersten Mal die Hühner. Die Sonne steckte in den Wolken und die Kühe wurden erst gegen Mittag gemelkt. Der Hirt Micha sammelte sie ein, doch heute pfiff er nicht und seine Peitsche blieb am Gürtel hängen. Wir Kinder hatten das Gefühl, als hätten wir Stroh im Kopf und jeder wünschte sich, er hätte nie diesen Pfahl gesehen und doch wartete jeder ungeduldig auf Sonnenuntergang.
Als die Kühe am Abend von der Last der Milch befreit wurden, durften sie ihren Stall verlassen. Sie gingen schnurgerade zur Wiese am Rand des Dorfes, dorthin wo der schneeweiße Pfahl steckte und wo es sich die wilden Tiere schon gemütlich machten. Die Menschen quetschten sich dazwischen und es herrschte eine unausgesprochene Vereinbarung, sich vor diesen (schon recht unglaublichen) Umständen nicht zu wundern.
Wie gestern auch, fing der Pfahl sich gegen den Uhrzeigersinn an zudrehen. Doch diesmal kam keine Farbe heraus, sondern… ich kann es nicht beschreiben. Seine Weiße, sein Unberührt sein und die Weltfremdheit tanzten nebelartig um ihn herum und zogen jeden von uns in ihre Bahn.
Tiere, Alte, Kinder – alle gingen in diesem Nebel verloren… doch der Pfahl stach mit seiner Spitze eine Öffnung und wir fielen von Himmel herunter!

Über eine riesengroße Menge von Wasser hingen wir wie die Puppen im Theater. Kein Ufer war in Sicht und meine Beine baumelten in Wellen. Eine herrliche Weite – nur blaues Wasser und frischer Wind! Es war für uns, Dorfmenschen und Dorf-Waldtiere eine fremde und gleichzeitig vertraute Schönheit. Dieses Gefühl hat man auch wenn man tief in die Wälder geht und keine Häuser, keine menschlichen Spuren mehr sieht…
Der Pfahl öffnete sich und schlug ein Segel auf. Er zog uns weiter und das Wasser unter uns wurde heller, es wurde grün, hellgrün und noch heller. Der Ozean wurde weiß, sogar milchweiß. Milchfarbige Wellen schlugen jetzt nur langsam, als wären sie aus Sahne. So war das auch! Ich sprang ab und lief auf den Schmand des Ozeans. Der Pfahl führte uns zu einer Insel. Die Insel war aus reiner Butter, die Insel, wo alles begann. Ich sah den schneeweißen Sahneberg und wusste, unser Weg führt uns dorthin.

Dann wachte ich auf.




Im Land der erleuchteten Fliegen



Ein Junge, ein buddhistischer Mönch konnte nicht meditieren, da ihn eine Fliege dabei störte. Verärgert über das Insekt und besorgt über die nur schleppend fortschreitende geistige Entwicklung bat er den Meister um Audienz. Der Meister durchschaute ihn sofort, er bückte sich vor und flüstere dem Jungen ins Ohr: „die Fliegen sind erleuchtet!“ Dabei machte er eine zutiefst feierliche Mine.

Der Junge ging heraus und dachte darüber nach. Seit dem hat man ihm nur selten bei der Meditation gesehen. Den ganzen Tag beobachtete er die Fliegen und sprach mit den anderen Mönchen darüber. Die jungen Mönche sagten, dass diese Bestien nerven, die Alten erfahrenen berichteten erhaben, dass sie in Samadhi-Zustand keine Fliegen mehr spüren und einer hüpfte auf dem Hof mit den Fliegen, als würde er mit diesen spielen. Wie ein Verrückter sang dieser Mönch, in diesem Lied bedankte er sich bei den Brummern, wer weiß wieso.
Der Junge schaute weiter. Die Fliegen flogen hin und her, aber am meisten waren sie in der Küche. Der Junge ging dorthin und entdeckte den alten Bje, den Koch, an dem die meisten Fliegen saßen. Der alte Bje schaute ihn an und in diesem Moment veränderte sich das Leben des jungen Mönches. Denn er erblickte einen Bodhisattva, einen unsterblichen Fliegengott! Er sendete mit Fliegen seine Nachrichten und weckte die bei der Meditation einschlafenden Neulinge auf, ließ die stumpfsinnigen Mönche bekacken und gab die Informationen an weitere Bodhisattvas durch den universellen Verrückten, der mit den Fliegen im Hof tanzte. Auf einmal sah der Junge dieses ganze System. Der Verrückte nahm alles womit er in Berührung kam auf, und leitete diese Impulse ungehindert auf eine andere Ebene. Der Tautropfen auf seiner Wange ging in die Blume über, der Wind kehrte den Hof und brachte Post aus einem entfernten Tempel.
Nun einen Bodhisattva zu erblicken ist gleich wie ein Million im Lotto zugewinnen, sogar noch besser. Überglücklich trat der Junge vor und bat ihm um einen Rat.
- Deine Gedanken sind wie die Fliegen. Sie machen in deinem Kopf was sie wollen. Mal fliegen sie durcheinander los, mal landen sie… schau bei mir ist jede Fliege bewusst. Sie fliegt und macht genau das, was sie erledigen soll.
- Schön, aber das hilft mir nicht weiter…

Doch Bodhisattva schaute ihn wieder an und der Junge fühlte, wie sich seine eigenen Gedanken in Fliegen verwandelten. Und dann… und dann starteten sie alle auf einmal und verließen seinen Kopf. Als sie zurückkehrten verstand der Junge was es bedeutet – zu meditieren.
Er ging ins Zimmer und meditierte: ließ die Fliegen hoch starten und wieder landen. Er schickte sie einzeln und paarweise, in Reihen und gemischt. Er dressierte sie nicht, er SELBST WAR jede von diesen Insekten. Er SPÜRTE sich im fliegen zunehmend besser und besser.

Am nächsten Morgen gab es kein Frühstück. Die erstaunlichen Mönche gingen in die Küche. Dort sahen sie den Jungen. Er öffnete seine Augen und verabschiedete sich. Dann schloss er seine Augen wieder zu. Eine Fliege, dann eine andere kamen angeflogen und setzten sich auf sein Gesicht. Und dann kamen noch mehr Fliegen, sie bedeckten seinen ganzen Körper, von oben bis unten…
Plötzlich flogen sie alle weg – und der Junge war nirgends zu sehen.



Dreamcar – eine Zeitmaschine




Reise in die Zukunft



Teil 1: Das Jahr 2507



Ich habe mein „Dreamcar“ zu einer Zeitmaschine umgebaut. Nichts kompliziertes, einfach vorne eine Skala mit einem Null für die Gegenwart und die Möglichkeit den Regler auf der Skala in die Vergangenheit oder die Zukunft zu schieben. Zuerst würde ich gern erfahren, wie die Zukunft der Erde aussehen wird. Ich schiebe den Regler auf 2507 und starte ins Abenteuer.



Also, es ist das Jahr 2507 und ich werde in meinem Dreamcar aus einer Wolke herauskatapultiert. Von dem Zeitsprung bekam Dreamcar einen Schaden, er verwandelte sich in eine Konserve, fliegt aber funktionsgemäß über die Erde. Ich stehe am Steuer und schaue über den Rand: aus der Höhe von etwa 10 Kilometern sieht die Erde herrlich grün aus. Ich verspüre eine Erleichterung, unsere Nachkommen haben also die Erde noch nicht vergiftet. Ich fliege noch tiefer und genieße diese Pracht der Bäumen und Gräser. Das Grün ist sehr REM verdächtig, intensiv, ach was soll’s, das ist ja die Zukunft! Um mich herum fliegen und schweben jetzt andere Flugobjekte und ein Typ zeigt mir, dass ich ihm folgen soll. Wir landen auf einer Wiese und dieser Typ stellt sich als Sem vor.

Mich interessiert nun wie die Menschen leben, was sie machen usw., usf. Sem wird mein Begleiter, er berichtet mir, dass jeder Mensch auf der Erde einen Chip in den Kopf implantiert bekommt und dadurch mittels Internet immer mit anderen Menschen verbunden ist. (er schaut meinen Kopf an, wo ich meinen Chip trage. Ich vermittle ihm telepathisch, dass er sich um mich keine Sorgen machen soll). Na ja, dieser Chip wird halt über die körpereigene Elektrizität betrieben und die Körperoberfläche dient gleichzeitig auch als Antenne. Die Menschen bewegen sich viel, das ist gesund und erzeugt zusätzliche Energie. Sprachbarrieren scheinen auch überwunden zu sein, ja, bestätigt mir Sem, eine leistungsstarke Übersetzungssoftware kümmert sich darum.

Städte sind nirgends mehr zu sehen, ihre Existenz war früher für den schnellen Austausch zw. Menschen notwendig, mittlerweile wurden sie auseinandergebaut und bepflanzt. Tolle Sache!

Überhaupt sehe ich keine Menschen Drumherum. Sem lädt mich zu einer Versammlung ein. „Versammlung“ ist ein kultivierter Rasen, eine Art von Universität oder Parlament, wo sich die Profis life treffen und gemeinsam trinken oder Reden halten. Ich bin dort offensichtlich eine Sensation, sie kennen noch keinen Zeitreisenden und präsentieren mir stolz und nacheinander, was die Menschheit alles so geschaffen hat. Nun merke ich zwischen all diesen Präsentationen, die in meinem Kopf von Profis abgespielt werden, dass die Menschen (wohl vergeistigt und liebevoll) nicht besonders zahlreich und ziemlich alt sind. Ich und Sem sind hier die Jüngsten (und dabei bin ich schon nicht mehr der Jüngste). Ich unterbreche die feierliche Rede und hake nach. Es ist tatsächlich ein Problem, die Geburtsrate ist sehr niedrig, „dafür aber leben wir seeeehr lange“ – das scheint die Profis gar nicht zu stören. – „...und wir können auf die geistige Entwicklung eines jeden einzelnen Individuums sorgfältig eingehen. So verbraucht die Menschheit weniger Ressourcen, es gibt keine Kriminalität und jeder kann glücklich leben“. Überzeugt bin ich nicht, lasse mich aber von der tollen Rede weiter beschallen. Wieder ein Lobgesang, diesmal für den leider bereits verstorbenen Prof. Langher.
„dieser Mann repräsentiert das Gesicht unserer Zivilisation! (es wird sein Denkmal eingeblendet) In seinen Untersuchungen kam er auf eine geniale Entdeckung...“ Es folgt eine mathematische Darstellung...
Nun ja, kurz zusammengefasst dieser Typ, Langher, war ein Linguist und Mathematiker. Er erstellte einen Koeffizient, der die Veränderungen der Sprache in der Abhängigkeit von der Entfernung abbildete. Er hat beobachtet, dass im Allgemeinen je größer die Entfernung zw. Volksgruppen war, desto mehr hat sich die Sprache des Menschen unterschieden. Als Beispiel führte der Redner an, dass der Sprachunterschied zw. den Deutschen und Schweizern damals nicht so groß war, wie zw. den Deutschen und Chinesen. Die Chinesen wiederum ähnelten im Aufbau ihrer Sprache den Japanern mehr. Langher ging noch einen Schritt weiter und entwickelte auf der Basis dieses Koeffizienten ein Computerprogramm, das den Klang sowie die Struktur der Sprache auch in noch unbekannten Regionen vorhersagen kann.

Die Vermittlung des Wissens scheint die Hauptbeschäftigung der Menschen hier zu sein. Aber ich konnte diesen ewigen mathematischen Ausführungen nicht mehr folgen. Eins ist mir klar: in der Zukunft programmiert jeder irgendetwas.

Na gut, ich konzentriere mich wieder auf den Vortrag. Was bedeutet eigentlich „in noch unbekannten Regionen“?
- Das heißt, dass dieses Programm für fremde Zivilisationen von anderen Planeten bestimmt wurde. – bekam ich als Antwort.
- Und, wurden die fremden Zivilisationen auf anderen Planeten schon entdeckt?
- Ja! Unmittelbar hinter Alpha Centauri befindet sich ein sogenannter Zwillingsplanet. Diese Entdeckung ist eine glänzende Leistung des berühmtes...
- Ja, ja ist schon klar. Und wart ihr schon dort?
- Alpha Centauri ist 4,4 Lichtjahre entfernt! Natürlich nicht!
- Na ja, könnte ja sein. Dann habe ich einen Vorschlag: ich nehme dieses Sprachprogramm und düse hinter Alpha Centauri, mal schauen, was die Typen dort so treiben.
- Das ist unmöglich, sogar mit modernsten Technologien wird das eine Ewigkeit dauern!
- Mit euren Technologien schon, aber nicht mit meinem Dreamcar!
- Du willst mit dieser Konserve durch das Weltall fliegen?
- (ich fange an selbst zu zweifeln) ...Moment mal, das ist doch eine Zeitmaschine. Wir können sie in euer Raumschiff stellen und dann wird für mich die Ewigkeit der Reise nur eine Minute sein. In 5 Minuten bin ich dann schon wieder zurück!

Sem unterstützt mich begeistert bei meinem Vorhaben und ich kriege ein Raumschiff zugeteilt. So steige ich in meine alte Dose und werde damit ins Raumschiff verfrachtet.

Teil 2: Hinteralphacentauria!



Damit mir während der kurzen Reise keine Minute verloren geht, ziehe ich einen Taschencomputer heraus, um ein wenig Hinteralphacentaurianisch zu lernen. Na ja, ein Sprachgenie bin ich noch nie gewesen und das Hinteralphacentaurianisch entpuppt sich als wilde Mischung zw. Kratzgeräuschen und unregelmäßigen klopfen mit den Handflächen auf dem Tisch. Kein Wunder, das ist doch verdammt weit weg!

Den Taschencomputer kann ich gleich anlassen, da das Raumschiff schon angekommen ist. Das ging aber schnell! Ich steige aus und sehe die wunderschönen grünen Felder der Hinteralphacentauria. Da eilen mir schon zwei Hinteralphacentaurianer entgegen. Sie sehen ganz normal humanoid aus und ich befreie mich von meinem Raumanzug.

Es ist also geschehen, die erste Interaktion mit Außerirdischen findet tatsächlich statt! Ich starte mein Sprachprogramm:
- „quighrmh- bumbum!“ - das soll heißen: „Der Erdling grüßt euch“
- Don, du bist schon zurück? Es sind ja nicht mehr als 2 Minuten vergangen! – Sem ist ganz außer Atem. - Wie war es auf dem Hinteralphacentauria?

Hinteralphacentauria! Mein Taschenrechner quietscht weiter über Liebe und Zusammenhalt von allen humanoiden und nichthumanoiden Rassen im Universum und ich stehe da wie das berühmte Denkmal vom genialen Prof. Langher. Habe ich was verpennt?

- Sem, mein Kumpel, was machst DU hier?
- Ich warte bist du zurückkehrst, was sonst. Und schalte bitte deinen Taschencomputer aus, das nervt.

Ich schalte den Computer aus und reiße mich zusammen.
- Sem, du altes Haus, stell dir vor, du befindest dich bereits auf Hinteralphacentauria!
- Worauf willst du hinaus?
- Zwillingsplanet, mein Lieber, Zwillingsplanet! Du musst mir glauben!
- Don, die Reise hat dein Gehirn stark beeinträchtigt, du bist auf der Erde, siehst du das etwa nicht?

So, jetzt muss ich stark nachdenken. Wer hat Recht, er oder ich? Was ist die Wahrheit? Meine Erinnerungen oder die Tatsache?

Teil 3: Zurück nach Hause



Meine Erinnerungen natürlich! Die Versammlung der Profis wirkt unruhig und mir schwebt schon eine geschlossene Station in der Psychiatrie vor.

- Sem, ich kann beweisen, dass das hier Hinteralphacentauria ist, komm mit an Bord des Raumschiffes!

Wir gehen ins Raumschiff, dort wo die automatische Steuerung im Notfall auch manuell geführt werden kann. Auf einem Monitor ist das Universum abgebildet und die Lage unseres Schiffes. Zweifelsohne befinden wir uns auf Hinteralphacentauria. Sem überprüft die Logfile des Fluges – alles stimmt. Diese Erde hier ist (betrachtet von der Erde da drüben) tatsächlich eine Hinteralphacentauria!

- Und wir haben dorthin einen Don Rinatos geschickt... - pfeift Sem verblüfft. – ich hätte nie gedacht, dass ich auf einer Hinteralphacentauria leben werde. Herzlich willkommen, o außerirdischer Reisende! Gib mir dein Taschenrechner, ich werde ihm einen Denkmal in den Arsch stecken. Was hast du jetzt vor?
- Nun, ich nehme an, ich habe hier schon alles gesehen. Dann fliege ich einfach zurück nach Hause. Viele Grüße an die hinteralphacentaurische Versammlung!

Sem steigt aus und ich starte das Raumschiff. Eine Minute später befinde ich mich schon wieder auf der Erde. Sem ist natürlich da, und die Frage: „Wie war es auf dem Hinteralphacentauria? stellt er nicht mehr.

Ich habe kein Bock auf verwirrte Fragen von Profis aus der Erdversammlung, bin schon nicht mehr so klar und fliege mit meiner Konserve zurück in die Vergangenheit.


Die Bibliothek von Alexandria




Verschollene Erinnerungen



Ich bin startklar, setze mich ins Dreamcar hinein und schiebe den Zeitzeiger auf das Jahr 47 v.Chr. In diesem Augenblick läuft eine Blondine über die Straße. Ich sehe nur Ihren Rücken und 2 geflochtene Zöpfe. Konzentration! Mein Ziel ist heute die berühmte Bibliothek der Antike, die Bibliothek von Alexandria. Ich fummele noch eine Weile am Zeitzeiger und als ich wieder aus dem Fenster schaue, sehe ich die Blondine schon auf der anderen Straßenseite. Dieselbe Frau in Alexandria? Nein, ich befinde mich immer noch in der Gegenwart, auf der Straße in meinem Dreamcar. Die Zeitmaschine steht und ich habe ein komisches Gefühl. Irgendwas stimmt hier nicht. Die Frau war zuerst auf meiner Straßenseite, dann wendete ich mich zum Zeitzeiger und schon sehe ich die Frau auf der anderen Seite. Hat sie es so schnell geschafft dorthin zu kommen? Warum nicht? Mir wird es richtig unheimlich. Ich kann es nicht erklären, aber es ist etwas faul in meinen logischen Folgerungen. Ich schaue die Straße genauer an: ja, das ist dieselbe Straße. Nein, sie sieht anders aus. Eine andere Perspektive. Warum? Ich habe auf der anderen Seite geparkt! Was heißt das? In diesem Augenblick, wo ich nach unten schaute, drehte sich mein Dreamcar mit mir zusammen und stellte sich auf die andere Straßenseite? Und die Frau blieb dabei dort wo sie war? Davon habe ich aber nichts mitgekriegt. Nicht gut. So wird das nichts aus mit meiner Reise in die Vergangenheit. Ich lasse meine Finger vom Dreamcar und begebe mich lieber in trübe Träume.

Dort erzähle ich meinem Freund M, dass ich in der Bibliothek von Alexandria gewesen bin und die Papierusrollen gelesen habe. Er fragt mich neugierig aus, ob ich auch die Bibel gesehen habe. Ja habe ich, allerdings war dort nicht die ganze, bloß das Alte Testament. Ach ja und noch Tora, ich habe Tora gelesen, doch die beiden waren nicht so der Hit...



Ich wache schließlich auf, doch dieses komische Gefühl, dass ich irgendwas verpasst habe bleibt noch den ganzen Vormittag. Ich war verwirrt und unbefriedigt: warum funktionierte mein Dreamcar nicht und woher wusste ich über die Bibliothek Bescheid, was war das für eine Frau und wieso habe ich so einen schweren Kopf?

Na ja, komische Träume halt. Dem Alltag muss auch nachgegangen werden und ich nehme mir vor, später die Reise zu wiederholen.
Am Abend, auf dem Weg nach Hause, steige ich in die längste Straßenbahn der Welt. Alles ist leer. Kein einziger Mensch in der ganzen Straßenbahn. Komisch. Ich gehe nach hinten und setze mich auf einen Platz. Die Fahrt wirkt irgendwie surreal. Die Bahn fährt doch ins Zentrum, wieso steigt keiner ein? Der Fahrer kümmert sich nicht mehr um die Haltestellen und die Bahn rast vorwärts. Das seltsame Gefühl aus dem Traum umhüllt mich wieder. Das ist gut. Ich springe auf und renne zu der Tür. Stopp! Ich drücke den Knopf. Die Straßenbahn bleibt unwillentlich stehen und ich steige aus. Viel zu früh, aber das spielt keine Rolle mehr, ich laufe wie ein Tiger, der sein Opfer gewittert hat. Nicht der Kopf, die kaum bewusste Intuition führt mich über die Straße, über das Gelände auf einen Platz mit der großen Fontäne in der Mitte. Stopp! Ist das die Fontäne? Nein. Die Häuser? Nicht. Ich stehe da und die Autos fahren über die Pflastersteine. Das ist dieser Platz, der mich anzieht! Seine Größe und sein sternförmiger Aufbau sind wie… sind wie…

Die Blockade bricht durch und ich sehe vor meinen inneren Augen mitten in Dresden die wunderschöne, mit dem Sonnenlicht überströmte Alexandria. Ich war tatsächlich dort! Ich sehe die Stadt, ich sehe den Hafen, die legendäre Bibliothek und einen Mann von Papyrusrollen umgeben, mit einer Fackel in der Hand. Ich erschrecke: das bin ja ICH! Ich erschrecke mich, denn ich weiß, was der Mann vorhat. Im nächsten Augenblick werde ich Tausende von Büchern in Brand setzen.



Ein Tag vor dem großen Brand



Allein wäre Dimitrios nie auf diese absurde Idee gekommen. Der Hauptverwalter in der Bibliothek war ein wahrer Bücherverehrer. Ich, als sein stellvertretender Vertreter arbeitete mich schnell hoch, und wurde zuerst seine linke und dann sogar seine rechte Hand. Wir wuchsen aus der Chef-Angestellten Beziehung heraus und wurden einfach dicke Freunde.

Irgendwann verriet ich Dimitrios, dass die Bibliothek nicht länger existierten wird, wenn Cäsar mit seinen Schiffen hier aufkreutzt. Das Hauptproblem dieser Büchersammlung war, dass sie ein Symbol der Macht darstellte, jener Macht, die das beste Wissen dieser Zeiten in sich trug. Für Cäsar war sie wie ein Dorn im Auge, ein Zeichen der Unsterblichkeit der feinen griechischen Kultur und der Minderwertigkeit der römischen.
„Wenn ein Mensch ein Wunsch hat, soll er diesen auch erfüllen können“ – ich schlug Dimitrios ein Plan vor, wie man einerseits Cäsar befriedigen und andererseits die Bibliothek retten kann.
- Wir haben hier in etwa 500tausend Bücher – als stellvertretender Vertreter wusste ich bestens Bescheid. - davon sind ca. 100tausend entweder völlig sinnlos, oder befinden sich in so einen schlechten Zustand, dass sie eh keiner mehr lesen kann. Wenn wir dieses Teil in der Bibliothek am Hafen lassen und den Rest geheim evakuieren, dann kann sich Cäsar hier austoben wie er will.
- Wie willst du 400tausend Papyrusrollen unbemerkt transportieren? Keiner weiß, ob in der Stadt die Leute von Cäsar rumschnüffeln.
- Überlass das mir!
- (Dimitrios schaute mich verdächtig an). Wann kommt Cäsar?
- Ich schätze sehr bald, wir müssen uns beeilen!

Einer der größten Umzüge aller Zeiten ist leider nicht in die Geschichte eingegangen. Keiner wusste darüber Bescheid, nicht mal ich selbst. Und das war gut so.

Cäsar tauchte mit seiner Flotte in der Nacht auf. Er griff die Schiffe des Königs Ptolemaios an und ließ sie mit Feuerpfeilen beschießen. Sein Ziel war eindeutig die Bibliothek, doch er kam nicht näher, denn die ptolemäischen Kämpfer leisteten erbitterten Widerstand. „Cäsar wird sich nicht beruhigen, bevor er nicht die Bibliothek zerstört hat. Es wurde genug Blut vergossen!“, sagte ich zu Dimitrios und rannte mit einer Fackel zu den Büchern. Als das nächste ptolemäische Schiff in Brand gesetzt wurde, steckte ich die Bibliothek in Brand. Der Trick schien zu funktionieren, denn Cäsars Schiffe kehrten um und er ließ Alexandria in Ruhe.
- Das soll wirklich keiner erfahren – sprach Dimitrios mit gesenkter Stimme.
- Sei unbesorgt – antwortete ich – ich werde sogar meine Erinnerungen darüber vergraben. Leb wohl und bewahre deine Bücher in den nächsten 300 Jahren gut!
Ich ging aus der Stadt heraus, pumpte mein Dreamcar auf, setzte mich hinein und wendete noch mal dieselbe Formel an, mit der ich die Bücher teleportiert habe. Doch diesmal wurde sie für meine Erinnerungen bestimmt.

Fünf Tage vor dem großen Brand



Mein Dreamcar landet auf dem Hauptplatz von Alexandria. Es ist eine sonnige Stadt, der Hauptplatz wirkt riesig, die Gebäude sind mit weißem Marmor verkleidet und sind nicht so verkommen wie in den Geschichtsbüchern. Alles ist neu, viele Baustellen zeigen, dass hier gerne gebaut wird. Keiner ist da, ich schiebe es auf die Mittagshitze und beeile mich die Luft aus dem Dreamcar raus zulassen, bevor jemand seine ungewöhnliche Erscheinung merkt. Wo ist die Bibliothek? Im Internet stand etwas über den Hafen. Doch ich sehe bereits am Hauptplatz ein solides Gebäude und gehe dorthin. Zwei Wächter kreuzen ihre Speere vor meiner Nase und fragen, was ich hier zu suchen habe. Hä? Von wegen die erste öffentliche Bibliothek! Lasst mich hinein, ich will meine Dienste anbieten!
- 2 Schriftrollen sind der Eintrittspreis, dann kannst du mit dem stellvertretenden Vertreter reden.
- Stellvertretendem was? Das ist ja die erste öffentliche Bürokratieeinrichtung! – na gut, ich zaubere ein paar Papyrusrollen aus meiner Tasche und gebe sie dem Wächter. - Homer, wenn ich mich nicht irre, ihr steht doch alle auf Homer?
- Der stellvertretende Vertreter wird gerufen.
Na toll, ich werde immer noch draußen gehalten, bei dieser Hitze! Der Vertreter kommt eine halbe Stunde später. Er ist dick und sieht so aus, als hätte er ein Mittagspäuschen gehabt.
- Was willst du?
- Ich bin ein Gelehrter aus einem fernen Land, viel habe ich über ihre einmalige Bibliothek gehört und bin nun hierher gepilgert in der Hoffnung meine Kenntnisse der menschlichen Psyche anzubieten.
- Ja. Wie viele Fremdsprachen kannst du?
- Äh… alle – (zumindest im Klartraum)
- Komm mit. Er führt mich in einen Nebenflur und zeigt eine Papyrusrolle. Griechisch! Kein Problem, ich lese vor. Dann bekomme ich andere Schriften und kann auch mühelos aus dem Kopf rekonstruieren was dort so alles stehen könnte. Der Vertreter wirkt sichtlich zufriedener und gibt mir eine Ordnungstunike.
- Du bist jetzt ein alexandriescher Übersetzer!

Endlich bin ich drin! Toll! Ich greife die erste liegende Papyrusrolle und fange an zu lesen. Hmm… Steuerbescheinigung. Mal sehen weiter…
Nach einigen Stunden Suche gebe ich auf. Alles ist in dieser Bibliothek zu finden: Baupläne und Preislisten, Verordnungen des Königs und sonstiger Kram. Ja, was habe ich erwartet? Zu dieser Zeit gab es nicht so viele echte feine Bücher. Klar, für einen Historiker wäre das eine Schatzgrube, aber ich fühlte mich ein bisschen verarscht. Ich ging weiter und schaute mir das Gebäude an. Überall arbeiteten Hunderte von Kopierer. Sie waren hier in der Bibliothek wohl ganz unten auf der Nahrungskette. Diese armen Menschen mussten den ganzen Tag Bücher abschreiben. Etwas besser ging es den Übersetzern, völlig in Ordnung fühlten sich die Verwalter und in einer ganz gehobenen Position befanden sich die Philosophen.

Nicht so dass in der Bibliothek eine Ordnung herrschte. Sogar umgekehrt, überall auf den Regalen, auf den Stehpulten und einfach auf dem Fußboden waren Papyrusrollen verbreitet. Auf der Suche nach etwas lesenswertem und besonders nach einem speziellen Magiebuch, schlage ich mich tiefer in das Innere der Bibliothek durch. Na ja, das Beste was hier gemacht wurde, war, dass die Bücher in Häufchen lagen. Thematische Häufchen, muss man sagen. Meistens ist ein Häufchen einfach ein Buch, das aus mehreren Papyrusrollen besteht. Die Suche nach einem geeigneten Buch ist ohne den stellvertretenden Vertreter praktisch unmöglich. Versuche doch mal jede Rolle auszurollen, zu lesen, festzustellen, dass es Humbug ist und dann wieder zusammenzurollen! Die Alexandrier hatten vielleicht alle Zeit der Welt, doch meine Klarheit ist nur dünn aufgetragen. Also latsche ich zurück zu dem stellvertretenden Vertreter und äußere meine Unzufriedenheit.
- Kann man hier nicht ein wenig aufräumen?
- Aufräumen? – Der Vertreter schaut mich verständnislos an – das liegt doch schon alles in den Räumen.
- Nein, ich meine vielleicht kann man die Rollen mit Etiketten versehen, wo die Namen von den Autoren stehen und der Titel und eine Kurzbeschreibung oder so. Dann sieht man gleich, ob das Schrott ist oder nicht.

Der stellvertretende Vertreter schaut mich weiter an, doch sein Gesicht erhellt sich. Wahrscheinlich hat er selber die Schnauze voll von der Sucherei.
- Komm mit - sagt er - du bekommst eine neue Aufgabe und ein paar Leute dazu.



Drei Tage vor dem großen Brand



Dimitrios konnte ich vertrauen. Schließlich hatte ich auch keine andere Möglichkeit. Seit Tagen durchkämme ich diesen riesigen Bücherhaufen, doch ich bin meinem Ziel keinen Schritt näher gekommen. Um jedes Papyrus selber durchzulesen, reicht ein ganzes Leben nicht aus und meinen fleißigen Gehilfen konnte ich mich nicht öffnen. Was alles passieren kann, wenn jemand anderes dieses magische Buch liest! Nur Dimitrios wird mich verstehen. Er ist der Hauptbibliothekar und kennt sich in der Bibliothek bestens aus. Wenn er mir nicht helfen kann, dann schafft es kein anderer. Deshalb bin ich bei ihm und deswegen erzähle ich den wahren Grund meines Aufenthaltes hier:
- Viel habe ich über die ägyptische ¾ Magie gehört, nie habe ich davon gelesen. In unserem Land, dort woher ich komme, kreisen viele Legenden über die Macht dieser Zauberei. Mein Meister, der leider bereits verstorben ist, wählte mich aus und schickte mich hierher, damit ich auf den Ursprung der Magie komme und sie wieder zum Leben erwecke. Darum bitte ich dich, mein Freund, sag mir wo ich suchen soll!
- ¾ ägyptische Magie…, ich habe noch nie davon gehört – Dimitrios macht ein nachdenkliches Gesicht – aber es ist ja auch eine Menge Zeug hier. Warte mal, ich hole jetzt eine Karte, die hilft uns weiter.
- (Eine Karte! Das klingt nach einem coolen Abenteuer. Dimitrios ist schon zurück und breitet auf dem Tisch eine riesige Papyrusrolle aus.)
- Hier ist das Prinzip unserer Bibliothek aufgebaut. Lange habe ich gebraucht um es zu entziffern. Doch umso mehr war ich verwundert, als ich es begriff. Die Bücher in der Bibliothek, mögen sie auch so chaotisch in der Gegend liegen, bilden eine komplizierte Symbolik. Dies ist der eigentliche, wahre Schatz unserer Sammlung. Sieh: die sogenannten unnützlichen Bücher liegen am Rande der Gänge, sind leicht zugreifbar und erzeugen den äußeren Kreis. Die religiösen und spirituellen Bücher auf deren Pfad du bereits gewandert bist, bilden ein mystisches Kreuz und teilen die Bibliothek in 4 Teile auf. Jedes Segment ist gefüllt mit wissenswerten Büchern: über das Wasser, die Erde, die Luft und das Feuer. Mithilfe dieser Karte findest du dich in der Bibliothek schneller Zurecht und entdeckst vielleicht sogar das, was du suchst.

Ich bedanke mich bei Dimitrios und spaziere mit der Karte heraus. Jetzt weiß ich, wo ich suchen soll, denn für mich sah dieses Symbol verdammt nach einem Fadenkreuz aus!
Seltsam komme ich mir vor, wie in einem Computerspiel wenn man ein Level geschafft hat und endlich mal upgedatet wird. Ja, endlich ist es so weit, der Augenblick, wovon ich nur träumen konnte und jetzt tatsächlich träume.
Mit der Karte in der Hand erreiche ich eine massive Säule in der Mitte der Bibliothek. Zu meiner Überraschung muss ich feststellen, dass dort kein einziges Buch liegt. Liege ich etwa falsch? Ach ja, mein Bein ist eingeschlafen. Bein. Bein. Die Säule. Die Säule beinhaltet die Antwort! Ich gehe zu der Säule und strecke meine Hand entgegen. Eine Stimme ertönt in meinem Kopf: „Hat Schuhe, ist aber barfuß, hat Essen, ist aber hungrig, doch in der Wüste blühen die Blumen“. Ein Rätsel. Hm.. und was soll das bedeuten? Ich habe keine Ahnung und gehe weiter zur Säule. Eine unsichtbare Hand schmeißt mich heraus. Ohne Antwort kein Zutritt!

Vier Tage vor dem großen Brand



Der stellvertretende Vertreter ist mit meiner Initiative mehr als zufrieden. Ich glaube, ich kriege sogar eine neue Tunike, als Zeichen eines höheren Postens. Und tatsächlich werde ich im Rang befördert und sogar den Hauptbibliothekar Dimitrios feierlich vorgeführt. Der Typ scheint völlig ok zu sein, er klopft mir auf die Schulter und dreht sich zurück zu seinen Büchern. Meine Aufräumaktion bringt schon erste Früchte, die Gehilfen identifizieren in einem Haufen so etwas wie das Alte Testament und unmittelbar dahinter sogar die Tora. Ich weiß nun wo die vernünftigen Bücher herumliegen, höre auf rumzukommandieren und nehme mir Zeit zum Lesen. Das was ich noch nicht weiß, aber unbewusst schon erledige, ist die frühzeitige Berentung des stellvertretenden Vertreters. Wer wird wohl seinen Platz einnehmen?


Zwei Tage vor dem großen Brand



Wenn ich gefragt werde, wie es mir so geht und was ich so mache, antworte ich natürlich: „ich träume klar“. „Hat Schuhe, ist aber barfuß, hat Essen, ist aber hungrig, doch in der Wüste blühen die Blumen“ – ich stehe auf dem Schlauch und kann schon seit einigen Tagen dieses Rätsel nicht lösen. Nur blöd, dass ich die Antwort kenne, denn ich war derjenige, der mir dieses Rätsel stellte.



Im Klartraum weiß ich mehr, ich schlafe bewusst ein und sehe ein merkwürdiges Zeichen. Es sind zwei gekreuzte Geraden und dazwischen befinden sich so etwas wie Baumblätter. 3 Stück sind das, ein Segment ist leer. Diese Figur dreht sich. Auf einmal verstehe ich, was das Rätsel bedeutet. „Hat Schuhe, ist aber barfüßig, hat Essen, ist aber Hungrig“ – bedeutet das weltliche Wissen, das so manche Bibliotheken ausfüllen kann, aber keine wirklichen Antworten geben kann. „Doch in der Wüste blühen die Blumen“ – weist auf das geistige Wissen hin, welches eine absolut andere Struktur und Inhalt hat. Ich wache auf und bin von dieser Lösung begeistert. Der Zugang zur ägyptischen ¾ Magie ist jetzt frei!

So manche Gebäude in Alexandria sind absolut sehenswert. Ich lande vor einem und schaue erneut seine wundervollen Arkaden an. Irgendwann merke ich weiße Schatten. Es ist etwas völlig Neues! Ich konzentriere mich darauf und die weißen Schatten rücken von der Peripherie ins Sehzentrum. Dabei verändert sich die Szenerie total und ich befinde mich im Herz der Bibliothek von Alexandria, im Raum innerhalb der Hauptsäule! Ich schaue weiter die flüchtigen weißen Schatten an und merke, dass neben mir eine Frau mit zwei Zöpfen sitzt, die diese Schatten betrachtet. Der Raum ist dunkel und grau, das Licht fällt nur durch die Öffnung ganz oben. In der Mitte steht ein runder Altar, wo das magische Buch liegt. Ich wende mich an die Frau, doch sie murmelt nur:
- Schatten, das sind alles nur die Schatten! - Es sieht so aus, als wird sie hier schon seit langem gefangen gehalten. Ihre Augen wirken ein wenig traurig und verrückt.
- Ich bin kein Schatten
- Bist du echt?
- (na ja so echt bin ich ja auch nicht. Ich muss beweisen, dass ich wirklich hier bin und reiche der Frau ein Eis.) Hier, nehme das, die Frauen dort, woher ich komme, lieben es.
- (sie nimmt das Eis und isst es auf. Dann blickt sie zu mir auf). Noch mal!
- (Ich muss lachen und reiche ihr noch ein Eis)
- Es ist so schön, dass jemand da ist. Ich bin dem König in Ungnade gefallen und wurde hier eingemauert. Brot und Wasser werden mir von oben gegeben und mein einziger Begleiter über die Jahre hinweg war dieses Buch. All sein Wissen habe ich in mich eingesogen.
- Das ist ja phantastisch! Kannst du mich bitte in der ¾ Magie unterrichten?

(Blitz und Schlange, Überschwemmung und Erstarrung… die 3 ausgefüllten Segmente des Buches bilden in Kombination miteinander alles ab). Doch das wichtigste dabei ist, dass dieses Buch nicht statisch ist, sondern sich dreht. Ich versetze das Buch in Bewegung, es fängt an zu wachsen und wird dreidimensional. Ich stehe vor dem leeren Segment und bin bereit einzutreten.

Dort, in der Mitte des Buches, ruht die lose Zeitlosigkeit.


Meggy



Sterile Klarheit. Ich liege im Bett, mein Körper schläft, wahrscheinlich gelähmt. Vor den Augen ist alles weiß. Ist das ein Licht? Ich höre Geräusche aus dem Wachleben. Liege da, spüre meinen Körper. Langsam werde ich schwerer und falle in die Traumwelt hinein.




Ein dürres Mädchen, so etwa 7 Jahre alt, steht auf einem Felsen. Sie trägt ein viel zu großes schmutziges Unterhemd unter welchem große männliche Unterhosen zu sehen sind. Sie schaut ernst und konzentriert auf das Meer und in ihrer rechten Hand hält sie eine brennende Laterne. „Das ist aber eine interessante Szene“, denke ich und materialisiere mich dorthin.
- Hi, warum brennt deine Laterne mitten am hellen Tag? – ich setze mich neben dem Mädchen auf die Felsen.
- Mein Vater hat sie mir gegeben. Falls er lange nicht kommen wird, muss ich die Laterne hier halten und ihm den Weg zeigen.
Ich schaue das Meer an: weit über dem Horizont zieht eine dicke Wolkenschicht heran. Das sieht nicht gut aus.
- Denkst du, dass dein Vater von so weit deine Laterne sehen kann? – bezweifle ich.
- Was soll ich sonst machen? – das Mädchen setzt sich auch auf die Felsen.
- Die Laterne muss näher gebracht werden – ich hebe mit Kraft meiner Gedanken die Laterne hoch. Sie schwebt hoch über dem Meer und schwebt und schwebt weiter. Das Mädchen und ich schauen ihr fasziniert und neugierig hinterher. Dann verschwindet sie aus dem Sehbereich und ich schalte mein inneres Auge ein. Die Laterne schwebt zielstrebig durch den Nebel und bleibt über einem Boot hängen. Sie leuchtet 5 bis 6 Männer aus, die in ihrem Boot auf einem Unterwasserstein festsitzen.
- Da schau mal, das ist doch die Laterne von deiner Tochter, die da in der Luft hängt! - ruft begeistert ein Mann vom Boot.
- Ich habe sie - berichte ich dem Mädchen – sie sind alle gesund und munter.
- Wo? – springt das Mädchen wieder auf – ich kann nichts erkennen.
- Warte mal – vor ihrem Gesicht bildet sich aus dem Nebel ein Viereck, ein Monitor, in dem sie neugierig hineinschaut. Alle Männer im Boot sind schon auf den Beinen und schauen die wunderliche Laterne an. Im nächsten Augenblick öffnet sich die dicke Nebelschicht zu einem Viereck und aus ihm schaut das überdimensionale grinsende Gesicht des Mädchens heraus.
- Hallo Pappa, ich habe dir die Laterne gebracht!
- Mein Kind, wie bin ich froh, dich zu sehen! Wir klemmen hier schon ewig auf dem Riff fest, du sollst uns schnell Hilfe holen.
- Ich werde euch rausholen! – ruft das Mädchen, doch der Nebel zieht sich zusammen und nur die Laterne bleibt oben hängen. Sie spendet weiter ihr Licht der Hoffnung. Das Mädchen schaut mich an und ich wende mich wieder zum Boot.
- Matrosen – ertönt meine Stimme aus den Wolken – ihr habt viel gearbeitet und lange gewartet. Jetzt seid ihr müde geworden, legt euch hin und ruht euch ein wenig aus!
Die Matrosen gähnen und machen es sich im Boot bequem. Als sie ihre Augen geschlossen haben, wurde das Laternenlicht tausendmal heller. Es erleuchtete das ganze Boot und es schwebte auch in die Höhe immer der Laterne hinterher, bis zum rettenden Ufer.
- Papa, Papa – das Mädchen rennt von den Felsen runter zum Strand, wo das Boot gerade angekommen ist.
- Mein Kind – ihr Vater schien gar nicht zu schlafen – wie hast du das bloß angestellt?
- Das war ein Geist, der mir geholfen hat. Er ist jetzt bloß unsichtbar geworden.
- Ein Geist? Auf jeden Fall war das kein Meeresgeist, er kann nicht mal zwischen Matrosen und einfachen Fischern unterscheiden – die beiden lachen und umarmen sich. Inzwischen wachen auch die anderen Fischer auf. – War das ein Albtraum oder umgekehrt? Wir hatten diesmal einen guten Fang, doch da drüben scheinen so viele Riffe zu sein, wie Fische. Los Männer, unser Boot hat ein mächtiges Leck und die Karten müssen auch korrigiert werden.

Als alle weggehen bleibt das Mädchen allein. Sie geht auf ihren Lieblingsplatz, oben auf den schwarzen Felsen.
- Geist, bist du noch da?
- ...ja
- Wie heißt du?
- (ich zögere mit der Antwort) Don Rinatos, ...und du?
- Mein Name ist Meggy... Geist, hilfst du immer anderen Menschen?
- Nein. Nur wenn ich denke, dass sie Hilfe brauchen.
- Viele Menschen brauchen Hilfe – sagt Meggy nachdenklich.
- Nein, viele Menschen wachsen durch die Schwierigkeiten, werden nachsichtiger und weise. Nicht immer ist Hilfe angebracht.
- (Pause) Geist, wo wohnst du?
- Mal hier mal da, nirgendwo fest... und du?
- Ich wohne mit meinem Vater im Fischerdorf, da, diese Hütte am Rande. Wenn er ins Meer rausfährt, bleibe ich immer allein.
- Und wo ist deine Mutter?
- Ich habe keine Mutter
- Und wie war das früher?
- Ich hatte noch nie eine Mutter. (Pause) Geist, willst du meine Mutter sein?

Ich denke eine Weile nach. Danach materialisiere ich mich wieder.
- Komm, spring mir auf den Rücken!
Meggy hält sich an meinem Hals fest und ich verwandle mich in einen riesigen schneeweißen Schwan. Ich breite die Flügel aus und starte in die Höhe. Ich fliege hoch, zu den Wolken und noch höher durch die Wolkenschicht, dorthin wo immer die ewige Sonne scheint. Dort bleibe ich in der Luft und spreche zu Meggy erneut:
- Spring in die Wolken runter!
- Aber das ist nur Nebel, ich falle durch!
- Nein du fällst nicht durch, springe!
Meggy springt ab und bleibt auf den weichen Wolken liegen. Es klingt eine feine Melodie, so schwach und süß wie der Geruch einer Blume. Ich komme zu ihr und verwandle mich weiter. Ich zeige dem Mädchen ihr Leben, als eine Linie und dann die Lebenslinie ihres Vaters und meine eigene auch. Das sind alles Falten auf dem Gesicht einer Frau
- Ist das meine Mutter? – flüstert Meggy
- Nein, das ist die Urgroßmutter. Die ist in dir genauso wie in mir, oder in deinem Vater. Keiner ist größer oder kleiner in ihren Augen, keiner ist früher oder später auf die Welt gekommen.
- Sie ist aber noch ziemlich jung - lacht Maggy und zeigt mit dem Finger auf die Urgrossmutter, die lustig tanzt und dazu eine süße Melodie singt.
- Sie ist das Leben, genauso wie du das Leben bist…, (Maggy schläft ein) Viel Spaß beim aufwachen!
- Viel Spaß beim aufwachen, Don! – höre ich Meggy’s Stimme und wundere mich, denn ich bin bereits aufgewacht.


Museumsraub



Ich habe eine Einladung vom Schlaflabor bekommen, diesmal aus Berlin. Das Schlaflabor war nicht anders als das Andere: ein Keller in der Klinik, wo man eine EEG-Kappe mit einen Haufen Elektroden auf dem Kopf bekommt, ein Bett und eine Sprechanlage daneben. Anders waren diesmal die Forscher, ein militärisch wirkender Mann und eine Frau in weißen Kittel, sie hatten irgendwie eine erwartungsvolle Haltung. Nicht so, dass in anderen Labors diese Haltung fehlte, doch hier war mir noch deutlicher, dass ich eigentlich ein Versuchskaninchen bin. Anders war auch ein Bild an der Wand. Das Bild war frisch gemalt (und gar nicht so schlecht gemalt), aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es nur wegen mir hier aufgehängt wurde. Auf dem Bild war der historische Hauptplatz einer kleinen deutschen Stadt abgebildet. Nichts besonderes, Fachwerkhäuschen, Einkaufspassage, Museum und ein obligatorischer Brunnen in der Mitte waren dort deutlich zu erkennen. Komisch war wirklich, dass das Bild so aufgehängt (und beleuchtet) wurde, dass ich es sogar von meinem Bett sehr deutlich sehen konnte. Die Forscher verkabelten mich also, brachten mich zum Bett, wünschten mir viel Erfolg und gingen raus. Ich lag da und musste Klarträumen.

Das ging auch unproblematisch, denn ich hatte meine Tiefphase heute bereits abgearbeitet und eh in der Küche im sitzen geschlafen. Ich schaue mir also das Bild an und fließe mühelos hinein. Das Bild wird zum Leben erweckt und ich lande in dieser aufgemalten Stadt auf dem Hauptplatz neben dem Brunnen. Dort ist die Hölle los. Polizeiwagen haben das Museum umkreist, die Beamten sperren mit dem rotgelben Band das Gebäude ab und es wimmelt von Schaulustigen und der Presse. Ich höre zu: das Museum wurde in der Nacht vom 27. zum 28. Oktober überfallen. Ach, jetzt weiß ich, warum die Forscher mich so angestarrt haben, weiß warum dieses Bild da hing: ich soll wohl hierher gehen und diesen Zwischenfall klären! Ich freue mich und schlüpfe unters Absperrband hindurch.

Polizei und Museumsverwaltung wurden schon von den Forschern informiert dass ich hier auftauchen werde, so dass ich bei denen grünes Licht hatte. Ich habe wahrscheinlich ein FBI Status oder so ähnlich, nicht schlecht. Ich gehe durch die Eingangshalle rechts, dorthin, wo am meisten los ist. Im rechten Zimmer hängt ein großer leerer Rahmen.
- „Schlafende Maria“
- Wie bitte? – ich drehe mich um und sehe einen großen bebrillten Mann, der mich von hinten angesprochen hat. Er hat recht seltene Haare und ein trauriges Gesicht. – Verzeihung, Andre Sörenn ist mein Name. Ich bin der leitende Direktor des Museums. Die „Schlafende Maria“ war das Highlight unserer Ausstellung. Und ausgerechnet sie wurde uns gestohlen, furchtbar! Die Polizei ist bis jetzt ratlos, drum wurde in Berlin angefragt, es freut mich sehr, dass Sie so schnell kommen konnten.
- Es ist auch ein mysteriöser Raub, muss man sagen – wendet sich mir von der anderen Seite ein Polizeikommissar zu. - Schauen Sie den Rahmen an: es wurde nichts aufgebrochen, nichts zerstört. Die Alarmanlage ist intakt, sie sprang aber nicht an. Keine Spuren, keine Videoaufnahmen…es ist fast so, als hätte jemand das Bild dematerialisiert. Sind Sie von so einer PSI-Richtung? Ihr seid doch an der Charité Profis, wenn es um Unerklärliches geht.
- Ich setze meinen gesunden Menschenverstand ein, das reicht meistens aus. – mir war die Aufmerksamkeit um meine Person zu groß und ich ging näher an den Rahmen. Er hatte tatsächlich gar keine Spuren von Gewalt. Der Täter war wirklich ein sehr akkurater Mensch – Erzählen Sie mir bitte lieber wie die Alarmanlage aufgebaut ist. Ist sie an einem Computer angeschlossen, oder so was?
- Nein eben nicht. Wir vertrauen keinen computergesteuerten Alarmanlagen, weil sie immer gehackt werden können. Diese ist noch von der alten Generation und wird manuell verwaltet. Sie läuft rund um die Uhr und braucht nur Strom. Und wenn der Strom ausfallen sollte, dann wird von der intern gespeicherten Stromquelle Alarm ausgelöst.
- Rund um die Uhr sagen Sie, soso. Und wer ist befugt sie zu verwalten?
- Die entsprechende Sicherheitsfirma. Wir haben die Mitarbeiter dort als Erstes überprüft, sie sind clean.
- Vielen Dank Herr Kommissar, ich glaube ich werde mir mit dem Herr Sörenn das Gebäude näher anschauen. – ich nehme mir den Direktor und gehe weiter.
- Erzählen Sie mir bitte mehr über das Bild, Andre!
- Über die „Schlafende Maria“? Haben sie das etwa noch nicht gesehen? – der Direktor schaut mich an, als wäre ich ein Marsmännlein.
- Wie soll ich, wenn sie weg ist?
- Hier ist ein Foto von unserem Flyer. (Ich schaue mir eine hübsche nackte Frau an, die auf der linken Seite schläft). Dieses Bild ist ein Wahres Meisterwerk der Renaissance – holt der Direktor tief Luft.
- Nein, warten Sie, Andre. Ich habe nicht so viel Zeit. Erklären Sie mir bitte welchen Reiz sie für einen Täter haben kann?
- (Sörenn bleibt stehen und schaut mich verständnislos an) Reiz? Stellen Sie sich vor, sie würden jetzt kein Foto in ihren Händen halten sondern ein Spielzeugauto. Die schlafende Maria zu besitzen ist dann, als würden Sie genau den Ferrari fahren, mit dem Schumacher die Formel-1 gewonnen hat! -Die Brille des Direktors glänzte in einem seltsamen Licht.
- Rund um die Uhr…Soso. Ich bedanke mich, Andre, ich werde mich noch bei Ihnen melden.

Ich gehe zum Polizeikommissar, wünsche ihm eine erfolgreiche Untersuchung, gehe aus dem Museum heraus und wecke mich im Labor auf. Die Forscher stehen schon wie die Geier an meinem Bett und ihre Augen durchbohren mich fragend.
- Ja, ich habe den Täter gefunden.
- Wer ist das?
- Wissen Sie, mich interessiert die Motivation des Menschen. Welche Motivation hattet ihr mit dieser Untersuchung? Etwas über die Klarträume zu erfahren, oder die schlafende Maria zu finden?
- Primär war unser Ziel natürlich das Bild sicherzustellen…
- Dann ist es egal, wer die schlafende Maria gestohlen hat. Ich würde Sie bitten die Polizei und die Presse vom Museum fernzuhalten und am fünften November, in der Nacht dort Haupt und Ersatzstrom der Alarmanlage abzuschalten. Dann bekommt ihr eure schlafende Maria wieder zurück. – Ich mache meine Elektroden ab und gehe mich duschen.

Später am Tag genieße ich draußen die letzten warmen Sonnenstrahlen. Ich setze mich an den Tisch eines Cafés und schreibe dem leitenden Direktor des Museums eine Postkarte.

„Lieber Andre,

ich finde öffentliche Verkehrsmittel wesentlich umweltfreundlicher, als das Formel-1 gehabe. Ich würde sehr gerne die schlafende Maria in Ihrem Museum live erleben. Nun, Sie brauchen nicht bis zur Sommeruhrumstellung warten, am fünften November, in der Nacht wird die Stille des Museums ungestört bleiben.

Seien Sie lieb gegrüßt,

Don“


Die Hand Gottes



„Die Hand Gottes“ lautet die Überschrift meines Klartraumes, die ich unmittelbar nach dem Einschlafen lese. Was sagt man dazu? Der ganze Klartraum ist zusammengerollt, zusammengepackt und schon mit einer Überschrift versehen liegt er vor mir, fertig zum abholen, wie ein Weihnachtsgeschenk, oder ein Buch. Keinerlei willentlicher Anstrengung meinerseits, ich mache mir es bequem und tauche genüsslich in die spannende Welt der eigenen Fantasie.



Ich habe eine Einladung bekommen, lese ich grade. Wieder dieselben Typen aus dem Schlaflabor, doch dieses Mal verheimlicht keiner, dass eine militärische Geheimorganisation dahinter steht. Die letzte Untersuchung ist gut gelaufen, heißt es da weiter. Ich habe meine Klartraumfähigkeiten erfolgreich unter Beweis gestellt und wurde deshalb für die nächste, ernsthafte Aufgabe ausgewählt, die mir aber erst später offenbart wird. Denn die Sache ist Topsekret. Na ja, warum nicht.

Ich reise an und werde nicht mehr in die Klinik, sondern gleich auf das Militärgelände verfrachtet. Der Offizier der mich begleitet und ich, erreichen mit einem speziellen Fahrstuhl tief unter der Erde einen Bunker. Dort, im kleinen gemütlichen Konferenzraum werde ich 3 anderen Klarträumern vorgestellt. Das sind Christoph, Klaus und Anne, die im Halbkreis an modernen kleinen Tischen sitzen, ja von denen habe ich schon mal gehört.

Ich setzte mich also dazu und der Offizier (oder General, oder Wer-Weiß-Was für ein Geier) schaltet einen Bildschirm an und schildert uns die Problemlage.
- Das, was ich ihnen anvertraue, ist eine absolut geheime Information. Habt ihr schon was von einem Hyperpolarisationsraum gehört? (wir schütteln verneinend die Köpfe) Noch in den 60ger Jahren rannten ein Paar Astrophysiker mit einer konfusen Idee herum, dass im Weltall eine andere viel schnellere Dimension als unsere existieren könnte. Dieser Hyperpolarisationsraum läuft, laut dieser Theorie weitgehend parallel zu unserem Universum, außer einiger weniger Berührungspunkte, den so genannten Dimensionslöchern, wo ein Austausch der Materie stattfinden könnte. Diese Theorie wurde noch bis vor kurzem kaum beachtet, bis unsere Ingenieure eine Reihe spezieller Messgeräte entwickelt haben, die das Geschehen im Hyperpolarisationsraum exakt erfassen können. Allerdings das, was wir dort „sehen“ konnten, hat uns nur wenig erfreut (Der Offizier schaltet einen zweiten Bildschirm an). Ein riesiger Asteroid, umgeben von fünf Satelliten (jeder fünfzigmal so groß wie unsere Erde) bewegt sich durch diesen Hyperpolarisationsraum unglaublich schnell in die Richtung unseres Sonnensystems. Nach den letzten Rechnungen wird dieser Asteroid in 4-5 Jahren eine kritische Geschwindigkeit erreichen. Das heißt, dass der Asteroid zu dieser Zeit ein Dimensionsloch verursachen wird und irgendwo in der Nähe unseres Sonnensystems auftauchen wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Sonnensystem samt der Erde bei diesem Zusammenprall zugrunde geht, beträgt 99%. (auf dem Bildschirm bewegt sich durch ein Koordinatensystem eine große Kugel umgeben von fünf kleineren Kugeln)
- 2012 - pfeift Anne erstaunlich – die Mayas lassen grüßen.
- Können wir dieses Teil nicht mit ein paar Atombomben abschießen? – schlägt Klaus vor.
- Ihr habt keine Ahnung von den Dimensionen, die dieser Asteroid für sich beansprucht. Wir nannten es „Hand Gottes“. (Der Offizier zeigt auf die Tischoberfläche) Wenn meine Hand jetzt dieser Asteroid wäre, dann ist unser Sonnensystem nur der Staub auf dem Tisch (mit einem Schwung wischt er den Staub weg). Es gibt kein Entrinnen!
- Ja, aber sie müssen doch irgendwas unternehmen! Die Menschen müssen alarmiert werden, die Evakuierung muss organisiert… - mischte sich Christoph ein.
- Deswegen seid ihr hier. Diese Information wird nicht weitergegeben, damit keine Panik ausbrechen kann. Und die Erde in einem Raumschiff zu verlassen hat nur wenig Sinn. Uns bleibt nichts übrig, als zu unkonventionellen Mitteln zu greifen. Überall in der Welt versuchen wir die Menschen mit extrasensorischen Fähigkeiten in vergleichbaren Settings zusammenzuführen, zu trainieren und gegen den Asteroid einzusetzen. Ihr seid staatlich geprüfte Klarträumer, wir bitten euch um die Rettung der Menschheit!
- Ja, aber wir sind nur Klarträumer, wie können wir da helfen?
- Ihr müsst es irgendwie schaffen eure Klarträume auf die reale Welt zu übertragen. Wir geben euch einen geschützten Rahmen, wo ihr eure Fähigkeiten trainieren und vervollkommnen könnt. Tag und Nacht wird das Klarträumen eure einigste Aufgabe, denn wir haben nicht viel Zeit. Bei diesem sensiblen Thema können wir natürlich keinen zwingen, ihr müsst euch jetzt entscheiden!

Für mich, aber auch für die Anderen war klar, dass wir das tun werden. Ab da veränderte sich mein Leben total. Ich kündigte meinen Job und bekam eine feste Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter in diesem militärischen Bereich. Im Bunker unter der Erde bekamen wir alles, was wir uns wünschten: Wohnungen, Schwimmhalle, Obstplantage… alles war bereitgestellt und gesichert, falls doch die Information durchsickert und auf der Erdoberfläche Chaos ausbricht.

Weiter folgen meine Tagebuchaufzeichnungen:

1. Trainingstag:
Ein Traumtagebuch zu führen ist Pflicht. Heute ist der erste Trainingstag und wir sitzen wieder zusammen in einem Konferenzraum. Der Instrukteur spricht zu uns:
- Das Ziel des Trainings ist die Weiterentwicklung der Klartraumfähigkeit bis zur Übertragung mentaler Kraft auf reale Gegenstände. Das erste, was wir lernen werden ist shared dream. In diesem Raum legen wir einen Apfel auf den Tisch. Der Raum wird dann abgesperrt und gesichert. Eure Aufgabe ist hier zusammen zu kommen und zu versuchen den Apfel zu bewegen oder aufzuessen. An die Arbeit!

x. Trainingstag:
Das Training macht Spaß und ich lerne hier unglaublich viel über das Klarträumen. Doch wir sind nicht zum Vergnügung da und bis jetzt können wir weder shared dreamen, noch was anderes reales. Der Apfel liegt immer noch unberührt auf dem Tisch, obwohl ich ihn in meinen Klarträumen so oft aufgegessen habe!

xy. Trainingstag:
Das ist schon ein paar Jahre her, dass wir unter der Erde trainieren. Bei der wöchentlichen Konferenz trage ich meinen Zweifel an der Richtigkeit der Vorgehensweise. Das Militär hat nichts Besseres anzubieten, als „hartes Training jede Nacht“. Ich verlange ein extra Raum und wochenlange Ruhe. Obwohl die Gemeinschaft offensichtlich zerfällt, stimmt das Militär mir zu.

xyz. Trainingstag:
In meinem nächsten Klartraum wende ich mich an den „Meister“. Er erscheint augenblicklich, wie bestellt (das Klartraumtraining zahlt sich aus!), ein Mann so um die vierzig in einer zen-buddhistischen Robe und mit wenigen Haaren auf dem Kopf. Auf meine Frage, wie ich den Asteroid zerstören kann, antwortet er locker: „All die Welt ist die Welt der Maya, der Täuschung und der Illusion…“ und weiter schön auswendig seinen buddhistischen Schriften nach. Na danke das hat mich weitergebracht. Nach einer Woche solcher Belehrungen verlasse ich meine Einsiedelei und gehe zu dem gemeinsamen Frühstück. Da sind auch die anderen Klarträumer dabei, doch wir reden kaum, keiner hat einen wirklichen Durchbruch zu verzeichnen, jeder verspürt dieses Schuldgefühl. Ich verspeise ein Ei und die Brötchen und muss dabei immer über die Worte des Meisters nachdenken. Auf einmal begreife ich, was er meinen könnte. Hastig verlasse ich den Frühstückstisch, renne zurück in mein Zimmer und verschließe mich noch für weitere Wochen.

Der letzte Trainingstag:
Und wieder eine Konferenz, ich werde sogar aus meiner Einsiedelei gescheucht. Wieder derselbe Offizier und die Bildschirme mit der „Hand Gottes“ in seinem Hintergrund.
- Nach all diesen zusammengebrachten Jahren möchte ich mit euch offen reden – verkündet unser Instrukteur feierlich. Dieser Asteroid, um welchen ihr euch die letzten Jahre so sehr bemüht habt, war nichts anderes als eine Fiktion, ein Teil unseres Projektes, wo wir versucht haben die inneren Ressourcen von den Klarträumern zu bündeln, zu aktivieren und außerhalb der Grenzen des Möglichen zu führen. Dafür haben wir ein ganz einfaches Computerprogramm geschrieben, das die Bewegung der angeblichen „Hand Gottes“ simulieren soll und euch hierher eingeladen. Doch jetzt kommt das Spannendste: einer von euch (oder ihr zusammen) hat dieses Computerprogramm so verändert, dass der simulierte Asteroid viel langsamer fliegt und bald ganz stehen bleibt. Wir wollten es zuerst nicht glauben und überprüften unsere Sicherheitssysteme, aber nein das war ein rein mentales einhacken in das Computerprogramm. Wir haben unser Ziel erreicht! Das eröffnet uns jetzt ganz neue Möglichkeiten der Verteidigung! Nun erzählt, wer und wie er das angestellt hat!

Doch keiner von uns konnte sagen, dass er oder sie das willentlich steuerte. Dem Militär blieb nichts anderes übrig, als uns nach Hause zu schicken. Tja, wer eine Lüge sät… Ich war echt froh endlich mal die Sonne und die Pflanzen zu sehen. Und diese stinkenden Autos werde ich noch diese Nacht in Tiere umprogrammieren.


Mellini’s Vogel



Mellini – ein genialer Musikinstrumentmeister
Buko – sein bester, aber eigenwilliger dicker Schüler
Port – ein todunglücklicher Kleinwüchsler mit einer großen Nase
Imperator – Kaiser, König, Herrscher usw.




Lang war es her. Ja lang. So lang, dass es wieder nicht mehr wahr ist. Da lebte im Mittelalter ein Mann mittleren Alters. Er hatte zwei wirklich goldene Hände und ein ausgezeichnetes Musikgehör. Mit seinen goldenen Händen baute er eigenartige Musikinstrumente. Diese bestanden aus kleinen hauchdünnen Plastinen, die vielfach in die leichten flachovalen Rahmen eingearbeitet wurden. Kunstvoll vergab er den Rahmen eine Federform und befestigte dieses feine Musikinstrument in großen Mengen auf den Handschuhen von den Musikern. Der Tonkünstler brauchte nur eine schwache Geste vorführen – und eine rührende Musikkaskade floss mit dem Wind!
Beliebt war Mellini. Sehr beliebt beim Imperator, denn dieser genoss Mellini's unvergessliche und einzigartige Ballettdarstellungen. Ja, Mellini übersetzte die Bewegungen der Tänzer in Musik und verwandelte die Tänzer in Komponisten! Die Tänzer, ausgestattet mit Mellini's Musikinstrumenten am ganzen Körper verschmolzen endlich mit der Musik!
Wie ein Schwarm bunter Vögel sprangen sie graziös und hemmungslos auf der Theaterwiese, froren plötzlich ein, um Nachklang zu zulassen und wackelten mit dem kleinen Finger, um die zarten Blüten der ersten Liebe zu vertonen! Nichts, aber wirklich nichts konnte den Kaiser mehr unterhalten als diese Vorstellungen im Lichte des Sonnenunterganges!

Nun das Glück ist nicht für alle, das Pech, das hat hier auch Platz. In einem Kuhnest, unweit von Burg vegetierte der Unglücksträger Port vor sich hin. Auch er hatte eine enorme Kraft in seinen Händen und auch ihn beschenkte das Schicksal mit einem feinen Musikgehör, doch das Äußere dieses kleinwüchsigen Mannes war nach allen Vorstellungen der damaligen Damen und Herren mehr als ungünstig. Seine Beine waren zu kurz und zu klein, so dass seine starken Arme beinahe die Erde streiften. Seine Nase war überproportional ausgeprägt und hing ihm bis zur unteren Lippe. Kurzum, er sah so monströs aus, dass sogar seine eigenen Eltern, als er noch ein kleines Kind war, ihn nachts heimlich aus dem Haus trugen und in einer Holzschale von einer Brücke in den Fluss abseilten. Er wäre wahrscheinlich ertrunken, hätte ihm nicht eine Magd gerettet. Sie trug das Kind zu sich in die Scheune und teilte mit ihm ihre Mahlzeit und sie gab ihm den Namen „Port“. Doch lange konnte sie ihren Fund nicht verheimlichen, der helle Moment im Ports Leben wurde gelöscht: der Knabe wurde rausgeworfen, die Magd verprügelt. Lange wanderte Port durch die Wälder, todtraurig, menschenscheu und hungrig, bis er eines Tages an eine Windmühle kam. Der Müller nahm ihn auf, stillte seinen Hunger und Durst, pflegte ihn gesund und kettete ihn an den Mühlantrieb ran. Von da an musste der arme Port immer wenn kein Wind da war, die schweren Mühlsteine in Bewegung setzen. Das Leben war für ihn nicht lebenswert.

Die Zeit hat eine komische Eigenschaft zu vergehen und der König machte sich langsam Sorgen. Denn alt wurde Mellini, seine Hände feilten nicht mehr so präzise, seine Kunst drohte mit ihm auszusterben. Wer soll aber die neuen Musikinstrumente anfertigen? Wie sollen aber die Tanzkonzerte stattfinden? Einen nach dem anderen Schüler schickte der Herrscher zu Mellini. Sie begleiteten ihn bei der Arbeit, sie hörten seine absurden Geschichten, aber verstanden dabei kein Pferdehaar. Als alle Hoffnungen begraben wurden, kam ein neuer Schüler Namens Buko. Recht eigensinnig war dieser fette Bursche, denn er kreuzte fast nie in der Werkstatt auf, er fragte gar nicht nach bei den Geschichten, als würden ihm diese gar nicht interessieren, er faulenzte aber stattdessen tagsüber auf der grüner Wiese, und pustete wieder und wieder eine Feder in die Höhe. Doch als der Meister nicht mehr laufen konnte und kraftlos ins Bett fiel, sprang Buko auf und schloss sich in Mellini’s Werkstatt ein. Tag und Nacht hörte man von dort Geräusche erklingen und als der Meister kurz vor dem Sterben stöhnte, öffnete sich die Tür und der fette Buko rannte mit einem kleinen hölzernen Vogel in der Hand heraus. Dieser Vogel war voll bedeckt mit den kleinen Musikinstrumenten vom Mellini und als Buko ihn auf einer Strippe beim Rennen hinter sich herzog, flog der Vogel und der Wind spielte in seinen künstlichen Musikfedern ein trauriges Abschiedslied an den großen Mellini. Als Buko an das Sterbebett kam, rief er heraus: „Meister, ich werde deine Kunst bis zum Himmel tragen!“ Daraufhin verlor Mellini seine letzte Träne und flüsterte: „Jetzt bist du der Meister, Buko!“…

Kleinwüchsler Port wünschte er würde sterben, doch gestorben ist der Müller, als er vollbesoffen in den Wald ging und von einem Rudel hungriger Wölfe bis zu den Knochen aufgefressen wurde. Lange wartete Port angekettet, lange rief er, doch die Mühle blieb stumm. Es traute sich kein Dorfbewohner mehr zu der außerhalb stehender Mühle, da sie eine wohl berechtige Angst vor den Wölfen hatten. Und so blieb dem Kleinwüchsler nichts anderes, als an einem qualvollen Tod zu sterben.

O wie überglücklich war die Majestät, als er erfuhr, dass Mellini’s Nachfolger entdeckt wurde! Unverzüglich entsandt er ihm seinen majestätischen Befehl, ein neues Kunststück vorzubereiten und schenkte dem neuen Meister einen beträchtligen Klumpen Gold. Buko versammelte alle andere Mellini’s Schüler um sich und sprach:
- Wir brauchen viele Mellini’s Musikinstrumente! Ich verrate euch das Baugeheimnis und gehe selbst auf die Suche nach einem fliegenden Musiker. Klein soll er sein und zierlich wie ein Kind. Stark soll er sein, stark und mutig, wie ein Erwachsener, aber mehr als das – die Mutter Erde muss uns die Erlaubnis erteilen, ihn frei zu lassen! Baut Musikinstrumente, ich bin bald wieder da!
- Du bist verrückt, Buko, wie willst du einen solchen Menschen finden?
- Ich werde meinen hölzernen Vogel verbessern. Kleiner soll er sein, kleiner damit der Wind ihn tragen kann. Und eine helle Melodie soll er spielen, eine helle Melodie, damit ich ihn überall hören und ihm folgen kann.
- Aber warum bist du dir so sicher, dass der Wind ihn zu diesem Musiker trägt, Buko?
- (da lachte Buko auf) Ihr habt immer noch nichts verstanden, ihr Ochsen! Mellini ist jetzt Wind geworden! Ran an die Arbeit!

Als Buko hinter seinem hölzernen Vogel außer Atem an die Mühle kam, musste er sich durch die Menge von Dorfbewohnern schlagen. Sie alle standen da und steckten Äste und Stöcke in den leblosen Körper eines eingeketteten Kleinmonsters. Weinend befreite Buko Port von seinen Ketten, doch es war bereits zu spät. Der ausgemagerte Kleinwüchsler lag auf seinen Armen und seine Vogelnase zeigte durch das Strohdach gen Himmel.


Reise durch eine innere Dimension



Eine Frau war schwer krank. Sie hatte einen inneren Tumor und fühlte sich außerordentlich schlecht. Um den Tumor zu lokalisieren schlugen die Ärzte vor, ein neuartiges diagnostisches Verfahren einzusetzen. Ich war zufällig da und wurde um Hilfe gebeten. Schön soll das nicht sein, eher schmerzvoll und unangenehm, aber ja ich mache mit, keine Frage.

Die Patientin und die Ärztin ziehen sich aus und legen sich auf den Fußboden. Ich betrachte die nackten weiblichen Körper. Ich muss mich aber auch ausziehen und auf die andere, linke Seite von Patientin hinlegen. Mache ich. Unsere Köpfe werden dann mit einer Unmenge von Elektroden verbunden, die Ärzte entschuldigen sich noch mal für die bevorstehenden Schmerzen und los geht es.

Ich schließe meine Augen und sehe uns auf den Fußboden liegen. Doch diesmal liege ich auf der rechten Seite von der Patientin und die Ärztin auf der linken. Aus meiner Perspektive schaue ich auf unsere Füße. In diese Richtung setzt sich auch die Bewegung an. Wir drei werden in einen Tunnel reingefahren. Ein enger Tunnel, dunkel und unangenehm, doch auf der anderen Seite sehe ich bereits Licht. „Bazz!!!“ - unsere nackte Körper werden aus dem Tunnel herausgepresst und gleiten weiterhin liegend mit Füssen nach vorne.

Diese neue Welt, wo wir landen ist eine wundersame Sphäre. Sie ist 4-dimensional, unbeschreiblich schön und plastisch. Ich kann sie echt nicht beschreiben, so anders wirkt sie. „Unangenehm, was soll hier unangenehm sein…“ wundert sich die Ärztin gedanklich. Ich stimme ihr zu. Wir gleiten weiter vorwärts und die Ärztin spricht permanent zu Patientin mit einer ruhigen Stimme. Das macht sie echt gut. Fordert Patientin auf die Umgebung zu konzentrieren, gibt ihr das Gefühl der Sicherheit und Stärke. Das ist die innere Dimension der Patientin und ich frage mich, wozu ich hier überhaupt mitgenommen wurde. Ich genieße die Fahrt und bin dankbar, dass ich so etwas erleben darf. Nicht jeden Tag kann man durch die innere Welt von anderen gleiten. Großartig!

So nun kommen auch mehr oder weniger erkennbare Objekte. Meistens sind das die Brücken. Die Ärztin fordert die Patientin diese Objekte zu beschreiben, ermutigt sie ständig zu verbalisieren. Ich schwimme stumm mit und genieße die Ansichten von alten Holzbrücken und einfachen Steinbrücken, die unterschiedliche Perspektiven davon.

Nun kommt als nächste eine Betonbrücke. „Dieser Ornament!“ – ruft die Patientin aus, als wir unten vorbei gleiten. Wir sehen einen kreisförmigen, in sich verschlungenen Muster von Linien auf der unteren Seite von der Brücke und gleiten näher. „Dieser Ornament ist mir bekannt“ – erzählt die Patientin aufgeregt weiter – „Als ich noch … damals war dieser Ornament… und auch in der Küche, wo ich… auch neben dem Topf…“ Wir scheinen unser Ziel erreicht zu haben. Ärztin denkt sehr zufrieden und fokussiert sich auf dem Muster.

Doch dann kracht es plötzlich und ein Teil vom Ornament, ein gewaltiges Betonbrocken löst sich von dem Muster, bleibt eine Sekunde hängen und fällt pfeifend auf unsere vorbei gleitende Körper! Die Ärztin und Patientin schreien erschrocken auf, die andere Teile von Ornament fangen auch an sich abzulösen, Panik bricht aus. Doch der Betonbrocken hat uns knapp verfehlt und fiel mit viel Geräusch ins Wasser. Ich nehme Patientin an die Hand: „Es ist nur eine Illusion! Wir befinden uns im Kopf. Habt keine Angst, es wird uns nichts passieren, auch wenn die Betonteile auf unsere Körper fallen werden, bleiben wir unversehrt.“ Die Patientin hört auf zu schreien und klammert sich an mir fest. Jetzt ist mir meine Rolle klar. Deswegen ist ein Oneironaut dabei! Durch die Angst werden wir weg von der Brücke gespült, doch ich drehe den Fluss um und wir gleiten wieder zum Ornament. Er bröselt sich nicht mehr auseinender und ist noch deutlich zu erkennen. Die Patientin beschreibt ihm noch mal und dann höre ich eine gewaltige emotionslose männliche Stimme von oben:

OK, WIR HABEN ES, DANKE!

Wir erstarren kurz… und ich wache ganz auf.




Stummes Mädchen



Ich war in der Sauna und erholte mich von Strapazen der Woche. Als ich den beheizten Saunaraum betreten habe, kam mir eine wahnsinnige Idee dort ein Klartraum zu starten. Ich legte mich auf die oberste Bank hin, schloss meine Augen und tauchte in die Traumwelt ein…
Nach ca. 15 Minuten war ich wieder da, meine Gedankenwelt wurde von einem Nebel der Hitze überzogen, ich konnte nicht klar denken, oder wahrnehmen. Die Hitze war so unerträglich, dass ich doch den Klartraumversuch abgebrochen habe und aus der Sauna herauskam. Nach Duschen und Tauchen im eiskalten Becken, setzte ich mich hin und entspannte.


Auf einmal war ich in einer anderen Welt! Ein schwarzhaariges Mädchen, etwa zehn Jahre alt, stand im Wald und schaute mich mit ihren dunklen Augen direkt an.
- Was suchst du hier? – fragte sie mich. (Ich hörte dabei keinen einzigen Ton. Ihre Hände, schmal und wendig bewegten sich graziös als sie die Gebärdensprache nutze.)
- Wow, ich verstehe Gebärdensprache – schoss mir durch den Kopf. Ich konzentrierte mich darauf. Es war gar nicht so einfach, vor allem, weil das Mädchen sehr schnell gestikuliert hat.
- Verschwinde! - zeigte sie mir. Sie war in diesem Wald, in den Dschungel gut platziert. Dagegen ich sah hier etwas verloren aus… Nun mein Körper hängte entspannt in der Sauna, Klartraum war super stabil und das Traumgefühl war unglaublich realistisch. Ich wusste auch sofort, dass das Mädchen ein Schaffner, besser zusagen eine Schaffnerin ist. Das ist ein besonders Art von Traumpersonen. Man begegnet sie ab und zu und es ist immer ein großer Chance im Leben etwas zu erreichen.
- Was suchst du hier - wiederholte sie unterdessen wieder – hier gibt es nichts für dich, verschwinde!
- (Doch ich zeigte ihr, dass ich gerne ihre Hilfe in den Anspruch nehmen werde)
- Was willst du, Geld?
- (Ich zeigte ein „Nein“)
- Willst du Berühmt sein?
- (Ich wackelte mein Kopf verneinend)
- Willst du wissen?
- (Ich verneinte erneut.)
- Sie schaute mich aufmerksam an und verdoppelte ihre Gestikulationsgeschwindigkeit, so dass ich überhaupt nicht mehr hinterher kam. Doch das letzte Wort war ganz deutlich zu verstehen. Sie entfernte sich während des Gesprächs ein paar Schritte und führte diese ungewöhnliche Konversation aus der sicheren Entfernung. Bei diesem Wort kam sie jedoch näher und hob ihre Haupt. Sie ballte ihre Hand zur Faust und haute mit der Rückseite der Faust sich in die Stirn. Dabei öffnete sich ihre Faust, das Mädchen spreizte die Finger weit auseinander und schaute mich mit weitgeöffneten Augen an.
- Erleuchtung!!! Ja Erleuchtung! Das ist genau das, was ich suche!

Das Mädchen drehte sich um und lief schnell in die Dschungel. Ich eilte ihr hinterher. Wir kämpften uns durch das Dickicht, bis wir zu einer Stelle kamen, wo es nicht mehr weiterging. Und darauf zeigte mir meine Begleiterin. Ich schaute genau zu und sah etwas Merkwürdiges:
Tonlose Pfeile schossen durch die Gegend, Spinngewebe veränderten ihre Farben, Kristallen funkelten in der Asche. Ich konnte Es einfach nicht begreifen. Soll das die Erleuchtung sein? Eine lokale Erleuchtung, wie nett! Eine unterhaltsame Story…
- Ist das die Erleuchtung? – fragte ich nach.
- Das Mädchen schüttelte verneinend mit dem Kopf. Sie hob ihre Arme und kreuzte sie vor ihrer Brust.
- Ein Tod!?! – woha! – muss ich durch den Tod um die Erleuchtung zu erlangen?
- Das Mädchen schaute mich verwundert an und zeigte mir einen Vogel. Sie gestikulierte wild und ich konnte ablesen, dass ich mich vorsichtig auf die Grenze zw. Leben und Tod hinstellen soll, mehr nicht.
- Aha, danke!

Immer noch etwas skeptisch machte ich ein Schritt mit dem rechten Fuß in den glitzernden funkenden spielenden Tod hinein. Den anderen Fuß ließ ich vorsichtshalber im Dschungel stehen.
Urplötzlich erhob sich mein Leben und mein Tod über mich, meine Sicht war so groß wie eine Münze… und sie flog hoch in die Luft und drehte sich dabei. Eine Seite spiegelte die Ereignisse meines Lebens wieder, drehte sich um und die andere Seite zeigte mir den dazugehörenden Tod.
Wie verzaubert stand ich körperlos in nirgendwo, in einer nichtsichtbaren Welt und schaute die fliegende Münze an. Seltsamerweise war mir völlig egal, auf welcher Seite es diesmal ankommt. Befreit vom Leben, befreit vom Tod machte ich meine Augen auf.

Die Dame in den Saunaraum mir gegenüber schaute mich verständnisvoll an.




Sukut



Nach dem ich aufgeweckt wurde und laut vom Schlafzimmer in die Küche brüllte „Ich habe gerade einen KT, brauche noch ein wenig Schlaf!“, fiel ich in einen stabilen Klartraum ein.



Dort materialisierte ich einen Meister und bat ihm um eine Unterweisung. Der Meister lud mich an, mit ihm am Tisch zu setzen und einen grünen Tee zu trinken. Es war eine Einladung zu einem längeren Gespräch, was mich wiederum sehr freute. Der Meister wirkte entspannt und freundlich. Hier ist seine Rede, wortwörtlich wiedergegeben:

„Ich werde dir eine Geschichte erzählen. Das ist eine alte und etwas verwirrte Geschichte über die Zeiten, wo die Erde noch keine Kugel war.
- Die Erde war früher keine Kugel? – wunderte ich mich
- Sie war noch nie eine Kugel, mein Freund, höre zu!
Zu jenen Zeiten gehörte die Welt dem Zauber. Die Welt war wahr und dementsprechend einfach wahrzunehmen. Jeder, nicht nur die große und mächtige Zauberer dieser Zeit, jeder konnte die Welt sehen, so wie sie ist. Und sie war wunderschön. Um das zu verstehen, was ich dir jetzt mitteile, muss du deinen inneren Augen öffnen, wie dein Herz.

Ich schaute in mich hinein und sah einen gelbgoldenen Kreis aus einem kostbaren Metall. Der goldene Ring stand im einen Teller und durch diesen leuchtenden Kreis sah ich die Erde von früher, die Erde, die keine Kugel war. Im Hintergrund hörte ich die Stimme des Meisters, die mich weiter und weiter führte. Das Herz der Magie befand sich im Turm der Weisheit, genannt Mada. Mada gegenüber stand die Urpalme, die ihre unglaublich große, mit einem Boot vergleichbare Blätter „Efloe“ bis zum einzigen Fenster der Turm der Weisheit reichte. Von dort aus nimmt die Geschichte ihren Lauf an. Denn Mada wird von Hauptzauberer bewohnt.

Ich hörte zu und war bereits dort, ich sah einen feinen, eleganten und unglaublich hohen Turm der Weisheit, Mada genannt, mit einem einzigen Fenster in Richtung Süden. Ich sah die ebenso hohe Palme mit wenigen Blättern auf der Spitze, die sich liebevoll nach Norden zum Turm streckte. Der weiße Sand der Unschuld lag den beiden zu Füßen und ich machte mich auf den Weg zum Turm der Weisheit.

Die Urpalme hat seit unzähligen Jahren eine dunkle Krankheit, Namens „Sukut“. Es ist wichtig zu wissen.
- Sag mal, früher trug wohl jedes Staubkörnchen einen exotischen Name – freute ich mich.
- Die Sukut beraubte die Urpalme ihren majestätischen Efloeblätter. Sie fielen dadurch, fielen runter und das war schon immer sehr traurig. Nun bist du jetzt ein Teil der Geschichte geworden. Ich kann dir nichts mehr beibringen, dein Weg führt dich weiter.

Ich erreichte den Turm der Weisheit, der in der Nähe nicht mehr so zerbrechlich aussah und fing an, eine ewig hohe Treppe hochzusteigen. Ich freute mich, freute mich gewaltig. Dieser Klartraum bat mir alles, was ich nur wünschen konnte: eine Geschichte, ein Abenteuer und hoffentlich einen noch verborgenen tiefen Sinn. Nicht jeden Tag darf man so eine wunderschöne aber schlichte Treppe im Turm der Weisheit hochsteigen. Mein Herz pochte in der Erwartung des Hauptzauberers schneller, doch das was ich oben erblickte, übertraf alle meine Mutmaßungen.

Eine wunderschöne Frau, schlank und groß, mit welligen langen dunklen Haaren und feiner Haut trat mir entgegen. Ein dünnes durchsichtiges Gewand verbarg keinerlei Details ihrer weiblichen Vollkommenheit, ihrer reifen Formen, ihrer biegsamen Körper. Sie nahm mich lächelnd an die Hand und führte zum Fenster. Sie sprach zu mir und ihre Stimme war mit einer Traurigkeit erfüllt, die nicht zu ihrem Lächeln passte, wohl aber zu der Tiefe ihren Augen.
- Willkommen in Turm der Weisheit, Fremder. Es gibt nur eine Möglichkeit die Weisheit zu erlangen, das Wissen zu erleben. Steig mit mir ins Efloeblatt, es erwartet uns!
Efloeblatt? Tatsächlich hängte ein mächtiges Blatt der Urpalme direkt vor dem Fenster der Mada. Das riesige fleischige Blatt war von der Form einem Schiff sehr ähnlich. Von unten wurde das Blatt durch Sukut bereits schwarz und seine weißen Härchen leuchteten seltsam auf dessen Hintergrund. Ich stieg ins Efloe ein und Mada folgte mir. Ich setzte mich in einen Lotussitz und die Schöne eroberte mein Schoß. Das Blatt trennte sich von den Urpalme, wir vereinigten uns in einem Liebesspiel und Mada flüsterte mir ins Ohr die Weisheiten der Geschichte:

- Schätze die Worte, die dir zugetragen werden. Teuer ist der Preis der Weisheit, die du bekommen sollst, viel zu selten sind die Efloeblätter.
- Ach ja, Sukut, ich weiß.
- Nein, du weiß nicht. Sukut ist kein Übel. Alles ist Sukut unterworfen, angemessen ist ihre Erscheinung. Ein Mal in tausend Jahren fiel durch ihre Wirkung ein Efloeblatt nieder, irgendwann werden alle Efloeblätter abfallen, doch jetzt ist es anders geworden.
- Anders, was meinst du damit?
- In jener Zeit, wo die Erde noch keine Kugel war, herrschten die Gesetze der Magie in dieser Welt. Die Zauberer, musst du wissen, schrieben nie ihre Erkenntnisse nieder. Viel zu groß war die Macht des Wissens, viel zu wenige besaßen die Weisheitsquelle in ihrer Seele. Die Lehrlinge wurden Jahre lang vorbereitet und umsichtig geprüft. Nur Diejenigen, dessen Herz rein von der Selbstsüchtigkeit war, konnten das Zauberwissen erlangen. So lebten die Menschen unter den Zauberern in Frieden und konnten mit der Welt in ihrer Natur Eins sein.

Doch die Macht der Zauberei lockte auch die unreine Herzen ein. Der Diebesklan zielte schon längst auf das geheime Wissen ab, doch es gelangte ihm noch nie dieses immaterielle Gut zu stehlen. Bis der junge Prinz der Dieben mit dem König eine Wette einging. Er wettete gegen gesamten Klan, dass er es schaffen kann: das Zauberwissen zu erbeuten und die Macht an sich zu reißen. Im Diebesklan war das eine seit langen Zeiten gepflegte Tradition. Ein besonders begabter Dieb, der sogenannter Prinz konnte durch eine bisher unübertroffene Dieberei den Königplatz für sich reservieren. Falls er die Wette gegen gesamten Klan gewinnen kann. Das war ein großer Ansporn für die Diebe, um ihren Handwerk zu perfektionieren. Also schlich der Diebesprinz zu den Lehrstellen der Zauberer und sein Erscheinen blieb unbemerkt. In verborgenen lauschte er den geheimen Worten zu. Aus dem Schatten schaute er das Erscheinen von Geistern. Aus dem Dickicht und aus der Tiergestalt konnte er heimlich die Reden belauern. Zweifelsohne hatte dieser Dieb auch ein ausgesprochenes Zaubertalent. Doch sein Herz durstete nach Anerkennung, nach Macht, nach Einflussnahme. Und so maßte er sich an nach einigen Jahren der Spionage, das Geheimnis der Magie verstehen zu können. Jedoch war dies nur sein halbes Verbrechen. Auch früher gab es einige Versuche, das Wissen ohne Weisheit anhäuften, keiner brachte dennoch damit etwas zustande.

Das zweite Verbrechen des Diebesprinzen war noch schrecklicher. Bei einer seiner Bespitzelung kriegte er das mit, was nicht für seine Ohren adressiert war: er erfuhr über die Existenz einer Urpalme mit ihrer Efloeblättern und darüber, welche überragende Bedeutung sie für diese Welt hat. Da die Natur der Dinge früher noch offen, noch unverlogen und unbelegt war, schaffte er schnell die Urpalme zu finden. Er wagte es, sich ein fallendes Efloe zu schnappen, noch bevor es die Erde berührte! So eine Frechheit war undenkbar! Als die Zauberer zu sich kamen und den Dieb fingen, war es bereits zu spät. Er zerhackte das Efloe für eine Zaubermixtur, mit welcher er ein Ungeheuer zum Leben erweckte. Keiner weiß genau was diese Kreatur in Wirklichkeit gewesen ist. Eine Flamme, ein Geist oder ein Monster, denn die Wirklichkeit wurde verdunkelt und ein Schleier der Illusion breitete sich unaufhaltsam aus. Das schreckliche Etwas namens Fozór, die Kraft und Stolz des Diebes war erschaffen um die Herrschaft der Magier zu beenden, die Welt der Zauberei außer Kraft zu setzen. Unsichtbar, nebelartig fiel diese Schleier über diejenigen Menschen, die sich noch nicht zu wehr setzen konnten. Kleinkinder, die bereits nur wenige Frühlinge erlebt haben, wurden nächtlich von schweren Albträumen geplagt. Monster erschienen ihnen in diesen Träumen und verseuchten ihre Phantasiewelt, Schreck machte sich dort breit. Die gesamte Kraft der Zauberer wurde gegen diesen Albtraum Fozór versammelt, jedoch fesselte sich der Schleier an das kindliche Bewusstsein, teilte mit ihnen seine Lebenskraft und wurde von außen nicht mehr zugänglich. Und obwohl die Magier jeder Generation aufs Neue den Aufruf gegen Fozór einleiteten, verliefen ihre Bemühungen mit der Zeit in den Sand. Die Gebete verstummten in den gierigen Kirchen, die Wahrheit der Weisen wurde als eine abergläubige Spinnerei abgestellt und verteufelt. Fozór allein durfte alles erklären und regeln, nur er hatte die Berechtigung in dieser neuen Welt.

Mir jeder Generation veränderte sich das menschliche Bewusstsein unter den Fozór’s Wirkung mehr und mehr, die Kinder akzeptierten Technik und Wissenschaft, Mathematik und Logik eher als die Weisheit oder Gefühle, Mystik oder Zauberei. Die Welt wurde verseucht und wandelte sich seit dem radikal. Auch bis heutigen Tag treibt Fozór ungehindert seine Gräueltat.

Das Efloeblatt erreichte die Erde. Mada stieg aus, die Geschichte war damit erzählt.
- Die Menschen haben sich verändert und auch diese Welt. Die Erde wurde vergiftet. Die Efloeblätter fallen viel schneller als früher ab. Die Jahre sind gezählt. Jetzt hast du das Wissen erlebt und kann heimkehren.
- Aber was passiert mit der Erde?
- Nun es gibt noch eine Hoffnung. Es heißt, ein Auserwählter wird kommen und uns alle retten. Er wird der Turm der Weisheit finden und Fozór töten.
- Cool! Was soll ich tun?
- Das weiß nur Auserwählter selbst.
- Hmm… dann bin ich doch kein Auserwählter. Keine Ahnung, wie ich Fozór aus den Kindern austreiben soll.
- Dann bist du kein Auserwählter.

2. Klartraum, etwa eine Woche später:



Ich stehe wieder Mada gegenüber. Dasselbe Abschiedsszene, dasselbe Traurigkeit in ihren Augen. Ich dagegen tanze leicht auf meinen Füssen, sprühe von Energie.
- Komm mit – ich ergreife Mada’s Hand und ziehe sie hinter mir her – ich weiß, was zutun ist. Lass uns zurück in den Turm der Weisheit gehen!
- Zurück in den Turm, wieso? Du hast dich mit der Weisheit bereits vereinigt!
- Komm trotzdem mit!

Ich schleppe Mada zum Turm und wir steigen schnell die steile Treppe. Als wir dort ankommen, führe ich Mada zum Fenster: „Schau mal raus!“
Ein Ruf des Erstaunens und Mada schlägt fassungslos ihre Hände über ihren Kopf:
- Die Urpalme! Die Efloeblätter! Sie sind alle wieder grün! Und zahlreich wie noch nie! Was ist geschehen? Wie ist das möglich? Was hast du getan?

- Das ist ganz einfach. Ich bin ein Klarträumer (stolz guck). Das Problem in der ganzen Geschichte war weder Fozór noch der Diebdepp. Das eigentliche Problem lag an der Krankheit der Urpalme, an Sukut. Der Dieb hat mit seiner Handlung dieses Problem nur beschleunigt, nur verstärkt. Zuerst wusste ich nicht was man dagegen machen kann. Viele Menschen sind dem Fozór unterworfen, einige wissen nicht mal, dass es anders gehen kann. Sukut hat sich durch Fozór extrem verbreitet.
- Und wie hast du es gelöst?
- Du checkst das wohl immer noch nicht – ich schaue die Weisheit an und lache dabei aus ganzen Herzen – auch du trägst die Illusion des Fozór’s, die Täuschung der Sukut in deinem Herzen. Die Urpalme war noch nie krank, verstehst du? Ich habe nur den Schleier an deinem Fenster weggezogen.
- Hä? – Mada schaut mich etwas dümmlich an
- Pass auf! Sukut ist die Zeit, welche Erde noch hat. Fozór ist das an die Zeit gebundenes Denken. Wie kann man die Zeit stoppen?
- Keine Ahnung…
- Aufwachen! Nicht in der Zeit, in der Geschichte leben, einfach aufwachen! Den Augenblick bewusst werden. Im Augenblick leben. Denn das ist die Wahrheit.


Aus der Traumbibliothek



„Irrtümlicherweise wurde diese Geschichte früher für einen Irrtum gehalten, wogegen heute bewiesen wurde, dass der Inhalt dessen, was ich Dir anvertrauen werde, totaler Irrsinn ist…“



Es blitzt und donnert, ich hebe mein Kopf vom Buch und schaue mich um. Meine Begleiter Kai und Maja sind da und halten Wache. Jeder an seiner Tür. Jeder für seine Richtung. Die schäbige Wohnung in diesem heruntergefallenen Haus wackelt jedes Mal, wenn der Güterzug vorbeihastet oder ein neuer Angriff abgewehrt wird. Die Geschwister schauen konzentriert hinaus und diese besondere Aufmerksamkeit lässt ihre kindlichen Gesichter ungewöhnlich erwachsen wirken.

Kennengelernt habe ich die beiden rein zufällig. Ich spielte wie immer allein an der Güterstation der Bahn und vergaß dabei völlig die Zeit. Bestimmt nach einer Ewigkeit, als ich mir dieser bewusst geworden bin, fuhr der nächste Güterzug weg. Und da standen sie: Kai und Maja, zwei Kinder wie ich und sie schauten mich gleichzeitig ernst und lachend an. Maja lachte und Kai war ernst. Ich nahm der verdunkelte Himmel wahr, die letzte Strahlen der untergehenden Sonne und begriff, dass es bereits sehr spät ist und dass ich es wohl nicht mehr schaffen werde, vor dem Eintritt der mächtigen Dunkelheit nach Hause zu kommen. Die Kinder kamen auf mich zu und nahmen mich mit sich. Sie führten mich weiter in die Güterstation hinein. So weit, wie ich mir bis jetzt noch nicht getraut habe. Wir beeilten uns, denn die Zeit hat ihrer Jagdsaison bereits eröffnet und die Straßen waren für Kinder nicht mehr sicher. Doch die Geschwister dachten nicht nur ans verstecken. Sie betraten die graue Zone, die Reihe unbewohnten Häuser, die zwischen den Schienen aufgebaut worden und seit langen verlassen wurden. Sie brachten mich hierher.

Auf dem Fußboden der alten Wohnung lag ein Buch. Ich wurde von ihm wie von einem Magneten angezogen. Ich spürte, ich ahnte, ich witterte es. Das war das Buch, was nur von Einem gelesen werden konnte – und ich fiel von ihm nieder aufs Knie, und ich saugte in mich die verstaubten Worte hinauf, wie ein Durstender aus der Quelle.
Es war ein Durchgangszimmer und die Kinder stellten sich auf, mich während des Lesens zu schützen. Maja stand an der rechten Tür, die nach Süden zum öffnen war. Sie passte auf Licht, Geräusche und Stoße, die mich aus dem Sog rausnehmen konnten. Den neugierigen Augen wich sie stets lautlos und unbemerkt aus. Als wären wir nie da gewesen, als würde hier nichts passieren. Wenn die Bedrängung zu stark war, schuf sie ein Vorhang. Ich weiß immer noch nicht, was sie da gezeigt hat. Vielleicht die leere Wohnung, vielleicht spiegelte sie die gierige Blicke zurück. Auf jeden Fall hielten die Täuschungen gut stand.
Kai dagegen hatte die linke Tür. Die Tür ins Norden, ins Land der Schatten. Die zahlreiche Angriffe der Geister traf er mit offener Stirn entgegen. Sein Mut und sein scharfer Verstand waren bemerkenswert. Tausende heulende Wesen zerrten an ihm rum, zogen ihm in ihren dunklen Bahnen mit oder klebten sich hinterlistig an den Wandtapeten. Unermüdlich entlarvte er sie, mit fester Hand warf er sie heraus. Nie wäre ich alleine so weit gekommen! Ich habe nicht so viel Mut und Ausdauer.
Ich wende mich wieder dem Buch und mache zumindest das, was ich wirklich machen kann -lesen.

„Irrtümlicherweise wurde diese Geschichte früher für einen Irrtum gehalten, wogegen heute bewiesen wurde, dass der Inhalt dessen, was ich Dir anvertrauen werde, totaler Irrsinn ist…“




Puh…, was für ein merkwürdiger Schreibstil! Diese ständigen Wortwiederholungen… Obwohl jeder die Bücher lesen kann, bedeutet es nicht, dass jeder auch den Inhalt verstehen kann. Und das liegt nicht an der Fähigkeit zu denken, sondern daran wie man etwas überhaupt liest. Ich weiß nicht wie viele echte Leser in unseren drei Welten existieren. Vermutlich nicht sehr viel. Denn Geheimnis des Lesens besteht nicht in der Wahrnehmung der Buchstaben, Worten und Sätzen, sondern im unmittelbaren Erleben des Buches. Das setzt voraus, dass der Leser interpretationsfrei in eine neue Welt eintauchen kann, ohne sie auseinander zu pflücken, um seine Behälter zu erfüllen.

„Irrtümlicherweise wurde diese Geschichte früher für einen Irrtum gehalten, wogegen heute bewiesen wurde, dass der Inhalt dessen, was ich Dir anvertrauen werde, totaler Irrsinn ist. Vor einer langen Zeit lebte in dieser Vorzeit ein Mann, unglücklich, wie ein Mann nur sein kann. Krank war er und bettelarm, sein Haus welch er so gern behauste, fiel beinah auseinander. So geschah eines Tages, als es so stark regnete, dass er das Gefühl hatte, drinnen mehr Wasser als draußen zu fühlen, das er seine drei Sachen packte und in die kleine Welt hinausging. Klein war seine kleine Welt trotz eines riesigen Himmels, welch all unsere drei Welten bedeckt. Klein war seine kleine Welt trotz einen großen Ozean, welch auch bei tobenden Sturm unten still bleibt. Aber vor allen war seine kleine Welt so klein, weil er auf einem kleinen Insel lebte.“




Das Lesen wurde plötzlich durch Einbruch eines Monsters aus dem Land des Schattens unterbrochen. Kai fiel bewusstlos um und Maja sprang mit einem Aufschrei ihm zur Hilfe. Doch der Monster schmetterte auch mich zur Wand und das Letzte, was ich sah, war wie Maja ihr Vorhang auf den Monster warf. Er zerfiel auf Tausende bunte Legosteine und ich fiel auch mit, tiefer und tiefer. Ich spielte mit den bunten Bausteinen, ich versuchte die Welt zu retten, doch dazu fehlten mir immer welche. Ich suchte sie überall: im Wohnzimmer und im Garten, auf der Straße und in der Erde. Doch ich fand sie nicht. Traurig drehte ich mich um und ging nach Hause. Mein Vater fragte mich nach meinem Kummer. Doch auch er konnte mir nicht helfen. Aber in seinen Augen lachte der Schelm! Aber in seinen Augen funkelten und tanzten die Sonnenstrahlen! Und ich wusste – es ist ein Geheimnis! Mein Vater stieg ins Auto und fuhr weg. Ich setzte mir eine Maske der Langweile auf und ging in die Garage. Und da, zwischen Motorenöl und Werkzeug, zwischen elektrischen Kabel und verrosteten Schrott fand ich eine ganze Menge neuen frischen Legos!

Als ich zu sich kam, herrschte die Nacht über die Güterstation. Die Züge fuhren jetzt seltener und zumindest die neugierigen Augen des Südens waren mit anderen Bildern beschäftigt. Ich sah Kai und schrak auf. Der Angriff des Monsters ist nicht spurlos vergangen. Vor mir stand ein sechzehnjähriger junger Mann, der sehr viel von kindlicher Naivität verloren hat. Seine kleine Schwester schaute ihn traurig an und ich wusste, dass ich das Buch lieber schnell weiterlesen soll.


„…Aber vor allen war seine kleine Welt so klein, weil er auf einem kleinen Insel lebte.“




Dein Wille geschehe!



Im Traum war ich ein gewöhnlicher Junge, der sich in seiner Umgebung gelangweilt hatte. Drum freute ich mich, als ich hörte, dass ein bekannter Fakir unweit unserer Siedlung in der Steppe haust. Ich ging zu ihm in der Hoffnung, dass er aus mir einen Superman macht und aus meinen langweiligen Leben ein Bonbon.

Der Fakir hieß Mustafa. Er saß in der Steppe auf der Erde und belehrte seine Schüler. Ich trat hervor und fragte ihm, ob er mich in seine Schülerschaft aufnehmen kann. Mustafa nickte und vermittelte mir sogleich Die Geheime Technik.
„Junge, sagte er,
erstens, entspanne deine Augen
zweitens, atme in die Bauchdecke 2 Mal und
drittens, sprich „Mein Wille geschehe!“
Dabei sollst du dich auf deinen Wunsch konzentrieren – er wird in die Erfüllung gehen!“
„Das ist alles?“
„Ja, ich hoffe bis drei kannst du zählen“
„Wie lange soll ich nun üben“
„Geh und übe 3 Tage lang!“

Ich ging heim und übte 3 Tage lang. Ich habe mir ein leckeres Eis gewünscht, mit Null Erfolg. Irgendwie fühlte ich mich verarscht und ging wieder in die Steppe zu Mustafa.
„Und, geht ab?“, fragte er mich
„Nix geht ab, es funktioniert nicht!“
„Was sagst du innerlich bei atmen?“
„Mein Wille geschehe!“
„Falsch! Was maßt du dir ein? Nach drei Tagen soll dein Wille geschehen?“
„Aber.. aber.. sie sagten doch selber…“
„Ja ich sagte dir „MEIN Wille geschehe!“ und nicht dein. Das heißt für dich, dass du dich an meinen Willen stützen sollst. Klar?“
„Ja“
„Dann geh und übe weiter!“


Ich fühlte mich aber weiterhin kräftig verarscht und probierte die Technik gleich aus. Ich entspannte meine Augenmuskulatur, so dass die Konturen von Menschen verschwammen, atmete bewusst in die Bauchdecke und sagte gedanklich: „Dein Wille geschehe!“. Sofort hielt ich in der rechten Hand ein Eis! Ich war total erstaunt und warf mich mit dem Ausruf „Meister, Meister!“ zu Mustafas Füssen. Doch er distanzierte sich:
„Du wolltest doch eine Belehrung von mir bekommen, so höre: Die Magie bahnt sich selbst ihren Weg. Sie ist wie Duft einer Blume, sie gehört keiner Person und da gibt es nicht zu bedanken oder zu geben. So ist meine Lehre!“
Ich stand auf und verabschiedete mich feierlich. Doch auch hier lächelte Mustafa nur und sprach: „so ein Unnütz sind deine Worte, wir sehen uns gleich!“

Es gehört wahrscheinlich zum guten Ton eines Gurus, in Rätsel zu sprechen. Tja, ich drehte mich einfach um und wünschte mir was Feines und zwar weit weit weg von hier.

Um meine nächsten Lebensjahre zu beschreiben, benötige ich sicherlich viel mehr Zeit, als diese klägliche Minute, bevor ich wieder ins Bett falle. Ich kann nur verraten, dass ich mir ein sagenhaftes Zelt in der Wüste errichten habe. Mit Springbrunnen und Kamelen, mit leckeren Speisen und vielen-vielen Frauen aus der ganzen Welt. Ich vergnügte mich von Morgengrauen bis in der Nacht. Tagtäglich habe ich nichts anderes getan, außer mich auf die Sinnlichkeit einzustimmen und neue Reize herzuwünschen… bis es nicht mehr interessant wurde. Dann ging ich in einen anderen Reich und wurde dort zum Sultan gekrönt. Ich herrschte 7 Jahre lang gerecht und gütig, doch es war dann immer derselbe. Ich verließ das Reich und wandte der Wissenschaft zu. Ich erlernte blitzschnell alle Fremdsprachen und konnte in meinen Kopf der Inhalt aller Bücher der Welt festhalten. Als ein Gelehrter verstand ich, dass man nur in der Kunst so richtig abgehen kann und begann die ungesehene Meisterwerke zu schaffen:
Keine langweilige Bilder oder Statue, nein ich schuf Kreaturen, die auf der Erde noch nicht gab, ich veränderte Pflanzen und Tiere, Felsen und Gewässer und meinen eigenen Körper!!

Aber irgendwann gingen mir die Ideen aus. Ich wusste nicht mehr, was ich mir alles so wünschen soll. Ich konnte einfach alles, aber nichts hatte einen bleibenden Wert, nichts hatte Bedeutung, denn ich konnte genauso schnell alles dematerialisieren. Ich hatte keinen festen Vergleich. Zum Schluss war mir diesen Zustand des Alleskönners so unerträglich, dass ich in der Zeit zurückreiste und wieder als junger Mann von dem Mustafa kniete:
„ Oh Meister, rief ich aus, bitte nimm mir meine Fähigkeit wieder ab! Denn es ist für mich kein Segen, sondern Fluch! Langweilig ist es mir in meiner Bestimmtheit, unendlich Langweilig!“
„Du hast etwas Wichtiges gelernt, antwortete Mustafa, du hast erlebt wie dein Geist funktioniert. Aber ich werde dich von deiner Last noch nicht befreien. Dein Wille kann dich nicht glücklich machen, auch wenn er in der Erfüllung geht. Diene Fähigkeit, diese Welt zu kontrollieren ist nichts besonderes, das ist ein gewöhnliches Werkzeug, ähnlich wie ein Hammer eines Schmiedes. Die Frage ist aber, wer die Hand führt. Was ist in dir ein Wille, was stets, was rein, was unverdorben ist? Was ist der tiefe Wille?“

Ich dachte nach. Und dann dachte ich noch mal nach. Ich entspannte meine Augen, konzentrierte mich auf die Bauchatmung, wünschte mir aber nichts und horchte nur in mich hinein. Ich merkte, dass meine Atmung laut ist. Viel zu laut. Dass ich von lauter Atmung nichts mehr hören kann. So atmete ich aus und hörte auf zu atmen. Das war besser. Ich tauchte tiefer und tiefer… Jahre vergingen ins Land… ich schwebte 1 Meter über die Erde und mein Bart wurde so lang, dass er von oben in die Erde wuchs. Ich hatte kein Gewicht mehr. Ich spürte nichts und war nichts.

Dann kamen die Kinder. Ein Junge und ein Mädchen. Sie zogen mich frech an Bart und lachten dabei laut. Ich sah ein Ball und kam runter. Wir spielten zusammen Fußball und es ging richtig ab!


Missis Annabel



Missis Annabel ist unsere Lehrerin. Sie ist etwas Besonderes. Unerwünschtes Verhalten unterbindet sie, indem sie mit ihrem Metalllineal über die Glasplatte ritzt. Es ist ein schlimmes Geräusch! Dagegen richtige Antworten belohnt sie wenn nicht gleich mit Sex, dann mindestens mit einem ordentlichen Zungenkuss. Bei dem Löwenanteil der Jungen und Lesben in der Klasse ist es eine hervorragende Didaktik.
Ich werde gewiss eine Geschichte über Missis Annabel schreiben. Sie ist für mich die perfekte Verkörperung des nihilistischen Instinkts des Todes. Der Tod ist auf Russisch weiblich. Sie ist also die weibliche Form des Tanatos.
Der Unterricht geht weiter. An der Tafel stehen die Zahlen 20 bis 30. „Don, zähle laut!“ ruft Missis Annabel. Ich freue mich. Ist doch einfach! Der Pavlowsche Hund ist Nichts im Vergleich zur meiner Vorfreude. Ich kann das sogar dreimal nacheinander und mit wilden Augenbewegungen dazwischen! Hauptsache ich bekomme mein Futter. Ich liebe die klassische Konditionierung und die unmittelbare positive Verstärkung!
Jetzt ist es an der Zeit uns die Füße zu vertreten. Wir marschieren draußen in 2 Reihen, mit Missis Annabel am Kopf. Ich zähle 10 Schritte.
- Links-Rechts, Links-Rechts, - kommandiert munter unsere Lehrerin.
- Es heißt, ich soll meine Augenbewegungen nicht vernachlässigen. Ich fange wieder meine Schritte zu zählen: 1, 2, 3...

- Wer ist schö-ner als Model? – rappt plötzlich die Lehrerin
- Wer ist schö-ner als Model? – rufen wir im Chor aus. Ich muss grinsen, lasse mich aber nicht ablenken und zähle die Schritte weiter.
- Es ist Missis Aaa-nnabel! – schlägt die Lehrerin uns vor.
- Es ist Missis Aaa-nnabel! – der Klassenchor stimmt eindeutig zu. Ich auch! Ich verwerfe das Zählen und singe begeistert mit.

- Wer ist intel –lek – tuel? - der Lehrerin macht es eindeutig Spaß.
- Wer ist intel –lek – tuel? – fragt sich quasi der Chor.
- Es ist Missis Aaa-nnabel! – vemutet die Lehrerin.
- Es ist Missis Aaa-nnabel! – bestätigt die Klasse.

- W’rum ist die Schule kein Bordell? – fragt uns die Lehrerin.
- Ist die Schule kein Bordell? – der Chor wundert sich.
- Wegen Missis Aaa-nnabel! – behauptet unsere Lehrerin.
- Wegen Missis Aaa-nnabel! – und damit hat sie recht.


Das letzte Wort



Der Weg zur Uni war mir wohl bekannt. Er schlängelte sich durch die engen Gassen des historischen Viertels, uferte auf dem Marktplatz etwas aus und mündete in einer dicht bepflanzter Alle. Tag täglich ging ich diesen Weg entlang und dort konnte mein ganzes Leben festgehalten werden: zuhause war meine Mutter; in der Gassen spielte ich als Kind; auf dem Markt ging ich Obst und Gemüse einkaufen, redete mit Freunden und Bekannten; auf der Wiese, seitlich der Alle, erholte ich mich nach dem langen Unterricht.

Ich war ein erwachsener Mensch, mein Schicksal offenbarte also mehr und mehr ihren Vorhaben und das, was sie offenbarte, war wirklich gut. Ich hatte eine Familie, spannende Arbeit an der Uni, geistreiche und kreative Freunde und die Anerkennung auch. Es war alles…wie soll ich das ausdrücken… perfekt. Die Sonne schien mild, die Vöglein zwitscherten in den Baumwipfeln, eine Freundin von mir entwickelte gerade ein Tanztheaterstück zum welchen ich mal wieder eine Story geliefert habe.

Es ging in dieser Geschichte um einen Mann, der aufgrund der toxischen Vergiftung in einem Labor, wo er arbeitete, eine Reihe seltsamen Verhaltensweisen entwickelte. Er ging nur mit einem Badetuch bekleidet durch die Straßen spazieren, redete mit den Vögeln und sang mit einer unbekannten Sprache seltsame Lieder. Die ortansässigsten Polizisten brachten ihm in eine Psychiatrie. Dort konnte der gelernte Chemiker allerdings wohl vernünftig argumentieren und sich verteidigen. Er wurde nicht in die Klinik aufgenommen und nicht als aggressiv oder sozial gefährdet eingestuft. So wurde er freigelassen und konnte in Ruhe seinen exzentrischen
Verhaltensweisen freien Lauf geben. Die Gefühle der Anarchie und des Chaos breiteten sich in der Kleinstadt wie Lauffeuer aus. Frauen waren von der Fremdartigkeit des Mannes fasziniert und begleiteten ihn überall. Junge Menschen amten seiner Freizügigkeit nach. Sogar die Tiere wurden in seiner Bahn gezogen und stolzierten durch die Straßen.
Die Bürger der Stadt waren über diese Entwicklungen sehr besorgt. Sie fingen den Mann in den Morgengrauen und lynchten ihn.



Das Stück ist bei den Kritikern gut angekommen. Hoch gelobt wurden nicht nur das Aufspannen des dramaturgischen Bogens, die gut durcharbeiteten Charaktere, oder die spannende Erzählungsweise. Sondern natürlich die vernichtete Gesellschaftskritik.
Sozusagen über die Nacht wurde ich berühmt. Der Weg zur Uni war jetzt voll von Menschen die mit mir reden wollte, oder wissen wollte wie ich das meine, oder einfach nach einem Autogramm fragten. Ich musste immer antworten, dass die Kritiker das Stück nicht verstanden haben… die Menschen lachten und nickten wissend mit Köpfen. Und sie fragten mich weiter. Dann musste ich deutlich machen, dass auch sie nicht verstanden haben, worum es im Stück ging. Sie fragten mich wieder. Ich musste antworten, dass sie es nie verstehen werden, dass es nicht möglich ist, weil sie begrenzt sind. Ich glaube da war vorbei mit Spaß. Ich wurde nicht mehr freundlich begrüßt oder behandelt. „Das ist ein Egoist!“ riefen die Menschen, die mir noch vor kurzem sehr nah standen. Tja. Meine Mutter riet mir mehr Weisheit und Respekt den anderen Menschen gegenüber an, worauf ich antwortete, dass nicht sie mich geboren hat, sondern umgekehrt. Meine Mutter war da glaube ich schockiert.

Letztendlich habe ich so ziemlich jeden auf diese Art und Weise beleidigt. Es ging so weit, dass die Menschen geklagt haben und ich vor dem Gericht erscheinen müsste. Der Richter hörte sich alles an und sprach:
- Junger Mann, entschuldigen Sie sich und die Sache ist erledigt!
- Mich entschuldigen? Vor wem denn? Und wieso? Ich sehe hier keinem, der in irgendwelcher Schuld steht!
Der Gerichtssaal brummte voll mit verärgerten Menschen, wie ein angekratztes Wespennest. „Strafe! Er hat eine Strafe verdient! Ins Gefängnis mit ihm!“ kamen von überall an die wütende Rufe.
Der Richter sah das auch so, wollte mir aber noch die letzte Chance geben:
- Was sagen Sie zu ihrer Verteidigung?
- Sie sind eine Traumfigur! Ja Sie genau Sie, Euer Ehren! Schauen Sie mir genau in die Augen an (der Richter versucht mit seinem Hammer rumzufummeln) Schauen Sie mich an! Sehen Sie? Sehen Sie ein Licht? Da, genau da, noch ein wenig links… (Richter wird langsam heller und ich drehe mich um) Mutter, schau da, genau da, siehst du? Seht ihr? Seht ihr?

Das herrliche Lachen erhallt von überall im Gerichtssaal, so befreiend und frisch wie Licht in der Dunkelheit, so ununterbrochen und ersehnt wie der Regenguss in der Wüste… und in der Mitte stehe ich und denke: warum bin ich nur mit einem Badetuch bekleidet?


Die Wolke




Im Traum bin ich eine Wolke
Eine Einsammlung von Wasserteilchen
Bewegung und Elektrizität…
Ein Konvent
wie Grateful Dead

Wo der Zeus seine Streitmacht
Mit Blitz und Donner begleitet
Falle ich in tausend Regentropfen
Gen Erde, Gen Boden
Wir strömen

Amor vincit omnia
Die Pfeile des Cupido
Befruchten die Mutter Erde
In ihren dunklen Schoß
Wird geschossen

So zerfällt die Wolke
Regenguss von Wasserteilchen
Bewegung und Elektrizität…
Ein Konvent
wie Grateful Dead

Der Mensch trinkt Wasser
Er ist Don
Das Tier trinkt Wasser
Es ist ein Stier
Die Pflanze trinkt
Und treibt
Und schwingt

So viele Körper
Und jeder trägt
So viel Gedanken
Elektrizität
In einem Traum
Wo alles lebt

» Wir sind vom gleichen Blute, du und ich «
Eine Einsammlung von Wasserteilchen
Bewegung und Elektrizität…
Ein Konvent
wie Grateful Dead


Der große GE



Es klopft. Auditiver Anfang, interessant. Jemand klopft in meinen Traum. Ich öffne das Fenster meines Dreamcars: draußen ist ein blauer Himmel mit vielen Wolken und ein Päckchen schwebt vor meiner Nase. Ich lasse mir die Zeit, schau den wunderschönen Himmel an. Die Sache ist wohl so, dass ich mit meinem Dreamcar durch die Wolken fliege. Also hole ich das Päckchen und lege auf eine elegante ovale Glasplatte. Dreamcar hat die Form eines Tropfens, graue Wände und einen Propeller hinter, was sehr dezent pro sich hin brummt. Ich schnipse mit den Fingern und die Wände werden durchsichtig. So kann ich die tolle Aussicht besser genießen. So, jetzt öffne ich aber das Päckchen. Noch ein Fingerschnips und die Wände verdunkeln sich wieder. Ich öffne das Päckchen: wuuiii… ein Geist, ein Dschinn fliegt heraus und materialisiert sich zu einem dunklen Mann
- Schnell, der große GE braucht deine Hilfe!
- Großer was?
- Der große GE, wir haben keine Zeit zu verlieren!
Er ergreift meine Hand und schleppt mich zur Luke im Fußboden des Dreamcars. Abenteuer!
Wir stürzen gemeinsam in die Luft, fallen und fallen runter, der Wind schlägt unsere Gesichter und Haare … wunderbar! Unten angekommen landen wir an einer beachtlichen weißen Treppe. „Da drauf müssen wir“, sagt Dschinn, „und bitte sei höfflich zu den großen GE!“. Wir steigen die Treppe hinauf. Am Ende steht eine überdimensionale Statue eines Mannes. Der Dschinn kniet sich nieder und fängt mit einer erhöhten Stimmlage zu rufen:
- GEpriesen sei Dein GEbein! GElobt sei Dein GEhör, den Du uns schenkst!
- Was wollt ihr, GEschöpfe? – donnert von oben eine gewaltige Stimme.
- (Du bist dran!) - zischt Dschinn zu mir.
- (Was? Warum ich?)
- (Na wer hat heute Geburtstag? Schnell, wünsch dir was!)
- (Ok, ok) - ich fange auch an, auszurufen: Oh GEwaltiger GE! Dein GEsicht ist wie ein GEsäß, dein GEruch ist wie ein GEstank!
- (bist du völlig plemplem?) der Dschinn tritt mir auf den Fuß
- GEnug – donnert die Stimme von oben – was wollt ihr?
- Ich habe heute GEburtstag und würde gern ein GEschenk bekommen – melde ich mich brav. Gib mir die Weisheit!
- Nein, die GEbe ich dir nicht.
- Warum nicht?
- Weil im Wort „Weisheit“ kein GE gibt!
- Ah ok, … oh GEwaltiger GE! Lass uns ein weises GEspräch führen!
- Ja, GErne. Doch zuerst brauche ich dein GEhilfe.
- Wie kann ich dir nun helfen?
- Vor einer Zeit ist mir mein GEfieder entflohen. Seinen GEsang vermisse ich schmerzlich. Finde ihn und du bekommst deine Weisheit!
- Wir finden ihn auf jeden Fall, oh GElobter GE – verneigt sich der Dschinn - wir sind bereits unterweg.

Und er zerrt mich die Treppe runter.
- Wie sollen wir seinen Vogel finden? – äußere ich meine Bedenken – der kann doch überall sein!
- Kein Problem, wir gehen einfach zu einem Ornithologe und lassen uns von einem Vogelfachmann beraten.
- „Ornithologe“? Woher weiß du diesen Fachausdruck – schaue ich den Dschinn kritisch an. – das kenne nicht mal ich selbst!
- Kannst du dich nicht mehr erinnern? So ein grünes Buch über ein Mädchen, deren Vater Ornithologe war?
- Oh Gott, das war ja ewig her, als ich diese Geschichte gelesen habe!
- Nun ich habe es nicht vergessen.

Mit diesem Gequatsche erreichen wir schon unser Ziel. Ein alter Mann mit einem langen weißen Bart sitzt da und um ihn herum (ja sogar auf ihn drauf) sitzen und springen viele verschiedene bunte Vögel. Ich begrüße ihm und bitte uns zu helfen, den Vogel von GE zu finden.
- Der Vogel hat sich die Freiheit genommen, warum soll ich ihm dessen berauben?
- Äh… na… aber müssen nicht auch die Vögel ein Zuhause haben?
- Das stimmt! Ihr müsst wissen, dass jeder Vögel von der Freiheit lebt. Ihr könnt ihm diese nicht wegnehmen, sonst stirbt er. Ihr könnt ihm nur das Zuhause anbieten, mehr nicht. Ich zeige euch wie es geht.

Und mit einer klingelnden Stimme fängt der Alte ein Lied zu pfeifen. Hunderte von Vögeln kommen angeflogen und scharen sich um dem pfeifenden Ornithologe der mit liebevollen Augen sie anschaut und leckere Körner aus der Tasche zieht.

Wir bedanken uns und gehen zurück zum GE.
- Habt ihr mein GEfieder? - brummt er von oben
- Nein – antworte ich – aber wir wissen, wie wir ihm zurückbringen können! Er wird auf deinen GEsang hören, singe und dein GEfieder kehrt heim!
- GEsang? Ich kann doch nicht singen, drum brauche ich doch mein GEfieder, du Narr!
- Das macht nichts, ich werde dein GEhilfe sein! – ich klettere auf die Statue hoch und mache mich auf den Schultern von GE GEmütlich – mach einfach den Mund auf und sage ein langes „AAAA“
- AAA – es kommt dabei ein GEdonner heraus, als würden die Lastwagen von den Fenstern meines Hostels vorbeifahren. Ich steige in diesen Grundton hinein und singe eine Oberton Ouvertüre. Plötzlich erscheint ein kleines Vöglein und huscht in den offenen Mund von GE. – GEnial! – schreit er – vielen Dank, jetzt bekommst du auch dein GEschenk.
- Ach lass es, ich habe schon meine Weisheit GEkriegt, lass uns einfach weiter singen!

Doch GE hebt plötzlich sein rechter Arm und mit einem Ausruf „Öffne Dein GEhirn!“ donnert mir sein Faust in die Stirn. Ich falle runter und sehe neuronale Verknüpfungen, Sternchen, weiße und graue Substanzen… und wache auf.


Der neue König ...



Im einigen Reich, im einigen Staat lebte einmal ein ... .
... war weder GROß noch klein, weder dünn noch dick, weder stark noch schwach.
Und ... hatte kein trauriges Gemüt, aber auch kein fröhliches.
Einmal rief der König ... zu sich.

(- König? Oh man, du bist voll in deine alte Muster verfallen! Was soll schon wieder der König hier? Und wie soll das gehen, wenn ... keine Ausprägungen hatte? Wie soll der König über ... erfahren?
- Wegen Sonnenfinsternis
- Sonnenfinsternis?
- Ja, einmal kam es zum Sonnenfinsternis und alle merkten auf einmal, dass ... da ist. Die Vögel hörten auf zu singen, die Tiere versteckten sich, die Menschen haben ... gespürt und haben darüber den König erzählt. Außerdem ist es mein KT, hier ist alles möglich!).

Also der König rief ... zu sich und gab ... eine Aufgabe:
„An der Grenze meines Königreiches haust ein schreckliches Ungeheuer. Ich suche schon lange nach einem Helden, der uns von ihm befreien kann. Gehe und besiege ihm, so erhältst du als Lohn mein halbes Königreich und meine Tochter zur Frau. Sollst du aber verlieren, so verlierst du dein… äh… sonst wird dir dein… äh… sonst werfe ich dich ins Gefängnis!“
Nach einer Weile, als nichts weiteres passierte und ... sich nicht vom Fleck rührte, befahl der König ... ins Gefängnis zu verfrachten.
Das war ein großer Fehler, denn kaum ... ins Gefängnis kam, brachen die Gitter auseinander und alle Gefangene rannten davon.
Sie rannten weg, damit der König sie nicht wieder einsperren kann und kamen an die Grenze des Königreiches.
Dort trafen sie auf ein schreckliches Ungeheuer, erledigten ihn nebenbei und flohen schließlich aus dem Königreich.
Dem König blieb nichts anderes übrig, als sein Versprechen zu halten.
... bekam ein halbes Königreich und heiratete wunderschöne Prinzessin.
... und König befreundeten sich schließlich und als König starb, übertrug er ... sein ganzes Vermächtnis.

So wurde ... zum König.


Reudeggebba



Ich sehe Zaubersandalen von mir. Zaubersandalen… Zaubersandalen… herrlich! Eine stabile Traumszene, mein Gefühl sagt mir, dass ich heute lange klarträumen werde. Wozu sind die Zaubersandalen da? Wie zaubert man damit? Ich sehe meine Füße, die aus dem Nachthemd stecken, laufe zu Sandalen und pflanze meine Füße hinein.

Augenblicklich dreht sich die Erde um 180° um und ich stehe auf der anderen Seite. Man-o-man ist das abgefahren! Also ich habe schon manche Dimensionen im KT erlebt, einige Planeten und fantastische Traumlandschaften durchstreift, aber dies ist nun wirklich etwas völlig anderes: die Umgebung ist absolut lebendig, animiert wie in einem Zeichentrickfilm! Die Kaffeetassen und die Kaffeekanne, das Geschirr und die Kommode, die Wände und die Bäume… alles bewegt sich, lacht und quatscht total durcheinander. Ich stehe da, schau mich um und wundere mich ohne Ende. Ich selbst trage einen langen roten Frack, gelbe Hosen, und einen schicken schwarzen Zylinder auf dem Kopf. Es scheint alles bereit zu sein für eine große Vorstellung. Und die Show beginnt!

Es geht ein Stoß durch alles, (auch durch mich) und statt chaotischen Geräuschen ertönt ein Lied:

Chor:
Reudeggebba - Sonnenschein
Reudeggebba - Regenpain
Reudeggebba - links nach rechts
Reudeggebba - Glück und Pech
Reudeggebba!


Boha, ein KT als ein Musical! Megageil! Der große Schrank wendet sich zu mir und singt freudig allerdings zu einer neuen Melodie:

Hallo, oh fremder
Paladin
Von Reudeggebba
Bin ich die Königin
In meinen A-U-Gen
Erblickst du all-
-Es sieht dich durch
Stell deine Frage nun!


Und weiter singen alle Tassen und Kanne und sonst-was-dort-war tanzend in Chor:

Von Reudeggebba sind wir die Königin
Stell deine Frage,
Oh fremder Paladin,
In unsren A-U-Gen
Erblickst du all
Es schaut dich durch
Habe nur Mut


Nun mache ich Mund auf und fange an plötzlich zu singen, als wäre ich ein Opernsänger:

Oh liebe Königin
Von Reudeggebba
Ich will die Wahr-
Nur Wahrheit sehen
Die Wahrheit von Erde
Die Wahrheit von Himmel
Die Wahrheit von Außen
Die Wahrheit von Innen
Die Wahrheit von Stille
Und von der Musik
Ich bitte dich Königin
Zeige sie mir!


Da fangen alle so leise lachen als würde die silberne Glöckchen läutern. Die Kaffeetassen und Kaffeekanne und das ganze Geschirrzeug und die Wände und die Bäume… ich schaue verlegen und da singen sie schon wiederum zur neuen Melodie, fast wie ein Kinderreim zu mir:

Auf deinen Augen Tomaten
Gurken und Schnitten mit Marmelade
Ei, Salami, Schinken und Speck
Da kommt eine Kuh
Und leckt alles weg!


Und tatsächlich erscheint von der linken Seite eine schwarzweiße Kuh und das Letzte, was ich sehe, oder besser gesagt fühle, ist ihre raue Zunge auf meinen Augen. Ein mächtiges Leck. Ich liege auf dem Rücken und sehe nichts.


Nun erscheinen am Rande des Nichts überdimensionale Gesichter von 3 Kindern. Sie schauen mich grinsend an und ziehen mich heraus. Ich stelle mich mit meinen Zaubersandalen hinter dem letzten Kind in eine Reihe an und wir fahren „Eisenbahn“ rückwärts bis in meine Kindheit.

Dort spielen wir vergnügt.


Der Niesepeter



Es lebte einmal eine Familie, die hatte einen Sohn, Peter genannt, der gelähmt war und nicht laufen konnte. Dreißig und noch drei Jahre lag er auf dem warmen Ofen und wurde von den Eltern versorgt. Doch an seinem dreiunddreißigsten Geburtstag musste er plötzlich niesen und er nieste so heftig, dass das ganze Haus zusammenfiel, als wäre das ein Kartenhaus. Die Eltern kletterten aus den Trümmern, zogen den Peter heraus, beschimpften und schlugen ihm: „Unser ganzes Leben müssen wir dich durchfüttern und bedienen und als Dank dafür zerstörst du unseres Haus, du Nichtsnutz!“ In ihrer Wut merkten sie nicht, dass ihr Sohn, der Niesepeter, durch dieses Ereignis von seiner Lähmung befreit wurde, schlugen auf ihm zu, bis die Nachbarn kamen und sie auseinander hielten. Die Nachbarn brachten die ganze Familie zum Richter, der sich die ganze Sache mit Interesse anhörte. Danach richtete er sich auf und sprach: „in Anbetracht der Tatsachen verurteile ich…“ in diesen Moment aber nieste der Peter wieder so stark, dass das ganze Gerichtsgebäude zusammenstürzte und mehrere Menschen samt den Richter unter Ruinen begrub. Die Überlebenden fesselten den Niesepeter, stopften ihm den Mund, damit er kein Unheil mehr anrichten kann und brachten ihn ins Gefängnis. Da der Richter nicht mehr unter Lebenden weilte, wurde dieser Fall dem König vorgetragen, mit der Bitte um den königlichen Entscheid. Der König überlegte nicht lange und befahl den armen Niesepeter hinzurichten. Der Kerl wurde am nächsten Tag zum Schafott gebracht und der Henker schwang seinen Ast in die Höhe. Doch dann flüsterte einen der königlichen Ratgeber, dass es doch schade wäre, so eine mächtige Waffe zu verlieren. Im Krieg könnte dieser Bursche den Feind ganz leicht wegniesen. Dem König gefiel der Gedanke und er stoppte die Hinrichtung. Der Niesepeter wurde mit einer Armee in den Krieg geschickt.

Doch unterwegs fiel der Niesepeter um, denn sein Mund war bereits seit Tagen zugebunden und er konnte nichts mehr essen. Daraufhin wurde er befreit und er aß und trank. Doch auch da musste er niesen, so dass die Kanonen von ihren Rädern abfielen und dem General die Orden von der Brust runter fielen. Wiederum wurde dem Niesepeter Mund gestopft und so erreichte die Armee das Schlachtfeld. Dort wurde der Niesepeter befreit und allein im Feld gelassen. Als die feindliche Heerschar kam, war der Niespeter ganz still. Er wurde als Kriegsgefangene genommen und die Königsarmee verlor den Krieg, weil die Kanonen kaputt waren. Unterwegs mit anderen Gefangenen musste Peter wiederum niesen und als er geniest hat, flogen auch alle feindlichen Streitkräfte auseinander.

Der Niesepeter ging weg, doch er wurde von den andern Menschen, die von ihm Angst hatten, gefangen, an einen großen Stein gebunden und in einen Fluss geworfen. Als er ins Wasser fiel und ertrank, musste er erneut niesen, und diesmal nieste er so stark, dass der ganze Traum zusammenbrachte und er lachend erwachte.


Auf der Suche nach einer Universellen Form



„Don Rinatos!“ donnert eine männliche Stimme. Deren Besitzer, ein Mann im brauen Anzug, thront an einem Schreibtisch und blickt zu mir von oben herab. „Sie bekommen eine Aufgabe. Gehen Sie und finden Sie für mich eine Universelle Form.“
„Universelle Form? Und was springt für mich dabei heraus?“
„Was Sie sich wünschen“
„Erleuchtung“
„Abgemacht, aber damit ich sicherstellen kann, dass alles nach rechten Dingen läuft, soll meine Tochter Sie begleiten.“
„Hallo, du Süßer!“ – ertönt eine melodische Stimme in meinen Kopf. „Wir werden bestimmt schöne Zeit miteinander haben!“
„Hat sie denn keinen Körper?“
„Nein, das ist eben der Grund Ihrer Suche!“

Ich verabschiede mich und wir gehen los. Dabei schnattert die weibliche Stimme aufgeregt in meinem rechten Ohr: „Hach ist es spannend! Stell dir nur vor, was für einen wundervollen Traumkörper ich bekommen werde… und zum Schluss heiraten wir und werden für immer zusammen sein…“
„Kannst du mich zur Klarheit wecken? Pass auf, ich werde jetzt die Kontrolle abgeben, trüb einschlafen und du wirst mich wach halten.“ – ich schlafe ein, aber es passiert nichts. Mit großen Aufwand werde ich wieder klar „Was ist los, warum hältst du mich nicht klar?“
"Es ist nicht meine Aufgabe, sonder deine, ich begleite dich nur“
„Na toll. Erzähle mir dann lieber, wo wir die Universelle Form suchen sollen“
„Bei der Form ist es so, dass man zuerst eine Einführung bekommen soll. Wir brauchen jemanden, der sich damit auskennt.“
„Einführung in die Form? Wie soll das gehen?“
„Irgendjemand besitzt bestimmt die Information“
„Aha, dann brauchen wir einen Informanten! Jetzt weiß ich, lass uns in die Taverne gehen!“

Bei diesem Gespräch erreichen wir schon die Taverne, die voll mit Menschen gefüllt ist, die Bier trinken und durcheinander quasseln. An einem Tisch in der Ecke erkenne ich den Informanten, einen schmalen unscheinbaren Männlein, den Träger der Information. Ich geselle mich zu ihm.
„Ihr braucht Information, nicht wahr?“ – der Typ scheint Bescheid zu wissen und kann sogar meine unsichtbare Freundin wahrnehmen.
„Exakt, erzähle uns wo wir die Universelle Form finden können“
„Die Universelle Form befindet sich im Besitz des Traummachers. Er allein verfügt über den Schlüssel der Universalität, denn er muss schließlich alle Traumformen, mögen sie auch völlig unterschiedlich sein, hervorzubringen…„
„Danke! Was willst du für deine Information haben?“
„Nichts. Seht nur, mit der Information ist nicht wie mit Materie. Wenn man sie weitergibt, dann wird es davon nicht weniger, sondern mehr. Jeder soll sein Platz finden und akzeptieren. Das ist meine Rolle bei der Formung der Welt.“

Wir bedanken uns erneut und verlassen die Taverne. Doch der Weg wird von einem bulligen Typen versperrt. „Half! Sfehen bleiben! Ich bin ein Defektiv und in dieser Welf mussf du mit mir rechnen“
„Ein was?“
„Defektiv“ – lispelt der bullige Typ und die Dissonanz zw. seinem Aussehen und seiner Aussprache bringt mich zum Lachen.
„Passf auf, ich werde dich in Auge behalfen! Denn für mich siehsf du ganz nach einem Verbrecher aus“
„Schon gut“, trockne ich mir die Augen, „ich werde aufpassen“ und gehe am Defektiv vorbei.

Ich gehe durch die Traumstadt. Nur wo soll ich denn den Traummacher suchen? Meine unsichtbare Begleiterin hat bei dem informellen Gespräch wohl besser aufgepasst. „Der Informant meinte, dass jegliche Information dieselbe Eigenschaft besitzt. Sie muss auf jeden Fall ausformuliert sein.“
„Ausformuliert! Natürlich! Wie bin ich selbst nicht drauf gekommen! Lass uns nach größten Ausformulierung die Ausschau halten!“ Die Bäume sind groß, aber die Hochhäuser sind noch größer, der Wasserturm ist riesig, aber der Berg dahinten ist noch höher. Also gehen wir zum Berg.
Als wir oben ankommen, taucht vor uns erneut der bullige Defektiv aus. „Danke, dass du mich zum Faummacher gebrachf hasf!“ freut er sich. „Für dich ist die Reise hier beendef!“ und er streckt seine dicken Fäuste zum Angriff aus. Ich packe meine Beine in die Arme und renne weg um den Berg herum. Der massive Defektiv kommt nicht hinterher. Eben defekt.
Auf der Rückseite des Berges treffe ich auf den Traummacher. Er erinnert mich an irgendjemand. Vielleicht an mich selbst? Wer weißt. „Traummacher“, wende ich mich an ihm, „wir sind auf der Suche nach einer Universellen Form, kannst du uns weiterhelfen?“
„Ich habe nur diesen Schlüssel hier“, er reicht uns einen massiven goldenen Schlüssel
„Und der Schloss? Wo ist der Schloss?“
„Tja, das ist eine andere Frage“
In diesem Augenblick erreicht uns, schnaufend wie eine Eisenbahn, der bullige Defektiv. Er ist völlig aus der Atmung und im seinen glänzend polierten Gürtel sehe ich ein Loch. Blitzschnell springe ich zu ihm und stecke den goldenen Schlüssel ins Gürtelloch. Es knackt und der Defektiv wird zu einem Automaten, der auseinander fährt. In ihm öffnet sich eine neue Dimension. Ich trete ein. Alles ist weiß und vor mir steht ein ewig langes Regal mit lauter Uniformen drin. Polizeiuniform und Ärztekittel, Feuerwehrbekleidung und Schulform.
„Uniformen?“
„Ja“, spricht der Traummacher, „die Universelle Formen. Bedient euch“
Bevor meine unsichtbare Begleiterin sich zum Wort gemeldet hat, verwandelt sie sich in eine Ente, schnattert und gackert und fliegt zu ihren Papa. „Jeder bekommt das, was er inne hat.“ – lacht der Traummacher.
„Und was bekomme ich?“
„Das was du dir schon immer gewünscht hast“
Ich schaue mir die Formen an, doch keine passt zu mir.
Die letzte Uniform ist allerdings weder berufs- noch geschlechtspezifisch

Ich werde aufgeweckt




Udilo und drei Kühe



Es lebte einmal ein Mann. Sein Name war Udilo. Udilo hatte drei Kühe.

Die Erste war eine hi-tech Kuh, die zweite war eine low-tech Kuh und die dritte war eine natural Kuh.

Die natural Kuh graste auf der Weide und hatte Frieden.
Die low-tech Kuh war eigentlich ein Ochse. Seine Hoden schaukelten hin und her und er konnte die Zeit ansagen.
Die hi-tech Kuh aber hatte einen GPS-Empfang, einen ausfahrbaren Regenschirm und sogar einen integrierten Kühlungssystem für immer frische kühle Milch.

Es kam zu dieser Zeit eine Nachricht, dass der König ein Ball veranstaltet hat. Alle wurden in seinen Palast herzlich eingeladen. Auch Udilo ging dorthin und nahm seine hi-tech Kuh, seinen low-tech Ochsen und natürlich die natural Kuh.

Auf dem Ball wurde ein Tanzwertbewerb ausgerufen. Die kühnen Kühe nahmen auch am Wettbewerb teil. Die hi-tech Kuh legte einen breakdance hin, der low-tech Ochse bewegte sich charmant im Foxtrott und die natural Kuh bezauberte alle mit einem wunderschönen Walzer.

Sie drehte sich mit so viel Schwung, dass sogar die Milch aus ihren Euter herauskam und die Wände vollspritzte. Natürlich gewann sie den Wettbewerb.

König hat dem Sieger seine einzige Tochter und einen halben Königreich dazu versprochen. Da man aber eine Kuh nicht heiraten kann, nahm Udilo die Prinzessin zur Frau.

Und so lebten sie zusammen mit drei Kühen bis zur Ende ihres Tages. Sie tranken kühle Milch von hi-tech Kuh und wussten immer, dass die Zeit vergänglich ist.


Rede mit Dja Raj, iß ihn auf, oder stirb!



Im Traum spreche ich mit Jan. Er fragt mich nach meinen Liedern und ich verspreche ihm meine CD „Roter Drache“ vorbeizubringen. Ich erzähle ihm von klarträumen. Kennen Sie das Gefühl, wenn es schon am Abend ist, sie haben Hunger und freuen sich auf das Abendbrot, aber der geschwätzte Gast denkt nicht mal daran sich zu verabschieden? Solcher Gast bin ich im Traum gewesen. Jan und seine Freundin sitzen am Tisch und hören mir geduldig zu, es wird langsam dunkel und Jans Freundin gibt resigniert auf. Sie fängt an Tisch zudecken. Jan startet letzten Versuch, mich loszuwerden. Er steht auf, holt ein Flyer im Postkartenformat und überreicht mir: „Leider kann ich dir beim Festival „Magia Mundi“ (welchen er tatsächlich organisiert) kein Zutritt zu dem großen Zelt verschaffen, aber hättest du vielleicht Lust zu „Dja Raj Festival“ zu kommen?“ Auf dem Flyer ist ein schöner indischen Mann abgebildet, sein dunkles Gesicht strahlt Licht aus, welches auf ein geöffnetes Buch vor ihm fällt. Den Rahmen bilden zwei braune Bäume.
- Dja Raj?
- Ein Erleuchteter

Ich schau mir das Foto an. Erleuchteter. Im Traum gibt es so was wie Basale Klarheit. Da leuchtet es auch gewaltig. Interessant wie oft das Licht als Metapher für anderen Bewusstseinszustand benutzt wird…

Ich werde klar.

Habe ich vorher zumindest mit Gedanken gespielt, nach Hause zu gehen, so mache ich mich jetzt hier im Traum erst richtig breit. „Jan, erzähle mir bitte von Dja Raj, hab noch nie von ihm gehört!“

- Dja Raj wird oft Einer, oder Erster genannt. Erster, weil er spontan 41 Erleuchtungsmethoden entdeckt und angewandt hat. Einer, weil er geschafft hat, nicht nur das Lebendige, sondern sogar das Unlebendige in sich zu vereinen.
(Gebannt höre ich zu und freue mich diese Geschichte von solchen professionellen Erzähler wie Jan zu hören. Jan jedoch kommt mittlerweile in seinen Element, er springt auf und rudert zur Erzählung sogar mit seinen Armen)

.
- Es gibt zwei Versionen seines Lebens: die eine ist mystisch-heilige von den Anhänger der Dja Raj glattpolierte Version, die andere ist näher am alltägliches Leben, hat aber einige Ecken und Kanten… welche magst du hören?
- Die mit den Ecken und Kanten
- Ok. Laut der heiligen Geschichte war Dja Raj ein Weisekind, welcher bei seinen Verwandten aufgewachsen ist. Schon früh musste er viel Leid erfahren, hatte wenig zu Essen und bekam kaum Liebe. Einmal war sein Hunger so groß, dass er ihm tief in den Wald trieb. Dort fand er einen Einsiedler, der ihm auf den spirituellen Weg geführt hat.

Doch in der anderen Version hatte Dja Raj sehr wohl beide Eltern. Sie lasen von seinen Lippen ihm jeden Wunsch ab und verwöhnten den kleinen Bengel. Bei jeder Mahlzeit stopften sie ihn voll. Und doch, obwohl er schon dick war, hatte er immer mehr und mehr Hunger und hielt daher stets Ausschau nach etwas Essbaren. Einmal war sein Hunger so groß, dass er von seinen Eltern abhaute und bei Verzehr von Beeren tief in den Wald vordrang. Dort fand er einen Einsiedler, der kleinen verwöhnten Bengel ein Stein zum speisen bot.

- Ein Stein?
- Ja, ein Stein. Er sagte, das sei kein Stein und Dja Raj lachte nur über den Verrückten
- Und was geschah dann?
- Dann nahm der Einsiedler den Stein und wucherte diesen dem Kinde in seine Stirn. „ES IST KEIN STEIN“ – schrie er – „Iß IHM AUF!“
(Jan fuchtelt nun mit seinen Armen so stark, dass ich sogar etwas Angst vor seinem roten und verzerrten Gesicht kriege)



Mit einem Schlag veränderte sich der kindliche Geist. Alles, was Dja Raj sah, wurde augenblicklich zum Essen und er stieß einen lauten Freudeschrei heraus. Er aß den Stein und der Stein schmeckte ihm nach Halwa. Was denkst du, was er als nächstes aß?

- Den Einsiedler!

- Nein, dieser dürre Asket sah ihm zu unappetitlich aus. Dafür sah er aber den dicken, vom Speck glänzenden, eigenen linken Arm und biss, so dass die Blut in alle Seiten spritzte, hinein! Im Nu verspeiste er sein linker Arm und verspürte dabei keinerlei Schmerzen. Vor Vergnügung quiekend aß er auch seinen rechten Arm und machte sich an die Beine, die auch schön fettig waren. Nach den Beinen folgten der Bauch, der Brustkorb, die Haare vom Kopf und der Rest auch. Es hat nicht mal eine viertel Stunde gedauert, bis sich Dja Raj komplett aufgegessen hat.

Nun lag auf der Waldlichtung nur ein Haufen Knochen und Dja Raj wurde zu dem, was er wirklich war: zu einem Hungergeist. Der Einsiedler schaute ihm zufrieden zu, ja er freute sich über diese Wandlung und nahm den Hungergeist Dja Raj in seine Dienste auf.

Das Abendbrot steht nun aufgedeckt, doch ich nehme mir nur eine Tasse Tee. Irgendwie hat mir die Geschichte jeglichen Appetit verdorben.



Für Dja Raj wurde alles zum Essen, doch er verlor damit seine körperliche Gestalt. Der Einsiedler packte ihm in eine kleine Tasche mit ein paar Steinen zum knabbern und ging aus seiner Einsiedelei zu dem großen König von Barbadan.

Kloster von Barbadan

Der große König von Barbadan litt an einer schlimmen Krankheit. Schon seit Jahren hatte er Steine in den Nieren, die ihm keine Ruhe ließen. Der Einsiedler versprach ihm von seinen Krankheit zu heilen, wenn er ihm dafür ein Kloster erbaut und dieser für hundert Jahren mit allen nötigen versorgen wird. Der König war einverstanden und der Einsiedler ließ Dja Raj heraus.

Dja Raj, dem die süßen Steine vom Anfang an am besten schmeckten, flog unsichtbar durch den König und zerkaute die Nierensteine zur Staub. Der König erfreute sich und richtete wohl das prächtigste Kloster in ganzen Barbadan auf. Der Einsiedler aber ließ dort Dja Raj frei und verließ den Barbadan.

Hundert Jahre hatte Dja Raj gebraucht, um sein Geist zu reinigen und einen neuen Körper aufzubauen. Aus jener Zeit stammen die legendär gewordene 41 Erleuchtungsmethoden des Dja Rajs, die auch noch heute bei Groß und Klein einer großen Beliebtheit erfreuen.

Jan’s Freundin:

- Ach, Dja Raj, er hat doch als Erster die Zauberkunst des Blättern entwickelt, nicht wahr?
- Blättern? Was ist das?
- Das Blättern hat zwei Phasen. Die Erste ist die Übertragung. Man klebt seinen wahren Namen auf die Blättchen und klebt diese auf einige Gegenstände, mit welchen man sich zu verbinden anstrebt. Die zweite Phase ist dann die Gegenübertragung. Da beklebt man sich selbst mit den Namensblättchen von den jeweiligen Gegenständen.



Das heilige Kloster von Barbadan wurde nach fast hundert Jahren der Existenz im ganzen Indien berühmt geworden. „Kloster der Leere“, oder „Geisterkloster“ wurde nicht nur als Zufluchts- und Meditationsort beliebt, sondern auch wegen seiner Heilungskraft oft von Leidenden an verschiedenen Krankheiten aufgesucht.


Wurde aufgeweckt




Wachmayer, Wachmayer!



Brandmeister Wachmayer springt erschrocken auf und guckt verschlafen in die Kamera „Was? Wo? Wo brennt es?“ Sein Schnurrbart ist nach oben geringelt und sein Helm hat eine Spitze. Alle lachen. Ich friere die Szene ein.

Ich bin in der Dunkelheit und sehe vor mir Herrn Wachmayer, einen älteren dicken Brandmeister. Die Szene ist gut. Wachmayer ist eine klassische Komikfigur, so macht der Traum Spaß. Ich lasse die Szene in einer Schleife ablaufen immer wieder dasselbe. „Was? Wo? Wo brennt es?“ Ich sitze in dunklen und überlege wie ein Regiemann was ich daraus machen will. Wenn ich rauchen würde, dann hätte ich dabei geraucht. Wenn ich Arbeitskollegen hätte, dann würde ich mich mit ihnen darüber austauschen. Doch ich sitze allein in meinem Traumstudio. Was habe ich mir vorgenommen? Ich bekam einen Auftrag – rauszufinden, wie aus den Gedanken im Traum die Welt entsteht. Ich soll den Traum extrem verlangsamen und nach Möglichkeit etwas bewusst und langsam materialisieren. Ich selber möchte ein Klartrauminterview führen. Und eigentlich eine Show machen, meinen Spaß, meine Geschichte erschaffen. Brandmeister Wachmayer springt immer wieder verpennt auf – gute Wachposten, danke... materialisieren... ich habe doch oft versucht im KT etwas bewusst zu erschaffen. Es war verdammt anstrengend. Viel leichter dagegen war einer Intention nachzugehen und mit dem gewünschten Gegenstand so umzugehen, als wäre er da. Vielleicht kann man so auch im RL die Sachen materialisieren? Ich muss grinsen. Ich stelle mir vor, wie das wohl aussehen würde, wenn ich im RL mit einem Gegenstand so umgehe, als wäre er da.

Aus dieser Vorstellung kommt ein Mime in mein Traumstudio. Er ist in einem ganz schwarzen Trikot gekleidet und auf seinem Gesicht ist eine traurige Maske aufgemalt. Das Traumstudio besteht aus einem Sofa, wo der Brandmeister Wachmayer im sitzen pennt, einem gläsernen Tisch davor und einem Moderatorenpult daneben. Der Mime taucht also auf und putzt sich die Zähne mit einer imaginären Zahnbürste. Danach benutzt er dafür eine unsichtbare Zahnseide. Doch sie bleibt ihm zwischen den Zähnen klemmen. Er rückt sie und zieht plötzlich eine ganze Reihe von unsichtbaren bunten ineinander geknoteten Tüchern heraus. Das erinnert mich an einen Zaubertrick. Als nächstes stellt er pantomimisches Fechten dar. Wie sich herausstellt, ist es nötig um zu zeigen, dass er in seiner Hand einen imaginären Degen hält. Der Mime kippt seinen Kopf nach hinten und führt sich den Degen in den geöffneten Mund. Er verzieht dabei solche Grimassen, dass ich schon fast selber spüre, wie der Degen mir in der Speiseröhre kitzelt. Tiefer und tiefer steckt er sich den unsichtbaren Degen in die Röhre, doch dann zittert seine Hand und er sticht sich in den Bauch! Aua! Zieht wieder den Degen raus und steckt ihn sich erneut rein. Diesmal sticht er sich in die linke Seite und dann in die Rechte. Na endlich hat er das geschafft und der Griff verschwindet sogar in seinem aufgeblasenen Mund. Gesund ist das bestimmt nicht. Der Mime kriegt einen Schluckauf. Er tastet sich vor nach Wasser und greift eifrig ein unsichtbares Glas. Schnell trinkt er, doch das Wasser läuft ihn vorne aus dem Loch im Bauch. Er steckt den Finger rein- das Wasser läuft ihm von der linken und dann auch von der rechten Seite raus. Er hat jetzt alle Hände voll zu tun, seine Arme zu verknoten um all seine Löcher zu stopfen!!! Alle lachen und klatschen laut. Ich klatsche auch mit und zeige den Mimen auf dem Platz auf dem Sofa neben den schlafenden Wachmayer. Ja, die Show wird doch amüsant!

Ich lasse das Geschehen erneut einfrieren und warte ab. Es ist noch einen Platz auf dem Sofa frei und ich warte bis sich noch jemand meldet. Eine Frau wäre nicht schlecht. Doch der nächste Gast ist schon da und ich weiß nicht mehr warum und wie. Ich habe genug zu tun um die Klarheit aufrecht zu erhalten. Der dritte Gast ist ein Top-Manager. Er ist in einen erstklassigen Anzug gekleidet, hat eine makellose Frisur und sein Aussehen ist für schätzungsweise 50 Jahre einfach perfekt. Manager, was soll’s, die Mannschaft ist komplett. Es kann losgehen! Ich fange mit dem Interview an. Bei dem anderen Interviews ist mir aufgefallen, dass ich zu den letzten Fragen gar nicht gekommen bin, deswegen frage ich den Manager: “Was ist für Sie der Sinn des Lebens?“
- Freiheit. Ich habe mein ganzes Leben darauf gearbeitet, denn die Freiheit bedeutet für mich finanzielle Unabhängigkeit. Und jetzt kann ich mir sie leisten.
- Danke sehr. Was ist für Sie der Sinn des Lebens, wende ich mich an dem Mimen.
- Er steht auf, steckt seinen Zeigefinger in die Richtung des Managers und fängt an, auf einer Stelle zu laufen. Dann hebt er seine linke Hand, schaut auf eine imaginäre Uhr, schüttelt mit dem Kopf und läuft schneller. Dabei muss er immer entnervt auf seine Uhr schauen und immer schneller auf der Stelle rennen. Irgendwann geht ihm die Puste aus, er bleibt stehen und hält sich mit beiden Händen theatralisch ans Herz. Er atmet tief und schwer, seine Zunge hängt weit heraus... und er fällt auf den Fußboden, anscheinend tot. Nach einer Pause steht er wieder auf und steckt seinen Zeigefinger sich selbst in die Brust. Er zeichnet mit seinem Finger in der Luft vor sich ein Rechteck und hält es unten an einem Griff. Dann schaut er hinein und fängt an, sich mit einem imaginären Lippenstift die Lippen anzumalen, die Haare zurecht zu legen und mit einer lustigen Miene die Backen zu pudern. Doch dann beugt er sich vor, als würde er in dem Rechteck was völlig anderes sehen. Sein Gesichtsausdruck wandelt sich unglaublich vom Erstaunen zur Ernsthaftigkeit und Echtheit. Mit diesem echten und fast erschütternden Blick schaut er in die Kamera.
- Vielen Dank! Herr Wachmayer was ist für sie... Herr Wachmayer!
- Was? Wo? Wo brennt es? – Wachmayer wacht auf und alle lachen wieder. Ich stelle erneut meine Frage. Er holt tief Luft. Es erklingt eine Blasmusik und Wachmayer singt los:

Hände aufs Herz
Und losmarschieren
Durch das Feuer
Und durch die Gefahr.

Es reicht mir. Ich breche seinen Auftritt ab, aber es ist bereits zu spät. Ich werde unklar und träume von Potsdam und von der Wüste...
Allah sei Dank befinde ich mich im RL in einem Zug nach Potsdam. Bei dem nächsten Ruck werde ich wieder klar und beeile mich mit der nächsten Frage:
- Was bedeutet für sie die Liebe? Diesmal frage ich Wachmayer, bevor er wieder eingepennt ist.
- Wachmayer schaut schelmisch und dreht seinen Schnurrbart noch weiter nach oben in Ringeln. - Da fällt mir ein Witz ein: eine Frau wurde mal gefragt: „was war ihre größte Liebe im Leben?“ „Ich hatte nur 2 echten Lieben- antwortete sie. Die Feuerwehrmänner und die Matrosen.“ (Wachmayer lacht) - aber im Ernst, sagt er, die Liebe ist wie ein Feuer für mich, bloß dieses Feuer werde ich nie löschen.
- Danke, danke... unterbreche ich ihn – bitte der Nächste.
- Der Mime steht auf und zeigt zuerst in die Höhe einen unsichtbaren Balken. Dann läuft er leicht gläubig und naiv in diese Richtung und stößt sich den Kopf. Völlig benommen von dem Zusammenprall wackelt er durch das Traumstudio und hält sich schließlich mit beiden Händen an der imaginären Laterne fest. Er wirkt erleichtert und froh, dass er diese Halte hat. Er küsst sogar die Laterne und klettert auf sie und macht mit ihr Sex. Hinterher stellt er sich locker an sie gelehnt hin und raucht eine imaginäre Zigarette danach. Doch der Laterne wachsen Füße und sie rennt weg. Der Mime verliert sein Gleichgewicht und wackelt bis zur nächsten Laterne, an der er sich dann wieder festklemmt.
Es ertönt Applaus und ich frage den Manager nach seiner Vorstellung von Liebe.
- Liebe ist für mich, wenn ein Mensch den anderen versteht und seine Fehler und seine Schwächen verzeiht und ihn so annehmen kann, wie er ist. Wenn ein Mensch den anderen unterstützt und ihm viel Kraft gibt.

Ich bedanke mich und will damit meine Show abschließen. Ich überlege den Schluss, doch mein UB macht schon etwas. Ich materialisiere eine DNA Spirale und betrachte sie. Uff... das ging mir fast zu schnell. DNA dreht sich, ich schaue sie an und bewundere diese Detailliertheit. Jetzt darf der Prozess fortschreiten: Ich mache daraus 2 DNA’s die sich in einem seltsamen Tanz um eine vertikale Achse drehen. Plötzlich sehe ich eine Lichtkugel. Genau derselbe, die ich immer sehe, wenn ich in RL meine Augen zumache. Ich wundere mich und konzentriere darauf. Lichtkugel wird stabiler und spendet milchfarbenes Licht, das die DNAs umhüllt und daraus etwas formt. Ich bin paff, und verstehe nicht wer was hier macht. Es entsteht ein Baby, das auf dem gläsernen Tisch im Traumstudio sitzt. Ich übernehme wieder Regie und ziehe das Baby hoch und forme daraus eine erwachsene Frau. Ich nehme ihr Rücken und ziehe aus jedem Schulterblatt ein prächtigen weiße Flügel heraus. Ich schaue noch mal genau und kritisch mein Werk an: die Flügel und besonders der Übergang zum Rücken (eingewachsenen Knochen) sind fantastisch! Ich schaue Frau auch von vorne an: sie steht nackt, ist schlank und groß. Doch ihr Gesicht ist lang und nichtweiblich. Ihre blonden Haare hängen über die Schultern gerade wie eine Perücke. Sie schaut ernst und befremdlich so, dass ich sogar Gänsehaut kriege.
- Nun die Show ist beendet und der Engel bringt euch jetzt in den Himmel.

Er nimmt den Manager mit einer Hand, den Wachmayer mit anderen und breitet seine Flügel aus. „Der Mime braucht keine Hilfe“ – denke ich und tatsächlich startet er von alleine in die Höhe.


Teufelsautomat



Ich laufe einen Weg entlang durch die russische Landschaft. Auf der rechten Seite sehe ich einen Automat aus Verpackungskarton. Oben ist ein Schlitz für die Münzen, in der Mitte ein Fenster. Ich bleibe stehen und werfe ein paar Münzen hinein. Der Vorhang des Fensters wird zur Seite gezogen und mich grinst ein Männlein an. Seine Augen sind voller Schalk:

- Zum Teufel, was willst du? – schreit er mich an.
- Weisheit! – meine Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen.
- Weisheit? – es funkt nur so in den Augen des Männleins. Er bückt sich, verschwindet völlig hinter dem „Automaten“ und als er wieder auftaucht, ist sein Grinsen noch breiter. - Hier ist sie! – er klatscht ein Klumpen Erde auf den breiten Rand des „Automaten“
- Soll das die Weisheit sein? – ich fühle mich irgendwie verarscht.
- Die Erde trägt dich wie mich. Diese Bäume und diese Gräser. Ohne Erde gibt es keine Natur, keine Tiere, keine Menschen mit ihren egoistischen Wünschen. Wenn die Erde keine Weisheit trägt!?! – empört sich das Männlein. – Die Frage ist jedoch: „wie du diese Weisheit der Erde in deinen Kopf kriegst?“ – Er klopft vorsichtig an meiner hohl klingenden Birne und verschwindet lachend hinter dem Vorhang.

So leicht gebe ich aber nicht auf. Und die Münzen im Klartraum zu besorgen ist kein wirkliches Problem. Eine nach der anderem schiebe ich die Münzen in den Schlitz des „Automaten“. Der Vorhang geht erneut auf:

- Zum Teufel, was willst DU schon wieder?
- Wie kriege ich die Weisheit der Erde in meinen Kopf? – hake ich nach
- (Das Männlein bückt sich erneut und holt von unten einen Löffel heraus) – Iss sie auf! – lacht er gewaltig und verschwindet wieder.

Diesen Witz werde ich ihm aber versauen! Erneut werfe ich Münzen rein und als das Männlein seinen Vorhang öffnet, greife ich nach dem Löffel und esse den Erdklumpen auf. Die Erde schmeckt völlig neutral, nach gar nichts. Das Männlein starrt mich entsetzt an.

Plötzlich fliegt mein Geist ein paar Meter hoch und schaut die Szene von oben an:
Don Rinatos dreht sich sicher und selbstbewusst vom „Automaten“ weg und läuft weiter seines Weges. Blitzschnell springt das Männlein aus dem „Automaten“ heraus und klebt heimlich auf Don’s Rücken einen Zettel. Ich zoome ein und lese die fettgedruckten Buchstaben:

„Die Weisheit mit Löffeln gefressen…“

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Texte: Illustration: spell bound
Tag der Veröffentlichung: 20.02.2011

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