Cover

Infos zum Buch

Erste Auflage: Halle (Saale) im Mai 2021 – alle Rechte vorbehalten

 

Das E-Book basiert auf dem Hörbuch „Mara Mondschatten“, erschienen bei Audory.

 

Text: Klara Bellis

Coverdesign: Felicitas Platzek

Titel-Font: Lingming Manuscript (frankleng)
Grafik-Font: Griffy (Squid und Neapolitan), VampyrBats (Manfred Klein)
Schlussgrafiken: Fotos von Anke Merzbach, Desigin von Felicitas Platzek

 

E-Mail: a.froeb@gmx.net

 

Alle Texte sind urheberrechtlich geschützt.

 

Alle Personen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Grundschullehrern, Barbesuchern, Historikern, Bestsellerautoren, Vampirjägern und Vampiren sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Zumal es ja in Wirklichkeit gar keine Vampire und vermutlich auch keine Vampirjäger gibt. Glaube ich zumindest.

Orkantief

 
Vom Nordatlantik schickte sich ein Orkantief an, Mitteleuropa zu erobern. Eisige Regenschauer peitschten über die frierende Landschaft. Der Sturm verbog die vom Winter geschwächten Bäume. Es knarrte im Gebälk der Häuser, die sich unter dem Angriff des Sturmmonsters wegduckten wie Grashalme unter der Sense des Schnitters. Der Wind pfiff durch Türritzen und rüttelte an Dachziegeln. Kaum klatschte der Regen auf die Straßen, erstarrte er zu einer dünnen Eisschicht. Ein heimtückisches Pflaster für alle, die in der kleinen Stadt im Speckgürtel von Berlin noch mit dem Auto unterwegs waren oder sich zu Fuß durch die Nacht kämpften.

An diesem Abend im Januar, irgendwann Ende der Neunziger, tobte ein Unwetter, bei dem man keinen Menschen vor die Tür jagte, auch keinen Hund – und schon gar keinen Vampir. Und nein, auch keine Vampirin!

Miese Laune und schlechtes Wetter

 
Mara Mondschatten rauschte aus dem Wohnzimmer. Sie knallte die Tür zu. Die Glasscheibe darin schepperte gefährlich. Wie sie es hasste, bei einem Streitgespräch den Kürzeren zu ziehen. Frederik sollte spüren, wie übergriffig seine Andeutung war, dass sie dringend etwas essen müsse. Was ging ihn das überhaupt an?

Das mit dem Essen war ein empfindliches Thema, das seit mehr als zwanzig Jahren ihre Ehe belastete. Als Sterblicher hatte er doch keine Ahnung, was es bedeutete, sich des Nachts aufzumachen, um sich einen wohlverdienten Schluck fangfrisches Menschenblut einzuverleiben.

Um ehrlich zu sein, bedeutete es hauptsächlich Spaß. Die Jagd erregte sie jedes Mal aufs Neue. Vor allem der Moment, wenn die Fangzähne durch die zarte Haut der Beute drangen, um sich einen Weg zu dem roten Quell zu bahnen, der sie seit mehr als fünf Jahrhunderten am Leben hielt. Allein bei dem Gedanken daran lief ihr das Wasser im Mund zusammen.

Der Sturm warf sich gegen die Haustür, fauchte durch die Ritzen und klapperte mit den Dachziegeln. Bei diesem Wetter hatte sie überhaupt keine Lust, das Haus zu verlassen. Binnen zwei Minuten hätte der Eisregen sie bis auf die Haut durchnässt und das Blutrot ihrer frisch nachgezogenen Lippen verschmiert. Ganz abgesehen davon, was der Wintersturm ihrem Haar antun würde. Der Frisörbesuch lag keine zwei Tage zurück. Für den raffinierten Schnitt ihrer schulterlangen Haare samt Auffrischen der schwarzen Farbe hatte sie eine dreistellige Summe hingeblättert. Eine Investition, die sie äußerst ungern wegen eines Abendessens zunichtemachen wollte. Außerdem hatte sie erst vorhin die Nägel frisch lackiert. Passend zu dem Catsuit aus edlem Nappaleder, der wie eine zweite Haut ihren katzenschlanken Körper umschmeichelte, glänzten sie tiefschwarz. Am Ende brach ihr bei der Jagd noch ein Fingernagel ab, wenn sie sich in die Beute krallte.

Da gab es nur einen Haken: Leider hatte Frederik recht. Der Hunger tobte in ihren Eingeweiden und Frederiks Duft kribbelte viel zu verlockend in der Nase. Sicher blitzte längst die Blutgier aus ihren Augen. Ein Zustand, der Frederik selbst heute noch ängstigte, auch wenn er wusste, dass er ihr vertrauen konnte. Zumindest hoffte sie, dass er es wusste. Zwar duldete er es, wenn sie ihn ab und zu biss und von ihm trank. Manchmal genoss er es sogar. Trotzdem wollte sie ihn nicht als stille Reserve betrachten. Dafür mochte sie ihn viel zu sehr.

In der Küche wartete die Blutkonserve, die sie einem Bekannten abgeluchst hatte. Korwin Schwarzvogel hieß die geizige Mistkrähe. Aus dem Kühlschrank hatte sie ihm die Konserve stibitzen müssen, denn freiwillig hätte er sie nie herausgerückt. Das lag an einem ungeschriebenen Gesetz unter Vampiren: Kümmere dich um deinen eigenen Kram und misch dich nicht in die Angelegenheiten der anderen ein. Dass sie sich ab und zu überhaupt mit Korwin und ein paar anderen Vampiren traf, grenzte fast an ein Wunder. Normalerweise neigten Vampire dazu, sich aus dem Weg zu gehen – oder sich gegenseitig umzubringen. 

Lustlos schlurfte sie in die Küche. Sie öffnete die Schranktür und suchte nach ihrem Lieblingskaffeepott: dem schwarzen mit dem filigranen Druck eines Spinnennetzes. 

Gedankenverloren drehte sie den Kaffeepott in den Händen. Korwin hatte es gut, ließ er sich doch regelmäßig mit abgelaufenen Konserven aus dem Krankenhaus füttern. Vielleicht sollte sie sich auch so einen Krankenhausmitarbeiter gefügig machen. Er nannte diesen devoten Hans Wurst »Freund«. Wie albern. Sie selbst hatte keine Freunde, schon gar keine menschlichen. Menschen waren nichts weiter als Vampirfutter. Außer Frederik natürlich. Aber das zählte nicht.

Den Griff der Kühlschranktür in der Hand zögerte sie. Was war die bessere Wahl? Eine abgestandene Konserve mit halb vergammelten Blut – und somit Zeit für einen Kuschelabend mit Frederik auf dem Sofa? Zumal heute Abend »Wetten, dass..?« lief. Sie liebte die Sendung, in der diese verrückten Menschen all die merkwürdigen Sachen anstellten. Oder eine Jagd durch den Wintersturm mit der Aussicht auf körperwarmes Blut, das ihre Lebensgeister zum Brodeln brachte. Frederik würde das sicher zu schätzen wissen, sollte sie nicht allzu spät nach Hause kommen.

Kühlschrank

 
Ach, was soll's, dachte Mara. Ewig konnte sie die Konserve ohnehin nicht mehr aufheben. Sie würde sich zuerst das abgestandene Blut genehmigen. Vielleicht reichte das ja schon aus, um ihre Blutlust zu besänftigen und ihre Lebensgeister wieder aufzuwecken. Und falls nicht, konnte sie entweder abwarten, bis sich der Sturm beruhigt hatte, und dann auf Jagd gehen. Oder sie bat Frederik um ein Schlückchen. Manchmal ließ er sich dazu breitschlagen. Auch wenn sie seine Großzügigkeit nur ungern ausnutzte.

Gierig riss sie die Kühlschranktür auf. Das Licht blendete sie. Leise fauchend kniff sie die Augen zusammen und suchte nach der Blutkonserve.

Ein Glück! Da lag sie. Im Gemüsefach, friedlich vereint mit Frederiks Brokkoli und seinen geliebten Möhren. Manchmal zweifelte sie daran, ob sie mit einem Mann zusammenlebte oder mit einem Hasen. Frederik war Veganer. Ein ehemaliger Fremdenlegionär aus einer Eliteeinheit von Vampirjägern, der sich von Grünzeug ernährte. Und zu allem Überfluss hatte er ausgerechnet jene Vampirin geheiratet, die seine ganze Eliteeinheit ausgetrunken hatte.

Sie hatte ihn damals verschont, den süßen Neunzehnjährigen. Nach ihrem Gnadenakt verwandelte sich seine devote Dankbarkeit recht bald in Liebe, die sie erwiderte. Nur dass »devot« gewiss nicht zu ihren bevorzugten Gemütszuständen gehörte. Fast hatte sie es damals bereut, die Männer niedergemetzelt zu haben. Aber es ging alles so schnell. Und sie war in dieser Nacht ungewöhnlich hungrig gewesen. Schuldgefühle waren ihr fremd. Dennoch bedrückte es sie manchmal, Frederiks Trauer zu spüren, wenn er über seine ehemaligen Kameraden sprach. Kameraden, die sie eigenhändig ausgelöscht hatte.

»Hach Frederik«, seufzte sie in sich hinein. Bei dem Gedanken an jenes recht turbulente Kapitel ihrer gemeinsamen Zeit mit Frederik gab es einen Stich in ihrer Brust. Fast fühlte es sich an, als wollte ihr kaltes, totes Herz zu schlagen anfangen.

Sie nahm die Konserve aus dem Gemüsefach. Das Blut darin wirkte schwarz und sah genauso unappetitlich aus wie der widerliche Brokkoli. Angeekelt schüttelte sie sich. Sie biss den Beutel an einem Ende auf und goss den Inhalt in den Kaffeepott. Nach ein paar Sekunden in der Mikrowelle hatte die Flüssigkeit nahezu Körpertemperatur erreicht. Endlich was essen! Sie führte den Kaffeepott an die Lippen. Wie aus weiter Ferne hörte sie Frederiks Stimme aus dem Wohnzimmer.

»Schatz, komm schnell!«, rief er. »Die bringen eine Doku über Fabelwesen.«

Seine Stimme klang entspannt. Offenbar hatte er sich wieder beruhigt. Was sie von sich selbst kaum behaupten konnte. Das Blut im Kaffeepott schwappte bedenklich, so sehr zitterten ihre Hände. Und wie dieses abgestandene Zeug stank! Ekelhaft. Kein Wunder, dass Korwin Schwarzvogel so ein Schlaffi war, wenn er sich ständig davon ernährte. Widerwillig trank sie ein paar Schlucke. Alle Härchen stellten sich an ihrem Körper auf. Ein Brechreiz ließ sie würgen. Das halb vergammelte Blut schmeckte noch übler als es roch.

Ob sie doch besser nach draußen gehen sollte, auf die Jagd? Andererseits konnten Fernsehdokus manchmal recht erheiternd sein, vor allem, wenn sie sich mit dem Phänomen der Vampire beschäftigten. Eine Sagengestalt, direkt aus einem Horrorfilm entsprungen. Sie wusste es besser. Von »Sagengestalt« konnte keine Rede sein. Nur die Sache mit dem Horror, die traf tatsächlich zu, zumindest wenn sie es aus menschlicher Sicht zu betrachten versuchte.

 

Fernsehabend

 
Das warme Blut im Bauch besänftigte die vampirische Wut. Abgesehen von dem grässlichen Geschmack im Mund breitete sich ein wohliges Gefühl in ihr aus, das den ersten Schritt zur Versöhnung erleichterte.

Mara kehrte ins Wohnzimmer zurück. Frederik saß auf dem Sofa, die in einer grauen Jogginghose steckenden Beine lässig auf dem Tisch drapiert. Vor ihm stand eine Schale mit Kartoffelchips und ein Glas Bier. Er hatte schon einen ansehnlichen Stapel der Tests korrigiert, die er morgen seiner Klasse zurückgeben wollte. Kein Wunder, dass er vorhin so gereizt reagiert hatte, bei dem Stress mit seiner Arbeit. Als Geschäftsführerin einer Biomarktkette konnte sie kaum ermessen, welchen Leistungsdruck der arme Mann als Grundschullehrer auszustehen hatte.

»Alles wieder gut?« Er schenkte ihr ein wissendes Schmunzeln. Dahinter blitzte sein jugendliches Ich hervor, in das sie sich damals verliebt hatte: der tapfere Möchtegernkrieger mit dem weichen Herzen. Sie liebte diesen Mann mit Haut und Haar. Selbst wenn sein Haar irgendwann ergrauen und ausfallen sollte, würde sie ihn immer noch lieben. Im Scherz fauchte sie ihn an und zwinkerte ihm auf ihre ganz spezielle Weise zu, bei der er sicher sein konnte, dass an diesem Abend deutlich mehr laufen würde als das immer gleiche Fernsehprogramm.

»Welches Thema haben sie in der Sendung verwurstelt?« Den blutgefüllten Kaffeepott in der Hand kuschelte sie sich neben ihn aufs Sofa.

»Vampire, Mara!« Frederik grinste sie vielsagend an. »Es geht tatsächlich um Vampire. Die Pest im Mittelalter ist gerade dran.« Er legte den Arm um sie und drückte sie fest an sich. Der Streit galt somit als offiziell beendet.

»Ah ja.« Sie nickte. Die Pestausbrüche. Das waren ergiebige Zeiten für Leute wie sie. Und manchmal auch gefährliche, wenn die Menschen allzu genau hinschauten, wer da nachts durch die Straßen schlich. »Sind sie schon bei den Steinen, die sie den vermeintlichen Untoten zwischen die Kiefer gepresst hatten? Und den zertrümmerten Gliedmaßen?«

»Ja. Die haben so ein Pestgrab gezeigt. Echt gruselig.«

»Das kannst du laut sagen.« Sie seufzte leise. »Wenn man nachts aufwacht mit gebrochenen Armen und Beinen und dann steckt auch noch so ein bescheuerter Stein im Mund.«

»Ist dir das echt mal passiert?« Frederik starrte sie entsetzt an.

»Nun ja …« Sie ließ ihn zappeln. Sein schockierter Gesichtsausdruck war einfach zu süß. »Nicht wirklich.« Lachend stupste sie ihn an. »Du müsstest doch am besten wissen, was Vampirjägern blüht, die mir zu nahe kommen.«

»Mara, wenn ich damals geahnt hätte, was wir anrichten, ich hätte den Befehl verweigert.« Frederik streichelte ihr über die Wange. Seine Finger rochen nach Kartoffelchips. »Es war dein gutes Recht, dich gegen uns zu verteidigen. An deiner Stelle hätte ich es nicht anders gemacht.« Er wandte sich wieder dem Fernseher zu. Ein britischer Wissenschaftler sprach über

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Klara Bellis
Bildmaterialien: Anke Merzbach
Cover: Felicitas Platzek
Tag der Veröffentlichung: 15.05.2021
ISBN: 978-3-7487-8285-8

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Beere und Schrumpel

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