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Prolog
Louisa

Vor 15 Jahren habe ich meine Tochter Eve-Kaye auf die Welt gebracht. Es war eine schwere Zeit damals. Ich machte gerade ein FSJ und verdiente mir mit Kellnern etwas dazu, doch um mich und meine Tochter zu ernähren, hätte es nicht gereicht. Zum Glück hatte ich meine Großeltern, die mir sehr geholfen haben, damals. Jetzt, 15 Jahre später, habe ich ein eigenes Haus, und hab mein Studium erfolgreich hinter mir. Ich habe ein eigenes Atelier und verdiente mein eigenes Geld. Von Eves Vater habe ich seit 15 Jahren nichts mehr gehört. Ich wollte es auch gar nicht. Ich wollte nicht sehen wie er mit einer neuen Frau glücklich wurde, denn ich liebte immer noch nur ihn. In den ganzen 15 Jahren hatte ich keinen neuen Freund gehabt, denn ich hatte keinen gewollt.
Meine Tochter zog ich alleine groß, mithilfe meiner Großeltern, weil ich ohne sie niemals hätte studieren können.
Jetzt war Eve 15 Jahre alt und würde in nicht mal einem Monat 16 werden. Sie wurde Selbstständig und brauchte mich immer weniger. Sie lebte ihr Leben und ich Meines. Ich war unheimlich stolz auf meine kleine Tochter. Für mich würde sie immer die kleine Maus bleiben, die mich ausfragte. Immer meine Kleine bleiben, die ich beschützen musste. Auch wenn sie langsam erwachsen wurde.
In letzter Zeit machte ich mir etwas Sorgen um sie. Sie fragte immer wieder nach ihrem Vater, doch ich konnte und wollte es ihr nicht sagen. Sie veränderte sich sehr in den letzten Monaten. Sie trug immer mehr schwarz und hörte andere Musik als früher, dennoch wirkte sie auf mich glücklich, doch ich konnte mich auch täuschen. Sorgen machte ich mir trotzdem, damals hatte ich auch das glückliche Mädchen gespielt, doch mein Inneres lag in einem Scherbenhaufen.
Wie gerne würde ich jetzt einfach zu ihm hin gehen und sagen: „Tony, das hier ist Eve, deine Tochter“, doch das würde ein riesen Chaos geben. Er würde mir das niemals verzeihen. Ich wusste ja, wie sehr er sich ein Kind gewünscht hatte.
Mittlerweile hatte er bestimmt eine neue Frau und vielleicht auch schon ein oder zwei kleine Kinder. Mich hatte er bestimmt schon vergessen. Ich war bestimmt nur eine von vielen gewesen. Wenn er mich wirklich geliebt hätte, wäre er mir hinterher gekommen und hätte mich nicht einfach gehen gelassen.
Tränen rannten immer über mein Gesicht wenn ich daran dachte. Ich vermisste ihn, doch alles rückgängig machen konnte ich nicht … dafür war es zu spät.
Mein Bruder war in der Zeit für mich da, in der ich jeden Moment an ihn denken musste. Er half mir. Ich war ihm unendlich dankbar, denn ich glaube, ohne ihn wäre ich heute nicht so weit gekommen. Ich hätte wahrscheinlich alles hingeworfen. Meine Tochter war oft bei ihm, er war eine Art Vaterersatz für sie. Aber wie lange das noch so gut gehen würde, wusste ich nicht. Sie wusste, dass ihr wer fehlte und sie wusste auch, dass ihr Vater noch lebte.
Ich wollte nicht, dass sie es herausfand, deswegen versteckte ich die letzten Überbleibsel von ihm. Alte Fotos, die Kette und den Ring. Alles verstaute ich in einer Kiste auf dem Dachboden. Es tat weh, da es wieder ein Abschied war.


Kapitel 1
Die Hochzeit
Louisa


Morgen war es so weit, mein Bruder heiratete seine Freundin. Sie heirateten im selben Monat wie Tony und ich es hatten tun wollten, im Oktober. Wir hatten uns diesen Monat rausgesucht, weil wir beide die Jahreszeit Herbst liebten.
Eve war gerade zwei Monate alt, ein kleiner Engel. Ich liebte sie und war froh, dass ich mich für sie entschieden hatte, auch wenn es sehr schwer gewesen war.
„Na, was macht die Kleine?“, fragte mein Bruder.
„Sie schläft, wie so oft“, antwortete ich ihm.
Dann kam seine zukünftige Frau ins Zimmer. „Louisa, kannst du mal bitte kommen? Ich bräuchte deine Hilfe.“
„Ja klar“, sagte ich und gab Michael die kleine Eve.
„Bei was brauchst du denn meine Hilfe?“
„Für nichts, du ziehst dich jetzt um und feierst mit mir und meinen Freunden meinen Junggesellinnen-Abschied. Und keine Widerrede, Michael passt auf deine Kleine auf, der packt das schon.“
„Aber…“, wollte ich protestieren, doch sie unterbrach mich.
„Nichts aber. Du gehst jetzt hoch und ziehst dich um, dann kommst du mit mir. Du hast dich in der letzten Zeit so sehr um deine Kleine gekümmert, da darfst du dir auch mal einen Abend frei nehmen.“
„Okay, ich komme mit“, gab ich schließlich nach.
Ich hatte keine Chance, ich musste mit kommen. Ich erhoffte mir viel Spaß zu haben. Es war schwer mit der Situation klarzukommen, dass mein Bruder der war, der jetzt heiratete und nicht ich und Tony. Ich hatte ein kleines Kind, das ich jetzt alleine großzog, ohne die Liebe meines Lebens.
Ich hatte sie schon gefunden und doch ließ ich sie gehen.

Wir hatten unseren Spaß. Wir waren in einer Disco. Ich hatte mir, wie immer, gut dreimal Sex on the Beach bestellt.
Der Abend war perfekt, bis ich ihn sah. Wir waren gerade auf dem Weg zu einem kleinen Restaurant, als er mir ins Auge fiel.
Ich überlegte, ob ich ihn ansprechen sollte. Erst traute ich mich nicht, doch die ganze Zeit über quälte mich der Gedanke, dass ich noch mal mit ihm reden konnte, aber die Chance dann nicht genutzt hätte.
Er saß alleine an der Bar, ich entschloss, zu ihm zu gehen.
„Hi“, sagte ich zu ihm. Ich war etwas ratlos und hatte Angst vor seiner Reaktion. Schließlich hatte ICH mich von IHM getrennt und nicht anders herum.
„Hi“, kam von ihm mit einem verwirrten Blick.
„Wie geht’s?“, fragte ich. Ich wusste einfach nicht, was ich ihn fragen oder sagen sollte.
„Ganz gut, und dir?“
„Auch ganz gut“, brachte ich stotternd heraus.
„Du hast noch zwei Kartons im Keller vergessen“, stellte er fest.
„Oh ja, wann kann ich die abholen?“
„Nächsten Donnerstag wäre ganz gut, aber wenn es geht, dann vor drei. Danach muss ich wieder in die Klinik.“
„Ja gut, dann komm ich um zwei Uhr, ich muss dann mal“, sagte ich und wollte mich umwenden.
„Das mit deinen Sachen wollte ich dir schon länger sagen, aber ich habe dich nicht erreicht.“
Ein Glück sah ich, dass die andern mir aus dieser Situation helfen wollten, indem sie bezahlt hatten und gehen wollten. Ich hatte mich selbst in diese Situation gebracht.
Er hatte mich deshalb nicht erreicht, weil ich nicht ran ging wenn ich seine Nummer sah. Ich vermisste ihn, aber er versuchte ja nicht mal mich zurück zu bekommen.

***

Am nächsten Morgen wachte ich ausnahmsweise nicht von meiner Tochter auf, sondern von Sonnenstrahlen, die auf mein Gesicht schienen. Das erinnerte mich an meinen Geburtstagsmorgen, er hatte genauso angefangen. Schnell verdrängte ich diesen Gedanken wieder, da sonst wieder Tränen kommen würden, aber an diesem Tag wollte ich keine Träne vergießen. Es war der Hochzeitstag meines Bruders. Es war sein Tag, deswegen wollte ich heute nur an ihn denken und mich für ihn freuen. Was ich auch tat.
Ich stand in meinem Zimmer und ging auf das Bett meiner Tochter zu. Sie schlief noch seelenruhig, also machte ich mich gleich auf den Weg zu seiner zukünftigen Frau, Alexa. Ihr half ich bei den letzten Vorbereitungen, denn das machte ich sehr gerne.
Sie hatte wirklich ein wunderschönes Kleid. Ich hatte ihr auch geholfen es auszusuchen. Ich war sehr glücklich darüber, dass sie mich so einbezog. Sie war wirklich eine tolle Schwägerin. Michael hatte riesen Glück sie gefunden zu haben. Sie war seine große Liebe. Wie Tony meine gewesen war.
„Guten Morgen“, sagte ich.
„Guten Morgen, Louisa. Na, man sieht dich mal ohne Eve“, erwiderte sie.
„Ja, sie schläft noch. Lass uns mal loslegen damit wir fertig werden bevor sie aufwacht“, sagte ich.
Ich holte das Kleid aus seiner Schutzhülle. Es war strahlend weiß, trägerlos und mit einem großen, weiten Rock. Es sah ganz anders aus als mein Traumkleid. Ich hatte noch nie verstanden warum immer alle in weiß heiraten wollten. Weiß, die Farbe des Todes in China. Ich wollte schon immer in Schwarz heiraten. Schwarz, die Farbe der Mystik, der Würde, der Eleganz und der Nacht.

Ich half ihr in das Kleid, schloss es und steckte ihr den Schleier in die Haare.
Sie trug ihre Haare offen und war dezent geschminkt, bis auf ihre Augen, diese waren dunkel betont. Sie sah wunderschön aus.
„Dreh dich mal“, sagte ich zu ihr, „Du siehst wunderschön aus“, fügte ich dann noch hinzu, als sie sich drehte.
„Danke, ich bin dann fertig…“
„Wir können los, ich muss nur noch Eve holen.“
„…aber du bist noch nicht fertig. Dort hinten liegt ein Kleid für dich“, sagte sie und zeigte auf einen Kleidersack.
Ich ging hin und öffnete ihn. Ich wollte eigentlich in einem schlichten Kleid gehen, aber damit hatte ich nicht gerechnet. Erst wollte ich ablehnen, bis ich sah, was für ein Kleid es war. Es gehörte meiner Mutter. Ich kannte es nur von Bildern. Sie trug es an ihrer Verlobungsfeier.
„Es ist wunderschön und es ist perfekt für dich und ich möchte, dass du es heute trägst und keine Widerrede.“
Ich sagte nichts weiter, nahm es an mich und ging aus dem Zimmer.
In meinem Zimmer angekommen, zog ich es sofort an. Es passte perfekt, wie angegossen. Das Kleid war aus einem Hellblauen Baumwollstoff. Es war schulterfrei, aber nicht Trägerlos. An der Taille war es sehr eng geschnitten, und direkt unterhalb der Taille fiel es in Stufen nach unten, fließend. An einigen Stellen wurde es mit Royal blauen Satinbändern verziert. Es war das Kleid, was meine Mutter am Polterabend getragen hatte, sagte zumindest meine Großmutter.
Auch auf einigen Bildern hatte ich sie in diesem Kleid gesehen.
Meine Haare steckte ich leicht, mit ein paar Klammern, nach hinten hoch, dann ging ich zu meiner kleinen Tochter, versorgte sie und zog sie um. Ich packte ihre Sachen zusammen, die ich den Tag über brauchen würde.

***

Ich trat in die gefüllte Kirche ein, alle Blicke waren auf mich gerichtet.
Wenige Augenblicke später ertönte Wagners Hochzeitsmarsch. Ich begriff erst wenige Sekunden später, dass das mein Einsatz gewesen war und ich hätte schon längst losgehen müssen. Meine Beine setzen sich in Bewegung. Alexa schritt hinter mir her, mit ihrem Vater, der die Rolle des Brautführers übernahm. Ich war die einzige Brautjungfer, mir allein gehörte diese Aufgabe.
Mein Bruder stand schon vorne am Altar und wartete auf seine Braut. Auf diesen Altar schritt ich zu. Ein wenig davor blieb ich stehen und stellte mich schräg hinter meinen Bruder.
Hinter uns saßen meine Großeltern, mein erster Blick flog zu ihnen, eigentlich eher zu meiner Tochter, die mich nun mit großen Augen ansah. Sie saß gerade auf den Schoß meiner Großmutter. Ihre Augen waren strahlend grün, wie die ihres Vaters. Auch ihren Fehler in der Iris hatte sie von ihrem Vater und den Mund ebenfalls. Allerdings hatte sie meine Gesichtszüge und meine dunklen Haare. Bis auf die Augen und den Mund sah sie mir wie aus dem Gesicht geschnitten aus.
Mein zweiter Blick fiel auf meinen Bruder, er drehte sich, nur mit dem Kopf, nach hinten und sah erst zu mir, lächelte mich an und dann sah er wieder zu seiner zukünftigen Frau. Die beiden passten perfekt zusammen, ein wunderschönes Paar.
Ein Pfarrer trat hervor und begann zu reden. Ich höre nicht wirklich auf das, was er sagte, denn ich dachte die ganze Zeit an Tony, wie er mir den Antrag gemacht hatte, wie wir die Hochzeit geplant hatten und wie meine Welt damals noch in Ordnung war. Danach dachte ich an unseren Streit. Sah vor meinen Augen wie meine Welt sich in einen Scherbenhaufen verwandelt hatte. Im nächsten Augenblick sah ich wieder die guten Zeiten mit ihm vor mir; ich sah wie wir auf seinem Bett lagen, Arm in Arm, und über unsere Hochzeit redeten. Wir waren überglücklich ... doch jetzt war das alles vorbei. Dann sah ich noch einen der bedeuteten Momente in meinem Leben. Den Moment, indem ich Tony zum ersten Mal gesehen hatte - ich lag in einem Krankenzimmer, wurde gerade wach, als sich die Tür öffnete und er ins Zimmer kam. Ich sah in seine Augen und alles in mir zog sich zusammen und fing an zu kribbeln. Dies war der schönste und bedeutendste Moment mit Tony gewesen. Ich hatte dieses Gefühl noch öfters gehabt, wenn Tony in meiner Nähe war, aber an diesem Tag war es am stärksten gewesen.

Als meine kleine Tochter aufschrie wurde ich aus meiner Trance gerissen, sofort ging ich zu ihr und nahm sie auf den Arm um sie, so schnell wie möglich, zu beruhigen.
Ich ging wieder auf meinen Platz.
Mein Bruder drehte sich um und fragte mich ob es gehen würde, ich nickte. Dann fuhr der Pfarrer fort.
„So antworten Sie mit: Ja, ich will, mit Gottes Hilfe.“
„Ja, ich will mit Gottes Hilfe“, antwortete mein Bruder.
Der Pfarrer fuhr fort: „Und Sie Alexa Dürren, wollen Sie den hier anwesenden Michael van Brendropp zu Ihrem rechtmäßig, angetrauten Mann nehmen, ihn in guten, wie auch in schlechten Tagen lieben und ehren? So antworten Sie mit: Ja, ich will, mit Gottes Hilfe“
„Ja, ich will, mit Gottes Hilfe“, antwortete auch Alexa.
„Nun, hiermit erkläre ich Sie für Mann und Frau. Sie dürfen die Braut jetzt Küssen.“
Mein Bruder beäugte sich vor und küsste sie kurz auf den Mund, dann drehten sie sich um. Die Gäste standen auf und waren dabei die Kirche zu verlassen.
Meine Tochter war mittlerweile in meinen Armen eingeschlafen. Ich ging zu meinem Bruder.
„Alles Gute wünsche ich euch Beiden.“
Im Chor antworteten beide Danke.

Als alle Gäste aus der Kirche waren, gingen wir auch hinaus, diesmal ging ich hinter dem Brautpaar.
Draußen wurde Reis auf die beiden geworfen. Wenig später wurde der Brautstrauß geworfen, alle unverheirateten stellten sich hinter Alexa auf, auch ich musste mich dazu stellen, denn Alexa bestand darauf.
Sie warf ihn und er flog über die Menge hinweg bis ganz nach hinten. wo ich stand, aus Reflex fing ich ihn auf. Alle jubelten und beglückwünschten mich, nur den Mann, den ich heiraten wollte bekam ich nicht.
Kleine Tränen kullerten mir über die Wange, ich wusch sie schnell weg, bevor sie jemand sehen konnte.

Wir feierten noch bis tief in die Nacht hinein.

Kapitel 2
Die Liebe meines Lebens geht…
Anthony

Ich war müde, doch meine Schicht hatte noch 2 Stunden, erst dann konnte ich nach Hause gehen. Und gerade kam auch noch ein Notfall rein. „Dr. McHard hier der Bericht des Notarztes.“ Ich sah mir den Bericht an; ein junges Mädchen, Tablettenüberdosis, Selbstmordversuch. Das hatten wir hier öfters, doch dieses Mal musste ich sofort an Balu denken. Diesen Gedanken musste ich jetzt sofort wegschieben, und für meine letzten Patienten da sein. Auch wenn es in der letzten Zeit immer schwerer wurde, für meine Patienten da zu sein und nicht über mich und Balu nachzudenken. Ich hatte kaum noch Zeit zu essen und zu schlafen. Ich machte immer mehr Schichten um mich abzulenken, denn Zuhause erinnert mich alles an sie; an all die schönen Zeiten, aber auch an die Schweren. Wie sie auf meinem Sofa lag und mir alles erzählt hat, wie sie plötzlich in meinem Schlafzimmer stand, während ich mich gerade umzog, wie unser erster Kuss war. Ich liebe sie, immer noch. Sie war und blieb mein ein und alles, ich würde immer nur sie lieben. Und ich vermisste sie sehr; ihr freche Art, vermisste ich am meisten. Wie sie mich morgens weckte und mich strahlend ansah, oder wie ihre Augen funkelten wenn sie wütend war oder ihre niedlichen Grübchen wenn sie lachte. All das vermisste ich. Ende der Woche würde sie kommen und ihre restlichen Dinge abholen.

Zuhause angekommen machte ich mir erst mal etwas zu essen, setzte mich auf das Sofa und dachte an unsere erste gemeinsame Nacht zurück. Es war eine wunderschöne Erinnerung. Dann kam mir eine weitere Erinnerung in den Kopf, unsere allererste Begegnung. Ich sollte sie übernehmen, da mein Vorgesetzter gerade nicht da war. Sie war meine erste Patientin während meiner Zusatzausbildung zum Kinder und Jungendpsychologen. Ich öffnete die Tür, da gingen gerade ihre Augen auf. Ich sah sie und alles in mir zog sich zusammen und fing an zu kribbeln. So ein starkes und wunderbares Gefühl hatte ich noch nie verspürt. Ich vermisste sie sehr. Je mehr ich an sie dachte, desto trauriger wurde ich. Sogar ein paar kleine Tränen rannten über meine Wangen. Sie hatte mich verlassen; ich wusste, dass ich Fehler gemacht hatte, doch nun war sie weg und ich hatte es zu spät eingesehen. Jedes Mal wenn ich versucht hatte sie anzurufen drückte sie mich einfach weg. Ich hatte mich gewundert, dass sie mich noch mal angesprochen hatte, aber wahrscheinlich wusste sie schon, dass ihr noch ein paar Kartons fehlten und kam deswegen. Der endgültige Abschied würde mir sehr schwer fallen, weil dies einer für immer werden würde. Ich liebte sie noch immer, aber sie wollte mich nicht mehr.
Die letzten Wochen waren einfach nur grauenhaft gewesen. Ich dachte Tag und Nacht an sie; sie, die in einigen Monaten hätte meine Frau werden sollen. Hätte ich sie doch bloß nie meinen Eltern vorgestellt. Hätte ich mich mehr um sie gekümmert und ihr öfters gesagt, dass ich sie liebte.
Ich legte mein halb aufgegessenes Brot zur Seite und ging ins Bett, ich konnte kaum noch etwas essen, mir wurde jedes Mal übel. Schon in wenigen Stunden würde mein Wecker klingeln, ich hatte Frühschicht.

***

„Tony, du stürzt dich zu sehr in deine Arbeit, das tut dir nicht gut. Machst du das jetzt so lange, bis du nicht mehr kannst und zusammenbrichst? Gerade du solltest es besser wissen“, schimpfte Annabell mit mir, die mich dazu gezwungen hatte mal einen Tag freizunehmen. Annabell war eine sehr gute Freundin vom Studium, sie war auch Psychologin.
„Ja ist gut, hör auf mich zu therapieren, das nervt. Und zu deiner Info, ich kann jetzt schon nicht mehr, aber ich muss weiter machen. Ich weiß, dass ich mich nicht so sehr in die Arbeit stürzen sollte, aber ich muss sie einfach vergessen…“
Sie unterbrach mich: „Fang nicht schon wieder damit an. Du kannst sie auch auf andere Weise vergessen. Und das weißt du! Es ist sehr schmerzhaft, aber es ist nun mal jetzt so. Das tut mir auch leid für dich, aber ich kann es nicht ändern. Ich kann nur versuchen dir darüber hinweg zu helfen. Streich wenigstens heute all das aus deinem Kopf. Tu mal genau das, was du deinen jungen Patienten oft genug sagst oder rätst.“
„Du weißt doch gar nicht wie es mir geht.“
„Nein, aber dann erzähl es mir! Ich bin deine Freundin und ich bin immer für dich da. Weißt du wie kindisch du dich gerade benimmst?“
Ich schmunzelte und dachte nach. Sie hatte eigentlich so recht mit dem, was sie sagte. Ich machte gerade alles falsch, was man falsch machen kann. Sie hatte es geschafft innerhalb einiger Minuten mir die Augen zu öffnen. Ich konnte wirklich nicht mehr, es ging einfach nicht mehr so weiter.
Ich lehnte mich gegen die Sofa-Lehne
„Ich mach uns erst Mal etwas zu essen und dann sehen wir weiter was wir heute machen“, sagte Annabell und verschwand in meiner Küche.
Ich schloss derweil meine Augen und dachte wieder über die letzten Monate nach und an sie. Ich döste vor mich hin bis Ann wieder in mein Wohnzimmer kam. „Ich hab uns jetzt zwei Pizzen in den Ofen getan. Bei dir findet man ja nichts anderes. Ich glaube wir gehen nachher noch einkaufen, sonst überlebe ich die nächsten Tage nicht.“
„Hä? Wie meinst du das?“
„Na ja, ich werde dich in dem Zustand nicht alleine lassen. Ich lasse nicht zu, dass du dich übernimmst, du weißt genau was das für Folgen haben kann.“
„Ah okay, und ich hab da nichts mehr zu sagen?“
„Nein und eine Woche Urlaub habe ich auch für dich organisiert. Bevor du jetzt ausrastest - ich habe deinem Chef gesagt, dass du dir eine heftige Grippe eingefangen hast.“
„Annabell, das ist jetzt nicht dein Ernst?!“
„Doch.“ Sie sagte das so als wäre es das einfachste der Welt. Ich mochte diese Art sehr, aber in diesem Moment hätte ich sie umbringen können. Und jetzt grinste sie auch noch so.
„Hättest du mir das vielleicht mal vorher sagen können, oder eher mich fragen können?!“
„Nein, da du eh Nein gesagt hättest, zog ich diese Möglichkeit nicht in Erwägung.“ Sie kam auf mich zu und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Hey, sieh es doch einfach mal positiv, du hast jetzt eine Woche Zeit sie zu vergessen, mit meiner Hilfe.“
„Ach ja, sie kommt morgen und holt ihre restlichen Sachen ab, nur so als Vorwarnung.“
Wir kamen uns immer näher, und dann passierte es. Ich küsste sie. Sie wurde fordernder, ich gab ihr nach und ließ mich auf das Sofa ziehen. Wir küssten uns und sofort kam die Erinnerung von meinem ersten Kuss mit Balu. Es war unglaublich magischer Moment gewesen; ich hatte damals so ein Verlangen nach ihr, dass ich mich nicht hatte beherrschen können. Ich hatte ihr damals einfach nachgeben, genau wie ich jetzt Annabell nachgab.
„Willst du das wirklich?“, fragte sie als sie eine kurze Pause machte. Ich sagte nichts, zog sie einfach näher an mich. Mir war nicht wirklich bewusst, was ich da tat, ich tat es einfach ohne zu denken. Eigentlich war ich mit meinen Gedanken ganz wo anders.
Sie wollte aufstehen und wahrscheinlich ins Schlafzimmer gehen, doch ich ließ sie nicht. Ich wollte nicht dorthin, es war mit zu vielen Erinnerungen an sie verbunden. Ich wand mich wieder ihr zu und küsste sie wieder.

***
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, wurde mir sofort übel, als ich bemerkt hatte, was ich getan hatte. Ich hatte Louisa betrogen. Jedenfalls fühlte es sich so an; es fühlte sich schlecht aber trotzdem auch gut an. Ich hatte mal eine Nacht nicht mit ,Ich muss an sie denken' verbracht und das tat unendlich gut.
Annabell hatte Recht - ich musste aufhören so viel über sie nachzudenken. Plötzlich klingelte es an der Tür. Ich sprang auf und zog mich in Windeseile an, währenddessen grübelte ich darüber nach, wer das sein konnte. Louisa, natürlich; sie wollte ihre restlichen Sachen abholen. Ich öffnete ihr die Tür, sah sie; sah in ihr Gesicht. Ich verstand die Welt nicht mehr, sie hatte ein kleines Baby auf dem Arm …


Kapitel 3
Wer ist Eve?
Anthony

„Hallo“, sagte ich.
„Hi“, kam es von ihr zurück.
Und darauf folgte: „Und wer ist das?“
„Das ist meine kleine Nichte Eve, die Tochter meines Bruders. Was dachtest du denn?“
„Süß die Kleine. Komm doch rein.“
Ich dachte im ersten Moment, dass das meine Tochter sein könnte, doch das hätte sie mir doch gesagt. So etwas würde sie mir nicht verheimlichen, sie wusste wie sehr ich mir ein Kind gewünscht hatte und das ein Kind einen Vater brauchte. Komisch war nur, dass die kleine Eve hieß und Louisa immer davon gesprochen hatte, wenn sie eine Tochter bekommen würde, irgendwann, würde sie sie Eve nennen. Außerdem hatte die kleine ihre Haarfarbe. Na ja ihr Bruder hatte ja auch diese dunklen Haare.
Ich bat ihr was zutrinken an, aber sie winkte ab. Sie wollte nur schnell die letzten zwei Kartons abholen. Sie bat mich sie hochzuholen und ihr ins Auto zu tragen. Was auch komisch war, schließlich hatte sie sehr viel Kraft und schwer waren die Kisten nicht. Ich dachte mir aber nichts weiter und lud sie ihr in ihren weißen, kleinen Skoda.


Sichtwechsel
Louisa

Ich saß auf seinem Sofa und wartete bis er die Kisten in mein Auto getragen hatte. Ich durfte noch nichts Schweres heben. Außerdem wollte ich nicht, dass er sich Eve genauer ansah, sonst würde er merken, dass es seine Tochter war. Es war einfach unmöglich das nicht zu erkennen, wenn man ihr in die Augen sah, ein Glück schlief sie gerade. Sollte ich es ihm nicht vielleicht doch sagen? Ich dachte kurz zurück - er hatte oft von einem Kind gesprochen, er hätte so gerne eine kleine Tochter gehabt. Und ich konnte sie ihm hier und jetzt geben. Ich würde es ihm sagen wenn er zurück kam. Aber würde er mich dann nicht vielleicht hassen, weil ich es ihm so lange verheimlicht hatte? Er würde zumindest sauer sein. Aber vielleicht hatten wir ja doch noch eine Zukunft.
Ich sah wieder hoch und plötzlich stand eine fremde Frau vor mir, in seinem Bademantel.
Okay, ich nahm alles, was ich mir eben vorgenommen hatte, zurück. Er hatte ja schon eine neue.
„Guten Tag, du musst Louisa sein. Tonys Ex-Freundin. Ich bin Annabell, eine Kollegin von Tony.“
„Ja, das bin ich dann wohl. Ich muss dann auch mal los.“
Ich sah ihr nicht in die Augen, ging einfach nur raus und lief an ihm vorbei, ohne ihn auch nur noch einmal anzusehen.
„Danke, ich muss jetzt gleich los.“
„Louisa, warte doch mal!“
„Ich kann nicht, tut mir leid. Viel Glück.“ Ich setzt Eve in ihren Kindersitz, stieg ein und fuhr los. Er hatte schnell eine neue gefunden.


Sichtwechsel
Annabell

Louisa sah eigentlich ganz nett aus, aber ihre Reaktion war komisch. Sie sah mir zwar nicht in die Augen, dennoch sah ich in ihren Augen ein eifersüchtiges Blitzen.
Shit, jetzt wurde mir einiges klar. Ich fuhr mit meiner Hand durch meine Haare. Ich wusste jetzt warum sie so reagiert hatte. Ich trug nur einen Bademantel, der nicht einmal mir gehörte. Ich bekam sofort ein schlechtes Gewissen, ich hatte mit ihm geschlafen, obwohl ich genau wusste, dass er sie noch liebte. Nun wusste ich auch, dass sie ihn auch noch liebte und mein Gewissen wurde noch schlechter. Ich hatte es in ihren Augen gesehen. Dieses Blitzen in ihnen als sie ihn sah, sie waren nicht mit Hass oder Wut erfüllt, nein sie waren voller Liebe, Enttäuschung und Trauer. Sie war eine wunderschöne, große Frau. Sie hatte lange, wellige, braune Haare, die sie zu einem geflochtenen Pferdeschwanz trug, aus dem die vorderen Haare und ihr Pony herauslugten. Sie hatte grau-blaue Augen, die als sie mich sah tief schwarz-blau wurden. Was mir Tony von ihr so erzählt hatte, von ihrem Charakter, ihrem Handeln, passte sehr zu ihm. Er war ihr sehr ähnlich, aber dennoch waren sie komplett anders. Es war wirklich schade, dass es aus mit ihnen war. Aber wie sie ihn behandelt hatte…
Gerade kam Tony mit hängendem Kopf ins Wohnzimmer und als er mich sah, wurden seine Augen riesig.
„Hat sie dich so gesehen?“, fragte er mich.
„Ja, es tut mir leid, ich dachte du wärst es. Ich habe nicht mehr daran gedacht, dass sie heute kommt.“
„Schon gut, es ist eh aus zwischen uns. Ich war nur verwundert warum sie so schnell wieder gegangen ist und dann auch noch so stürmisch. Du, wir sollten über du weißt schon reden“, sagte er und setzte sich hin. Er war total durch den Wind, verwirrt und fertig. Ich verschwand im Bad und wollte mich anziehen. Ich ließ mir sehr viel Zeit, damit er erst mal zur Ruhe kommen konnte.


Sichtwechsel
Tony

„Können wir jetzt einmal darüber reden? Über die letzte Nacht?“
„Ja“, sagte sie zu mir.
„Das gestern, das war…ähm, ja das war ein Versehen, oder? Es hatte nichts zu bedeuten. Ich möchte nicht, dass jetzt auch unsere Freundschaft zerstört wird. Ich hab dich sehr lieb, aber halt als sehr gute Freundin zu der ich immer kommen kann wenn etwas ist und anders herum. Ich wollte das eigentlich nicht, ich weiß nicht mal wie es dazu gekommen ist. Okay, es ist jetzt nun mal passiert …“, ich redete wie ein Wasserfall, bis sie mich unterbrach.
„Hey, mach mal halblang. Ich hab jetzt nicht vor mit dir Händchen zu halten oder so. Gut wir sind im Bett gelandet und? Passiert schon einmal. Können wir jetzt zur Tagesordnung zurück kehren? Der Tag hat etwas scheiße angefangen, ich würde den restlichen Tag gerne genießen. Ach ja, und nein - es hat nichts bedeutet.“
„Na ja ich mach mir nur einfach Sorgen, dass…“
„Dass was? Och man Tony. Jetzt mach dir das Leben nicht so schwer. Wir gehen jetzt wie geplant in den Zoo.“
Ich machte mir Sorgen, dass es ihr doch etwas bedeutet hatte. Mir hatte es überhaupt nichts bedeutet. Ich liebte nur eine, und gegenüber ihr hatte ich ein schlechtes Gewissen. Auch wenn wir getrennt waren. Es war schwer sie einfach so gehen zu lassen, wie gerne würde ich jetzt sofort zu ihr Fahren und sie zurückholen.

Sichtwechsel
Louisa

Wie konnte er nur jetzt schon wieder eine Neue haben? Wütend fuhr ich zu meinem Zuhause.
Als ich dort war, nahm ich Eve aus dem Kindersitz und trug sie ins Haus. Dort wartete schon mein Bruder, der mir die Kleine für den Rest des Tages abnehmen wollte, damit ich mich mit Lu treffen konnte, ein Mal ohne die Kleine.
Ich liebte meine Tochter, keine Frage, aber ich war froh wenn ich sie mal bei Oma und Opa lassen kann. Okay, wegen meines Studiums war sie oft dort. Meine Großeltern meinten, ich solle jetzt schon studieren, sie würden mir dabei helfen. Ich war eigentlich dankbar darüber, dass ich meine Ausbildung jetzt schon fortführen konnte. Wenn ich solange warten würde bis die Kleine in den Kindergarten kam, wäre ich alt und grau bis ich mein eigenes Studio hatte.

„Hey Schwesterchen. Na, freust du dich mal einen Abend ohne Kindergeschrei zu verbringen?“
„Ja klar, das hast du ja jetzt an der Backe und ich werde es unheimlich genießen.“
Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, ich wollte das nicht mit ihm besprechen. Er würde sich nur noch mehr Sorgen machen, er machte sich immer Sorgen.
„Vielen Dank, dass du sie nimmst. Wie du ihre Milchflasche machst, weißt du ja; das Pulver ist in dem oberen Küchenschrank. Ihr Spielzeug ist im Wohnzimmer auf ihrer Decke, pass gut auf sie auf und wenn etwas ist ...“
Er unterbrach mich einfach. „Tu nicht immer so, als wüsste ich nicht, was ich tue. Als hätte ich noch nie auf sie aufgepasst. Und vor allem, ich hab hier die Erfahrung mit der kleinen Schwester.“
„Ja ich weiß. Tut mir leid.“
„Weißt du eigentlich, dass deine kleine Eve nicht mehr lange alleine ist?“
„Wie meinst du das jetzt?“ Ich hatte schon so eine Ahnung. Er grinste, ich grinste zurück.
„Oh, verstehe, du wirst Papa. Und wann ist es so weit?“
„In 6 Monaten …“ Er erzählte davon als seine Frau es ihm gesagt hatte und strahlte dabei über beide Ohren. Er freute sich so sehr und ich mich mit ihm. Ich gab ihm die schlafende Eve und verabschiedete mich.
Ich freute mich so sehr für ihn, er war so glücklich mit seiner Frau und nun wurde er auch noch Vater.
Ich fuhr zu Lu, wir wollten uns endlich mal wieder treffen. In letzter Zeit schafften wir es einfach nicht uns zu verabreden. Immer kam etwas dazwischen, doch diesen Freitag hatten wir uns freigehalten.

***

„Baluuuuuuu“ ,rief sie mir entgegen und kam auf mich zugerannt.
„Lu“, rief ich, allerdings merkte man mir an, dass meine Laune zu wünschen übrig ließ.
Sie bat mich rein und wir setzten uns erst mal in die Küche, sie war gerade dabei zu Kochen.
„Und was gibt’s?“, fragte ich.
„Nudeln, mit Soße.“
„Wow, richtig einfallsreich.“ Ich konnte meine schlechte Laune nicht verbergen, was mir leid tat.
Sie merkte dies sofort.
„Schieß los…“
Also erzählte ich ihr von Tony und dieser Annabell. Sie tröstete mich und wir verbrachten einen ruhigen Mädelsabend. Es war schön wieder etwas mit ihr zu unternehmen und es tat unheimlich gut.

15 Jahre Später...

Kapitel 4
Wer ist mein Vater?
Eve

15 Jahre Später …

„Mom, warum sagst du es mir nicht endlich?“
„Eve, finde dich damit ab, dass ich mich von deinem Vater getrennt habe und nichts mehr mit ihm zu tun haben möchte. Du tust besser daran das Thema endlich liegen zu lassen. Diese Diskussion haben wir schon so oft geführt. Mir reicht es.“
„Ohhh …“ , sagte ich genervt. Mehr sagte ich auch nicht, ich hatte keine Lust mehr auf diese Diskussion. Warum konnte sie es mir nicht einfach sagen? Ich wollte doch nur wissen, wer mein Vater war, mehr nicht.
Ich stampfte die Treppe hoch und verschwand in meinem Zimmer, schlug die Tür hinter mir zu. Mein Zimmer war in der obersten Etage unseres alten Hauses. Mom hatte es renoviert und mit mir bezogen, da war ich ungefähr ein Jahr alt. Sie hatte es von meinen Großeltern geschenkt bekommen. Es war ein wunderschönes Haus. Ich hatte eines der größten Zimmer bekommen, mit Balkon. Früher hatte ich ein kleineres Zimmer gehabt, aber als ich 14 geworden war, meinte meine Mom es wäre Zeit für ein neu gestaltetes Zimmer. Ein Zimmer war noch nicht benutzt, also bekam ich es. Es war eine spontane Aktion gewesen, wir waren in den Baumarkt gefahren und hatten Farbe gekauft. Knallorange hatte ich mir damals ausgesucht und die Farbe mochte ich noch heute sehr. Wir hatten alles angeklebt und Folie ausgelegt. Die weißen Wände wurden mit orangener Farbe betupft, und eine kleine Wand, an der heute mein Bett stand, wurde ganz in Orange getaucht. Ich hatte zwei Fenster in meinem Zimmer, es war quasi ein „Eckzimmer“. Auf der einen Seite war ein kleines, quadratisches Fenster, auf der anderen Seite waren große Fenster, durch die man auf den Balkon gelangen konnte. Bei unserem Haus war es so, dass man von dem Balkon aus zu anderen Räumen laufen konnte.
Mein Zimmer war eigentlich immer aufgeräumt, ich mochte keine Unordnung. Ich fühlte mich dann einfach nicht wohl. Ab und zu lagen ein paar Klamotten auf meinem großen, selbst genähten Sitzsack aus Jeansstoffen. Gegenüber von meinem Bett stand mein großes Terrarium mit meinen Zwergbartagamen - Domino, Onyx und Mollie. Ich hatte sie schon seit zwei Jahren, Mom hatte sie von ihrer ehemaligen Arbeit mitgebracht. Irgendjemand hatte die süßen einfach ausgesetzt. Es hatte etwas Überredungskunst gebraucht, Mom davon zu überzeugen, dass sie bleiben durften. Ursprünglich sollte Mom sie nur aufpäppeln. Doch nun hatte ich sie, meine drei Lieblinge.
Ich kontrollierte die Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Wasser. Danach ging ich um Futter für die drei zu machen; heute stand Salat und Karotten auf der Speiseliste.

***

Heute war Sonntag; morgen war schon wieder Schule, nach den Osterferien. Ich ging in die zehnte Klasse und würde in ein paar Monaten in die elfte kommen. Mein Schwerpunktfach würde Biologie werden, genau wie Louis'. Er würde auch Bio nehmen. Wir würden wieder in eine Klasse kommen, wie schon seit der ersten Klasse. Louis war mein bester Freund, schon seit der ersten Klasse. Unsere erste Begegnung war zwar etwas holprig gewesen, aber wir hatten uns sofort verstanden.
Es war mein erster Schultag gewesen und ich hatte mit meiner knall roten Lieblings-Latzhose und einem gelben T-Shirt vor der Schule gestanden. Meine Mutter hatte gleich wieder fahren müssen und ich hatte das ganz alleine schaffen wollen, so dickköpfig wie ich war. Auf dem Rücken hatte ich meinen kleinen roten Rucksack getragen und dann noch diese riesen Schultüte, die ich kaum halten konnte. Meine Haare hatte Mom zu lustigen Pippi-Lotta-Zöpfen geflochten. Ich war richtig stolz auf mich gewesen, dass ich das alles schon tragen konnte, und ich war doch auch schon groß gewesen; ich ging ja jetzt schon zur Schule. Ich hatte gerade losgehen wollen, als so ein Junge auf mich zugekommen war und fragte, ob er mir helfen könne. Ich hatte den Kopf geschüttelt – ja, ich war sehr dickköpfig. Er wollte ja nur nett sein und ich hatte wohl etwas überfordert ausgesehen. Ich hatte da aber alleine rein gewollt, also war er vorgegangen und ich war stehen geblieben. Er hatte mich noch einmal angeschaut und hatte dabei gesehen, dass ich mich keinen Millimeter bewegt hatte. Ja, ich hatte riesen Angst davor gehabt, dort alleine rein zu müssen. Er war wieder zurück gekommen, hatte meine Hand genommen und mich herein gezogen. Seitdem waren wir die besten Freunde.
Wir verbachten sehr früh, sehr viel Zeit miteinander. Wir liebten uns, aber nicht wie ein Paar, sondern wie Bruder und Schwester. Wir waren unzertrennlich, ein Dream-Team. Ich war so froh, dass ich ihn hatte; ich konnte ihm alles sagen, mit ihm über alles reden. Was aber nicht nur daran lag, dass er auf Kerle stand, und so schwul war - wogegen ich überhaupt nichts hatte - nein, es war einfach seine Art. Er wusste wie sehr ich meinen Vater vermisste, und wollte mir helfen ihn zu suchen. Aber meine Mutter war ja wie immer dagegen.
In letzter Zeit hackten eh alle auf mir herum, meine Lehrer meinten ich hätte sie nicht mehr alle, so wie ich rum laufen würde. Was war schon dabei? Ich mochte es so; mochte mich so, wie ich war.
Ich mochte eben den Stil.

„Hey Eve.“ Ich drehte mich, auch wenn ich schon wusste, wer es war - Louis.
„Hey.“ Er hatte einen Schlüssel für unser Haus, er war so oft hier. Und ich hatte einen Schlüssel zu seinem Haus. Wir sahen uns Täglich und wir brauchten das auch, wir waren halt wirklich wie Bruder und Schwester.
„Na was machen wir heute noch so?“
„Na was wohl! Lernen. Ich will die Arbeit morgen nicht verhauen.“
„Hm… also los, Eve.“
Wir lernten einige Stunden, da wir schon spät Abends hatten, schliefen wir irgendwann ein. Es war nichts ungewöhnliches für uns beide. Louis schlief, wie immer, in meinem Bett. Er war etwas größer als ich, und passte grade noch so in mein Bett, welches ziemlich klein war. Man konnte es zwar ausziehen, doch dazu waren wir meist zu faul.
Er hatte blonde, etwas längere Haare, seine Augen waren braun. Ich mochte sie sehr auch wenn sie einfach nur einen mittleren Braunton hatten. Meine hingegen waren grün, grell grün, mit einem schwarzen Strich durch die Iris. Da meine Mutter dies nicht hatte und auch meine Großeltern und Urgroßeltern nicht, musste dieser Genfehler von meinem Vater kommen.
Somit hatte ich schon einmal einen Anhaltspunkt.
Kurz bevor ich mich auch ins Bett legte, band ich mir meine hüftlangen, braunen Haare zusammen.

***
Am nächsten Morgen mussten wir uns beeilen damit wir nicht zu spät zur Schule kamen. Es war der erste Schultag nach den Ferien. Ich freute mich schon auf die anderen, ich hatte sie die ganzen Ferien über nicht gesehen, da alle im Urlaub gewesen waren. Mom hatte in diesen zwei Wochen Sonderaufträge bekommen und deswegen hatten wir nicht weg gekonnt. Aber immerhin hatte ich Louis gehabt. Wir hatten zwei tolle Wochen verbracht - okay, wir hatten uns fast die ganze Zeit gelangweilt.

Jetzt rannten wir zum Bus, um noch rechtzeitig zur Schule zu kommen. Wir kamen gerade im letzten Augenblick, der Busfahrer wollte gerade die Türen schließen.
Abgehetzt setzten wir uns auf eine, noch freie Zweierbank.
„Du Louis, in drei Wochen muss Mom verreisen, wegen eines Auftrages. Sie ist die ganze Woche lang in Hamburg. Dann könnten wir eine Woche bei mir zu Hause wohnen“, sagte ich strahlend.
„Ich freue mich darauf, aber sag mal, das ist ja direkt an deinem Geburtstag?“
„Ja, schon. Aber Mom hat versprochen das wir meinen Geburtstag nachfeiern.“

***

Die nächsten 3 Wochen vergingen wie im Fluge.


Ich verbrachte sehr viel Zeit mit meinen Freunden, ich war echt glücklich. In den letzten Wochen hatte ich mich noch ein paar Mal mir Mom gestritten wegen dem Thema „Dad“, irgendwann hatte ich einfach aufgehört zu fragen. Das Leben ging weiter, und lief auf meinen siebzehnten Geburtstag hin. Ich freute mich zwar darauf, aber irgendwie fehlte mir etwas und ich wusste auch genau, was dieses etwas war: Mein Vater.
Es machte mich sehr traurig, dass meine Mutter mir nicht sagen wollte, wer er war; was er machte; wie er aussah und wo er wohnte. Ich war ziemlich enttäuscht von ihr.

Ich schob den Gedanken erst mal bei Seite, und bereitete gemeinsam mit den anderen den Garten für meine Feier vor. Es würde eine gemütliche, aber kleine Gartenparty werden. Louis bereitete den Grill vor, Hayley schmückte die Sitzecke, Alexia bereitete in der Küche Salate vor.
„Hey Leute, sorry, dass ich so spät komme, aber ich hab mich verfahren.“
„Hey Luzi, schön das du da bist.“
Luzi war neu an der Schule und wir hatten uns sofort verstanden, sie saß im Unterricht neben mir. Sie war sehr nett, ziemlich klug, witzig, und echt hübsch. Sie hatte mittelbraune, schulterlange Haare und grün-braune Augen. Sie war nicht die größte, aber sie hatte das größte Herz von uns allen. Das hatte ich schon bemerkt, obwohl ich sie noch nicht sehr lange kannte.
„Ich hab Muffins mitgebracht“, sagte sie.
„Cool, bringst du sie in die Küche zu Alexia? Einfach nur durch die Tür da und dann nur gerade aus.“
Als sie damit fertig war, deckte Luzi den Tisch.

Nach ein paar Stunden waren wir mit den Vorbereitungen fertig. Gegen 17 Uhr kam dann endlich noch Sascha und Eliza. Wir waren richtig gute Freunde und ich war so glücklich, dass ich sie alle hatte. Sie bedeuteten mir alle sehr viel. Alexia und Hayley kannte ich am längsten, seit dem Kindergarten waren wir dicke Freunde. Die beiden waren Zwillinge, aber trotzdem total unterschiedlich. Hayley war die größere und ältere von beiden. Sie hatten beide die gleichen längeren, braunen Haare und auch die gleichen braunen Augen. Aber sonst sahen sie ganz verschieden aus. Und sie waren auch vom Wesen ganz unterschiedlich, aber liebenswert.
Eliza war meine Cousine. Wir sahen uns nicht so oft, aber ich war froh, dass sie zu meinem Geburtstag kommen konnte. Eliza war ein Riese, dafür dass sie ein Mädchen war. Auch ihre Haare waren braun, doch ich würde sagen, eher ein helleres Braun; sie waren halblang.
Sascha war eigentlich die einzige unter uns, die richtig hell blonde Haare hatte. Aber dem Klischee einer Blondie entsprach sie nicht. Sie war sehr klug, nett, witzig und gefühlsvoll. Man konnte sehr gut mit ihr feiern gehen.

„Hey Eve, kommst du?“
„Ja klar, lasst uns feiern.“
Wir feierten bis in den nächsten Morgen hinein. Alle, bis auf Louis gingen gegen 3 Uhr nach Hause.
Louis blieb bei mir, er wohnte eine Woche bei mir, weil meine Mom ja eine Woche nicht da war.
Wir räumten ein paar Dinge weg, doch wir waren so müde und kaputt, dass wir um halb vier in unsere Betten sanken und direkt einschliefen.

***

Am nächsten Morgen machten wir uns direkt ans Aufräumen.
„Eve, hast du eigentlich schon mal etwas neues herausgefunden in Bezug auf deinen Vater?“
„Nein, leider nichts. Das letzte Mal als ich meine Mutter darauf angesprochen habe, haben wir uns ziemlich gezofft. Es geht mir ziemlich nahe, dass sie mir das nicht sagen will. Ich meine, ich habe ein Recht darauf zu erfahren wer mein Vater ist. Und ihr ist das vollkommen egal. Ich fasse es einfach nicht, dass sie es nicht interessiert wie weh mir das tut und wie sehr er mir fehlt auch wenn ich ihn nicht kenne.“
„Ich versteh dich ja, Eve, aber deine Mom ja auch irgendwie. Sie will dich vielleicht schützen. Sie liebt dich ja. Wenn sie wieder da ist, können wir ja mal zusammen mit ihr reden?“
Louis war der Beste; man konnte mit ihm über alles reden. Er fand immer für alles eine Lösung. Und ich konnte ihm alles anvertrauen. Alles. Na ja, das lag vielleicht auch daran, dass er schwul war. Er verstand einige Dinge einfach besser und hörte mir zu. Er war sehr geduldig, was das anging.
„Och Louis, du bist der Beste.“ Ich umarmte ihn.
„Ich spüle und du trocknest ab, ja?“
„Ich würde so gerne wissen wer mein Vater ist.“
„Weißt du denn irgendetwas über ihn?“
„Nein, das ist es ja, sonst könnte ich über Archive oder Internet versuchen etwas raus zu bekommen.“
„Wir werden es irgendwie schaffen ihn zu finden.“
„Das hoffe ich doch,“ seufzte ich.
Langsam gab ich die Hoffnung auf, noch etwas aus meiner Mutter heraus zu bekommen.
„Was machen wir eigentlich heute noch so?“, fragte Louis.
„Ich habe letztens etwas auf den Dachboden gebracht und nun brauche ich diese Kiste wieder. Wir müssten hoch auf den Boden und sie suchen.“

Noch einige Stunden räumten wir auf. Wir hatten wohl etwas zu sehr gefeiert. Und ich hatte meiner Mutter versprochen, dass, wenn sie nach Hause kommen würde, alles wieder so sein würde, wie es war.
Gegen Mittag gingen Louis und ich auf den Dachboden.
„Du, ich weiß aber nicht wo ich diese Kiste hingepackt habe. Und dummerweise habe ich sie damals nicht beschriftet.“
„Das ist doch mal wieder typisch, und wie sieht diese Kiste aus?“
„Na ja wie sieht wohl so eine Kiste aus? Braun, quadratisch, wie die, die hier rumstehen.“
Er stand hinter mir und knuffte mir in die Seite. Ich musste unweigerlich lachen.
„Blödmann.“ Er war zwar wie ein Bruder für mich, aber manchmal hatte ich das Gefühl da war doch ein bisschen mehr.
„Hilf mir lieber suchen.“
Wir suchten den ganzen Dachboden ab, aber gefunden hatten wir nichts.
„Oder habe ich die Kiste doch in den Keller gebracht?“
„Ja, du Eve, das kann ich dir nicht sagen. Heißt das, wir haben hier umsonst einige Stunden rum gesucht?“
„Scheinbar, sorry Louis.“
Louis öffnete die letzte Kiste, aber als er mich ansah, war sein Blick sehr erstaunt.
„Du ich glaube wir haben doch nicht umsonst hier oben gesucht.“
„Hast du sie gefunden?“
„Nein, aber was viel besseres. Komm mal her und sieh dir das an.“
Ich ging zu ihm, er hielt mir ein paar Bilder hin. Ich nahm sie, sah sie mir an und konnte es nicht glauben. Auf den Bilder waren meine Mutter zu sehen, mit einem Mann und sie trugen einen Ring, sie hielten sich an den Händen und sahen sich an. Meine Mutter strahlte vor Glück, sie lachte unglaublich schön. Dieses Lachen hatte ich noch nie bei ihr gesehen. Auf dem nächsten Bild standen sie im Garten unsres Hauses und küssten sich, umgeben von Rosen und anderen Blumen. Auf dem Dritten Bild waren noch meine Großeltern zu sehen, und der Bruder von meiner Mutter. Ein kleines Familienbild, sogar Lukela war auf dem Bild. Auf dem letzten Bild waren meine Eltern, wie ich vermutete, vor einer großen Klinik zu sehen. Das könnte mich eine Schritt weiterbringen. Vielleicht hatte dort mein Vater gearbeitet oder arbeitete sogar noch dort. Der Name der Klinik war nur halb zu lesen, aber dank des Internets würde ich schon etwas herausfinden.
„Louie, du bist der Beste.“
Ich umarmte ihn und gab ihn einen Kuss, freundschaftlich.
Das auf dem Bild musste mein Vater sein. Das erkannte ich an zwei Dingen, das Datum passte in die Zeit in der ich gezeugt wurde und Lukela war auf den Bildern als Welpe. Und Lukela war nur knapp ein Jahr älter als ich. Unser Hund war jetzt schon 16 Jahre alt, ein richtiger Senior.
„Das muss mein Vater sein. Und auf dem Bild ist der Name einer Klinik halb zu lesen, Louis das könnte mich ein Stück näher an meinen Vater bringen.“
Ich sah nach ob noch mehr in der Kiste war. Ich fand nur noch einen Ring und eine Kette. Die Kette nahm ich an mich, es war ein Medaillon, mit Bildern von meiner Mutter und meinem Vater. Er war es, ich hatte sein Bild gesehen und genau in diesem Augenblick änderte sich etwas in mir. Es ziepte in meinem Herzen, als wäre das Loch nun ein Stück geflickt worden. Mir kamen die Tränen. Louis nahm mich in den Arm.
„Komm, Kleine, wir suchen im Internet mal nach dieser Klinik nimm das Bild mit den Rest lässt du besser da. Bevor deine Mutter noch etwas merkt.“
„Ja gut, aber die Kette will ich mitnehmen.“
Unten setzen wir uns gleich an meinen Laptop und versuchten etwas herauszubekommen. Doch das war nicht so leicht, da wir nicht wussten was für eine Klinik es war. Wir konnten nur …nck-Klinik lesen.
Nach zwei Stunden suchen, gaben wir auf. Und ich konnte nicht mal meine Mutter darauf ansprechen. Selbst wenn sie da wäre, könnte ich es nicht tun, sie würde eh wieder nur abblocken.
Also setzen wir uns an unsere Hausaufgaben.


Kapitel 5
Leben - Fluch oder Segen?
Eve

Seit Monaten versuchte ich meinen Vater zu finden. Meine Mutter wehrte dagegen mir irgendetwas über ihn zu erzählen. Sie sagte mir nichts.
Louis und ich hatten den Plan gemeinsam noch etwas herauszubekommen, darum blieb Louis da, als meine Mutter wieder nach Hause kam. Wir sprachen sie gemeinsam darauf an.
Aber wieder sagte meine Mutter nichts, sondern regte sich eher wieder über mein Aussehen in letzter Zeit auf. Es würde mir nicht gut tun, wenn ich so rum laufe.
Ich stritt mich wieder mit ihr darüber, dass das doch meine Sache sei und ich doch einfach nur wissen wolle, wer er war. Und warum er sich all die Jahre nicht hat blicken lassen. Warum er mich und meine Mutter alleine gelassen hatte. Ob ich der Grund dafür gewesen war.
Und da versprach sie sich, sie nannte ihn beim Vornamen: Anthony. Wieder einen kleinen Schritt näher.
Die nächsten Wochen verliefen Ruhig. Ich ging meiner Mutter aus dem Weg, ich wollte nicht mit ihr reden momentan. Ich sah wie sie sich Sorgen um mich machte, aber das war mir gerade egal. Ich wollte doch nur wissen, wer mein Vater war. So schlimm konnte er doch gar nicht sein, dass sie mir nichts sagte. Ich war so wütend auf sie. Sie verstand mich einfach nicht.

Ich räumte gerade mein Zimmer auf als es an der Tür klopfte.
„Ja“, rief ich genervt.
„Hey, ich bin's.“
„Michael, hey. Sorry, ich dachte Mom wäre es. Aber sie hat dich bestimmt geschickt, was?“
„Ja, hat sie. Sie macht sich große Sorgen und hat mich angerufen. Ich hab mir ein paar Tage frei genommen.“
„Ich weiß, das sie das tut. Aber ehrlich gesagt ist es mir gerade egal. Ich will nur eines von ihr wissen, aber sie sagt es mir ja nicht.“
„Das hat sie mir auch gesagt.“
„Was soll denn bitte so schlimm an meinem Vater sein, dass sie es mir nicht sagen kann?“
„Nichts, er war ein echt netter Kerl. Ich habe ihn ein paar Mal gesehen.“
„Du kennst ihn?“
„Ein Bisschen. Aber nein, ich darf dir nichts über ihn sagen, ich habe es ihr versprochen. Tut mir leid. Kleines. Aber jetzt lass uns mal darüber reden worüber sich deine Mutter Sorgen macht.“
„Na gut. Aber erwarte keine großen Antworten von mir.“
Er kannte ihn und sagte mir nichts? Wie gemein war das denn?! Anscheinend hatten sich alle gegen mich verschworen. Keiner wollte etwas sagen.
„Warum läufst du so rum? Um Aufmerksamkeit zu bekommen? Das denkt ja deine Mutter.“
„Nein, weil es mir gefällt und ich es schön finde. Und nein, ich bin in keiner Sekte oder sonst etwas. Das hat sie mich auch schon tausendmal gefragt. Meine Freunde haben keine Probleme damit. Ja, auf der Straße werde ich öfters dumm angemacht, aber das ist mir egal. Mir ist egal was andere über mich denken. Und mir ist es auch egal, was andere sagen. Das ist mein Leben und ich ziehe an, was ich möchte. Jetzt würde ich gerne mein Zimmer weiter aufräumen. Tschüss.“
Er sagte nichts, ging einfach nur raus. Ich hörte wie er noch mit meiner Mutter redete.
Ich lauschte an der Tür.
„Louisa, du solltest es ihr wirklich sagen. Sie leidet darunter sehr.“
„Ach und wie bitte soll ich das Tony nach 16 Jahren erklären? ,Ach hi Tony, übrigens du hast eine sechzehn-jährige Tochter, tut mir leid, dass ich dir davon nichts gesagt habe'. Sehr witzig, Michael.“
„Er wird es verstehen, klar wird er erst mal sauer sein, aber er weiß, wie er damit umgehen muss. Und er wird auch gut mit ihr umgehen wenn er es weiß. Er ist Psychologe und kann damit umgehen. Außerdem weißt du genau, wie sehr er sich ein Kind gewünscht hat. Das du ihm das überhaupt antun konntest.“
„Ja ich weiß, dass er sich immer ein Kind gewünscht hat, und dass er für sie dagewesen wäre.
Aber damals dachte ich halt anders und dann hatte ich einfach nicht den Mut es ihm zu sagen. Ich hatte es ja einmal versucht, doch ich habe es einfach nicht geschafft und dann dachte ich, es sei zu spät. Jetzt wo Eve anfängt nach ihm zu fragen bin ich einfach mit der Situation überfordert.“
Mein Vater hatte nicht uns verlassen, er wusste gar nichts von mir. Meine Mutter hatte es ihm gar nicht gesagt. Und ich wollte ihm die ganze Zeit die Schuld geben. Ich machte mir das Medaillon um und packte ein paar Sachen zusammen. Dann rannte die Treppe runter, rief: „Ich übernachte bei Louis. Tschüss“, und verließ das Haus.

***

„Louis, mein Vater weiß gar nichts von mir. Weißt du, was das heißt? Ich muss ihn finden.“
„Eve, was weißt du alles über ihn, jetzt?“
Ich berichtete ihm alles. Er höre mir zu und unterbrach mich nicht.
„Ich weiß, dass er Anthony heißt, dass er Psychologe ist, habe ein Bild von ihm, wo er vor einer Klinik steht. Ich würde sagen er arbeitet dort. Ich müsste nur wissen welche Klinik es ist. Louis ich glaube ich habe es bald geschafft. Ich hoffe so sehr, dass ich ihn finde.“
„Hey, wir schaffen das.“
Wir setzen uns wieder an den PC und suchten, leider wieder ohne Ergebnis.
Es war schon spät, also fuhren wir den PC runter und packten unsere Sachen für die Schule morgen.
Noch eine ganze Weile redeten wir über meinen Vater, wie er wohl sein würde; was er wohl zu mir sagen würde, wenn wir ihn finden würden; ob wir ihn überhaupt finden würden.
Wir redeten solange bis ich irgendwann einschlief.

***

Am nächsten Morgen musste mich Louis wecken, damit ich aus dem Bett kam. Ich hatte gar keine Lust auf die Schule, ich wollte lieber meinen Vater suchen. Wir hatte heute auch ausgerechnet unsere Deutschlehrerin, die auch noch unsere Klassenlehrerin war. Sie machte sich über mein Auftreten „Sorgen“, wenn ich ehrlich war, fand ich das war schon etwas übertrieben. Sie wollte mich schon öfters zum Schulpsychologen schleppen, aber ich weigerte mich.

Wir machten uns auf dem Weg, wir mussten uns jetzt echt beeilen, sonst würden wir zu spät kommen.
Wir schafften es noch gerade rechtzeitig in die Klasse. Wir setzen uns auf unsere Plätze, wenig später begann Frau Müller zu reden.
„So meine Lieben, heute wollen wir unser Thema Mobbing mal etwas vertiefen. Mir ist in letzter Zeit auch aufgefallen, dass sich hier einige Rivalitäten gebildet haben und sich vielleicht ein paar Schüler unterdrückt fühlen. Deswegen dachte ich, ich gebe euch die einmalige Gelegenheit ungebunden mit einem Jugendpsychologen zu reden, unter vier Augen.
Ich habe in der Max-Planck Klinik einen Bekannten, der dies ermöglicht hat. Er ist mit drei seiner Kollegen hier. Ich habe euch in vier Gruppen eingeteilt und jeder hat die Möglichkeit heute im Laufe des Tages mit ihnen zu Reden. Das heißt jeder wird mit einem reden. Ich werde die Anwesenheit überprüfen.“
Ich sah zu Louis rüber. Er lächelte mich an, als wüsste er was ich dachte.
,Planck' hatte dieselben drei Endbuchstaben wie der Klinikname auf dem Bild. Wenn ich Glück hatte war das diese Klinik.
Ich war eine der ersten, wir hatten einen Zeitplan bekommen wer wann bei wem dran war. Ich fand diese Idee eigentlich schwachsinnig wie einige anderen. In der Klasse war Stühlescharren und Gestöhne zu hören. Die meisten hatten keine Lust dazu, so wie ich, aber vielleicht war dieser Tag die Lösung von meinem Rätsel.
In der Pause stürmte ich zu Louis.
„Louis, was meinst du?“
„Es wäre möglich, dass sie das ist…“
Wir wurden unterbrochen, denn meine Lehrerin stand da und fing an mit mir zu reden.
„Eve, kommst du mal bitte mit.“
„Ja, was wollen Sie denn?“, fragte ich als ich ihr folgte.
„Ich mach mir in letzter Zeit etwas Sorgen, deswegen möchte ich dich bitten das Gespräch ernst zu nehmen. Dein Stil macht mir Sorgen. Und bei dir zu Hause ist wirklich alles in Ordnung?“
„Was soll das denn jetzt? Wollen sie damit sagen, dass sie das alles wegen mir organisiert haben? Es geht sie nichts an wie und warum ich so rumlaufe. Und was bei mir zu Hause los ist geht sie auch nichts an“, schnauzte ich sie an und ging.
Was fiel der ein? Man, die nervt mich mit ihrem Ich-mach-mir-Sorgen-Gehabe wie von den andern in letzter Zeit. Ich sah auf die Uhr, laut des Zeitplanes war nun ich an der Reihe. Ich hatte einen gewissen Dr. McHard erwischt, mal sehen, wie der so war.
Ich klopfte an die Tür, als ein Herein kam, öffnete ich diese und ging rein.
„Hallo, setze dich doch bitte“, sagte er zu mir.
„Hallo“, sagte ich und starrte ihn an. Das war der Mann von dem Bild, das war mein Vater.
Ich begann zu Zittern. Es schien ihm aufzufallen.
„Alles in Ordnung?“
„Ja alles bestens“, gab ich freudestrahlend von mir.
Nein ich konnte doch nicht sofort sagen ,Hi, ich glaube, ich bin deine Tochter. Nett dich kennenzulernen.' Wie sollte ich ihm von meiner Vermutung erzählen, er würde mich bestimmt für verrückt halten.
„Du bist?“
„Eve.“
„Und weiter? Das ist für die Anwesenheitsliste.“
„Eve-Kaye van Brendropp.“
Seine Augen weiteten sich, und nun starrte er mich an. Ob er das gleiche dachte wie ich? Ob er mich erkannte, weil ich meiner Mutter so ähnlich sah? Und wir den gleichen Nachnamen hatten?
Nun ließ ich mich ein Stück vorfallen, damit das Medaillon vor fiel.
Als er sie sah schnappte er nach Luft. Und sagte erstmal nichts.

Sichtwechsel
Anthony

Es klopfte an der Tür, die nächste Schülerin.
„Hallo, setze dich doch bitte“, sagte ich.
Ich sah ihr in die Augen, und war erstaunt, es war als würden sich meine Augen in ihren widerspiegeln. Sie hatte denselben Fehler in ihrer Iris, wie ich.
Sie sagte auch Hallo, fing aber kurz drauf an zu zittern und mich anzustarren. Vielleicht war sie aufgeregt?
„Alles in Ordnung?“, fragte ich und war ziemlich besorgt. Ich sorgte mich öfters um Patienten, doch seit Balu, nicht mehr so sehr. Doch bei ihr war es anders.
„Ja, alles bestens“, sagte sie und lächelte mich an.
Das musste ich jetzt nicht verstehen, manchmal würde ich doch gerne Gedankenlesen können.
Ich fragte nach ihrem Namen.
„Eve“, gab sie von sich. Ihre Stimme erinnerte mich an die weiche, sanfte Stimme von Balu.
„Und weiter? Das ist für die Anwesenheitsliste“, log ich. Eigentlich reichte der Vorname, aber ich musste es jetzt wissen.
„Eve-Kaye van Brendropp“
Oh mein Gott. Hatte Balu nicht damals gesagt, dass Eve sie Tochter ihres Bruders war. Aber weder seine Frau, noch er selbst hatte Grüne Augen. Na ja, sie konnte trotzdem Gene für grüne Augen haben. Möglich war alles. Also auch, dass sie meine Tochter war. Ich fühlte etwas, was ich noch nie gefühlt hatte; etwas was mich mit ihr verband.
Sie beugte sich etwas vor und da fiel eine Kette vor, ich erkannte sie sofort. Es war die Kette, die ich Balu geschenkt hatte.
Kaye, so wollte ich immer meine Tochter nennen. Warum sollte Balus Bruder ausgerechnet seine Tochter so nennen? Das konnte doch nicht wahr sein, sie sagte doch, es wäre nicht ihre Tochter. Aber die Augen und ihr Aussehen; die Kette.
„Hübsche Kette“, brachte ich hervor.
„Die ist von meiner Mutter, ich glaube sie hat sie von meinem Vater bekommen.“
Wie könnte ich noch etwas herausbekommen, was mich sicher sein ließ, dass sie die Tochter von Balu war, und damit meine Tochter?
„Was machst du denn so in deiner Freizeit?“
„Ähm … ich treffe mich gerne mit meinen Freunden, mache Musik und gehe mit unserem Hund aus.“
Das ist die Chance, Balu hatte damals einen kleine Welpen angeschleppt. Lukela, oder so ähnlich hatte sie ihn genannt.
„Dein Hund?“
„Nein, Lukela gehört meiner Mutter.“
Jetzt wusste ich wirklich nicht mehr, was ich sagen sollte. Vor mir saß gerade scheinbar meine Tochter. Meine Tochter! Ich konnte es gar nicht fassen. Mein Tochter. Und sie hatte es mir sechzehn Jahre lang verheimlicht, wie konnte sie das tun? In diesem Moment war ich glücklich, enttäuscht, traurig und wütend zugleich.
„Ja und gibt es was zu erzählen?“
„Nein eigentlich nicht, meine Lehrerin geht mir auf die Nerven. Die denken alle, dass jede Veränderung gleich riesen Probleme oder sonst was mit sich zieht oder Grund dafür ist. Das einem das einfach gefällt, ist ja keine Möglichkeit. Und ich liebe meine Mom und verstehe mich gut mit ihr, ich habe meine Freunde und Familie. Das einzige was mir fehlt ist mein Vater. So, ja das war's, aber meine Mom will es mir nicht sagen, deshalb muss ich es selbst herausfinden.“
Sie wollte also wissen wer ich war.
„Mhm, ich finde, dass das gar nicht schlecht aussieht. Es steht dir und wenn es dir gefällt, lass dir da nichts sagen. Du musst dich wohlfühlen, den andern kann es ja egal sein. Aber schätze auch, dass es jemanden gibt der sich Sorgen um dich macht, dem es nicht egal ist was mit dir passiert. Das ist nicht selbstverständlich. Deine Mutter liebt dich bestimmt.“
„Ich weiß, es tut mir ja auch leid, dass sie sich Sorgen macht. Aber es ist gemein, dass sie mir nicht sagen will, wer mein Vater ist. Ich habe doch ein Recht darauf. Aber ich bin mir sicher, dass ich ihn schon gefunden habe. Ich muss jetzt los.“
Sie stand auf, wartete nicht auf eine Antwort von mir, ging einfach. Ob ihr auch gerade klar wurde wer ich war?
Ich kramte mein Handy aus der Tasche und wählte Balus Nummer.
Sie ging gleich ran.
„Van Brendropp, ja?“
„Guten Tag, Balu“
„Tony, warum rufst du an? Was soll das?“
„Ja, ich wollte dich gerade fragen, was das soll. Weißt du wen ich gerade vor mir hatte? Nein, wahrscheinlich nicht. Mhm ... ich helfe dir da mal auf die Sprünge. Sie heißt Eve, sieht dir verdammt ähnlich, hat meine Augenfarbe und trägt die Kette, die ich dir vor Jahren mal geschenkt habe. Willst du mir jetzt immer noch sagen, dass Eve-Kaye die Tochter deines Bruders ist?“
Ich war stinksauer, wie konnte sie nur? Und ihr sagte sie nicht mal, wer ihr Vater war, obwohl sie nachfragte und nun war sie hier. Auch wenn unsrer Treffen zufällig gewesen war und ich erst eben von ihr erfahren hatte, dass sie meine Tochter war.
„Was überfällst du mich so am Telefon? Was soll das? Wie kommst du darauf, dass es deine Tochter ist?“, schnauzte sie mich an und legte auf. Ach du meine Güte, was würde jetzt alles auf mich zu kommen? Ich hatte nun eine Tochter und meine Ex-Frau war scheinbar ziemlich fertig. Ich würde wohl zu ihr fahren. Oder sollte ich doch besser vorher mit Eve reden? Oder sollte ich warten bis sie zu mir kam. Nein morgen nach der Arbeit würde ich zu fahren ihr und sie zur Rede stellen. War sie denn wirklich meine Tochter?

Sichtwechsel
Eve

Mein Herz schlug schneller als sonst. Ich war einfach gegangen, ohne etwas zu sagen. Er war es, definitiv. Es fühlte sich richtig an. Ich musste Louis suchen und ihn um Rat fragen.
„Louis, Louis. Komm her. Ich muss dir was erzählen“, schrie ich in die Runde. Louis stand bei unseren Freunden.
„Louis, er ist es. Echt, wirklich. Ich hab ihn gesehen und er sieht genauso aus wie er.“
„Jetzt beruhige dich mal. Wer ist wer? Wen hast du gesehen? Erzähl mal“, fragte Alexia
„Meinen Vater. Louis und ich haben doch Bilder gefunden. Und heute dieses Gespräche, er war es. Was soll ich jetzt machen? Ich habe fast kein Wort herausgebracht.“
„Wow, und du bist dir ganz sicher, dass er es war?“, fragte Hayley.
Ich erklärte allen die Situation.

„Und was soll ich jetzt machen?“
„Naja ich würde vorschlagen, einfach hingehen. Du weißt ja jetzt wo er arbeitet und wie er mit Nachnamen heißt.“
„Nein, das trau ich mich nicht, Luzi.“
„Ich kann mit dir kommen“, schlug Louis vor.
„Ich kann das nicht.“
„Hey, du bist hier die Mutige von uns beiden, ja? Also wirst du da morgen hingehen, ich komm auch mit und Louis ist ja auch da.“
Luzi legte mir die Hände auf die Schultern, das beruhigte mich unheimlich.
„Aber das halte ich nicht aus bis morgen zu warten. Und dann noch Schule.“
„Wir könnten morgen früh hingehen. Mhm … ich habe vorhin gesehen, dass wir Morgen nur in der ersten Stunde Unterricht haben und dann in den letzten beiden wieder. Wir könnten zur ersten in die Schule und dann mit den Rädern dort hinfahren. Vielleicht schaffen wir es bis zu den letzten beiden wieder da zu sein.“
„Oke, aber ihr dürft niemanden etwas sagen.“
Wir alle vereinbarten, dass keiner etwas sagen würde. Luzi und Louis würden mit mir kommen, Luzi würde wieder mit dem Rad zur Schule fahren, falls die Zeit nicht reichte und sagen, dass es mir nicht gut ginge und Louis mich nach Hause brachte.
Ich war so aufgeregt und freute mich richtig auf die zweite Begegnung mit meinem Vater.

***

Ich aß mit meiner Mutter zu Abend, wir redeten über ganz normale Dinge. Aber ich merkte, dass etwas sie bedrückte, doch ich wollte sie nicht darauf ansprechen. Das würde nur wieder in einem Streit ausarten.
Nach dem Essen ging ich wortlos in mein Zimmer. Ich wollte früh schlafen gehen, um mir die Wartezeit zu verkürzen, doch ich konnte nicht einschlafen. Ich lag in meinem Bett, konnte aber an nichts anders denken, als an meinen Vater. An die letzten Wochen mit meiner Mutter, wie wir uns gestritten hatten, wie sie traurig geguckt hatte. Ich hatte gemerkt, dass es ihr nicht so gut ging in den letzten Wochen. Aber mir ging es in der letzten Zeit auch nicht besser. Ich hatte nicht nur den Streit mit meiner Mutter. Ich hatte auch Probleme mit den Lehrern, sie nahmen mich nicht mehr ernst, wegen meines Auftretens. Sie waren dagegen, sie wollten mich nicht so akzeptieren. Auch die Umwelt reagierte darauf, wie als wäre sie allergisch. Einige beschimpften mich, nannten mich Emo, Grufti und was weiß ich wie sie mich noch so nannten. Einige machten einen großen Bogen um mich. Leuten, denen ich meine Hilfe anbot, wiesen mich zurück. Okay, nicht alle aber einige. Letztens half ich einer älteren Dame die Einkäufe nach Hause zu tragen, sie war echt sehr nett und nahm mich so wie ich war. Warum konnten das nicht alle? Ich meine, ich tat doch keinem was. Ich war auch in keiner Sekte oder so, mir gefiel es einfach. Es war mein Stil.
Da ich nicht schlafen konnte, ging ich runter, putze mir nochmals die Zähne, wünschte Mom eine gute Nacht und ging wieder hoch.
Schlafen konnte ich aber immer noch nicht, erst versuchte ich etwas zu lesen, doch damit konnte ich mich nur eine gute Stunde ablenken. Es war bereits 11 Uhr abends. Ich legte mich wieder ins Bett, machte die Augen zu, wälzte mich aber unruhig hin und her. Letztendlich stand ich auf und ging zu meinem Schreibtisch. Ich nahm mir ein Blatt Papier, einen Stift und fing an zu schreiben.

Leben - Fluch oder Segen?

Leben, in dieser Welt
ist nicht möglich
für mich,
nicht so wie ich es will.

Lasst mich doch einfach,
so wie ich bin,
so wie ich will.
Werd' nie anders sein.

Ich bin anders,
ich bin so wie es mir gefällt.
Ich lass mir nicht sagen,
wie ich sein soll.

Lasst mich doch einfach,
so wie ich bin,
so wie ich will.
Werd' nie anders sein.

Mein Leben lebe ich,
ich ganz allein.
Deswegen kann ich leben,
wie ich will.

Lasst mich doch einfach,
so wie ich bin,
so wie ich will.
Werd' nie anders sein.

Das einzige was ich will,
ist so zu sein wie ich bin.
Und akzeptiert,
respektiert.

Lasst mich doch einfach,
so wie ich bin,
so wie ich will.

Nach einiger Zeit war ich fertig, aber das würde ich noch mal überarbeiten müssen.
Ich beschloss es noch mal zu versuchen, ob ich vielleicht jetzt schlafen konnte. Ich sah noch mal kurz nach Zechi. Ezechiel, „Zechi“ war meine grüne Baumphyton. Ich hatte sie seit knapp zwei Jahren. Mom hatte vor Jahren mal bei einer Tierauffangstation gearbeitet und manchmal half sie dort noch aus. Und da hatte jemand tatsächlich das Tier in einem Sack auf die Mülltonne gelegt. Platz hatten sie damals keinen gehabt, und da hat Mom das Tier mit zu uns genommen, wir hatten noch ein altes Terrarium, das ausreichte für die Schlange, damals war sie noch ein Jungtier. Eigentlich wollte Mom einen anderen Halter finden, doch ich konnte sie überreden, dass ich sie behalten durfte. Jetzt hatte sie ein großes Terrarium in meinem Zimmer. Zechi war gerade dabei die kleine Ratte, die ich ihr am Mittag reingelegt hatte zu verspeisen.
Zufrieden legte ich mich ins Bett, meine Augen wurden tatsächlich schwerer.

***

Am nächsten Morgen machte ich mich wie immer fertig. Zog meine Lieblings-Röhrenjeans an, sie war vorne Schwarz und hinten Jeansblau. Dazu zog ich mir ein schwarzes Top, das mit rot-weiß-grünen Blümchen bedruckt war. Da es draußen kälter war, zog ich einen Schal in Brauntönen an.
Sonst trug ich einige Armbänder und drei Ketten. Ein Schwarzes, enges Band mit einer Münze - eine Dänische Mark; eine Lederkette, mit meinen Initialen als Anhänger und das Medaillon.
Meine Haare band ich in einen hohen Pferdeschwanz.
Danach machte ich mir Frühstück und ging zur Schule. In der ersten Stunde brachte ich kaum ein Wort heraus, ich war viel zu aufgeregt. Ich dachte nach, wie ich es ihm sagen sollte. Wie alles ablaufen würde. Dann war es endlich soweit, es klingelte zum Ende der ersten Stunde. Louis, Luzi und ich stürmten aus der Klasse, rannten zu den Rädern und fuhren los.

Kapitel 7
Meine Tochter Eve
Anthony

Ich war lange nicht mehr so glücklich gewesen. Jetzt hatte ich eine Tochter. Nur meine große Liebe, hatte ich noch immer nicht, sie hatte ich schon vor Jahren für immer verloren. Ich hatte nicht genug um sie gekämpft und sie ziehen lassen, es war allein meine Schuld. Jetzt war ich ihr wieder ein Stück näher gekommen, sie würde jetzt mit mir reden müssen, irgendwann.
Ich wusste ehrlichgesagt nicht was ich noch machen sollte. Also suchte ich mein Handy raus und rief Annabell an. „Annabell?“
„Ja, was ist Tony?“
„Kannst du kommen? Ich müsste mal mit dir reden?“
„Sofort? Du weißt aber, dass es mitten in der Nacht ist?“
„Es ist wichtig. Bitte, Anne“, bat ich.
„Gut, ich komme. Ich bin in zwanzig Minuten bei dir.“
Ich legte auf und setze mich auf mein Sofa vor den Fernseher.

***

„Anne, schön, dass du da bist“, begrüßte ich Anne, als sie schließlich ankam. Ich umarmte sie noch.
Sie zog ihre Jacke aus, warf sie auf den Sessel und setzte sich aufs Sofa. „Was ist los, Tony?“
„Du wirst es mir nicht glauben, aber…“, begann ich.
„Los raus mit der Sprache, was ist los.“
„Ich bin Vater.“
Ihr Mund stand offen, sie sah mich entsetzt und fragend zugleich an. „Was? Wie?“
„Das Mädchen aus der Schule, bei dem Präventationskurs, das war Louisas Tochter, meine Tochter. Erinnerst du dich an den Tag, als sie ihre restlichen Sachen abholte und ein kleines Mädchen dabei hatte? Bei der sie meinte, es sei die Tochter ihres Bruders? Das ist meine Tochter. Meine …“
„Echt? Und du veräppelst mich jetzt nicht?“, hakte sie nach.
„Nein, Louisa hat es auch nicht abgestritten. Sie ist es. Ich fasse das nicht. Das ist so … so wunderbar.“
„Hey, wow. Du bist Vater. Ganz ehrlich, so langsam glaube ich, je länger ich mit dir befreundet bin, desto verrückter werde ich“, witzelte sie.
„Anne, das liegt aber nicht an mir, das machst du schon von ganz allein“, antwortete ich in einem neckenden, herausfordernderen Ton.
„Was soll das denn jetzt heißen?“, sie grinste.
„Tja, das überlass ich dir.“
Sie verpasste mir einen leichten Klaps auf die Schulter. „Tony, echt mal, wie alt bist du jetzt? Über dreißig und du benimmst dich manchmal immer noch wie ein kleiner Junge.“
„Ich fühl mich eben noch jung“, erwiderte ich.
„Erzähl mir wie sie ist, deine Tochter. Wie heißt sie eigentlich?“, wechselte sie das Thema wieder.
Sie hatte recht ich konnte mich wirklich manchmal nicht benehmen. „Eve-Kaye Maylin“, antwortete ich.
„Ein schöner Name. Wolltest du nicht immer deine Tochter Kaye nennen?“, fragte sie.
„Ja, ich glaube so einfach macht es sich Balu auch nicht. Ich weiß nicht recht, aber ich glaube, sie leidet genauso wie ich, oder hat zumindest genauso gelitten. Eve sagte mir auch, dass sie keinen weiteren Freund mehr hatte.“
„Tony, bitte mach dir keine zu großen Hoffnungen. Noch mal kann ich einen Tony nicht als Frack gebrauchen. Du hast so sehr unter der Trennung gelitten. Bitte Tony.“ Sie sah mich an und nahm meine Hand.
Schon seit Jahren war sie meine beste Freundin, ohne sie hätte ich so einiges nicht durchgestanden. Ich dachte an die Zeit zurück, eigentlich wollte ich das nicht, denn es waren wirklich nicht die schönsten Wochen.
„Okay, und jetzt erzähl mir was von ihr“, wechselte sie wieder das Thema.
Ihre Menschenkenntnis war sehr groß, sie merkte immer wann sie etwas anders sagen sollte und somit vom Thema abzulenken. Das war auch eine Eigenschaft an ihr, die ich so sehr liebte, aber nur als Freundin. Wir hatten mal vor Jahren einen Ausrutscher, aber das war ein Fehler gewesen. Etwas, was wir beide bereuten. Glücklicherweise war unsere Freundschaft dadurch nicht zerbrochen. Es war damals einfach passiert. Weder ich, noch sie, wussten warum. Wir waren weiterhin einfach nur Freunde.
Ich begann ihr von Eve zu erzählen. Erzählte ihr, wie wunderbar sie war, wie freundlich, wie liebenswert und wie sehr sie Louisa ähnlich sah. Bis auf ihre Augen, denn das waren meine. Ich war so glücklich, und hoffte wirklich auf eine Versöhnung mit Louisa. Nach all den Jahren liebte ich sie immer noch, nur ich war die ganze Zeit zu feige gewesen, zu ihr zu gehen, mich bei ihr zu melden. Sie würde auch immer meine große und einzige Liebe bleiben.
„Ich muss sie anrufen und mit ihr reden. Nein, ich muss zu ihr fahren und direkt mit ihr reden“, sagte ich eher zu mir selbst, als zu Anne.
„Tony, ich weiß nicht ob das eine so gute Idee ist“, merkte sie rätselnd an, „Aber das musst du wissen.“
„Na gut, ich warte noch ab. Eve hat mir versprochen mit ihr zu reden.“

Sichtwechsel: Eve

„Mom, hast du meinen Vater eigentlich geliebt?“, fragte ich als wir zu Abend aßen.
Damit hatte sie nun nicht gerechnet. Sie blickte auf und sah mich mit großen fragenden Augen an.
„Ähm… wie kommst du jetzt darauf?“, fragte sie entsetzt.
„Nur so, beantwortest du mir jetzt meine Frage?“, fragte ich lieb.
Sie überlegte eine Weile, aber dann antwortete sie doch. „Ja, ich habe ihn sehr geliebt.“
„Vermisst du ihn? Bitte sei ehrlich.“
Sie wollte erst nicht antworten, doch dann ring sie sich durch. „Ja, sehr. Aber Eve, vergiss das. Ich werde mich nicht mit ihm treffen, ich bleibe bei meiner Meinung. Und die lautet: Du wirst dich nicht mit ihm treffen und ich will jetzt nichts mehr davon hören. Es reicht. Und jetzt iss.“
Sie war sauer und ich nun auch. Das war so unfair! Ist es denn so unverständlich, dass ich ihn sehen wollte?
„Mom, verstehst du denn nicht, wie er mir fehlt? Ich möchte endlich wissen, wer er ist!“, schrie ich, stand auf und rannte auf mein Zimmer.
Das war gemein von ihr. Sie verstand es einfach nicht. Und ob ich ihn treffen würde! Irgendwas musste ich machen. Sie liebten sich noch.
Ich packte ein paar Sachen in meine Reisetasche, ein paar Klamotten, Bücher, Schulsachen, Kosmetikzeugs und anderen Kram. Dann suchte ich meine schwarzen Chucks raus und meine Jacke. Ich öffnete die Balkontür, warf meine Tasche ins Gras und kletterte nach unten. Meine Mutter bekam davon zum Glück nichts mit.
Als ich unten war, rannte einfach los. Doch schon nach wenigen Minuten blieb ich wieder stehen und holte mein Handy raus. Ich rief meinen Vater an.
„Hi Dad, kannst du mich bitte abholen?“, ich fing an zu weinen und er musste es gehört haben.
„Eve, was ist passiert?“, meldete er sich sofort.
„Kann ich dir das dann bei dir erzählen?“
„Ja, okay, ich komme. Wo bist du?“
Ich gab ihm die Straße durch.
„Okay, bleib wo du bist“, sagte er.
„Ja, danke.“ Ich legte auf und wartete.

Sichtwechsel: Tony

„Du Anne, ich muss noch mal weg“, sagte ich.
„Wohin?“, fragte sie verwundert.
„Eve hat mich gerade angerufen. Sie weint, ich muss sie schnell abholen. Du kannst hier warten wenn du magst“, sagte ich, ging schon aus dem Raum und schnappte mir meine Jacke.
„Ja ich warte“, hörte ich sie noch rufen, als ich schon an der Tür war.
Ich beeilte mich, ich wusste ja nicht was passiert war. Hoffentlich war ihr nichts passiert. Ich fuhr zu dem Platz, den sie mit genannt hatte, dort stand sie auch. Ich stieg aus und lief zu ihr. Sie weinte immer noch und sie hatte eine Reisetasche dabei.
Als erstes nahm ich sie in den Arm und lief mit ihr zum Wagen. „Was ist passiert? Warum hast du eine Reisetasche dabei?“, fragte ich besorgt.
„Kann ich ein paar Tage bei dir bleiben? Ich habe mich mit Mom gestritten“, sagte sie.
„Du kommst jetzt erst mal mit zu mir und dort erklärst du mir dann erst mal alles, ja?“ Ich packte ihre Tasche in den Kofferraum, ging zur Fahrerseite und stieg ein.
„Was ist nun passiert?“, fragte ich sie als ich los fuhr.
„Ich hab mich mit Mom gestritten, weil sie verboten hat, dass ich mich mit dir treffe.“
„Was?“, fragte ich entsetzt.

Sichtwechsel: Eve

Nun heulte ich richtig. Ich hasste es wenn ich vor anderen Leuten heulte, aber ich konnte nicht anders.
Er hielt schon an, ich hatte gar nicht mitbekommen wie lange wir gefahren waren. Er stieg aus, ich tat es ihm gleich. Er kam zu mir rüber und nahm mich einfach in dem Arm. Sagte nichts, drückte mich einfach nur an sich. Ich weinte, die Tränen liefen nur so aus meinen Augen.
„Hey, das bekommen wir schon alles geregelt“, sagte er und holte meine Tasche aus dem Kofferraum.

Oben in der Wohnung zeigte er mir das Bad und ich wischte mir erst mal die Tränen weg und die verschmierte Schminke. Dann ging ich wieder ins Wohnzimmer und setze mich auf das Sofa. Dort saßen auch Tony und eine Frau. Sie stand auf, und schüttelte meine Hand, als ich kam.
„Hey, ich bin Annabell, Kollegin und eine Freundin deines Vaters. Schön dich kennenzulernen“, sagte sie.
„Hi, ich bin Eve.“ Meine Stimme klang immer noch sehr verheult.
„Magst du einen Tee?“, fragte sie.
„Ja gerne.“
„Was für einen möchtest du denn?“
„Darjeeling, bitte“, antwortete ich.
Sie starrte mich kurz an und ging dann in die Küche.
„So und nur erzähl mir mal, warum ihr euch so heftig gestritten habt, dass du abgehauen bist. Ich muss deine Mutter anrufen, damit sie weiß wo du bist.“
„Nein, nein, sie weiß, dass ich ein paar Tage für mich brauche. Sie denkt ich bin bei Louis, aber ich wollte viel lieber zu dir.“
„Wirklich?“, fragte er.
„Ja“, log ich ihn an. Ich wollte nicht, dass er Mom anrief, sie würde sofort kommen und mich abholen und alles würde so weitergehen wie es gerade ablief.
„Ich kann das langsam nicht mehr“, sagte ich und fing wieder an zu weinen.
Er rückte näher und legte seinen Arm um mich, ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und genoss es.
„Erzähl mir einfach alles“, sagte er.
„Ich habe keine Lust mehr auf die ganze Streiterei mit Mom. Ich wollte dich doch einfach nur kennenlernen und sie wollte das nicht. Seit Monaten streiten wir jetzt schon darüber. Und ich merke, wie scheiße es ihr danach immer geht.“
„Ich versteh nur nicht ganz, warum sie es dir verbietet. Das ist eigentlich nicht ihre Art.“
Eine Weile redeten wir noch, tranken Tee und die beiden trösteten mich, bis ich wieder lachen konnte. Und dann zockte ich die beiden in Rommé ab, sie konnten machen, was sie wollten aber nur einmal hatte es Dad geschafft mich zu besiegen, von ganzen zehn Spielen. Drei Mal legte ich sogar Hand ab. Es machte so viel Spaß etwas mit den beiden zu machen, aber mit Mom wäre es noch schöner. Ich vermisste sie schon nach wenigen Stunden.
„Ich bin müde Dad“, sagte ich und gähnte.
„Das sehe ich“, witzelte er, „Ist es okay für dich in meinem großem Bett zu schlafen?“
Ich überlegte kurz. „Ja, Dad, ist es.“
Ich wiederholte das Wort Dad ziemlich oft, weil es einfach so wunderschön war dieses Wort zu sprechen und aus meinem Mund zu hören.
Ich zog mir eine Leggins und einen übergroßen Pulli an und legte mich ins Bett, wenig später kam mein Vater auch. Er hatte gerade noch Annabell verabschiedet.
Er nahm mich in den Arm und drückte mich noch mal. So als könnte er es selbst nicht fassen was da die letzen Wochen geschehen war. Es ging alles viel zu schnell. Noch vor einigen Wochen war es ein Traum von mir, meinen Vater in die Arme zu schließen, doch jetzt war es die Wirklichkeit.
Wir redeten noch bis tief in die Nacht hinein. Ich erzählte ihm so viel über mich. Über meine Schule, meine Freunde, meine Leben, meine Mutter.
Und er erzählte mir viel aus seinem Leben. Wie er Mom kennengelernt hatte, was für mich schon ein Schock war. Ich meine, meine Mutter hatte versucht sich das Leben zu nehmen, aber wenn das geklappt wäre, dann würde es mich nicht geben.
Und dann beschloss ich ihm dieselben Fragen zu stellen, wie ich sie Mom gestellt hatte.
„Liebst du sie noch?“, fragte ich zu seiner Verwunderung.
„Ja, sehr.“
„Und vermisst du sie?“
„Ja, und ich würde sie so gerne wiedersehen.“
„Mhmm“, machte ich nur.
„Was?“, fragte er.
„Naja, fast das gleiche hat Mom auch gesagt, kurz bevor sie mir den Kontakt zu dir verboten hat.“
„Wirklich?“, fragte er überrascht und gleichzeitig hoffnungsvoll.
„Ja, ich war nicht sehr überrascht, denn ich hatte schon einmal ein Gespräch belauscht und da hatte sie etwas Ähnliches gesagt.“


***

Am nächsten Morgen frühstückte ich mit ihm, er musste schon bald zur Arbeit. Es war Samstag und ich musste nicht zur Schule, also setze mich Dad bei Louis ab und würde mich später wieder abholen.
„Hey Louis“, rief ich glücklich.
„Eve“, begrüßte er mich.
„Und was machen wir heute schönes?“, fragte ich.
„Keine Ahnung. Lass uns erst mal hoch gehen.“
Wir gingen auf sein Zimmer und setzen uns auf sein Bett. Er schaltete seine Anlage ein, es ertönte „Storytime“ von Nightwish. Er wusste wie gerne ich diese Band mochte.
Ich drehte mich etwas zu ihm und meine Hand kam auf seiner zum liegen. Es war eigentlich nichts ungewöhnliches ihn zu berühren, aber irgendwie war es diesmal was anderes. Ich fühlte mich noch glücklicher und mein Bauch flatterte. Nein, ich strich den Gedanken sofort aus meinem Kopf. Und ich wurde auch schon sofort wieder abgelenkt, denn mein Handy klingelte. Ich sah auf das Display, es war meine Mutter, aber ich drückte sie weg.

So ging das den ganzen Tag über, immer wieder reif sie an, aber ich drückte sie immer wieder weg.
„Warum drückst du sie immer wieder weg?“, fragte Louis irgendwann.
„Weil … weil ich nicht mit ihr reden will. Wir haben uns gestern Abend gestritten. Ziemlich heftig. Und dann bin ich einfach gegangen.“
„Was, du bist abgehauen? Eve, du kannst doch nicht einfach abhauen.“
„Doch kann ich. Ich habe Dad angerufen, also bin ich in guten Händen und du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ach Louis, ich wäre natürlich auch zu dir gekommen aber hier würde Mom zuerst suchen.“
„Das kränkt mich jetzt aber“, witzelte er.
Er verstand mich. Ich brachte ihm nicht viel zu erklären und er wusste sofort was los war. Er tickte einfach wie ich oder ich wie er. Wir waren einfach ein super Team. Und ich liebte ihn sehr, als einen Freund? Oder war da etwas mehr? Ich hoffte es nicht, unsere Freundschaft bedeutete mir einfach alles.
Am Abend holte mich Dad wieder ab. Louis und ich hatten den Tag über nichts wirklich sinnvolles gemacht.

Kapitel 8
Neues Glück?
Louisa

„Eve?“, rief ich nach oben. Sie war gestern so wütend nach oben gerannt, deswegen hatte ich beschlossen sie erst mal in Ruhe lassen.
Ich musste gleich zu einem Shooting, es war schon elf Uhr, eigentlich hätte sie schon längst mal runterkommen müssen.
„Eve?“, rief ich noch lauter nach oben. Ich bekam nicht einmal eine Antwort.
Jetzt reichte es mir, ich ging die Treppe hoch, stürmte wütend auf ihr Zimmer zu und riss die Tür auf. Das Zimmer war leer. „Eve?“, rief ich, etwas ängstlich jetzt. Wo konnte sie denn hin sein? Da fiel mein Blick auf das Fenster, es war offen. Louis, sie musste bei Louis sein. Sofort rannte ich zum Telefon.
„Louis?“
„Ja?“
„Hallo, hier ist Louisa.“
„Hi“, sagte er.
„Ist Eve bei dir? Sie war heute Morgen nicht in ihrem Zimmer.“
„Nein, Eve ist nicht bei mir. Wirklich nicht“, antwortete er.
„Was? Weißt du wo sie noch sein könnte?“, fragte ich besorgt.
„Vielleicht bei Luzi oder Alexia? Oder Haylay“, schlug er vor.
„Okay danke, melde dich wenn du was von ihr hörst, bitte“, sagte ich noch und legte auf.
Ich rief noch schnell ihre Freunde an, aber auch von ihnen wusste niemand etwas von ihr.
Ich musste nun los, zu dem Shooting. Hoffentlich war sie heute Nachmittag wieder da. Ich machte mir große Sorgen, weil … wenn schon Louis nichts wusste…Und wenn er ihr nur versprochen hatte, dass er mir nichts sagen würde? So hatte ich das früher auch öfters gemacht. Jetzt wusste ich wie schrecklich sich meine Mutter damals gefühlt hatte, als ich einfach weggegangen bin.

***
Das Shooting verlief nicht so gut wie ich es mir erhofft hatte. Als ich mein Auto wieder vor unserer Haustür parkte, rannte ich schon fast zur Haustür und hoffte, dass Eve dort war. Aber tief in mir wusste ich schon längst, dass sie nicht hinter der Tür auf mich wartete. Und so war es auch. Ich legte meine Tasche und Jacke an der Garderobe ab und ging ins Bad. Dort wusch ich meine Hände und blickte traurig in den Spiegel. Das kann nicht sein, dachte ich als ich das Amulett entdeckte. Ich nahm es in die Hand, um mir sicher zu gehen, dass es wirklich das war, was mir Tony vor Jahren geschenkt hatte.
Ich rannte die Treppe zum Dachboden hoch und dort entdeckte ich die offene Kiste mit den ganzen Bildern, Dokumenten und den letzen Andenken von ihm. Entweder hatte sie sich auf die Suche nach ihm gemacht oder sie hatte ihn schon gefunden. Schließlich war dort die alte Akte von mir und weitere alte Unterlagen, wo auch seine Adresse stand. Es wäre ein leichtes für sie gewesen, herauszufinden ob er noch dort wohnte.
Ich nahm mir einige Gegenstände aus der Kiste, leise rannen mir Tränen über mein Gesicht. Ich vermisste ihn wirklich sehr und ich liebte ihn auch noch. Das war mir erst wieder so richtig bewusst geworden, als Eve mich danach gefragt hatte.
Ich ordnete die Unterlagen, die ich hinausgenommen hatte, dabei fiel mein Verlobungsring runter. Ich hob ihn auf, betrachtete ihn und steckte ihn an meinen Finger. Danach ging ich die letzen Jahre in meinem Kopf durch, bis ich bei der Zeit mit ihm angelangt war. Es war die schönste Zeit meines Lebens gewesen und ich war damals so glücklich gewesen. Ich hätte mich nicht einfach so von ihm trennen sollen und ihm seine Tochter verheimlichen sollen.
Es war ein riesen Fehler gewesen, das hatte mir mein Bruder oft genug gesagt, aber ich hatte ja nicht auf ihn hören wollen. Langsam fing ich an mich schuldig zu fühlen. Ich liebte ihn und tat ihm das an. Ich tat es uns beiden an. Mir wurde erst jetzt so richtig bewusst, was ich angerichtet hatte. Und nun blieb mir nur noch eine Möglichkeit.
Ich nahm meine Tasche und setze mich ins Auto. Um diese Zeit arbeitete Tony noch, soweit ich durch Michael wusste.

***
„Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“, fragte die Schwester am Empfang.
„Ist Dr. McHard noch im Haus?“
„Ja, er hat noch Dienst, bis siebzehn Uhr. Aber er hat noch Termine. Sie können jetzt nicht zu ihm. Aber ich kann ihm etwas ausrichten, wenn Sie möchten.“
Sie ahnte schon, dass ich zu ihm wollte. Und ich ahnte, dass sie mit dem Termin-Punkt kommen würde. In diesem Punkt hatte sich hier nichts verändert. Dafür hatte die Klinik einen neuen Anstrich bekommen, ein sattes rosa.
„Ja, würden Sie ihm bitte sagen, dass Louisa van Brandropp auf ihn wartete? Könnten Sie ihm das bitte gleich ausrichten?“
„Na gut, ich rufe ihn an.“ Sie rief ihn an und richtete es ihm aus.
Ich setze mich auf einen der Stühle und wartete. Ich war mir sicher, ob er lange brauchen würde, bis er da war.
Nach einer guten halben Stunde kam er tatsächlich und sah mich erfreut, aber auch mit einem verdutzten Blick an. Ich stand auf und mir kamen die Tränen. Ich konnte nicht anders, er war einfach immer noch er selbst. Er hatte sich vom Aussehen nicht wirklich verändert. Er lächelte mich so an, wie er es früher getan hatte. Weiterhin kam er auf mich zu, bis er direkt vor mir stand.
„Hi“, sagte er.
„Hi“, antwortete ich.
„Können wir vielleicht irgendwo reden?“
„Klar“, sagte er und gab mir ein Zeichen, ihm zu folgen.
Ich wusste schon, wo er mich hinführte - in sein Büro. Ich war erstaunt, denn es hatte sich kein bisschen verändert. Wir setzen uns Nebeneinader auf das Sofa. Auch das war noch das gleiche. Von hier aus konnte ich sogar sehen, dass auf seinem Schreibtisch noch ein Bild von mir stand. Mein Herz hüpfte auf und ab und ich fühlte mich wie bei meinem ersten Treffen mit ihm. Zudem kam ich mir unglaublich kindisch vor.
Er sah mir in die Augen.
„Sie ist bei dir, oder?“, fragte ich.
Er nickte. „Wenn du mit Sie unsere Tochter meinst, ja“
„Es tut mir so leid“, sagte ich.
Er stand auf und sein Gesicht zeigte etwas Wut.
„Warum?! Was sollte das ganze? Warum hast du mir nicht einfach von ihr erzählt?“, er schrie die Worte fasst.
Ich konnte ihn verstehen. „Weil ich dumm war, und dann hatte ich einfach nicht den Mut es dir zu sagen. Ich konnte dir nicht in die Augen sehen, weil ich mich so schlecht gefühlt habe. Ich wollte dir das nicht antun. Es war so unsagbar dumm von mir.“ Mir kamen wieder die Tränen.
„Du kennst mich, du hättest immer zu mir kommen. Immer. Ich liebe dich.“
„Ich weiß. Anfangs war es auch mein Stolz, weißt du als ich dich mit ihr gesehen hatte. Ich konnte nicht anders. Ich dachte wirklich du hast mich so schnell ersetzt.“
„Das war eine dumme Situation. Ja damals … also damals hatten wir wirklich eine Nacht zusammen verbracht. Und es war ein Fehler. Ich wollte dich niemals ersetzen, dafür habe ich dich zu sehr geliebt. Nein, dafür liebe ich dich zu sehr.“ Er kam wieder zu mir. Nahm meine Hände in seine und zog mich hoch. Dabei sah er den Ring und ein Lächeln breitete sich über seinem Gesicht aus. „Du trägst ihn?“, fragte er.
„Ja, naja, seit ich ihn vorhin wiedergefunden habe“, gab ich zu.
Er nahm mich in den Arm. Es war so schön. Aber irgendwie war das alles so schnell und unwirklich. Ich meine, wir hatten uns eine Ewigkeit nicht gesehen und lagen uns jetzt schon wieder in den Armen? Ich wusste nicht warum, aber es fühlte sich richtig an.
„Aber wir haben noch einiges zu bereden“, drohte er mir.
Er hatte recht, wir mussten sehr viel klären.
Sein Handy klingelte. „Hey“, meldete er sich. „Ja, klar kannst du bei ihm bleiben. Aber morgen gehst du zu deiner Mutter. Sie macht sich echt große Sorgen“, sprach er weiter. „Tschüss“, sagte er und legte auf.
„Das war Eve, sie bleibt bei Louis. Dann können wir jetzt zu mir fahren und alles bereden?“
„Apropos Eve. Woher kennst du sie? Und nein, wir fahren zu mir“, entschied ich und grinste.
„Du hast sie mir vorgestellt, schon vergessen? Und den Rest erzähl ich dir später.
War ja klar.“
Stimmt, das hatte ich als sie noch ganz klein war. Er legte den Arm um mich und gemeinsam gingen wir zu meinem Auto.
„Oh man, dass du mir immer zeigen musst, wer die Hosen an hat“, witzelte er als er einstieg.
Die ganze Fahrt über redeten wir nicht, aber sahen uns immer wieder an. Ich kam mir vor wie ein verliebter Teenager.
„Wow! Das Haus sieht klasse aus“, staunte er als wir ankamen.
„Ja, war eine ganz schöne Arbeit das zu renovieren. Komm.“
Ich schloss die Haustür auf und er kam hinein. „Deine Bilder sind immer noch einfach nur große klasse“, sagte er als er die Bilder im Flur sah.
„Danke“, gab ich etwas verlegen zurück. „Deine Jacke kannst du da aufhängen.“
Im Wohnzimmer setze er sich auf das Sofa.
„Magst du was trinken?“, fragte ich.
„Nein, danke.“
Ich setze mich dicht neben ihn. „So und jetzt will ich wissen, woher du sie kennst. Und wie lange schon.“
„Das Ganze war reiner Zufall. Ich hab sie bei einem Gespräch in der Schule kennengelernt. Sie kam rein und ich dachte, ich sehe nicht richtig. Ihre Augen…“
„Ja, das sind zweifellos deine“, warf ich ein.
„Ja. Und sie ist genauso wunderschön wie du. Und dann stand sie einige Tage später einfach vor meinem Büro und so hat sich das alles aufgeklärt. Ich hatte ja versucht mit dir zu reden, aber dein Dickkopf hat das ja nicht zugelassen.“
Ja das stimmte, ich war aber total geschockt gewesen, als er sich am Telefon gemeldet hatte.
„Und dann habe ich mich mit ihr getroffen, mehrmals. Sie hatte mir eigentlich versprochen, dass sie es dir sagt. Aber das hat sie wohl nicht getan.“
„Nein, und ich kann auch verstehen, warum sie es nicht getan hat. Ich habe es ihr verboten.“
„Ja, das hat sie mir auch erzählt. Warum eigentlich? Ich war ziemlich entsetzt als ich das gehört habe.“
„Wahrscheinlich weil ich Angst hatte. Ich versteh mich selbst nicht mehr“, erwiderte ich.
„Aus dir wird man auch nicht immer schlau. Und gestern hat sie mich angerufen und ziemlich geweint. Ich bin sofort los. Wahrscheinlich hätte ich dich anrufen sollen.“
„Ich hab mir so Sorgen um sie gemacht. Ich hatte so eine Angst um sie, als ich sie nirgends bei keinem ihrer Freunde gefunden hatte. Ich liebe meine Tochter, und ich war einfach blind und habe nicht gesehen, wie sehr ich ihr weh getan habe. Ich bin so froh, dass sie zu dir gegangen ist. Wenn ihr was passiert wäre…“
Er legte seinen Arm um mich. Und alles um mich herum wurde warm, ich lehnte mich gegen ihn.
„Hey, daran darfst du erst gar nicht denken. Ach ja, wir haben da was ganz tolles zustande gebracht“, meinte Tony.
Ich musste lachen, ja das hatten wir wirklich.
Noch Stunden redeten wir über die letzen Jahre. Und mir wurde klar wie sehr ich ihn all die Jahre gebraucht und vermisste hatte. Er hatte seine Weiterbildung zum Jugendpsychologen beendet. Und er war nun Leiter der Station. Er hatte sein Ziel erreicht, genau wie ich. Es tat so gut mit ihm zu reden, wie schon damals. Er war einfach immer noch perfekt.
Nun saßen wir einfach nur da, sahen uns in die Augen. Ich musste schon immer lachen wenn er mir in die Augen sah. Und immer wenn er mich so ansah, fing er an mich zu kitzeln. Ich hasste es wenn er das tat, weil ich einfach so kitzlig war und keine Chance hatte.
„Nein, das tust du jetzt nicht!“, warnte ich ihn neckend.
Irgendwie wollte ich schon, dass er das tat. Ich wollte seine Hände auf mir spüren, ihn mit allen Sinnen wahrnehmen, damit ich mir sicher sein konnte, dass er da war.
„Na, immer noch so kitzlig?“
„Ja“, brachte ich gerade so vor Lachen hervor.
Er beugte sich weiter zu mir runter und sah mir tief in die Augen, ich Lächelte.
Sein Gesicht kam immer näher. Ich fieberte schon fast danach, dass er mich endlich küsste. Und wie sollte es anders kommen, klingelte mein Handy.
„Ah, wie immer“, stöhnte ich.
Ich zog es aus meiner Hosentasche und meldete mich genervt. „Ja?“
„Balu, hey“, meldete sich Lus Stimme.
Tony, immer noch so ein Witzbold wie damals, konnte es nicht lassen und kitzelte mich einfach weiter.
„Ah, lass das“, fuhr ich ihn an, ohne das Lachen stoppen zu können.
„Ach, nicht du Lu“, entschuldigte ich mich bei ihr und musste immer noch lachen.
Die ganze Zeit über lachte ich noch, schon lange hatte ich nicht mehr so gelacht. Und es tat gut. „Wenn ich ehrlich bin, ja“, antwortete ich Lu.
Sie hatte gefragt ob sie stören würde. Sie ahnte da was.
Ich legte auf nachdem wir uns verabschiedet hatten und wendete mich ihm wieder zu.
„Du kannst das immer noch nicht lassen, was?“, fragte ich grinsend.
„Ich weiß nicht was du meinst?“, spielte er den Unschuldigen.
Dann lehnte ich mich vor und küsste ihn. Das Kribbeln stieg auf und ich fühlte mich, wie frisch verliebt. Er erwiderte meinen Kuss leidenschaftlich. Meine Hände wanderten über seinen Rücken, seine Brust und sein Gesicht. Ich wollte ihn spüren und ich wusste, dass es ihm genauso erging. Seine Hände wanderten gerade meinen Rücken hinunter. Und seine Lippen liebkosten meinen Hals. Er blickte hoch und sah mich an. Ich nickte nur und legte meine Arme um seinen Hals.
Seine Hände schoben sich unter mein Shirt. Ich lehnte mich vor, damit er es mir ausziehen konnte. Kurz danach knöpften meine Hände sein Hemd auf.
„Las uns hoch gehen“, flüsterte ich.
Wir standen auf und torkelten küssend die Treppe hoch, zu meinem Schlafzimmer.

Sichtwechsel: Tony

Als ich am Morgen mit Balu in meinen Armen aufwachte, war alles wieder perfekt.
Ich war so glücklich, wie schon lange nicht mehr. Und es war alles so unglaublich schnell geschehen. Wobei, jetzt, wo ich sie wieder hatte, konnte es gar nicht schnell genug gehen. Ich wollte all die verlorene Zeit so schnell wie möglich aufholen. Ich hoffte, sie würde es genauso sehen und uns noch eine Chance geben.
Ich strich ihr über die Haare, sie drehte sich zu mir. „Guten Morgen“, sagte ich liebevoll.
Sie lächelte. „Morgen“, sagte sie und gab mir einen Kuss.
Dann stand sie auf und ging ins Bad, ich folgte ihr. Sie stand vor dem Spiegel, ich stellte mich direkt hinter sie und legte meine Hände auf ihre Hüfte. Sie hatte sich kaum verändert, war immer noch genauso hübsch wie damals. Sie wollte gerade den Ring ablegen. Ich nahm ihre Hand, und schob ihn wieder zurück an den Finger. Sie verstand. Ich liebte sie über alles, und ich würde sie trotz allem immer noch zu meiner Frau nehmen.
„Wenn du mich noch willst?“, fragte ich.
„Ja, das will ich. Es tut mir unendlich leid … das alles. Ich hätte mich gefreut wenn es niemals so gekommen wäre, und wir unsere Tochter gemeinsam hätten großziehen können.“
„Hey, es ist nun mal so geschehen. Ich hätte mich natürlich auch sehr darüber gefreut, aber lass uns die jetzt kommende Zeit genießen, mein Engel. Hör auf, dir darüber den Kopf zu zerbrechen, bitte. Ich kenn dich gut genug, um zu wissen, dass du dir die ganzen Jahre die Schuld an dem Ganzen gegeben hast. Aber ich war auch daran schuld, ich habe nur noch meine Arbeit im Kopf gehabt. Aber das ist unsere Vergangenheit, lass uns bitte die Zukunft erleben“, sagte ich.
„Ach, du hast ja recht. Du, die Zeit ohne dich war schrecklich. Ich musste einfach immer an dich denken.“
„Kann ich verstehen, ich bin ja auch unvergesslich“, scherzte ich.
Sie schlug mir leicht gegen die Brust. Ja, das war meine Balu. „Ach ja, Tony…?“
„Ja?“, fragte ich.
„Als wir uns kennenlernten und du mich gefragt hattest, ob ich es bereuen würde … habe ich gelogen. Ich habe es nicht bereut, als du in mein Zimmer kamst.“
Im ersten Moment war ich geschockt, aber dann fühlte ich mich geschmeichelt. Damals musste sie das gleiche gefühlt haben wie ich.
Als ich damals ihr Zimmer betreten und sie da liegen gesehen hatte, war ich überglücklich gewesen. Ich hatte anfangs nicht gewusst, warum, aber sehr schnell war mir klar geworden, dass sie die Liebe meines Lebens sein würde.

Impressum

Texte: by Domino
Bildmaterialien: by Domino
Lektorat: by manu
Tag der Veröffentlichung: 09.09.2011

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