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Der Maler und die Fee



Bedächtig vermengte ich die Farben miteinander. Das zarte Blau mischte sich mit hellem Gelb, und ergab ein sanftes Grün, welches das Laub der Büsche darstellen sollte. Mit ordentlichen Tupfen entstand ein Blätterkleid.
„Was machst du da?“, fragte mich ein zartes Stimmchen.
Ich sah mich um, konnte jedoch niemanden entdecken. Um mich herum gab es lediglich Wiesen, Büsche, Bäume, einen perlig rauschenden Bach, der ein kühles Fußbad versprach, und einige Vögel, die durch die laue Sommerluft unter azurblauem Himmel flogen. Weit und breit war niemand zu entdecken, dem ich diese Stimme zuordnen könnte. Dennoch empfand ich es als unhöflich, nicht zu antworten. Zudem sah mich hier sowieso niemand, weshalb es auch niemanden gab, der sich darüber hätte lustig machen können, dass ich praktisch mit mir selber sprach.
„Ich male“, antwortete ich kurz, tunkte einen anderen Pinsel in den Klecks roter Ölfarbe, und setzte ein paar Punkte auf das Bild, um die Blüten der Wiese einzufangen.
„Warum?“, fragte mich das Stimmchen.
Mich noch einmal umzusehen empfand ich als unnötig. Ich war mir sicher, dass ich weiterhin niemanden entdecken würde. Was auch immer mich fragte, war entweder ein Teil meiner Selbst, oder es verbarg sich absichtlich vor mir, sodass ich es auch weiterhin nicht sehen können würde.
Ich verglich mein Bild mit der Landschaft, die ich vor mir sah. Es hatte große Ähnlichkeit, auch wenn das Bild natürlich nicht wirklich so real aussah, wie die Natur es vorgab.
„Damit ich die Schönheit dieses Fleckchens der Natur auch dann noch bewundern kann, wenn ich nicht mehr hier bin“, beantwortete ich die Frage. Ich konnte beinahe die Pause hören, die der Urheber dieser Stimme zum Überlegen brauchte.
„Aber da fehlt doch noch ein Großteil in dem Bild. Warum malst du nicht alles?“, fragte es mich dann.
Diese Stimme konnte unmöglich aus meinem Inneren kommen, denn ich fand mein Bild gelungen. Noch einmal verglich ich das Gemalte mit dem, was ich vor mir sah. Es war alles drauf. Nichts fehlte. Irgendwie ärgerte es mich, dass da jemand, den ich nicht einmal sehen konnte, meinem Bild Mängel vorwarf.
„Es ist alles drauf!“, behauptete ich mürrisch.
„Ist es nicht!“, zankte das Stimmchen zurück.
„Wohl!“ Mein Tonfall wurde energischer, als ob ich dadurch mehr Recht behalten würde.
„Nur, wenn man blind ist!“, erwiderte die Stimme unnachgiebig.
Jetzt sah ich mich doch noch mal um, versuchte auszumachen, wo die Besserwisserin war, die ganz offensichtlich die Absicht hatte, mich zu ärgern.
„Wenn du nur hier bist, um mich zu nerven, sei nicht so feige und zeig dich mir wenigstens!“, blaffte ich.
„Du könntest mich längst sehen, wenn du besser hinschauen würdest. Aber du bist wie alle Menschen, und übersiehst das Offensichtliche.“ Die Stimme war nun wesentlich ruhiger. Dennoch ärgerte es mich weiterhin, dass mich hier jemand scheinbar foppen wollte. Ich holte tief Luft, atmete ein - und wieder aus - und wieder ein.
„Warum machst du das?“, fragte sie. Offenbar wollte sie mich zur Weißglut treiben.
„Damit ich mich nicht aufrege. Du nervst mich ganz schön!“, presste ich hervor.
„Hm. Mir scheint, du ärgerst dich, weil du nicht das siehst, was ich meine“, stellte dieses Etwas fest und ich nickte.
„Das wird es wohl sein“, knurrte ich. Ich blickte auf mein Bild und irgendwie hatte die Stimme es geschafft, dass es mir nicht mehr halb so schön vorkam, wie ich es vorher gesehen hatte. Sie hatte mir die Freude daran verdorben.
„Vielleicht magst du mich dann darüber aufklären, was genau fehlt?“, schlug ich resignierend vor.
Ein Seufzen war zu hören.
„Na gut, denn ansonsten scheint es mit dir wohl nichts mehr zu werden. Dabei habt ihr Menschen schon so große Augen, und trotzdem fangt ihr mit ihnen nichts an.“
Wir Menschen? Was sollte das sein, was da zu mir sprach? Meine Haut fing an zu prickeln. Nun war ich wirklich neugierig.
„Also. Wie kann ich das sehen, was du mir zeigen willst?“
„Bück dich!“, kam als Antwort. Da ich mich nun einmal darauf eingelassen hatte, legte ich Pinsel und Palette beiseite und bückte mich.
„Was siehst du?“, wollte die Stimme nun von mir wissen.
„Gras und ein paar Blumen“, lautete meine Antwort.
„Ja, auch. Und dass du die siehst, weiß ich, denn die hast du auch gemalt. Aber was siehst du noch?“, drang das Stimmchen in mich.
Was sollte ich noch sehen? Ich bückte mich noch ein bisschen weiter herunter und erst dann fiel mir die Bewegung im Gras auf. Ein kleiner brauner Käfer und ein paar Waldameisen suchten sich ihren Weg durch das Gras.
„Hm, einen Käfer und Ameisen“, antwortete ich also wahrheitsgemäß in der Hoffnung, dass ich das Stimmchen damit zufrieden stellte.
Ein lautes Seufzen ertönte.
„Du scheinst ein hoffnungsloser Fall zu sein. Du siehst nur die Dinge, die du erwartest“, meinte die Stimme. „Vielleicht sollte ich ein bisschen nachhelfen?“, sinnierte sie. Und bevor ich auch nur irgendeinen Einwand erhoben hatte, umwehte mich eine Art Staub und ich schrumpfte zusehends.
„Verdammt! Was machst du mit mir?“, schrie ich halb panisch, immer kleiner werdend. Die Antwort war ein Kichern. Erst als ich nur noch ungefähr ein viertel meiner ursprünglichen Größe hatte, hörte das Schrumpfen auf.
„Na danke auch!“, fluchte ich. „Jetzt kann ich mich wohl kaum noch unter die Leute trauen. Was hast du dir dabei gedacht?“, pöbelte ich, wobei ich mich lauernd umsah. Schließlich wusste ich nicht, was mir in dieser Größe für Gefahren auflauern konnten. Sicherlich brauchte ich immer noch keine Angst vor dem zu haben, was um mich herum kroch, dennoch gab es ja auch größere Tiere wie Hunde, Katzen oder auch Füchse, die mich nun durchaus für etwas Angreifbares halten könnten.
Und dann sah ich sie. Auf einer gelben Blüte hinter mir saß ein menschenähnliches Wesen, nicht größer als ein Fingerhut, das Flügel hatte.
„Mach den Mund zu! Sonst kommen Blattläuse rein“, scherzte dieses Ding und grinste von einem spitzen Ohr zum anderen.
„Du bist eine Elfe!“, sprach ich meine Gedanken aus. Doch irgendwie lag ich wohl doch daneben, denn das Grinsen verschwand aus dem Gesicht. Flügel schwirrten schillernd wie die eines Kolibris, als das Wesen sie schwang und sich so in eine stehende Position auf der Blüte brachte. Sie stützte die Arme in die Seiten und schaute mich entrüstet an.
„Also ihr Menschen seid wirklich noch dümmer als ihr ausseht! Elfe! Pah! Und dabei tut ihr doch sonst immer so schlau, gerade was Fabelwesen angeht.“
„Na gut“, gab ich mich geschlagen und warf die Hände in die Luft, wobei ich eine Blüte streifte, die stark ins Schwanken kam. Dadurch fühlte sich eine große Fliege dermaßen gestört, dass sie mich wütend anschwirrte. Mit wedelnden Armen versuchte ich sie zu vertreiben. Das war mir in meiner alten Größe aber wesentlich leichter vorgekommen.
Nachdem ich sie endlich erfolgreich abgewehrt hatte, redete ich weiter. „Und was bist du nun?“
„Eine Fee! Aber da hättest du selber drauf kommen können. Selbst eure Geschichtenschreiber scheinen intelligenter zu sein als du.“ Sie drehte sich um, zeigte mir ihren Rücken und bewegte die Flügel. „Das sind Flügel. Und ich hab noch nie gehört, dass Elfen Flügel hätten“, stellte sie klar. Dann drehte sie sich zurück und wies auf sich von oben nach unten. „Und dann schau dir mal meine Größe an. Sieht so eine Elfe aus?“
„Ja, Fräulein Naseweiß!“, erwiderte ich genervt. „Wenn du meinst. Du musst es ja wissen. Aber einmal davon abgesehen hab ich bisher noch nie das zweifelhafte Vergnügen gehabt, eine Fee oder eine Elfe zu sehen.“
„Das liegt aber mit Sicherheit nicht an uns. Wir Feen sind allgegenwärtig. Aber da du nicht daran geglaubt hast, dass es uns gibt, hast du uns logischerweise auch immer übersehen.“
„Wenn du es sagst“, meinte ich und verdrehte die Augen.
„Das ist die einzig logische Erklärung. Aber nun schau dich um. Kannst du jetzt sehen, was ich vorhin meinte?“, beharrte die Fee darauf, dass es etwas zu sehen gab.
Bisher hatte ich mich lediglich auf dieses Wesen konzentriert, weshalb ich mich noch nicht wirklich umgeschaut hatte. Als ich mich jetzt jedoch umblickte, erkannte ich immer und immer mehr Einzelheiten, die tatsächlich zur Schönheit dieser Gegend beitrugen.
In einem verlassenen Spinnennetz in meiner Nähe, hingen Tautropfen wie Perlen an einer Kette und glitzerten im Sonnenlicht. Auf jedem Grashalm tummelten sich kleine und kleinste Geschöpfe. Puschelige Bienen, bunte Schmetterlinge und auch behaarte Fliegen flogen von Blüte zu Blüte und erst jetzt zog mir der süße Duft des Nektars in die Nase. Ich wusste bis dahin nicht einmal, dass die Augen von Bienen behaart waren.
Samenkörner schwebten wie Fallschirme bedächtig durch die Luft und Blüten und Gräser neigten sich sanft im Wind. Jedes der vielen Sandkörner konnte ich erkennen und auch, wie vielfältig sie waren. Ein braunroter Käfer brummte im Tiefflug an mir vorbei, setzte sich auf einen nahe gelegenen Grashalm und faltete elegant seine Flügel unter die Flügeldeckel. Ein anderer, grün schillernder, rannte geschäftig an mir vorbei. Ich war so vertieft in den Anblick, so überwältigt von der Farbenvielfalt, dass mich die Stimme der Fee beinahe erschreckte, als sie mich wieder ansprach.
„Es ist schön, nicht wahr?“, fragte sie, und ich nickte zu Bestätigung. Es hatte mir die Worte verschlagen. Und dabei nahm ich jetzt nur die Schönheiten aus nächster Nähe wahr.
Ich ging ein paar Schritte und entdeckte an einem verwitterten Baumstumpf einen Pilz, der korallenähnlich in die Höhe wuchs. Das dunkelgrüne Moos daneben trug kleine Blüten und ein braunes Blatt, ein Überbleibsel aus dem letzten Jahr, steckte mitten darin und bildete einen wundervollen Kontrast. Dann sah ich Flechten und ihre Fruchtkörper, skurrile Formen, die ich noch nie gesehen hatte und, bei näherer Betrachtung, durchaus für eine Science-Fiction-Kulisse herhalten könnten. Ein grüner Grashüpfer mit kleinen schwarzen Punkten auf den Beinen versteckte sich schnell hinter einem Grashalm. Als ich ihm mit meinem Blick folgte, bemerkte ich ein merkwürdiges Insekt, das still unter dem Blatt saß. Es hatte einen länglichen Körper, große Flügel, lange Fühler und etwas Antennenartiges an seinem Ende. Ich kam mir so dumm vor, dass ich viele der Dinge, die ich jetzt sah, nicht einmal benennen konnte. Und das, obwohl ich mich oft in der Natur bewegte.
Immer weiter ging ich und entdeckte mit jedem Schritt neue Sachen, die ich noch niemals zuvor bemerkt hatte. Die Fee hatte ich schon komplett vergessen, vollkommen fasziniert von dem Anblick, der sich mir bot. Als dann das Rauschen des Baches lauter wurde, richtete ich meine Schritte in diese Richtung. Die Pflanzen änderten sich und mit ihnen auch die Tiere, die sie bevölkerten. Eine orangefarbene Fliege mit grün-bunten Augen und gefleckten Flügeln saß auf einer Brennnessel und starrte mich an. Ein anderes Insekt, ebenfalls mit großen Flügeln und einem Schwanz, der an einen Skorpion erinnerte, ließ sich durch mich nicht bei seinem Mahl stören. Wenn ich es richtig sah, kaute es gerade auf einer Fliege herum. Wie ein Hubschrauber flog eine Libelle mit ihren schillernden Flügeln an mir vorbei und setzte sich dann in Ufernähe auf einen Stein.
Vorsichtig stapfte ich durch das hohe Gras, immer gespannt darauf, was sich mir als nächstes offenbaren würde. Schließlich lichtete sich die Wiese, und ich stand direkt vor dem Bach. Mit einem Blick fand ich eine Stelle, die flach genug für mich war, sodass ich mich dorthin begab, meine Schuhe und Strümpfe auszog und mich dann hinsetzte und die Füße ins Wasser baumeln ließ.
Das Wasser glitzerte und auf der Oberfläche liefen viele Wasserläufer hin und her. Unter der Oberfläche des klaren Baches schwammen kleine graue Fische. Dann sah ich wieder Larven irgendwelcher Insekten, die sich zwischen den Wasserpflanzen versteckten. Egal, was ich auch ansah, alles war von einer eigentümlichen Schönheit, hatte faszinierende Formen oder Farben, dass ich mich fragte, wie ich so lange unwissend durch die Gegend laufen konnte.
Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß, doch nach einiger Zeit meldete sich das Stimmchen wieder. Die Fee setzte sich auf die Blüte einer rosa blühenden Uferpflanze und betrachtete mich interessiert.
„Jetzt verstehe ich, was du meinst. Und trotzdem kann ich das alles nicht in meinen Bildern unterbringen. Dafür ist das Zubehör zu grob und die Ansicht zu weitläufig. Kleine Dinge gehen da zwangsläufig unter, auch wenn sie es sind, die alles interessant und schön machen“, meinte ich frustriert. Nachdem ich all diese Schönheiten gesehen hatte, empfand auch ich mein Bild als unvollständig. Und das Schlimme daran war, dass ich nun wusste, dass alle meine anderen Bilder keinen Deut besser waren. „Vielleicht sollte ich das Malen bleiben lassen“, erklärte ich, woraufhin mich die Fee erschrocken ansah.
„Das habe ich nicht gewollt. Deine Bilder sind ja gar nicht so schlecht …“
„Danke“, unterbrach ich sie mit einem ironischen Tonfall.
„… nur fehlt ihnen noch das gewisse Etwas. Es fehlt die Erfahrung, das Wissen um das, was du hier wirklich sehen kannst, wenn du sehen kannst“, redete sie einfach weiter, als hätte sie meinen Einwurf gar nicht gehört.
Ich warf die Hände in die Luft und zuckte gleichzeitig mit den Schultern.
„Und wie sollte ich das machen? Hast du einen Vorschlag? Meinem Material sind Grenzen gesetzt. Mehr wird nicht drin sein“, behauptete ich und gähnte. Die warme Luft und der Wiesenmarsch schienen mir mehr zugesetzt zu haben, als ich dachte. Hoffentlich wollte die Fee nicht mehr allzu viel mit mir diskutieren.
Ein wissendes Grinsen umspielte die Lippen der Fee. Sie kam auf mich zu und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.
„So lange du genau hinsiehst, wirst du ab heute in der Lage sein, dieses Wissen mit einzubringen.“
„Aber wie?“, fragte ich und gähnte erneut. So langsam fiel es mir schwer, die Augen offen zu halten und so ließ ich mich nach hinten in das weiche Gras sinken und lauschte dem Murmeln des Baches und dem Sirren in der Luft. Ihre Stimme wurde ein Teil der Geräusche um mich herum.
„Du wirst es können. Glaub mir!“, säuselte ein Stimmchen in meinem Kopf.
Eine Frage lag mir noch auf der Zunge. Es war mir wichtig, sie noch loszuwerden, bevor ich einschlief. Dabei nuschelte ich schon etwas, weil ich meinen Mund kaum noch auseinander bekam.
„Wie heißt du?“, stellte ich meine Frage und ich war mir nicht sicher, ob ich die Antwort wirklich gehört hatte, oder ob sie bereits ein Teil meines Traumes war.
„Kimama“, flüsterte es in meinem Kopf.

Es dämmerte bereits, als ich erwachte. Was war das nur für ein merkwürdiger Traum? Vorsichtig richtete ich mich auf, sammelte meine Socken und Schuhe zusammen und sah mich nach der Staffelei um, auf der ich das Bild zurückgelassen hatte. Alles stand noch an Ort und Stelle. Ich griff in meinen Nacken und kratzte mir den Hals. Ein wenig komisch fühlte ich mich, aber das konnte auch daran liegen, dass ich hier am Bach liegend eingeschlafen war. Die Haut in meinem Gesicht spannte etwas, also musste ich mir einen Sonnenbrand zugezogen haben. Wie leichtsinnig von mir, mich einfach ohne Schutz hinzulegen. Dennoch hatte ich den Schlaf genossen.
Mit großen Barfuß-Schritten bewegte ich mich auf meine Staffelei zu und betrachtete das Bild. Auch wenn das alles nur ein blöder Traum gewesen war, so fehlte mir in dem Bild tatsächlich etwas. Nachdenklich nahm ich den Pinsel zur Hand und versuchte im schwächer werdenden Licht das Bild zu verbessern. In Gedanken stellte ich mir alles vor, was ich im Traum gesehen hatte. Die Hand mit dem Pinsel bewegte sich fast automatisch, als hätte sie ein Eigenleben und wüsste genau, was sie tut. Erst als die Sonne komplett unter gegangen war und schon die ersten Sterne am Himmel herunterleuchteten, war es mir genug. Ich packte alle meine Sachen zusammen und legte sie hinten in meinen Kofferraum. Das Bild tat ich vorsichtig obenauf, da die Farbe erst einmal trocknen musste. Ich schloss den Kofferraumdeckel und sah mich um. Leuchtkäfer schwirrten über die Wiese und es sah aus, als würden sie extra für mich einen besonderen Tanz aufführen. Vielleicht war es ein bisschen dämlich, dennoch hob ich die Hand zum Abschiedgruß. Es kam mir einfach richtig vor.

Zuhause räumte ich das Bild aus dem Kofferraum und stellte es noch im Dunkeln in der Garage an die Wand. Morgen würde ich es herein holen, wo es dann im Keller endgültig trocknen konnte. Jetzt war ich erst einmal zu müde, um mich weiter darum zu kümmern. Etwas verwundert war ich schon, denn ich hatte doch bereits am Bach so viel geschlafen. Aber vielleicht brütete ich ja auch etwas aus. Das würde mich nicht wundern, waren doch die ganze Zeit über meine Füße im Wasser. Insgeheim ärgerte ich mich über meine Anfälligkeit, ließ mir jedoch nichts anmerken, als ich ins Haus trat und meine Frau mir entgegen kam.
Ihre blauen Augen leuchteten und sie gab mir einen Kuss.
„Und? Erfolgreich gewesen?“, erkundigte sie sich. Meine Frau war meine größte Bewunderin – leider. Auf diese Art konnten wir kaum jemals zu Geld kommen. Doch sie beklagte sich nie und schaffte es, mit günstigen Mitteln ein schmackhaftes Essen auf den Tisch zu zaubern, wofür ich sie wiederum bewunderte.
„Ich weiß es gar nicht“, erwiderte ich zu meiner eigenen Verwunderung. „Zuletzt habe ich gemalt, ohne überhaupt noch viel sehen zu können.“ Ich sah sie an und spielte mit einer ihrer blonden Haarlocken. „Du, tut mir wirklich leid, aber ich bin vollkommen KO. Ich werde mich wohl am besten gleich hinlegen. Und morgen sehen wir uns das Bild gemeinsam an. Ist das okay für dich?“
Leicht besorgt legte sie mir ihre Hand auf die Stirn, lächelte aber, da ich noch normal temperiert war.
„Nein, ist gut. Es war ein langer Tag für dich. Geh du nur ins Bett, ich wasch nur eben noch ab und komm dann nach.“

Wie sie ins Bett gekommen war, hatte ich gar nicht mehr mitbekommen, aber ich wurde wach, als sie erregt ins Schlafzimmer stürzte.
„Wie auch immer du das gemacht hast, das Bild ist einfach wundervoll“, rief sie und riss im gleichen Zuge die Gardine auf. Die Sonnenstrahlen trafen mich voll in meine verschlafenen Augen und sorgten so dafür, dass ich auf einmal hellwach war.
„Aber Schatz, du findest doch jedes meiner Bilder schön“, äußerte ich mich verwundert.
Sie schüttelte energisch den Kopf.
„Doch schon, aber dieses Bild ist vollkommen anders! Was du auch getan hast, du musst das wieder tun“, lachte sie mich an und zog mich an meinen Armen aus dem Bett. Vollkommen verwirrt folgte ich ihr. In der Garage angekommen stutze ich. Das konnte gar nicht sein. So etwas war gar nicht möglich.
Das Bild leuchtete aus sich heraus. Ich konnte praktisch fühlen, wie sich die Sonnenstrahlen von der Garage her auf meiner Haut ausbreiteten. Als ich näher trat war mir, als hätte ich jede einzelne Blume, jeden einzelnen Grashalm und jedes einzelne Sandkorn auf der Leinwand verewigt. Das Blatt inmitten des Mooses konnte ich genauso erkennen, wie auch die Flechten und die Insekten, die mir auf der Wiese begegnet sind. Das Bild lebte so sehr, dass mir war, als wäre ich wieder dort. Und wenn ich ganz genau hinsah, konnte ich sogar eine kleine Elfe erkennen, die auf einer gelben Blüte hockte.
Verblüfft sah ich meine Holde an.
„Ich weiß nicht, wie ich es gemacht habe, aber ich muss versuchen, ob es wieder klappt“, lachte ich begeistert.

Noch am gleichen Tag zog ich mit Staffelei und einer neuen Leinwand los. Dort, wo ich sie aufstellen wollte, ging ich in die Hocke und besah mir das Fleckchen sorgfältig. Weiter und immer weiter ging ich mein Motiv ab, sorgfältig darauf achtend, dass mir nicht das kleinste Detail entging. Erst als ich überzeugt war, dass ich alles gesehen hatte, machte ich mich daran, das Bild zu malen. Und auch dieses Bild wurde zu einem lebendigen Abbild dessen, was ich gesehen hatte. Vollkommen erfreut fuhr ich mit dem fertigen Bild nachhause.
Meine Frau saß auf der Veranda und schien schon auf mich zu warten.
„Ich hätte einen Käufer für das Bild“, rief sie mir entgegen, noch bevor ich ausgestiegen war. „Aber ich wollte erst einmal abwarten, ob du wieder so ein schönes Gemälde mit nachhause bringst.“
Mein Strahlen war ihr scheinbar Antwort genug. Dennoch bestätigte ich das noch einmal mit einem Kopfnicken und holte das neue Bild aus dem Kofferraum. Bei ihrem Blick ging mir das Herz auf. Diese Freude war alles, was ich brauchte. Und dennoch entschlossen wir uns, das erste Bild zu behalten.

Jahre später fuhr ich noch einmal zu der Stelle, an der alles begann. Die Wiese war schon längst nicht mehr, da sie einem Gewerbegebiet weichen musste. Dennoch stieg ich aus und blickte in die Richtung, wo ich das erste Mal die Wunder der Natur erblicken durfte.
In all den Jahren hatte ich viele dieser Bilder gemalt, und sie gefielen dieses Mal nicht nur meiner Frau und mir, sondern auch vielen anderen Menschen, die sie mir aus den Händen rissen. Die Geldnot war Vergangenheit und trotzdem blieben wir bescheiden. Mit dem Ersparten kauften wir uns immer wieder ein paar Hektar Natur, die wir vor der Bebauung schützen und so für die vielen Lebewesen, aber auch für unsere Kinder bewahren wollten.
Mein Blick glitt über den Asphalt, der den Parkplatz des nächststehenden Gebäudes überzog, bis zu einer alten Eiche, die den Überbau überstanden hatte. Mir war, als sähe ich ein kleines blondes Feenwesen in ihrem Laubwerk sitzen, doch es konnte auch eine Lichttäuschung sein. Trotzdem sah ich fest hinüber und murmelte: „Danke Kimama!“
Eine kleine Windbö hob an und mir war, als würde sie mir ein paar Worte zutragen. Es klang wie: „Keine Ursache!“
Mit einem Lächeln auf den Lippen drehte ich mich um und ging. Ich würde diesen Ort nie wieder sehen. Dafür hatte ich noch das Bild und die Erinnerung daran, wie es hier einmal war, und es konnte noch vielen Generationen zeigen, was ich einstmals erblicken durfte.

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Texte: Alle Rechte bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 04.10.2011

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