Unendlich müde fiel ich auf das Bett, das Lou´s Mutter Elli mir angewiesen hatte und sofort schlief ich ein.
Im Traum sah ich mich in dem Lokal, das ich schon von Kind an kannte. Im Nebenraum des Gasthofs Neulustheim fanden Familienfeiern, Karnevalsveranstaltungen und auch das Kasperle-Theater statt. Hier wurden wir auch für kurze Zeit unterrichtet, solange bis die Baracke fertiggestellt war, in der unsere Behelfsschule für die zweite und dritte Klasse abgehalten werden sollte.
Jetzt war der Saal sehr schön geschmückt für unsere Familienfeier.
Auf der Bühne spielte Lothar mit seinem Quartett und Inge sang wie damals im Studio 15 „voar dea Lateane ..“
Meine Eltern unterhielten sich mit Elli, Tino war ja mit der Straßenbahn gleich weiter in die Arbeit gefahren. Mein Opa war aus dem Krankenhaus entlassen und stand mit Oma, dem Kapitän, Herrn Hannesen dem Maschinenmaat und mit dem Matrosen Jens zusammen und prosteten sich zu.
Mein Bruder schien sich köstlich mit Ingo Morgenstern zu unterhalten. Die Puppenhafte servierte, was mich sehr wunderte, bisher hatte sie sich immer bedienen lassen. Gesines Eltern, Onkel und Tante, die ich vom Klein Walsertal kannte, saßen an einem Tisch und unterhielten sich, - ein wenig zu laut, dachte ich gerade. Gesine legte ihren Arm um mich und versuchte mit mir zu tanzen. Ich aber war nicht von der Stelle zu bewegen, denn ich wollte die Eingangstüre nicht aus den Augen lassen.
Zwei Menschen fehlten noch - Lotte und Ludwig.
„Heh Dick, Dick wach auf !“
„Ah – Lou, da bist du ja, endlich bist du wieder dahoam !!“
„Nein Dick, du bist in Kanada.“
„Und was wird jetzt Lou ?“
„Da reden wir gleich drüber, während wir zu mir fahren, nimm Deine Sachen mit, du schläfst erst mal bei mir.“
Das war doch
kein Traum, was mir Elli erzählt hatte, heute Morgen, als wir nach mehrmaligem Umsteigen nach Hause kamen.
„Ja mai, Dick“, sagte sie in unserer Muttersprache, „du hätts´t halt gleich mitkumma müssen !,“ – sie hatte Tränen in den Augen – „dann wär alles anders kumma!"
Sie erzählte mir, dass Lou eine Beauty Comtes (mit erstem Preis beim Wettbewerb) kennengelernt hatte, mit der er nun in einer eigenen Wohnung zusammenleben würde.
„Wir wollten uns doch miteinander was aufbauen aber seit er mit ‚Dera’ zamma is, geht jeder Cent, den er verdient für ‚Die’ weg. Vielleicht jetzt, wo du da bist, dass er zur Vernunft kummt, aber i glaub net, dass er von ‚Derer’ noamoi wegga kimmt.“
Lou musste sich auf den Verkehr konzentrieren und ich konnte meinen Gedanken freien Lauf lassen.
„Ich glaub du legst dich erst amal hin“, hörte ich jetzt Elli sagen, „solange der Ludwig ned da ist, hast du das Zimmer für dich. Allerdings geht das nur 14 Tage, dann muss ich dem Hausherrn Mitteilung machen und die Miete wird höher.“
Sie merkte, dass ich nicht verstand und erklärte: „Jaja hier in Kanada da gibt’s nix umsonst, hier muss man für alles bezahlen, jeder will vorwärtskommen, jeder ist sich selbst der Nächste.“
Mit der Rechten hielt ich mich am Haltegriff fest und mit der linken Hand stemmte ich mich vom Armaturenbrett in den Sitz, trotzdem wurde ich unsanft herumgeworfen und ich war froh, als wir ankamen.
Die Begrüßung mit der „Schönen“ war eher kühl, genau wie die Spaghetti Milanaise, die schon auf dem Tisch standen. Dies läge an Lous Unpünktlichkeit, bemerkte Edith bissig.
Zwei Tage später schon schlief ich wieder in Lous Zimmer bei seinen Eltern. Die „Schöne“ wollte nicht dulden, dass Lou an den Abenden immer mit mir plauderte, statt zu ihr ins Bett zu kommen.
Es war Sonntag und heute sollte ich endlich von Tino erfahren, was am Bahnhof Toronto geschehen war.
„Einzelheiten kann - respektive darf - ich dir nicht sagen, denn ich stehe als Beamter der Stadt Toronto unter der Schweigepflicht. Jedenfalls dein Freund Lothar sitzt in Untersuchungshaft … Seine Frau haben die Kollegen nicht entdeckt, weil sie ja mit dir zusammen herauskam und sie ist auch nicht direkt in Verdacht, (jetzt machte er eine Pause um die Wichtigkeit seiner nächsten Worte zu unterstreichen) mit Drogen zu tun zu haben.“
„Der Witz ist, sie hat sich mit den zwei kleinen, interessanten Koffern, die sie dir, du erinnerst dich, zuschustern wollte, erfolgreich aus dem Staub gemacht. Du bist, dank meiner Initiative, gut aus der Sache herausgekommen.“
Impulsiv streckte ich ihm meine Hand hin und bedankte mich.
„Ist schon gut“, sagte er, „aber besser ist, du hältst dich von den Leuten fern, sonst kommst du noch in Teufels Küche durch diese Bagage und am Ende auch noch wir.“
Fragen an Tino, wieso er und warum er wusste, traute ich mir keine mehr zu stellen.
Es war schon kalt jetzt im November und ich sehnte mich nach dem warmen Rohr, an das ich mich immer lehnte, wenn ich alleine sein wollte - auf dem Frachter, mit dem ich damals aus Deutschland kam. Damals, mir schien-, es war vor einer Ewigkeit.
Anfangs ging alles gut. Lou war seiner Beauty-Comtes davongelaufen, seine Eltern kauften ein kleines Haus in Willowdale, north of Toronto, und ich fuhr täglich mit Lou zur Arbeit.
Als Volontär lernte ich bei ihm Fliesen legen. Er stellte mich seinem Arbeitgeber vor und nach sechs Wochen schon bekam ich meinen ersten Auftrag, ein Bad allein zu verfliesen.
Nur kurz dauerte der Aufschwung. Dann waren unsere Arbeitsaufträge nicht mehr in derselben Gegend. Wie sollte ich, samt Werkzeug und Material, auf meine Baustelle gelangen. Nur einige Tage ging dies noch gut.
Mit den freundlichen Worten „Sorry, wenn du einen kanadischen Führerschein und ein eigenes Auto hast, kannst du gerne noch mal bei uns anfragen“, wurde ich vom Chef des Unternehmens verabschiedet.
So jedenfalls interpretierte es mir Lou. Es erübrigte sich die Frage „kannst du mich fahren ?“ zu stellen, denn Lou hatte eine neue Freundin. „Keine Zeit“ waren die am häufigsten vorkommenden Worte in seinem Sprachschatz ! Mit der Bezahlung für den Führerschein waren meine Dollars aufgebraucht. Nun muss ich für das Auto sparen, nahm ich mir vor.
Schon einige Tage später sollte ich mich bei dem Chef einer deutschen Bäckerei vorstellen.
Ganz unnötig machte ich mir Gedanken über meine Fertigkeiten, Berufskleidung und die Arbeitszeiten, denn Herr Lüderke brauchte keinen Bäcker, sondern einen Fahrer, der täglich seine Kunden beliefern sollte.
Ich jauchzte innerlich, ich würde Autofahren und das in Toronto, mit einem Chevrolet Station. Ich sah mich schon auf einem Foto mit dem großen Wagen. Klar ! Das würde ich dann nach Deutschland schicken.
„Traust du dir das zu ? Ich sehe du hast deinen Führerschein erst neu“, holte mich Herr Lüderke aus meinen Gedanken.
Mein, „Ja Sir !“, kam nicht sehr überzeugend und dies ermunterte mein Gegenüber wohl zu seinen nächsten Worten: „Ich kann nicht so sehr viel bezahlen, jedenfalls anfangs, die Tour soll noch ausgebaut werden. Aber da gibt es einige Annehmlichkeiten die dir gefallen werden.
Zum Beispiel, du kannst vom letzten Kunden direkt nach Hause fahren, für gewöhnlich brauche ich das Auto nicht, nur manchmal am letzten Wochenende im Monat. Allerdings musst du den Wagen sauber halten.
Die Ware ist bestellt und abgezählt, trotzdem sind oft ein paar Teilchen, Brötchen oder ein Brot über, auch das kannst du dir nehmen.“
Gespannt wartete ich, wie viel Lohn er mir nun bieten würde.
„50 Dollar die Woche !“ Er sah mich an ! „--erst mal“, sagte er dann !
Lou verdient 70 pro Tag ! Dachte ich und anscheinend schaute ich ganz verdutzt denn jetzt sagte er „OK 70“, streckte mir die Hand entgegen, „morgen früh und am Samstag um 6 Uhr 30 fahren wir zusammen, damit du die Tour kennenlernst und ab Montag kannst du dann alleine fahren.“ Ich war eingestellt.
Auf dem Heimweg in der U-Bahn rechnete ich den Lohn in D-Mark um. Als Jungbäcker verdiente man in Deutschland zwischen sieben und achthundert Mark im Monat. Plus Kost und Logis. Das was ich hier bekommen sollte war nur wenig mehr, denn es war ohne Room and Board.
Der Vorteil tröstete ich mich nun, in Deutschland musste man dafür hart arbeiten und hier „durfte“ ich Autofahren.
Dass dies unter Zeitdruck im Stadtverkehr kein Vergnügen ist, wusste ich da noch nicht. Doch bald merkte ich, es war je nach Verkehrsdichte und Wetter, Schwerstarbeit. Manchmal wurde ich obendrein noch beschimpft, weil ich zu spät war. Wie gut, dass ich das meiste nicht verstand, denn es waren einige sehr unschöne Redensarten in den verschiedensten Landessprachen darunter.
Aber es gab auch gute Zeiten.
Meine Gedanken flogen zu dem Tag, an dem ich Ingo wiedersah. Ein Imbiss, den ich belieferte, gehörte seinem Onkel. Er war einer meiner Lieblings-Kunden, immer freundlich und war ich einmal zu spät, er schimpfte nie, im Gegenteil er fand immer ein paar beruhigende Worte.
Kaum zu glauben ! Ingo besaß schon selbst einen second hand Kleiderladen in der Bloorstreet.
Die Wut auf den Berliner Bäcker kochte wieder in mir hoch. Wie konnte ein deutscher Landsmann nur so gemein sein.
Die ersten zwei Wochen hatte er mich voll bezahlt und dann mit einer Ausrede immer weniger.
„Du brauchst keine Angst zu haben, du bekommst dein Geld schon“, sagte er am letzten Samstag. „Es ist nur, weil du so spät von der Tour kommst und inzwischen ist meine Frau mit der Abrechnung nach Hause gefahren. Ich habe auf dich gewartet, weil ich heute, wie du weißt, den Chevi brauche.“
„Aber ich habe bei meinem Freund das Kostgeld noch nicht bezahlt“, warf ich ein.
„Kein Problem, wie viel brauchst du, 50 fürs Erste? Das kann ich von diesem Geld nehmen“, und er zog eine Rolle Scheine aus der Tasche, zählte 50 Dollar ab und übergab sie mir. Mit den Worten: „Also bis Montag“, wandte sich ab ! „Sorry ich muss !---“ und weg war er auf Nimmerwiedersehen.
Aber dies merkte ich erst am Montag, als ich pünktlich vor der Bäckerei stand. Niemand war da, die Türe geschlossen, die Schaufenster leer. Nur zwei große Plakate gaben Auskunft. ...Auf einem stand CLOSED und auf dem anderen MOVED.
Jetzt saß ich schon die vierte Nacht auf einem Korbsessel, der vergessen auf der Holzveranda eines verlassenen Hauses irgendwo in einer Seitenstraße in Toronto stand und fror. Die Zimmer, die angeboten wurden, waren immer nur mit Kost und kosteten über 20 Dollar. Nur ganz kurz dachte ich, ob ich wohl zu Ingo oder seinem Onkel gehen sollte. Aber sofort verwarf ich diesen Gedanken. So hungrig und frierend sollte er mich nicht wiedersehen.
Nachdem ich schon einige Wochen arbeitslos war hatte Tino mich kurzerhand rausgeschmissen.
Elli war etwas netter. Sie wartete bis Tino weg war, dann sagte sie: „Weißt Dick, des is auch, weil der Gerhardt kommt, (das ist der Sohn ihres Bruders) der will mit dem Ludwig ein Geschäft anfangen.“
„Die könnten mich doch brauchen ?“, meinte ich.
„Ja später vielleicht, aber am Anfang müssen sie alleine arbeiten, hat der Gerhardt gesagt, und in den Winter rein wird’s ja immer weniger. Hier schau, da hab ich noch a’ bissl Geld gespart, das gebe ich dir, dann bist du mir mit dem letzten Kostgeld 70 Dollar schuldig, das kannst du mir ja irgendwann wenn du Arbeit hast, zurückgeben.
Nimmst dir heut nur deine Reisetasche mit dem Nötigsten mit, deinen Koffer kannst du hier lassen, und wenn du was von deinen Sachen brauchst, dann kommst am besten tagsüber wenn ich alleine bin. Downtown wohnst du sowieso besser. Näher für die Arbeitssuche und du sparst dir das Geld für die langen Fahrten. Ich wünsch dir, dass du bald Arbeit findest und alles Gute.“
Eine Umarmung gab es nicht. Tapfer hatte ich meine Tränen zurückgehalten und war gegangen.
Gerade als ich mich entschlossen hatte zum Hauptbahnhof zu gehen um mich zu waschen und ein wenig aufzuwärmen, hielt einige Häuser weiter ein großer Wagen im Driveway. Sofort verhielt ich meinen Schritt, beobachtete wie man eiligst den Wagen verließ und ins Haus lief. Die haben das Auto nicht abgeschlossen, meine Chance, und schon schlüpfte ich auf den Rücksitz.
Längst wollte ich weg sein, gleich morgens, wenn der Zeitungsjunge kommt. Man hört ihn schon lange bevor man ihn sieht. Klatsch, klatsch, wenn er die Zeitung vom Fahrrad aus in die Hauseingänge schmeißt. Dann konnte ich die Jobangebote durchgehen und vielleicht hatte ich Glück.
Aber es kam anders !
Ein riesiger schwarzer Mann riss, irgendwelche Flüche ausstoßend, die Wagentüre auf, „get aut“ verstand ich und sofort sprang ich aus dem Wagen.
Ich war mit meinen 1,80m nicht gerade klein aber ich kam mir so vor, als ich jetzt stotternd vor dem Hünen stand: „Please I’ I only sleep, I,m cold - I, I, look for work - please !”
Mit seiner tiefen sonoren Stimme sprach er ganz ruhig auf mich ein. Mit Daumen und Zeigefinger hatte er mich am Anorak gepackt und wir gingen (ich gezwungenermaßen) zum Haus. Nur sehr wenig konnte ich von dem was er sagte verstehen denn sehr viel Englisch hatte ich noch nicht gelernt. (Wohnung und Kost, bei Deutschen, Arbeit bei Deutschen und ging ich mal aus, war es der Deutsche Club in dem hauptsächlich auch nur Deutsche waren.) Ein angenehmer Duft nach gebratenem Speck empfing uns im Haus.
Kurz dachte ich „mmh, Essen“.
„Grace ! this boy sleept in our car“, und dann noch ein Wortschwall den ich nicht verstand, der aber bewirkte, dass eine Schönheit mit einem riesengroßen Frotteetuch auf mich zukam.
„Schauer“, sagte und sie deutete auf eine Türe hinter mir. Ich spürte wie mir das Blut ins Gesicht schoss, mein eben noch wässeriger Mund war ausgetrocknet und ich glaube er stand sogar offen. Für einen Augenblick genoss sie es so bewundert zu werden und ein bezauberndes Lächeln huschte über ihr Gesicht,
„it’s ok boy“, und sie ging.
Angst kroch in mir hoch, das gibt es doch gar nicht. Was wollen die von mir ? Ich muss hier schnell wieder weg, aber wie - der Hüne stand wieder vor mir und gab mir meine Reisetasche. „Schauer“, sagte auch er und schob mich in ein Badezimmer. Für einen Moment waren alle Bedenken verschwunden, nur das WC zählte.
Egal, dachte ich dann erleichtert, erst mal duschen.
Grace, sie ist so schön wie Schneewittchen.
Unsinn …die war doch wie Milch und Honig,
aber sie ist schöner,
wie komm ich hier wieder raus ?!
Was soll ich nur tun ?
Dann ist sie Milchkaffee mit Sahne,
ob die wohl die Polizei verständigt haben?
Schöner als Lotte ?
Bestimmt stehen die schon vor der Türe.
Nein ! Aber sie ist, sie ist .....
Entschuldige „Snack", (so nannten wir uns, Lotte und ich gegenseitig), damals.
Bestimmt ist sie seine Frau !
Egal, Hauptsache ich komme hier wieder heil heraus.
Ich brauche die Zeitung. Samstag stehen die meisten Jobs drin.
Was wohl hinter der anderen Türe ist ? Vorsichtig drehte ich am Knauf.
Nichts geschah, sie war verschlossen.
Leise ging ich zurück zur Türe, durch die ich hereingekommen war.
„My name is Jonathan (er zeigte auf seine Brust) und what is yours ?“
„Dick“, sagte ich.
„This is Grace, my wife“, sagte er, wir waren in einer Küche mit Essecke angelangt und er wies auf einen Stuhl.
„Café ?“ Er reichte mir eine Kanne. „Eat !“
Grace hatte Rührei, Speckstreifen und Toast zurechtgemacht.
„Ess doch!“, sagte sie nun auf Deutsch. Wieder war meine Kinnlade runtergefallen. Die „Beiden“ schauten sich an und fingen an zu lachen und ich stimmte mit ein, das Eis war gebrochen. Es wurde ein langes Frühstück. Fragen flogen hin und her. Immer wieder half Grace mit ein wenig Deutsch, sie kannten meine Situation und ich wusste, sie kamen aus Cleveland, das sei am Mississippi. Ich nickte, aber ich wusste nicht im Entferntesten, wo das war.
Sie hatten es nicht leicht, als sie vor 20 Jahren nach Boston kamen, wo er bei einem großen amerikanischen Konzern arbeitete, der später nach Toronto expandierte.
„Wir mussten getrennt wohnen“, sagte nun Grace, „ich war Kindermädchen bei einer deutschen Familie und Jonathan hatte room and board.“
„Ich würde alles machen, wenn ich nur einen Job hätte, nur Kindermädchen ist nicht possible.“ Dafür gab es wieder einen Lacher.
„OK, du hast einen Job.“
Ich schaute ihn ungläubig an – wo ? – nun erklärte Grace: „Unser Sohn, er studiert in Quebec, wird Weihnachten nach Hause kommen und wir wollen ihn mit einem komplett renovierten, neu eingerichteten Apartment überraschen.“
„Es wird ca. in zwei Wochen fertig sein und bis dahin kannst du darin schlafen, vorausgesetzt du hilfst mir beim Renovieren.
Würdest du auch im Straßenbau arbeiten ?“
„Na klar !"
„Dann werde ich bestimmt was finden für dich.“
Vor der lunchtime holten wir noch eine Liege aus der mit abgestellten Möbeln vollen Garage und endlich konnte ich nach dem Essen alleine sein, um meine Gedanken zu ordnen, aber schon bald war ich eingeschlafen.
Es ist nicht einfach sich in eine Kolonne beim Straßenbau einzuordnen. Da gibt es Regeln die man einhalten muss, was wiederum nur möglich ist, wenn man sie kennt. Die meisten bekommen jedoch nicht die Chance sie kennenzulernen, weil sie nicht lange genug dabei sind.
Ich wusste man muss immer arbeiten wenn ein Chef’ oder ein Vorarbeiter in der Nähe ist.
A b e r man darf nicht zu viel tun, sonst ist man ein Radfahrer. Streber sind bei den Andern unbeliebt.
Frech stellte ich einen Fuß auf die Schaufel, als ein Boss vorbeikam und sofort deutete er auf mich und sagte: „Don’t fuck the Dog get on working.“
Ich verstand nicht und fragte später meinen Nebenmann.
Folgender Dialog kam zustande:
Ich: “What he said?”
Er: “He just make a joke.”
Ich: “What is a joke?”
Er: ”A joke is something to laugh about.”
Ich: “What is laugh about?”
Er: ”Laughing is if you do hahahaha.”
Tags darauf, die Schicht hatte gerade angefangen, wurde ich ins Büro gerufen.
Als ich in das Vorzimmer trat streckte sich mir durch ein winziges Fenster eine Hand mit einem Kuvert entgegen und eine Frauenstimme sagte: „You’r Papers, good lock.“
Immerhin ich hatte drei Wochen und zwei Tage gearbeitet. Gestern noch war ich bei Betty, um ihr zu erzählen, dass ich Arbeit habe. Sie war in einer deutschen Metzgerei, die ich ebenfalls mit Brötchen beliefert hatte, beschäftigt.
Zu ihr ging ich nicht all zu oft, obwohl es sehr zu meinem Vorteil war wenn ich bei ihr „einkaufte“. Es war immer mehr als die Waage zeigte und wenn sie dann manchmal selbst kassierte, bekam ich genau den Betrag, den ich mit einem Schein bezahlte, als Wechselgeld zurück. Aber es war auch immer ein Zettelchen im Paket auf dem stand wann und wo sie mich treffen wollte.
Sie war eine ganz nette und vor allem freundliche Person, eine stattliche, für mich etwas zu große Erscheinung und sie hatte einen schwäbischen Mund, den ich zwar gerne küsste, aber sie hätte halt „nix schwätze solle“! Alles in allem …. Keine Lotte. Diesmal stand auf meiner Nachricht Samstag „Deutscher Club“. Ausgerechnet, da werde ich ziemlich geizig sein nahm ich mir vor und sofort machte ich mich auf den Weg nach Willowdale, um meine Sachen zu holen. Ich verschwieg Elli, dass ich kurz Arbeit hatte, denn von dem wenigen angesparten Geld wollte ich nichts abgeben.
Ludwig sei kaum zu Hause und als ich nach Gerhardt fragte, der sei noch nicht da. Sie vermied darüber zu reden, während sie mich mit Schinken, Eiern, Toast und Kaffee vollstopfte.
Der deutsche Club, das einzige Lokal, das ich besuchen konnte, denn ich hatte immer noch keine andere Ausgeh-Kleidung außer meiner Kombination, mausgraue Hose, stahlblaues Jackett. Hier passte es sogar besonders. Lederjacken hatten keinen Zutritt.
Direkt sah ich Ludwig, als wir das Lokal betraten, denn er überragte die Meisten um Haupteslänge und auch er sah uns am Eingang. Sofort hörte er auf zu tanzen und kam uns entgegen, brachte uns an seinen Tisch und stellte uns seiner Begleitung vor. Vanessa ist Griechin und sie spricht kein Deutsch und ihr Englisch ist horrible, aber trotzdem verstehen wir uns sehr gut, meinte er lachend.
Sie übertraf alles, was ich mir, wenn ich mir eine Griechin vorstellte, ausmalte.
Dann noch das girrende Lachen und der Augenaufschlag, wenn sie mich anschaute.
Ein gelungener Abend wurde es und das Schönste, Ludwig hatte uns alle drei in sein Elternhaus nach Willowdale eingeladen. Er bemerkte mein Zögern und erklärte, Tino und Elli sind bis Anfang Januar in den Urlaub gefahren.
Ich brauchte mein erstes Weihnachtsfest in Kanada nicht allein zu verbringen, aber diese Geschichte erzähle ich in der nächsten Folge.
Der Freund in Kanada
Teil V „Aufwärts“
Bildmaterialien: Foto vom Hafen in Toronto
Tag der Veröffentlichung: 03.03.2015
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