Es ist ein kühler, nebliger Januarmorgen, Hand in Hand gehen sie den Strand entlang. In der Ferne ist das Nebelhorn des Leuchtturms zu hören, als ihr Fuß gegen etwas stößt, das halb im Sand eingegraben liegt. Eine Flasche, durch das blinde Glas ist kaum etwas von dem Inhalt zu erkennen, doch der versiegelte Korken weckt die Neugier. Er holt ein Taschenmesser heraus und öffnet die Flasche ...
„Ja und, Matthias? Was ist drin? Eine Flaschenpost? Bestimmt ist das eine Flaschenpost. Jetzt mach schon, hol den Zettel raus.“
„Mann, geh mir nicht auf den Keks, Anne. Da ist kein Papier drin. Das ist irgendwas anderes. Ich kann es aber nicht erkennen.“
„Und jetzt?“
„Zurück zu Papa, der weiß, was wir machen können.“
Praktisch stehenden Fußes drehen die beiden Zwillinge um und rennen wieder zum gemieteten Strandhaus. Jetzt macht ihnen auch die Kälte für ein paar Minuten nichts aus, oder die Langeweile, die sie noch zu Beginn des Strandspaziergangs im Griff hatte. Endlich ist was los in diesem öden Urlaub.
Wer fährt auch schon im Januar an die Nordsee? Saublöde Idee von Papa, zumindest darüber waren sich die Geschwister einig. Naja, dafür müssen sie wenigstens mal ein paar Tage nicht in die Schule gehen, das ist ja in Ordnung. Papa kriegt halt sonst keinen Urlaub. Aber wenn man dann schon im Januar wegfährt, dann entweder dahin, wo es warm ist, oder in die Berge zum Skifahren. Und was macht der Papa? Entscheidet sich für einen Urlaub am Meer. Wo es doch zur Zeit so kalt ist. Und los ist hier auch nichts. Aber jetzt mit der Flasche...
Über derlei Gedanken kommen die beiden an dem kleinen Bungalow an und rufen sofort nach ihrem Vater. Der kommt dann auch schon aus der Tür und sieht seine beiden Sprösslinge an: „Was habt ihr denn da?“
„Guck mal, haben wir am Strand gefunden.“ berichtet Matthias stolz.
„Gar nicht wahr, die habe ich ganz alleine entdeckt“ unterbricht ihn seine Schwester.
„Ja, aber ich habe sie aufgemacht, weil ich mein Taschenmesser dabei hatte, so.“
„Kinder, beruhigt euch, gebt mir das Teil mal her.“
Er dreht und wendet die Flasche, schüttelt sie kurz und stellt dann fest, was die beiden auch schon vorher wussten. „Da ist was drin.“
„Ja, aber was?“
„Das weiß ich auch nicht.“
„Kannst du nicht nachschauen?“
„Tja, würde ich gerne, aber wie? Ich will sie ja nicht kaputtmachen.“
„Menno, wir wollen aber wissen, was da drin ist.“
„Ja, Papa, mach die ganz auf.“
„Okay, Kinder, geht mal zur Seite.“
Die beiden schauen sich an, dann ihren Vater, dann gehen sie ein paar Meter weg. Der Vater nimmt die Flasche und lässt sie einfach auf dem Boden fallen. Mit einem lauten Klirren zerspringt die alte Flasche in tausend Stücke und offenbart... ein Schiff?
„Papa, da war ein Schiff drin!“
„Wie ist das da rein gekommen?“
„Wo kommt das her?“
„Wer hat das da rein gemacht?“
„Können wir damit spielen?“
„Wie heißt das Schiff?“
Papa beugt sich erst mal runter und hebt das Schiff, ein Segelschiff, vorsichtig aus den Scherben und befreit das Kleinod durch Schütteln und Pusten von den letzten Glasresten. „Ich werd bekloppt, ein Buddelschiff.“ murmelt er.
„Was ist denn ein Buddelschiff, Papa?“ will die Tochter wissen.
„Das ist ein kleines Modellschiffchen, das man in eine Flasche wie diese packt.“
„Wie geht das?“
„Das Schiff ist doch viel größer als der Flaschenhals, wie passt das denn da durch?“
„Wer hat das gemacht?“
„Können wir das auch machen?“
„Wartet kurz.“ Der Vater dreht sich um, geht ins Häuschen und kommt kurz danach mit zwei Büchern wieder. „Hier, die waren im Bücherschrank.“ Mit diesen Worten überreicht er Matthias und Anne ein Buch über Modellschiffe und eins über Buddelschiffe. „Ich glaube, da sind sogar Anleitungen drin, wie ihr so was selber machen könnt.“
„Oh, toll, wir basteln uns auch ein Schiff in einer Flasche.“
„Papa, fahren wir ins Dorf und kaufen uns eine große Flasche und ein Modellschiff?“
„Klar, machen wir. Ich sag euch was: Ihr geht jetzt auf euer Zimmer und lest ein bisschen in den Büchern, und nach dem Mittagessen fährt die Mama mit euch los und ihr holt euch alles, was man dafür braucht.“
Zack, rennen die beiden an ihrem Vater vorbei in ihr Kinderzimmer.
„Und, was habe ich dir gesagt? Der Plan hat wie am Schnürchen geklappt.“
„Ja, hat er. Bin eigentlich sogar überrascht, wie gut das funktioniert hat. Da jammern die Kinder die ganze Zeit, wie langweilig es hier wäre und dass es nichts zu tun gäbe, so ganz ohne Fernsehen und Spielekonsole, aber wenn man ihnen ein kleines Geheimnis bietet, dann sind sie sofort abgelenkt und stürzen sich mit Feuereifer in ein neues Hobby.“
„Ja, aber wenn wir ihnen nur gesagt hätten, dass sie ein Buddelschiff basteln sollen, dann hätten sie uns ja ausgelacht. Deswegen mussten wir ja auch dafür sorgen, dass sie die Flasche ´zufällig´ beim Strandspaziergang finden.“
„Gut, dass wir noch eine so alte Flasche im Keller hatten, durch die man nicht durchschauen konnte.“
„Ha, und du wolltest einen Schatzplan zeichnen und in der Flasche verstecken. Damit lockst du doch keine 13-jährigen mehr hinter dem Ofen vor. So sind sie am Basteln, und wir haben noch einen schönen Resturlaub.“
Hach, es kann ja so einfach sein, Kinder zu beschäftigen.
Tag der Veröffentlichung: 14.05.2010
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