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„Der Willy Birgel“, so sagte mein Großvater nach einer längeren Debatte, die wie immer beim Weygand, ihrer Stammkneipe in Hanau-Wolfgang stattfand, „des is iwwerhaupt kein Schauspieler von echtem Schrot und Korn. Des ist überhaupt kein richt’cher Mann! So wie der spricht ... Ich sag’s euch, wie’s is: Des is en alberne Lackaff’, sonst nix!!“

Der kleine Hans Bormann, ein Arbeitskollege von Jakob, der wie er bei Degussa arbeitete und nur unwesentlich älter war als Jakob Vinson, führte sein Bierglas zum Munde und nahm einen tiefen Schluck. „Sag’ des net so laut, Jakob“ meinte er. „Immerhin isser vor drei Johrn vom Goebbels zum ‚Staatsschauspieler’ beferrdert worn. No, un die ganze Rolle, die wo er jetzt spielt – da is doch werklich nix draa auszusetze!“

Jakob wehrte ärgerlich ab. „Ach was, mir drei wo mir hier sitze, sin alleweil bessere Nationalsozialiste als wie der Kerl do! Des is doch nur, weil err als Schauspieler so beriehmt is!“

„Na ja“, mischte sich Gerd Hicks, der dritte im Bunde ein, der in der Firma Botendienste versah und davon mehr schlecht als recht lebte. „In dem neue Film, wo er jetzt mitspielt, soll err sich eichentlisch ganz gut mache. Isch hab en zwar noch net gesehe, abber ... Wie haaßt er gleich ... wart emaa ... ‚Ich reite für Deutschland’. Der soll ja ... ‚staatspolitisch besonnerscht wertvoll’ soll der sein. En Rittmeister duht der Willy Birschel da spiele, der wo nix annerschder als wie Deutschland im Kopp hat und dann ...“

„Ach was“, meinte Jakob. „Der Film heißt sowieso annerst ... Moment emaa ... ich hab’s gleich ... ja ... ‚ ... reitet für Deutschland’ schreibt sich der. Es is werklich e Schand, den Name von unserm Vadderland fir sowas zu missbrauche!“
„Willste net emaa uff de Hauptstrass’ von Wolfgang en Protestzug geeschen Willy Birgel aafiehrn, Jakob?“ bemerkte Bormann spitz. „Des wär doch wenigstens was!“
„No, ja“, brummte Jakob vor sich hin. „No ja. Das wär’ net die schlechts’t Idee“

Als er am folgenden Abend mit seiner Paula allein zu Hause war –Hilde und Herta, die beiden erwachsenen Töchter, waren auf einer Festivität beim „Weygand“ – sagte er unversehens zu ihr: „Du, Paula, saach doch emaal ... was hältst du eischentlich vom Willy Birgel? Dem ... dem Schauspieler?“

In Paulas Augen kam ein verträumter Ausdruck. Sie ließ die Hände in den Nähkorb sinken und fragte dann ganz praktisch. „Willy Birgel? De Willy Birgel? Willste mich dann ins Kino eilade, Jakob?“

Jakob wurde ärgerlich. Ja, doch ... nein ... aber ...darum geht’s doch jetzt gar net. Saach mir nur mal, was de über den so denkst!“

Paulas Augen wurden noch um einen Grad träumerischer. „Also, wann de die Wahrheit wisse willst, Jakob ... derfst merr awwer net bees sei ... von dem Willy Birgel, so wie der die Fraue behannelt, da kennt ihr Mannsbilder euch alleweil e Scheib von abschneide. Ja, so sollt sich en Mann benemme ... grad so ...“ Ein sehnsüchtiger Seufzer folgte dieser Meinungsäußerung.

Jakob – der noch nie zu den sanftmütigen Männern gezählt hatte – kriegte seine Wut. „So!“ brüllte er mit Unheil verkündender Stimme. „So ist des also!“ Sprang auf, rannte zur Tür und knallte sie hinter sich zu.
Zwei Tage später trafen sich die drei wieder beim Weygand. Redeten zunächst über ganz andere Dinge, bis der kleine Hans Bormann den Jakob unvermittelt fragte: „Saach emaa, Jakob ... Mir hawwe doch neulich über den Willy Birgel geschwätzt, net wahr. Dätste disch traue dem emaa ... no ja, wolle mer ma saache, dem emaa so rischdisch vor de Koffer zu scheiße?!“

Jakob wurde misstrauisch. „Was willste dann eischentlich, hm? Soll ich mich vielleicht zum Narr’n mache? Obwohl ... wann ich’s recht bedenk ...“

Er fuhr sich mit der Hand über die Haare und grinste. Das hatte bei Jakob immer was zu bedeuten.

Kurz und gut, das Ganze ging schließlich so aus: In einem Kino in Frankfurt wurde der Film „ ... reitet für Deutschland“ schließlich wieder mal aufs Programm gesetzt. Und die Stammtischbrüder schlossen folgende Wette ab: Der Jakob, der muss während der Vorstellung im Kino aufstehen und den Willy Birgel lautstark madig machen.

„Awwer, Jakob, heerste: Des muss de ganze Kino-Saal mit krische, dess de den Willy Birgel net leide kannst. Dann kriehste von uns fer vier Woche dein Schoppe hier beim Weygand bezahlt! Un wann de dess net meschst, Jakob ... dann ... ja, dann ...“ Hans Bormann grinste verstohlen und überließ es Gerd Hicks, den angefangenen Satz zu vollenden.

„Dann, Jakob“ fuhr der fort, „gehste ab sofort mit deiner Paula in die Abendvorstellung von jedem Willy-Birgel-Film, egal ob des en aale oder ob’s en neue is. Dei ganz Lewe lang, Jakob. Iwwerleesch derr des gut! No, un ...“ – er machte eine kleine Pause, bevor er den nächsten Satz folgen ließ – „dess de uns mindestens ein Monat lang hier freihalde duhst, des is sowieso gewiss!“

Jakob war das Grinsen vergangen. Mit seiner Paula in jeden Willy-Birgel-Film stiefeln zu müssen ... Er schüttelte sich bei dieser Vorstellung.

Das Ganze würde dann so ablaufen: Seine Paula und die beiden Töchter Hilde und Herta sollten von dieser Wette und ihren möglichen Folgen gar nichts erfahren. Im Kino zu sitzen und den wilden Mann markieren zu müssen, war ja schon schlimm genug. Aber das unter den Argusaugen der Familie, die ja von nichts eine Ahnung haben sollte ... Aber Jakob wäre nicht Jakob gewesen, wenn er an dieser Stelle gekniffen hätte. Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und stellte kurz und trocken fest: „Jawoll! Genau so werd des gemacht! Genau so!“ Dann überkam ihn doch ein gelindes Grausen gegenüber dem, was er sich da vorgenommen hatte. Was würde sein Chef, der Direktor Bauer von Degussa zur Eigenmächtigkeit seines Chauffeurs sagen? Der im Kino aufstand und lautstark seinem Ärger über einen verdienten Schauspieler Ausdruck gab? Und so konnte er sich nicht enthalten, seine beiden Freunde anzuknurren: „Ihr Lumbeseckel, ihr!“

Alles kam sowieso ein wenig anders, als Jakob sich das gedacht hatte. Eines Morgens schenkte Paula ihrem Jakob mit liebevollem Lächeln den Kaffee ein: „Isch dank derr aach rescht schee, Jakob! Warum haste dann nix devo gesacht, dess de die Hilde, die Herta un misch morje zum neuste Willy-Birgel-Film eilade willst? Sollt’ des e Iwwerraschung sei?“

Jakob fiel buchstäblich aus allen Wolken. Er konnte es sich nur so erklären, dass seine beiden intriganten Stammtischbrüder auf eigene Rechnung gehandelt hatten, den Termin für Jakobs großen Film-Auftritt selbst bestimmt hatten und, um ihm richtig Dampf zu machen, seine Frau und seine beiden Töchter dazu eingeladen hatten. Sogar die Karten hatten sie wahrscheinlich selbst bezahlt. Zumindest vorläufig, das Geld würden sie ihm bestimmt noch aus der Nase ziehen!
Aber da musste er jetzt durch. Und so zwang er sich dazu, seine Paula ebenso bestrickend anzulächeln wie sie ihn und zu sagen: „Paula, mei Liewesche, da siehste ma, zu was dein Jakob alles fähig is. Morje wolle mer uns emaa en richdich scheene Daach mache!“

Der Kinosaal war, wie Paula beim Betreten sehr richtig gesagt hatte, „gestoppte voll“. Paula saß rechts neben ihm, links thronten seine Töchter Hilde und Herta. Der Film fing an. Jakob wusste nicht, worüber er sich mehr ärgern sollte – über den geschniegelten Lackaffen auf der Leinwand, der in seinem Reitkostüm noch affiger auf ihn wirkte als sonst, oder über seine leichtsinnigerweise eingegangene Verpflichtung, hier den dicken Wilhelm zu markieren. Ritt der Birgel da eigentlich selber? Der hatte doch bestimmt einen, der das für ihn machte, der Feigling! Jawohl, ein Feigling! Jakob wurde immer unruhiger. Was sollte er überhaupt sagen? Vielleicht würde er ja raus geschmissen werden? Vielleicht ... Ach was! Er hatte sich nun mal drauf eingelassen, er würde das jetzt auch durchziehen. Ruckartig sprang er auf, spürte, dass die Paula, ihn entsetzt an der Hand fasste und irgendetwas wie „Ei, Jakob!“ zischte, dann brüllte er ins Dunkel hinein, gerade als Willy Birgel oder sein Double über ein Hindernis setzte, „Schießt en dot! Schießt en doch endlich dot, den Lackaff!“

Im Saal lachten einige Leute, ein paar applaudierten sogar. Alle drehten sich wie auf Kommando zu Jakob herum. Aber das Licht ging nicht an, und auch kein Platzanweiser erschien, um ihn zur Ordnung zu rufen. Das Geschehen auf der Leinwand hatte seinen Fortgang genommen und war so spannend, dass niemand es versäumen wollte.

Jakob saß schwer atmend und völlig erschöpft in seinem Kinosessel. Er konnte stolz auf sich sein, er hatte die Wette gewonnen! In diesem Moment spürte er von rechts einen empfindlichen Rippenstoß und gleich darauf die leise, aber um so eindringlichere Stimme von Paula: „Dadriwwer redde mer noch, mein Liewer. Dadruff kannste dich verlasse!“
Das Ende vom Lied? Man erinnert sich: Mit seinen Zechkumpanen hatte Jakob gewettet, wenn er verlieren würde, müsste er freiwillig mit seiner Frau in jeden Willy-Birgel-Film gehen. Die Wette hatte er ja gewonnen. Aber ohne die Erlaubnis seiner Frau. Und darum bestand die Paula darauf, dass er von nun an zu jedem Willy-Birgel-Film an ihrer Seite im Kino erscheinen und sich den Streifen angucken musste. Und das bis weit in die fünfziger Jahre hinein. Danach hatten sie Fernsehen. Und auch da gab’s selbstverständlich Willy Birgel – der nie erfahren hat, was für schlimme Dinge mein Großvater einmal mit ihm vor- hatte. Über Schauspieler hat der Jakob mit der Paula nie mehr diskutiert.

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Tag der Veröffentlichung: 08.02.2009

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