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Drubenheart




Drubenheart war alt, selbst für die Mitglieder seiner Gattung war er ein alter Knochen. Zugegeben gab es nur noch wenige. Achthundertzweiunddreißig Jahre nach der Menschen Rechnung hatte er bereits gesehen, viele davon waren für beide prächtig, zusammen hatten Menschen und Drachen viel erreicht, geschafft und zufrieden nebeneinander gelebt. Man hatte sich unterstützt, so gut es ging, in Gefahrensituationen geholfen und trotz der beachtlichen Unterschiede der Körpergröße war das Zusammenleben der zwei völlig unterschiedlichen Arten ein sehr harmonisches gewesen. Die Alten halfen den Alten, die Jungen spielten miteinander. Wobei jeder bedenken musste, jung bei der Gattung Mensch ging bei ihrer Zählweise bis zum zehnten Lebensjahr, bei den Draflüglern, von den Menschen Drachen oder Lindwürmer genannt, waren das durchaus zehn Mal so viele Tage. Das hieß, sie hatten viele Spielkameraden, aber auch viele Freunde, wenn ehemalige Gefährten in der Jugend der Menschen zu Erwachsenen heranwuchsen. Durch diese eigenartige Begebenheit, durch Mutter Natur geschaffen, war eine Freundschaft beider Rassen auf lange Zeit einfach da, ohne dass sie hinterfragt wurde.
Ihre Kämpfe waren bis zu den Tagen immer nur nette Geplänkel zwischen den beiden so unterschiedlichen Geschlechtern. Immer hatten die Draflügler ihre Nüstern vorn, aber es sollte ja auch nur ein großer Spaß sein, nie war ein ernster Kampf geplant. Warum auch, beide Völker waren ja gute Freunde.
Dann, vor 600 Jahren, ist etwas Eigenartiges geschehen. Drubenheart war noch ein Jungspund, als plötzlich immer weniger Drachenkinder geboren wurden. Die Menschen waren genauso ratlos wie die Draflügler. Die Lindwürmer wurden immer trauriger. Alte starben und die jungen wurden älter, das war der Lauf der Welt, aber ohne Kinder wurden sie immer weniger. Die jungen Menschen hatten keine Drachenkinder mehr zum Spielen und die alte Vertrautheit zwischen den zwei Arten verschwand nach und nach. An ihre Stelle trat Misstrauen gegenüber den riesigen Geschöpfen, die immer wieder die Pfade der Menschen kreuzten.
Die Draflügler zogen sich immer mehr aus der Gesellschaft der Menschen zurück. Eine Zeit lang wurden sie noch von den älteren und Alten in Ihren Höhlen besucht. In sie hatten die meisten Lindwürmer sich vor Trauer und Schmerz zurückgezogen. Es wurden Geschichten aus den glorreichen Tagen der engen Freundschaft der zwei Völker erzählt und man schwelgte in Erinnerungen.
In den Dörfern und Burgen der Menschen ging die Erinnerung an das friedliche Zusammenleben zwischen Lindwürmern und Menschen immer mehr verloren. Die großen geflügelten Gestalten wurden mit vielen Mythen belegt, das Feuerspeien zum Beispiel hatte es nie gegeben.
Die alten Geschichten wurden ausgeschmückt mit fantasievollen Darstellungen von Kämpfen, welche nicht stattgefunden hatten und solche Erzählungen schürten die Angst vor dem inzwischen Unbekannten. Die Alten, die sich noch erinnerten, wurden belächelt, wenn sie von Festen und Spielen mit den Lindwürmern schwärmten.
Die jungen, aufstrebenden, Recken hatten ein neues Spiel, tötet den Drachen. Dabei machten sie sich Mut und Anerkennung fand der Gewinner. Siegfried, von den Menschen in Geschichten als „Drachentöter“ gerühmt, war so ein Genosse, der auszog, um Ruhm zu erwerben, weil er von allen Freunden ausgelacht wurde. Irgendwann hatte er einmal den Gedanken gefunden, er würde Anerkennung erlangen, wenn es ihm gelänge, einen von den im Kampf unbesiegbaren doch zu besiegen. So machte er sich auf die Suche nach dem Versteck eines Lindwurms.
Er hätte Fafnir nie im Kampf besiegen können. Eine Katastrophe kam ihm gegen den jungen Draflügler zur Hilfe. Gerade als er lauthals brüllend mit erhobenem Schwert versuchte, die Höhle des vermeintlichen Opfers zu erstürmen, begann die Erde zu beben. Fafnir, der sich auf einer Ebene oberhalb des Eingangs befand, wurde ebenso vom Erzittern des Bodens überrascht, wie der voranstürmende Siegfried. Siegfried unten, die Arme zum Schutz gegen den einsetzenden Geröllregen erhoben, das Schwert gen Himmel gestreckt, Fafnir über ihm, plötzlich von einem herabfallenden Gesteinsbrocken in der Flanke getroffen und den schmalen Grat hinuntergedrückt. Er fiel genau in das aufgerichtete Schwert und begrub Siegfried unter sich. Sein Blut floss über den fast zu Tode gedrückten Körper des ungestümen Angreifers und die in ihm enthaltenen Inhaltsstoffe taten ihre Pflicht. Der im Sterben liegende Mensch wurde durch das Blut des Drachen erweckt, er bekam ungeahnte Kräfte übermittelt und nach einer Zeit der Regeneration kämpfte sich Siegfried unter dem toten Körper des Draflüglers hervor. Hinterher erzählte er stolz, er hätte im Blut des Drachen gebadet. Auch der wunde Punkt im Rücken, in der Sage ein Blatt, das sich beim Baden auf seinem Rücken befand, war nichts anderes, als der Abdruck von Teilen seiner Waffe, die durch den Druck, den der Körper über ihm ausgeübt hatte, einfach verhinderte, dass Drachenblut diese Hautpartien benetzten konnte.

*




Nun saß er hier oben auf dem hohen Berg und beobachtete das Geschehen unter Ihm. Es hatte sich viel verändert in den letzten hunderten von Jahren auf der guten alten Erde. Die Menschen benutzten heute Dinge zum Transport, die er nur aus der Entfernung kannte. Fliegen konnte er nur noch in dunklen Nächten immer auf der Hut nicht gesehen zu werden. Wenn er ehrlich zu sich selber war, strengten ihn diese Ausflüge leider auch sehr an, und er war immer wieder froh, es sich in seinem Unterschlupf gemütlich machen zu können. Hier legte er sich nieder und ließ seine Gedanken fliegen in die alte Zeit voller Glück, Zufriedenheit und Frieden.
Es gab nur noch wenige der Alten, die durch Überlieferungen und Erzählungen von der einstigen Freundschaft der beiden Geschlechter wußten. So sprach er nur noch selten mit einem vom Menschengeschlecht.
Doch gestern, oder war es vorgestern, er schlief in letzter Zeit lange, war David vom hohen Acker zu ihm hinaufgeklettert. Der alte Mann hatte sich den beschwerlichen Weg angetan um ihn, den alten Draflügler um Rat und auch um Hilfe zu bitten. Sie hatten lange zusammen gesessen und gesprochen. David erzählte ihm eine Geschichte, die eher in die Zeit der Ritter und Burgen passte. Drubenheart kam sich dabei in alte, bessere Zeiten versetzt vor. Immer wieder fragte er nach, um sich sicher zu sein, dass der Alte ihm keinen Bären aufbinden wolle.

Impressum

Texte: Dietmar Hesse
Bildmaterialien: Dietmar Hesse
Tag der Veröffentlichung: 11.05.2012

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