Es war ein kalter Herbsttag und Dreki war erkältet als der Ordensritter mit seinem befreiten Drachen durch Helgahvall ritt. Kalte Herbstwinde wehten von den schneebedeckten Bergen ins Tal und die ersten bunten Blätter sammelten sich auf der Straße.
Der Drache hatte schwarze, leicht bläulich schimmernde Schuppen und war um die zwölf bis dreizehn Schritt lang, sein glatter Schweif streifte über die Erde und wirbelte etwas Staub in die Luft. Er hatte zwei spitze Vorderzähne, welche aus seinem Mund herausragten und an seinem Kiefer über den Schuppen hangen. Bis vor kurzem hatte in diesem Mund noch Likos Feuer gebrodelt, doch nun war er feuerlos und frei. Freundlich blickten die dunkelgrünen Augen und die kleine Schnauze durch die Gegend und gleichzeitig strahlte sein Körper Stärke und Macht aus.
Hastig und atemlos lief Dreki und einige andere Jungen neben den Ritter und seinem Drachen her.
Hinter ihnen ritt eine Frau mit einem Jungen, welcher ein paar Jahre älter als Dreki war, auf einem Fjordinger und zog einen weiteren mit Gepäck beladenen am Zügel. Doch Dreki blickte nur einmal kurz auf die Frau und nur wenige Sekunden dem Jungen in die Augen, seine Aufmerksamkeit blieb jedoch beim Drachen und seinem Ritter.
Dieser hatte seinen Helm zwischen seine Beine gelegt und die schwarzen Haare, welche zu einem Zopf zusammengebunden waren, wehten im Wind. Das leicht kantige Gesicht war unrasiert und er trug einen Vollbart, welcher in vielen Richtungen abstand. Er trug eine weiße, ärmellose Tunika, welche schon einige Flecken hatte und einen blauen Umhang, welcher am Kragen der Tunika mit einem Drachenkopf festgehalten wurde. Das Symbol des Ordens.
Der Ritter lächelte und winkte den Kindern zu und Dreki war sich sicher, dass er ihn besonders lange angesehen hatte, also fasste er seinen Mut zusammen und berührte den Drachen oberhalb seines Flügels. Die Berührung ließ seinen ganzen Körper kribbeln und er zog seine Hand schnell wieder zurück, dabei musste er niesen. Die anderen Jungen sahen Drekis Berührung und drängten ihn weg um den Drachen auch einmal Berühren zu können.
„Vorsicht, Kinder.“, brummte der Ritter als das Gedränge zu eng wurde. „Nicht, dass einer unter Schattennachts Füße stürzt.“
Schattennacht. Lautlos wiederholte Dreki den Namen und flüsterte ihn leise vor sich her, als er immer weiter abgedrängt wurde.
Eltern hielten besorgt ihre Mädchen fest, die ebenfalls aus dem Haus gekommen waren um den Drachenritter zu sehen. Die Mädchen riefen ihn Grußworte zu, die er freundlich erwiderte, dann bog er in eine andere Straße ein und Dreki sah ihn nicht mehr. Er rannte ihm hinterher und sah, dass er vor der Schenke anhielt, sein Drache und die Pferde wurden an einer Tränke festgebunden. Erwachsene nährten sich ihm, allen voran der Bürgermeister. Dieser wechselte mit dem Ritter ein paar Worte, die Dreki nicht verstehen konnte, dann gingen sie in die Schenke. Die Männer folgten, während die Frauen ihre Kinder nachhause brachten. Drekis Eltern waren nicht dabei.
Er lief zu seinem Haus, öffnete die Tür und stand vor seinem Vater, welcher auf einem Stuhl mit einem Krug saß. Er blickte seinen Sohn an.
„Vater, ein Drachenritter ist hier und… Ich will auch einer werden!“, rief er fröhlich.
Sein Vater, ein großer, breitgebauter Mann, mit braunen Haaren, welche bereits einen Grauschimmer angenommen hatte, schläfrigen Augen und einem braun-grauen Vollbart, stellte den Krug auf einen Tisch und ging zu seinem Sohn. „Wo warst du? Du bist krank! Du solltest im Bett liegen.“, sagte er, kniete sich hin und hielt seine große Hand an Drekis Stirn. Sie fühlte sich rau an.
„Auf der Straße. Ein Ritter ist mit seinem befreiten Drachen gekommen und in die Schenke gegangen. Er erzählt bestimmt gerade Geschichten, die er erlebt hat! Bitte, Vater, lass mich mit dir in die Schenke gehen.“
Sein Vater, Björn war sein Name, schüttelte langsam den Kopf. „Du hast Fieber. Du bleibst im Bett, tut mir leid.“ Sagte er und gab Dreki mit einem Klapps auf den Rücken zu verstehen, dass er hoch in sein Bett gehen sollte.
Dreki gehorchte schweigend und stapfte die Treppe hinauf.
Als er sich auf den Strohsack gelegt hatte schwor er sich eines Tages auch Ritter im Orden zu werden, so wie sein Vater einst.
Die Sonne ging hinter den Bergen von Helgahvall auf und färbte den Himmel rot-orange. Bereits jetzt herrschte in dem Dorf ein reges Treiben. Die Mägde und Knappen der wohlhabenderen Familien waren auf dem Markt unterwegs um Einkäufe zu tätigen, der Bauer trieb das Vieh auf die Weide und die Kinder waren auf dem Weg in die Schule.
Es schien so, als sei die ganze Stadt bereits auf den Beinen, nur einer lag noch in seinem Haus und war am Schlafen. Dreki legte nicht viel wert auf Dinge wie Schule oder was andere von ihm hielten, an diesem morgen jedoch schien die Sonne so unglücklich in sein kleines Zimmer, dass er genervt wach wurde, als die Sonnenstrahlen seine Haut streichelten. Mit einem genervten Brummen setzte sich Dreki auf und blickte aus dem Fenster.
„Die hätten nicht nur Liko sondern auch gleich die Sonne im Meer platzieren sollen.“, murmelte er schlaftrunken und stand auf.
Dreki Björnsson war ein sechzehn-jähriger mittelgroßer Junge mit blonden kurzen Haaren und Haselnussbraunen Augen, sein Körper hatte leichte Muskelansätze und bei genauerer Betrachtung fielen einem die ersten Haare auf der Brust auf, welche jedoch durch seine blasse Haut nicht zur Geltung kamen.
Dreki streckte sich einmal und gähnte, bevor sich auf den Weg die Treppe runter machte. Unten angekommen blickte er an den hölzernen Wänden entlang. Überall waren mit Kohle Bilder von Drachen gezeichnet worden. Einige größer andere Kleiner. Als Hausherr konnte er das, ohne Angst davor haben zu müssen von seinen Eltern dafür bestraft zu werden.
Drekis Eltern waren bereits gestorben, seine Mutter ertrank im Suff in dem Fluss, welcher durch das kleine Dorf floss. Es war der Tag an dem ein Ordensritter mit seinem Drachen ins Dorf geritten kam. Seine Mutter hatte sich mit in die Schenke gesetzt um die Geschichten des Ritters zu hören – und um zu trinken – und war in der Nacht betrunken nachhause gegangen. Als sie über die Brücke ging musste sie gestolpert sein und mit dem Gesicht voraus im Fluss gelandet sein. Obwohl dieser nicht viel Wasser trug konnte sie sich nicht aufsetzen und ertrank.
Bei seinem Vater war die ganze Sache etwas komplizierter. Dieser trank zwar auch gerne mal Bier, doch konnte sich – damals zumindest – noch immer im Zaum halten. Als Eva Jonsdóttir, Drekis Mutter, jedoch starb fiel Björn Einarsson in ein tiefes Loch und machte sich Vorwürfe, dass er nicht gut genug auf seine Familie aufgepasst hatte. Doch anstatt sich zu bessern fing auch er das trinken an, Frauen, die auf der durchreise durch das Dorf kamen, nahm er oft mit nachhause um diese zu beglücken und wenn eine längere Zeit keine kam musste sogar Dreki herhalten. Als er dann eines Nachts wieder mit einer Frau nachhause kam wehrte sich diese und stoß ihn aus dem Fenster des Schlafzimmers. Das Genick brach beim Aufschlag auf den Boden und die Frau wurde für den Mord an einen ehemaligen Ordensritter in ein Verlies in der Königsstadt gesperrt.
Trotz allem liebte Dreki sein Vater über alles und war traurig als dieser starb. Die war nun jedoch bereits drei Jahre her und er hatte den Tod inzwischen gut verkraftet.
Die anderen Dorfbewohner wollten Dreki in ein Waisenhaus bringen, bis er neue Eltern hätte oder erwachsen geworden war, jedoch wehrte er sich dagegen, sodass die Dorfbewohner ihn in seinem Haus leben ließen. Dadurch das kein Elternteil mehr darauf aufpasste, dass er zur Schule ging oder seine Hausaufgaben zu machen fing er an die Schule gleich abzubrechen und seine Freizeit mit Sachen zu verbringen, die ihm Spaß machten. So wurde dann auf einem durchaus netten und mittelmäßig beliebten Jungen ein Außenseiter und Rumtreiber.
Dreki schlurfte sich zu einem hölzernen Eimer und wusch sein Gesicht mit dem dort vorhandenen Wasser. Das Wasser war inzwischen bereits trüb, doch der heiße Sommer, der herrschte, führte dazu, dass kein Regenwasser vom Himmel kam und auch der Fluss fast kein Wasser mehr führte und aus dem Brunnen hätte er niemals etwas nehmen können, ohne etwas als Gegenleistung anzubieten. Das war der Nachteil an ein Leben ohne Eltern, welche etwas zur Gemeinschaft beifügten.
Als er sich gewaschen hatte und sich eine frische Tunika angezogen hatte ging er hinaus. Er hatte Hunger, doch seine Lebensmittel, die er im Haus hatte, beschränkten sich auf ein trockenes Brot und ein paar tote Fliegen, also nahm er sich vor in einem Garten einen Apfel als Frühstück zu stehlen.
Er stahl oft von den anderen Bewohnern, das wussten diese auch, doch solange er es bei Äpfeln von einem Baum oder Brot beließ, ließen sie ihn in Ruhe. Ansonsten aß Dreki gerne selbst gefischten Fisch, den er beim See oben am Berg fischte. Fischte er mehr als er essen konnte, verkaufte er den Fisch auch auf dem Markt und kaufte sich von dem Geld, das er bekam, etwas anderes. So hatten die Dorfbewohner mal etwas anderes als Brot oder Brei und er hatte etwas Geld.
Nachdem er sich schließlich einen Apfel geklaut hatte machte Dreki sich auf den Weg zum kleinen Hügel ein Stück abseits der Stadt, wo die Kirche stand, in welcher gerade der Unterricht für die anderen Kinder abgehalten wurde. Normalerweise schlief er länger oder beschäftigte sich anderweitig, doch sein bester Freund Smed hatte ihn gefragt, ob sie nach der Schule zusammen fischen gehen wollen und er hatte zugesagt.
Unter einem offenen Fenster im Schatten legte er sich hin und lauschte, was Vater Alvar den Kindern erzählte.
Es war eine Geschichte über Vysoqir, die Religion, die in diesem Land vorherrschte. Es war die Sage über die Entstehung der Welt und wie die Welt enden würde.
Von Geburt zu Rökkr, hieß diese.
Idon, der Vater allen Lebens, hatte bereits viele Welten erschaffen und ihnen leben geschenkt – dies waren die Sterne, die nachts leuchteten – als er seinen Finger auf einen klumpen Stein legte.
Der Stein wuchs und wuchs. Zuerst hatte er die Größe eines Tennisballs, dann eines Fußballs und plötzlich war er riesiger als alles auf der Welt Existierende. Er schob den großen Runden Ball weg von Igradh, dem Zuhause Idons, in den Himmel, wo er seinen Platz einnahm. Seinem Sohn Hotr ließ er einen Sturm auf dieser Welt entstehen. Der Regen formte die Kugel. Berge entstanden. Darauf holte er sich seine Tochter zur Hand. Giär ließ Quellen entstehen. Meere und Flüsse entstanden. Nun packte er sich seine Tochter Yefra zur Seite und ließ sie fruchtbares Land entstehen, Wiesen, Gräser und Tiere entstanden. Zum Schluss nahm er sich seinen Sohn Liko. Dieser formte einen hellen großen Ball. Die Sonne entstand und Licht. Doch nun fehlte noch etwas. Er nahm sich seinen jüngste Sohn Raragn. Auch dieser nahm einen Stein und der Mond und die Nacht entstanden.
Als die neue Welt erschaffen war nahm sich Idon seine Frau Layda und seine Kinder. Liko befruchtete Giär und sie gebar Rask. Ein Junge mächtiger Statur der die Elemente und Gegensätze Feuer und Wasser in sich vereinte. Yefra wurde von Raragn schwanger und gebar ihm Almbe, eine wunderschöne Frau, welche die Fruchtbarkeit und Dunkelheit in sich trug. Hotr hatte seine Mutter Layda befruchtet und sie gebar Urb. Ebenfalls ein kräftiger Junge welcher die Weisheit seiner Mutter und den stürmischen Charakter seines Vaters aufwies.
Schlussendlich kam Idon an die Reihe sein Blut in die neue Welt zu bringen und seine geliebte Goghdin gebar ihm ebenfalls einen Menschen. Ein junge, welcher Geburt und Tot in sich vereinte und das Blut der Drachen in sich trug. Diesen nannte Idon Rahda und er sollte seinen Brüdern und Schwestern durch die Gefahren der neuen Welt zu führen.
Die Menschen entwickelten sich im Laufe der Jahre weiter. Sie bauten Behausungen, Schiffe und erforschten die Welt und besiedelten sie. Tausende von Jahre strichen dahin und unter den Menschen entstanden viele Stämme, doch viele verließen den Vysogirischen Glauben und erschufen ihre eigenen Götter und Geschichten, woraufhin ein großer Krieg zwischen den verschiedenen Stämmen und Glaubensrichtungen ausbrach. Die Götter waren voller Zorn, dass die Menschen, die sie erschaffen hatten ihren Glauben verließen und sich selber bekriegten und schickten Plagen über das Land. Hotr schickte Stürme, die die Felder zerstörten, Liko ließ Vulkane ausbrechen und das Land verbrennen, Giär schickte Fluten über das die Welt, ließ Schiffe kentern und Docks zerstören, Yefra ließ die Frauen unfruchtbar werden und Raragn verdunkelte die Sonne.
Durch das zerstörte Land fingen die Menschen an sich wieder zusammenzuschließen und Handel zu betreiben. Einzelne Reiche entstanden so auch das größte unter ihnen und jenes, welches noch immer den Vysogirischen Glauben folgten. Skaibar. Um die Menschen an den Glauben zu halten teilte Idon das Land unter seinen fünf Kindern auf. Hotr bekam den Norden, wo das Gebirge und die Stürme sich hielten, Liko bekam den heißen Süden, wo die Hitze gegenwärtig war, Giär herrschte über das Wasser, die Flüsse, das Meer und die Quellen unter der Erde, Yefra bekam das fruchtbare Land zwischen Norden und Süden und Raragn bekam die Schatten der Sonne und die Nacht und alles was nicht von der Sonne berührt wurde.
Zudem teilte Idon die Menschen auf. Die Nachfahren Rasks schickte er in den Süden und ans Meer. Die Nachfahren Almbe schickte er ins fruchtbare Land. Die Nachfahren Urbs kamen in den Norden und die Nachfahren Rahdas wurden im Land verteilt um für Recht und Ordnung zu sorgen und der König des Landes, Erik Segersson, war ebenfalls ein Sohn Rahdas und bekam sein Schloss direkt in die Mitte des Königreichs von Idon geschenkt.
Doch bald begannen sich die Götter um das Land zu streiten. Raragn wollte nicht immer nur in den Schatten sitzen und die Dunkelheit in sich halten. Er verbündete sich mit Liko und den Drachen und kämpfte gegen seine Geschwister Hotr, Giär und Yefra. Raragn und Liko verloren den Kampf. Liko wurden die Kräfte des Feuers genommen in dem er an einen Stein gekettet und in Giärs Meer versunken wurde und dort noch immer festgekettet ist und die Menschen bekamen das Wissen, die Drachen kontrollieren zu können, wenn sie Wasser in deren Schlund kippen würden. Die größte Strafe allerdings wurde Raragn zuteil. Der Gott der Dunkelheit wurde an die Sonne gekettet und sein ganzer Körper wird bis zum Tag Rökkr verbrannt werden.
Wenn Rökkr gekommen ist, werden sich die Drachen wieder erheben und Yefra verschlingen, Liko wird aus dem Meer auftauchen und seine Schwester Giär in einem ewigen Feuer verbrennen, Raragn wird sich lösen und die Erde in Dunkelheit tauchen, er wird Hotrs töten und seine Kräfte aufnehmen und die Welt wird auf ewig in Dunkelheit verfallen, bis alles Leben ausgelöscht ist.
Dreki liebte diese Geschichte. Er liebte Drachen und seit Jahren war es sein Traum Idon und den anderen Göttern zu folgen und Rökkr zu verhindern.
Als Vater Alvar fertig erzählt hatte sagte er: „Und deswegen, da das erste was am Tag Rökkr passieren wird, die Erhebung der Drachen ist, wurde der Ritterorden gegründet. Um den Drachen ihr Feuer zu erlöschen und von Likos Kräften zu befreien. Also…“
„Wie wird man Ordensritter?“, fragte einer der Jungen bevor der Vater eine Frage stellen konnte.
Dreki schaute nun auf. Wieso war er nie auf die Idee gekommen Vater Alvar zu fragen?
Vater Alvar lächelte und faltete seine Finger vor seinem Bauch, wobei er penibel darauf achtet, dass der goldene Stern, das Zeichen Idons, welches auf seinem Mantel aufgestickt war, nicht verdeckte.
„Nun, das ist nicht ganz leicht.“, sprach er. „Ihr wisst um die Bedeutung des Ordens. Er hat einen guten Ruf und ist fast so wichtig wie unser eigener König. Jedes Dorf mit einer wichtigen Funktion für das Land hat ein Kloster oder mindestens einen Drachenritter bei sich. Auch wir hatten einen, doch als die Mine geschlossen wurde ging auch der Drachenritter. Solltet ihr vorhaben eines Tages ein Mitglied des Ordens zu werden, müsst ihr zur Königsstadt Lundr reisen und euch dort beim großen Rat anmelden. Schneller geht es, wenn eure Eltern bereits einen Titel haben oder dieser ein Drachenritter ist oder war. Solltet ihr dann drangenommen werden müsst ihr erst einmal fünf schwierige Prüfungen absolvieren und selbst wenn ihr diese besteht müsst ihr noch fünf Jahre als Knappe eines Ritters dienen und sollte dieser für euren Mut, Tapferkeit und Stärke bürgen, dann werdet ihr vom Rat den Titel des Drachenritters erhalten und ein Mitglied des Ordens.“
„Man muss nicht von Adel sein also?“, fragte ein weiterer Junge.
„Nein. Mir ist zwar nicht bekannt, dass der Sohn eines Knappen oder einer Magd zum Ritter geschlagen wurde, aber laut den Regeln des Ordens ist dies nicht verboten.“
Nun ging ein Getöse im Klassenzimmer los. Die jungen erzählten von ihren Heldentaten, ihren Erfahrungen beim Jagen, Mutproben, die sie gemeistert hatten. Andere nahmen sich in Schwitzkasten oder gaben sich Kopfnüsse, um zu beweisen, wer der stärkste ist und wer einmal Ordensritter werden würde.
Die Mädchen wiederrum tuschelten über die Kindlichkeit der Knaben und ihrer Grobschlächtigkeit.
Vater Alvar wusste, dass er nun gar nicht mehr mit Unterricht fortfahren bräuchte, da viel zu viel Unruhe in der Klasse herrschte und schickte alle hinaus.
Dreki sprang auf, rannte zur Eingangstür und wartete das Smed sich zu ihm gesellte.
„Hey, Dreki.“, sagte dieser, als er endlich aus der Kirche hinauskam.
„Wie geht’s?“, antwortete Dreki.
Smed zuckte mit den Schultern um zu sagen, dass alles wie immer ist.
„Hast du zufällig gelauscht was Vater Alvar erzählt hat? Ich meine einen blonden Schopf beim Fenster gesehen zu haben.“
„Ja, bei Idons Barthaaren, wir können auch Drachenritter werden!“
„Nun, du wohl eher als ich“, gab Smed leicht geknickt zu. „Mein Vater will, dass ich die Schmiede später einmal übernehme, zudem meinte Vater Alvar, dass es selten ist, dass der Sohn eines Schmieds zum Ritter wird, da diese dafür da sind die Waffen für diese herzustellen. Dein Vater war Drachenritter, du wirst sofort zu den Prüfungen gerufen, ich muss da länger warten.“
„Ach komm schon. Du bist größer und stärker als ich, obwohl ich ein paar Tage älter bin als du. Du würdest sicherlich ein besserer werden als ich.“
Smed lachte. „Und als Team wären wir unschlagbar.“, sagte er und sie gaben sich einen festen Händedruck, darauf verbanden sie ihre kleinen Finger miteinander und schnipsten zweimal mit den Fingern. Dies war ihr Zeichen für ein Versprechen und mit diesem Versprachen sie sich zusammen als Team Drachenritter zu werden.
Dreki saß zusammen mit Smed am Joppa, ein See versteckt zwischen zwei Berghügeln, aus dem der Jöll entsprang, welcher bis zur Hauptstadt Lundr ins Meer floss.
Smed war etwas größer als Dreki und seine braunen Haare waren am Hinterkopf zu einem kurzen Zopf zusammengebunden. In seinem eckigen Gesicht waren bereits einige Bartstoppel zu erkennen und in seinen blauen Augen spiegelte sich das Sonnenlicht wieder. Er hatte seine Tunika ausgezogen und diese um seiner Hüfte zusammengebunden. Man sah seinen, für sein Alter, muskulösen Körper und man kam nicht umher ihn als attraktiv zu betrachten. Auf seinen Händen zeichneten kleine Narben ab, welche er sich bei der Arbeit in der Schmiede zugezogen hatte. Sein Vater war bereits der Sohn eines Schmieds und seine Mutter eine einfache Bauerntochter, trotzdem hatte Dreki selten ein Paar gesehen, welches so zusammenhielt wie die beiden.
Smed war zudem das komplette Gegenteil von Dreki. Er war relativ gut in der Schule, sehr beliebt, sowohl bei den Jungs als auch bei den Mädchen – wobei die Jungs eher seine Kraft respektierten und die Mädchen sein Aussehen mochten.
Smed stand auf, als er einen Zug an seiner Angel spürte, welche er zusammen mit Dreki in feinster Arbeit mit einem Messer, welches er selber in der Schmiede angefertigt hatte, zurechtgeschnitzt hatten.
Smed zog an der Angel, doch ließ im stetigen Abstand immer wieder etwas los um das Holz nicht über zu strapazieren. Dreki legte seine beiseite und beobachtete Smed. Während sein bester Freund zog, konnte man seinen angespannten Bizeps nicht übersehen und, obwohl Dreki ebenfalls gut Muskeln hatte, waren diese sicher doppelt so groß wie seine.
Als der Fisch schließlich aus dem Wasser geflogen kam, bekam Smed Wasserspritzer ins Gesicht und auf seinen Körper, doch er ließ sich davon nicht beirren und hielt den Fisch bereits in den Händen und schmiss ihn direkt in den Eimern, in welchem bereits zwei schwammen.
Obwohl die meisten meistens gemeinsam fischten, überließ Smed stets Dreki die Fische oder kaufte ihm einen ab. Dies war eines der Dinge, die er so an seinen Freund schätzte. Er wusste, dass Dreki wenig hatte und überließ ihm sein Abendessen oder seine Ware, auch wenn Smed als einziger was gefangen hatte.
Dreki beobachtete den neuen Ankömmling im Eimer. Der Fisch hatte grüne-blaue schuppen, welche durch das gebrochene Sonnenlicht aufleuchteten. So einen Fisch hatte er noch nie gesehen und beschloss bereits, dass er diesen nicht verkaufen würde.
Beide ließen sich wieder ins Gras fallen und blickten in den Himmel. Für den Tag hatten sie genug gefangen.
„Meinst du, dass ich eine wunderschöne Frau bekommen werde, wenn wir Drachenritter werden?“, fragte Smed plötzlich.
„Klar, abgesehen davon, dass so schon jedes Mädchen was von dir will, wird jede Frau, die noch nicht gebunden ist, einen Ritter als Mann haben wollen.“, antwortete Dreki und zuckte mit den Schultern.
„Ich mein aber nicht eine, die nur meine Frau werden will, weil ich ein Ritter bin oder weil sie mich gutaussehend findet, sondern wegen dem was ich bin.“
Dreki zögerte. „Was meinst du?“
„Es ist doch so.“, Smed setzte sich auf und blickte seinen Freund von oben herab in die Augen. „Kinder von Adel werden bereits als Kind von ihren Eltern mit anderen Adelskindern verlobt. Wir normalen Männer suchen unsere Frau aus, wenn sie uns für witzig hält oder sie gut aussieht, während die Frauen nur darauf achten, ob der Mann sie beschützen kann und ihre Kinder ernähren kann.“
„Ich glaube nicht, dass das bei jedem so ist. Deine Eltern beispielsweise.“
„Hmm…“, Smed ließ sich wieder ins Gras fallen. „Wie sieht eigentlich deine Traumfrau aus, Dreki?“
„Ähm…“, Dreki verblüffte die Frage. Er hatte eigentlich nie ein Interesse an irgendwelche Mädchen gezeigt. Das einzige was für ihn zählte war er und sein bester Freund. „Habe ich mir… Ich habe nie darüber nachgedacht.“, stammelte er.
„Ach, komm.“, sagte Smed, rutschte neben Dreki und blickte ihm in die Augen. Dreki wurde rot. „Ich weiß doch genau, dass du am Abend genau dasselbe machst wie alle anderen in unserem Alter. An irgendwen aus dem Dorf denkst du doch sicher. Sag schon, wir sind doch Freunde.“
Dreki wusste auf was Smed anspielte, doch die Antwort konnte er ihn niemals nennen. In den göttlichen Schriften würde man das als Syn bezeichnen. „Rate, wenn du richtig rätst sag ich es dir, versprochen.“, antwortete er deshalb.
„Hm…“ Smed überlegte. „Evely?“
„Nein.“
„Suvi?“
„Auch nicht.“
Smed fragte noch ein paar Namen durch, ehe es ihm zu blöd wurde. „Du würdest doch bei jedem ‚Nein‘ sagen.“
„Ich habe dir was versprochen und das werde ich halten, das weißt du.“
Smed brummte grimmig.
Sie lagen noch eine Weile schweigsam da und blickten in den Himmel. Dreki dachte nach. Er hatte es ihm versprochen und, falls Smed es jemals erraten sollte, müsse er es ihm sagen, ansonsten würde er von den Göttern bestraft werden. Doch er hatte angst davor. Er konnte sich zwar nicht daran erinnern, dass es in den Schriften der Götter jemals verboten wurde, doch solche Menschen wurden meist verstoßen oder für Kleinigkeiten in den Kerker gebracht. Allerdings wollte er auch mal mit seinem besten Freund darüber reden.
Es war ein Kampf in seinem Kopf. Ein Teil sagte ihm, dass er es seinem Freund anvertrauen sollte, ein anderer hielt ihn davon ab.
„Nur wenn du versprichst es niemandem zu sagen.“, stotterte Dreki schließlich heraus und biss sich kurz darauf auf die Zunge. Das hatte er nicht laut sagen wollen.
„Die Sache mit den Mädchen? Klar doch. Bringt mir nichts und da sowieso jeder ein Verbot hat sich dir auf nähere Distanz zu nähern würde es sowieso nichts ändern, wenn ich es jemanden erzähle.“, es entstand eine Pause. „Nun, ihre Eltern würden dich wahrscheinlich aus dem Dorf jagen, aber dann habe ich ja meinen besten Freund nicht mehr.“ Er drehte den Kopf und lächelte Dreki an.
„Nun… Also… Wenn ich ehrlich sein soll… Es ist schwierig das zu erklären… Ich meine es ist so, dass…“, Dreki seufzte.
„Du findest einen Jungen toll oder?“
Dreki erschrak als er die Worte aus dem Mund seines Freundes hörte und blickte ihn fassungslos an.
„Was denn? Denkst du mir ist noch nie aufgefallen, dass du den Mädchen in unserem Alter nicht einmal näher betrachtest? Von deinen Blicken vorhin beim Angeln ganz zu schweigen.“
Dreki wollte etwas sagen, doch die Worte wollten seinen Mund nicht verlassen.
„Mach dir nichts draus, ich habe kein Problem damit, natürlich solltest du es nicht jedem erzählen. Und wenn du zur Schule gehen würdest, wüsstest du, dass jeder Junge mal diese Gedanken hatte.“
„M-meinst du das ernst?“
„Ja. Außerdem würde ich wahrscheinlich genauso denken, wenn ich mit mir befreundet wäre.“, Smeds Humor war zwar selbstverliebt, aber in diesem Moment brachte es Dreki tatsächlich zum Lachen. „Wir sollten aber langsam gehen. Vater wird mir mit dem Hammer den Hintern versohlen, wenn ich schon wieder zu spät zum Abendessen komme.“
Nachdem die Jungen beide ihre Angeln geschnappten hatten trugen sie den Eimer mit den Fischen runter ins Dorf. Sie kürzten den Weg über die grüne Wiese ab, vorbei an dem kleinen Wald, welcher sich an den Bergen hochstreckte.
Als sie schließlich kurz vor dem Dorf waren, stolperte Dreki über eine Wurzel, schaffte es sein Gleichgewicht zu halten, jedoch flog der grün-blauschimmernde Fisch hinaus und versuchte unbeholfen über den Boden zu schwimmen. Die Jungen stellten den Eimer ab und versuchten gemeinsam den glitschigen Flüchtigen zu schnappen, doch egal wie oft sie zuschnappten, es schien, als würde er aus flüssiger Butter bestehen, da er immer wieder aus den Händen flutschte.
Als der Fisch endlich keine Kraft mehr hatte zum zu flüchten, landete er direkt auf die Schuhe einer Person. Schnell packte Dreki zu und bekam den Fisch zu fassen. Er brachte ihn wieder ins Wasser. Er lebte noch.
Dreki drehte sich um. Vor ihnen stand Páll. „Danke, dass du meinen Fisch aufgehalten hast.“, bedankte sich Dreki und hob mit Smed den Eimer wieder hoch.
„Danke das du meinen Fisch aufgehalten hast?“, wiederholte Páll.
„Ja, danke.“, sagte Smed nun schulterzuckend.
Páll war ein kleiner Junge in Drekis und Smeds Alter und der Sohn vom Bürgermeister des Dorfes. An sich kamen die drei gut aus. Beziehungsweise Smed und Páll kamen immer gut aus und Dreki wurde von Páll akzeptiert. Doch ab und zu, wenn Páll schlechte Laune hatte, kam es dazu, dass er seine Wut gerne an Dreki ausließ. Das Ganze endete immer in einer Rangelei und beide kamen am Ende mit Verletzungen nachhause.
„Deine Sumpfratte von Fisch hat meine Hose beschmutzt!“
„Und es geht wieder los.“, seufzte Smed und stellte den Eimer wieder ab. „Hör zu Páll, es tut uns sehr leid, dass der Fisch deine Hose beschmutzt hat, das geht nach einmal waschen wieder sauber und du kannst Dreki in Ruhe lassen, in Ordnung?“
„Pah. Der Koboldscheißer hat das doch mit Absicht gemacht! Niemand ist so doof und lässt einen Fisch mehr als einmal aus seiner Hand glitschen!“
„Wenn du es so gut kannst, dann solltest du es doch mal versuchen, Hundearsch!“, beschimpfte Dreki zurück.
Smed schüttelte den Kopf. „Bitte, Hotr, schmeiß ein Blitz auf die beiden.“
„Wie hast du mich genannt?!“, Páll schrie fast.
„Hast schon richtig gehört. Hundearsch. Geht das in dein Rattenhirn rein?“
Páll ging auf Dreki los und die beiden landeten im Dreck und wälzten sich hin und her. Smed beobachtete das Treiben eine Weile, bis er Dreki, der auf Páll drauf saß, nahm und von ihm runter schmiss. Als Páll auf Dreki los krabbelte trat Smed auf seine Hand. Der Junge schrie auf und hielt sich seine Hand. Dreki drückte er den Eimer in die Hand und schubste ihn nachhause.
Als Dreki weit weg war hielt er Páll die Hand hin um ihm aufzuhelfen.
„Wieso beschützt du den Typen immer?“, fragte Páll.
„Ich habe wohl eher dich beschützt.“, erwiderte Smed und die beiden machten sich auf den Weg zu ihrem zuhause.
„Ich brauchte nur eine kleine Pause“, wehrte der kleinere sich.
„Hör zu, Páll.“, sagte Smed und blieb vor seinem Haus stehen. „Ich habe nichts gegen dich, aber du bist eine kleine Ratte. Dreki hat dir nie etwas getan und immer, wenn du wütend bist, lässt du deine Wut an ihn raus. Lass ihn in Ruhe und ihr habt keine Probleme. Vielleicht könntet ihr euch ja auch anfreunden.“,
„Mich anfreunden? Mit dem Hurenknecht? Vergiss es!“
Smed zuckte mit den Schultern. „Das nächste Mal lass ich ihn zuschlagen bis er aufhört.“ Und mit diesen Worten ging Smed zu sich nachhause.
Tag der Veröffentlichung: 31.08.2018
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