Divina:
Sophie und ich waren inzwischen so neugierig aufeinander, dass wir spontan beschlossen haben, uns einmal zu treffen. Und da sind wir nun: im Café Kränzchen, unserem Treffpunkt im Internet.
Ich habe uns extra einen Tisch in einer ruhigen Ecke, dicht beim Kamin reservieren lassen, genieße die Wärme, die er abstrahlt, und warte nun auf Sophies Erscheinen.
Vor mir steht eine große Tasse mit dampfender, heißer Schokolade nach Inka-Art (ziemlich dickflüssig mit Gewürzen - fast schon mehr zum Kauen als zum Trinken).
Sophie:
Ich gebe zu, neugierig zu sein und mutig sind zwei ganz verschiedene Eigenschaften. Neugierig bin ich generell und so kommt es, dass ich nun diese Verabredung habe mit Divina, einer ziemlich beliebten und, wie ich neuerdings weiß, rechtschreiblich und grammatikalisch versierten Autorin, die Romane schreibt, die Frau heimlich unter der Bettdecke liest.
Mit ihr wollte ich schon immer mal über Bücher, Gott und die Welt schwatzen.
Deshalb stehe ich nun mitten im virtuellen Nieselregen vor dem Café Kränzchen, das gerade neu eröffnet hat, und schiele schon mal durch die beschlagenen Scheiben. Viel sehen kann man nicht ...
Na dann ... sei der ganze Mut zusammengenommen. Beim Öffnen der Tür bimmelt eine kleine Glocke und warme, nach Backstube und Kaffee duftende Luft empfängt mich.
Viel scheint hier ja noch nicht los zu sein. Neben dem Kamin sitzt eine Dame mit langen dunklen Haaren ... Das muss sie sein. Dann wollen wir mal - auf einen gemütlichen Plausch!
"Hallo Divina!"
Divina:
"Hallo Sophie", erwidere ich. "Das ist ja schön, dass wir uns mal treffen."
Ich stehe auf und umarme sie freundschaftlich wie eine alte Bekannte. Und irgendwie sind wir das ja auch, alte Bekannte. 'Zumindest das alt trifft auf mich zu', denke ich innerlich lachend. Wie es mit ihr ist, kann ich schwer sagen, denn im Schätzen war ich noch nie gut.
Letztendlich ist es mir aber lieber, mit ihr ein nicht ganz so junges Küken vor mir zu haben - sonst wirkt man selbst schnell oberlehrerhaft.
Natürlich weiß ich noch nicht, was sich hier für ein Gespräch entwickeln wird, aber immerhin haben wir beide eine besondere Leidenschaft für Bücher - nicht nur lesen sondern auch schreiben.
"Zieh deine Jacke aus und setz' dich doch", fordere ich sie auf, schiebe mich wieder auf meinen Stuhl und winke gleichzeitig der Kellnerin. Wenn wir reden wollen, sollten auch die Stimmbänder eine genügende Feuchte haben, und einem kleinen Stück Gebäck bin ich auch nicht abgeneigt.
Ich schaue zu, wie Sophie sich aus ihrer dicken Jacke schält und sich den Schal vom Hals wickelt. Dabei betrachtet sie erst einmal das rustikale Ambiente, das dieses Café ausstrahlt, dann erst sieht sie wieder zu mir. Gedankenlesen müsste man können.
Sie setzt sich, grinst mich an und zieht ein Buch aus ihrer Handtasche, das mir sehr bekannt vorkommt: 50 Shades of Grey.
"Das kennst du sicherlich, oder?", meint sie.
Bevor sie eine Erklärung zu ihrer Handlung abgeben oder ich etwas erwidern kann, tritt die Kellnerin an den Tisch und wartet auf Sophies Bestellung.
Sophie:
Das Ablegen der "Facetten des Grey" macht ein lauteres Geräusch als gedacht. Schon ein ganz schöner Wälzer, den ich als Gesprächseinstieg mitgebracht habe ... wobei das Papier aber auch dick ist! (Große Handtaschen haben echt Vorteile!)
Die Kellnerin hat den Titel nun auch gelesen und man kann - witzig! - beobachten, wie das junge Ding leicht errötet. Erstaunlich! Wo doch alle Welt heutzutage so aufgeklärt sein will...
Tun wir dennoch so, als sei es das Normalste der Welt, einen Erotikbestseller mit in ein Café zu bringen.
"Eine großen Cappuccino und den Bratapfelkuchen", lasse ich die Kellnerin freundlich wissen, dann wende ich mich endgültig meiner Tischnachbarin zu. Auch, wenn sie sich immer mal selber als 'alt' bezeichnet, weiß ich, dass sie mir nur um 3 Jahre voraus ist. Das passt bestimmt!
Und hier soll es ja vor allem um eines gehen, um Leidenschaft!
Ha! Nicht unbedingt die aus den Shades, sondern um jene des Schreibens. ABER ich würde auch gerne mal ernsthaft mit jemandem über die Kunst, eine erotische Szene zu schreiben, plaudern.
Deshalb habe ich das Machwerk mit der Calla auf dem Cover mitgebracht.
Das alles versuche ich nun mehr schlecht als recht zu erklären und freue mich über Divinas leicht teuflisches Grinsen.
"Du bist also auch nicht der Meinung, dass E.L. James damit die neue Erotikbibel verfasst hat?", vermute ich spontan.
Ob ich nun noch dranhänge, dass mich schon das Cover maßlos amüsiert hat?
Oft genug wurde es ja inzwischen kopiert - mehr oder weniger geschmackvoll in Szene gesetzte phallusartige Blüten ... dabei ist die Ménage-à-trois der Bestäubung (Blüte - Biene - Blüte) eher etwas völlig Prosaisches und hat - zumindest für die Biene - mehr mit essen als mit Sex zu tun.
Und dass die frühen Gärtner für die Calla ganz andere Namen hatten wie Drachenwurz oder gar Schweinsohr, macht die Sache noch unterhaltsamer. Man stelle sich nur mal ein echtes Schweinsohr auf dem besagten Cover vor ...
Aber so weit abzuschweifen passt als Gesprächseinstieg nicht.
"Ich war zwar total aufgeregt, als ich mir das Buch vor ein paar Wochen besorgt habe", gebe ich zu, "aber inzwischen hält sich die Begeisterung ziemlich in Grenzen."
Innerlich kann ich über den ganzen Hype nur den Kopf schütteln. Meine Freundin hat mir den Schmöker hinter vorgehaltener Hand empfohlen und die Jungsters bei mir auf Arbeit spekulieren inzwischen heftig, wie denn ein solches Buch verfilmt werden könnte ... Das will ich lieber gar nicht wissen. Oder doch?
Wahrscheinlich doch. Denn sonst wäre ich wohl kaum auf die Idee gekommen, in einem von mir selten frequentierten Laden einer bekannten Discounterkette die Shades aus dem Kitsch-und-Schund-Bücherregal zu picken.
"Was Verbotenes tun" - das macht vielleicht einen Reiz des Buches aus.
Inzwischen liegt es ganz oben in meinem Bücherregal, damit die Kinderchen nicht drangehen ... Obwohl die kaum 100 Seiten lesen würden, nur um an eine erste pikante Szene zu kommen...
Nun bin ich aber schon gespannt, wie sich unser Gespräch entwickeln wird! Ich setz mich schon mal gerade hin - Frau ist ja emanzipiert - und beobachte Divi beim Denken.
Divina:
"Eine Erotikbibel ist das Buch wirklich nicht. Ich hätte es vielleicht als ganz netten Liebesroman eingestuft, aber mit Erotik hat es eher wenig zu tun", sage ich nachdenklich. "Aber das zeigt sich dann ja auch in den sehr konträren Kommentaren", füge ich hinzu.
Als Gesprächseinstieg ist das Buch wirklich gut geeignet, zumal die Autorin ja ursprünglich auch zu den Selbstpublizierern gehört hat, so wie Sophie und ich auch.
"Über den Inhalt kann man natürlich streiten. Aber für Frauen, die sich schon schämen, überhaupt ein Buch mit einem zumindest angedichteten Erotikanspruch zu kaufen, dürfte es ein besonderer Durchbruch sein", sage ich mit einem süffisanten Grinsen, denn mir war durchaus die zarte Röte und der leicht verschämte Ausdruck in Sophies Gesicht aufgefallen, als die Kellnerin einen Blick auf das Buch geworfen hatte. Natürlich hatte sie sich bemüht, das zu überspielen und so zu tun, als sei es das Normalste der Welt, aber Mimik und Gesichtsfarbe lügen nicht.
Für mich ist das dagegen überhaupt kein Problem und ich kann auch offen darüber sprechen, weil ich mich schon ziemlich lange mit dem Thema Erotik beschäftige. Irgendwann verliert man die Hemmungen.
"Weißt du, mein halbes Leben lang habe ich geglaubt, dass Sex etwas Schmutziges sei, habe mir Vorschriften machen lassen und erzählen lassen, wie ich zu denken habe: 'Divi, da fasst man sich nicht an, das ist bäh!', 'Divi, denk an unseren guten Ruf!', 'Divi, was sollen denn die Leute von uns denken?' Ich wurde durch die Bravo aufgeklärt, das Thema Sexualität und Nacktheit waren in unserem Hause absolut tabu. So konditioniert hält sich die Vorstellung, dass Sex etwas Ungehöriges ist, sehr, sehr lange - vielleicht auch ein ganzes Leben, wenn man nicht anfängt umzudenken.
Durch diese Denkweise fühlte ich mich eingeschränkt. Es war eine absolut unbefriedigende Situation, zumal ich Fantasien hatte - die sich natürlich nicht gehören.
Wenn du so willst, war ich ein absolut böses Mädchen, weil ich solche Fantasien bereits im zarten Alter von vierzehn Jahren entwickelt hatte."
Nun muss ich lachen, denn meine Eltern, ja meine gesamte Umgebung hatte absolut keine Ahnung davon. Von meiner besten Freundin wusste ich, dass man mich in der Klasse zu dem Zeitpunkt noch mit "eiserne Jungfrau" betitelt hatte. Doch in meinen Fantasien hatte ich weitaus schlimmere Dinge getan, als nur einen Jungen verschämt zu küssen.
Ich mache eine Pause und trinke einen Schluck von meinem Kakao, der allerdings immer noch ziemlich heiß ist. Sophie sieht aus, als hätte ich sie mit meiner "Beichte" überrascht.
Sophie:
Sie überrascht mich tatsächlich. Man kann das als Blondchen auch kaum verbergen, wenn man bei einem Gespräch rote Ohren oder so bekommt...
Ich muss das einen Moment setzen lassen und krame anstelle einer Antwort erst mal in meiner Handtasche nach den Tempos. Draußen ist es kalt, die Nase tropft - eine ausreichende Entschuldigung und gute 30 Sekunden Zeit, um nachzudenken.
Warum es mich überrascht, dass Divina so schnell zur Sache kommt, weiß ich auch nicht. Es ist auch weniger die Sache, dass sie es tut, sondern eher, dass sie da etwas beschreibt, was ich nur zu gut kenne.
Bis 21 hatte ich meine Freunde nur zum Philosophieren. Mal die Decke im Freilichtkino teilen, war schon viel und Anlass zu Träumereien. Doch eigentlich war da noch viel mehr ...
Ich nicke mal vorsichtshalber zustimmend.
"Das kommt mir bekannt vor", deute ich vorsichtig an. "Mit dem Thema Aufklärung war ´s bei mir auch nicht weit her. Was mich aber viel tiefer beeinflusst hat, war, dass meine Mutter mit ihrem Aussehen nicht zufrieden war und da ich, wie sie, rötliche Haare habe, hat sie ihre Abneigung auch immer auf mich projiziert."
Ich erinnere mich noch heute, mit 44 Jahren, wie sie mir, damals muss ich so 18 oder 19 gewesen sein, erzählt hat, dass die erste Frage der Familie nach meiner Geburt die nach der Haarfarbe gewesen sei. Ha! Als Baby trug ich eine schicke Glatze!
"Ich solle doch lieber kurze Haare tragen, wurde mir angeraten ... Das hat mich einerseits rebellisch werden lassen und ich hatte eine Zeit lang raspelkurze knallrote Borsten, andererseits hat diese Art der Erziehung mir aber auch einen lang anhaltenden Zweifel an meiner Attraktivität verpasst ... der war echt tief verwurzelt ..."
Ich streiche mir das inzwischen wieder lange, naturfarbene Haar aus der Stirn. Ganz weg ist dieses "Wer bist du denn schon?" noch immer nicht.
Stirnrunzelnd mustere ich meinen Bratapfelkuchen, der sich heimlich vor meine Nase gemogelt hat.
Von massiven Erziehungsfehlern erzählen auch die Shades of Grey. Ich schaue mir Divina an, die geduldig auf Weiteres wartet. Ob sie mit meinen Gedankensprüngen klar käme?
"Dass Erziehung das Sexualverhalten beeinflusst, ist unumstritten", halte ich mal das Offensichtliche fest. "Doch wenn man sich nun den Grey genauer betrachtet, so bekommt man den Eindruck, dass sich seine Dominanz vor allem auf einem Auslöser definiert: dem Gefühl, als Kind nicht in die perfekte Welt seiner Adoptivfamilie zu passen, also den Ansprüchen nicht zu genügen. Alles andere baut sich irgendwie darauf auf, seine Unfähigkeit, sich berühren zu lassen, vielleicht sogar seine Annahme, dass er nicht lieben kann oder darf - lese ich zumindest."
Und das sind derartig krankhafte Gründe, dass das Ganze mit "erotischem Spiel" nichts mehr zu tun hat.
"Irritierend finde ich auch die ganzen Attribute, die Frau James um Grey aufbauen muss, um ihn glaubhafter erscheinen zu lassen. Er wird ein bekannter CEO, fährt Markenautos, deren Hersteller sie die Stirn hat, noch zu benennen (wird solche Werbung auch honoriert und wenn, wie kommt man an so einen Vertrag??), er hat Haus, Helikopter und eine Armee höriger Diener und - NATÜRLICH - sieht er fantastisch aus. Alle Klischees sind erfüllt. Herzlichen Glückwunsch!"
Divina lacht schallend. Die Cafébesucher tuscheln und ich muss nun auch grinsen und noch einen drauf setzen: "Warum eigentlich sind alle Doms in den Büchern immer mindestens 1,85m, mega maskulin und durchtrainiert? Darf man mit unter 1,65m dann nicht dominant sein? Und haben alle einen psychischen Knacks? Das ist mir bisher noch gar nicht so aufgefallen!"
Na dann - die Diskussion ist eröffnet!
Divina:
Es fällt mir schwer, das Lachen wenigstens soweit zu unterdrücken, dass ich ihr halbwegs verständlich antworten kann. Allerdings ist der Anlass, warum ich lache, sicherlich ein anderer, als Sophie glaubt, denn eigentlich lache ich, weil sie dem Gehalt des Buches wesentlich mehr Realismus zugesteht, als es verdient hat. ‚Es ist Zeit, sie aufzuklären‘, denke ich glucksend.
"Da hast du gleich zwei Themen angesprochen, die getrennt beantwortet werden müssen. Fange ich mit dem ersten an: Also den psychologischen Kenntnissen von Frau James solltest du nicht so viel Gewicht beimessen. Sie scheint tatsächlich in dem Glauben zu leben, dass es unbedingt eines traumatischen Auslösers bedarf, um einen Hang zur Dominanz oder sogar zum BDSM zu entwickeln. Das ist aber absolut nicht so."
Sophies erstaunter Blick bestätigt meine Vermutung. Natürlich ist das Verständnis für solche Extremspielarten nicht besonders ausgeprägt – so wenig wie das Verständnis für Homosexualität. Oft wird ein psychischer Knacks dahinter vermutet und das mag bei einigen Personen (also jetzt bei Extremspielern) sogar der Fall sein, dennoch ist es nicht bei allen so.
"Dir ist bekannt, dass unser Verhalten nicht nur durch unsere Erziehung bestimmt wird, sondern das Ergebnis eines Zusammenspiels von Erziehung, Umwelt und Charakter ist?"
Ich sehe wie sie nickt und es hätte mich auch gewundert, wenn sie verneint hätte, denn das ist allgemein bekannt.
"Der eigene Charakter hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wie wir die anderen Einflüsse für uns aufnehmen. Wenn dem nicht so wäre, würden hier auf der Welt eine Menge mehr Psychopathen durch die Gegend laufen, als es bisher der Fall ist. Ich würde mal behaupten, dass 90% der Menschen von negativen Erlebnissen aus ihrer Kindheit berichten können und mindestens die Hälfte davon mit ziemlicher Sicherheit auch noch zwanzig Jahre später in gewisser Weise darunter leidet.“
Ihr Nicken zeigt mir Zustimmung. Ich würde fast behaupten, dass sie nicht nur zu den von mir erwähnten 90% gehört, sondern auch zu denjenigen, die in gewisser Weise auch heute noch Probleme damit haben.
„Aber deswegen werden diese nicht zum Amokläufer oder von mir aus auch Liebhaber des BDSM“, meine ich schmunzelnd. „Allerdings will ich damit nicht ausschließen, dass der Charakter von Herrn Grey zusammen mit seinen Kindheitserlebnissen zu solchen Ergebnissen führen kann – nur eben nicht in der Form und so stark vereinfacht, wie Frau James ihren Helden gestaltet hat.“
Mit dem letzten Satz habe ich absichtlich wieder Christian Grey erwähnt, da ja immer noch eine Frage unbeantwortet blieb.
„Und natürlich ist er groß, erfolgreich, kann alles und ist DER Mann schlechthin. Er steht für den Traummann der Frauen im Allgemeinen. Frau James will Träume verkaufen, also gestaltet sie ihren Helden so, wie er in den Augen der meisten Damen aussehen müsste. Nur die wenigsten würden einen kleinen, dicken Nichtskönner, der auf der Straße lebt, weil er mit Geld nicht umgehen kann, als ihren Traummann bezeichnen. Also wird das Klischee bedient. Das Publikum will es so.
Wenn du so willst: Du hast Nashoba und seine Anhänger doch auch alle mit besonders attraktiven Attributen ausgestattet.“
Sophie scheint ganz gebannt von meinen Ausführungen zu sein, denn sie hat sogar das Kauen ihres Kuchens eingestellt, nickt aber immerzu bestätigend.
„Ich habe mal einen erotischen Kurzroman geschrieben, in dem die Protagonistin nur fünfzehn Kilo Übergewicht auf die Waage brachte. Ich musste mir von einer Leserin gleich sagen lassen, dass sie es absolut unerotisch fände, sich so eine moppelige Frau bei der Selbstbefriedigung vorzustellen. Da siehst du mal, was es anrichten kann, wenn man etwas von der allgemeinen Vorstellung abweicht.“
Inzwischen kaut sie wieder weiter, und da ich hier keinen Vortrag halten, sondern mich unterhalten wollte, komme ich auch zum Schluss meiner Ausführungen.
„Aber du hast natürlich recht: Mit entsprechenden Worten kann auch ein kleinerer Mann mit einem vollkommen normalen Beruf erotisch in Szene gesetzt werden. Man muss es nur können und ich hoffe, dass es mir in meinem neuen Roman gelungen ist.“
Sophie:
Kaffee, Kuchen und Psychologie also!
"Mir ist schon klar, dass eine dominante Veranlagung nicht unbedingt gleich einen Krankheitswert hat", stelle ich richtig. "Das haben wir ja schon mal ausführlich diskutiert, damals mit D."
Ich sehe, dass Divina lächelt und schwelge einen Moment lang ebenfalls in der Erinnerung an vergangene Diskussionen über Bücher aus eigener Werkstatt, vor gefühlten einhundert Jahren in einer Community, die auch Bookrix hieß, aber dennoch ganz anders war ...
"Trotzdem ist diese Art von Erotik nicht ganz zu Unrecht mit Vorurteilen belegt", versuche ich, meine Zweifel zu formulieren. "Sicher gibt es für viele Dinge im Leben verschiedene Gangarten. Dennoch! Letztens gab es zum Beispiel in einer chirurgischen Fachzeitschrift ein Fallbeispiel. Eine Frau war mit einer schweren Verletzung der Speiseröhre erschienen. Es stellte sich heraus, dass ihr diese durch einen Ballon zugefügt worden war, den sie im Rahmen eines "Spiels" hatte schlucken müssen und den ihr Partner dann maßlos benutzt hatte. Die hinzugezogenen Rechtsmediziner beschrieben ferner, dass der Frau als Folge von Verbrennungen beide Brustwarzen fehlten. Sie gab an, dass ihr diese Verstümmelungen "im Einvernehmen" zugefügt worden seien."
Ich muss mich räuspern. Die Fallbeschreibung hatte mich damals ganz schön erschreckt, da ich inzwischen eine etwas weichgespültere Vorstellung von BDSM bekommen hatte.
"Mir ist schon klar, dass das nicht das Typische ist", ergänze ich mich. "Aber mir ist trotzdem unvorstellbar, dass man einem Menschen, den man liebt", (Liebe setze ich als kleines prüdes Frauchen immer noch irgendwie als regelhaft voraus!), "Schmerzen zufügen möchte."
Das ist es nämlich, was mich an dem ganzen BDSM-Zauber am meisten irritiert: dass ganz augenscheinlich der eigene Genuss im Vordergrund steht. Mach mir doch keiner weis, dass Grey am Ende des Buches auf Ana einprügelt, weil er glaubt, dass es ihr guttut. Die Portion Egoismus, die dazu gehört, einen anderen körperlich oder auch emotional zu unterwerfen, macht mir Angst.
Doch ich habe Divi ja nur einen Teil ihrer Rede beantwortet und ich frage mich, ob wir nun die Diskussion immer weiter so fortsetzen - zwei Themen gleichzeitig?
"Um also auf meine magischen Ritter und Krieger zu kommen", wechsle ich das Thema mit einem Grinsen, "so bediene ich hier natürlich ein Klischee. Allerdings steht deshalb auch "Fantasy" drüber. Und erotisch ist das Ganze ja wirklich nicht."
Wer weiß, ob das so bleibt? Im Moment dreht sich bei mir alles um die Sirenen und wenn das mal ohne Verführung geht ... ich glaube es nicht!
"Trotzdem gibt es auch ganz tolle Geschichten außerhalb der Traummaße. Von cwedig habe ich hier mal "Aber bitte mit Sahnetorte gelesen", das war richtig gut gemacht. Dabei stand die Übergewichtigkeit der weiblichen Hauptprota sogar ziemlich im Mittelpunkt."
Ob Divi die Geschichte überhaupt kennt? Und ob sie mit meiner chaotischen Antwort was anfangen kann? Ich hab nun auch eine Rede gehalten und wenn das so weitergeht, können wir demnächst bei einer Talkshow auftreten.
"Die 50 Facetten von Divi und Sophie", Deutschlands neueste Vorabendsoap. (Am besten beim MDR, da fällt mein Sächsisch nicht so auf. Vorher gehe ich dann aber noch zum Friseur!)
Divina:
Interessiert höre ich zu. Das mit dem Extrem-BDSM ist natürlich schon enorm schräg – und vor allem ungesund. Zumal das mit dem, was man im Allgemeinen unter BDSM versteht, nicht wirklich etwas zu tun hat. Dann kommt auch noch ihre Antwort zum Thema Klischee …
‚Das könnte auf Dauer kompliziert werden‘, überlege ich, ‚wenn wir immer wieder mehrere Themen parallel beantworten. Andererseits sind beide Themen auch so interessant, dass es schade wäre, eines davon unter den Tisch fallen zu lassen.‘
Da meine Tasche am Boden steht, bücke ich mich und hole Stift und Zettel heraus. Dann schreibe ich oben auf den Zettel: Klischee.
„Was tust du da?“, fragt Sophie und linst neugierig über den Tisch.
„Ich mache mir Notizen, damit wir nicht ständig quer reden müssen. Vorschlag: Erst reden wir über BDSM und danach machen wir uns Gedanken über Klischees. Oder was meinst du? Wir können natürlich auch über Klischees beim BDSM reden, aber es dürfte chaotisch werden, wenn wir neben diesem Thema gleichzeitig noch über andere Stereotypen diskutieren. Irgendwann steigt da keiner mehr durch.“
Mein Kakao ist mittlerweile soweit abgekühlt, dass ich einen großen Schluck nehmen kann. Das Gebräu verteilt sich cremig in meinem Mund. Kleine Kakaobohnenstückchen bringen mich dazu, den Kakao auch zu kauen, bevor ich ihn runterschlucke. Das scheint Sophie zu amüsieren.
Sophie:
Es ist witzig, wie sehr man es Menschen ansieht, wenn sie etwas genießen! Divi kaut so hingebungsvoll auf ihren Kakaobohnen rum, dass einem automatisch ebenfalls der Speichel im Mund zusammenläuft...
Doch genau darum geht es doch bei Erotik - um Genuss! Fein, auch ein wenig um Fortpflanzung, doch wenn man den Zahlen glaubt und es ein Durchschnittspärchen 2-3x pro Woche tut, kann die Zeugung an sich nicht der Hauptgrund sein.
(Ob sich das der Erfinder der erogenen Zonen auch so gedacht oder unsererseits mit etwas mehr Zurückhaltung gerechnet hat?)
Und da sehe ich immer noch den Hauptwiderspruch zu meiner Vorstellung von Erotik und Sex.
"Würdest du es auch so genießen, wenn dir dein Herzblatt den Hintern rot prügeln oder ein Pfund heißes Wachs über dir ausgießen würde?", provoziere ich sie.
Wachs - genau! Die rote Stumpenkerze auf unserem Tisch hat davon auch schon eine Menge verflüssigt und ich denke unwillkürlich an meine Kleine, die letztens mit unserem "Adventslichtel" rumgespielt und dann die ganze festhaftende Masse auf den Fingern hatte. Da waren eine Menge Tränen geflossen und mehr als nur ein Kühlakku nötig gewesen ... Wie Genuss sah das für mich nicht aus!
"Ich kann einfach das Zufügen von Schmerzen oder das freiwillige Empfinden von Schmerzen nicht mit Genuss übereinbringen", gebe ich zu und setze in Gedanken dazu: ‚Was ebenso für verbale und emotionale Demütigungen gilt!‘
"Oder verstehe ich da etwas grundlegend falsch und es geht gar nicht darum? Liegt es vielleicht an unserer dekadenten Gesellschaft, dass sich solche Spielarten entwickeln? Dass die "Spieler" den Kick brauchen, so wie beim Freiklettern oder beim Bungeespringen? Ist es das, was den Kern des Ganzen ausmacht? Dass man Schmerzen braucht, um sich lebendig zu fühlen, weil die Reizüberflutung nichts anderes mehr zulässt?"
Ich sehe selber, dass ich tief in wilde Spekulationen versinke, doch nun will ich es auch zu Ende bringen.
"Gibt es eigentlich Hinweise, dass BDSM auch schon früher praktiziert wurde? Viel früher? Oder ist er nur ein Phänomen unserer Zeit?"
Gespannt schaue ich Divi an und stelle fest, dass ich ganz einfach davon ausgehe, dass sie für mich zum Lexikon für all jene Dinge werden will, über die man gemeinhin nicht spricht. Das ging mir damals schon mit D. so - ich bin halt neugierig!
Und jetzt total gespannt! Kann sie tatsächlich ein Kaninchen aus dem Hut zaubern und irgendeine uralte Quelle aus einem vergessenen Codex benennen? Gibt es - außer dem Marquis de Sade - noch andere Hinweise auf eine längere Geschichte? Oder ist das auftauchen des BDSM wie eine Seifenblase, die sich auch bald wieder verflüchtigt und nicht mehr als ein Lüftchen zurücklässt?
Die Daumenschraube der Neugier dreht sich!
Divina:
Für meine folgende Aktion stelle ich meine Kakaotasse wieder ab. Vor ihren erstaunten Augen tauche ich mit meinem Zeigefinger in das heiße Wachs der Stumpenkerze, ziehe ihn wieder heraus und verreibe grinsend das Wachs zwischen den Fingern.
„Tut mir leid, du hast gerade meinen Spieltrieb geweckt“, erkläre ich. „Heißes Wachs empfinde ich tatsächlich nicht als so schlimm. Es kommt allerdings darauf an, wohin es gegossen wird und welche Wachssorte es ist, weil verschiedene Mischungen unterschiedliche Temperaturen entwickeln – nicht dass wir das zu Hause praktizieren, aber ich bin da nicht so empfindlich, dass ich etwas dagegen hätte. Genauso kann ich eine gewisse Anzahl Schläge auf meinen Hintern genießen, würde allerdings bei Schlägen auf andere Körperteile sehr erbost reagieren.“
Sophie schaut ein wenig ungläubig und vor allem überrascht.
„Na ja, der Partner muss da natürlich schon mitspielen. Meiner ist weder dominant noch sadistisch veranlagt, würde mir also auch keine Schmerzen zufügen, die über einen starken Klaps auf den Po hinausgehen. Ebenso würde er keine Fesselspiele betreiben, weil es in seinen Kopf nicht hineingeht, dass es erregend sein kann. Ich habe also diesbezüglich kaum eigene Erfahrungen“
Inzwischen ist das Wachs zwischen meinen Fingern zerbröselt und ich fege die Krümel mit der Hand zusammen und kippe sie wieder in die Kerze zurück, wobei Sophie jede meiner Bewegungen beobachtet.
„Aufgrund meines Romans, den ich damals zusammen mit DomAktiv geschrieben habe, musste ich bezüglich BDSM sehr viel recherchieren. Einiges wusste ich bereits aus meiner Zeit als Moderatorin eines Flirt- und Liebeforums, mit anderen Dingen hatte ich auch etwas Schwierigkeiten. Zum Beispiel war auch für mich die Vorstellung schwer, dass dieses regelrechte Verprügeln tatsächlich Rauschzustände hervorbringen kann. Doch eigentlich ist die Erklärung ganz leicht: Bei Schmerzen schüttet der Körper eigene Drogen aus, die diesen Schmerz bekämpfen – und daran können sich Menschen berauschen. Sehr interessant dazu ist übrigens ein Buch von Dr. med. Joseph Zehentbauer, der sich mit dem Thema intensiv beschäftigt hat.“
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich im Internet nach persönlichen Erfahrungsberichten gesucht habe, um die Zusammenhänge zu begreifen und vor allem auch im Nachhinein in unserem Roman so gut wie möglich umsetzen zu können. Ein Buch, so wie E.L. James, nur aus den Vorurteilen heraus zu schreiben, kam für mich zum einen nicht infrage, zum anderen hätte auch mein Co-Autor als praktizierender Dom nicht mitgespielt.
„Ja, es hat ein wenig Ähnlichkeit mit den Adrenalinjunkies, das gebe ich zu. Aber es ist ja nicht der Schmerz alleine, der BDSM ausmacht. Im Gegenteil gibt es noch andere Spielarten, die dazugezählt werden und keine Schmerzen, aber trotzdem einen Rausch der Gefühle verschaffen können. Bondage zum Beispiel, das geht vom einfachen Fesseln bis hin zu kunstvollen Verpackungen. In dem Fall ist es die Bewegungslosigkeit, die Machtlosigkeit des einen, die dem dominierten Teil Erregung verschafft, und beim anderen ist es die Macht, die er über den anderen hat, die ihn berauscht.
Natürlich gibt es bei allem Extreme – und das ist nie gut, weder beim Sex noch sonst im restlichen Leben. Krankhaft kann es erst dann bezeichnet werden, wenn es ohne diese Handlungen nicht mehr möglich ist, zum Höhepunkt zu kommen. Alles andere ist also tatsächlich nur eine sexuelle Spielart.
Shades of Grey ist in dem Sinne weder ein Erotikroman, noch hat er wirklich was mit BDSM zu tun. Es ist ein Roman über zwei Personen mit einem psychischen Problem, die zusammenkommen und sich irgendwie auch zusammenraufen, obwohl die Beziehung in der Realität keine Chance hätte.“
Verdammt! Eigentlich wollte ich nicht über das Buch lästern, aber ich fürchte, dass lässt sich wohl kaum vermeiden, wenn man Realität und Roman miteinander vergleicht und sich Letzteres dabei als pures Wunschdenken herausstellt.
„Richtige BDSMler hätten für das Buch und die darin beschriebenen Handlungen nicht mal ein müdes Lächeln übrig, da es die wirklichen Fantasien nicht befriedigt und Grey am Ende ja sogar von seinen ehemaligen Bedürfnissen ‚geheilt‘ zu sein scheint. Gänzlich anders war es bei ‚Die Schöne und das Arschloch‘. Das Buch ist genau für diese Klientel zugeschnitten worden. Nachdem DomAktiv und ich das Buch fertig hatten, wurde mir allerdings bewusst, dass gewisse Praktiken in der Vorstellung zwar erregend sein können, dass ich sie aber nie in Real erleben möchte.
Geschichtlich erinnere ich mich daran, irgendwo mal gelesen zu haben, dass bereits ein paar Jahrhunderte vor Christus Malereien entstanden sind, die genau solche sexuellen Spielarten abbilden. Selbst im Kamasutra findet man etwas darüber. Es ist also keine Erscheinung der Neuzeit. Wahrscheinlich ist es nur nie so offen zur Sprache gekommen, weil die Kirche jedwede sexuelle Handlung, die nicht der Kinderzeugung mit Ehepartner dient, verteufelt hat.“
In meinen Augen hat die Kirche viel zu dem ganzen sexuellen Desaster beigetragen, dass sich selbst heute, in unserer ach so aufgeklärten Gesellschaft, kaum jemand offen über das Thema austauschen kann, ohne zumindest einen Hauch Scham zu verspüren.
Sophie:
Hmmm!
Das ist eine Menge Input! Darauf eine Antwort zu finden ist schwierig. Ich lasse mal die Fakten so stehen, wie sie sind und widerspreche Divi auch nicht, wenn sie meint, dass heißes Wachs ihr zusagt ... OK!
Manche Frauen enthaaren sich damit - warum auch nicht?
Ich persönlich kann aus Schmerzen WIRKLICH kein Vergnügen ziehen.
"Dass eine gewisse Überdosis an Adrenalin echt anregend ist, kann ich auf jeden Fall bestätigen. Nur hole ich mir den Kick aus ganz anderen Quellen", gebe ich lächelnd zu. "Mein Mann und ich gehen hin und wieder mal Alpinklettern. Da an die Grenzen zu kommen hat zwar mit Erotik gar nichts zu tun, aber die Hormonfreisetzung ist fantastisch!"
Ich sehe, wie Divina mich zweifelnd mustert. Klar, meine paar Kilo zu viel auf den Rippen halten dieses Hobby gut versteckt. Aber es stimmt trotzdem! Wenn ich am Watzmann oder am Großvenediger unterwegs war, ging es mir immer blendend!
"Du guckst wie ich vorhin", stelle ich grinsend fest. "Die Frage ist aber, warum brauchen wir Menschen solche Extreme? Und ist es bei unseren erotischen Abenteuern nicht genauso wie bei meinen Klettertouren, dass man immer mehr braucht? Immer höher hinaus will, immer schwierigere Varianten wählt?"
Am Watzmann, als wir damals ohne große Ausrüstung zum Grat kamen, wäre ich beinahe umgekehrt. Der erste Schritt in die Wand, fast ein Sprung war hart an der Grenze gewesen ... aber das Gefühl danach, es geschafft zu haben, der Blick in die Ostwand, der Wind, diese Freiheit ...
"Ich bin da auch nur reiner Theoretiker, aber ist nicht auch bei den "Spielen" im BDSM-Bereich eine solche Steigerung unvermeidlich? Wird nicht die 5. Bondage-Session langweilig werden?"
Und noch etwas muss ich mal loswerden: "Ich traue dem hoch gepriesenen SSC (save, sane, consensual) nicht wirklich über den Weg. Reden, Verträge abschließen - alles schön und gut! Aber, wenn ich mal darüber nachdenke, wie verkorkst schon manche "normalen" Beziehungen in meiner Bekanntschaft sind, wo 'sie' sich nicht traut, 'ihm' zu sagen, dass sie einen Kratzer an das heiß geliebte Auto gemacht hat, weil er dann - wie immer - total ausflippt, um wie viel mehr muss sich eine devot veranlagte Person überwinden, um es dem dominanten Partner tatsächlich zu sagen, wenn er zu weit geht? Und spielt nicht auch eine potenzielle Verlustangst bei solchen 'Aussprachen' immer eine Rolle? Kann man wirklich davon ausgehen, dass 'einvernehmlich' auch ehrlich bedeutet?"
Damit wären wir dann wieder bei den Shades, wo es am Ende dann auch keinesfalls mehr einvernehmlich zugeht. Hier muss ich Divi zustimmen. Als echte D/S-Beziehung habe ich die beiden auch nie gesehen.
Und die Hand mit der Krawatte am Bettpfosten ist zwar sicher mal ganz aufregend, aber unter Bondage stelle ich mir schon ganz andere Dinge vor.
"Ach, übrigens wollte ich mit dir auch noch gerne über Greys No-go-Liste reden!
Die sogenannten Hard Limits, die er nennt. Es hat mich nämlich überrascht, dass solche Dinge überhaupt besprochen werden müssen. Ich hätte dergleichen als selbstverständlich vorausgesetzt - oder hat Frau James hier nur "zugeschlagen", um ihren Roman vermeintlich interessanter zu gestalten?"
Pädophilie zum Beispiel ist für mich kein Thema, dessen Legalität diskussionsfähig wäre. Das fällt unter die Rubrik Straftat und ist für mich absolut und unverrückbar inakzeptabel.
Na, ich bin mir sicher, wir werden hier noch ein Weilchen sitzen! Nur gut, dass unser Café so schön virtuell und gemütlich ist. Da darf der Tag schon mal mehr als 24h haben.
Divina:
Höher, weiter, schneller, das sind Dinge, die natürlich bei Menschen vorkommen, die der Ehrgeiz gepackt hat. Die Freude über einen Etappensieg hat schon etwas für sich. Auch Sophie bedient sich dabei eines Drogencocktails, den der Körper herstellt: Adrenalin und Endorphin sind eindeutig für das Hochgefühl beim Klettern verantwortlich. Der Vergleich ist also durchaus statthaft.
„Der eine braucht das Klettern, der andere beruflichen Stress, der nächste nutzt halt die Erotik, um seinen Adrenalinkick zu bekommen. Ich denke, dass es immer darauf ankommt, welche Wichtigkeit man dem Ganzen zugesteht. Jemand, der sehr viel Spaß an Sex in allen Variationen hat, wird auch seinen Kick gerne in dem Bereich suchen und auch finden – so wie ihr ihn beim Klettern habt. Je nachdem, worauf der Blick gerichtet ist, hat man damit dann auch Erfolg. Dass ihr also beim Klettern nicht sexuell erregt seid hat lediglich damit etwas zu tun, dass ihr das Klettern nicht als etwas Sexuelles betrachtet. Wobei ich schätze, dass man selbst das miteinander verbinden könnte.“
Dabei kommt mir in den Sinn, dass oben am Ziel eine kleine, heimelige Hütte steht und die Belohnung für all die vorher durchgemachten Tortouren ein herrliches Stelldichein mit dem Partner ist. ‚Nette Idee!‘, denke ich und lächle dabei vor mich hin.
„Na ja, aber um auf das BDSM zurückzukommen, natürlich kann der eine oder andere schon Gefallen daran finden, mal etwas weiter zu gehen, um die Grenzen auszutesten, aber es muss nicht per se langweilig werden, wenn man auf einem Level bleibt. Wenn du Sex mit deinem Partner hast – und ich gehe jetzt mal davon aus, dass er dir gefällt – dann wird es doch auch nicht langweilig, bloß weil es immer wieder ähnlich abläuft. Auch das Beständige kann Spaß machen.“
Mir macht das Beständige jedenfalls sehr viel Spaß. Ich kann mich stundenlang mit ein und derselben Sache beschäftigen, ohne die Lust daran zu verlieren, und wenn es mein Partner ist.
Irgendwie merke ich, dass ich mit meinen Gedanken immer wieder abschweife, also versuche ich mich jetzt zu konzentrieren.
„Die Beziehung zwischen Dominus und seinem Sub beruht auf Vertrauen. Der Sub vertraut darauf, das der Dom nie weiter geht, als der Sub verträgt. Der Dom vertraut darauf, dass der Sub ihm kenntlich macht, wo die Grenzen sind. Das bedeutet aber auch, dass der Dom nicht sauer werden darf, wenn der Sub genau das macht. Wenn das klappt, dann können beide eine hervorragende Beziehung führen. Wenn das nicht klappt und der Dom sauer wird, dann hat er das ganze Prinzip nicht verstanden. Ist das Vertrauen nicht da, dann funktioniert das Ganze logischerweise nicht. Solche Beziehungen würden früher oder später mit Sicherheit in die Brüche gehen. Aber das tut es ja auch schon im Normalfall, wenn die Partner nicht ehrlich miteinander sind.“
Ehrlichkeit ist für mich ein Grundpfeiler zu einer guten Beziehung. Wozu sollte ich einen Kratzer im Auto verschweigen. Sicher würde er sauer werden, aber er hat doch auch ein Recht darauf. Und auch das ginge wieder vorbei.
„Die No-go-Liste ist eine gute Möglichkeit für Menschen, die sich nicht kennen, herauszustellen, was gemacht werden darf und was nicht. Je nachdem, wie weit der Dom bereit ist zu gehen, ist solch eine Liste sicherlich sinnvoll, damit er gleich weiß, wo die Grenzen sind. Es geht bei dieser Sache ja nicht um Sex aus Liebe, sondern um reine Lustbefriedigung. Viel frustrierender wäre es für den Dom, der seine Sub noch nicht kennt, wenn sie ihm ständig das Safeword sagt oder vereinbarte Zeichen macht, nur weil er wieder etwas angefangen hat, was die Sub nicht mag. Dann doch besser gleich die Dinge ausschließen und wissen, worauf man sich einlässt.
In einer normalen Beziehung ist so eine Liste natürlich überflüssig, weil es da ja das Spannende ist, den Partner kennenzulernen und dann aneinander zu wachsen.“
Mein Mund ist schon wieder trocken geworden und ich setze die Tasse an. Wie schon leer? Ist das Zeug verdunstet? Ich winke der Kellnerin, um mir Nachschub zu bestellen – und ein Stückchen Käsetorte dazu.
Sophie:
Divi winkt die Kellnerin und ich kaue mir irritiert auf der Unterlippe herum, bis mir auffällt, dass Ana das auch gemacht hat. Ich höre schnell damit auf und konzentriere mich auf das Gehörte. Das habe ich alles schon ein paar Mal so gehört und glaube dennoch nicht, dass das im wirklichen Leben funktioniert.
SSC ist idealistisch! Menschen sind aber nicht so 100% optimal, wie wir sie uns gerne wünschen.
"Wie viele Paare kennst du, die es wirklich hinbekommen, ihre Partnerschaft offen und ehrlich zu führen?", kaue ich noch mal auf dem alten Thema herum. Mir will nicht in den Kopf, dass Divi nicht zu sehen scheint, was im Alltag ganz deutlich ist: der Großteil aller Beziehungen funktioniert doch nur, weil einer der Partner zurücksteckt; weil Abstriche gemacht werden, weil man sich irgendwie arrangiert hat, weil man sich daran gewöhnt hat, weil man Angst vor Veränderung oder einem Schritt ins Ungewisse hat.
Extreme Fälle, wie der, den ich ihr zu Anfang geschildert habe, passen in das SSC ja auch nicht rein. Sind die aber wirklich sooo selten??
"Gut, ich gebe zu, ich habe dank meines Jobs ein bisschen Einblick in die Welt der häuslichen Gewalt. Und es stimmt schon, dass Verletzungen bei Bestrafungen nicht aus der BDSM-Szene zu uns kommen. (Ich habe übrigens viel mehr zusammengeschlagene oder anderweitig verletzte Frauen als Männer gesehen!!)
Trotzdem ist auch einvernehmlich angewandte Gewalt immer noch Gewalt! Schmerz zuzufügen oder hinzunehmen als Teil des Sexualverhaltens überschreitet bei mir die Grenze des Respekts vor dem Gegenüber."
Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ein Dom den oder die Sub im Spielzimmer demütig knien lässt, aber nach dem Verlassen des Raumes mit ihr/ihm ganz normal umgeht und vielleicht diskutiert, wer den Müll rausbringen muss oder mit dem Kind die Hausaufgaben macht.
Man kann Veranlagungen wie Dominanz doch nicht einfach an- und abstellen. Das glaube ich nicht!
Divina:
Es ist bei dem Thema BDSM immer schwer, Menschen, die damit nichts am Hut haben, davon zu überzeugen, dass es funktionieren kann. An Sophie werde ich mir vermutlich die Zähne ausbeißen – sie hat eine Einstellung dazu wie mein Mann. Der kann sich in solche Verhaltensweisen ebenfalls nicht hineinversetzen.
„Ich kenne etliche Personen, bei denen eine Partnerschaft nicht geklappt hat, wobei es in allen Fällen an der Ehrlichkeit gehapert hat. Bei den Paaren, die ich noch kenne und die zusammen sind, kümmere ich mich eher nicht darum, wie sie diese führen, weil es meist andere Themen gibt, über die wir sprechen.
Ganz genau kann ich dir lediglich von einer Partnerschaft sagen, dass sie offen und ehrlich ist, nämlich meine. In den einunddreißig Jahren, die wir uns kennen, haben wir uns insgesamt sieben Mal gestritten. Der Auslöser unseres letzten und heftigsten Streits war die Tatsache, dass mein Mann mir etwas Wichtiges nicht gesagt hatte, weil er mich nicht enttäuschen wollte – also genau das, worüber wir gerade sprechen: Ehrlichkeit.
Wir führen zwar keine BDSM-Beziehung, aber aufgrund dessen, dass ich weiß, dass es möglich ist, eine ehrliche Beziehung zu führen, halte ich es auch für möglich, dass so eine BDSM-Beziehung funktionieren kann. Und wenn es nicht funktioniert, dann geht so eine Beziehung auseinander wie jede andere auch.“
Auf einmal fällt mir etwas aus meiner Forenzeit ein, was mich damals sehr beeindruckt hatte und hier auch passend sein könnte.
„Mir ist gerade noch eine Beziehung eingefallen, die ebenso auf Ehrlichkeit beruht. Zumindest hat sie es in der Zeit, als ich Moderatorin in dem Forum war.
Ich kann mich an ein Pärchen erinnern, das jahrelang eine offene Beziehung führte. Absolute Ehrlichkeit, auch was fremde Partner anging, war einfach ein Muss, damit diese Beziehung funktionierte. Einmal hat er einen erotischen Chat mit einer anderen Frau angefangen und es ihr nicht gesagt, weil er es für nicht so wichtig hielt. Sie fühlte sich betrogen, weil er es ihr nicht gesagt hatte. Da sind die Fetzen geflogen, das hab ich online alles mitbekommen. Nachdem das dann aber geklärt war, waren die beiden wieder ein Herz und eine Seele.“
Dass das Pärchen das nicht nur gespielt hatte, war mir klar, denn ich kannte sie und deren Umgang miteinander schon etwas länger, auch wenn es nur online war. Ich muss sowieso sagen, dass meine Forenzeit mir viel gegeben und mir auch in vielen Punkten die Augen geöffnet hatte.
Die Kellnerin kommt und stellt mir einen neuen Kakao und den bestellten Käsekuchen hin. Da ich vorher schon bemerkt hatte, dass sie öfter mal mit einem Ohr in unsere Richtung gehorcht hat, kann ich es mir einfach nicht verkneifen:
„Und Sie? Interesse an BDSM?“, frage ich grinsend. Ich kann zusehen, wie ihr Gesicht die Farbe wechselt und sie sich schnell abwendet. Natürlich hat sie Interesse – und sei es nur an den Erklärungen. Aber sie kann es sich später ja heimlich unter der Bettdecke durchlesen, wenn wir mit der Diskussion hier mal fertig sind. Und so wende ich mich wieder Sophie zu.
„Definiere mir mal, was du unter ‚Respekt vor dem Gegenüber‘ verstehst“, fordere ich sie auf.
Sophie:
Ich starre sie an, wie der Mann im Mond Neil Armstrong angesehen haben muss, als der seinen 'ersten Schritt' machte. Was um Himmels Willen denkt sie sich?
Respekt definieren? Das wäre so, als würde man einem Bäcker erklären müssen,was ein Brot ist ...
"Das sind doch Grundlagen des Sozialverhaltens, was muss man da noch drüber reden?", entschlüpft es mir ungewollt. "Ohne Respekt geht gar nichts! Das ist wie Luft holen, essen, schlafen, das gehört einfach dazu."
Oder nicht? Kann es verschiedene Vorstellungen von Respekt geben? Ich bin plötzlich total verunsichert. Am liebsten würde ich jetzt einfach die wiki befragen, ob sie eine andere Meinung hat als ich, aber ich kann ...
OH DOCH! Ich kann! Das hier ist schließlich ein virtuelles Café, da ist mehr erlaubt als in der Realität. Und so krame ich mal in meiner Zauberhandtasche und ziehe liebevoll mein Tablet/iPhone/Handy hervor (keines der drei besitze ich wirklich, aber den Laptop aus der 10x10 cm - Tasche zu holen, erscheint mir selbst hier utopisch) und gucke mal, was meine Lieblingsseite so vorgibt.
Dabei muss ich an Ana denken, die 'devot' dort nachgeschlagen hat, wo ich nun 'Respekt' suche. Ich muss grinsen und mache Divi auf dieses Déjà-vu aufmerksam.
Scrollend und lesen kann ich es mir nicht verkneifen, dabei auszusprechen, was ich gerade denke: "So ganz unterschiedlich sind ja diese beiden Begriffe ja nicht. Devot ist einfach ein bisschen zu viel Respekt."
Ich hoffe, sie kann meinen Kommentar als Scherz abtun, denn ein bisschen ist er so gedacht.
"Guck an, die wiki bringt es mal wieder auf den Punkt."
Ich schiebe Divi das Tablet zu und wedle mit dem Zeigefinger, dass sie lesen soll.
"Das ist es, nur, dass ich das nie so schnell und so klar hätte mit eigenen Worten ausdrücken können."
Und das ist es, was sie nun lesen wird:
'Respekt (lateinisch respectus „Zurückschauen, Rücksicht, Berücksichtigung“, auch respecto „zurücksehen, berücksichtigen“) bezeichnet eine Form der Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Ehrerbietung gegenüber einem anderen Lebewesen.'
und
'Respekt wird oft durch Symbole ausgelöst oder verstärkt und bezieht sich auf unterschiedliche Verhaltensformen, so etwa:
Achtung vor der anderen Person oder Höflichkeit ihr gegenüber.
„Ich behandle jeden Menschen mit Respekt.“
Anerkennung der anderen Person gegenüber.
„Ich habe großen Respekt gegenüber dem Politiker, der einen Fehler offen zugibt.“
Autorität der anderen Person.
„Ich habe Respekt vor meinem Vorgesetzten.“
Toleranz gegenüber der anderen Person.
„Ich respektiere es, wenn jemand vor dem Priester nicht niederkniet.“
Vorsicht bei Handlungen gegenüber Personen, die kränken oder Unfrieden stiften könnten.
„Aus Respekt den Eltern gegenüber würde ich sie – um des lieben Friedens willen – nicht in der Gegenwart ihrer Kinder zurecht weisen. Nicht dass die Kinder danach noch quengeln“'
Mit einem Grinsen weise ich auf einen winzigen Nebensatz: "Und hier hast du gleich die Definition von Respekt für den Sub: 'Eine Steigerung des Respektes ist die Ehrfurcht.' Zuviel Respekt, wie ich es schon sagte."
Während Divi liest, denke ich darüber nach, wo überall Respekt eine grundlegende Rolle spielt und ob es möglich wäre, sich eine Menschheit ohne Respekt vorzustellen. Aber es geht nicht. Ohne Respekt vor dem anderen, dem Leben, der Natur kann die Gesellschaftsform des Homo sapiens nicht existieren.
Respekt vor sich selbst gehört da auch mit dazu. Darüber müssen wir auch noch reden!
Ob sie merkt, dass meine virtuelle wiki einen Satz nicht beinhaltet,den die echte Seite aufweist?
( Angst vor der Macht einer übergeordneten Person.
„Durch Strenge und drakonische Bestrafungen verschaffte er sich Respekt.“) Das würde ich nicht mehr unter Respekt zählen, das ist Gehorsam aus Angst. Ich hoffe, Divi übersieht das höflich!
Ich tippe ungeduldig mit dem Fuß und warte darauf, dass sie fertig wird.
Respekt vor dem Selbst, das möchte ich gerne noch thematisieren. Das wäre für mich das Haupthindernis, mich submissiv zu verhalten. Respekt vor dem Anderen spricht gegen den dominanten Part. "Die Würde des Menschen" und so - ja, ich befürchte, Divi und ich werden hier nicht weiter kommen. Ich kann da in der Realität einfach nicht über meinen Schatten springen.
Warum ich dann unbedingt die Shades lesen wollte, obwohl ich wusste, dass es da um BDSM ging? Auch das muss ich noch rausfinden!
Divina:
Natürlich hatte ich mit der Frage etwas bezweckt. Die Antwort, die sie mir mittels Wiki dabei präsentiert, unterstützt mich sogar.
„‘Respekt bezeichnet eine Form der Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Ehrerbietung gegenüber einem anderen Lebewesen‘, lese ich vor. Und richte mich damit dann wieder an Sophie.
„Nirgendwo darin steht, dass ein respektvoller Umgang etwas damit zu tun haben muss, dass der Partner schmerzfrei bleiben muss. Wenn mein Partner auf Schmerzen steht und ich auf diese Bedürfnisse von ihm nicht eingehe, hat das etwas mit Respekt zu tun? Wenn mein Partner dadurch etwas vermisst, sich durch diese Missachtung seiner Wünsche ein Defizit aufbaut, hat das etwas mit Respekt zu tun? Wenn ich seine Wünsche, Schmerz zu ertragen, nicht berücksichtige, bin ich dann respektvoll ihm gegenüber?
Du darfst dabei nicht immer von dir ausgehen, du kannst Schmerzen nichts Erotisches abgewinnen. Ich dagegen vermisse schon etwas, auch wenn ich die Meinung meines Mannes respektiere. In dem Sinne stecke ich zurück, weil mein Mann andere Bedürfnisse hat als ich. Wobei sich meine Wünsche noch im Rahmen halten.
Ich nutze dafür die Möglichkeit des Schreibens, indem ich meine Fantasien in meine Bücher einbaue. Andere haben dieses Ventil nicht.“
Sophie schaut immer noch verständnislos, da der Zusammenhang zwischen Schmerzen und Respekt widersprüchlich erscheint.
„Es steht doch da, dass man bei einem respektvollen Umgang den anderen berücksichtigt. Wenn dieser nun einmal bestimmte Wünsche hat, hat es sehr wohl etwas mit Berücksichtigung und Respekt zu tun, wenn ich ihm diese erfülle, natürlich nur in dem Rahmen, dass der andere dabei keinen Schaden davonträgt. In dem Beispiel mit der Verstümmelung geht das eindeutig zu weit. Solange es aber nur um eine sehr gut durchblutete Haut geht und der Partner das nicht nur zulässt, sondern auch wünscht, ist es aber eher respektlos, diesen Wunsch nicht zu erfüllen, als es zu tun.“
Ob ich ihre eingeschränkte Sicht dadurch etwas lockern konnte? Ihr Blick bleibt skeptisch.
„Du gehst immer davon aus, dass Schmerzen etwas Negatives sind. Aber die Person, die in solch einer Beziehung Schmerzen erhält, erleidet sie nicht, sondern empfindet diese als positiv. Sie mag Schmerzen, aus welchem Grund auch immer. Und es gibt viele verschiedene Methoden, diesen Schmerz hervorzulocken, ohne dem Körper größeren Schaden zuzufügen. Diese werden in der BDSM-Szene genutzt – und deswegen kommen zu dir keine BDSM-Opfer, weil es keine Opfer gibt. Das Ganze hat nichts mit der Unterdrückung zu tun, die dir von häuslicher Gewalt bekannt ist, sondern es ist tatsächlich eine sexuelle Spielart.“
Sophie:
Ja, nun sind wir an dem Punkt, wo es nicht weitergeht. Dass wir dorthin gelangen würden, habe ich schon geahnt.
"Es wäre sehr komisch, wenn ich mit meinem Job Schmerzen NICHT als etwas Negatives sehen würde, sondern meinen Patienten sagen, sie sollen das Adrenalin genießen!" Divi kennt meinen Beruf und so kann ich hier mal einen Scherz auf dessen Kosten machen.
Dass es keine BDSM-Opfer gibt, ist schlicht rosa geredet. Selbst M. hat damals zugegeben, dass es auch in unserer bunten Republik Ärzte gäbe, die sich solchen "Unfällen" diskret widmen würden.
Doch darum geht es eigentlich gar nicht. Selbst beim normalen Sex kann man sich verletzen. Und sei es, dass man es sich auf einer Brennnessel gemütlich macht, wenn man ´s im Freien mag - lach.
"Im Prinzip gebe ich dir ja recht - und sei es auch mit einem Stirnrunzeln. Die Vorlieben sind halt verschieden. Vielleicht frage ich mich auch eher, wie es möglich ist, dass man z.B. bei Demütigung Genuss verspürt. M. und ich haben damals aus Scherz so ein Szenario erstellt." Ich muss wieder grinsen - damals war auch gerade Weihnachten!
Witzig war das letztlich schon, vor allem, weil M. und ich ziemlich viel Spaß an der Ausgestaltung unserer Charas hatten und das Ganze nicht wirklich ernst gemeint war - eher als ein Lehrbeispiel für mich. Wir hatten sogar über die Qualität der Seidenstrümpfe diskutiert ... dennoch!
"Sich erniedrigen lassen, sei es durch eine Haltung oder auch verbal, kann ich mir noch immer nicht als Genuss vorstellen!"
Das war damals auch der Grund für den Abbruch unseres Spiels gewesen. Selbst die Herabsetzung der fiktiven Gestalt, für die ich schrieb, war irgendwie inakzeptabel.
"Aber letztlich bin ich ja nicht der 'liebe Gott'", ich zwinkere Divi zu, "oder besser die allwissende 'Göttin'", die "Namenlose, Dreigesichtige" setze ich in Gedanken an meine Geschichten dazu, "und meine Meinung ist einfach eine Ansicht und kein Lehrsatz."
Nun muss ich mal den Absprung schaffen und so komme ich zu dem Wälzer zurück, der immer noch mahnend vor mir auf dem Tisch liegt.
"Wenn wir mal auf die Shades zurückkommen wollen, dann passt Greys Verhalten trotz aller Widersprüchlichkeiten nach dem, was du gesagt hast, doch zum Kodex des Dom. Wenn also der Sub sagt, wo es lang geht, dann ist es eine logische Schlussfolgerung, wenn er nach Band 1 heftig zurückrudert Allerdings fand ich es schon ganz schön naiv von Ana, dass sie 1. gleich wieder mit ihm mitgeht, nur weil er sie zur Vernissage von José bringen will und 2. dass sie prompt seinen Verführungskünsten erliegt.
Wenn er sie dermaßen schockiert hat, sollte sie eigentlich vorsichtiger geworden sein, oder? Ich persönlich mag Protas, die sich weiterentwicklen. Und beim Übergang von Band 1 zu Band 2 sehe ich grade mal gar keine Entwicklung bei Miss Steel. Immer noch das Naivchen von der 1. Seite. Was hältst du davon??"
Divina:
Jetzt muss ich wirklich laut lachen, denn ich muss immer wieder daran denken, dass die Autorin doch immer wieder geschrieben hat, wie intelligent Ana doch ist.
„Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber in meinen Augen ist Ana einfach gestört. Sie redet in beiden Büchern mit ihrem Unterbewusstsein und ihrer inneren Göttin, was auf eine paranoide Schizophrenie hinweist. Wahrscheinlich hat sich die Autorin das eher als Witz gedacht, um das Ganze aufzulockern. Wenn man aber liest, wie intensiv Ana den inneren Stimmen eine Persönlichkeit zugesteht, kann man eigentlich nur zu dem Ergebnis kommen, dass sie einfach nur krank ist.“
Natürlich bin ich keine Psychologin – ich habe nicht einmal irgendetwas studiert. Dennoch habe ich mich sehr viel mit Psychologie auseinandergesetzt, um verstehen zu können, aus welchen Motiven jemand so handelt, wie er es tut. Bei meinen Recherchen bin ich auch über einige Krankheitsbilder gestoßen, die bei manchen Protagonisten wie die Faust aufs Auge passen.
„Im Übrigen wird Ana sich die ganzen drei Bücher hindurch nicht weiterentwickeln. In meinen Augen ist eine Persönlichkeitsentwicklung einfach unerlässlich, damit ein Buch spannend wird. Das gibt es bei den Shades einfach nicht – weder bei ihr noch bei ihm, wenn man außen vor lässt, dass er von seiner BDSM-Sucht durch sie geheilt zu werden scheint.“
Dem Wort „geheilt“ gebe ich eine extra Betonung, weil es in meinen Augen nichts ist, was geheilt werden müsste. Stattdessen bräuchte Herr Grey einfach nur einen vernünftigen Therapeuten, um seine Traumata aufzuarbeiten. Das hat aber nichts mit BDSM zu tun.
„Zudem hat es mich bei den Büchern einfach genervt, wie die Autorin immer wieder betont hat, wie intelligent Ana doch ist, und im nächsten Augenblick macht sie wieder etwas unglaublich Dummes. Entweder definieren wir Intelligenz unterschiedlich oder Anas Verhalten ist aus der Sicht ihrer Erschafferin wirklich intelligent. Was Letzteres bedeutet, muss ich wohl nicht näher erläutern“, sage ich grinsend und greife nach meiner Kuchengabel.
Der Käsekuchen ist saftig, wie ich feststellen kann. Wirklich lecker. Ich fürchte nur, nach zwei großen Bechern Kakao und diesem Stück Kuchen dürfte ich pappsatt sein.
Sophie:
Sind wir nicht alle ein wenig gestört? Ich muss grinsen und beobachte, wie Divi die letzten Krümel von ihrem Teller pickt.
So langsam ist es draußen dunkel geworden und ich weiß, dass wir hier nicht mehr ewig sitzen können. Ich muss die Kinder von der Musikschule abholen und Divi wird auch Verpflichtungen haben. Also schnappe ich mir ihren Zettel, auf dem "Klischees" steht und notiere darunter meine Emailadresse.
"Für den Fall, dass wir auch morgen noch weiterplaudern wollen ..." Sie guckt sich die lose Buchstabenfolge an und verpackt dann den kleinen Schnipsel gewissenhaft in ihrem Notizbuch.
"Meine 'innere Göttin' ist beeindruckt von so viel Sorgfalt!", lege ich nun los. "Das schlechte Gewissen als 'innere Göttin' zu bezeichnen, ist schon ein Witz. Überhaupt wüsste ich gern, ob das Buch nur so ungeschickt übersetzt ist, oder ob die Dialoge wie 'Oh Ana, du bist so schön und intelligent und schlau - bleib für immer bei mir' auch im Original vorkommen. Das ist doch albern! So verführt man doch keine Frau, oder? Ich zumindest würde mich von solchem Gequatsche nicht beeindrucken lassen."
Von hochkarätigem Diamantschmuck übrigens auch nicht. Das ist auch wieder so eine Marotte, die Frau James allerdings mit anderen schreibenden Damen teilt - dass nur schön ist, was viel kostet.
Ich könnte mir z. B. vorstellen, dass es ganz heftig nervt, wenn man für all die großen SUV´s und anderen Protzkarren in der Innenstadt einen Parkplatz suchen muss oder so ein Monster gar ins Parkhaus bringen soll ... Und packen Sie mal zwei Kinder, Hund und Buggy in ein Cabrio - dann wissen Sie Bescheid - alles nur Klischee.
Genauso grinsen muss ich, wenn die Mädels schon am frühen Morgen in ihre High Heels schlüpfen und damit frisch - fröhlich zur Arbeit laufen. Einen Tag lang auf 10 cm gestöckelt - da weiß man, was man hat - nämlich einen Wadenkrampf! Aber den Orthopäden freut ´s.
"Die Frage geht mir nicht aus dem Kopf, wie denn nun eine richtig gute "Anmache" aussehen könnte. Meinen Drachen habe ich mal sagen lassen: 'Ich liebe dich, Solinea, aber das ist kein Grund, dich vor einem gefüllten Kessel verhungern zu lassen.'" Ich muss lachen. "Ob das gut ist, weiß ich natürlich auch nicht, zumindest ist es nicht gewöhnlich."
An solchen Szenen muss ich immer richtig lange basteln. Was darf? Was soll? Was ist ein 'No go'?
Hiermit werden wir uns auf jeden Fall noch mal beschäftigen müssen.
"Das andere sind diese Cliffhanger am Schluss. Im ersten Buch ging das ja noch. Da hätte man auch 'Ende' drunter setzen können", sinniere ich. "Aber bei Band 2 ist dieser letzte Abschnitt sogar irgendwie billig; im Sinne von: 'Kauft unbedingt Band 3, da geht es spannend weiter.' Ich meine, mal ehrlich, wenn ein Hobbyschreiber bei bookrix oder Fanfiction am Ende eines Kapitels mit einer offenen Handlung abschließt und ich eine Woche lang warten muss, wie es weitergeht, bin ich gespannt. Wenn ich aber bis zum nächsten Band warten soll - i.d.R. mind. 1/2 Jahr, dann brauche ich schon einen sehr langen Atem. Da fühle ich mich eher verarscht! 'Ätsch, hier ist noch gar nicht Schluss.' Findest du so ein Ende für ein Buch passend?"
Ein bisschen können wir bestimmt noch sitzenbleiben. Bin gespannt, was Divina davon hält!
Divina:
Mit einem Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass die Zeit schon reichlich weitergeschritten ist. Für mich ist das kein Problem, aber die Bedienung steht ungeduldig mit dem Fuß tappend am Tresen, weil gleich Schichtwechsel ist und sie noch nicht kassiert hat.
Um die arme Frau zu entlasten, rufe ich sie heran, bezahle die Rechnung und gebe ihr auch noch ein nettes Trinkgeld dazu – weil bald Weihnachten ist. Anschließend kann ich sehen, wie sie mit der Kasse nach hinten verschwindet, um ihre Abrechnung zu machen und dann das Ganze an ihre Kollegin zu übergeben. Nun kann ich mich wieder Sophie zuwenden.
„Frau James ist ja nicht die Einzige, die das so macht. Wenn man so will, dann läuft es bei George R.R. Martin nicht anders – und er hat Erfolg damit. Wobei ich sagen muss, dass ich das bei seinen Büchern mittlerweile auch ermüdend finde. Der Unterschied ist aber, dass die Bücher von ihm durch die Bank weg echt spannend sind und die Figuren beinahe alle eine Entwicklung durchmachen, wenn sie nicht gerade sterben. Shades of Grey dagegen …“ Ich lasse das Ende offen, denn ich bin mir sicher, dass Sophie mich auch so versteht.
„Im Laufe der Zeit habe ich eine ziemliche Abneigung gegen unfertige Geschichten entwickelt. Cliffhanger sind eine gute Sache, wenn man ein Kapitel an das andere reiht. Allerdings denke ich auch, dass ein Band wenigstens insoweit abgeschlossen sein sollte, dass man zwar neugierig auf den neuen Band ist, aber er trotzdem für sich alleine stehen kann. Als ich meinen Vamp geteilt hatte, habe ich mir extra eine Stelle ausgesucht, an der es problemlos möglich war. Auch bei deinen Büchern sind die Bände, soweit ich mich erinnern kann, gut voneinander getrennt. So sind die Geschichten in sich wenigstens fertig.“
Ja, Sophies „Die Magier von Art-Arien“ ist schon ein imposantes Fantasy-Epos, von dem ich schon mehr Teile gelesen habe als im Verkauf stehen, und weiß somit, dass von der Geschichte zwar etwas hängen bleibt, sie aber nirgends hängt. – Oh, ein Wortspiel. Ich muss grinsen. Aber genau das ist es, was ein Autor machen sollte – mit Worten spielen.
„Die Autorin hat sowieso eine komische Vorstellung vom Leben – aber vielleicht ist ihres so oder sie wünscht es sich so. Vielleicht schaut sie ja durchgängig durch eine rosarote Brille und schwebt auf Wolke sieben. Was weiß ich? Ich kann eigentlich nur sagen, dass mir das ganze Gesülze im Laufe der drei Bände ziemlich auf den Senkel gegangen ist. Am Anfang war es noch ganz lustig, beim zweiten Band hab ich es hingenommen, den dritten Band habe ich mehr überflogen als gelesen. Wenn ich den Roman hätte lektorieren sollen, hätte ich ihn definitiv um ein Drittel gekürzt. Und natürlich kann man in einer Geschichte auch mal kitschig sein und entsprechende Worte gebrauchen – aber durchgehend?“
Jetzt kommt mir gerade wieder der Satz von eben in den Sinn, wo Sophie den Drachen zitiert hat. Der hatte mich damals schon zum Schmunzeln gebracht.
„Individuell sollten Anmachsprüche schon sein, auf die Situation und auf die Personen abgestimmt. Es darf auch gerne mal kitschig werden, wenn es sich dabei nicht um einen Dauerzustand handelt. Ich habe auch schon mal etwas in der Art gebracht, allerdings mit dem Hinweis durch die Protagonistin darauf: ‚Wenn schon kitschig, dann auch richtig!‘ , nur bei den Shades geht es beinahe die ganzen 1800 Seiten so. Das nervt zuletzt nur noch.“
Jetzt sieht auch Sophie auf die Uhr. Natürlich hat sie noch etwas zu tun. Im Gegensatz zu mir ist sie berufstätig und kann sich ihre Zeit nicht so einteilen, wie es mir möglich ist. Meine Kinder sind auch schon soweit groß und selbstständig, dass sie nur noch wenig auf mich angewiesen sind. Ich bin gespannt, ob wir unsere restlichen Gedanken jetzt noch austauschen können, per Mail austauschen müssen oder ob wir uns vielleicht noch ein weiteres Mal treffen, um in gemütlicher Runde weiterzuquatschen. Immerhin ist das Thema Klischee noch offen. Und ich erinnere mich, dass sie mit mir auch über die Entstehung erotischer Szenen sprechen wollte, was ja auch ein recht spannendes Thema ist.
Sophie:
Ich gucke auf die Uhr uns zucke erschrocken zusammen.
"Sch..., och neh! Meine beiden kids stehen schon seit zehn Minuten vor der Musikschule. Diese Spaßvögel von Lehrern lassen sie immer draußen warten!"
Was mich - auch im realen Leben - extrem ärgert, weil man einen Drittklässler nicht einfach mal so auf die Straße raus schickt ... zumal jetzt, im Winter!
"Ich muss jetzt echt erst mal los - tut mir total leid! Aber ich schicke Dir heute Abend eine Mail und spätestens am Freitag habe ich nachmittags wieder frei - die Sahnetorte sah auch echt lecker aus..."
Ich sehe Divi lächeln und denke mir, dass ihr unser Plausch bisher auch gefallen hat. Ich mag emanzipierte Frauen, die auch mal über anderes als Lidl-Angebote und die neueste Soap reden können. Sie gehört da auf jeden Fall dazu! Hoffentlich hat sie auch bald wieder Zeit für ein Treffen im "Kränzchen". Mails machen Spaß, aber so Auge-in-Auge plaudert es sich echt besser.
Wir umarmen uns noch schnell. Ob sie am Freitag kommt?
Divina:
Das war es also für’s Erste. Ich muss sagen, dass ich an unserem Gespräch viel Freude hatte. Und da es mir so viel Spaß gemacht hat, wiederholen wir das Ganze mit Sicherheit noch einmal – versprochen!
Ob wir dafür weiterhin die fünfzig Schatten von Grau als Vorlage nehmen oder einfach mal frei und allgemein über das Bücherschreiben und Erotik im Besonderen reden, werden wir sehen. Zumindest war das Buch ein guter Aufhänger.
Ich sehe ihr nach, wie sie das Café Kränzchen verlässt, greife dann selbst nach meinem Schal und der Jacke und wünsche der Bedienung noch eine schöne Restwoche. Dann gehe auch ich nach Hause zu meiner Familie und meinem noch nicht ganz fertigen Erotikroman „Hausmeisterpflichten“. In Gedanken muss ich schmunzeln. Genau wegen dem Thema Klischee hatte ich nämlich diesen geschrieben. Aber das ist eine andere Geschichte ;)
Texte: Divina Michaelis, Sophie André
Bildmaterialien: Sophie André
Tag der Veröffentlichung: 18.12.2013
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