Cover

Die Entstehungsgeschichte eines Großraumflugzeugs

Die Entstehungsgeschichte eines Großraumflugzeugs

Die historische Ausgangslage und die ersten Impulse

Als der kalifornische Flugzeughersteller Lockheed im Jahr 1966 die konzeptionelle Arbeit an einem von großen Mantelstromtriebwerken angetriebenen Mittel- und Langstreckenflugzeug aufnahm, zielte das Traditionsunternehmen aus Palmdale auf nichts Geringeres als die Entwicklung des modernsten und technisch fortschrittlichsten Flugzeugs seiner Zeit. In einem Jahrzehnt, das für die im Kalten Krieg mit der Sowjetunion befindlichen USA mit der Mondlandung ihren technologischen und ideologischen Höhepunkt fand und in dem der Glaube an Technologie und Fortschritt eine tragende Säule in der Weltanschauung der gesamten westlichen Welt war, noch immer eine ambitionierte, aber dennoch insgesamt passende, Zielsetzung.

Von Beginn an arbeitete Lockheed hierzu konzeptionell an einer Maschine, die als Großraumflugzeug mit zwei Gängen zwischen den Passagiersitzen ausgelegt sein sollte. Solche Flugzeuge exisitierten bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich auf Papier und auch die Flugzeugtypen die den Markt seinerzeit dominierten, verfügten über nur einen Gang in einer Kabine mit rund 3,5m Durchmesser. Bis die Großraumflugzeuge Anfang der 1970er Jahre eine zweite Revolution in der internationalen Verkehrsluftfahrt auslösen sollten, ganz so, wie es rund anderthalb Jahrzehnten zuvor der ersten Generation jetgetriebener Verkehrsflugzeuge, insbesondere der DC-8 von Douglas und der 707 von Boeing, schon einmal gelungen war, war aus Sicht des Jahres 1966 noch sehr viel grundlegende Pionierarbeit zu leisten. In den folgenden Jahren wurde diese fast vollständig von nur drei Unternehmen, Boeing, Lockheed und McDonnell Douglas, gestemmt.

Die Ausgangslage für die Entwicklung und den Bau eines zivilen Verkehrsflugzeugs mit sehr großem Rumpfdurchmesser war bis etwa Mitte der 1960er Jahre also noch sehr schwierig: Der technologische Erfahrungsschatz der gesamten westlichen Luftfahrtindustrie im Bezug auf die Entwicklung und den Bau von sehr großen Flugzeugen beschränkte sich auf einige verworfene zivile Konzepte und der planerischen Arbeit an der Lockheed C-5A Galaxy, dem später ersten Großraumtransportflugzeug der amerikanischen Luftstreitkräfte, welches am 30. Juni 1968 erstmals flog.

Die Planung für dieses noch heute so unglaublich dominant wirkende Flugzeug regte aber wohl schon zu dieser Zeit die Phantasie der zivilen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der großen Flugzeugbauer an. Nicht zuletzt auch, da der späteren Realisierung des Projekts C-5A Galaxy ein langwieriger und hart geführter Bieterwettstreit vorausging, der primär zwischen Lockheed, Boeing und Douglas ausgefochten wurde und über den in der amerikanischen Presse intensiv berichtet wurde. Anfangs hatten sich zusätzlich auch noch die Hersteller General Dynamics und Martin-Marietta um den Auftrag bemüht. Diese schieden jedoch schon in der frühen Entwicklungsphase aus. Schlussendlich gelang es Lockheed sich gegen die Konkurrenzentwürfe durchzusetzen, wofür wohl weniger die technische Überlegenheit des Entwurfs den Ausschlag gegeben hatte, sondern der deutlich günstigere Stückpreis der Flugzeuge. So ging die C-5A Galaxy ab Oktober 1965 in Produktion und wurde ab 1970 in Dienst gestellt.

 

Abbildung : Eine Lockheed C-5A Galaxy des 75. Military Airlift Squadron des 60. Military Airlift Wing, aufgenommen über der Küste von Kalifornien.

 

Aus heutiger Sicht hat sich das Flugzeug in den darauf folgenden Jahren und Jahrzehnten zu einer waren Ikone entwickelt. Die C-5A und ihre Nachfolgerin C-5B wurden vor gut einem Jahrzehnt in großer Stückzahl zu C-5M Super Galaxies aufgerüstet. In dieser Ausbaustufe übernehmen sie seit 2006 bei der United States Air Force und bei der United States Air National Guard strategische Transportaufgaben, bis hin zu Spezialaufgaben wie dem Satellitentransport für die NASA und werden wohl noch für lange Zeit mit ihrem 75,31m langen Rumpf, 67,89m Spannweite und einem herausragendem Wiedererkennungswert für Aufsehen sorgen. Neben den ausgezeichneten Flugleistungen bietet die Maschine mit ihrem riesigen Rumpf mit einer Kabinenweite von 5,79m bei einer Höhe von 4,11m und ihren leistungsstarken Triebwerken die Option, sehr große Nutzlasten auf sehr langen Routen zu transportieren. Es ist kaum vorstellbar, wie die Planung eines solchen Flugzeugs im Jahr 1965, selbst in den damals extrem forschrittsgläubigen USA, auf die Öffentlichkeit und Luftfahrtinteressierte gewirkt haben muss, bedenkt man, dass etwa die 1961 von John F. Kennedy georderten Transportflugzeuge des Typs Lockheed C-141 Starlifter (Erstflug 17. Dezember 1963) bei einem Rumpfquerschnitt von 3,32m, einer Länge von 51,3m und einer Spannweite von 48,8m für die damalige Zeit herausragende Transportkapazitäten zur Verfügung stellten. Auch die legendäre Lockheed C-130 Hercules (Erstflug 23. August 1954), ein „Dauerbrenner“ der Luftfahrtindustrie den der Rüstungskonzern Lockheed-Martin seit den 1950er Jahren fertigt und noch immer in signifikanten Stückzahlen in modernisierter Form ausliefert, verfügt über dieses Kabinenmaß.

 

Abbildung : Lockheed C-141B-10-LM Starlifter (Seriennummer 63-8085, c/n 300-6016), aufgenommen im Oktober 1984. Dieses Flugzeug wurde später zu einer C-141C aufgerüstet und 2003 bei AMARC abgestellt.

 

Dieser kleine Exkurs in den Bereich des strategischen Lufttransports zeigt, dass bis zur Ankündigung Lockheeds ein ziviles Großraumflugzeug bauen zu wollen, weltweit noch kein solches Flugzeug im Bau befindlich war, auch nicht im militärischen Bereich oder hinter dem Eisernen Vorhang. Betrachtet man vor diesem Hintergrund, welch ambitionierte Ziele Lockheed für sein neues Flugzeug bereits 1966 kommunizierte, also das Erreichen der modernsten technologischen und konstruktionstechnischen Ausstattung aller am Markt befindlicher Flugzeuge, so erhält man ein Wenig einen Eindruck von dem technologischen und unternehmerischen Risiko, aber auch vom Mut den Lockheed aufbringen musste, um ein solches Projekt überhaupt auch nur konkret in Betracht zu ziehen. Ein wesentlicher Baustein des Entwicklungsprojekts für ein ziviles Großraumflugzeug zu dieser Zeit musste also zwangsläufig und aus aus zweierlei Gründen aus grundlegender Forschung- und Entwicklungsarbeit bestehen: Zum Einen, da schlicht noch so gut wie keine Erfahrung mit Großraumflugzeugen vorhanden war und zum Anderen, da Lockheed sich mit der Aussage, das beste und fortschrittlichste Flugzeug der Welt bauen zu wollen Ziele gesetzt hatte, die mit schlichter Neukombination vorhandener Methoden, Fertigungstechniken und Systeme nicht zu erreichen war.

 

Abbildung : Eine Lockheed C-130J Hercules des 146. Airlift Wing der Air National Guard im Flug entlang der Küste der Insel Santa Cruz vor Kalifornien, aufgenommen im Jahr 2006.

 

Fokussiert man die Beschreibung einer Ausgangslage bei Entwicklungsstart des Lockheed TriStar speziell auf Lockheed, so muss man rückblickend feststellen, dass die technologische Ausgangssituation des Herstellers im zivilen Flugzeugbau durch das Verpassen einiger wesentlicher Entwicklungen in der Zeit vor 1966 nicht unerheblich belastet war: Aus heutiger Sicht hatte der Flugzeugbauer aus Palmdale eine viel zu lange Zeit an der Kolbenmotorentechnologie für den Antrieb von Passagier- und Frachtflugzeugen festgehalten: Während Boeing und Douglas mit den jetgetriebenen Baureihen 707 und DC-8 in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre ein dramatisches und überwiegend selbst induziertes Nachfragewachstum am westlichen Markt und im speziellen in Nordamerika und Westeuropa befriedigten, was wiederum eine wahrhaft revolutionäre Entwicklung der Passagierzahlen nach sich zog, versuchte Lockheed bis in die späten 1950er Jahre hinein mit den konventionell motorisierten Baureihen Constellation und Starliner weiterhin Marktsegmente auf Mittelstrecken und Langstrecken zu besetzen.

Statt danach ebenfalls in den Markt der jetgetriebenen Mittel- und Langstreckenflugzeuge einzusteigen und mit der 707 und der DC-8 in Konkurrenz zu treten, überließ man den zwischenzeitlich scheinbar übermächtig gewordenen Konkurrenten Boeing und Douglas dieses so wichtige und prestigeträchtige Marktsegment quasi kampflos. So gilt der Lockheed L-1649A Starliner (Einsatzbeginn 1957) gemeinsam mit der DC-7C Seven Seas von Douglas (Einsatzbeginn 1956), als der technische Höhepunkt der Entwicklung der kolbenmotorgetriebenen Langstreckenluftfahrt - gleichzeitig aber auch als ihr abrubtes Ende, denn mit Verfügbarkeit der Jets waren die Großflugzeuge mit der unterlegenen Antriebstechnologie de facto nahezu unverkäuflich. Dies traf Lockheed dabei deutlich härter als den Konkurrenten Douglas, da der Flugzeughersteller aus Kalifornien mit der DC-8-10 und ihren Nachfolgemodellen etwa zur gleichen Zeit schon sehr erfolgreich im Markt der Mittel- und Langstreckenflugzeuge mit Jetantrieb aktiv wurde, während Lockheed kein solches Modell im Portfolio hatte.

 

Abbildung : Als Boeing und Douglas bereits in großen Stückzahlen ihre jetgetriebenen Mittel- und Langstreckenflugzeuge absetzte, hatte Lockheed im zivilen Bereich noch immer lediglich von Kolbenmotoren getriebene Flugzeuge im Angebot, wie die hier abgebildete VH-EAG, eine Lockheed L-1049F Super Constellation (msn 4176) mit Baujahr 1955.

 

Abbildung : Die Boeing 707, hier N451PA, eine 707-321C von Pan Am (msn 19273), löste zusammen mit der DC-8 von Douglas die erste große Revolution am westlichen Luftfahrtmarkt aus. Dieses Flugzeug wurde 1967 gebaut und flog bis zum Jahr 2000 bei Iran Air und später bei AECA Carga aus Equador.

 

Abbildung : Als Lockheed noch von Kolbenmotoren angetriebene Flugzeuge baute, verkauften Boeing und Douglas ihre 707 und DC-8 fast schneller, als sie überhaupt Flugzeuge bauen konnten. Hier abgebildet ist N805PA, eine DC-8-33 von Pan Am mit Baujahr 1960 (msn 45258). Diese Maschine wurde 1977 zu einem Frachtflugzeug konvertiert und flog in dieser Rolle noch bis 1985, unter anderem für Concord International und Rosenbalm Aviation. Die vorliegende Aufnahme stammt aus dem Jahr 1965.

 

Durch diese strategische Entscheidung überließ Lockheed den Konkurrenten Douglas und Boeing nicht nur widerstandslos den wohl wichtigsten, prestigeträchtigsten und lukrativsten Bereich des Marktes, nämlich die Mittel- und Langstrecke, zusätzlich verlor der Hersteller auch den Kontakt zu vielen wichtigen technologischen Neuerungen die für die jetgetriebene Luftfahrt notwendig wurden. So konnte man etwa von Seiten Lockheed keine Erfahrungen im Einsatz und Dauerbetrieb der neuen Antriebstechnologie sammeln. Daneben veränderten die Reichweite, die Geschwindigkeit und die Zuverlässigkeit der DC-8 und der 707 immer mehr Verfahren und Prozesse in der Luftfahrt, die ihrerseits wiederum Einfluss auf die technische Ausstattung der Flugzeuge, beispielweise in den Bereichen Kommunikation und Navigation, nahmen. Kurzum: Lockheed hatte sich durch einen strategischen Fehler auf dem Mittel- und Langstreckensektor ab etwa Mitte der 1950er Jahre ins technologische Abseits manövriert und nahm an vielen Entwicklungen der Industrie in diesem Marktsegment nur noch am Rande oder überhaupt nicht mehr teil.

Tatsächlich bezog sich der dargelegte technologische Rückstand von Lockheed aber beinahe ausschließlich auf dieses Marktsegment und nicht auf alle Bereiche des Flugzeugmarkts. Ganz im Gegenteil: In anderen Bereichen war Lockheed stets im führenden Bereich und an vorderster technologischer Front aktiv, auch und insbesondere im fraglichen Zeitraum. So baute das Unternehmen aus Palmdale seinerzeit an seinen verschiedenen Standorten hochmoderne Kampfjets, wie den ultra-schnellen und sehr hoch fliegenden F-104 Starfighter, das sehr hoch fliegende Spionageflugzeug U-2 und seinen indirekten Nachfolger, der schier unglaubliche Lockheed SR-71 Blackbird, das bis heute schnellste Flugzeug der Welt. Alle genannten Maschinen stammen aus der Feder der Luftfahrtlegende Clarence „Kelly“ Johnson, der in führender Rolle für die Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Lockheed arbeitete, aus der später die noch heute legendären „Skunk Works“ hervorgingen.

 

Abbildung : Der rund 2.200km/h schnelle Lockheed F-104 Starfighter, hier eine F-104C, wurde in mehr als 2.500 Einheiten gefertigt, teilweise auch in Lizenz. Er zählte in den 1960er und 1970er Jahren zu den schnellsten Abfangjägern der Welt und war ein wesentlicher Baustein in der Luftkampfstretgie der NATO.

 

Abbildung : Die Lockheed U-2 ist ein bis heute eingesetztes Spionageflugzeug, welches durch den Abschuss von Francis Gary Powers am 1. Mai 1960 bei Swerdlowsk in der damaligen Sowjetunion geopolitische Bedeutung erlangte.

 

Abbildung : Wenn es um aktuelle Luftfahrtrekorde zu Geschwindigkeit und Höhe geht, führt kein Weg am SR-71 Blackbird vorbei. Die hier abgebildete Maschine ist ein SR-71B Trainer (Doppelsitzer) der NASA, aufgenommen über der Sierra Nevada im Jahr 1994. Auffällig auf der Flügeloberseite die charakteristischen undichten Treibstofftanks aus denen in niedrigen Höhen und bei nicht allzu hohen Geschwindigkeiten stets Treibstoff austrat.

 

Wie bereits erwähnt, baute Lockheed mit der C-130 und der C-141 daneben weiterhin unterschiedlich angetriebene militärische Transportflugzeuge. In vielen dieser Bereiche lotete das Unternehmen neue Grenzen aus und verschob diese und ganz nebenbei sammelte man so auch wertvolle Erfahrung im Einsatz von modernen Turbojet- und Turbofantriebwerken, wie dem TF-33 von Pratt & Whitney an der C-141, einer militärischen Variante des JT3D wie es auch an der Boeing 707 und der Douglas DC-8 eingesetzt wurde, allerdings konsequent abseits der kommerziellen Mittel- und Langstreckenluftfahrt.

Weitere Erfahrungen im Bereich der jetgetriebenen Passagierluftfahrt erarbeitete sich Lockheed in den 1960er Jahren auch durch die Teilnahme an der aufsehenerregenden Ausschreibung der US-Regierung für ein Passagierflugzeug mit Überschallgeschwindigkeit, dem Super Sonic Transport, kurz SST, mit der Lockheed L-2000. Die Planungen im Hause Lockheed waren schon recht weit vorangeschritten als das Projekt wegen überbordender Entwicklungskosten, fundamentaler Veränderungen am Flugzeugmarkt und auch aufgrund von Widerstand in der Bevölkerung gegen mögliche Überschallknalls in der Nähe von Siedlungen von Seiten der Regierung aufgegeben wurde. Während dieses, in den 1960er Jahren lange Zeit als die einzig denkbare Zukunft der Luftfahrt verkannte, Marktsegment nie wirklich etabliert wurde, trug Lockheed erheblich an ganz anderer Stelle dazu bei, einen neuen Bereich für die kommerzielle Luftfahrt zu erschließen: Die jetgetriebenen Geschäftsluftfahrt. Lockheed hatte hierzu Mitte der 1950er Jahre ein vierstrahliges Kleinflugzeug entworfen, mit dem man eine neu erkannte Marktlücke auf dem nordamerikanischen Markt zu schließen versuchte: Ein Flugzeug mit einer kleinen Transportkapazität, aber einer mittleren bis großen Reichweite bei exklusiver Kabinenausstattung. Diese Idee war die Grundlage für den Lockheed L-1329 JetStar.

Etwa zur gleichen Zeit arbeitete Lockheed an einem Kurz- und Mittelstreckenflugzeug mit mittlerer Kapazität, der L-188 Electra. Dieses Flugzeugmuster stellte für Lockheed technologisch den etwas inkonsequent umgesetzten Versuch eines Übergangs im zivilen kommerziellen Flugzeugbau von der Kolbenmotorentechnologie in das Jetzeitalter dar, da man anstelle der zu jenem Zeitpunkt bereits verfügbaren Turbojettriebwerke auf Turbopropantriebssysteme setzte. Beide Flugzeuge, sowohl der Lockheed L-1329 JetStar als auch die L-188 Electra, hatten sicher einen gewissen Einfluss auf die Entwicklung des ersten Großraumflugzeugs aus dem Hause Lockheed, dem L-1011 TriStar. Daher im Folgenden eine jeweils kurze Vorstellung dieser beiden Muster.

 

Der Lockheed L-1329 JetStar

Die Aussage, der JetStar habe ein neues Marktsegment in der Passagierluftfahrt eingeführt, die kommerzielle Geschäftsluftfahrt mit Jetantrieb, ist aus rein kommerzieller Sicht betrachtet tatsächlich zu vertreten: Das Muster war das erste Flugzeug, das in diesem Marktsegment einen kommerziellen Erfolg erzielen konnte und dessen Einsatzzweck auch langfristig primär zivil und geschäftsmäßig blieb.

Aus historischer Sicht betrachtet ist die Aussage allerdings nicht ganz unumstritten, da das erste Flugzeug überhaupt mit vergleichbaren Eigenschaften die französischen Morane-Saulnier MS-760 mit Erstflug am 26. Juli 1954 war. Der französische Hersteller sah für das Geschäftsflugzeug deutliche Marktpotenziale in den USA, weshalb er 1955 eine Kooperation mit Beech Aircraft einging um die MS-760 auch in Nordamerika zu vermarkten. Der angestrebte kommerzielle Erfolg dieser Kooperation blieb jedoch aus und die gemeinsamen Aktivitäten der Unternehmen wurden nach kurzer Zeit wieder eingestellt. Insgesamt wurden 165 MS-760 in unterschiedlichen Versionen gefertigt. Die sehr kleinen zweistrahligen Flugzeuge brachten es bei einer maximalen Startmasse von unter vier Tonnen auf eine Höchstreichweite von bis zu 1.850km. Maximal vier Reisende konnten mit der MS-760 an ihr Ziel gelangen. Entgegen der ursprünglichen Planung sollte ihr überwiegender Einsatzzweck die Pilotenausbildung bei den französischen Luftstreitkräften werden. In diesem Bereich wurde die Maschine in mehreren Versionen über Jahrzehnte eingesetzt. Letzter bekannter signifikanter Nutzer des Musters war die argentinische Luftwaffe, die einige MS-760 bis zum Jahr 2007 eingesetzt haben soll. Aufgrund der geringen Verbreitung und des überwiegend militärischen Einsatzprofils der MS-760 ist es durchaus möglich, dieses Flugzeug im Bezug auf die Begründung des zivilen, kommerziellen Marktsegmentes ein wenig aussen vor zu lassen.


Abbildung : Die Morane-Solnier MS-760 war zwar das erste jetgetriebene Geschäftsreiseflugzeug am Markt, allerdings blieb ihr kein signifikanter kommerzieller Erfolg beschieden. Hier abgebildet ist die 88. gefertigte MS-760 mit Baujahr 1960, heute als N760JS registriert.


Die Entwicklungsgeschichte des Lockheed JetStar ist bewegt und weitgehend dominiert von der Eigeninitiative des Herstellers, gepaart mit wechselnden externen Einflüssen: Mitte der 1950er Jahre startete Lockheed ohne Kundenauftrag ein Entwicklungsprogramm zum Bau eines jetgetriebenen Flugzeugs in der Klasse um 20t Startmasse. Ziel war es, auf eine Kapazität für rund acht bis zehn Passagieren und eine Reichweite von 4.000 bis 5.000km zu kommen. Dies verdeutlicht, dass Lockheed von Anbeginn der Planungen für den L-1329 JetStar, ein im Verhältnis zur MS-760 deutlich größeres und leistungsstärkeres Flugzeug plante und im Bereich der Reichweite transkontinentale Fähigkeiten in Nordamerika anstrebte.

Die Arbeiten am JetStar hatten Anfangs tatsächlich noch einen rein studienartigen Charakter, wurden dann aber rasch intensiviert als die United States Air Force eine Anforderung für ein neues, schnelles und recht kleines Transportflugzeug unter den potenziell geeigneten Herstellern streute, auf die das bisherige Konzept von Lockheed sehr gut passte. Konkret handelte es sich hierbei um das Projekt UCX (Utility Transport Experimental). Die Ingenieure des Herstellers begannen daraufhin unmittelbar damit, das bis dorthin verfolgte Konzept Weiterzuentwickeln und auf eine hybride Nutzung – als Transport- und Stabsmaschine im militärischen Bereich – und – nach Vorbild der MS-760 – auch im zivilen Sektor, auszurichten. Kelly Johnson erhielt den Entwicklungsauftrag und binnen nur 241 Tagen entwickelte er mit seinem Team die zweistrahlige CL-329 JetStar, ein kleiner und leichter Tiefdecker für bis zu 14 Fluggäste oder knapp mehr als zweieinviertel Tonnen Nutzlast. Mit gepfeilten Flügeln und gepfeiltem Leitwerk und den Triebwerken am Heck des Rumpfs, war dem Team von Kelly Johnson ein innovativer Vorgriff auf eine Flugzeugkonstruktion gelungen, die erst einige Jahre später im zivilen kommerziellen Flugzeugbau wieder aufgegriffen wurde: Die deutlich später und erheblich größer konstruierten Vickers VC-10 aus Großbritannien und Ilyushin IL-62 verfügten ebenfalls über einen aerodynamisch „sauberen“ Flügel, also ohne die Störeinflüsse von darunter in Gondeln montierten Triebwerken, der auf diese Weise einen bisher ungekannten Wirkungsgrad erzielen konnte.


Abbildung : Die Vickers VC-10, hier die 1964 gebaute G-ARVJ der BOAC, eine VC.10 1101, stellt gemeinsam mit der Ilyushin IL-62 das größte zeitgenössische Flugzeugdesign mit aerodynamisch „sauberen“ Flügeln dar.


Im Bereich des Antriebs setzte Johnson auf das britische Bristol Orpheus 1/5 Mantelstromtriebwerk mit rund 4.900lb Schub, welches im Rahmen einer Serienproduktion der CL-329 beim US-Hersteller Wright in Lizenz produziert werden sollte. In dieser Konfiguration wurden zwei Testflugzeuge gebaut und die erste dieser beiden Maschinen hatte am 4. September 1957 ihren Erstflug.

Flugzeug und Triebwerk zeigten sehr zufriedenstellende Leistungsmerkmale während der Flugerprobung und Lockheed hätte, ausgehend von den erzielten technischen Eigenschaften des Flugzeugs, sehr positiv in die Zukunft blicken können. Doch leider entwickelten sich just zur gleichen Zeit die Rahmenbedingungen um das Flugzeugprojekt alles andere als gut: Die US-Regierung nahm drastische Kürzungen am Wehretat vor, was das Aus für das UCX-Projekt bedeutete. Im zivilen Bereich sah es auch nicht besser aus, da sich 1958 eine bedeutende Eintrübung der Wirtschaft in den USA ankündigte. Entgegen dieser externen Einflüsse, vertraute Lockheed auf die mittel- und langfristigen Potenziale des Flugzeugs und auf eine baldige Verbesserung der Wirtschaftslage und gab die CL-329 im November 1958 zur Serienfertigung frei. Leider setzten sich danach die negativen Geschehnisse um das kleine jetgetriebene Flugzeug erst einmal fort, denn obwohl der JetStar einen kurzfristig durchgeführten Wettbewerb für ein Trainingsflugzeug gewann, kaufte die Air Force dann dennoch die kleinere NA-246 von North American und nicht die CL-329.

Etwa zur gleichen Zeit zerschlug sich dann auch noch die Lizenzfertigung der britischen Triebwerke bei Wright. Da Lockheed wusste, dass es schier unmöglich war der Air Force ein Flugzeug anzubieten das britische Triebwerk hatte, bat man Kelly Johnson inländische Alternativen zu untersuchen. Tatsächlich gab es diese, allerdings hatten US-Triebwerke in der benötigten Dimensions- und Gewichtsklasse nicht die erforderliche Schubkraft. Kelly Johnson ließ sich hiervon nicht entmutigen und entschied, statt zwei Bristol Orpheus vier Pratt & Whitney JT12A-6 mit je gut 2.500lb Schubkraft zu verbauen. Er beließ es hierzu bei der Anordnung der Triebwerke am Flugzeugheck und ordnete die Treibwerke in zwei Doppelgondeln jeweils rechts und links am hinteren Rumpf an. In dieser Konfiguration flog der JetStar, fortan als L-1329 bezeichnet, dann erstmals in Januar 1960 und konnte so später auch einen gewissen kommerziellen Erfolg erzielen: Insgesamt 204 wurden dieser Maschinen wurden bis 1978 als militärische oder zivile Flugzeuge gebaut.


Abbildung : Dieser L-1329 JetStar wurde 1963 mit der Kennung N1 von der FAA in Dienst gestellt. Auf dieser Abbildung schön zu sehen sind die in Zwillingsgondeln am Flugzeugheck angebrachten Triebwerke des Musters und die charakteristisch lange Flugzeugnase.


Die ersten L-1329 verfügten im Gegensatz zu den beiden Prototypen nicht nur über die JT12A-6, sondern zudem auch über eine größere Tankkapazität, einen leicht gestreckten Rumpf und neue Entseisungsvorrichtungen. Spätere Serienflugzeuge erhielten dann schon das JT12-A8 mit 3.300lb Schub. Alle so ausgelieferten Maschinen wurden als „L-1329 JetStar I“ zusammengefasst. Rund 60 JetStar I wurden später mit Triebwerken des Typs AiResearch TFE731-1 aufgerüstet, was ihnen die Bezeichnung „JetStar-731“ einbrachte. 40 Flugzeuge wurden dann ab Werk als JetStar II gebaut und erhielten vier Turbofantriebwerke des Typs TFE-731-3 von Garrett AiResearch mit je gut 3.700lb Schubkraft und daneben auch größere Außentanks. In der Zahl von 204 L-1329 JetStar und JetStar II sind zudem fünf militärische C-140A-LM Inspektionsflugzeuge, fünf militärische Passagier- und Transportflugzeuge des Typs C-140B-LM und sechs VIP-Transportflugzeuge des Typs VC-140B enthalten. Die militärische Nutzung des Flugzeugs von Lockheed hatte also insgesamt eine untergeordnete Bedeutung.

Der vielleicht berühmteste Nutzer eines Lockheed JetStar war Elvis Presley: Er besaß einen JetStar I, der bis heute in Graceland ausgestellt ist und die Kennung N777EP trägt. Drei frühe Maschinen gingen auch an die deutsche Bundesregierung und ein JetStar wurde zum Geschäftsreiseflugzeug für Krupp in Essen.


Abbildung : Der hier im Jahr 1969 in Zürich abgebildete JetStar-731 wurde 1966 ausgeliefert und flog in seiner Karriere für eine Reihe verschiedener Unternehmen als VIP-Transporter. 2003 wurde das Flugzeug abgewrackt.


Abbildung : Die VC-140B-LM mit der Kennung 12492 in voller Lackierung der Vereinigten Staaten von Amerika.


Der möglichweise entscheidende Bezug zwischen dem Lockheed L-1329 JetStar und der Entwicklung des Großraumflugzeugs L-1011 TriStar ist wohl schlussendlich, dass Lockheed im Rahmen der Arbeit an der Maschine und in der Erprobung des Musters Erfahrungen mit den zivilen Anforderungen an jetgetriebene Flugzeuge sammeln konnte, von denen einige als durchaus übertragbar auf größere Muster gelten. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Antriebstechnologie, Avionik und Kabinenausstattung. Im Speziellen erarbeitete Lockheed im Rahmen des Planungs- und Entwicklungs- Projekts des L-1329 JetStar unter anderem neue Erkenntnisse in den Bereichen Triebwerkssteuerung und Geräuschemissionen, neue Navigations- und Flugführungsinstrumente, neuartige Steuerungssysteme, sowie Schalldämmung und Sitzanordnung in der Passagierkabine. Es ist davon auszugehen, dass viele dieser Erkenntnisse zumindest Grundlage der Entwicklungsarbeit für neue Systeme und Technologien für das Großraumflugzeugprojekt L-1011 TriStar darstellten. Somit kann man den L-1329 JetStar als wichtigen Schritt für Lockheed auf dem Weg zum TriStar verstehen.


Die Lockheed L-188 Electra

Einen noch größeren und direkteren Einfluss auf die Entwicklung des L-1011 TriStars als der L-1329 JetStar hatte wohl lediglich die wesentlich größere und von Turbopropmotoren angetriebene L-188 Electra. Der Zweite Weltkrieg und die Jahre danach hatten gezeigt, dass aus den anfänglich noch sehr experimentellen und störanfälligen Turbojettriebwerken immer leistungsfähigere und zuverlässigere Antriebe wurden, wodurch sie fast zwangsläufig auch für den zivilen und kommerziellen Einsatz immer interessanter wurden. Auch Lockheed erkannte den bevorstehenden Wandel, agierte aber insgesamt etwas konservativer als andere Flugzeugbauer, wie etwa der Pionier deHavilland aus Großbritannien, der mit der Comet das erste kommerzielle Passagierflugzeug mit Turbojets überhaupt anbot. Trotz der Katastrophen der frühen Comet aufgrund von Materialermüdung, folgten Sud Aviation aus Frankreich und auch Boeing und Douglas aus den Vereinigten Staaten mit eigenen Flugzeugen auf Basis von Turbojets. Sie verstanden die Geschehnisse um die Comet zwar als klare Warnung vor den besonderen Herausforderungen des Flugzeugbaus für Geschwindigkeiten nahe der 1.000km/h, hielten die Probleme aber für lösbar und die Marktpotenziale für zu groß, um eigene Projekte zurückzustellen.

Im Gegensatz hierzu entschieden sich nicht wenige Flugzeughersteller dazu, einen aus ihrer Sicht technologischen Zwischenschritt zu nehmen: Das Turboproptriebwerk. Diese basiert ebenfalls vollumfänglich auf dem Prinzip des Jetantriebs, wobei allerdings anstelle des Gebläses am Triebwerkseingang, üblicherweise als „Fan“ bezeichnet, ein frei rotierender Propeller montiert ist. Diese Antriebsform ist durchaus effizient und sicher, verleiht einem Flugzeug schlussendlich aber nicht die gleichen Geschwindigkeitpotenziale. Neben den traditionsreichen Unternehmen Bristol (Britannia) und Vickers (Viscount und Vanguard), ging auch Lockheed mit der L-188 Electra diesen Weg. Aus heutiger Sicht kann man durchaus sagen, dass diese Entscheidung langfristig die Gewinner am Markt von den Verlierern trennte. Doch der Reihe nach:

Die konkreten Anfänge der L-188 Electra liegen im Jahr 1954: Im Jahr des Wunders von Bern startete Lockheed, auf eigene Initiative, das Programm zur Entwicklung eines Flugzeugs mit Turboproptriebwerken, einer Reichweite von über 5.000km und einer Passagierkapazität von rund 80 Passagieren. Die Maschine sollte durch eine, verglichen mit Kolbenmotorflugzeugen, hohe Reisegeschwindigkeit von über 600km/h und durch eine sehr hohe Zuverlässigkeit und Ausfallsicherheit bestechen. Von einem solchen Flugzeug versprach sich Lockheed einen großen kommerziellen Erfolg auf dem Heimatmarkt und eine weitgehende Verdrängung älterer Flugzeuge mit Kolbenmotoren, wie beispielsweise der Martin 4-0-4 oder Douglas DC-3. Die Electra sollte somit bei Lockheed das Erbe der ultimativen von Kolbenmotoren getriebenen Entwicklung auf Basis der Constellation, den Lockheed L-1649 Starlinern, antreten. Von diesen wurden noch 44 Einheiten gebaut, u.a. auch für TWA, Air France und Lufthansa.


Abbildung : Lockheed L-188C Universal Airlines (N854U). Diese Electra mit Baujahr 1959 wurde am 29. Januar 1985 im Dienste von Galaxy Airlines bei einer Bauchlandung auf der Dobbins AFB so stark beschädigt, dass eine Reparatur aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten heraus nicht mehr sinnvoll war. Die drei Insassen blieben hierbei unverletzt.


Schon am 6. Dezember 1957 flog die Lockheed Electra zum ersten Mal. Danach dauerten Flugerprobung und Zulassung recht lange, so dass erst am 23. Januar 1959 der kommerzielle Einsatz des Musters beginnen konnte. Zu diesem Zeitpunkt war die Electra das erste westliche mit Turboproptriebwerken ausgestatte Flugzeug im gewerbsmäßigen Passagierdienst überhaupt.

Dennoch - und so paradox dies klingen mag - kam die Maschine für einen großmaßstäblichen kommerziellen Erfolg zu spät: Zwischen der Aufnahme der konzeptionellen Arbeit an der Electra und ihrem Debüt im gewerbsmäßigen Verkehr, hatte sich die Situation am Flugzeugmarkt insgesamt auf bisher nie gekannte Weise fundamental und revolutionär verändert: Im Jahr 1957 hatten mit der DeHavilland DH.106 Comet 4 und der Boeing 707-120, sowie im Jahr 1958 mit der Douglas DC-8-10, spürbar größere und mit leistungsstärkeren Turbojettriebwerken ausgerüstete Maschinen erfolgreich ihren Erstflug gefeiert. Gegen die Geschwindigkeit und den Reisekomfort dieser Flugzeuge entpuppten sich die 600km/h Reisefluggeschwindigkeit der L-188 Electra als nicht konkurrenzfähig. In nur kurzer Zeit entwickelten sich die Turbojettriebwerke zum neuen Standard und Fluggesellschaften und Reisende gleichermaßen fragten die mit diesen Antriebssystemen ausgestatteten Maschinen gezielt und in bis dorthin nie gekanntem Maße nach.

Die bei Aufnahme ihrer Entwicklung als modern und technologisch führend konzipierte Lockheed L-188 Electra war also noch vor ihrer Markteinführung ins technische Hintertreffen geraten und dies, obwohl die Maschine sehr kostengünstig zu betreiben war. Hatte man von Seiten Lockheed wohl insgeheim auf die Fortsetzung der technischen Schwierigkeiten mit schneller fliegenden Maschinen gesetzt, musste man schon in den späten 1950er Jahren zusehen, wie Boeing und Douglas hohe Stückzahlen ihrer Jets absetzten, während man selbst Probleme hatte weitere L-188 an den Käufer zu bringen.

Insgesamt wirkte sich dieser technische Rückstand selbstverständlich erheblich und in negativer Weise auf den kommerziellen Erfolg des Flugzeugs aus und dies obwohl zusätzlich zur initialen Version (L-188A) frühzeitig auch die Langstreckenversion (L-188C) verfügbar gemacht wurde. Letztere Version konnte rund 1.000 Gallonen mehr Treibstoff aufnehmen als die L-188A und mit 116.000lb Startmasse abheben, anstelle der 113.000lb der Standardversion.

Neben dieser kommerziellen Problematik durch die rasanten Verkäufe der von Turbojets angetriebenen Flugzeuge, insbesondere der DC-8 und der 707, entwickelte sich in der frühen Einsatzzeit des Flugzeugs ein zweites wesentliches Problemfeld: Die technische Sicherheit des Flugzeugs. Die vier ausgewählten Allison Propellerturbinen des Typs 501 zum Antrieb der Electra erzeugten durch die Art ihrer Aufhängung und die Resonanz des Tragflügels unter bestimmten Bedingungen und bei hohen Fluggeschwindigkeiten so starke Vibrationen, dass es zum Auseinanderbrechen der Maschinen im Reiseflug kam. Hierdurch gingen 1959 und 1960 mindestens zwei L-188 Electra verloren. Konkret handelte es sich hierbei um Braniff Airlines Flug 542 am 29. September 1959, bei dem 34 Menschen getötet wurden und um den Flug 710 von Northwest Orient am 17. März 1960, bei dem 63 Menschen ihr Leben verloren. Nachdem es zuvor schon am 3. Februar 1959 zu einem Totalverlust einer Electra gekommen war, limitierte die FAA öffentlichkeitswirksam die maximale Fluggeschwindigkeit er L-188, bis die Ursache der Unglücke ermittelt war.

Als die Vibrationen als Unfallursache feststanden, setzte Lockheed das Modifikationsprgramm LEAP (Lockheed Electra Achievement Program) auf, welches die Treibwerksaufhängungen erneuerte und wesentliche strukturelle Elemente der Flügelaufhängung verbesserte. Alle bestehenden L-188 durchliefen daraufhin auf Kosten von Lockheed die Modifikationen auf Basis von LEAP, was pro Flugzeug 20 Tage in Anspruch nahm.

Im Nachgang der Modifikationen trat das Problem nie mehr auf, doch die Berichterstattung über die Abstürze und ihre Ursache zerstörten das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Flugzeug, so dass die Maschinen noch etwas schneller von den großen Gesellschaften abgestossen wurden, als durch das starke Aufkommen der jetgetriebenen Flugzeuge ohnehin schon. Es ist schon insgesamt fast eine Ironie des Schicksals, dass Lockheed ursprünglich gehofft hatte, mit der Electra und ihren Turboprops die sicherere Alternative zu den Turbojets bieten zu können.

 

Abbildung : Hier eine zum Frachtflugzeug konvertierte Lockheed L-188C(F) mit der Kennung C-GNWD, aufgenommen am Vancouver International Airport. Sehr schön zu sehen, die im Verhältnis zum Rumpf sehr große Frachtladeluke.


Die L-188 Electra wurde insgesamt und entgegen der Erwartungen bei Lockheed, nur in 170 Einheiten verkauft. Der größte Teil dieser Maschinen ging an Kunden in den USA. Dort waren es mit Eastern Airlines (40 L-188A), American Airlines (35 L-188A), Northwest Orient Airlines (18 L-188C) und National Airlines (14 L-188A), die großen etablierten Fluggesellschaften, welche die meisten Electras bei Lockheed abnahmen. In Europa tat sich lediglich die Fluggesellschaft KLM als Käufer hervor. Insgesamt zwölf L-188C nahm die niederländische Airline bei Lockheed ab. Diese Zahlen deuten es schon an: Lockheed machte insgesamt große Verluste mit der Electra, die sich aus dem Programm selbst und aus Schadensersatzforderungen nach den Abstürzen zusammensetzten. Die modifizierten Electras waren dennoch gute Flugzeuge, was sich an der hohen Zahl zu Frachtern konvertierter Maschinen und deren langer Lebensdauer belegen lässt. Einige L-188 fliegen noch heute - ein halbes Jahrhundert nach ihrem Bau.

Um den Verlust mit der L-188 zu reduzieren, suchte Lockheed nach weiteren Verwendungsmöglichkeiten für das Design. Im frühen Entwicklungsprozess untersuchte das Entwicklungsteam neben einer Turboprop-basierten Lösung auch zwei-, drei- und vierstrahlige Umsetzungen auf Basis von Turbojets. Allen Turbojet-basierten Konzepten war ein langer, aber gleichzeitig dünner Rumpf gemein und dazu große Flügel mit voluminösen Treibstofftanks, um den Anforderungen der Seeaufklärung gerecht werden zu können. Ein zweistrahliges Konzept machte insgesamt einen so vielversprechenden Eindruck, dass Lockheed das Design der US Navy vorstellte. Hierbei gab es geteiltes Feedback: Wenngleich das Design und die angestrebten Leistungswerte gefielen, so kritisierten die Seestreitkräfte die geringe Ausfallsicherheit bei nur zwei Triebwerken. In Zeiten vor ETOPS galten zwei Triebwerke schlicht als ein großes Risiko. In Konsequenz entschied man sich bei den Seestreitkräften gegen Turbojets und für eine militärische Variante der L-188 Electra mit vier Turboprotriebwerken. Da es sich bei dem Projekt um eine Abwandlung eines bestehenden Flugzeugs handelte und nicht um eine komplette Neuentwicklung, überstieg die Zahl der Mitarbeiter den tatsächlichen Arbeitsaufwand, weshalb in kleinen Gruppen und neben der eigentlichen Hauptaufgabe, weiter an den vor der Festlegung auf vier Turboprops entwickelten zwei-, drei- und vierstrahligen Flugzeugkonzepten gearbeitet wurde. Eines dieser dreistrahligen Konzepte für ein Passagierflugzeug gilt heute als die älteste bekannte Wurzel des späteren L-1011 TriStars.

Der Seeaufklärer auf Basis der L-188 Electra ging als Lockheed P-3 in Serie und entwickelte sich zu einem Verkaufsschlager: Der kalifornische Flugzeughersteller baute die beeindruckende Gesamtzahl von 650 Flugzeugen in mehreren Ausbaustufen und Generationen. Daneben wurde weitere 107 Flugzeuge vom japanischen Mischkonzern Kawasaki auf Basis eines Lizenzabkommens gebaut. Die moderneren Versionen des Flugzeugs verfügen über vier Allison T-56-14 Turboproptriebwerke, die je 3.700kW Leistung entwickeln. Viele Lockheed P-3 Orion sind weltweit noch immer im Einsatz und erfüllen wertvolle strategische Aufgaben für ihre Nutzerländer.


Abbildung : Eine P-3C Orion der U.S. Navy, aufgenommen am 29.12.2004 in Okinawa


Zusammenfassend bot das L-188 und P-3-Umfeld wertvolle Impulse für den späteren L-1011 TriStar. Neben der erstmaligen Verfolgung eines dreistrahligen Flugzeugkonzepts waren dies unter anderem auch wertvolle Erkenntnisse zur Analyse und Behebung kritischer technischer Probleme. Daneben erkannte der Flugzeughersteller in diesem Prozess auf recht schmerzhafte Weise wesentliche Marktmechanismen und technische Abhängigkeiten, was sich im Rahmen des späteren TriStar-Projekts noch als Vorteil erweisen sollte.


Gesamtsituation von Lockheed vor dem TriStar

Betrachtet man nun vor dem Hintergrund der bis hierhin dargstellten Grundlagen die Gesamtsituation von Lockheed zu Beginn der Planungen für den TriStar, so kommt man nicht umher nach bestimmten Marktsegmenten zu differenzieren: Außer im Bereich des kommerziellen zivilen Flugzeugbaus für die Mittel- und Langstrecke, war Lockheed in nahezu allen Bereichen der Luftfahrt aktiv oder sogar im führenden Bereich platziert. Dort jedoch war der Hersteller aus Kalifornien schlicht nicht präsent, was erheblich am Image und am Prestige des Flugzeugbauers kratzte. Wie kam es nun trotz dieser Ausgangslage schlussendlich zur späteren Umsetzung eines zivilen Projekts im Bereich Großraumflugzeuge durch Lockheed?

Nun, sicher kann die Basis jeder Entwicklung in diese Richtung als der Versuch von Lockheed verstanden werden, nicht auch die mögliche zweite große Revolution am Mittel- und Langstreckenmarkt binnen nur etwas mehr als einem einzigen Jahrzehnt zu verpassen. Noch war kein anderes Unternehmen dabei ein Großraumflugzeug zu bauen oder zu testen, jedoch zeichnete sich mehr und mehr ab, dass die Entwicklung unweigerlich in diesen Bereich hinein verlaufen würde. Sollten sich die Großraumflugzeuge danach auf ähnliche Art und Weise durchsetzen wie seinerzeit die DC-8 von Douglas und die 707 von Boeing, dann wollte man bei Lockheed bei diesem erneuten Umbruch des Markts ein „großes Stück“ vom sprichwörtlichen „Kuchen“ abbekommen und sich gleichzeitig dauerhaft auch in diesem Bereich etablieren.

Auf diese Grundhaltung traf dann im Herbst 1966 die entscheidende externe Initiative: American Airlines, damals wie heute eine der bedeutendsten Fluggesellschaften der Welt, formulierte eine zu diesem Zeitpunkt noch recht grob abgesteckte und nur fünf Seiten umfassende Anforderung an die unterschiedlichen Flugzeughersteller in Nordamerika. Punktuell wurde die Airline darin aber so konkret, dass sie einige bestimmte Anforderungen als „unausweichlich“ definierte. Die Fluggesellschaft orientierte sich für ihre Anforderungen an dem damals wichtigsten Inlandsdrehkreuz der Vereinigten Staaten von Amerika, dem Flughafen LaGuardia von New York City. Der Airport an der Flushing Bay war damals der US-Flughafen, der aufgrund von Topographie und baulicher Situation die größten Einschränkungen bezüglich Lärmentwicklung, Flugzeugdimensionen, Start- und Landestrecke und auch Startmasse des Flugzeugs aufwies. Im Umkehrschluss galt also, wenn ein Flugzeug für LaGuardia geeignet war, dann konnte es nahezu überall eingesetzt werden.


Abbildung : Wenngleich dieses Bild des Flughafens LaGuardia aus dem Jahr 2014 stammt - die Einschränkungen und die daraus resultierenden Probleme die seinerzeit gültig waren, sind auch heute noch auf den ersten Blick vorstellbar.


Aus der gezielten Ausrichtung eines neuen Flugzeugs auf den Flughafen LaGuardia ergaben sich also ganz konkrete Grenzwerte im Bezug auf Dimensionen, Massen, Leistungswerte und die Lärmentwicklung des neuen Flugzeugs die ein Flugzeughersteller einzuhalten hatte. Daneben forderte American des Weiteren ganz explizit den Einsatz moderner Mantelstromtriebwerke und dabei konkret wahlweise des JT9D von Pratt & Whitney, des TF39 von General Electric, oder des RB.178-51 von Rolls-Royce. Die Fluggesellschaft strebte an, mit dem neuen Design die niedrigsten Sitzkilometerkosten der damaligen Zeit zu erreichen.

Dieser Komplex an Anforderungen führte zu Beginn der ersten konzeptionellen Auseinandersetzung mit einem möglichen neuen Flugzeug auch bei Lockheed fast ausschließlich zu zweistrahligen Gedankenspielen mit einer maximalen Gesamtlänge von 56m. Schon von Beginn an wurde auch immer wieder über automatische Landesysteme und eine Auslegung des Flugzeugs für eine außergewöhnlich schnelle Abfertigung am Boden philosophiert - Aspekte die in der späteren Konkretisierungsphase durchaus wieder Beachtung finden sollten.


Aufnahme und Konkretisierung der Planung

Sowohl Lockheed als auch Douglas, die zu einem späteren Zeitpunkt, am 28. April 1967, mit dem ebenfalls traditionsreichen Flugzeughersteller McDonnell zu McDonnell Douglas verschmolzen, nahmen die konkrete Anforderung von American Airlines zum Anlass, zeitnah nach Erhalt der Anforderungen die konzeptionelle Arbeit an einem solchen Flugzeug aufzunehmen. Bei Lockheed erhielt William M. Hannan die Aufgabe, die Entwicklung zu koordinieren.

Doch kaum waren die ersten Entwürfe angefertigt, veränderte sich im Frühjahr 1967 die grundsätzliche Situation um die Entwicklung des L-1011 TriStar: Waren die Anforderungen an das Flugzeug bis dorthin ausschließlich von American Airlines gekommen, so meldeten sich nun an auch andere Fluggesellschaften mit Interesse an einem Großraumflugzeug mittlerer Größe zu Wort. Im besonderen Maß gilt dies für Eastern Airlines, die Fluggesellschaft die seinerzeit ihren Hauptsitz in Miami, Florida, hatte. Die Airline bezog Position gegen eine zweistrahlige Umsetzung und forderte, insbesondere wegen ihrer Zielvorstellung das Großraumflugzeug auch über das Meer einsetzen zu können, wie etwa von Miami an karibische Destinationen, eine Konfiguration mit drei leistungsstarken Triebwerken. Wie bereits erwähnt, gab es seinerzeit noch kein ETOPS. Hieraus folgte, dass Flugzeugmuster für bestimmte Routen mindestens drei Triebwerke benötigten. Diese Regelung hatte insbesondere der Boeing 727 in den 1960er und 1970er Jahren zu enormen Verkaufszahlen verholfen, da für diese Maschine aufgrund ihrer drei Triebwerke keine Einschränkungen der Routenführung, etwa bei der Überquerung des Nordatlantiks, galten.

Drei Triebwerke bedeuteten also bei Flügen über Gebiete ohne eine Vielzahl von Ausweichflughäfen einen sehr großen Vorteil. Aus diesem Grund forderte nun Eastern Airlines eine dreistrahlige Auslegung des neuen Flugzeugs von Lockheed. Nachdem man von Seiten der Fluggesellschaft dem Flugzeughersteller diesen Sachverhalt näher gebracht hatte, forderte man kurze Zeit später auch eine Erweiterung der Reichweite von den bis dorthin geplanten 3.000km auf nunmehr 3.334km. Mit drei Triebwerken und einer um gut 300km erweiterten Reichweite wäre es für Eastern Airlines künftig möglich gewesen, von New York City ohne Zwischenstopp nach San Juan in Puerto Rico, einer wichtigen Destination für Eastern, fliegen zu können.

Kurze Zeit nach den neuen Anforderungen von Eastern Airlines meldete sich danach mit Trans World Airlines ein weiterer großer Akteur im westlichen Luftfahrtmarkt der damaligen Zeit zu Wort und platzierte seine spezifischen Anforderungen an ein künftiges Großraumflugzeug. Trans World Airlines war eine sehr progressive Airline, unter anderem auch, da sie am 7. April 1967 die erste bedeutende Fluggesellschaft der Erde wurde, deren Flotte ausschließlich aus jetgetriebenen Flugzeugen bestand. TWA teilte Lockheed mit, dass man eine Passagierkapazität von 250 bis 300 Passagieren für das geplante Großraumflugzeug erwartete. Zudem forderte man, wie auch schon kurz zuvor Eastern Airlines, eine dreistrahlige Auslegung des Flugzeugs. Hintergrund dieses Bedürfnisses war im Fall von Trans World Airlines weniger ein Interesse an karibischen Zielen, sondern vielmehr stand für die Airline aus St. Louis die sichere Überquerung der Rocky Mountains auf inneramerikanischen Routen im Vordergrund. Hierfür hielt man eine insgesamt höhere Gesamtantriebsleistung für notwendig, als seinerzeit mit zwei Triebwerken aus Sicht von TWA überhaupt zu erreichen schien.

Ein wichtiger Grund für das große Engagement von Seiten der Fluggesellschaften bei der Einflussnahme auf das neue und mittelgroße Großraumflugzeug war die Erkenntnis, dass die parallel laufende Entwicklung der Boeing 747-100 zu einem Flugzeug führte, das für die eigenen Strecken und Anforderungsprofile schlicht zu groß war. Für Lockheed und McDonnell Douglas war dies natürlich auf den ersten Blick von Vorteil, da auf diese Weise ein sehr intensiver Austausch zu Kundenanforderungen zu Stande kam. Gleichzeitig war es für die Hersteller natürlich schwierig, zwischen den unterscheidlichen und teils gegenläufigen Anforderungen der verschiedenen Fluggesellschaften zu vermitteln.

Im Hause Lockheed erstellte eine ganze Gruppe von Entwicklern nun eine wahre Vielzahl von Entwürfen. Hierunter war auch ein als CL-1011-28 bezeichnetes Konzept für ein zweistrahliges Flugzeug, das bei Lockheed anfangs intern stark favorisiert wurde. Alternativ wurden auch dreistrahlige Maschinen entworfen, wie die CL-1011-31, CL-1011-32 und CL-1011-33, doch diese Konzepte konnten in diesem Stadium der Anforderungen und Entwicklung nicht an die Wirtschaftlichkeit zweistrahliger Konzepte heranreichen. Nicht zuletzt deshalb nutzte Lockheed die konkreten Ansprüche der Fluggesellschaften erst einmal dazu, um das Konzept CL-1011-28 weiter auszufeilen. Vor der Anpassung hatte das Konzept eine Gesamtlänge von 49,38m bei einer Spannweite von 47,24m. Dies sollte der Maschine eine Kapazität von 250 Passagieren bei einer Startmasse von 300.000lb verleihen.

Die Berücksichtigung der zusätzlichen Anforderungen stellte für Lockheed nun einen schwierigen Spagat zwischen drei Airlines, den technischen Rahmenbedingungen der damaligen Zeit und den Einschränkungen des Flughafens LaGuardia dar. Ergebnis dieses Prozesses war eine zwischenzeitliche Festlegung auf zwei großvolumige Mantelstromtriebwerke mit hohem Mantelstromverhältnis und mit jeweils 50.000lb Schubkraft, die in Pylonen unter den Tragflügeln montiert werden sollten. Ziel war es, mit dieser Wahl des Antriebs eine Reichweite des Flugzeugs zu erzielen, welche Direktflüge von Chicago nach San Francisco ermöglichte. Die Reichweite wurde zu diesem Zeitpunkt mit 3.426km angegeben. Lockheed wählte zu diesem Zeitpunkt eine eher klassische Gestaltung des Flugzeugkonzepts mit konventionellem Leitwerk, einer Auslegung als Mitteldecker und einer Rumpfkonstruktion unter Verwendung etablierter Fertigungsmethoden und Materialien. Dieses Gesamtkonzept hatte allerdings noch keinen definitiven Charakter und Lockheed befand sich weiterhin in Abstimmung mit den potenziellen Kunden und möglichen Zulieferern.

Die Fusion von Douglas mit McDonnell zu McDonnell Douglas hatte keinen wesentlichen Einfluss auf die laufenden Entwicklungsarbeiten und schon zu diesem frühen Zeitpunkt war erkennbar, dass Lockheed und McDonnell Douglas recht ähnlich auf die Anforderungen der Fluggesellschaften reagierten: Beide Firmen hatten bis dorthin nicht nur zweistrahlige sondern auch dreistrahlige Flugzeuge entworfen und beide Hersteller hielten an den strengen Anforderungen des New Yorker Airports LaGuardia fest. Wesentlichster Unterschied bis dorthin war die Antriebsfrage, denn während McDonnell Douglas das JT9D von Pratt&Whitney und das CF6 von General Electric ins Kalkül zog, war Lockheed zum gleichen Zeitpunkt noch vollkommen offen in der Antriebsfrage und neben den beiden bereits genannten Triebwerkstypen kam für den Flugzeughersteller aus Palmdale auch eine Zusammenarbeit mit dem Triebwerkshersteller Rolls-Royce aus Großbritannien in Frage.

Als Mitte des Jahres 1967 noch immer viele wichtige Detailfragen an den künftigen Flugzeugen von Lockheed und McDonnell Douglas offen waren, insbesondere die Frage nach einem zwei- oder dreistrahligen Layout, suchten die Fluggesellschaften und die Flugzeughersteller erneut das Gespräch. Ziel der gegenseitigen Konsultationen war eine rasche Festlegung des Antriebskonzepts für die künftige DC-10 von McDonnell Douglas und den künftigen L-1011 TriStar von Lockheed. Noch im Sommer 1967 legte sich dieser Kreis dann nach einigen Verhandlungsrunden endgültig auf eine dreistrahlige Konzeption fest.

Lockheed trug dieser Einigung dann unmittelbar Rechnung und setzte fortan explizit auf den Einsatz von drei Triebwerken mit jeweils rund 40.000lb Schubkraft. Zuvor war der Hersteller stets von einer späteren Gesamtleistung von rund 100.000lb ausgegangen und der Leistungszuwachs um 20.000lb stellte nun planerisch eine vollkommen neue Grundlage für das Flugzeug dar. Dies gilt vor allem, da mehr Leistung prinzipiell die Möglichkeit eröffnet eine größere Masse zu bewegen und damit auch mehr Reichweite oder Nutzlast zu erzielen. Die Weichen für das künftige Flugzeug standen fortan also auf Wachstum und die Entwicklungsabteilung zog sich sofort zurück, um die Planung entsprechend der neuen Grundlage anzupassen.

Bis zum 11. September 1967, einem Schlüsseltag in der Geschichte des TriStar, drangen keine neuen Konzepte mehr von Lockheed an die breite Öffentlichkeit. An jenem Tag im Spätsommer 1967 trat der damalige Präsident von Lockheed, Daniel J. Houghton, vor die Presse und verkündete feierlich, dass er fortan Aufträge für das neue Großraumflugzeug seines Unternehmens entgegen nähme. Selbstverständlich gab er bei dieser Gelegenheit auch genaue Auskunft über die Spezifikation des neuen Modells und er verkündete die folgende Eckdaten des dreistrahligen Flugzeugs: Die Maschine sollte bei einer Gesamtlänge von 53,34m über 250 Sitzplätze verfügen. Zudem sollte das Flugzeug mit Namen L-1011-1 TriStar1 alle Kriterien erfüllen, um uneingeschränkt vom New Yorker Flughafen LaGuardia aus operieren können. Im Bereich des Antriebs gab Houghton an, dass drei Triebwerke mit je 37.000lb Schubkraft zum Einsatz kommen würden. Über Hersteller und Typ der Antriebssysteme machte der Firmenchef zu diesem Zeitpunkt noch keine Angaben. Die Wahl der Bezeichnung TriStar erklärte Houghton mit der bereits lange bestehenden Tradition des Flugzeugherstellers, seine Maschinen nach Himmelskörpern zu bezeichnen. Zur Unterstreichung des dreistrahligen Antriebssystems hätte man daraufhin folgerichtig die Bezeichnung L-1011 TriStar gewählt.

Der TriStar1 war, so wie am 11. September 1967 öffentlich spezifiziert, noch immer konform zu den Anforderungen, die American Airlines ursprünglich formuliert und kommuniziert hatte. In den Wochen nach der Ankündigung des L-1011-1 wurde es erst einmal wieder ruhig um das neue Flugzeug und es kam auch nicht zu den erhofften ersten Bestellungen. Genau fünf Monate nach dem offiziellen Verkaufsstart verloren die Anforderungen von American Airlines an das neue Flugzeug von Lockheed plötzlich komplett an Bedeutung: Zu diesem Zeitpunkt verkündete American, man habe sich statt für den TriStar für die DC-10-10 von McDonnell Douglas entschieden. Dies war ein schwerer Schlag für Lockheed, da man aus eigener Sicht den wohl wichtigsten Kunden an das direkte Konkurrenzprodukt verloren hatte. Nun nicht mehr um die Aufträge von American Airlines kämpfend, wandte man sich umgehend an Eastern Air Lines und Trans World Airlines und zeigte sich bereit, das Flugzeug nun konsequent an deren Bedürfnissen auszurichten.

Bereits im März 1968, also nur rund einen Monat nach der Entscheidung von American Airlines für die DC-10-10, lag dann eine spürbar veränderte Ausrichtung für den künftigen L-1011-1 vor. Diese sollte nun auch recht bald die stabile Grundlage der weiteren Entwicklung des Flugzeugs sein. Der TriStar1 wurde nun deutlich größer ausgelegt als bisher und die maximale Startmasse des Großraumflugzeugs gab Lockheed mit spürbar erweiterten 185,52t an. Der L-1011-1 sollte nun für 345 Passagiere Platz bieten und insgesamt über eine Nutzlast von 25,49t verfügen. Im Bereich der Triebwerke stellten fortan 40.000lb pro Triebwerk den Stand der Planung dar und alle bisherigen Kaufinteressenten hatten sich im Bereich des Antriebs bis dorthin für Turbinen von Rolls-Royce ausgesprochen. Ferner sollte die Reisegeschwindigkeit auf 10.668m Flughöhe, nun mindestens bei Mach 0,80 liegen. Die angestrebte Reichweite des Flugzeugs lag nun bei 5.500 bis 6.000km. Zum Vergleich beträgt die Großkreisdistanz von New York nach Los Angeles rund 4.000km und zwischen Miami und Seattle rund 4.400km. Aus dem zuvor für Flüge von Chicago nach San Francisco ausgelegten Flugzeug wurde nun also eine Maschine mit transkontinentalen Fähigkeiten in Nordamerika. Die neuen Spezifikationen entsprachen offensichtlich bis ins Detail den Vorstellungen von Eastern Airlines und Trans World Airlines und am 26. März 1968 entschieden sich die beiden Fluggesellschaften für den Kauf des neu ausgerichteten L-1011-1 TriStar1.

Diese sehr positive Entscheidung für Lockheed wurde noch einige Tage zurückgehalten und erst am 29. März in der Firmenzeitschrift „The Lockheed Star“ verkündet und als Basis des in Kürze bevorstehenden Projektstarts definiert. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Flugzeugbauer dann bereits 144 feste Bestellungen für den TriStar erhalten, wovon 50 Flugzeuge für Eastern Air Lines, 44 Flugzeuge für Trans World Airlines und weitere 50 TriStars für die britische Air Holdings Ltd. bestimmt waren. Letzterer Auftrag bestand hierbei aus 30 festen Bestellungen und zusätzlich 20 Optionen. Die Aufträge hatten einen kumulierten Gesamtwert von 2,16 Milliarden $US und bezogen sich ausschließlich auf Maschinen mit dem RB.211 von Rolls-Royce, einem leistungsfähigeren und noch in Entwicklung befindlichen Nachfolger des Anfangs in die konzeptionelle Phase der Planung aufgenommenen RB.178-51.

Während McDonnell Douglas recht früh eine Festlegung auf die genaue Einbauposition des dritten Triebwerks im Heck vorgenommen hatte, war dieser Punkt zu diesem Zeitpunkt bei Lockheed noch offen. Die Entscheidung an der DC-10-10 sah vor, das dritte Triebwerk in das Leitwerk des Flugzeugs zu integrieren. Diese hohe Position hatte zwar Nachteile bei der Ruderwirkung und im Bereich der Gewichtsverteilung, jedoch erlaubte der Einbau an dieser Stelle eine große Flexibilität bei der genauen Wahl des Triebwerks. Es stellte also technisch von Seiten McDonnell Douglas kein Problem dar, den Kunden weiterhin eine freie Wahl der Triebwerke zu ermöglichen. So konnte man die DC-10-10 wahlweise mit dem CF6 von General Electric, oder mit dem JT9D von Pratt&Whitney ordern – ein wirklich bedeutender Entschluss wie sich später herausstellen sollte. Lockheed arbeitete zum gleichen Zeitpunkt noch immer intensiv an der Einbauposition des dritten Triebwerks und ganze Versuchsreihen im Windkanal lagen noch vor den Ingenieuren aus Palmdale. Die Ausgangssituation wurde hierbei auch von der Tatsache beeinflusst, dass bisher ausschließlich Bestellungen für Maschinen mit Triebwerken von Rolls-Royce eingegangen waren. Somit war, zumindest bis hierhin, eine Festlegung auf einen einzigen exklusiven Triebwerkstyp und eine Optimierung des Flugzeugs auf genau dieses Triebwerk denkbar.

Zu einem recht späten Zeitpunkt war also noch immer offen, wie nun schlussendlich das dritte Triebwerk im Heck der L-1011 untergebracht werden würde. Zwei Alternativen kamen in die engere Auswahl: Ein Einbau ins Heckleitwerk mit gerader Luftführung, wie bei der DC-10, oder ein Einbau ins Heck des Flugzeugrumpfs mit einer gewundenen Luftzufuhr, etwa vergleichbar mit der Konstruktion der Boeing 727. Letztere Variante erforderte eine genaue Anpassung des Flugzeugs an das Triebwerk und umgekehrt, wobei die logische Konsequenz sein würde, dass die Kunden keine Wahlmöglichkeit beim Triebwerkstyp haben würden.


Abbildung : Bei der Boeing 727, hier N342PA, eine 727-222 aufgenommen am 27. Dezember 2007, ist der gewundene Luftführungsweg des 3. Triebwerks und dessen Anbau zwischen Rumpf und Leitwerksaufbau auf den ersten Blick zu erkennen.


Die ausgedehnten, aufwändigen und auch teuren Windkanaltests ergaben schlussendlich, dass ein Einbau in den Flugzeugrumpf und eine Luftzuführung über einen gewundenen Kanalzug auf der Rumpfoberschale das optimale Konzept darstellten. Man versprach sich von dieser Konstruktion eine erhöhte Flugstabilität, eine Reduktion des Reibungswiderstands um rund fünf bis zehn Prozent und eine Gewichtsersparnis von gut 360kg. Hierfür war man bereit, einen geringfügigen Verlust an Wirkungsgrad des Antriebs durch eine gebogene Luftführung hinzunehmen. Zudem hatte der Einbau des Triebwerks in das Leitwerk zu einer starken Verringerung der Rudereffizienz geführt und dies war aus Sicht der leitenden Ingenieure ein Effekt, den es mit aller Macht zu verhindern galt. Die Entscheidung stand nun also fest: Der TriStar würde exklusiv mit dem RB.211 von Rolls-Royce im Heck ausgeliefert werden. Dies lag am sehr günstigen Stückpreis des Triebwerks und den sehr attraktiven garantierten Leistungs-, Verbrauchs- und Gewichtswerten. Dieser Entschluss sollte später noch erhebliche Folgen für das Projekt mit sich bringen.


Abbildung : Auf diesem Bild des L-1011 mit der Seriennummer 1079 von PSA, N10114, ist die gewundene Luftzufuhr des RB.211 im Heck des TriStar hervorragend zu erkennen. Durch die Wahl dieser Einbaumethode legte sich Lockheed auf das britische Triebwerk fest.


Die feste Bindung an das britische Triebwerk stellte für US-Flugzeugbauer ein Novum dar. Um dies zu ermöglichen, mussten Lockheed und Rolls-Royce politisch einige Winkelzüge vornehmen. Eine zentrale Rolle spielte hierbei die bereits angesprochene Firma Air Holdings Ltd. Sie war als Instrument vorgesehen, um bei Lieferung von Triebwerken aus Großbritannien in die USA und von Flugzeugen aus den USA nach Großbritannien, die Effekte auf die Außenhandelsbilanzen der beiden Länder näherungsweise auszugleichen. Hierzu hatte man eine komplexe Kette von Abkommen gestaltet, welche sich vereinfacht wie folgt darstellten:

Die Air Holdings Ltd. bestellte bei Lockheed 50 TriStars ohne die Absicht zu haben, diese selbst zu besitzen und zu betreiben. Im Gegenzug sicherte Rolls Royce die Air Holdings Ltd. mit damals rund 30 Mio. US-Dollar vollumfänglich gegen Verlust ab. Zudem hinterlegte Air Holdings Ltd. für jedes der 50 bestellten Flugzeuge bei Lockheed einen Pfand, welcher bei ausbleibender Abnahme des Flugzeugs schlussendlich verfallen würde. Die Finanzierung dieser Einlage und der nötigen Zinsen übernahm Rolls-Royce. Daneben galt, dass jeder von Lockheed außerhalb der USA verkaufte TriStar die Abnahmeverpflichtung von Air Holdings Ltd. um ein Flugzeug reduzierte.

Dieses Konstrukt verhalf Lockheed schlussendlich, trotz der Wahl des britischen Triebwerks, zur Aufrechterhaltung der politischen Unterstützung der US-Regierung und war ein kritischer Erfolgsfaktor für die weiteren Schritte. Gleichzeitig erfüllte der Deal auch den Zweck, dass Trans World Airlines und Eastern Air Lines als Käufer des L-1011 TriStar nicht ihr Gesicht verloren und in der Öffentlichkeit als Vernichter von Arbeitsplätzen in den Vereinigten Staaten denunziert werden konnten.

Abseits des politischen Parketts hatte Rolls-Royce mit dem RB.211 technisch und preislich, wenngleich bis dato im Wesentlichen nur auf Papier, ein schier unschlagbares Paket geschnürt. Allerdings setzte man bei dem britischen Traditionsunternehmen, zur Erreichung der kommunizierten Kennzahlen des Triebwerks, auf den Einsatz sehr leichter Fanschaufeln aus dem neuartigen Kompositmaterial Hyfil. Dieses Material war zuvor noch nie in diesem Bereich eingesetzt worden, versprach aber größte Stabilität bei deutlich reduziertem Gewicht gegenüber Stahl und Titan. Zudem erhoffte man sich von dem neuen Material ein großes Wachstumspotenzial für das Triebwerk und eine reduzierte Zahl von Beschädigungen und Ausfällen durch die insgesamt niedrigeren Lasten. Lockheed und Rolls-Royce sollten zu einem etwas späteren Zeitpunkt auf recht dramatische Weise eingestehen müssen, in Sachen Hyfil einer Fehleinschätzung aufgesessen zu sein, hierzu aber später. Das RB.211 war jedenfalls fortan das einzige, exklusive Triebwerk für das neue Großraumflugzeug von Lockheed.

Lockheeds L-1011 und die DC-10 von McDonnell Douglas waren sich also konzeptionell äußerst ähnlich und entwickelten sich auch zeitlich nahezu parallel. Sie sprachen somit einen identischen Käuferkreis an und standen in direkter Konkurrenz zueinander. Daher ist es auch sinnvoll, die Bestellungen für die beiden Flugzeuge direkt gegenüberzustellen. Lockheed hatte in den Monaten März und April 1968 bereits die stattliche Zahl von 168 Flugzeugen verkaufen können. Im Einzelnen kamen die Bestellungen von Eastern Air Lines, Trans World Airlines und Delta Air Lines, sowie die ausführlich beschriebene Bestellung über 50 Flugzeuge von Air Holdings Ltd. Daneben ist in den Büchern von Lockheed eine Bestellung über zwei Flugzeuge und zwei zusätzliche Optionen von Northeast Airlines verzeichnet. Diese traditionsreiche Fluggesellschaft, unter anderem der Erstkunde für die Boeing 727-200, geriet allerdings in den späten 1960er Jahren in finanzielle Schwierigkeiten und während man im Frühjahr 1970 Übernahmeverhandlungen mit Northwest Airlines führte, stornierte Northeast Airlines die Bestellung bei Lockheed. Northeast Airlines fusionierte schlussendlich doch nicht mit Northwest Airlines, sondern deutlich später, erst am 1. August 1972, mit Delta Air Lines, wodurch Delta im stark regulierten Markt der 1970er Jahre erstmals Streckenrechte nach Boston erhielt und die 727-200 in die Flotte integrieren konnte, welche sich in den folgenden rund zwei Jahrzehnten zum wichtigsten Arbeitstier der Fluggesellschaft entwickelte.

Die Gesamtbestellsituation des Lockheed TriStar stellte sich zum Ende des Jahres 1968 dementsprechend wie folgt dar:


Kunde

Land

Region

Modell

Engine

Datum

Anzahl

Eastern Air Lines

USA

Nordamerika

L-1011-1

RR

29.03.1968

50

Trans World Airlines

USA

Nordamerika

L-1011-1

RR

29.03.1968

44

Delta Air Lines

USA

Nordamerika

L-1011-1

RR

April 1968

24

Northeast Airlines

USA

Nordamerika

L-1011-1

RR

April 1968

2 + 2

Air Holdings Ltd.

UK

Europa

L-1011-1

RR

April 1968

50

Tabelle : Gesamtbestellungen Lockheed TriStar zum Jahresende 1968


Im Vergleich hierzu hatte McDonnell Douglas bis Mitte April 1968 erst 25 DC-10 verkauft und diese allesamt als DC-10-10 mit CF6 Triebwerken von General Electric und an American Airlines. McDonnell Douglas senkte daraufhin den Stückpreis um eine halbe Million Dollar. Daraufhin bestellte die Fluggesellschaft United Airlines 22 DC-10-10 mit den gleichen Triebwerken, was zumindest schon einmal die Sinnhaftigkeit des Starts der Serienproduktion sicherstellte. Noch im Jahr 1968 konnte McDonnell Douglas mit Northwest Airlines den ersten Kunden für eine Langstreckenversion des Flugzeugs gewinnen. Diese Version wurde seinerzeit als DC-10-20 vermarktet und später zur DC-10-40 umbenannt. Zudem fand sich mit Transamerica Airlines auch der Erstkunde für eine kombinierte Passagier- und Frachtversion. Die Gesamtsituation bei McDonnell Douglas sah also im Bezug auf die DC-10 gegen Ende 1968 wie folgt aus:


Kunde

Land

Region

Modell

Engine

Datum

Anzahl

American Airlines

USA

Nordamerika

DC-10-10

GE

01.02.1968

25

United Air Lines

USA

Nordamerika

DC-10-10

GE

01.04.1968

22

Northwest Airlines

USA

Nordamerika

DC-10-40

PW

01.10.1968

14

Transamerica Airlines

USA

Nordamerika

DC-10-30CF

GE

01.11.1968

2

Tabelle : Gesamtbestellung McDonnell Douglas DC-10 zum Jahresende 1968

Aus dieser Darstellung wird ersichtlich, dass Lockheed in den ersten Monaten der Verkaufsphase deutlich mehr Bestellungen einsammeln konnte, als der Hauptkonkurrent McDonnell Douglas. Nur 63 verkauften DC-10 standen am 31.12.1968 den bis dorthin 168 verkauften TriStars gegenüber. Über die reinen Verkaufszahlen hianus hatte es McDonnell Douglas zu diesem Zeitpunkt aber schon geschafft, neben dem Basismodell DC-10-10, spezialisierte Varianten zu entwickeln und zu vermarkten. Im Gegensatz hierzu bot Lockheed noch immer nur das Basismodell L-1011-1 an. Eine nicht ganz freiwillig getroffene und sich nachteilig auswirkende Entscheidung, wie sich später herausstellen sollte.

Im direkten Vergleich der Basismodelle, also der L-1011-1 und der DC-10-10 wurde vielen Fluggesellschaften deutlich, dass der TriStar gegenüber der DC-10 das deutlich innovativere und technologisch anspruchsvollere Flugzeug war. Ein Flugzeug ist schlussendlich bekanntlich deutlich mehr als die Summe seiner in Mathematik und Physik ausgedrückten Basiseigenschaften und Eckwerte. Lockheed hatte früh angekündigt, das modernste und beste Flugzeug der Menschheitsgeschichte bauen zu wollen und dies erforderte sicherlich an vielen Stellen mehr als einen klassischen Ansatz und konservative Herangehensweisen. Modernität und Führerschaft lassen sich nicht nur durch die einfache erneute Anwendung schon etablierter Methoden und Fertigungsprozesse erreichen.

Lockheed war dies wohl sehr bewusst und folgerichtig suchte der US-Flugzeugbauer für den TriStar auch nach völlig neuen Wegen. So wurde beispielsweise nach Projektstart die detaillierte Entwicklung des Flugzeugs auf Komponentenebene durch den Einsatz modernster und rechnergestützter Systeme unterstützt: Während die Konkurrenz noch weitgehend am Zeichenbrett agierte um die Detailplanungen am Flugzeug zu erstellen, nutzte Lockheed bereits Ende der 1960er Jahre modernste Computersysteme für diese Zwecke: Für die Planung und den Bau des TriStar kam CADAM zum Einsatz (Computer Aided Design and Manufacturing), ein rechnergestütztes Entwicklungstool mit modernster Touchscreen-Funktionalität, welches seinerzeit auf riesigen IBM-Mainframe Computern lief. Nach einer Umbenennung von CADAM in Computer Augmented Design and Manufacturing wurde das Produkt ab 1977 von Lockheed an weitere Luftfahrtunternehmen verkauft. War CADAM also ursprünglich noch ein Mittel zum Zweck, so entwickelte es sich später zu einem Produkt von Lockheed, welches sich eigenständig und gewinnbringend vermarkten ließ. Die Weiterentwicklung und Portierung von CADAM endete erst im Jahr 1993, nachdem Lockheed das System 1989 an IBM verkauft hatte, die es ihrerseits 1992 an Dassault Systèmes aus Frankreich weiterkauften. Im Bereich rechnergestützte Entwicklung und Fertigung hat Lockheed mit dieser Technologie definitiv neue Maßstäbe gesetzt und für lange Zeit eine gute Position am Markt eingenommen.

Neben der Planung und der Entwicklung des Flugzeugs, setzte auch die Fertigung des TriStar absolut neue Maßstäbe: Lockheed entwickelte eine vollkommen neue Fertigungstechnik die zum Ziel hatte, den TriStar nahezu immun gegen Korrosion zu machen und die Materialermüdung auf einem so niedrigen Niveau zu halten, dass durch diesen Faktor keine Begrenzung der Lebensdauer der Flugzeuge zu erwarten sein würde. Die Umsetzung dieser Zielsetzung setzte im Wesentlichen auf einer neuartigen Klebetechnik auf: Während metallische Komponenten zuvor im Flugzeugbau bis auf wenige Ausnahmen generell mit Nieten oder Schrauben verbunden wurden, setzte Lockheed für den TriStar auf Spezialklebstoffe. Diese wurden auf die Flächen aufgetragen und unter hohem Druck und bei großer Hitze zum Aushärten gebracht. Hierdurch werden die Verbindungen vor eindringender Feuchtigkeit und auch vor Sauerstoff geschützt. Um diese Technologie tatsächlich für den Bau des TriStar nutzen zu können, benötigte der Hersteller den seinerzeit größten Autoklaven der Welt, sozusagen ein „Druck- und Hitzeofen“ in dem Komponenten unter hohem Druck und kontinuierlicher Energiezufuhr miteinander verbunden werden. Die riesige Maschine hatte einen Innendurchmesser von 6,71m und eine Länge von 20,12m. Die größten Komponenten die Lockheed in diesem Autoklaven für den TriStar fertigte, hatten Ausmaße von bis zu 4,57m Breite und 11,58m Länge. Es handelte sich hierbei um Rumpfkomponenten wie Rumpfoberschale, Rumpfseite und Rumpfunterschale. Die Klebetechnik brachte, neben der Langlebigkeit des Produkts und der Verhinderung von Korrosion, noch weitere Vorteile mit sich, darunter eine signifikanten Gewichtsersparnis gegenüber Schrauben und Nieten. Aus heutiger Sicht kann man guten Gewissens sagen, dass Lockheed die selbst definierten Ziele mit den genannten Methoden an dieser Stelle tatsächlich vollständig erreichen konnte.


Innovation in Detailplanung und Fertigung

Die lange Liste der Innovationen für und am TriStar beeindruckt noch heute. Neben Neuerungen bei der Planung, Entwicklung und Fertigung des Flugzeugs, wollte Lockheed seinem ersten zivilen Großraumflugzeug natürlich auch ganz besondere technische und fliegerische Eigenschaften verleihen. Insbesondere im Bereich der Flugsteuerung und Avionik erreichte der Hersteller hierbei ein bis dorthin nicht gekanntes Niveau: Lockheed hatte im Rahmen von militärischen Projekten sehr große Erfahrung in speziellen Bereichen der Flugsteuerung sammeln können. So hatte man für den SR-71 Blackbird ein neuartiges, multiredundantes, multiaxiales, elektronisches Flugsteuerungssystem entwickelt und mit den Modellen C-141 Starlifter, C-5 Galaxy und JetStar konnte der Hersteller detaillierte Erfahrungen im Bereich der Allwetterlandesysteme sammeln. Diese Kenntnisse kamen für den TriStar unter signifikanter Weiterentwicklung wieder zum Einsatz. Insgesamt verfügte das Flugzeug dadurch über eine Vielzahl von höchstwertigen automatischen Systemen zur Flugsteuerung, die der Hersteller seinerzeit als Instrumente zur Verbesserung der Flugleistung und insbesondere auch der Sicherheit verstand. Die Systeme wurden zum Avionics Flight Control System (AFCS) vereint, welches vier hauptsächliche Teilkomponenten besitzt und manuelle und automatische Kontrollmodi für sämtliche Flugzustände zur Verfügung stellt. Dies schließt sowohl die Startphase als auch die Verzögerungsphase nach der Landung ein. Nachfolgend eine jeweils kurze Beschreibung der vier Subsysteme des AFCS.

  • Autopilot/Flight Director System (APFDS): Das Subsystem APFDS stellt eine automatische

    Impressum

    Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

    Bildmaterialien: Siehe Quellen
    Tag der Veröffentlichung: 18.12.2019
    ISBN: 978-3-7487-2387-5

    Alle Rechte vorbehalten

    Widmung:
    Ich danke auf das Herzlichste all meinen Unterstützern und Förderern und insbesondere meiner Familie, welche meine Leidenschaft schon viele Jahre unterstützt. Vielen lieben Dank!

Nächste Seite
Seite 1 /