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Kalte Schneeflocken rieselten auf das Fensterbrett, das ein alter Mann anguckte. Sein Gesicht war vom langen Leben gezeichnet. Im Zimmer war es wollig warm und hinter dem Mann lag ein Junge, der sich in seine Bettdecke gekuschelt hatte. »Aber irgendetwas muss es doch geben, was nur du kannst, Opa! «, sagte der Junge. Der alte Mann drehte sich langsam um und seufzte. »Das ist eine lange Geschichte. «, sagte er. In seinen Pupillen tauchten Bilder auf, Bilder von der Art, die man nur selber sehen kann, verlorene Träume. »Bitte erzähl sie mir Opa! «, forderte der Junge neugierig den alten Mann auf. Der Alte setzte sich auf das Bett und begann zu erzählen:

Weißt du, manche Sachen gehören nur einem selber, denn wenn man sie mit anderen teilt gehen sie kaputt und verlieren ihre Schönheit! Wie eine Schneeflocke, die sich bei der kleinsten Berührung in normales Wasser verwandelt. Mein Vater hat mir als ich ein Kind war immer die Geschichte von der einsamen Sternschnuppe erzählt, die keine Kraft mehr dazu hatte sich am Himmel festzuhalten und deswegen auf die Erde fiel, dort fand sie ein junger Mann, der sie mit zu sich nach Hause nahm, weil sie so schön war, wollte er sie seiner armen Familie zeigen, doch in dem Moment, als er sein Haus betrat, löste sich die Sternschnuppe auf. Erst da wurde ihm bewusst, dass er die Chance sich etwas zu wünschen vertan hatte. Lange glaubte ich nicht an die Geschichte, doch eines Abends, in einer klaren Winternacht, fand ich im Garten dieses Hauses einen leuchtenden Stern. Es war ein richtig scheußlicher Tag gewesen. Ich war damals 20 Jahre alt, hatte mein Portemonnaie verloren und hatte Schulden, doch am Meisten ärgerte mich, dass alle Menschen ihr ganz spezielles Talent besaßen, die Einen waren besonders freundlich, die anderen bekamen viele Frauen, wieder andere waren wegen ihrer Kunstfertigkeiten beliebt, doch ich besaß nichts von alledem. Ich war allein, mein Vater war gestorben, meine Mutter im Altersheim, ich besaß nichts. Du kannst dir also vorstellen, dass mich mein Glück zu Tränen rührte. Vorsichtig nahm ich die Sternschnuppe in meine Hände. »Ich will ein Talent haben, das nur mir gehört!«, flüsterte ich, denn mir kam sofort die Geschichte von meinem Vater in den Sinn und ich wollte weiß Gott nicht den selben Fehler machen wie der junge Mann aus seiner Geschichte. So hielt ich die wunderschön leuchtende, kristalline Sternschnuppe in den Händen. »So soll es sein, du wirst der beste Poet der Welt, doch sobald du deine Worte jemanden lesen oder hören lässt werden sie kaputt gehen, wie eine Schneeflocke in deinen Händen und derjenige, der sie liest oder hört, wird mit kaputt gehen! «, sang eine leise reine Stimme, dann löste sich die Sternschnuppe in Staub auf. Von dem Tag an schrieb ich wunderschöne Gedichte und Märchen, doch keiner bemerkte etwas davon, die Leute in unserem Dorf hielten mich für geistig zurückgeblieben, weil ich mir Wild selber jagte, um es zu verzehren und nie auch nur ein Wort mit jemanden wechselte, doch ich war glücklich, zumindest die ersten paar Jahre, denn eines Tages traf ich im Wald ein wunderhübsches Mädchen. Sie sah aus wie eine Elfe und goldenes Haar hing über ihr charismatisches Gesicht. Sie lächelte mich an. Ich versuchte grimmig zu gucken, denn ich wollte sie nicht in Gefahr bringen. »Was gucken sie denn so böse? Ist es wegen mir? « Ich schüttelte den Kopf. »Können Sie mir vielleicht den Weg ins Dorf zurück zeigen, denn ich habe mich verlaufen? «, fragte das Mädchen lächelnd. Ich nickte mürrisch, dann spazierte ich mit ihr aus dem Wald. »Sehr gesprächig sind sie wohl nicht, oder? «, fragte das Mädchen. Ich nickte. So liefen wir stumm ins Dorf zurück. Danach ging ich ohne ein Wort zu meinem Haus. Doch am folgenden Tag klingelte das Mädchen bei mir. Ich öffnete die Tür. »Ich wollte mich bei ihnen bedanken! «, sagte sie und betrat einfach mein Haus. Ich musste sie dringend loswerden, doch sie entpuppte sich als sehr hartnäckig. Den Korb mit dem lecker duftenden Kuchen, den sie bei sich hatte, stellte sie neben dem Eingang ab. Voller Bewunderung begutachtete sie die Berge von Papier, die sich überall stapelten. Als sie sich ein Blatt greifen wollte ergriff ich ihren Arm und brachte sie mit Gewalt aus meinem Haus. Es tat mir im Herzen weh, denn ich hatte mich in sie verliebt, schon beim ersten Mal, wo ich sie im Wald gesehen hatte. Doch gerade aus diesem Grund musste ich sehr vorsichtig sein. »Was machen sie da? Warum sind sie so gemein zu mir? «, fragte das Mädchen, doch ich schüttelte nur mit dem Kopf und knallte ihr die Tür vor der Nase zu. Die ganze Nacht schrieb ich Gedichte für sie, wunderschöne Poesie, unter deren Schönheit meine Augen erzitterten. Am nächsten Tag ging ich auf die Jagd, doch weil ich innerlich noch so aufgewühlt war, vergaß ich den Schlüssel an der Tür. Ich dachte mir nichts weiter dabei, aber als ich zurück zu meinem Haus kam stand die Tür offen. Ängstlich betrat ich mein Haus. Ich hielt mein Gewehr schussbereit, was ich fand war jedoch kein Einbrecher in dem Sinne, sondern das bildhübsche Mädchen. Sie saß auf der Couch und las eines der Gedichte, die ich für sie geschrieben hatte. »Nein! «, rutschte es aus meinem Mund heraus. »Aber das ist wunderschön, ich hatte ja gar keine Ahnung, dass sie so ein Talent besitzen! «, sprach das Mädchen verträumt. Verwundert schaute ich sie an, vielleicht wirkte der Fluch doch nicht so, wie ich gedacht hatte. »Du darfst nicht weiter lesen, sonst passiert etwas schreckliches! «, schrie ich nun. Das Mädchen sah mich unsicher an. »Aber ... « »Du hast ja gar keine Ahnung! «, unterbrach ich sie. Plötzlich zerliefen ihre Gesichtszüge, sie verzerrten sich, wie bei einer Wachsfigur, die auf einem Ofen vergessen wurde schmolz sie. »Was passiert mit mir!!? «, fragte sie entsetzt. »Ich hab dich gewarnt! « So schmolz sie mit all meinen Gedichten dahin, wie eine Schneeflocke die man in die Hand nimmt, verlor sie ihre Schönheit und sah bald einfach nur grässlich aus. Ich schrie und versuchte ihr zu helfen, doch es gelang mir nicht. Sie starb vor meinen Augen. So beschloss ich nicht mehr nahe des Dorfes zu leben und ging ganz tief in den Wald. Dort lebte ich ganze zwei Jahre, Jahre der Trauer und des Selbstzweifels. Bis ich eines Tages wieder eine Sternschnuppe fand, die vom Himmel gefallen war. Ich nahm sie in meine Hände und flüsterte: »Ich will, dass alles wieder so wird wie früher! « »So soll es sein, doch den Tot des Mädchens kann ich nicht rückgängig machen, er ist etwas endgültiges, wenn aus einer Schneeflocke Wasser wird, wird aus dem Wasser nur Eis, wenn es wieder gefriert, es gibt Dinge, deren Schönheit nur einer Person gehören darf, die Schönheit des Mädchens gehört nun nur dir, in deinen Erinnerungen kannst du sie dein Leben lang sehen, doch leben wird sie nie wieder! «, flüsterte die Sternschnuppe durch den Wind. So zog ich wieder in das Dorf, in mein altes Haus, ich hatte zwar kein spezielles Talent mehr, dennoch war ich viel glücklicher, weil ich nicht mehr zur Einsamkeit verdammt war. Ich arbeitete von da an als Verkäufer und lernte einige Jahre später deine Großmutter kennen. Sie war zwar nicht so schön, wie das Mädchen und ich war auch nicht so verliebt in sie, dennoch gab sie mir sehr viel, sie gab mir ein angenehmes sicheres Leben, da wusste ich, dass Liebe nie etwas ist, das nur einem selbst gehört, sie gehört immer zwei Personen. Und Ein sicheres Leben ist viel wertvoller als jegliches Talent.

Der alte Mann stand seufzend vom Bett auf und ging zum Fenster. Es schneite noch immer draußen. »Ist das wirklich wahr? «, fragte der Junge. »Ja mein Kind, manchmal in Nächten wie dieser denke ich noch an sie, aber es hatte schon alles seinen Sinn, was passierte, sonst hätte ich Großmutter nicht kennen gelernt! « Der alte Mann beobachtete eine Schneeflocke, von nahem war sie ein Kunstwerk, doch als sie die Scheibe berührte, da verwandelte sie sich in einen unbedeutenden Wassertropfen.

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Tag der Veröffentlichung: 02.10.2008

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