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Ich gehe ja nicht gerne in die Kirche. Nicht, dass ich nicht gläubig wäre (irgendwie ja doch, eigentlich), aber da ist es immer so langatmig und, seien wir ehrlich, langweilig. Augen offen halten ist nicht ganz so einfach wie es sein sollte. Deswegen bin ich da nur selten.
Eigentlich nur bei Hochzeiten und Beerdigungen. Und, dieses eine Mal, sogar beim Jahrgedächtnis.
Vor einem Jahr war mein Vater gestorben. Schlaganfall. Aus heiterem Himmel. Hatte meine Mutter und mich hart getroffen. Ich bin dann tatsächlich zum ersten Mal seit über 15 Jahren zuhause gewesen. Seit meinem Umzug nach Kiel bin ich tatsächlich nicht mehr in Würzburg gekommen. Seltsam, wenn ich so darüber nachdenke.
Tja, und kaum ein Jahr später bin ich schon wieder hier. Jahrgedächtnis. Von mir aus.
Beim Nachmittagskaffee bringt meine Mutter schon wieder den Schreibtisch meines Vaters ins Gespräch. War ja der Ort im Haus, wo er die meiste Zeit seines Lebens verbracht hatte. Trotzdem soll das Ding jetzt weg. Spermüll. Aber da ist noch diese eine Schublade, die seit über einem Jahr verschlossen ist und ich soll doch mal gucken, ob ich die nicht aufkriege.
Na ja, die kriege ich schon auf, mit einem Schraubenzieher und ein wenig Gewalt. Und was ist drin? Nix außer einer CD-ROM. Wusste gar nicht, dass mein Vater einen Computer bedienen konnte. Im Haus meiner Eltern steht zumindest keiner. Ich nehme die CD an mich und verabschiede mich kurz danach von meiner Mutter, ab ins Auto, Würzburg - Kiel ist eine lange Tour.

Zwei Tage später komme ich dann auch mal dazu, mir die CD anzusehen, sprich: sie in meinen Rechner einzulegen. Sie ist fast komplett leer, es befindet sich nur ein einzelnes Dokument darauf. Name des Dokuments: für_meinen_sohn.doc
Sehr geheimnisvoll. Okay, ich weiß, dass mein Vater ein Faible für´s Dramatische hatte, aber ich bin doch ein wenig überrascht. Mal sehen, was drin steht:

"Hallo Thomas,
wenn du das liest, bin ich tot. Du musst mir noch einen Gefallen tun und den Links folgen und dort tun, was du für richtig hältst. Tu es für deine Mutter.
Dein dich liebender Vater Richard"
Darunter waren fünf Links eingebettet.

Aha. Und nu?

Schauen wir doch mal nach, wie alt dieses Dokument ist. Gestorben ist mein Vater im Juli 2008, noch dazu recht unerwartet, die Links sind also im günstigsten Fall ein Jahr alt. Aber so einfach ist es nicht, ein Blick in die Detailansicht zeigt mir, dass das Dokument bereits im November 2006 erstellt wurde. Na toll. Okay, wir probieren es trotzdem mal.
Erster Link: 404 - Seite nicht gefunden
Zweiter Link: 404 - Seite nicht gefunden
Dritter Link: 404 - Seite nicht gefunden
Vierter Link: Dieser Ebay-Artikel ist nicht mehr gültig
Fünfter Link: 404 - Seite nicht gefunden
Sechster Link: 404 - Seite nicht gefunden
Das war´s. Sehr sehr schade, da hat sich mein Vater bestimmt was gutes ausgedacht, aber die Zeiten sind schnelllebig, solche Internetverbindungen haben alle nur eine begrenzte Haltbarkeit. Hätte er mal nicht so geheimnisvoll getan, dann hätte es auch funktioniert. Schade, dass wir nie erfahren werden, was er geplant hatte.

Ironischerweise wird übrigens nahezu zeitgleich zu diesen Ereignissen in Schweinfurt ein Bankschließfach geöffnet. Es wurde vor vielen Jahren eröffnet von meinem Vater, darin hinterlegte er fast 40.000 Euro in 100-Euro-Bündeln. War als eine Art Sicherheit für seine Frau gedacht, aber der Weg zu diesem Schließfach, der war nicht so ganz einfach. Hätte man den hinterlegten Links noch folgen können, dann wäre nach einer kleinen Schnitzeljagd der Schlüssel und der Ort zum Vorschein gekommen, so wird es gemäß seinen Anweisungen ein Jahr nach seinem Tod geöffnet und der Inhalt dem örtlichen Tierheim gespendet. Na, die Hunde und Katzen werden sich auch freuen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 13.07.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Beitrag zum 8. BookRix-Wortspiel

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