DER LETZTE BESUCHER
Anton Mangold wurde an einem Sonntag, gegen Mittag, in seinem Liegestuhl im Garten seiner Villa auf einer Anhöhe vor Büllingen gefunden. Erschossen. Zwei Kugeln hatten seine nackte Brust durchbohrt und sein Herz zerstört. Frau Madeleine Mangold, schön, jung, plötzlich Witwe und reich, wurde zwei Tage später von Kommissar Paulus verhaftet.
„Ich soll meinen Mann erschossen haben? Unmöglich, zu der Zeit war ich nicht zuhause. Ich war in der Sonntagsmesse. Das wissen Sie doch. Ich habe also ein Alibi.“
Kommissar Paulus lächelt dünn.
„Weiss ich. Viele Zeugen. Sogar einen Pfarrer und einen Bürgermeister. Doch ich habe Sie nicht verhaftet, weil Sie Ihren Mann erschossen haben sollen.“
„Warum denn?“
„Wegen Mordauftrag.“
„Lächerlich.“
Der Kommissar legt eine Aktenmappe auf den Schreibtisch, klappt sie auf.
„Um Ihre Ehe stand es nicht gut, nicht wahr? Ihr Mann wollte sich scheiden lassen.“
„Ja und? Passiert in mehr als fünfzig Prozent aller Ehen“.
„Diese Scheidung wäre für Sie ein schneller sozialer Abstieg gewesen. Sie waren finanziell vollkommen abhängig von Ihrem Mann. Scheidung hätte für Sie bedeutet: zurück…“
Sie kann sich denken, dass der Kommissar ihre Vergangenheit kennt.
„…ins Bordell, das wollen Sie doch sagen, Herr Kommissar?“
„…ins frühere Leben. Bordell haben Sie gesagt, Frau Mangold.“
Paulus blättert in der Akte.
„Man hat Sie nie sonntags in der Kirche gesehen. Warum waren Sie gerade an dem Sonntag in der Messe?“
„Mir war danach.“
„Soso. Auch nach dem Kirchenbesuch hat man sie gesehen. Auf dem Kirchplatz mit einem fremden Mann.“
„Ein Tourist. Hat nach dem Weg gefragt.“
Ist sie unter ihrer samtbraunen Haut blass geworden? Für den Kommissar sieht es so aus.
„So, ein Tourist. Heisst dieser Tourist vielleicht… oder besser noch, wird der im Milieu nicht `der Schweiger` genannt?“
„Weiss nicht wie der Mann heisst. Hat sich mir nicht vorgestellt.“
Paulus sieht sie scharf an.
„Wir haben von dem Mann mehrere gute Beschreibungen. Kirchenbesucher haben meist die Angewohnheit nach der Messe noch einige Zeit auf dem Kirchplatz zu verweilen. Und diese Beschreibungen stimmen mit dem Gesicht eines Mannes überein, der der Polizei gut bekannt ist. Als Auftragskiller.“
„Ich kenne keinen Killer.“
„Oh doch. Sie haben ihn mit dem Mord beauftragt“.
„Was, ich?! Lächerlich.“
Wortlos holt der Kommissar aus der Schreibtischschublade ein Diktiergerät, legt es auf den Tisch, schaltet es an. Etwas dünn, aber deutlich, ist eine Stimme aus dem kleinen Lautsprecher zu hören: „Sie, wie kommen Sie in meinem Garten?“
Schritte.
„Was wollen Sie? Wer sind Sie?“
Eine andere Stimme, auffallend rau, antwortet: „Sind Sie Herr Anton Mangold, Mitinhaber der Firma Mangold & Co in Mürringen?“
„Ja, und der Besitzer dieses Grundstücks. Sagen Sie mir, was Sie wollen. Hat das mit meiner Firma zu tun? Dann lassen Sie sich einen Termin bei meiner Sekretärin geben. Auch für mich ist heute Sonntag.“
„Brauche keinen Termin, Herr Mangold, wird alles hier und jetzt erledigt.“
Geräusche. Mangold, aufgeregt: „He was soll das?“
Zweimal macht es plopp. Wie bei Sektkorken, wenn sie aus dem Flaschenhals befördert werden. Kommissar Paulus schaltet das Gerät ab.
Frau Mangold lehnt sich entspannt zurück.
„Das soll ein Beweis sein für…“
„Hören Sie weiter.“
Der Kommissar schaltet das Gerät wieder an.
„Viele Grüsse von Ihrer Frau“, sagt die raue Stimme aus dem Minilautsprecher. Schritte.
Frau Mangold wird blass, leichenblass.
„Ihr Mann hat im Garten im Liegestuhl nicht nur geschlafen oder sich gesonnt, Frau Mangold. Er hat Firmenunterlagen bearbeitet, Briefe diktiert. Alles lag noch auf dem kleinen Tisch neben dem Liegestuhl, als er von einem Nachbarn gefunden wurde, der von der Sonntagsmesse nach Hause kam. Die kleinen modernen Diktiergeräte schalten sich automatisch ein, wenn ein Geräusch in ihrer Nähe entsteht, zum Beispiel eine Stimme. Wird es ruhig, schalten sie wieder ab. Und die zwei Plopps waren keine Sektkorken. Der Schweiger hat einen Schalldämpfer benutzt, und … zuviel geredet“
Paulus schliesst die Akte.
„Er wurde gestern verhaftet. Von Schweigen keine Spur.“
Tag der Veröffentlichung: 04.01.2009
Alle Rechte vorbehalten