Und wenn Freiheit und Gerechtigkeit in Ewigkeit nichts als eine schöne Morgenröte wäre, so will ich lieber mit der Morgenröte sterben, als den glühenden, ehernen Himmel der blinden Despotie über meinem Schädel brennen lassen.
Seume (1, 436), Apokryphen
Die Mauer ist ein Symbol der Teilung Deutschlands. Millionen Menschen wurden abgeschottet. Hunderte kamen auf der Flucht ums Leben. Viele versuchten ihr Glück über ein Drittland, um dem Unrechtsstaat zu entkommen.
Der Leser wird in eine Zeit versetzt, in der 30 Jahre nach Ende der Nazi Diktatur immer noch menschenverachtende Mechanismen funktionieren. Mechanismen die auch im "Sozialismus" funktionierten. Die Geschichte ist keine Fiktion, sondern hat sich so zugetragen. Es ist meine Geschichte.
Das Verhör
Auszug aus meinem autobiografischen Roman
Papilio
Von Jürgen Augst
Ich habe Angst. Gottverdammte Angst, hier zu verrecken. Es stinkt fürchterlich. Fremder und mein eigener Dreck kleben im und über dem Loch in der Ecke. Ich habe das Gefühl ständig kotzen zu müssen. Mir ist kalt und ich spüre jeden Knochen in mir. Schlafen, ich will endlich schlafen, aber das Durcheinander in meinem Kopf lässt mich nicht.
Immer wieder frage ich mich, wie es weitergehen soll. Eine Antwort finde ich nicht. Ich habe Durst. Am Boden neben der Liege steht eine Plastiktasse. Ich hebe sie an und stelle enttäuscht fest, dass sie leer ist. Kurz bevor das Licht ausging, hatte ich noch daraus getrunken. Alles auf einmal, und jetzt ärgere ich mich darüber. Nun muss ich wieder warten, bis sie mit ihrem entsetzlichen Geschrei das Tagesmahl bringen. Ein dunkles und dickflüssiges Etwas mit rotbraunen Bohnen, ein faustgroßes Stück Maisbrot und die Plastiktasse mit Tee. Wie oft ich das Zeug schon herunter gewürgt habe, weiß ich nicht mehr.
Sind es Tage oder Wochen, die ich hier kampiere? Zu lange. Warten, immer nur warten. Das ist ihre Taktik. Was haben die mit mir vor? Die Ungewissheit zerreißt mich. Wann werden die mich endlich holen, damit ich es hinter mir habe? Gespannt lausche ich auf jedes Geräusch außerhalb meiner Zelle. Die Schreie und das ständige Stöhnen der armen Schweine von Mitgefangenen halte ich kaum noch aus. Immer wieder und in unregelmäßigen Abständen höre ich sie; und sie machen mir Angst, denn ich ahne den Grund.
Dann wieder diese lähmende Stille, die mich fast in den Wahnsinn treibt. Ein unheimlicher Wechsel. Ich drehe mich zur Seite und ziehe die Decke über den Kopf. Nichts hören und nichts denken. Ich bin müde, möchte nur noch schlafen, träume wirres Zeug und wache wieder auf.
Schwere Schritte hallen durch den Gang - kommen näher. Ich halte den Atem an und lausche auf die Stimmen, die sie begleiten und jetzt ganz dicht vor meiner Tür sind. Die Stimmen verstummen. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Schlüssel rasseln und ein Riegel wird zurückgeschoben. Ich erschrecke und springe von meiner Liege auf. Jetzt wird es ernst, denke ich. Licht flammt auf. Es blendet und ich kneife meine Augen zusammen. An der Tür erkenne ich schemenhaft zwei Gestalten. Eine winkt mir zu.
„Los, mitkommen. Los, schnell, schnell!“
Ich soll ihrem Befehl folgen, aber meine Beine haben etwas dagegen. Als würden Tonnen von Blei daran hängen, ziehen und zerren sie an mir und halten mich zurück. Ich stehe immer noch auf der gleichen Stelle, ängstige mich. Will da nicht raus.
„Was ist? Hast du mich nicht gehört?“
Ich schweige. Der, der mich gerade aufgefordert hat, kommt auf mich zu und zerrt an meinem Hemd. Ich taumle. Kurz darauf stehe ich ihnen gegenüber. Erst jetzt kann ich sie genau erkennen. Es ist verdammt hell auf dem Flur. Ein dürrer großer Typ, mit auffallend auseinander stehenden dunklen Augen und üppiger Nase, lehnt an der Wand, während der andere Kerl, klein und dick, sich breitbeinig vor mir postiert. Grinsend betrachten mich beide von oben bis unten und unterhalten sich wahrscheinlich über mich. Ich verstehe ihre Sprache nicht. Urplötzlich schreit er mich wieder an:
„Was guckst du?“
Wohin soll ich denn sonst hinsehen, du Arsch? Am liebsten würde ich ihm in seine von Pickeln übersäte Fresse spucken. Irgendwie scheint der Dicke meine Gedanken zu erraten. Er tritt einen Schritt zurück und greift nach dem Schlagstock an seinem Gürtel.
„Was ist? Hast du Schiss?“
Der Dürre bricht nach dieser Frage in höhnisches Gelächter aus, in das der Dicke mit einstimmt. Gleichzeitig schlägt er mit dem Stock gegen seinen Oberschenkel.
Diese perversen Schweine. Fühlen sich stark. Sie reden wieder in diesem Kauderwelsch, und der Dürre nickt und grinst mich an. Ich kann es nicht ertragen. Im nächsten Augenblick zwängt sich der Dürre an dem Dicken vorbei, fasst mich am Oberarm und reißt mich herum.
„Vorwärts!“, schnauft er.
Ich muss den Atem anhalten, denn er stinkt penetrant nach Schweiß. Aus seinem Mund trifft mich eine Kanonade aus Knoblauch und faulen Zähnen. Er stößt mich vor sich her, in die Richtung, in die ich anscheinend gehen soll. Vor mir liegt ein schier endlos langer Gang, nur einige Schritte breit. Rechts die Zellen, mein Blick fällt auf ein hüfthohes Geländer gegenüber. Dahinter geht es tief abwärts. Mindestens drei oder vier Etagen, schätze ich. Den Boden kann ich von meinem Standort aus nicht erkennen. Man könnte mich hier hinunter stoßen, und kein Hahn würde nach mir krähen.
Die werden doch nicht etwa - nein, das bringen die nicht fertig. Ich muss an die zu Hause denken. Sie tun mir leid. Mutter läuft bestimmt wieder Amok. Das tut sie immer, wenn etwas nicht so läuft, wie sie es sich vorstellt. Mit Scheuklappen - Mitten durch.
Das war nicht immer so. Erst seit Vaters Tod ist sie anders. Keine Spur mehr von der ruhigen und ausgeglichenen Frau. Eine Wende um nahezu einhundert achtzig Grad.
Mich wundert’s nicht. Man hat ihr übel mitgespielt. Warum musste er auch, so mir nichts dir nichts, von der Bühne abtreten? Sie mit allem überfordern? Selbst sein Abgang kam überraschend, wie so vieles.
Zuerst kam er, immer er. Danach die Göre mit ihren Segelohren. Verhätschelt bis zum geht nicht mehr. Sie durfte alles. Sie hat nie eine hinter die „Binde“ bekommen, wenn sie nicht so funktionierte, wie er sich das vorstellte. Nur einmal bekam sie seine Hand zu spüren. Mit ihrem nagelneuen, weißen Rock wollte sie über einen Graben springen. Das ging gehörig daneben, und plumps lag sie im Dreck. Da war nichts mehr zuerkennen vom blütenweißen Stück Stoff. Die Tracht Prügel danach vergesse ich bis heute nicht. Irgendwie tat sie mir aber dann doch leid. Er konnte fest zuschlagen. Ich muss nur dran denken, dann zwirbelt es wieder. Immer am Wochenende gab es bei uns abwechselnd Butterbrötchen mit Kakao oder Eintopf. An so einem Samstag saßen wir wieder einmal zu dritt vor unserer flüssigen Nahrung. Er musste Arbeiten und sollte erst abends nach Hause kommen. Eine lästige Fliege wollte mir das Mahl einfach nicht gönnen. Ständig schwirrte sie um mich herum. An meinen Ausdünstungen konnte es nicht liegen, denn ich hatte mich zuvor gründlich gewaschen. Ohne groß nachzudenken griff ich nach dem Ledergürtel, der über dem freien Stuhl hing. So bewaffnet wollte ich das Viech beseitigen. Sie hatte sich inzwischen auf die kürzlich neu gekaufte Küchenlampe gesetzt. Eine ideale Position um ihr den Garaus zu machen. Das Dumme daran – sie war aus Glas. In meinem Jagdfieber vergaß ich das und schlug heftig zu. Es krachte. Die Fliege flog weg und die Lampe hinterher. Der erste Gedanke danach galt dem Teppichklopfer.
Ich bin zwar nicht der Mutigste unter der Sonne, aber die drohende Strafe führte schließlich dazu, dass ich aus dem Küchenfenster sprang. Na ja, vom Erdgeschoss ist das auch nicht besonders gefährlich. Nur weg hier. Als wäre der Teufel hinter mir her, rannte ich so schnell mich meine Beine trugen. Zwei Tage habe ich mich im Wald versteckt. Dem Teppichklopfer bin ich dennoch nicht entkommen.
Was würde er wohl jetzt sagen? Diese Flucht war eine ganz andere.
Sein „Großer“, so nannte er mich immer, wenn er gut gelaunt war. Sein Großer traut sich endlich einmal was zu. Wann auch sonst? Solange ich denken kann, hat er mir alles abgenommen. Mit immer der gleichen Bemerkung:
„Komm lass, ich mache das schon.“
Egal, was ich tat, ihm war nichts recht. Vor vier Jahren hat er das zum letzten Mal gesagt.
Ein Stoß in den Rücken unterbricht meine Gedanken. Nur noch wenige Meter. Der Gang mündet in eine Gabelung. Ich weiß nicht, wohin ich laufen soll und zögere. Was tun? Einfach abwarten? Verdammt, warum geht keiner von denen vor?
Ich habe Angst, dass ich was falsch mache und entscheide mich, stehen zu bleiben. Das war ein Fehler.
Aus meinen Augenwinkeln bemerke ich einen Schatten auf mich niedersausen. Ein stechender Schmerz in der Nierengegend folgt. Mir wird übel und ich falle zu Boden. Rühre mich nicht, bleibe einfach liegen. Nur nicht noch mehr provozieren.
Nach einer Weile traue ich mich wieder, die Augen zu öffnen. Ich erkenne die Beine der Wärter. Sie unterhalten sich leise. Eine Tür springt auf. Das Murmeln verstummt. Totenstille. Endlos lang.
Dann ein kurzer und lauter Befehl. Die Wärter nehmen Haltung an. Kräftige Arme packen meine Schulter und schleifen mich weg. Hin zu der Tür, die einen Blick freigibt. Das Zimmer ist quadratisch. Geradeaus erkenne ich einen schweren Holztisch. Vor ihm einen Stuhl. Hinter dem Tisch sitzt ein Mann in Zivil. Die Fenster sind mit dunklem Stoff verhangen. Eine Art Leselampe, die einzige Lichtquelle. Ihr Schein fällt auf den Stuhl. Sie zerren mich dorthin. Der Dicke stellte sich hinter mich, während der andere verschwindet und kurze Zeit später mit einem vollen Wassereimer wiederkommt. Mein Kopf brummt und die linke Seite tut mir weh. Hinter einer Nebelwand registriere ich, wie sich der Dürre mit dem Eimer vor mir aufbaut. Danach trifft ein eiskalter Schlag mein Gesicht.
Ich ringe nach Luft. Mein Hemd klebt unangenehm am Körper. Ich fühle wie mein Puls steigt.
„Wie ist Ihr Name?“, spricht mich der Mann in Zivil hinter dem Tisch an. Ich nehme mir vor, auf alle Fragen rasch zu antworten.
„Augst, Jürgen Augst".
Der Mann erhebt sich, verweilt einen Augenblick, und kommt dann auf mich zu. Sein Gesicht missfällt mir. Es ist kalt und blass, mit stark hervorstehenden Backenknochen, und die Augen versteckt er hinter einer schwarzen Brille. Er steht jetzt dicht vor mir und beugt sich leicht nach vorn über. Uns trennen nur wenige Zentimeter. Ich kann seinen Atem spüren.
„So, so, Sie sind also der Augst ..."
Betretenes Schweigen folgt. Seine schmalen Lippen wirken jetzt noch dünner. Ein einziger Strich. Er schnauft und fragt mich kaum hörbar:
„Kennen Sie einen Richter?“
Was soll das Ganze, denke ich. Klar, das weiß er doch.
„Ja, er ist mein Freund. Was ist mit ihm?“
Meine Antwort kommt fest und deutlich. Er zeigt keine Reaktion. Der will mich verunsichern, denke ich.
„Sind Sie sicher, Augst, dass der Richter ein guter Freund ist?"
Auf seinem Gesicht formt sich ein überlegenes Grinsen.
„Wieso?“
Frage ich, um Zeit zu gewinnen. Ich brauche sie zum Nachdenken. Wer weiß, was er als Nächstes von mir wissen will. Der Mann richtet sich auf und geht wieder zum Tisch. Ich bin erleichtert. Seine Nähe behagt mir keinesfalls.
„Wieso?“, äfft er mich nach und hebt seine Stimme deutlich an.
Ich beschließe zu schweigen. Dafür antwortet er für mich mit einer unverschämten Behauptung, die mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.
„Ich werde Ihnen sagen, wieso. Er hat uns verraten, dass Sie ihn angestiftet haben, das Land zu verlassen.“
Ach, daher weht der Wind. Dachte ich mir doch. Der falsche Hund, will mich in eine Falle locken. Ich glaube ihm einfach nicht.
Nicht Frank! Nein!
Dennoch werde ich unsicher. Ich beschließe Unwissenheit vorzugaukeln.
„Ich weiß gar nicht, wovon Sie sprechen. Welches Land meinen Sie?“
„Sie wissen das sehr gut, Augst. Und das Land ist die DDR. Stimmt doch?“
Mir wird heiß, und mein Kopf droht zu zerspringen. Zum Glück beachtet er mich in diesem Moment nicht, sonst hätte er meine Unsicherheit bemerkt. Er flüstert dem Offizier etwas ins Ohr. Der beginnt nun in das Verhör einzugreifen:
„Was wollten Sie in Jimbolia?“
Das überrascht mich. So schnell hatte ich die Frage nicht erwartet.
„Wir haben uns verlaufen."
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Schweiß vermischt sich mit dem Wasser und rinnt mir den Rücken herunter.
„Wofür brauchen Sie diese Sachen hier?“
Er holt einen Rucksack hinter dem Tisch hervor, und ich erkenne ihn. Den Inhalt kippt er einfach aus.
„Drei Brote, Konservendosen, Schokolade.“
Laut zählt er unsere Ration auf. Nachdem er jede einzelne Dose begutachtet und sorgfältig vor sich aufgestapelt hat, schüttelt er ungläubig seinen Kopf.
„Fünfzehn Dosen, fünfzehn Dosen“, wiederholt er. Der Mann in Zivil nimmt eine Siegespose ein.
„Ich glaube nicht, Augst, dass sie mir hierfür eine vernünftige Erklärung liefern können. Geben Sie endlich zu, dass Sie abhauen wollten.“
So ganz Unrecht hat er nicht, denke ich. Eine plausible Ausrede zu finden fällt mir schwer. Mir fiel die einstudierte Antwort ein:
„Unsere Wanderung hätte mehrere Tage gedauert. Um Kosten zu sparen, haben wir ausreichend vorsorgen müssen.“
Ich finde mich überzeugend.
„Wohin wollten Sie denn wandern?", fragte er mit anspielendem Unterton.
„Nach Lenauheim."
„Lenauheim? Kenne ich nicht.“
Der Offizier breitet unsere Landkarte aus und zeigt ihm nach kurzer Suche den erwähnten Ort.
„Lenauheim liegt aber in einer ganz anderen Richtung. Weit entfernt von der Stelle, an der wir Sie aufgegriffen haben. Schon merkwürdig, Augst, sehr merkwürdig.“
Er grinst selbst zufrieden.
„Ja, das stimmt. Wir haben zu spät gemerkt, dass wir verkehrt sind.“
Ich bin angespannt. Wie wird er darauf reagieren? Zunächst geschieht nichts. Nach einer kurzen Pause murmelt er etwas zu dem Offizier. Mein Puls rast vor Aufregung.
Sie unterbrechen ihr Gespräch. Der Mann sieht mich lange und eindringlich an. Ich versuche, seinem Blick Stand zu halten. Es gelingt mir nur in Ansätzen.
„Sehen sie mich an, Augst", spricht er fest und drohend.
Mist, der hat die Geschichte doch nicht gefressen. Das gefällt mir ganz und gar nicht. Er atmet schwer und sein Gesicht nimmt groteske Züge an. Zum ersten Mal erkenne ich Leben darin; unangenehmes Leben.
„Zu spät“, wiederholt er meine Aussage, und seine Atmung scheint dabei auszusetzen. Dafür trommelt er umso lebhafter mit den Fingern auf der Landkarte und sieht abwechselnd auf den Plan und zu mir.
Sein Hämmern wird zunehmend ungestümer. Er holt tief Luft. Sein Brustkorb scheint schier ins Unermessliche an zuwachsen. Die Lippen, zu einem einzigen Strich zusammengepresst, droht er jeden Augenblick zu explodieren.
Ein mächtiger Faustschlag auf den Tisch, und das Gewitter bricht los:
„Wollen Sie mich verarschen?“, schreit er mich an. Der erste Blitz schoss tief durch mich hindurch.
„Jetzt ist Schluss mit der Märchenstunde! Ich möchte die Wahrheit, und zwar die ganze. Und wenn Sie mir die nicht gleich erzählen, dann lass ich die aus Ihnen heraus prügeln!“.
Seine letzten Worte klingen messerscharf und schneiden sich in meine Brust. Mir wird klar, dass das kein Spiel ist.
„Also, was ist? Geben Sie zu, dass Sie abhauen wollten", faucht er mich an. Kaum hörbar fährt er fort:
„Oder soll ich die da“, er nickt mit dem Kopf zu den zwei Wärtern, ein paar Minuten mit Ihnen allein lassen?"
Das hat gesessen! Seine Worte hallen immer noch nach. Soll ich vielleicht doch alles zugeben? Nein. Frank würde das bestimmt auch nicht tun. Ich werde denen nichts sagen. Ich schweige. In meinem Inneren schreie ich dafür umso lauter. Lasst mich! Eine beklemmende Stille füllt den Raum. Als wenn jemand einen Film anhält. Der Mann in Zivil blickt in meine Richtung. Ich schaue wie gebannt auf seine Brille. Der Offizier verharrt regungslos und die Wärter stehen stramm. Die Luft ist zum Zerschneiden dick. Nach schier endloser Zeit unterbricht der Zivilist das Stillleben. Er zündet sich eine Zigarette an und bläst den Qualm genüsslich in meine Richtung.
„Habe ich mir doch gedacht. Er will den Helden spielen. Das kann er haben.“
Er gibt dem Dicken ein Zeichen. Dessen Gesichtszüge formen sich zu einem einzig lüsternen Grinsen. Mit einer Handbewegung fordert er mich auf, vor ihm niederzuknien. Meine Beine werden butterweich, und das Herz rast. Nur keine Schwäche zeigen, mache ich mir Mut. Es hilft nicht. Ich knie neben dem Stuhl und zittere am ganzen Körper. Der Dicke schleicht mehrmals um mich herum und bleibt irgendwann wieder hinter mir stehen. Krachend fliegt der Stuhl zur Seite. Ich erschauere, schließe die Augen und warte auf Schläge. Doch die bleiben aus. Als ich die Augen zaghaft wieder öffne, baumelt das Ende eines Seiles vor meinem Gesicht. Kurz darauf legt sich eine Schlinge um meinen Hals.
Ich schließe wieder die Augen. Will einfach nicht wahrhaben, was nicht sein darf. Ein vergeblicher Wunsch. Ich spüre, wie sich die Schlinge langsam enger zuzieht und mir die Kehle abdrückt. Ich ringe nach Luft. Gleichzeitig wird mein Kopf von dem Seil auf den Fußboden gezogen. Der raue Beton drückt gegen meine Stirn. Jemand bemächtigt sich meiner Hose. Zieht sie herunter. Jeden Augenblick wird etwas passieren. Die Ungewissheit quält mich.
Ein stechender Schmerz zerreißt mir den Unterleib.
Erstellt 07.10.2014
Tag der Veröffentlichung: 07.10.2013
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