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Max Streuner, so nannten ihn alle, er wusste nicht einmal warum, oder er wusste es, doch ihm war es egal. Er hatte nachgedacht, vielleicht einige Jahre zu viel, aber was brachte es schon darüber nachzudenken, dass man nachgedacht hat, verdammte Scheiße, dachte er und schlürfte die warme Suppe der Bahnhofsmission. Sein Leben hatte nur aus verdammten Vielleichts und Alkohol bestanden. Fünfzig Prozent Vielleicht und fünfzig Prozent Alkohol, vielleicht auch neunzig Prozent Alkohol, sein Rettungsboot, das ihn auf den Gott verdammten Ozean treiben ließ, den Ozean des Vergessens. Jeder Alkoholrausch nahm ihm ein Stück seiner Vergangenheit, aber er befreite ihn auch von dem verdammten Nachdenken. Schmuzel sah ihn an, sie war eine waschechte Pennerin, so echt wie ein Stofffetzten in Hundekot. So roch sie auch. Aber ihre inneren Werte waren gut, nur leider interessierte das keinen, denn es gab nichts schlimmeres als Gestank, dabei stanken sie doch alle, die ganzen Spießer und Bonzenschweine, dachte Max Streuner, sie stanken zwar nicht nach Schweiß,Pisse und Hundescheiße, dafür aber nach Parfüm, nach zerriebenen Blumen, nach Walkotze. »Was is’n mit dir los, Max Streuner, du glotzt wie ein Rentner beim Samenerguss! « Schmuzel grinste ihn mit ihren gelben Zähnen an. Max Streuner fand sie hässlich, sie war dick, hatte einen Frauenbart und ... sie stank. »Hab kenen Bock zu reden Schmuzel, will dann noch’n bisschen Schnurren gehen, vielleicht krieg ich ja noch ne Pulle zusammen, für die Nacht, glaub’s wird heute wieder richtig kalt, unter Null, oder so’n scheiß! «, sagte Max Streuner. »Aber pass auf, dass de rechtzeitig wieder hier bist, sonst kriegste kein Bett mehr! «, sagte Schmuzel. Max stand auf und verließ die Bahnhofsmission. Draußen schneite es dicke Schneebrocken. Der Schnee lag schon ein Meter hoch, die ganze Stadt sah aus, wie mit Puderzucker überschüttet. Es dämmerte schon langsam, als sich Max auf den Bahnhofsvorplatz stellte. Auf der einen Seite war der Bahnhof, auf der anderen der Weihnachtsmarkt. Es duftete nach Kräbbelchen, gebrannten Mandeln, kandierten Früchten und Glühwein. Viele Familien liefen an ihm vorbei, er schnurrte sie alle an und da es kurz vor Weihnachten war, gaben ihm die Leute sogar bereitwillig Geld, so hatte er nach zwei Stunden fünf Euro zusammen. Das reicht für eine Pulle Rum, dachte Max und betrat die Bahnhofsarkaden, dort gab es ein Aldi. Er kaufte sich eine Flasche Käpten Morgan und verließ den Supermarkt wieder. In den Bahnhofsarkaden pöbelte ihn ein Securitytyp an. »Hier wird kein Alkohol getrunken! Ich erteile ihnen Hausverbot! Kommen sie mit! « »Aber ich hab doch gar nicht! « Der Securitymann packte Max am Arm. »Eh du Bullenschwein, lass mich los!!! « »Pass mal auf Freundchen, wir können das auch ganz anders regeln, so ich nehm dich jetzt mit aufs Polizeirevier! « »Ne, bitte lass das, ich geh ja schon! «, sagte Max unterwürfig und lief vor dem Securitymann her, bis er wieder draußen in der bitteren Kälte war. Max fluchte vor sich hin, als der Securitymann gegangen war, dann ging er zum Wärmegitter, das hinter dem Gewandhaus lag. Manchmal hasste Max Leipzig, aber dieser Ort war gut, auch wenn es der reinste Hohn war, dass die Spießer ihn von oben beobachten konnten, wie einen Affen im Glasgehege. Das Wärmegitter war verlassen, Max setze sich hin, die wollig warme Luft war richtig angenehm. So trank er die Flasche Käpten Morgen allein, ja, sogar froh darüber allein zu sein, denn die Menschen verletzten ihn nur, aber so war der Lauf der Dinge. Er war auf dem Boden der Realität gelandet, tiefer ging es nicht mehr, darunter befand sich nur noch der Tod. Als die Flasche zur Hälfte leer war, befand er sich schon im Delirium. Max stand auf und lief durch den Park, er hatte kaum noch Orientierung, ein trügerisch weicher Alkoholfilm lag auf seinen Augen, wie eine dreckige Kontaktlinse. Und er schlenkerte hin und her. Dann kam er über eine Straße, wo ein Auto lautstark hupend eine Vollbremsung machte und erst gut drei Millimeter vor ihm zum Stillstand kam. Max eierte weiter, dabei grölte er laut herum und pöbelte Leute an, ihm war alles egal. Irgendwann kam er im Johanna Park an, mitten auf der großen schneebedeckten Wiese ließ er sich fallen, streckte seine Arme aus und machte einen Hampelmann, so blieb im Schnee ein Engel zurück. Er stand auf und betrachtete sein Kunstwerk. Max guckte auf die Uhr, er musste sich beeilen, sonst bekam er kein Zimmer mehr, doch als er den Johanna Park verlassen wollte entdeckte er jemanden auf einer Bank, es war Cocker, auch ein regelmäßiger Besucher der Bahnhofsmission. Max Streuner rannte sofort zu ihm hin. Die Augen von Cocker starrten ins Leere, an seiner Nase hing ein Eiszapfen und seine Haut war von einer dicken Schicht Raureif überzogen, darunter war sie blau. Doch da war noch etwas, ein kleiner kränklicher Vogel, ein Rabe. Der Rabe hustete leise. Seltsam, dachte Max, ich habe noch nie das Husten eines Raben gehört. »Hilf mir! «, seufzte der Rabe mit erstickender Stimme. In seinen Augen war ein winziges rotes Funkeln, wie ein Funken der gerade erlischt. Max rieb sich die Augen, hatte der Rabe tatsächlich gerade gesprochen. »Du musst einen Krankenwagen holen! «, krächzte der Rabe heiser. »Bin ich jetzt vollkommen durchgedreht? «, soufflierte sich Max. »Du bekommst auch eine Belohnung! «, krächzte der Rabe. Max rannte los, erst der zwanzigste, den er ansprach, gab ihm sein Handy. Max wählte sofort den Notruf. »Mein Freund liegt im Johanna Park, er ist erfroren, ich weiß nich ob er tot ist, bitte schicken sie sofort einen Krankenwagen! « Die Stimme am anderen Ende der Leitung verlangte noch genauere Angaben, dann seinen Namen und schließlich wurde der Hörer mit einem Klicken aufgelegt. Max bedankte sich bei dem Mann und rannte zurück in den Johanna Park. Es dauerte keine fünf Minuten, da hörte er eine jaulende Sirene, dann schoss der Krankenwagen über den Fußweg und hielt direkt neben der Bank. Zwei Sanitäter und ein Zivi sprangen heraus, sie konnten aber nur noch den Tod von Cocker feststellen. »Is’er tot? «, lallte Max traurig. »Ja! «, sagte einer der Sanitäter. »Wie spät is es eigentlich? «, fragte Max. »So gegen Null Uhr! «, sagte der Zivi. Max Streuner erschrak, denn nun konnte er kein Bett mehr kriegen und musste draußen schlafen. Wehmütig schaute er dem Krankenwagen hinterher, der sich vorsichtig den Weg entlang manövrierte. Als der Krankenwagen endgültig verschwunden war, hörte er ein Krächzen neben sich. »Danke, nun kann ich endlich frei sein! «, sagte der Rabe leise. »Wie meinst du das? « »Ich bin ein Seelenvogel, ich wäre ewig an die Erde gebunden gewesen, wenn du nicht den Fluch gelöst hättest. Alles was Cocker brauchte, damit der Fluch rückgängig gemacht wurde, war dass ihm einmal ein Mensch etwas gutes tat, ohne dabei an sich selbst zu denken, dafür danke ich dir, denn du hast mich, seinen Seelenvogel, damit erlöst. Schau unter die Bank! «, krächzte der Seelenvogel und flatterte davon. Unter der Bank lag ein Fünfhunderteuroschein. Max konnte sein Glück kaum fassen. Er nahm noch einen Schluck aus der Rumflasche, griff sich den Geldschein und ging los. Nicht weit entfernt fand er das, was er suchte, ein Hotel. Es war offen, also ging er hinein, unverzüglich kam ihm ein Mann im Anzug entgegen. »Raus hier, oder soll ich die Polizei rufen? « »Aber ich hab Geld! « Max wedelte mit dem Fünfhunderteuroschein herum. Der Mann von der Rezeption ignorierte den Schein. »Raus hier! Aber sofort! « Traurig verließ Max das Hotel. Er lief quer durch die Stadt, zu einem anderen Hotel, doch dort geschah dasselbe. Traurig lief Max durch den Park hinter der Oper, plötzlich hörte er Stimmen hinter sich. »So ein Drecksack! « »Hast du gesehn wie der mit dem Geldschein rum gewedelt hat, den kaufen wir uns! « Drei Junkies kamen auf ihn zu gerannt, noch bevor er flüchten konnte, trat einer von den Junkies ihn in den Bauch. Er ging sich krümmend zu Boden. Die drei Junkies traten immer weiter auf ihn ein. Seine Nase blutete, er weinte, seine Blase entleerte sich. Die Junkies entrissen ihm den Fünfhunderteuroschein und er blieb wimmernd auf dem nasskalten Boden liegen, mit seinem Gesicht im Schnee, der unter seiner Körperwärme schmolz. Es konnten Stunden sein, die er da lag, oder nur Minuten, irgendwann jedenfalls wurden seine Finger langsam steif. Etwas flatterte vor sein Gesicht, ein kleiner Rabe. »Du musst aufstehen! Los! «, krächzte der Rabe. »Bist du Cockers Seelenvogel? «, flüsterte Max leise. »Nein! Mensch, steh schon auf, sonst stirbst du! « »Bist du mein Seelenvogel? « »Ja, aber das ist jetzt egal, du musst aufstehen, wenn du hier ein schläfst, erfrierst du! « »Ich will sterben! «, sagte Max entschlossen. »Das kannst du mir nicht antun! «, krächzte der Seelenvogel. »Doch, du hast mich mein Leben lang geplagt mit Gefühlen, mit denen ich nicht umgehen konnte! « Der Seelenvogel pickte ihn ins Gesicht, doch Max spürte nichts mehr. »Steh schon auf! Nicht ich habe dich dein Leben lang gequält, sondern du selbst, weil du nur geflüchtet bist, ich wollte dir helfen, indem ich dir ein schlechtes Gefühl gab! Doch je mehr du mich bewusst ignoriert hast, desto ... Hatschi! ... desto mehr wurde ich wütend, weil dein Schmerz auch mein Schmerz ist, aber du etwas daran ändern konntest und ich nicht! Verstehst du mich? Hallo? « Der Seelenvogel starrte in die leeren Augen von Max Streuner, der tot im Schnee lag. Seufzend kuschelte er seinen Rabenkopf an Max Streuners Gesicht. »Wir hätten so gute Freunde werden können! Wenn du nur nicht so verträumt und naiv gewesen wärst! «, seufzte der Seelenvogel heiser.

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Tag der Veröffentlichung: 02.10.2008

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