Still sitzen wir nebeneinander an unserem Lieblingsplatz. Du hast diesen Platz ausgesucht. Er ist schön, hat mir sofort gefallen. Du wusstest, dass ich das Meer liebe.
Ich rauche, kann nicht mit ansehen, wie du mich traurig und bittend ansiehst, still flehst, mit nach Hause zu kommen. Mit einem leichten Lächeln sehe ich dich an, deute leicht zu deinem Rad. Du schüttelst nur den Kopf. Wir waren seit jeher zusammen, die besten Freunde. Du warst immer derjenige, der alles mit Worten geregelt hat. Ein großer Diplomat, sagten sie. Aber jetzt hilft dass alles nichts, schmerzlich wird dir das klar. Verträumt sehe ich auf das Meer. Ein ruhiger Tag, zu ruhig. Ich merke, wie du mich ansiehst. Und auch, wie du meine Arme ansiehst.
Vorsichtig nehme ich die Klinge aus meiner Tasche. Ich weiss, dass du sie mir am liebsten aus der Hand schlagen würdest. Mich am liebsten hochziehen und nach Hause bringen würdest. Dir am liebsten vormachen würdest, dass alles in Ordnung wäre. Leider ist es das nicht. Wieder siehst du mich an. Ich hasse diesen Blick.
"Sieh weg, Ian.", flüster ich so leise wie es geht. Du schüttelst nur den Kopf. Ich seufze. Natürlich nicht. Du hast von deinem Vater gelernt, dass ein Mann nirgendwo wegsieht. Mir hatte man schliesslich das gleiche beigebracht. Wieder lächel ich. Auch eines der unmöglichen Ereignisse in unserem Leben. Du, Sohn einer Anwältin und eines Colonel Lieutnant. Ich, Tochter zweier Hippies. Alle haben immer erwartet, dass wir ein Paar werden. Wieder einer dieser schrecklichen Erwartungen der Gesellschaft, wieder eines der Vorurteile. Mädchen und Jungen können nicht einfach nur befreundet sein. Dann zucke ich mit den Schultern. Zwingen kann ich dich schliesslich nicht. Ich stecke mir die Zigarette zwischen die Zähne und schneide tief in meinen Arm. Tiefer als sonst. Dann bei dem anderen Arm das gleiche. Dann warte ich. Es wird nicht sofort passieren.
Ich bemerke, dass du die Augen geschlossen hast. Sehe, wie du leidest. Sehe, dass du es bereust hier zu sein.
"Ich habe dich nicht gezwungen hier zu sein. Du kannst jederzeit wieder gehen.", sage ich. Der Wind ist fast lauter, als meine Stimme. Du antwortest wieder nicht. Vielleicht hast du Angst, dass deine Stimme nicht mitspielt.
Plötzlich lachst du. Es ist ein irreales Lachen, ein fast schon ungläubiges. Dann siehst du mich an, siehst mir dass erste mal in die Augen, seit wir hier sind.
"Das ist verrückt!", schreist du mich plötzlich an. Ich nicke nur, weiss, dass du noch nicht fertig bist. "Ich meine, es gibt Leute, die darauf spezialisiert sind, so etwas wieder zu richten.", wimmerst du leise, gehst vor mir in die Knie. Es wieder zu richten..... Ich weiss, was du meinst. Ich schüttel den Kopf. "Mich kann mich nicht mehr richten, Ian. Du kennst doch meinen Teddy, oder?". Was für eine dumme Frage. Natürlich kennst du ihn. Du hast ihn mir geschenkt, als ich in die Schule kam. Die anderen aus deiner Klasse fanden es kindisch. Schliesslich warst du bereits in der zweiten Klasse. Zögernd nickst du, weisst nicht, welchen ich meine. Überlegst, ob du lange suchen musst.
"Unter seinem Pulli sind zwei Zettel. Der eine ist mein Testament. Der andere ein Abschiedsbrief.", erkläre ich. Nun weisst du, welchen Teddy ich von den vielen Teddys meine. Den, für den deine Mutter einen Rot-Grünen Pullover gestrickt hat. Du hast den Kopf geschüttelt und scherzhaft gefragt, ob noch einen Klauenhandschuh möchte. Deine Mutter hat den Witz nicht verstanden. Dein Teddy hat einen Ehrenplatz zwischen meinen Teddys gekriegt. Du hast mich wegen ihnen immer aufgezogen. Aber es waren halt die einzigen, die mir nicht wehgetan haben. Selbst du hast mir oft weh getan.
Plötzlich spüre ich einen leichten Schmerz. Mein Körper bemerkt den Blutverlust. Du setzt dich neben mir und nimmst mich in den Arm. Ich weiss, dass das für dich schwer ist. Ich bemerke, wie mein Bein feucht wird. Das Blut sickert durch den weissen Stoff.
"Du solltest lieber gehen. Es tut mir leid.", flüstere ich leise, eine Träne läuft mir über die Wange. Eine Träne der Erleichterung. Gleich ist es geschafft. Dann muss ich nicht mehr leiden.
"Ich bleib noch ein bisschen.", schniefst du. Deine Tränen machen meine Haare feucht. Es ist glaube ich das erste Mal, dass ich dich ungewzungen weinen sehe.
"Danke."
Das waren meine letzten Worte an dich. Ich spüre noch, wie du mich fester drückst, noch mehr weinst und mir einen Kuss auf mein Haar gibst. Dann wird alles um mich schwarz.
Tag der Veröffentlichung: 15.12.2008
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