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SMS von Estelle
6. Juli 2011, 8:44Uhr:

"Ich wünsche dir gaaanz viel Spaß mein Schatz und sag Stefan bitte er soll langsam und ordentlich fahren. Schreib mir, wenn ihr angekommen seid. Kussi!"


Genau DAS war die letzte SMS von Estelle an ihren Freund Mike. Sie war umsonst. Mehr provokant und Schuld am Unglück.
Jetzt liegt er im Krankenhaus. Koma. Schwer verletzt. Nicht ansprechbar.
Estelle seufzte und blickte traurig auf das Display ihres Handys mit der offenen SMS. Mit DER SMS!
„Warum kannst du jetzt nicht einfach die Augen öffnen und mit mir reden?“ Fragte sie ihren Freund, der neben ihr im Krankenhausbett lag. Leblos und nicht ansprechbar. Aber auch nicht tot.
Sie streichelte seine rechte Hand und berührte immer wieder die große Narbe, die er seit dem Unfall nun hatte.
Sie musste immer wieder daran denken, was Mike wohl als letztes gedacht hatte, als das Auto in den LKW raste. „Er hatte sicher an nichts gedacht und die Augen geschlossen. Vielleicht hatte er auch gar keinen Schmerz gespürt.“ Überlegte Estelle laut und sah Mike ins Gesicht. Überall blutige Schrammen, die gesäubert und verarztet wurden. Er sah schrecklich aus, erschreckend und grausam.
Stefan, der Fahrer des Autos, hatte ihr erzählt, dass Mike die SMS vorgelesen hatte und dann soll Stefan als Provokation noch mal ordentlich auf das Gas gedrückt haben. Den LKW übersah er dummerweise und fuhr ihm hinten rein. Er hatte nur ein gebrochenes Bein, obwohl er der Schuldige war! Nicht das Estelle ihm mehr gewünscht hätte, aber so war es ihr Freund der Unschuldig im Koma lag.
Auch wenn er großes Glück hatte, immerhin lebt er noch, einigermaßen zumindest. Estelle glaubte, das auch ihr Schutzengel bei ihm war. Auf alle Fälle…
„Machen sie bitte ihr Handy aus!!“ Wurde Estelle plötzlich von der Krankenschwester aus den Gedanken gerissen. „Sonst wird ihr Freund nie wach!“
Estelle steckte sofort ihr Handy ein, wie dumm von ihr es angemacht zuhaben. Dann widmete sie sich wieder ihrem Freund zu. Seine braunen Locken hingen ihm lasch ins Gesicht, seine Augen waren zu und er war voll mit Schläuchen die an piepende Geräte befestigt waren. Zum wie vielten Mal saß Estelle bereits an seinem Bett und sah sich jedes mal dieses „Elend“ an? Bereits seit 4 Tagen!
„Und sie können hier auch noch so lange dasitzen und seine Hand halten, davon wird er genau so wenig wach!“ Keifte die Krankenschwester Estelle an und schaltete an den Geräten herum.
Estelle sprang erbost auf und rannte aus dem Krankenzimmer. Zuhause hätte sie noch die Tür zugeschmissen, aber sie wollte Mike nicht gefährden.
„Was bildet die sich ein? Ich bin seine Freundin…“ Murmelte sie und rannte den Gang entlang. Sie konnte sich die Tränen nicht unterdrücken und lies sie einfach über ihre Wange laufen. Alles war für sie sinnlos, seit Mike dort in diesem Bett lag und nicht mehr bei ihr war. Wirklich ALLES!
Sie fing sogar an, ein paar Schulstunden zu schwänzen um bei ihrem Freund am Krankenbett sitzen zu können und zu hoffen, er würde durch ihre Anwesenheit endlich aufwachen. Aber vergeblich.
Estelle ging dafür öfters zum Training. Volleyball. Das lenkte sie ab und dort konnte sie all ihre Wut und Trauer raus lassen.

„Mensch Estelle, er wird schon aufwachen!“ Versuchte eine Freundin sie halbherzig auf zu muntern.
„…du musst nur fest daran glauben, bla, bla, bla…“ Ergänzte Estelle noch und verließ dann die Umkleide. Nachhause, nur noch Nachhause. Sie war total fertig.
Zuhause hatte sie keinen Appetit und schlafen wollte sie auch nicht mehr. Auf Volleyball hatte sie nun auch keine Lust mehr. Das dumme Zureden von Freunden aus ihrer Mannschaft brauchte sie nicht, das machte Mike auch nicht wieder wach. Keiner konnte sie aufmuntern, dafür musste ihr Freund schon aufwachen. Erst dann wäre wieder alles gut.
Sie nahm den kleinen Teddy, den ihr Mike zu Weihnachten voriges Jahr geschenkt hatte, in die Hand und fing wieder an zu weinen. Das Fell des Teddys wurde ganz nass und Estelle bildete sich ein, das auch der Teddy traurig war, das Mike jetzt gar nicht mehr zu Besuch kam.
„Ich will auch, das er wieder kommt..“ Murmelte sie dem Teddy zu gewannt und warf ihn dann vom Bett runter. Alles war so scheiße. Estelle weinte wieder, diesmal weil sie so gemein zum Teddy war. Er konnte ja nichts dafür. „MAN!!!!!!!!!“ Schrie sie und vergrub ihren Kopf ins Kissen. Erst redete sie mit dem Teddy und dann weinte sie, weil sie den Teddy vom Bett geworfen hatte und er ihr leid tat. Wie fertig musste man sein…
Estelle sah zum Teddy, der neben einem Klamottenhaufen lag und leer zur Decke schaute. Da kam ihr die Idee, für Mike auch einen Teddy zu kaufen, einen richtig großen. Aber dann wurde sie vom Gedanken enttäuscht, dass sie ja gar kein Geld mehr hatte, da sie neulich erst shoppen war. Einen Teddy selber machen? Nähen? Stricken? Vielleicht…

Ein paar Tage später war Mike immer noch nicht wach und Estelle saß tatsächlich an der Nähmaschine. Neben ihr lagen verschiedene Stofffetzen und Skizzen, wie der Teddy aussehen soll. Ihre Oma hatte ihr erklärt wie die Nähmaschine funktionierte und welche Stiche am praktischsten für den Teddy waren. Die Stoffe hatte sie sich zusammen gesucht, von Nachbarn, Freunden und von ihren Eltern. Da war eine ganze Menge buntes Zeug zusammen gekommen. Die Füllung hatte sie dann aber doch gekauft.
Eigentlich sollte er ja flauschig braun werden, aber keiner hatte solches Material.

„Kommst du auch mit zum Wettkampf nächste Woche?“ Wurde Estelle von ihrer Trainerin am Telefon gefragt, weil sie diesmal nicht beim Training war.
„Ja, ich denk schon…“ Murmelte Estelle.
„Das freut mich. Das wäre in Berlin, wir fahren mit dem Mannschaftsbus hin und bleiben dort nur für eine Nacht!“ Erklärte ihr die Trainerin noch, dann war das Gespräch für Estelle beendet. Sie redete zwar schon wieder öfters mit ihren Eltern, Freunden oder anderen Leuten, aber jetzt gerade versuchte sie sich in ihre überfälligen Hausaufgaben zu vertiefen.
Der, wirklich sehr große und gelungene Teddy, saß bereits neben dem Krankenbett von Mike und passte auf. Ja, auf was auch immer er auf passte, er saß auf alle Fälle dort und sah richtig gigantisch aus. Bunt, mit großen, braunen Knopfaugen. Auf seinem Bauch hatte sie „M+E“ genäht. Ihre Oma war sehr stolz auf sie und sagte auch, dass sie das selber nicht besser hinbekommen hätte. Aber das glaubte Estelle ihr nicht. Schließlich sah der Teddy wirklich nicht perfekt aus. Aber er sollte auch nicht perfekt sein, sondern einfach nur ein Teddy mit ganz viel Liebe.

Mike lag mittlerweile seit 10 Tagen im Koma und wollte nicht erwachen. Doch, er wollte bestimmt schon, aber sein Körper weigerte sich. Oder war es eher das Gehirn was stur blieb? Estelle wusste es nicht und saß trotzdem jeden weiteren Tag Stundenlang am Bett ihres Freundes. Sie musste nicht mehr mit den Tränen kämpfen, sie wollte nicht, das Mike mit bekam wie traurig sie war, sie wollte stark für ihn sein.
Jeden Tag las sie ihm aus einem seiner Lieblings Krimis vor, erzählte ihm die sinnlosesten Witze, erklärte ihm was in der Welt alles so geschah, zitierte seine Lieblings Serien (Simpson, Scrubs…), spielte seine Lieblingsmusik vom iPod ab, sogar den neusten Klatsch und Tratsch ließ Estelle nicht weg. Jeden Tag viel ihr was ein. Irgendwann gab sie es auf, nein, sie gab es nicht auf, sondern sie musste mit zu der Meisterschaft fahren. Ihn mal für 2 Tage nicht sehen. Ein schrecklicher Gedanke für Estelle, aber sie schaffte das!
„Du musst mich unbedingt anrufen, wenn er aufwacht, oder irgendwas ist, ok?“ Sagte Estelle zu Mikes Mutter, die ihr versicherte sie sofort an zurufen.

Nach einer unschönen und sehr schlaflosen Nacht, stand Estelle am nächsten Tag auf dem Spielfeld und musste eine Angabe machen. Der Ball flog mit voller Wucht ins Netz.
„Konzentrier dich!“ Rief ihre Trainerin vom Spielrand. Ja, ja!
Doch so sehr sich Estelle auch bemühte, ihr wollte es nicht gelingen.
„Na toll, gegen Berlin haben wir verloren…ESTELLE!“ Keifte eine aus ihrem Team sie an.
Estelle sah zu Boden. Sie wusste das sie daran Schuld war, aber es war ja keine Absicht…
„Wir haben jetzt noch das Spiel gegen Kiel, anstrengen!!“ Sagte die Trainerin.
Estelle nickte.
Trotzdem verloren sie das Spiel.

„Mensch Estelle, jetzt reiß dich mal bisschen zusammen!“ Sagte eine Freundin am Abend, als sie alle im Hotelzimmer saßen.
„Wir machen heute mal Mädels Abend. Ich hab 20 Packungen Gesichtsmasken mit!“ Schlug eine Andere vor.
Estelle lächelte, das war mal eine gute Idee, die andere Freundin ignorierte sie.
Der Abend wurde also doch noch ganz schön und sie schlief auch recht gut.
„Heute spielen wir gegen Stuttgart, das müssen wir gewinnen!“ Erklärte die Trainerin.
Die Mannschaft nickte. Estelle hatte gute Laune, also hatten alle ein gutes Gefühl.

„Dein Handy klingelt, Estelle…“ Rief jemand, als sie sich aufwärmten. Sofort stürzte sie zur Mannschaftsbank, wo ihr Handy lag.
„Mike Mutti“ las sie auf dem Display. „Scheiße..“ Sie bekam Panik, sollte sie rann gehen? Natürlich!
„Ja….ha-hallo?“ Stotterte sie ins Handy.
„Estelle? ER IST WACH!!!“ Schrie die Frau am anderen Ende.
Estelle schluckte, dann schossen ihr die Tränen in die Augen. „Endlich…“ Schrie sie und legte auf. Sie drehte sich zu ihrer Mannschaft und schrie wieder: „ENDLICH!!!! ER IST WACH!!!!“
Ihre Freundinnen klatschten in die Hände und umarmten sie.
Estelle wollte sofort zu ihm, aber sie musste noch dieses eine Spiel hinter sich bringen. Total hippelig stand sie auf dem Feld und schlug einfach immer wieder gegen den Ball. Sie konnte nur noch an ihren Mike denken. Was er wohl gerade machte? Dachte er an sie? Erkundigte er sich nach ihr? Vielleicht hatte er auch einen Blackout oder war behindert? NEIN, niemals…
Am Ende gewannen sie zwar nicht, sondern spielten unentschieden, aber trotzdem war Estelle mit sich und der Welt zufrieden.
Sie wollte nur noch Nachhause und machte ihrer Trainerin im Mannschaftsbus auch ordentlich stress, dass sie schneller fahren sollte.

Während die Schutzengel noch bei Mike, der mit dem Teddy auf dem Bett saß und auf Estelle wartete, waren, versäumten sie den Unfall vom Mannschaftsbus, der viel zu schnell gegen einen Baum fuhr…


Also liebe Autofahrer, Unfälle passieren zwar nicht nur vom zu schnellen Fahren, aber wenn man den Fuß etwas vom Gas nimmt, ist die Wahrscheinlichkeit um einiges geringer, das so was passiert! Wake up!



Impressum

Tag der Veröffentlichung: 02.10.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Alle Rechte liegen bei mir, Text so wie das Cover, was von mir selbst fotografiert und gestaltet wurden ist.

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