MORD VOR ORT oder DIE GESTÖRTE DORFIDYLLE
„Ich sage euch, da spiele ich nicht mit. Zuviel Sex. Was sollen da die Leute denken! Mord aus Eifersucht, ok, doch muss die Leiche dann unbedingt nackt sein? Und muss der Ermordete es vorher mit zwei Frauen getrieben haben, und verrückt nach jedem gut geformten weiblichen Po sein? “
Alle die da an dem Tisch im Hinterzimmer „Zum Hirschen“ sassen, starrten auf das Manuskript des Theaterstücks, das sie anlässlich des Kurzkrimiabends „Mord vor Ort“ in Bütgenbach aufführen sollten, dann nickten sie.
„Du hast Recht, Hermann“, sagte Peter, der Regisseur, „so was wollen die Leute hier in Mürringen oder Bütgenbach nicht hören, das kommt hier nicht an.“
„Und“, fuhr Hermann fort, „solche schrägen Typen…“
„Perverse“, rief einer dazwischen.
„Jawohl. Perverse gibt es hier nicht. In der Stadt mag es so was wie Pofetischisten geben…aber hier nicht. Hier ist alles einfach und klar.“
„Pofetischisten.“, bemerkt ein anderer, „Pfui Teufel.“
„Pofetischist! Richtig. Hier nicht. Hier ist man normal. Hier sind die Leute gut katholisch. Und dann noch die Masseuse aus dem Bordell die da mitspielt. Also ich mache da nicht mit.“
Der Regisseur erhob sich: “Also werde ich das dem Autor mitteilen.“
Da wurde plötzlich die Tür aufgerissen. Im Türrahmen stand die Wirtin, leichenblass.
„Im…im Keller liegt mein Mann, nackt, und tot. Oh mein Gott“, rief sie.
Die Kripo, vertreten durch Kommissar Loslever und seinem Assistenten Emonts, stellte fest: der Tote war erstochen worden, wahrscheinlich so gegen sechzehn Uhr; die Tatwaffe wurde im Keller gefunden, ein Messer aus der Küche der Wirtschaft; in einer Ecke lag der Bademantel des Toten, er musste also vorher gebadet haben. Was hatte er im Keller gewollt? Alle Kellerfenster waren verschlossen. Darüber hinaus erfuhr Kommissar Loslever von der Frau des Ermordeten, dass er am Morgen das Haus verlassen hatte, um nach Lüttich zu fahren, zu einer Besprechung mit der Brauerei, Anlass dafür sei ein Schreiben der Brauerei gewesen. Sie habe das Schreiben nicht gesehen, fügte die Witwe hinzu. So gegen zwei Uhr nachmittags sei sie aus dem Haus gegangen, zu einer Freundin und sei dort bis sechs geblieben, was später von der Freundin bestätigt wurde. Sie, die Ehefrau, habe ihren toten Mann gefunden, als sie ein neues Fass Bier anschlagen wollte.
„Also“, sagte Kommissar Loslever, „durchstöbern wir mal Leben und Umfeld des Toten.“
Loslever und Emonts stellten die üblichen Fragen: Wie war das Ansehen des Toten im Dorf? Hatte er Feinde, berufliche, politische, denn er war ja auch im Gemeinderat? Was tat er, wenn er nicht hinter der Theke stand? Die Ehefrau, die Theaterspieler und ein Gast der zufällig während des Verhörs hereinkam, wussten nur Gutes von dem Toten zu sagen, und wirkliche Feinde hätte er nicht gehabt. Auch der Bürgermeister („Willy war ein aktives Ratsmitglied und sehr angesehen“) und der Pfarrer („Herr Schröder war jeden Sonntag in der Messe“), die ebenfalls befragt wurden, hatten nichts Nachteiliges über den toten Wirt zu berichten. Alle waren sich darin einig, dass er neben seinem Beruf nur eines kannte: das Wohl der Gemeinde, dafür habe er jede freie Minute geopfert.
„Ein Mann ohne Tadel also. Warum wird ein solcher Mann ermordet, Emonts?“.
Emonts grinste: „Jeder hat eine Leiche im Keller, auch ein Tadelloser, Herr Kommissar“.
Die Hausdurchsuchung brachte nichts, ausser ein wenn auch altes, doch gepflegtes Jagdgewehr.
„Er war Jäger?“, wollte der Kommissar von der Hausfrau wissen.
„Früher, als er noch jünger war. Wir haben sogar eine Jagdhütte“, erklärte sie.
„Interessant. Die wollen wir uns doch mal ansehen. Vielleicht finden wir da Hinweise.“
„Aber, die Hütte wird seit Jahren nicht mehr benutzt.“
„Trotzdem. Darf ich um den Schlüssel bitten, und beschreiben Sie uns bitte den Weg.“
Das Innere der Hütte sah keineswegs aus, als habe sich seit Jahren niemand mehr darin aufgehalten. Alles sauber, staubfrei, wohlgeordnet, ein Schrank mit Konserven und Getränken, ein funktionsfähiger Gasherd, das Bett frisch bezogen, an den Wänden Geweihe und ein ausgestopfter Wildschweinkopf. Unter dem Bett eine Kiste. Inhalt: Fotoapparat, Stativ, zwei dickleibige Fotoalben. Der Inhalt der Alben war eine dicke Überraschung. Im ersten nur weibliche Aktfotos verschiedener Models, die meisten von hinten aufgenommen, und die Visitenkarten zweier Massagesalons, einer mit einer Aachener, der andere mit einer Kölner Adresse. Unter jedem Foto ein weiblicher Vorname. Im zweiten Album ebenfalls nur Aktfotos, immer von der gleichen Person, immer ganz nahe, und, bis auf eines, alle mit dem weiblichen Po im Zentrum, aber ohne einen Namen darunter. Loslever und Meyer nahmen die
Fotoalben und ein Fotografie des Ermordeten mit, und besuchten am nächsten Tag die beiden Massagesalons.
Die abgelichteten Damen aus dem ersten Album gehörten zum Personal der Salons. Ein Stammkunde, wurde den Polizisten erklärt, der bereit war, immer etwas draufzulegen, wenn er die Damen vorher fotografieren durfte. Dass er dabei meistens ihre Hinterteile im Sucher hatte, sei nichts Aussergewöhnliches gewesen.
„Wir haben hier immer wieder mit Fetischisten zu tun, die meisten davon Pofetischisten. Schöne weibliche Gesässe zu lieben, warum nicht?“, erläuterte die Aachener Chefin.
Die Nackte in dem anderen Album war in keinem der beiden Salons bekannt.
„Wenn die im zweiten Album nicht zu den Massagesalons in Aachen und Köln gehört, dann…“, dachte Loslever laut und Emonts ergänzte: „…dann sind diese Aufnahmen privat gemacht wurden, zum Beispiel in der Jagdhütte. Das würde den Zustand der Hütte und die Fotoausrüstung erklären.“
Loslever fühlte sich nicht besonders wohl, als er das zweite Album der Wirtin vorlegte. Sie wurde blass, drohte gar umzukippen. Emonts musste sie stützen.
„Kennen Sie die Frau?“, fragte Loslever, nachdem die Wirtin sich wieder gefasst hatte.
„Ja, das ist Marianne, unsere junge Bedienung.“
„Wo ist sie jetzt?“
„Oben, in ihrem Zimmer. Sie ist krank.“
Marianne gestand schnell und alles. Sie habe sich, gegen gute Bezahlung, von ihrem Chef in der Jagdhütte sehr oft fotografieren lassen, sagte sie. Besonders ihren Po, den er auch streicheln durfte, mehr aber auch nicht. Gestern Nachmittag aber sei er plötzlich im Keller gestanden, und über sie hergefallen. Sie habe sich gesträubt, dann gewehrt. Doch er habe nicht von ihr lassen wollen. Da habe sie zugestochen.
„Was wollten Sie im Keller mit dem Messer?“, fragte Loslever.
„Stücke von einem Räucherschinken schneiden.“
P.S.
Der Autor erhielt zwei Neuigkeiten gleichzeitig: die erste, die Ablehnung seines Stücks durch die Veranstalter, mit der Bemerkung, solche Perverse gebe es nicht in ihrem Dorf, die zweite, dass ein Pofetischist aus dem Dorf in seinem Keller ermordet worden war.
Tag der Veröffentlichung: 04.01.2009
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