Er kam von nebenan und traf mich völlig unvorbereitet. Der Kaffeebecher glitt mir aus den Händen und das heiße, schwarzbraune Gebräu ergoss sich über mein rechtes Hosenbein. Mit der Verzögerung von einer halben Sekunde stellte sich der Schmerz auf der Haut meines Oberschenkels ein. Ich fluchte ziemlich unziemlich.
Ich war, verdammt noch mal, in der Bredouille: Einerseits war eine Frau nebenan in höchster Gefahr, andererseits brannte der heiße Kaffee sich durch meine Jeans in meinen Oberschenkel ein! Guter Rat war teuer und die Zeit vermutlich knapp! Was die Verbrennung zweiten Grades auf meinem Oberschenkel anlangte, auf jeden Fall. Wie der Schrei allerdings geklungen hatte, war das nichts im Vergleich zu dem, was sich in diesem Moment dort drüben zutragen musste. Der Gedanke daran machte den Schmerz keineswegs erträglicher, aber er half, die Prioritäten neu zu setzen. Ich stürzte aus dem Haus, rannte quer über die holprige Wiese des Grundstücks, auf der sich mein Ferienhaus befand hinüber zum Nachbarhaus. Unsere Anwesen waren nicht von einem Zaun separiert, wohl aber wuchs in Nachbars Garten eine nicht unansehnliche Hecke aus Wildrosen, deren Früchte in allen möglichen Schattierungen von Rot prangten, aber nicht darüber hinweg zu täuschen vermochten, dass diese Hecke überaus stachelig war.
Der Held in mir übernahm das Regime, bevor ich mich versah. Ich war im vollen Lauf, versuchte über die Hecke zu setzen, was mir auch fast gelungen wäre, wenn ich zwanzig Jahre jünger, zehn Kilo leichter und eine Winzigkeit trainierter gewesen wäre. Ich strauchelte, die gierigen Stacheltriebe der Hagebutte krallten sich in meine Hosenbeine und zogen mir buchstäblich die Beine unter dem Hintern weg. Reflexartig riss ich die Arme nach vorn um den Sturz abzufangen. Dabei nahm ich einen recht ausgewachsenen Zweig der Heckenrose mit, stütze mich mit der Rechten darauf. Dutzende Dornen bohrten sich in meine Handfläche und nagelten meine Maus bis zum ersten Daumengelenk. Ich ging zu Boden, was sicher nicht besonders elegant ausgesehen haben musste. Es war mir egal. Ich war nicht Siegfried, ich wollte retten, nicht gut ausschauen.
Also rappelte ich mich hoch, umrundete das Haus zur Hälfte und riss die Seitentür zur Küche des Nachbarhauses auf.
Schon stand ich mitten im Raum und wurde der Frau ansichtig. Ein guter halber Liter Schokoladenpudding hatte sich nicht ganz gleichmäßig über ihr beschürztes T-Shirt verteilt. Ich war bis unter den Scheitel voller Adrenalin und nahm selbst die kleinsten Details wie in Zeitlupe wahr. So vermeinte ich, von ihrem nicht sehr üppigen aber wohl geformten Busen kleine Dampfwölkchen aufsteigen zu sehen. Außerdem glaubte ich, einen mausgrauen kleinen Schatten hinter der Verschalung der Dunstabzugshaube über dem Herd verschwinden zu sehen. Ich war mir aber nicht ganz sicher.
Als nächstes nahm ich zur Kenntnis, dass sich außer der Frau, die mich mit vom Schrecken geweiteten Augen bar jeden Verstehens anstarrte, niemand sonst aufhielt. Also war die Bedrohung nicht offensichtlich, die den Schrei verursacht haben musste, der wie eine vergessene Erinnerung ihren hübschen Mund noch immer verzerrte.
Ihr Blick wurde plötzlich unstet und wanderte von meinem Gesicht schichtweise abwärts, als wären ihre Augen an ein CT angeschlossen. Und dann wurde ich mir bewusst, was diese arme erschreckte Frau gerade zu sehen bekam. Ein älterer Mann mit eisgrauem Bart und einem kleinen Kugelbauch, der vom großzügig geschnittenen grauen T-Shirt nur unzureichend kaschiert wurde, das über ausgeblichene Jeans reichte, deren rechtes Hosenbein deutlich mit einer Flüssigkeit getränkt war. Hinzu kam mein gehetzter Gesichtsausdruck und die Tatsache, dass meine Hände zerkratzt waren und grün vom Moos auf dem Rasen.
„Was ist passiert!?“, rief ich heiser und räusperte den Frosch weg.
„Das fragen Sie mich? Wer sind Sie und was ist mit Ihnen los? Wieso stürzen Sie hier so einfach rein?“
Mit jeder neuen Frage erlangte die Frau mehr ihrer Fassung zurück und stürzte mich in immer deutlichere Bedrängnis. Ich kam mir inzwischen vor wie ein verdammter Pennbruder auf Abwegen. Ich konnte nicht verhindern, dass mein Blick dem ihren folgte und ich mit eigenen Augen das Erbarmungswürdige meiner Erscheinung zur Kenntnis nehmen musste. Und damit kehrte der Schmerz mit ungeahnter Wucht zurück. Ich verzog das Gesicht und hob die Hände, machte Anstalten, den Rückzug anzutreten.
„Halt! Warten Sie. Ist Ihnen was passiert?“ Die Frau kam nun auf mich zu. Ich riss mich zusammen, aber sie bemerkte doch meinen schnellen Blick auf ihren Busen mit dem nun langsam erkaltenden Schokopudding. Von dem Latz der Schürze nicht vollständig verdeckt zeichneten sich unter dem Shirt ihre Brustwarzen ab, die rechte mit einer Schicht Pudding verziert, was den Anblick in jedem Fall schmackhafter machte und dies in mehrerlei Hinsicht. Allein, mir stand der Sinn im Moment nicht nach Amourösem. Mein Oberschenkel brannte wie Feuer und die Hände gleich mit.
„Sie haben geschrien, da habe ich gedacht ...“, begann ich. Ihr Gesicht nahm einen bestürzten Ausdruck an. Sie schüttelte den Kopf.
„Da war diese Maus in der Schublade ...“, begann sie ihrerseits. Mit einer grazilen Geste deutete sie mit den Fingern der noch immer erhobenen Linken hinter sich.
„Maus“, entschlüpfte es mir und klang ein wenig enttäuscht. Später war ich froh, dass es kein größeres Monster gewesen war. Das war, als mein Adrenalinspiegel meiner, nun sagen wir, vorsichtigen Lebenseinstellung wieder Raum ließ, um nicht zu sagen, meiner ziemlich ausgeprägten Feigheit.
Die Frau nickte heftig, fasste sich gedankenverloren an den Latz der Schürze und damit mitten hinein in den langsam fest werdenden Pudding.
„Ach Schei ...!“, entfuhr es ihr und sie sah auf ihre puddingverzierten Finger. Ihr Blick fuhr erschrocken auf und traf auf meinen. Sie schlug sich die Hand vor den Mund. Da war es passiert. Sie merkte in just dem Moment, als die Finger ihre Lippen trafen. Sie nahm die Hand zögernd herunter. Unsere Blicke hielt sich wie gebannt an einander fest.
Natürlich sah sie wie ein kleines Mädchen aus, das gerade beim Naschen erwischt worden war. Um ihre beschmierten Lippen begann ein Lächeln zu zucken. In mir gluckste verrückt ein kleines Kichern hoch. Wir sahen uns dabei zu, wie wir beide fast synchron auf unsere Unterlippen bissen.
Irgendwie brach das Eis.
Ihre Schultern zuckten ein wenig, sie schlug die Augen nieder und unterdrückte das Lachen.
„Und was ist Ihnen zugestoßen?“, fragte sie und deutete auf meine Hände.
„Oh, nichts weiter. Die Rosenhecke draußen. Ist höher, als ich in der Eile angenommen hatte.“
„Aber Sie bluten ja“, stellte sie fest und kam heran, nahm meine Rechte, drehte die Handfläche ins Licht. Ich roch den Schokopudding, als sie sich über die Hand beugte. Ein verrückter Duft, der plötzlich meine Fantasie in Brand steckte. Als sie sich aufrichtete, war ihr Gesicht dem meinen plötzlich so nahe, dass ich nicht anders konnte. Ich küsste sie auf den puddingbraunen Mund. Der Geschmack war süß und trotz der Schokolade etwas geheimnisumwoben. Ich leckte mir die Lippen und sah plötzlich in ihre erschrockenen Augen.
„Oh, Entschuldigung. Es war einfach zu verlockend!“, hörte ich mich sagen. Sie ließ meine Hand los und trat verlegen einen Schritt zurück. Mechanisch wischte sie sich mit dem Handrücken über den Mund, sah auf die Hand und versteckte sie einen Moment hinter dem Rücken.
„Wir müssen das auswaschen“, sagte sie mit einer ein wenig belegten Stimme und deutete mit unbeholfener Geste auf meine Hand.
„Wir müssen den Pudding weg machen, bevor er ganz kalt ist“, sagte ich lächelnd und deutete auf ihren Schürzenlatz. Und wieder ritt mich ein vorwitziger Teufel: „Ich kann Ihnen ja zur Hand gehen“, schlug ich vor. Sie schaute mich zweifelnd an und ein kleines Lächeln lugte durch die Wolken ihres skeptischen Gesichts.
„So so“, sagte sie und wandte sich der Spüle hinter sich zu. Sie ließ das Wasser laufen, winkte mich zu sich. Ich trat neben sie und unsere Seiten berührten sich sacht. Mein Oberschenkel tat plötzlich schon etwas weniger weh. Sie ergriff meine linke Hand und hielt sie unter den Wasserstrahl. Das lauwarme Wasser brannte heftig auf den blutigen Kratzern. Mit sachten Fingern wischte meine Nachbarin die Handfläche sauber. Fasziniert sah ich ihr zu, dann schaute ich hoch und sah ihr Profil vor mir, die kleine, etwas stumpfe Nase, die geschwungene Brauenlinie, der ausdrucksvolle, noch immer etwas puddingverschmierte Mund. Sie bemerkte den Blick, sah kurz zur Seite. Ihre Augen hatten seltsame dunkle Einsprenkelungen!
„Bertram König“, sagte ich wie in Trance.
„Bitte?“
„König, Bertram König. Das bin ich!“
„Ach so! Keller. Marianne Keller. Freut mich“, sie versuchte mir die Hand zu geben, merkte aber, dass diese noch voller Pudding war. Wir sahen uns an und fingen beide wie auf Kommando an zu lachen. Ich nahm ihre Hand und leckte den Pudding vom Handrücken.„Sehr lecker“, bekannte ich. Sie zog die Hand nicht weg und sah mich mit verlöschendem Lächeln aufmerksam an.
„Du lässt nichts anbrennen, oder?“, fragte sie mit einem schiefen Grinsen, das ein süßes Grübchen in ihre linke Wange kerbte.
„Zumindest keinen Pudding. Ich liebe Pudding!“ Das war eine Lüge, aber dies hier war Ausnahmezustand!
„Der ist doch gar nicht angebrannt!“, protestierte Marianne und zog die Augenbrauen hoch. Ein kleiner Unmut lichterte durch ihren Blick.
„Nein. Aber man soll ihn kosten, so lange er noch warm ist“, sagte ich und grinste. Ich deutete erneut und diesmal ziemlich schamlos auf ihr T-Shirt. Hatten sich die Abdrücke ihrer Knospen seit eben ein wenig verstärkt oder war dies nur eine Hoffnung von mir?
„Ich kann neuen machen, als Entschädigung“, schlug sie lächelnd vor und hielt dabei auf kokette Weise den Kopf etwas schräg.
„Das ist doch aber nicht dasselbe“, sagte ich mit seltsam weicher Stimme. Fast war ich versucht, mich umzudrehen um, heraus zu finden, wer da sprach. Irgendwie war ich etwas wie ferngesteuert.
Marianne war irritiert und ihr Gesicht spiegelte ihre Ratlosigkeit.
„Du entschuldigst mich? Ich werd’ das mal ...“
Sie deutete vielsagend auf ihren Busen und ließ mich abrupt an der Spüle stehen. Ich folgte ihr mit den Augen hinaus auf den Flur. Das Bad war offenbar gleich hinter der Küche. Sie ließ die Tür offen und ich hörte, wie Wasser ins Waschbecken lief.
Ich war im Zwiespalt. Mein aufgeheizter haarloser Affe trommelte auf der Brust herum und wollte, dass ich ihr folgte. Der Mann in mir war feige und tarnte es gern mit Moral und Anstand.
Allein, mein Kopfkino hatte seinen eigenen Regisseur. Ich würde mich hinter sie treten sehen und sie dort mit meinen Armen umfangen. Sie hätte das T-Shirt abgestreift und ich sähe ihre weißen kleinen Brüste, die sich unter dem Einfluss des Wassers extrem zusammen gezogen haben würden. Aus dem Gekräusel der kakaofarbenen Vorhöfe – heute wurde ich diese Schokogeschichte nicht los – reckten sich etwas blassere Spitzen dem Spiegel entgegen. In dem träfen sich unsere Blicke und ich sähe, wie meine Hände – sie wären auf geheimnisvolle Weise gesundet und sauber – sich fast wie schützend über diese kleinen zauberhaften Hügel legten. Für einen Moment würden wir verharren, dann verschwämme ihr Blick, sie schlösse die Augen, lehnte sich an mich, höbe die Arme – ich sähe den leichten Flaum ihres Achselhaars, das gar nicht dunkel ist – und legte sie um meinen Kopf. Ihr Becken würde mich berühren und riebe sich an meiner Erektion. Ich nähme die harten kleinen Perlen zwischen die Finger und massierte die Brüste ganz sachte. Sie hielte die Luft an und ihre Bewegungen würden ein klein wenig intensiver. Dann würde sie sich abrupt zu mir umdrehen, umschlänge mich und ich ertränke fast in ihrem gierigen Kuss. Wir würden taumeln, einander erkunden mit den Händen. Wir landeten möglichweise in der Duschnische, wobei wir um ein Haar den blau gemusterten Duschvorhang herunterreißen könnten. Dann rauschte plötzlich warmes Wasser auf uns herab …
„Kommst du? Ich denke, du solltest deine Hose sauber machen“, riss mich ihre Stimme aus meinem Tagtraum. Ich hatte – wen wunderte es – eine gewaltige Beule an meiner noch immer zur Hälfte feuchten Vorderfront und schaute verdattert auf. Sie stand in der Tür zum Flur, hatte das Badetuch um den Körper gewickelt und ihre Augen strahlen.
Texte: Andreas E. Jurat
Tag der Veröffentlichung: 21.03.2021
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Marie