Abend in San Francisco
[August 1997]
Noch am Abend trete ich vor die Tür des Hotels
sofort strömt mir der Wind um die Schläfen
und gebannt hänge ich im Getriebe
der 2. Straße. Die gebrochene Abendsonne
wirft Waffelmuster zu Boden
Der Bell-Captain hat den imperativen Lockruf
zwischen den Zähnen. Die metallene Flöte
trägt weit und lässt weiße Limos herbeischweben.
Ich gehe zu Fuß. Durch Chinatown
gelange ich schwitzend zu Fisherman's Wharf
Seelöwen stinken an Pier 39 zu Hunderten
gegen den Wind. Touristen ohne Geruchssinn
staunen zu Tausenden
Alcatraz blinkt hinter den Möwen
und kreuzenden Seglern
Bettler! Sie überfluten die Stadt –
ihr Verhältnis zu Schwulen ist tausend zu eins
oder größer. Verloren, vom Leben zerstörte Gesichter
lungern sie überall
Der Einkaufswagen, an dem sie hängen
trägt ihre ganze Habe. Für Hoffnungen
bleibt keine Ablage
Einige schmelzen dein Gewissen
bis auf den Grund. Andere
hadern im Selbstgespräch
Wenn sie dich anblicken
flehen sie nicht. Erloschen
streunen sie weiter wie vergessene Tiere...
Sie lehnen wie Unrat. Auf den Bänken
versinken manche in die Schatten der Bäume
Niemand, der sie hetzt. Gleichgültig
hasten die Geschäftigen durch ragende Blocks
von deren Zinnen Stars und Stripes wehen
Die Abendsonne
spiegelt sich in den gläsernen Flächen
Oben ist Licht. Inmitten der Schluchten
kehre ich heim in mein Refugium
Man hält mir die Tür auf
Spaltung
[Gewidmet dem Projekt ‚Sonnensegel’
von pro mente in Wien]
Wenn sich das Dunkle in mir teilt
und aus mir herausdrängt
das mich umzingelt
wie tausend flatternde Fächer
dann höre ich wieder die Meister
die den einsamen Namen meiner Bestimmung flüstern
unablässig wälzen sie ihn im Mund
und sie lassen nie nach
bis zur Erfüllung ihrer Wünsche
Mir allein ist es auferlegt
alles zu tun
zu ihrer Zufriedenheit
Mit ihrem ständigen Wispern
lassen sie die Furcht simmern
im Kessel meines Schädels
bis das weiche Innere versteinert
Dann bedrängen mich wieder
die Stimmen der Meute
und ihre Trommeln
die in meiner Verwirrung widerhallen
wie die stampfenden Füße von Zombies
Wieder bin ich verraten
weil der dritte Hahn kräht
Warum hörst du sie nicht
die mir ewig dieselben Fragen stellen
und Irrwege anbieten
in schwarzer Freundschaft
als einzigen Ausweg ?
Das Dröhnen des Todes lass ich für heute vorbei
dein letztes Lächeln form ich zum Schleier
der uns unsichtbar macht
aus deinem Schluchzen schnitze ich
die Maske der Nacht
die uns unerkannt geleitet
Ich bitte nur dich: Bleibe bei mir
Station 6/2
(Beobachtungen aus nächster Nähe; 2006 [Fragment])
I.
Seine Augen heute dunkel vom Traurigsein
Mundwinkel die ihren Weg nach unten
alleine finden wie ehedem
den verdunkelten Gang
zur kalten Kammer unter dem Herzen
folgend der Spur des Zeigefingers
der schon wieder nach innen weist
in die Leere wo sich Hase und Fuchs
nie mehr begegnet sind
und die Freude vertrieben wurde
Angefüllt mit dem Sand der Tränen
das kalte Herz
ohne Ruhe vor dem Tag
der den bleiernen Schlaf ersetzt
doch nur Angst vor den Schatten spendet
und das flatternde blutleere Organ im Rippenkäfig
will kein Sitz der Seele mehr sein
in diesen Zeiten wo nur eins schlimmer ist
als jede Qual – das farblose Nichts
II.
Schon wieder ein Neuzugang:
Gramgebeugt ein Häufchen Elend
das keine Erlösung mehr will
zerborstene Frau über dreißig:
Geschwiegen
gelitten
gestorben
jetzt im erloschenen Antlitz nur Leere
die schrecklicher ist
als alle Fratzen der Angst
Wer hier noch Land sieht
muss verrückt sein
oder gläubig
oder Arzt ohne Grenzen
Babylonische Reiter
[Hommage an S. J.]
Gott, sind wir klüger geworden
wir trümmern Atom auf Atoll
die Kühnheit, im Großen zu morden
das Fortschrittsmaß machen wir voll
Im Sattel: Gespenst über Sphären
im Galopp reißt’s uns weiter ins All
die Zweifler - wir lassen sie mähren
auf dem Giebel der Welt ragt der Phall
‘Forever young’
hören wir’s plärren
seit Alphaville sind wir bereit
und rosshoch jagen wir Herren
es ruft die Unsterblichkeit
Wir reiten den Nachthengst und schnellen
den Horizonten voraus
die Hufe sie wirbeln und prellen
wie Feuerstein auf unser Haus
Was unten war, jetzt ist es oben
kopfüber - des Bockigen Kreuz
die Welt aus den Angeln gehoben
die Fugen gesprengt - und wen reut’s ?
Die Meere versengt und zerstoben
die Kometen verjagt mit Geheul
Wir thronen und fühlen uns oben
wenn die Kruppe die Sterne verbeult
Zum Amoklauf sind wir geboren
als Mensch, der sich selber genügt
Nur weiter - dem Wahnsinn die Sporen
noch hat uns kein Schöpfer gerügt!
Event Horizon
Die Welt ist eine Scheibe geworden
über einem riesigen schwarzen Loch
in dem alle Gräueltaten verschwinden
Von der Sonne aus
wirkt sie jetzt flach wie ein Schatten
in dem die Zeit stehen blieb
während sie doch auf der Erde dahinrast
so dass niemand genug davon findet
um irgendetwas zu verändern
So bleibt alles in der Schwebe
im Sog hinter dem Ereignishorizont
wo sich nichts mehr ereignet
wo die Taten rotten neben den Untaten
die Schreie neben dem Schweigen
und neben dem vielen
was noch getan und unterlassen werden könnte
Doch nichts deutet darauf hin
daß dieses Loch
jemals die Erde verschlingt
BlutRausch
[Für die Opfer und Angehörigen des 11. September 2001]
Unsere Tage werden schamloser
von Nacht zu Nacht
sie tarnen unseren Blutrausch
als Abendröte
waschen sich im unendlichen Blau
der Meere rein
aus denen sie aufsteigen
in der Frühe
ohne die Schamröte
ihres Morgens zu verbergen
Das Kainsmal des Menschen
ist hoffähig geworden
unter den Augen dessen
der vorgibt bei ihm zu sein
bis an der Welt Ende
Denn in den Köpfen und Herzen der Frömmler
blüht noch rasend die Steinzeit
das rast in den Herzen
das rast in den Mauern
von Köpfen und Häusern
das erstickt Schreie von Menschenopfern
während Metall kreischt
und brennt mit zweitausend Grad
zu bizarren Skeletten
die wie Mahnmale des Bösen
die Hinterbliebenen verhöhnen
und ihre Handlanger sind unter uns
Aber noch ist der Mond nicht besudelt:
In den Fluten des Meeres
in reinerem Licht
badet der Tag Nacht für Nacht
sein Antlitz in Unschuld
weit weg von den Todesstreifen
die sich alles Lebendigen entledigt haben
BlutWelt
(Der Ruf des letzten Propheten)
Willkommen in der blutigen Welt:
Die nach Osten buckeln
küssen ihre Waffen wie Kinder
und die an der ewigen Mauer klagen
sind verstockt bis ins steinige Herz
So vielen wurde nur Hass in die Wiege gelegt
ihre Puppen heißen nach dem Zorn ihrer Väter
dem die Söhne ins gleiche Verderben folgen
denn allen wurde die Seligkeit versprochen
zu Füßen eines barmherzigen Schöpfers
dem sie in ihrem und im Blut ihrer Feinde entgegenwaten
und ihm opfern sie jeden Verräter
so wie die Analphabeten in den staubigen Einöden
die zu Waffen kamen. Ihre Namen
schreiben sie mit Blei, Blut und Erde --
oder nach dem, was die Witwen und Waisen ihnen nachrufen
Bis vielleicht der Tag kommt
wo sich die Unzahl der Toten
erhebt wie ein unterirdisches Mahnmal
eine grausige Welle berstender Schädel
knöcherne Pflugscharen
gespannt vor die gebogenen Rechen der Rippen
die uns unterpflügen werden
weil wir keine Rechenschaft geben können
über das Unverzeihliche, dessen wir uns nie geschämt
über das Unvermeidliche, das wir nicht verändert
und über die Gleichgültigkeit in unseren Gedanken
die jeder Beschreibung spottet
Wir alle hätten es wissen können --
unsere Augen waren Capas, Nachtweys und viele andere
aber selbst vernetzt bleiben wir blind
denn nur Geschwätzigkeit macht sich breit
in dem, was uns verbinden sollte
während urbis et orbis wie früher
zum Kreuze ihres Heilands kriechen
Ich rate euch: betet lieber zu den Toten
wenn ihr schon beten müsst
damit sie euch vorläufig verschonen
denn einen Heiland werdet ihr vergebens erwarten --
oder hätte sich jemals einer gezeigt
im Dunstkreis der Heilsrufer
um Leiden zu lindern
oder Tränen zu trocknen
wo die Hoffnung abhanden kam ?
Das Salz der Erde stammt von euren Tränen
euer Brot werdet ihr miteinander brechen
oder ihr geht weiter zugrunde
auf die gewohnte menschliche Art
die ihre Pfunde wuchern lässt auf der Bank
wo eure Gleichgültigkeit
mit der Überweisung an Amnesty abgezinst wird
Und wenn Ihr am Ende seid
hofft ihr immer auf diesen Gevatter mit seinem Ewigen Leben
als wäre der euer Erlöser
Ich sehe nur, er meidet die Völkermörder und Tyrannen
genauso wie die Gefolterten, die sich nach ihm sehnen
und nach ihm wird sowieso nichts mehr sein
Deshalb glaubt mir wenigstens das eine:
Euer Dasein wird im Diesseits vollendet !
Auschwitz
I. Schädelstätte
Schienenstränge aus endlosen Weiten
Spuren der Zeit am Leib der Erde
und im Gedächtnis der Welt
Gerichtet auf das eine, das erdschwere Ziel
jene Endlösung, immer noch weit entfernt
damals im Land unter dem Haken--
kein Kreuz an den Schneisen kein Stern
wo man Sterbende aus den Waggons kippt
wie anderen namenlosen Ballast
Für das letzte Lager nur halbwegs Lebendige
noch gehfähig für die Triage zwischen den Rampen
doch verdammt sie alle, sofort oder später
Namen zu Nummern und Rauch
über der Schädelstätte
wo Überlebende
für immer gezeichnet werden
II. In Auschwitz
[Klage und Hoffnung]
Nie mehr schlafen
keine Stunde, keinen Zyklus
und keinen Tag
vergasen
verbrennen
verscharren
Die dunkle Eisenschrift
zerfetzt den Himmel:
Arbeit macht frei
!
Kann es noch Lachen geben
diesseits der Öfen
die weiter brennen in uns ?
Warten auf jene
die alles heilt:
Zeit unserer Kinder
Jene die auf Dauer alles erlässt
außer Verantwortung:
Kein Sand im Getriebe der Zeit –
Asche
vergast
verbrannt
verscharrt
Pflicht bleibt uns
Vergangenheit
ohne Vergessen
Texte: Copyright (poems, photographs) by Lobisch-Delija
Tag der Veröffentlichung: 18.12.2008
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Informationen zum Autor u. Bibliographie unter http://www.lobisch-delija.de/html/bibliographie.html