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Meine Oma, mein Vater ... und die NPD




Mein Vater war nach Kriegsende zum überzeugten Demokraten geworden, erzog seine Söhne in diesem Geist, versuchte es bei seiner Frau und natürlich auch bei seiner Mutter. Diese hatte, wie fast alle Frauen dieser Generation, eine dezidierte Auffassung von Politik, die sich auf die einmal geäußerten Worte ihres Mannes gründete: „In de Bollidik werd schon genuch Bleedsinn geschwätzt, da dätst du grad noch fehle, Elliche. Kimmer disch net drum, isch saach derr schon, was rischdisch is!“

Kurz nach dem Krieg gab es schon wieder rechte Splitterparteien, die mein Großvater Adolf aber zu Recht als völlig bedeutungslos beurteilte. Lieber zog er es vor, sich unter die Vormundschaft der CDU zu begeben, die mit ihrem Wahlslogan „Keine Experimente!“ für dauerhaften Erfolg in der Politik sorgen wollte. Na ja, mit dieser Partei war er ganz zufrieden und wählte sie auch. Was er auch von seiner Elli erwartete. Schließlich war er einst pensionsberechtigter Beamter der gehobenen Laufbahn gewesen und konnte sich, seiner Meinung nach, keine Extravaganzen leisten. Aber die Elli, hatte, wenn sie schon keinen eigenen Kopf haben durfte, so doch die Neigung, ab und zu mal die Köpfe anderer aufzuprobieren. Nach seinem Tod im Jahr 1955 lebte sie zunächst nach dem politischen Vorbild ihres Adolf erst einmal so dahin und dachte gar nicht daran, etwas anderes als die CDU zu wählen.

Dann aber tauchte wieder einmal die auch in Gießen lebende Tante Johanna bei ihr auf, die mitsamt ihrem Ehemann, meinem Nazi-Patenonkel „Kall“ leider zu den unbelehrbaren Nazis gehörte, auch und besonders nach dem Krieg. Und 1966 gab es schon, seit einigen Jahren, die NPD in der deutschen Parteienlandschaft, die leider durchaus erfolgreich war und bei der kommenden Landtagswahl für eine unangenehme Überraschung zu sorgen drohte.

Von meinem Vater wurden die neuen Altnazis recht eindeutig qualifiziert: „Die bleede Säukrippel, die elende! Die solle bloß ihr Maul net so weid uffreiße! Die hawwe schon genuch Unheil in de ganz Weld aagericht!!“

Onkel Karl weilte seit zwei Jahren nicht mehr unter den Lebenden und hatte seine Vorliebe für die neue Politik der alten Nazis mit ins Grab genommen – nicht ohne seine Frau vorher noch gehörig ins Gebet genommen zu haben. Die Ehe von Karl und Johanna war kinderlos geblieben, so daß meine Großtante genügend Zeit und Gelegenheit hatte, ihre Mitmenschen über die Gefahren aufzuklären, die der jungen Bundesrepublik ihrer Meinung nach drohten.

Die alten Damen kamen ins Gespräch, so über dies und das – und weil eben keine Ehemänner mehr da waren, die das durch ein strammes Machtwort hätten verhindern können – wurde ihr Schwätzchen auch auf die neue Politik ausgedehnt. „Ach, Ellische“, seufzte die Tante Johanna und setzt ihre Kaffeetasse ab, „Merr weiß ja gar net, was aus unserm Deutschland noch wern soll! „De Adenauer hat ja noch Eifluss gehabt, um die deutsche Sach in e rischdisch Rischtung zu lenke, net wahr. Awwer de Erhard, de Erhard ... Der ist derr doch zu weisch, viel zu weisch. Mit dem macht des Pack“ (damit meinte sie natürlich die Sozialdemokraten) „doch was es will! Ellische, isch saach derr aans: Des geht nemmer lang gut, des geht nemmer lang gut! Die Rode hawwe immer mehr ze saache un am End ...“ – Tante Johanna erhob ihre Stimme, und meine Großmutter zuckte entsetzt zusammen – „ ... am End, da sin die Rode widder am Ruder! Un steuern Deutschland in de Abgrund. Ellische:“ Sie durchbohrte meine Oma förmlich mit ihren Blicken und brachte sie zu der Überzeugung, dass es an ihr, wirklich nur an ihr liege, das Vaterland zu retten. Des lischt jetzt an uns! Aach an dir!“

Oma überlegte. Ihr Ehemann Adolf hatte ja immer klare Ansagen (vor und nach Hitler) gemacht: „Ach, Ellische – unsern Kaiser ... des war en Mann! Wann der sein Schnorres gestriche hat und gesacht hat. Es is erreicht! Ach, Ellische ... “ Für die14 Jahre der Weimarer Republik hatte er von Beginn an nur ein Achselzucken der Verachtung übrig: „Als Beamder, duh isch mei Pflischt ... awwer hinner dem Staat kann isch net stehn ... Sozialdemokrate! Kommuniste! Naa, naa, Ellische ... Wart's nur ab. Wart's nur ab! Des sin derr Leut, die wo em deutsche Staat net gut dun. Gar net gut dun. ... Glaab mer des, Ellische!“ Und nach dem Krieg, begab er sich in die Obhut von Konrad Adenauer („Da waaß merr wenichstens, woran merr is, Ellische!“)

Damals, im Jahr 1966 standen am Sonntag, dem 6. November die hessischen Landtagswahlen vor der Tür. Die NPD hatte gewaltig die Werbetrommel gerührt, und es gab noch sehr viele Deutsche, die den Krieg und dessen Ausgang noch nicht so recht verwunden hatten.
Meiner Oma war das alles ziemlich wurscht; sie war, wie Millionen andere, froh, den Krieg und die Folgen unbeschadet überstanden zu haben und machte sich um die Politik nach dem Krieg keine Gedanken. Ihr Adolf hatte ihr alles erklärt, und ihr Adolf hatte immer recht, das kannte sie nicht anders. Aber ihr Adolf war jetzt schon 12 Jahre tot, und die Tante Johanna immerhin ihre Schwägerin. Kurz und gut: Da sie meinen Vater sich nicht zu fragen getraute, was er von der NPD hielt, weil sie dessen Meinung ohnehin kannte („Biste verrickt, Mudder? Schlimm genuch, deß die kriminelle Strolche mööschlischerweise in de Landtaach komme. Des deet noch fehle, deß isch die aach noch wähle deet“), beschloss sie, der Tante Johanna bei der Wahl zu folgen und die NPD zu wählen.

Der Zufall wollte es, dass meine Mutter wieder einmal beschlossen hatte, an diesem Sonntag nach Gießen zu fahren, um die Oma zu besuchen. Diese „Vorschläge“ liefen immer nach dem gleichen Schema ab. Meine Mutter pflegte Anfang der Woche zu sagen: „Kalleinz, mer misse am Sonndaach widder ma dei Mudder besuche!“ und mein Vater verzog das Gesicht: „Schon widder? Isch maan als, des hätt noch e bissi Zeit!“

Meine Mutter hatte das nun aber so beschlossen, und wir fuhren dann doch. In Gießen angekommen hatte die Oma schon den Kaffeetisch (mit dem guten Meißner Porzellan) gedeckt und wartete nun auf uns, um sich dann von ihrem „Kalleinz“ zum Wahllokal chauffieren zu lassen. Nachher sollte dann gemütlich Kaffee getrunken werden (mit dem guten Meißner Porzellan).

Mein Vater lud uns kurzerhand alle ins Auto – wir zwei „Buwe“ quetschten uns mit meiner Mutter hinten rein, meine Oma setzte sich vorne neben meinen Vater, und so steuerten wir das Wahllokal an.

Die Oma machte von ihrem Wahlrecht Gebrauch, und danach strebten wir alle zufrieden wieder heimwärts. Meinem Vater wäre es niemals eingefallen, seine Mutter zu fragen, „No, was hasten eischentlich gewählt?“ Das Wahlgeheimnis galt ihm als gute demokratische Tradition, und wer freiwillig nicht sagen mochte, was er gewählt hatte, ließ es eben sein.

Aber hatte nicht mit meiner jugendlichen Wißbegierde gerechnet. Während des Kaffeetrinkens (mit dem guten Meißner Porzellan) ließ ich meine Stimme vernehmen: „No, Omma ... Was hast'n du eichentlich gewählt?“ Mein Vater öffnete schon den Mund, um zu sagen, dass das allein die Angelegenheit von der Oma wäre und ich solle gefälligst nicht so neugierig sein ... aber da war es schon zu spät.

„No ja, ich hab emaa was annerst gewählt wie die CDU. Die is ja werklich net mehr des, was se ma war. Hätt mein Adolf aach gesacht. Un die Johanna hat aach gemeint, es dät um Deitschland gehen. Un da hab isch ewe die NPD gewählt. Net wahr.“

Mein Vater glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. „Du hast ... du hast die NPD gewählt, Mudder?“ brachte er mühsam hervor. Dann fing er an, den Kopf zu schütteln und hörte mindestens fünf Minuten lang nicht damit auf. „Mein Gott!“, sagte er. „Da preedisch isch dene Buwe mei Lebdaach, sie sollte net die gleische Fehler mache wie isch, un mei eische Mudder geht her un mescht sowas!“

„Isch habs de Johanna gleisch gesacht, dess du degeesche sei werst“, maulte meine Oma. „Himmelaaschunkreuzgewidderdunner!“ Mein Vater haute wütend auf den Tisch, was bei ihm wirklich selten genug vorkam. „Nadierlich bin da degeesche! Des Gesindel hat uns die ganze Scheiße un de Kriesch eingebrockt, un statt dem merr gescheid worn wärn, da gehen se her un mache die aale Leut verrickt!“
„Awwer, Heinzche! Net vor de Buwe! Un was fir aale Leu meinst'n du eischentlisch?““

Man merkte im Übrigen: Politik und Sex gehörten für sie in die gleiche Kategorie – nicht vor den Kindern drüber reden.

„Isch saach derr nur aans, Mudder“ - und für eine kleine Weile vergass er seine demokratischen Prinzipien, „wann de des noch emaal machst, dann bin isch es letzte maaa hier bei derr gewese! So, un jetzt gehen merr. Awwer vorher fahrn merr noch emaa bei de Tante Johanna vorbei. Die soll mir ma scheen erklärn, wie se dadezu kommt, dir sowas eizuredde, die ald Spinatwachtel!“

„Ei, Kalleinz, jetzt isses abber genuch!“ mischte sich meine Mutter mild entrüstet ein.
„Mir gehn jetzt besser, Omma, de Kalleinz werd sich schon widder beruhische! Komm, Kalleinz, kommt ihr Buwe! Also, mach's gud, bis in vier Woche!“

Auf der Rückfahrt durch Gießen gelang es meiner Mutter, ihren Mann davon abzubringen, die Tante Johanna noch einmal aufzusuchen. Ich bedauerte das schon ein bisschen.
Der Auftritt wäre nicht von schlechten Eltern gewesen ...

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Tag der Veröffentlichung: 28.12.2009

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