Ein halbes Jahr Dienst in der französischen Fremdenlegion in 1910
Diese Aufzeichnungen gewidmet meinem lieben Freunde August HABERMANN von seinem treuen Kamerad
Willy Wolff
Malaga im April 1911
Es war am 18. Juli 1910, als ich mich auf die mir heute noch unbegreifliche Art und Weise überreden ließ, mich für die Fremdenlegion anwerben zu lassen. In Mars la Tour war es wo mir ein französischer Gendarm das Anerbieten in so verlockender Weise machte, daß ich mich entschloß, nach Verdun zu gehen und mich dort anwerben zu lassen.
Das erste war, nachdem ich dem Gendarm meine Zustimmung gegeben hatte, daß er mich in eine Wirtschaft führte, mir dort Essen und Trinken gab. Nachdem gegen ungefähr 10.30 Uhr vormittags fuhren wir zusammen nach Verdun. Hier angekommen brachte er mich auf das Bureau de Place und übergab mich der Militärbehörde.
Gleichzeitig traf ich hier auch mit noch zwei Russen zusammen, welche auch, gleich mir, engagieren wollten und unter dreien wurden wir dem Infanterie Regiment Nr. 162 zugeführt, wo wir verpflegt wurden.
Am 19 Juli wurden wir wieder dem Bureau de Place zugeführt und von einem Colonel verhört, ob wir schon gedient hätten, wie es uns gefallen hätte beim Militär, ob wir gerne zur Legion gingen und vor allen Dingen wollte er gerne näheres erfahren über den Dienst in Deutschland, besonders interessierte er sich sehr für die Gefechtsart der Kavallerie und Maschinengewehre.
Nachdem das Verhör ungefähr eine Stunde gedauert hatte und er nichts erfahren hatte von mir, da ich mich ganz unwissend gestellt hatte, wurden wir zu dem Rekrutements-Bureau geführt, hier untersucht und für tauglich befunden.
Am Nachmittag wurden wir wieder zu dem Bureau de Place geführt und mußten unsere Engagements-Formulare unterschreiben. In denselben steht, daß man sich für 5 Jahre verpflichtet, daß der französische Staat das Recht hat, sobald wie man unterzeichnet hat, einen hinschicken zu können wo er will, mit anderen Worten, man hat sich verkauft für nichts und wieder nichts. Es macht ja auch viel die Unkenntnis der französischen Sprache, daß man so schnell unterzeichnet, denn sonst würde mancher sich die Sache besser überlegen.
Nachdem nun alle Förmlichkeiten erledigt waren, wurde ich am 20. Juli morgens um 4.00 Uhr von einem Corporal zur Bahn gebracht, um nach Marseille zu fahren, wo sich die Transporte sammeln, um nach Afrika überführt zu werden. Ich kam in der Nacht gegen 1.00 Uhr in Marseille an und wurde gleich am Bahnhof von einem Corporal in Empfang genommen und nach einem alten Gebäude gebracht. Hier angekommen wurde ich auf einen Schlafsaal geführt, wo ich die Nacht verbringen konnte. Außer mir waren noch etwa gegen 20 Mann da untergebracht, welche auch zur Legion wollten.
Geschlafen habe ich wenig die Nacht und schon stieg etwas wie Reue in mir auf, dachte ich doch meiner Eltern und Geschwister, welchen ich durch mein Fortgehen einen großen Schmerz zugefügt hatte. Vielleicht war es auch, daß wir am kommenden Tage Europa auf längere Zeit verlassen sollten; wir gingen einer unbestimmten Zukunft entgegen, wer weiß, wann und ob wir unsere Heimat nochmal wieder zu sehen bekommen.
Der neue Tag brach an und mit ihm kamen wieder neue Eindrücke auf uns. Ohne morgens Kaffee oder sonst etwas zu erhalten bekamen wir einen Besen in die Hand gedrückt und sollten nun arbeiten, wir waren ja schon französische Soldaten und mußten uns fügen. Gegen 10.00 Uhr vormittags wurden wir auf das Fort St. Jean gebracht wo wir den Tag bis zur Abfahrt um 5.00 Uhr nachmittags verbringen sollten. Mittags bekamen wir etwas Essen und ein Glas Wein, wenigstens sollte es Wein sein. Nachmittags wurden wir alle noch einmal ärztlich untersucht.
Am 23 Juli um 4.00 Uhr nachmittags führte man uns zum Schiff, einem alten französischen Dampfer mit Namen "Augustin" welcher uns nach Afrika überführen sollte. Um 4.30 (nachmittags) setzten wir den ersten Fuß auf die Planken des Schiffes und wir hatten den europäischen Boden verlassen. Um 5.00 Uhr (nachmittags) lichtete das Schiff die Anker und mit wehmutsvollem Gefühl sahen wir uns immer mehr vom Lande entfernen, "wer weiß ob die uns wiedersehen" sangen verschiedene Deutsche, doch auch dieser Gesang verstummte bald. Kaum waren wir eine Stunde unterwegs, als die ersten Anzeichen von Sturm kamen und verschiedene schon anfingen seekrank zu werden. Gegen 8.00 Uhr abends verspürte auch ich die ersten Anzeichen von Seekrankheit und je mehr der Sturm zunahm, je mehr nahm auch meine Krankheit zu. Auf einem Bündel Taue welche auf dem Vorderdeck lagen hatte ich mir ein Plätzchen gesucht, wo ich die Nacht verbringen konnte. Klappernd vor Kälte und bis an die Knie ganz durchnäßt von den Sturzwellen, welche immer über Bord kamen, lag ich hier. Mehr tot als lebendig hatte ich die ersten Folgen meiner Dummheit, doch endlich wurde es Tag und meine Krankheit ging auch zu Ende.
Der 24 Juli brach an und mit ihm bekamen wir besseres Wetter. Am 25.sten gegen 8.00 Uhr vormittags sahen wir Land, öde Klippen, der erste Anblick von Afrika. Um 10.15 Uhr liefen wir in den Hafen von Oran ein, nach einer weiteren 1/4 Stunde betraten wir zum ersten Male afrikanischen Boden. Gleich wurden wir von einem Kommando der Legion in Empfang genommen und dem Namen nach verlesen, ob alle mitgekommen waren.
Dann wurden wir auch das Fort Theresia gebracht, wo wir bis zur Abfahrt an unser Regiment verbleiben sollten. Nachdem wir daselbst angekommen waren, wurde jeder einzelne gefragt, zu welchem Regiment er wünsche, zum ersten oder zweiten Regiment. Ich entschloß mich zum ersten, obwohl es ganz gleich ist bei welchem man dient. Bis nun alle Schreibereien erledigt waren, war es Mittag geworden und als wir nun unser Essen verzehrt hatten wurden wir zur Artillerie-Kaserne hingeführt, wo wir uns baden und reine Leibwäsche anziehen konnten.
Der folgende Tag verging, indem wir mit Arbeit jeglicher Art beschäftigt waren. Am 27. Juli gegen 5.00 Uhr morgens marschierten wir zum Bahnhof, um unserem Regiment, wovon das Stammbataillon in Sidi Bei Abbes stationiert ist, zugeführt zu werden. Gegen 8.00 Uhr vormittags gelangten wir dortselbst an und nach einem Marsch von einer halben Stunde gingen wir zum Kasernentore hinein. Den ersten Anblick den ich von der Kaserne bekam war nicht ungünstig, im Gegenteil gefielen mir der sauber gehaltene Hof und die großen geräumigen Gebäude ganz gut.
Viel Zeit zum Umsehen blieb uns jedoch nicht, einer nach dem anderen mußten wir zum Bureau wo unsere Personalien aufgenommen wurden, nachdem gleich zum Magazin wo wir eingekleidet wurden, unsere Gewehre und Bajonette empfingen und dann ging es zum Essen. Den Nachmittag verbrachten wir damit, unsere Ausrüstungsstücke zu putzen, sollten wir doch schon am nächsten Morgen zum Exerzieren. Die Zeit vom 27. Juli bis 31. Oktober verging, indem wir Tag für Tag zum Exerzieren gingen, nur darf man sich unter diesem Exerzieren nicht den schneidigen exakten Exerzis wie er bei uns in Deutschland ist vorstellen. Disziplin ist überhaupt wenig vorhanden, ebenso Schneidigkeit, dies kennt der Franzose nicht. In dieser Zeit habe ich sehr oft an meine ferne Heimat gedacht und oftmals habe ich bereut, den Fuß auf afrikanischen Boden gesetzt zu haben. Ebenso hatte es meinem Freunde, einem Elsäßer gegangen. Wir hatten uns sehr aneinander geschlossen und manche trübe wie auch schöne Stunde haben wir zusammen verlebt. Die Gefühle, welche von uns während dieser Zeit gehegt sind und mit uns manch anderer deutscher Kamerad gehegt hat, sind in den folgenden Zeilen von uns niedergelegt:
REUE!
1. In Afrika in heißem Sonnenbrande,
manch Legionär der deutschen Heimat fern gedenkt, die er verlassen hat in einer trüben Stunde, nicht achtend, daß die Reue folgen muß.
2. Ein Schicksalsschlag traf ihn im deutschen Vaterlande,
den er nicht zu ertragen glaubte dort,
er lenkte seine Schritte hin nach Frankreichs Grenze, und gab der Legion zu schnell sein Wort.
3. Er dachte nicht der Fahne, der er hat geschworen, nicht
an den Schmerz der Eltern alt daheim,
nicht dachte er an Glück der Braut, das er zerstörte nur fort triebs ihn mit dunklem Sinn.
4. Die Reue kam erst langsam, dann mit schnellen Schritten,
in Nächten welche schlaflos er verbracht,
Ruh'los warf er sich auf dem dürft'gen Lager,
verspürte tausendfach den Schmerz, den er den Eltern und
dem Lieb gemacht.
5. Oh Schmerz laß nach, wie bitter muß man doch verspüren,
die Folgen eines Streichs der unbesonnen war,
nicht nur das Lebensglück er uns zerstörte, nein auch die Heimat er uns nahm.
6. Wie sich das Schicksal nun auch mag gestalten,
wir bleiben treu dem deutschen Vaterland,
der Braut, und auch dem Elternpaar,
Euch alle möge Gott behüten, daß wiedersehn wir Euch
nach langen Jahr'n.
7. Behüt Euch Gott, den Gruß aus fernem Lande, wird Gott erfüllen immerdar,
"In Treue Dein"- ein Schwur in trüber Stunde, "In Treue Dein" so lange ich leben mag.
Mittlerweile waren die 3 Monate vergangen, die französischen Kommandos und Gefechtsweisen waren uns beigebracht und wir waren soweit ausgebildet, um in das Bataillon zu kommen, als in Maroc verschiedene Unruhen vorgekommen waren und die dort stationierten Truppen Verstärkung brauchten.
Am 2. November wurden die 10 und die 11 Compagnie welche in Sidi Bei Abbes lagen, mobil gemacht und mit ihnen aus der Depot Compagnie der wir angehörten ungefähr 150 Mann. Im ganzen waren es etwa 500 Mann die wir am 3. Februar mit klingendem Spiel zum Bahnhof marschierten, um mit einem extra Zuge der marocanischen Grenze zugeführt zu werden.
Mit welchen Gefühlen wir abfuhren kann man gar nicht beschreiben, wer weiß, sehen wir Bei Abbes noch mal wieder, oder aber wer weiß wie es gehen mag, frug einer den anderen, so mit der Zeit legte sich auch dieses Gefühl, man lernte sich eben in alles fügen. Nach einer 10-stündigen Bahnfahrt gelangten wir in Marnia der letzten Station auf französischem Boden an. Nachdem alle ausgestiegen waren, hatten wir noch ungefähr eine halbe Stunde Weges bis wir den Lagerplatz erreichten. Gleich fing das Lagerleben an, Zelte wurden gebaut, es wurde abgekocht und was das Lagerleben alles mit sich bringt verrichtet. Dann legten wir uns zur Ruhe, jedesmal 6 Mann zusammen in einem Zelt ohne Stroh, auf dem nackten Erdboden, so verbrachten wir die erste Nacht. Morgens um 4.00 Uhr war Wecken und um 5.00 Uhr marschierten wir ab. Wir hatten 27 km Weg bis Oudjda, die ersten beiden Stunden vergingen, alsdann fingen schon welche an wunde Füße zu bekommen, denn in den neuen Schuhen läßt sich die erste Zeit schlecht marschieren. Zudem stieg die Sonne immer höher, kein Baum kein Strauch war zu sehen, nur die öde staubige Landstraße inmitten afrikanischer Wildnis. Dann hatten die meisten kein Wasser mitgenommen, so daß je näher wir dem Ziel kamen, je mehr zurück blieben die nicht mehr marschieren konnten. Denn bei ungefähr 30 Grad Hitze, dazu mit einem gepackten Tornister von ca. 35 Pfund ist es nicht so leicht zu marschieren, zudem die meisten von uns noch gar keine größeren Märsche gemacht hatten.
Als wir noch ungefähr 4 km zu marschieren hatten, blieben so viele zurück, daß der Commandant der uns führte, befahl zu halten, damit wenigstens ein Teil von den Zurückgebliebenen herankommen konnte. Nach einer Pause von ca. 1/2 Stunde ging es wieder weiter und mit Mühe und Not erreichten wir endlich unser Ziel. Sobald wir das Dorf erreichten, kamen wir an einen Bach, worin die Araber am Waschen waren und überhaupt allerhand Unreinlichkeiten drinnen vorhanden waren, doch dieses nicht achtend, stürzten sich die große Mehrzahl wie die Tiere auf das Wasser zu, um ihren Durst zu löschen .
Nach einem kurzen Halt am Eingang ins Camp ging es mit Gewehr auf Schulter durch dasselbe, doch die meisten wankten mehr als daß sie marschierten.
Um 12 Uhr mittags hatten wir die Zelte aufgebaut und nun konnten wir uns den Nachmittag über ausruhen.
Oudjda ist eine starke französische Station, »die größte an der marocanischen Grenze, ungefähr 15 km in Maroc drinnen. Die Grenze besteht übrigens nur noch auf den Karten, in Wirklichkeit sind sämtliche Stationen schon weit in Maroc verschoben. Am kommenden Tage, dem 5. Februar, wurden die Truppen die wir angekommen waren getrennt, die II. Compagnie marschierte mit ungefähr 50 Mann, welche zur 17 Comp, kommen sollten, nach Taforael etwa noch 80 km von Oudjda entfernt. Hier mußte auch ich mich von meinem Kamerad trennen, da er zur 17. Comp. kam. Selten ist mir ein Abschied so schwer geworden, hatten wir doch Freud und Leid so lange wir in Afrika waren geteilt.
Die 10. Comp, blieb in Oudjda liegen, bis weitere Befehle kommen sollten, ebenso blieben wir 13 Mann welche wir zur 4. Comp, solten da, bis ein Konvoi nach Berguent unserem zukünftigen Garnisi-onsort ging.
Am 11. Februar hatten wir der Erschießung eines Soldaten beizuwohnen. Es war ein Tirailleur und hatte dieser in Taforael 84 Kugeln ins Camp gefeuert, wobei er einen Leutnant verwundet hatte. Er war zum Tode und Degradation-Militaire verurteilt worden. Die Erschießung spielte sich wie folgt ab:
Um 5.00 Uhr morgens marschierten alle in Oudjda anwesenden Truppen zum Richtplatz hinaus. Hier angekommen wurde ein Carree, welches an einer Seite offen war gebildet. In der Mitte der offenen Seite stand der Richtpfahl. Nachdem die Aufstellung beendigt war, kam der Verurteilte in ein mit 4 Maultieren bespannten Lazarettwagen im Galopp heran. Sobald der Wagen das Carree erreicht hatte, fing die Musik einen Trauermarsch an zu spielen. Am Richtpfahl angelangt hielt der Wagen und in Begleitung von 2 Gendarmen sprang derselbe heraus. Mit einer Cigarette im Munde schritt er fest auf den Pfahl zu, kniete nieder und ließ sich an denselben anbinden. Dann traten die Gendarmen zur Seite, ein Adjutant gab mit hocherhobenen Degen, indem er ihn zur Erde senkte, das Kommando zum Feuern.
Im selben Augenblick krachten die Schüsse und von 12 Kugeln durchbohrt sank das Haupt auf seine Brust und die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne fielen auf das bleiche Antlitz des Gerichteten. Gleichzeitig sprang der Adjutant vor und gab ihm den Gnadenschuß ins Ohr.
Dann wurde zu vieren abgeschwenkt und an dem Toten vorbei defiliert, ihm zur Ehre oder uns zur Abschreckung, das kann man dahingestellt sein lassen, vielleicht für beides.
Am 13. Februar, einem Sonntag, war endlich der Tag gekommen wo wir zu unserer Comp, abmarschieren sollten. Um 5 1/2 Uhr vormittags sollten wir abmarschieren, als wir angetreten waren und zum Abmarsch bereit standen, ergab es sich, daß der Train noch nicht geladen war. Es wurde 7 Uhr bis wir endlich so weit waren und abmarschierten. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und es versprach ein heißer Tag zu werden, manch einem bangte schon vor dem Marsch, hatten wir doch 44 km den Tag zurückzulegen. Es war ein langweiliger Marsch, kein Baum, kein Strauch, zwischen endlosen Steinwüsten ging es hindurch, die Sonne brannte vom Himmel und still ging jeder seinen Weg. Einer ging hier der andere da, wem es zu schnell ging, oder nicht mehr mitkonnte, blieb zurück. Gegen 3 Uhr nachmittags erreichten wir eine Wasserstelle, ein kleiner Bach fließt hier zwischen den Bergen hindurch. Wir hatten genau 30 km zurückgelegt.
Nachdem wir abgekocht hatten, ging es gegen 5 1/2 Uhr wieder weiter, hatten wir doch 14 km zu marschieren. Vielen von uns wurde das Marschieren sehr schwer, doch was half es, mit mußten wir doch. Jetzt kam erst der schwierigste Teil des Marsches, müde wie wir waren ging der Weg nun stets steigend, zudem wurde es dunkel. Doch endlich gegen 3 1/2 Uhr abends erreichten wir den Col-Hirad-schda und mit ihm unseren Lagerplatz. Nachdem wir abgekocht hatten legten wir uns zur Ruhe unter unser Zelt nieder, waren wir doch totmüde von dem beschwerlichen Marsch.
Am anderen Morgen gegen 6 Uhr ging es wieder weiter, wir hatten 34 km zu machen und hofften gegen 4 Uhr nachmittags in Berguent einzutreffen. Gegen 2 Uhr vormittags erreichten wir einen Brunnen welcher 22 km von unserem Ziel entfernt war und wollten hier abkochen. Doch zu unserem Schreck war derselbe trocken. Wir mußten also auf unser Mittagessen verzichten und nach dem Genuß von etwas Brot und Oel-sardinen marschierten wir weiter. Heiß brannte die Sonne wieder vom Himmel und hatten wir sehr unter Durst zu leiden. Immer näher kamen wir aber unserem Ziel und nachdem wir noch ungefähr 4 km von Berguent entfernt waren, kam uns ein Tirailleur auf einem Maulesel entgegen und wollte uns Trinkwasser bringen. Doch der Sergeant der uns führte verbot uns das Wasser zu trinken und so mußten wir durstig neben dem Manne mit Wasser herlaufen. Mancher Fluch hat sich auf das Haupt des Sergeanten entladen, doch änderen konnten wir nichts daran, wollten wir uns nicht der Gefahr aussetzen, wegen Gehorsamsverweigerung bestraft zu werden.
Um 4 1/2 Uhr kamen wir in Berguent, einem armseligen Araber-Dorf inmitten afrikanischer Wildnis an. Belegt ist die Station mit 1 Comp. Legion, 1 Comp. Tirailleur, 1 Zug Spahis, und 1 Section Maschinengewehre. Hier sollten wir nun bis auf weiteres bleiben, und waren wir gerade nicht sehr erfreut, unser junges Leben hier zuzubringen .
Vom 15. Februar bis 8. Dezember haben wir nun 4 Tage in der Woche Steine zu einem Neubau getragen oder gemauert, je nachdem. Einen Tag hatten wir Marsch-Militär und einen Tag Exerzieren und Schiessen, das war unser Dienst.
Vom 9. bis 14. Dezember waren wir mit noch einer Compagnie Tirailleur und einem Zug Spahis auf Reconessanz. Wir marschierten in der Richtung auf Debdou, einer marocanischen Station welche die Franzosen gerne besetzen wollen. Nach 2 Tagesmärschen erreichten wir ein Marocanerdorf, welches jedoch von denselben geräumt war. Nachdem wir 2 Tage da gelegen hatten, marschierten wir unverrichteter Sache wieder zurück. Es war gegen 3 Uhr nachmittags und wir waren nur noch einige Kilometer von unserem Lagerplatz entfernt, als plötzlich einige Schüsse fielen. Ein Leutnant und 2 Tirail-leurs brachen verwundet zusammen, gleich schwärmten wir in Schützenlinien aus und besetzten die Höhen von wo die Schüsse gefallen waren. Doch leider hatten wir uns umsonst bemüht, denn keine Spur war mehr zu sehen von den Marocanern.
Nach ungefähr einer halben Stunde war zum Sammeln geblasen. Die Verwundeten wurden auf Maulesel geladen und dann ging es wieder weiter. Statt nun bald die so lange ersehnte Ruhe zu bekommen, mußten wir noch ungefähr gegen 20 km marschieren bevor es zum Halten kam. In der Nacht wurden die Wachen um das Biwak verstärkt doch verging sie ungestört. Morgens um 5 Uhr marschierten wir wieder weiter und gegen Mittag erreichten wir Berguent. Wir waren 6 Tage unterwegs gewesen, ohne auch nur irgendetwas bezweckt zu haben.
Am 15. Dezember bekam unsere Compagnie den Befehl, daß wir mit der 18 Comp, die Garnison wechseln sollten. Welche Freude darüber bei uns herrschte kann man sich leicht denken, sollten wir doch mal wieder eine ordentliche Garnison bekommen, nämlich NEMOURS welches der schönste Posten in der ganzen Algerie ist. Am 25. Dezember, den ersten Weihnachtstag, mußten wir unsere Baracken räumen da am 2. Weihnachtstage die 18. Compagnie eintreffen sollte.
Am 26. Dezember traf die 18. Comp, ein und am kommenden Tage marschierten wir ab. Den ersten Tag 34, den zweiten 14 und den dritten Tag 30 km und trafen wir am 28. Dezember in Oudjda ein, wo wir liegen blieben bis Sylvester. Am ersten Neujahrstage marschierten wir wieder weiter nach Marnia, am 2. Januar Marnia-Nedrohmah und am 3. Januar trafen wir in Nemours ein.
Wir waren in unseren Erwartungen nicht getäuscht, denn Nemours ist ein schönes Städtchen, mitten zwischen hohen Bergen am mittelländischen Meer gelegen. Schöne Gärten mit vielen Orangenbäumen, welche sich unter den reifen Früchten bogen, gaben ihm ein freundliches Aussehen. Hier hoffte ich auch meinen schon so lange gehegten Wunsch, der Legion zu entfliehen, zur Ausführung zu bringen, standen wir hier doch nicht mehr unter den strengen Kriegsgesetzen wie in Maroc.
Am 2. Januar mittags kam ein Kamerad, ein Pfälzer aus St. Ingbert zu mir und frug mich, ob ich am Abend mit desertieren wolle. Ich hatte Vertrauen zu ihm, da er schon 2 Jahre Gefängnis abgemacht hatte, weil er 1908 bei der Massendesertation im zweiten Regiment mit bei gewesen war und sagte ja. Ohne weiter ein Wort von unserem Plan zu sagen, verließen wir am Abend gegen 6 Uhr die Kaserne, kauften uns Brot und Datteln ein und nachdem wir uns noch mit einer Feldflasche versehen hatten verließen wir die Stadt. Wir hatten uns vorgenommen, stets das Meer zum Wegweiser zu nehmen und die Landstraße so viel als möglich zu meiden. Wohl war der Weg bedeutend schwieriger und kostete es viele Mühe die hohen Berge zu erklimmen. Die erste Nacht verging ohne irgend einen Zwischenfall und als es Tag wurde suchten wir uns zwischen den Bergen direkt am Meer ein Versteck wo wir den Tag verbrachten. Den ganzen Tag getrauten wir uns nicht aus unserem Versteck hervor, aus Furcht evtl. von Arabern entdeckt zu werden. Als die Sonne endlich untergegangen war, brachen wir wieder auf.
Wir gingen direkt am Meer entlang, doch kaum waren wir 1/4 Stunde gegangen, und wir um eine Felsecke herumkamen, als wir plötzlich die Flintenläufe zweier Marocaner auf uns gerichtet sahen. Waffen hatten wir keine bei uns und zur Flucht war es zu spät, so daß wir uns wohl oder übel darin schicken mußten. Nachdem sie uns alle entbehrlichen Sachen an Kleidungsstücken etc. weggenommen hatten ließen sie uns passieren. Vorher beschrieben sie uns noch den Weg, den wir einschlagen sollten und gaben uns ihr Brot mit auf den Weg. Wir waren froh, so gut davongekommen zu sein und entfernten uns so schnell wie möglich. Der Rest der Nacht verging ohne weitere Störung, ebenso der kommende Tag. Gegen Abend brachen wir wieder auf, wir hatten die letzte Etappe vor uns und hofften uns gegen Morgen in Sicherheit zu befinden. Gegen 9 Uhr abends passierten wir Port Say das letzte französische Dorf, indem wir mit großem Bogen herumgingen. Jetzt kamen wir in eine Ebene, der gefährlichste Teil der ganzen Flucht, denn hier mußten wir uns vorsehen vor den Gum-Patrouillen (eingeborene Gendarmerie). Einmal ritt eine Patrouille auf 20 Schritt an uns vorbei, nur indem wir uns platt auf den Erdboden warfen, hatten wir es zu verdanken, daß wir nicht von ihr gesehen wurden.
Dann ging es weiter, bis wir unverhofft gegen 2 Uhr morgens an den Mulaya Fluß kamen. Dieses war das größte Hindernis, denn bei ungefähr 150 Meter Breite hatte derselbe eine sehr starke Strömung, zudem war mein Kamerad des Schwimmens unkundig und zum Durchwaten war er zu tief. Ein Zurück gab es nicht mehr, denn am Ufer angekommen waren wir so gut wie gerettet.
Wir gaben uns also daran, ein Floß zu bauen, indem wir drei angeschwemmte Baumstämme mit unseren Sentueren, Krawatten und Taschentüchern zusammenknoteten. Dann zogen wir uns aus, banden unsere Kleidungsstücke in ein Bündel zusammen oben drauf und dann ging es hinein in die eiskalte Flut, indem sich mein Kamerad mit auf das Floß setzte. Ungefähr in der Mitte kippte jedoch durch die starke Strömung das Floß um und mit nur großer Mühe erreichten wir nach 10 Minuten halb erstarrt, mehr tot wie lebendig das gegenseitige Ufer, wir waren gerettet.
Leider waren unsere ganzen Kleider naß geworden und wir gezwungen, in denselben noch ungefähr 6 km zu laufen bis wir an Alfa kamen wovon wir ein Feuer machen konnten. Ich hatte zufällig noch ein einziges Streichholz in der Mütze stecken welches nicht naß geworden war und hiermit machten wir ein Feuer. Nach etwa 2 Stunden hatten wir unsere Kleider trocken und marschierten nun weiter. Mit Anbruch des Tages erreichten wir den ersten spanischen Posten "Caba de Agua" wo wir in Sicherheit waren.
Hier verblieben wir vom 14. Januar bis 26. Januar bis von den französischen Behörden die Bestätigung da war, daß wir kein Verbrechen begangen hatten, wegen welchem wir ausgeliefert werden könnten. Am 27. Januar wurden wir mit einem spanischen Militärschiff nach Meilila und am 28. Januar mit einem Passagierdampfer von Meilila nach Malaga befördert, wo wir am 29. Januar dem deutschen Konsulat übergeben und auf freien Fuß gesetzt wurden.
Dies ist der Verlauf meiner Dienstzeit bei der französischen Fremdenlegion, obwohl dieselbe nur ein halbes Jahr gedauert hatte, habe ich in dieser Zeit so viel mitgemacht, daß mir für alle Zeiten die Lust dazu vergangen ist, jemals französischen Boden wieder zu betreten.
Doch muß man nicht glauben, daß jedem die Flucht so gut gelingt wie uns, wie manch einer wird von den Marocanern getötet oder zurückgebracht .
Ich will nur kurz an den Fall erinnern, welcher 3 jungen Deutschen von der Compagnie passiert ist. Es war im September 1900 als diese von El Aioun aus desertierten und in dem Riffgebiet nahe der spanischen Grenze von Marocanern ergriffen wurden. Zwei sind gleich getötet worden und der dritte von ihnen, mit Namen Held, konnte sich mit zwei Schüssen, einen im Bein und einen in die Hüfte retten, wurde jedoch von der Gendarmerie ergriffen und nach Oudjda zurücktransportiert. Hier hat er, obwohl er ein Krüppel ist und auf Krücken gehen muß, noch 5 Jahre Travau Force bekommen.
Wir schwer es ist zu desertieren, ist aus nachstehenden Zeilen, welche mir von einem Kameraden zugegangen sind und welche ich wörtlich wiedergeben, zu ersehen.
NEMOURS den 25. März 1911
Lieber Willy.
Herzlichen Dank für Deine Ib. Karten sowie für Deinen Brief. Ich
bitte Dich, verzeihe daß ich Dich so vernachlässigt habe und Dir
erst heute nach Erhalt Deiner zweiten Karte antworte. Sei jedoch versichert, daß ich Dich nicht vergessen habe, und daß ich täglich Deiner gedenke. Du weißt, wie es in der Legion zugeht. Gewöhnlich fehlt das Geld auf Marken. Später zweifeltete ich, ob Du Dich überhaupt noch in Malaga befinden wirst und noch später war ich auf Pump. Bin eben erst 14 Tage aus der Kiste heraus. Na ich will doch lieber alles der Reihe nach erzählen, Du wirst staunen.
Also als ihr abgeschwommen seid, wurdet Ihr noch denselben Abend gemeldet und wahrscheinlich auch nach Port Say signalisiert. Ich bedauerte Dich damals, da Ihr ja miserables Wetter gehabt haben müßt. Nachgeforscht, wer Euch an dem kritischen Abend gesehen etc., wurde nicht. Sonntags gingen Unger, Diemunsch, Peschkes (ist hier während seines Dreissigers gestorben) und Fleschli auf Pump. Kamen bis Port Say, wurden dort aufgegriffen. Resultat jeder 30 Peitschenschläge.
Eines montags ließen Seeber, Niessen, Hay, Rot und Kaspar ein Fischerboot ins Meer und suchten das Weite. Man bemerkte sie jedoch, fuhr ihnen nach und schoß auf sie, doch vergebens. In der Höhe von Port Say waren sie jedoch infolge des hohen Seegangs gezwungen zu landen. Gefangen und zurück gebracht. Niessen und Hay Disziplin, die anderen jeder einen Dreissiger.
Nachwort
Mein Grossvater Willy lebete in Remscheid und träumte als Jugendlicher eine Lehre in Paris zu machen. Bei der damaligen politischen Situation war sein Vater aber strikt dagegen und meldete seinen Sohn als Freiwilligen bei der kaiserlichen Armee an. Er wurde in Elsass Lotringen in der Nähe der französischen Grenze stationiert, wo Werber der Fremdenlegion nach unzufriedenen deutschen Soldaten Ausschau hielten. Nachdem er der Legion beigetreten war, galt er in Deutschland als Fahnenflüchtig, worauf die Todesstrafe stand. Damit war eine Rückkehr in die Heimat zeitlebens unmöglich geworden. Auch der Traum von der Lehre in Paris war nach der Flucht aus der Legion ausgeträumt, da er nun auch in Frankreich als Fahnenflüchtiger galt. So endete sein Abenteuer in der Legion damit, dass er in Spanien leben musste und weder seine Heimat noch Paris je wiedersah.
Tag der Veröffentlichung: 11.09.2009
Alle Rechte vorbehalten