Kristallklare Splitter bedeckten das dunkle Kirschholzparkett, zerkratzten den makellosen Boden. Durch das geöffnete Fenster drangen die ersten Sonnenstrahlen in den Raum, beschienen die skurrile Szene und ließen die Scherben wie Millionen kleine Diamanten funkeln. Wie paralysiert starrte Bastian auf das Glassplittermeer zu seinen Füßen. Ein trauriger Ausdruck lag in den grünen Augen, welche sehnsüchtig die Photographie unter dem gebrochenen Deckglas betrachteten. Mit bedächtigen Schritten ging Bastian auf den kaputten Bilderrahmen zu, der verlassen auf dem Fußboden seines Wohnzimmers lag. Zitternde Finger wischten die Scherben bei Seite, hoben das Photo auf. Kraftlos ließ der Bayer sich auf die Knie fallen. Sarah blickte ihm lächelnd entgegen. Seine Sarah. Jetzt war sie wieder frei.
Fast streichelnd fuhren Bastians Fingerkuppen über die Photographie – die rosigen Wangen, die vollen Lippen entlang, über ihr goldenes Haar. Sie war so schön; Sarah sein Engel. Und jetzt war sie fort, würde nie wieder für ihn lächeln, nie mehr ihr blondes Haar zurückwerfen und seinen Namen flüstern. Monate voller Zweisamkeit waren einfach so vorbei, als hätte es sie niemals gegeben – die schönen Stunden zu zweit, die Vertrautheit, dass Gefühl von Geborgenheit. Zerbrochen, wie das Deckglas des Bilderrahmens. Eine einsame Träne rann Bastians Wange hinab, als er das aufgesetzte Lächeln betrachtete, dass Sarahs Lippen zierte. Sie war so perfekt gewesen, hatte sich wie ein Puzzleteil an seine Seite gefügt. Sie beide hatten so perfekt zusammengepasst. Eine Bilderbuchgeschichte. Bonney und Clyde. Romeo und Julia.
Eine Märchenliebe. Für Bastian war es ein Stück vom Himmel gewesen. Ein Platz über den Wolken, nur für ihn und seinen Schatz. Er hatte doch nur Liebe gesucht – Liebe und Geborgenheit. Eine Schulter an die er sich anlehnen konnte, wenn alles zu viel wurde. Arme die ihn auffingen, wenn der Boden mal wieder unter ihm nachgab. Er hatte doch nur die Leere in seinem Herzen füllen wollen; einen Ausgleich zur kalten Realität. Eine Zuflucht, ein bisschen Sternenstaub. Nur ein kleines Stückchen Traumwelt, weil jeder Mensch doch ein wenig Liebe braucht. Und gefunden hatte er Sarah. Seine zauberhafte Sarah. Mit ihrem Lächeln, dass seine Welt zum Stillstand bringen konnte und ihren Augen, die so tief wie die Ewigkeit schienen. Trügerische Tiefe. Bastian wollte doch nur lieben – und zurückgeliebt werden.
Und Sarah hatte ihn geliebt. Sie ließ sich nicht durch seinen Berühmtheitsgrad einschüchtern, sprach ihn einfach an und nahm ihn so, wie er wirklich war. Einfach nur Bastian. Sie war es, die ihn nach einem verlorenen Spiel mit einem einfachen Lächeln aus seinem Tief zog und die an seiner Seite stand, wenn er einen Halt brauchte. Sarah war es, die ihn mit ihren Augen in den Bann gezogen hatte, und eine selige Verbundenheit vorspielte. Ein Lichtreflex auf seiner Schattenwelt. Sarah war plötzlich einfach da gewesen, hatte sein Leben ein bisschen bunter gemacht, ein wenig Freude und Wärme mitgebracht. Und Bastian hatte es genossen, hatte sich reingehängt und ihr die Welt zu Füßen gelegt. Er hatte sich verzweifelt an den Strohhalm geklammert, den Sarah ihm hingehalten hatte. Und jetzt war es vorbei.
Jetzt blieb ihm nichts weiter, als zerbrochene Träume und kaputte Deckgläser. Er hatte seine kleine große Welt auf Sarah getauft und nun blieb nichts übrig, außer einer noch größeren Leere und der Sehnsucht nach Trost. Niemand bei ihm, der ihn aus seinem Tief zog, kein Lächeln, kein goldenes Haar. Keine Hände, die sich auf seinen Rücken legten, und keine Lippen an seinem Ohr, die ihm kleine Nichtigkeiten zuflüsterten. Hinfort war der Geruch von Parfum in der Luft, wenn sie durch einen Raum tänzelte und der Geschmack von Kirschlipgloss, nach einer Nacht voller Liebe. Nichts blieb haften von dieser Lovestory, die nie hätte enden sollen. Alles war so groß, neu und bunt gewesen, und jetzt saß er hier, auf dem Parkett seines Wohnzimmers und suchte die verlorene Glitzerwelt, zwischen imaginärem Staub und Asche.
Traurig lehnte Bastian sich gegen die Couch und zog die Knie an seinen Körper. Verloren versank er in dieser Abwehrhaltung, schwelgte in den Träumen einer nie da gewesenen Vergangenheit. Er hatte nie einen Unterschied gemerkt. Hatte so verzweifelt nach Wärme gesucht, dass er den schmalen Grad zwischen Liebe und Schauspiel nicht erkannte. Sarah hatte ihn doch immer so angesehen, mit diesem speziellen Blick. Und wenn Bastian zärtlich gewesen war, dann kamen die schönste Töne über ihre Lippen. All die Hoffnungen, die sie in ihn gesteckt hatte, wenn er ein wichtiges Spiel bestreiten musste, und ihre Küsse, die sie immer so bereitwillig gab. All das konnte doch nicht so falsch gewesen sein. Er konnte sich doch nicht so ihrer Liebe getäuscht haben. Nicht so sehr.
Immer wieder huschten Bastians glasige Augen über das Photo. Vielleicht hatte er sich gar nicht getäuscht – nur selbst betrogen. Alles an Sarah schien so toll, so perfekt zu sein – zu perfekt. Die Haare ein bisschen zu blond, die Augen etwas zu glänzend. Das Lächeln eine Spur zu gewohnt, die Posen ein Tick zu gestellt. Ihre Haut ein Hauch zu makellos und ihre Liebe nur ein bisschen zu kalt. Perfektes Schauspiel. All die Nächte, in denen sie in Bastians Armen lag, all die Fußballspiele auf der Tribüne; alles nur Show. Jeder Kuss, alle lieben Worte, nur Mittel zum Zweck. Jede Frisur, jedes neue Kleid, nur für sie selbst, nicht für Bastian. Und jedes ihrer aufgesetzten Lächeln, nur für die Medien einstudiert. Der Teufel unter der eisernen Maske. Aber für Bastian hatte es sich so echt angefühlt – jede Nacht.
Er hatte das Ende nicht kommen sehen, die Wandlung nicht bemerkt. Wie sie mechanisch nur noch die Beine breit machte, und das Dollarzeichen in ihren Augen. Das gekonnte Spielen mit den Kameras, wo sie ging und stand. Dieses sanfte Lächeln, dass jeden Tag eine Spur breiter wurde, ein bisschen zu aufgesetzt, nur ein Hauch von Narzissmus. Bastian sah nicht lange genug hin, um die Fäden zu erkennen, die sie um seine Gliedmaßen schlang; ihn wie eine Marionette tanzen ließ. Hatte nicht einmal selbst gemerkt, wie er sich veränderte, ihr immer ähnlicher wurde. Ihre Nähe machte ihn kalt, für tiefe Gefühle unempfänglich. Anstatt Liebe zu geben, schwärzte sie sein Herz, ohne das er es überhaupt bemerkte. Erst als es schon zu spät war, spürte Bastian die Tentakel, die sich um seinen Hals geschlungen hatten.
Er konnte nicht ahnen, dass es Sarah war. Wie hätte er es wissen können? Diese zarte Gestalt, die ihm die Luft zum Atmen nahm. Dieses engelsgleiche Lächeln, dass ihn zum Narren hielt. Wie eine Schaufensterpuppe ließ er sich ausstaffieren; mit Arroganz und Überheblichkeit als tägliches Accessoire. Sarah wusste ihre Puderdose perfekt anzuwenden – pustete ihm Gefühllosigkeit wie Rouge ins Gesicht, formte die perfekte Maske für ihn. Er merkte überhaupt nicht, wie er selbst die Suche nach Wärme schließlich aufgab und sie ihr unsägliches Schauspiel endlich fallen ließ. Wie sie beide kalt und geschäftlich nebeneinander her lebten, eine vollkommene Symbiose bildeten. Er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was Sarah aus ihm gemacht hatte; Ken und Barbie in vertauschten Rollen.
Erst als Lukas hinter die Fassade sah, dass böse Spiel durchschaute und ihre fein sitzende Maske zum bröckeln brachte, wachte Bastian auf. Er sah, dass sich irgendetwas verändert hatte, doch auf seine bezaubernde Sarah, ließ er nichts kommen. Lieber gab er die Freundschaft zu Lukas auf, als sich von dieser Frau zu trennen, die für ihn das Zentrum seines Universums war. Vielleicht konnte er es auch gar nicht mehr. Ihre Marionettenfäden hatten sich inzwischen zu einem festen Netz versponnen, schnürten jegliche Hinterfragung zusammen. Aus ihren Fängen gab es kein Entkommen. Was Sarah wollte, bekam sie auch – und was sie besaß, ließ sie nicht wieder los. Zu groß die Habgier, zu mächtig der Wunsch nach Legende – Unsterblichkeit, durch das Sein in aller Munde. Größenwahn.
Als die Puppenspielerin bemerkte, dass Lukas eine Bedrohung für ihren Status war – ihr sorgsam aufgebautes Podest zum wackeln brachte – versuchte sie auch dort ihr Spiel mit der Liebe; bezirzte den jungen Stürmer und bot ihm ihren Körper an, wie Ware auf dem Fleischmarkt. Doch Lukas war nicht so blind wie Bastian, erkannte die feine Linie zwischen Liebe und Sex, die eigentlich Welten trennte. Es war das erste und einzige Mal gewesen, dass er eine Frau schlug. Die Ohrfeige saß hart und riss eine tiefe Kluft in Sarahs unangefochtenen Zauberbann. Sie hatte nicht gedacht, dass dieser dümmliche Stürmer ihr Spiel durchschauen und schachmatt setzen würde. In nur wenigen Minuten hatte sie sich selbst alles zerstört, was sie sich so sorgfältig modelliert hatte, mit ihrem falschen Lächeln.
Sie hatte das Feld geräumt, ehe Lukas das für sie tun konnte. War mit ihrem engelsblonden Haar zu Bastian getänzelt, um ihm ihr Bild vor die Füße zu werfen und damit auch seinen letzten Funken Menschlichkeit. Dieses Bild, dass immer auf der Kommode gestanden hatte, von Bastian behütet wie sein Augapfel – das Photo, welches wie ein Schrein angebetet wurde. Die Göttin hatte ihr Opfer fallen lassen und war weiter gezogen, um den Nächsten zu betören. Aber nicht einmal jetzt konnte Bastian das Offensichtliche sehen. Für ihn hatte eine Prinzessin ihn verlassen, nicht das schwarze Monster im Engelsgewand. Seine Augen sahen noch immer die zarten Lippen, seine Ohren hörten nur ihre giftigen Lügenmärchen. Für Bastian hatte eine Welt aufgehört sich zu drehen.
So kalt er auch die ganze Zeit gewesen war, so sehr schmerzte der Verlust ihn jetzt. Nie hatte Sarah einen Liebesschwur über die Lippen gebracht, doch Bastian kam es vor, als hätte sie ihm erst gestern unsterbliche Liebe gestanden. Von dem, was Bastian als Realität ansah, existierte nicht ein Funken. Sarah hatte mit ihrem verqueren Weltbild keinen Platz für Zweifel gelassen. Alles gut durchdacht, alles perfekt überschminkt. Sogar jetzt lagen ihre kalten Finger noch um seinem Herzen – impften unaufhörlich Irrglauben ein. Und Bastian glaubte – jede Lüge, jedes falsche Wort, jeden trügerischen Gedanken. Glaubte noch immer an die große Liebe, die er irgendwie zerstört hatte, mit irgendetwas, dass seine schöne Sarah gekränkt hatte, dass seinen Engel verletzt hatte. Die Göttin mit dem Herzen aus Stein.
Leise Schritte hallten über den Boden, ließen die Scherben knirschen und Bastian hoffnungsvoll aufsehen. Zwei Beine gingen in die Hocke, Arme schlossen sich liebevoll um seinen Körper, streichelten zärtlich über seinen Rücken. Halt suchend klammerte Bastian sich an den warmen Körper, atmete den beruhigenden Duft tief ein, der sich urplötzlich um ihn herum ausbreitete. Die zurück gewonnene Geborgenheit genießend, begriff Bastian endlich den feinen Unterschied. Liebe war kein Lächeln nach einem gewonnenen Spiel. Kein neues Kleid, kein Wort oder ein Parfum. Liebe war, seinen besten Freund einfach in den Arm zu nehmen – auch wenn dieser einen wochenlang wie Scheiße behandelt hatte, wegen einer Frau, die Liebe nicht einmal buchstabieren konnte.
Tag der Veröffentlichung: 16.05.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle Schweinski-Slasher,
die Sarah nur hassen,
weil sie statt Lukas das Mrs. Schweinsteigerprivileg hat.