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Impressum

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Deutsche Erstausgabe April 2017

 

© 2017 by Bianca Nias

 

Kontakt: Bianca Nias, Lindenstr. 11, 65627 Elbtal

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen. Auch die auszugsweise Veröffentlichung oder der Nachdruck bedarf der Genehmigung des Autors.

 

Coverdesign: Irene Repp

http://daylinart.webnode.com/

 

Bildrechte: © Alessandro Guerriero - 123rf.com / © Luis Louro - 123rf.com / © Mihail Degteariov - 123rf.com

Lektorat: Susanne Scholze

Korrektur: Kay Monroe

 

ISBN: 978-3-00-056222-8

 

Besuchen Sie mich im Internet:

www.biancanias.de


 

 

»One day,

someone is going to hug you so tight,

that all of your broken pieces

will stick back together.«

 

-unknown-

 

Kapitel 1

Woody sah von seinem Buch hoch, als sich die Zimmertür öffnete und Cayden eintrat. Sofort setzte er sich auf, steckte das Lesezeichen zwischen die Seiten und legte das Buch auf den Nachttisch. Sie hatten sich früher dieses Zimmer geteilt, aber seit Cayden mit Miles zusammen war, hatte der Lieutenant Commander keine einzige Nacht mehr in seinem eigenen Bett verbracht. Dass er jetzt hier vorbeischaute, konnte daher nur heißen, dass Cayden etwas von ihm wollte.

»Was liest du da?«, fragte sein Freund jedoch lediglich und betrachtete neugierig den Titel seines Buches.

»Eine Aufzeichnung der Lehren von Bear Heart, einem indianischen Schamanen«, erklärte Woody. »Was willst du, Cayden?«

»Der Admiral hat sein Okay zu Miles’ Plan gegeben. Du kannst also ab sofort anfangen, mit Cummings zu arbeiten.« Nachdenklich griff Cayden nach dem Buch, drehte es um und studierte den Klappentext. »Indianische Lebensweisheiten? Glaubst du, so kommst du an ihn heran?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe die letzten beiden Tage versucht, mich auf alles Mögliche vorzubereiten«, gab Woody zu. »Also habe ich sowohl die Tai-Chi-Grundsätze als auch buddhistische und indianische Meditationsübungen und Lehren nochmals durchgearbeitet. Aber ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich es angehen soll. Vielleicht muss ich einfach ausprobieren, was am besten bei ihm ankommt.«

»Miles stellt sich das mit dem Anti-Aggressions-Training aber auch zu einfach vor«, brummte Cayden und seufzte frustriert. »Bei einem Puma den Aggressions-Level senken, um ihn wieder in die Spur zu bekommen? Ich weiß nicht, ob das überhaupt funktionieren kann. So ganz bin ich von Miles’ Idee noch immer nicht überzeugt.«

»Es ist eine Möglichkeit, mehr nicht«, räumte Woody ein. »Cummings ist während der Einsätze schon mehrmals dadurch aufgefallen, dass er unverhältnismäßig und viel zu gewalttätig reagiert. Trotzdem haben ihn sowohl Kunuk als auch der Admiral immer gedeckt und es bei einer Ermahnung belassen. Aber bislang hatte sich seine Aggression auch nie gegen das eigene Team gerichtet.«

»Hm. Du kennst ihn schon ein paar Jahre länger als ich«, räumte Cayden ein. »Ich wusste irgendwie noch nie etwas mit ihm anzufangen. Klar, er macht seinen Job hervorragend und wir konnten uns immer auf ihn als Teammitglied verlassen – aber sonst? Der Kerl ist mir ein Rätsel.« In Gedanken versunken knibbelte Cayden an dem Lesezeichen herum. Woody stand vom Bett auf und nahm ihm behutsam das Buch aus der Hand, bevor der Wolf noch Eselsohren in die Seiten knickte.

»Manchmal liegt der Ursprung von solch einem Verhalten in der Vergangenheit«, überlegte Woody laut und sah seinen Freund nachdenklich an. »Wie bei dir, Cayden.«

Stumm erwiderte der schwarze Wolf seinen Blick. Erst seit er mit Miles zusammen war, hatte er sich auch Woody gegenüber Schritt für Schritt geöffnet, wodurch sich ihre Freundschaft vertiefte. Dabei hatte Cayden ihm einiges von seiner Kindheit erzählt, die alles andere als schön gewesen war. Ohne Rudel und dann auch noch bei Menschen aufzuwachsen, die einem jungen Wolfswandler einfach nicht gerecht werden konnten, hatte viele Spuren bei Cayden hinterlassen.

»Du solltest dir mal seine Akte ansehen«, meinte Cayden jetzt schlicht, ohne auf Woodys Andeutung einzugehen.

»Seine Akte? An die komme ich doch gar nicht heran. Selbst Miles ist nicht berechtigt, sie mir zu geben oder auch nur irgendwelche Details daraus zu verraten!«, wandte Woody sofort ein. Natürlich war ihm selbst bereits der Gedanke gekommen, in Cummings’ Vergangenheit herumzustöbern, aber das überstieg nun mal seine Möglichkeiten.

»Ich habe ja auch nicht gesagt, dass du den Admiral oder Miles um Akteneinsicht bitten sollst«, erwiderte Cayden und zwinkerte ihm mit einem verschmitzten Lächeln zu. Dann wandte sich der Lieutenant Commander zum Gehen, drehte sich an der Zimmertür aber nochmals zu ihm um. »Wenn du Hilfe brauchst – sag mir einfach Bescheid.«

Damit schloss er die Tür hinter sich. In Gedanken versunken starrte Woody eine Zeitlang auf das weißlackierte Holz.

Typisch Cayden. Während dieser kein Problem damit zu haben schien, etwas Illegales zu tun, sträubte sich in Woody alles dagegen, sich unerlaubt Zugang zu der Akte zu verschaffen. Aber hatte er überhaupt eine andere Wahl? Die Einträge dort könnten ihm tatsächlich einiges über den Puma verraten, was dieser nie und nimmer von sich aus erzählen würde und damit ihm helfen, ihn und seine Beweggründe besser zu verstehen. Sicherlich wäre das ein Weg, einen Ansatz für die Therapie zu finden, mit der Miles ihn beauftragt hatte.

Unwillig schnaufte Woody und schüttelte den Kopf. Nein, das war nicht seine Art. Vielleicht hatte Cayden keine Skrupel, sich in Trudis Büro zu schleichen und den Panzerschrank mit den Personalakten zu knacken, aber er hatte diese sehr wohl. Erst dann, wenn ihm nichts anderes mehr übrigblieb, würde er auf diese Idee zurückkommen, aber zuvor musste er versuchen, auch ohne dieses Wissen um Cummings’ Vergangenheit mit ihm zu arbeiten. Schließlich hatte der Puma Miles zugesagt, sich dem Anti-Aggressions-Training zu unterziehen, um einem sofortigen Rauswurf aus den Wild Forces zu entgehen, also sollte Cummings daran liegen, vertrauensvoll mit ihm zusammen-zuarbeiten.

Am besten fing er gleich damit an. Woody verließ sein Zimmer und wandte sich im Flur nach links.

Seit zwei Tagen hatte er den Puma nicht mehr gesehen, aber er vermutete, dass sich dieser absichtlich zurückgezogen hatte und den Kameraden aus dem Weg ging. Cummings’ Unterkunft lag am anderen Ende des langen Ganges. Meistens teilten sich zwei Seals einen Schlafraum, so, wie er selbst es über zwei Jahre lang mit Cayden getan hatte. Bis vor wenigen Wochen hatte der Puma mit Sidney Mortensen, dem Tiger, zusammengewohnt, aber dieser hatte gemeinsam mit Chipo Aleeke und Commander Kunuk gekündigt. Nach dem versuchten Attentat auf den Frankfurter Flughafen, bei dem der Wolf Devon McMattock entführt worden war, hatten die drei Offiziere der Navy Seals beschlossen, die Truppe zu verlassen, um auf eigene Faust nach McMattock zu suchen. Ein herber Verlust für ihre Einheit, der nur schwer zu kompensieren war. Bislang hatte es lediglich der Tiger Tybor Lykow geschafft, ins Team aufgenommen zu werden, aber Woody wusste, dass Miles in seiner Funktion als neuer Commander momentan auf der Suche nach weiteren Kandidaten war. Das war bestimmt keine leichte Aufgabe, jedenfalls beneidete Woody ihn nicht darum.

Leise klopfte er an Cummings’ Zimmertür. Keine Antwort. Woody atmete tief durch und sensibilisierte seine Sinne, auch wenn diese in seiner menschlichen Gestalt etwas gedämpft und nicht voll einsatz-fähig waren. Dennoch verrieten ihm seine guten Ohren, dass der Puma anwesend war, er konnte ein kaum wahrnehmbares Rascheln hören. Beherzt klopfte er nochmals, dieses Mal etwas lauter.

»Hau ab Redwood, und lass mich in Ruhe!«, ertönte Cummings’ Stimme, die eher einem Knurren gleichkam, durch die geschlossene Tür.

Na super. Das fing ja schon mal gut an. Woher auch immer Cummings wusste, dass er es war, der bei ihm klopfte. Durch die geschlossene Zimmertür hindurch konnte er ihn schließlich schlecht riechen.

»Okay, dann gehe ich wieder. Ist mir recht«, antwortete Woody betont gleichgültig. »Dann brauche ich dem Admiral nur zu berichten, dass ich es versucht habe. Wird ein kurzes Protokoll.«

Er wollte sich schon zum Gehen wenden, da wurde die Zimmertür aufgerissen.

»Also gut, komm rein«, fauchte Cummings ihn böse an und trat zur Seite, um ihn einzulassen. Neugierig schaute sich Woody in dem Zimmer um, das er noch nie zuvor betreten hatte. Aber eigentlich gab es nichts zu sehen. Der Raum wirkte regelrecht unbewohnt. Nichts lag herum. Das Bett war bezogen und gemacht, wobei nicht eine einzige Falte im Bettlaken zu sehen war und das Kopfkissen mit dem Zollstock ausgerichtet worden zu sein schien, so dass es eine perfekte Position einnahm. Keine gerahmten Fotos, keine Bücher auf dem Nachttisch. Auch der Schreibtisch war leer.

Cummings schloss hinter ihm die Zimmertür und verschränkte die Arme vor der Brust. Aus schmalen Augen starrte er Woody wütend an, der sich ganz bewusst ein paar Sekunden Zeit nahm, um den Lieutenant zu betrachten. Cummings war etwa einen halben Kopf größer als er selbst, dafür aber schlanker und nicht übertrieben muskulös. Seine Statur erinnerte eher an einen hochgewachsenen Athleten. Die kurzen, hellbraunen Haare waren akkurat gescheitelt und hatten annähernd die gleiche Farbe, wie seine Augen. Obwohl der Puma unbeweglich dort stand, spürte er dessen Nervosität. Seine Atemfrequenz war relativ hoch und Woody sah, dass er fest die Zähne zusammenbiss. Die Kiefermuskeln wirkten verkrampft, eine kleine Ader an seiner Schläfe war ein wenig angeschwollen und pochte im Takt seines schnellen Pulses.

»Setz dich bitte, wir müssen reden«, begann Woody ruhig und deutete auf das Bett.

»Ich wüsste nicht, was es zu bereden gibt«, stieß Cummings jedoch tonlos hervor und rührte sich nicht von der Stelle. Innerlich seufzte Woody genervt auf.

»Du weißt genau, warum ich hier bin«, erwiderte er sachlich. »Miles hat mich beauftragt, mit dir zu arbeiten. Erst dann, wenn ich ihm berichten kann, dass du keine Gefahr für die Wild Forces darstellst, wirst du wieder ins Team aufgenommen werden.«

»Ich bin keine Gefahr für das Team«, widersprach Cummings sofort.

»Ach?« Woody zog gespielt überrascht eine Augenbraue in die Höhe. Scheinbar entspannt pflanzte er sich mitten auf das gemachte Bett, obwohl ihm bewusst war, dass dies dem Puma wie ein Eingreifen in sein Revier, in seine Privatsphäre vorkommen musste. »Und Mitch liegt vollkommen grundlos mit gebrochenem Bein auf der Kranken-station?«

»Das war ein Unfall!«, schleuderte der Puma ihm wutentbrannt entgegen. Auf seiner Stirn bildeten sich mehrere Schweißtropfen, an denen Woody erkannte, wie sehr es in ihm brodelte.

»War es auch ein Unfall, dass du Ty angegriffen hast, weshalb er mehrfach genäht werden musste? Oder dass du während der Übung betrogen hast, damit Mitch und der Tiger aus dem Team geworfen werden?«, provozierte Woody ihn absichtlich weiter.

»Ich hab mich entschuldigt!«, brüllte Cummings aufgebracht, rang die Hände und begann, auf den wenigen Quadratmetern des Zimmers auf- und abzulaufen. Dabei glich er einem eingesperrten Tier, das in seinem Käfig immer wieder die gleichen Bewegungen abspulte, um den inneren Drang nach Freiheit zu kompensieren. Wie um diesen Eindruck zu bestätigen, blieb Cummings jetzt vor dem großen Fenster stehen und riss es weit auf.

»Wann hast du dich zum letzten Mal verwandelt?«, fragte Woody spontan.

»Geht dich nichts an«, knurrte der Puma jedoch nur, ohne sich zu ihm umzudrehen.

Jetzt seufzte Woody hörbar auf. Cummings’ Weigerung, diese Frage zu beantworten, konnte eigentlich nur bedeuten, dass seine letzte Wandlung schon viel zu lange zurücklag. Aber es war müßig, hierüber zu spekulieren, solange der Puma ihm selbst solch eine belanglose Information vorenthalten wollte. So kam er wirklich nicht weiter.

»Bitte setz dich«, wiederholte er so behutsam, wie möglich. Auffordernd rückte er auf dem Bett zur Seite, streifte seine Turn-schuhe ab und verschränkte die Beine im Schneidersitz. Kurz schloss er die Augen und atmete tief durch. Allein diese Sitzposition bewirkte bei ihm, dass er sich entspannte. Eine Routine, die sich bei seinem zweijährigen Aufenthalt in einem Shaolin-Kloster entwickelt hatte, nahm von seinem Körper Besitz und half ihm, innerhalb von wenigen Sekunden seinen Geist zu öffnen und seine Gedanken zu sammeln.

Zum ersten Mal nahm er dabei bewusst die Witterung des Pumas in sich auf. Sein Geruch hatte eine beißende, streng riechende Note, die wahrscheinlich von seiner inneren Unruhe herrührte. Ansonsten konnte Woody nicht genau zuordnen, nach was der Puma roch. Die meisten Raubkatzen hatten einen sehr eigentümlichen Duft, der für Wölfe scharf und ziemlich penetrant wirkte. Cummings dagegen hatte einen trockenen, an sonnenbeschienene Felsen erinnernden, mine-ralisch anmutenden Körpergeruch, den Woody wahrscheinlich nur dann richtig analysieren konnte, wenn er in seiner Wolfsgestalt war. Er öffnete die Augen wieder und sah, dass sich Cummings keinen Millimeter gerührt hatte. Aber eigentlich hatte er auch nichts anderes erwartet.

»Ich soll dir helfen, wieder auf ein normales Level herunterzufahren und deine Aggressionen in den Griff zu bekommen. Du weißt, dass dies die Voraussetzung ist, dass du nicht rausgeworfen wirst«, mahnte Woody nochmals leise. »Also, willst du mit mir zusammenarbeiten? Oder doch lieber deine Sachen packen und verschwinden?«

Cummings drehte sich nun langsam zu ihm um und erstmals konnte Woody in seinen Augen einen anderen Ausdruck als Wut oder Zorn ausmachen. Verbitterung? Enttäuschung? Nein, er konnte es nicht genau zuordnen, aber wenigstens kam der Lieutenant nun zu ihm herüber und setzte sich zu ihm auf das Bett. Allerdings kerzengerade, ohne seine angespannte Haltung aufzugeben.

»Prima. Das ist doch schon mal ein Anfang«, murmelte Woody in seinen Drei-Tage-Bart. Fest sah er Cummings in die Augen. »Zieh deine Schuhe aus und setz dich mir genauso gegenüber«, forderte er und klopfte sich auffordernd auf sein Knie, um auf seine Sitzposition hinzuweisen. Fragend hob Cummings eine Augenbraue.

»Ich sitze. Also – was soll der Quatsch?«, knurrte er heiser.

»Das soll dir helfen, zu entspannen. Ich zeige dir, wie das geht«, erklärte Woody nachsichtig, auch wenn er sich mittlerweile vorkam, als würde er einem verstockten Kleinkind eine Yoga-Stunde erteilen müssen.

»Ich bin entspannt«, entgegnete Cummings sofort. Allerdings reichlich hitzig, was seine Worte sofort wieder Lügen strafte.

»Ja, klar, das sehe ich«, spottete Woody gutmütig und griff spontan nach Cummings’ Handgelenk, um seinen Puls zu fühlen. Doch kaum hatte er seine Finger darum geschlossen, zuckte der Puma heftig zurück und entriss ihm ruckartig seine Hand.

»Fass. Mich. Nicht. An!«, fauchte er aufgebracht und wich so weit von Woody zurück, wie es auf dem Bett irgendwie möglich war.

Besorgt runzelte Woody die Stirn. Was war denn nur bei Cummings schiefgelaufen? Dem Puma schien nun ebenfalls seine total über-zogene Reaktion bewusst zu werden, denn für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein schuldbewusst wirkender Ausdruck über sein Gesicht, bevor er sich zu seinen Schuhen hinunter beugte, diese auf-schnürte und sie von den Füßen streifte. Umständlich, mit eckig wirkenden Bewegungen, verschränkte er die Beine im Schneidersitz.

»Gut. Ich respektiere deine Regeln und fasse dich nicht nochmal an, dafür möchte ich, dass du einfach das machst, was ich dir jetzt sage«, setzte Woody vorsichtig an und wartete ab, bis Cummings mit einem knappen Nicken sein Einverständnis signalisierte. Trotzdem ließ er extra noch einige Sekunden verstreichen, atmete tief durch, legte die Hände mit den Handflächen nach oben auf seine Knie und entspannte sich bewusst. Gerade weil er wusste, dass der Puma dies spüren konnte, beschleunigte er sogar den Entspannungsprozess und brachte so seinen Herzschlag dazu, innerhalb von wenigen Augenblicken in einen ruhigen Rhythmus zu verfallen, der dem eines Schlafenden ähnelte.

»Schließ die Augen«, bat er leise und wartete ab, bis Cummings seiner Aufforderung, wenn auch sichtlich widerwillig nachkam. »Atme tief ein und aus. Entspann dich. Nimm die Schultern runter«, fuhr er ruhig fort und bemühte sich, die eigene Entspannung aufrecht zu erhalten und gleichzeitig jede Reaktion des Pumas aufmerksam zu studieren. Der folgte zwar seinen Anweisungen, aber selbst diese Veränderung seiner Körperhaltung schien kein bisschen zu einer Lockerung beizutragen. Nach wie vor wirkte er wie eine gespannte Feder, die nur auf den richtigen Impuls wartete, um in die Höhe zu schießen.

»Leg die Hände auf die Knie. Spüre ihre Wärme. Lass die Arme locker. Entspanne die Muskeln deiner Oberarme, deiner Schultern. Erst die rechte, dann die linke Seite und fühle, wie schwer deine Arme sind«, sprach Woody in beruhigendem Tonfall weiter.

In Cummings’ Gesicht zuckte ein Muskel, als würde er sich ein Lachen verkneifen. Was allerdings kaum sein konnte, denn Woody erinnerte sich nicht, den Mann jemals lachen gehört oder gesehen zu haben. Jetzt öffnete Cummings seine Augen wieder und musterte ihn durchdringend.

»Willst du mich hypnotisieren? Spar dir den Versuch, das klappt bei mir nicht«, raunte er heiser.

»Nein, das habe ich nicht vor«, erklärte Woody aufrichtig, nahm aber gleichzeitig wahr, dass Cummings erstmals etwas ruhiger geworden war. Zumindest schien sich dieser mittlerweile voll und ganz auf ihn zu konzentrieren. Na prima, wenigstens ein kleiner Fortschritt.

»Ich möchte dir ein paar ganz einfache Entspannungsübungen zeigen, die du bitte jeweils morgens und abends durchführst. So etwa zehn Minuten lang, mehr nicht. Es geht mir einfach darum, dass du deine innere Mitte findest. Das ist der Bereich in dir, aus dem du deine Kraft ziehst, in dem aber auch die Aggressionen verborgen sind. Nur dann, wenn du dir dieser inneren Mitte bewusst wirst, kannst du deine Wut wieder kanalisieren und sie in die richtigen Bahnen lenken.«

»Du glaubst tatsächlich an den Unsinn, den du da laberst, nicht wahr?«, spottete Cummings lediglich und schnaubte verächtlich.

»Mir hat es jedenfalls immer geholfen, die tierischen Instinkte unter Kontrolle zu halten«, entgegnete Woody fest.

»Keine große Kunst. Außer fressen, ficken und saufen haben Wölfe doch sowieso nichts im Kopf«, ätzte Cummings unverfroren weiter.

Schon wollte Woody wütend hochfahren, aber das triumphierende Funkeln in Cummings’ Augen hielt ihn zurück. Ha, der Kerl wollte ihn provozieren! Nein, darauf konnte er lange warten, dass Woody ausrastete. Betont nachlässig zuckte er mit den Schultern.

»Wie du meinst.« Reichlich desillusioniert schwang Woody die Beine vors Bett und zog seine Schuhe wieder an. Dabei spürte er den durchdringenden Blick des Pumas auf sich ruhen, der jede seiner Bewegungen beobachtete. Oh Mann, Miles stellte sich das wirklich viel zu einfach vor. Wie sollte er bloß an Cummings herankommen? Und lohnte es sich überhaupt, es zu versuchen? Jeder andere würde jetzt alles hinzuwerfen und dem Commander berichten, dass es einfach keinen Sinn hatte. Cummings hatte vielleicht einen Kampf zu viel ausgefochten oder irgendwann einmal Erfahrungen gemacht, die ihn innerlich aus der Bahn geworfen hatten – und genau das machte ihn zusammen mit der Tatsache, dass er ein Pumawandler war, zu einer gefährlichen, tickenden Zeitbombe.

Pumas waren nicht nur Einzelgänger, sie galten als überaus sensibel, aufmerksam, klug und intuitiv, waren jedoch mitunter auch launisch, aggressiv und äußerst misstrauisch. Offenbar verfügte Cummings zudem über eine überdurchschnittliche Sinneswahrnehmung und bekam sicherlich mehr mit, als er durchblicken ließ. Woody fühlte sich in seiner Nähe permanent beobachtet und es schien ihm, dass Cummings ständig darauf bedacht war, ihn zu kontrollieren und die Oberhand zu behalten. Letzteres würde jedenfalls seine unange-messenen verbalen Attacken erklären.

Nein, es machte eigentlich von vornherein keinen Sinn, es überhaupt versuchen zu wollen. Allerdings kannte Woody sich selbst nur zu genau: Das Wort Aufgeben existierte in seinem Vokabular nicht. Vielleicht war dieser Starrsinn eine besondere Eigenschaft der Wölfe, aber er würde erst dann die Fahnen streichen, wenn er wirklich alles versucht hatte, was in seiner Macht stand.

Ohne Cummings eines Blickes zu würdigen, stand er auf und ging zur Zimmertür. Dabei richteten sich seine Nackenhaare auf, eine unwillkürliche, instinktive Reaktion, da er dem Puma den unge-schützten Rücken zukehrte. Verdammter Mist. Er konnte Cummings’ hämisches Grinsen, dem diese Reaktion nicht entgangen zu sein schien, spüren, ohne hinsehen zu müssen.

»Komm mit«, forderte Woody ihn auf und bekämpfte gleichzeitig das Bedürfnis, sich zu ihm umzudrehen.

»Wohin?«, fragte Cummings knapp.

»Raus hier. Wir gehen eine Runde laufen«, erklärte Woody.

Etwas Besseres fiel ihm gerade nicht ein. Immer dann, wenn er zu viel Energie hatte und unruhig wurde, lief er ein paar Kilometer durch den Wald. Was ihm half, konnte dem Puma sicherlich nicht schaden.

»Na prima. Ich bekomme Auslauf. Mit ’nem Zoowärter«, brummte Cummings, aber Woody hörte, wie er aufstand und eine Schranktür öffnete. Gemächlich drehte er sich nun doch um und sah zu, wie Cummings seine schweren Stiefel im Schrank verstaute und statt-dessen seine Turnschuhe hervorholte.

Keine zwei Minuten später traten sie in das grelle Sonnenlicht hinaus. Der Juni war in diesem Jahr ungewöhnlich trocken, auch wenn die richtig heißen Sommertemperaturen noch immer auf sich warten ließen. Auf dem Stützpunkt herrschte das übliche, geschäftige Treiben, aber niemand beachtete sie, als sie zusammen den Exerzier-platz überquerten. Woody wandte sich in Richtung des angrenzenden Waldgebietes, das als Truppenübungsplatz ausgewiesen war, aber inoffiziell den Gestaltwandlern den Raum und die Gelegenheit bieten sollte, sich ab und zu unbemerkt von den Menschen verwandeln zu können.

Sobald sie einen der unzähligen Waldpfade erreichten, die das Gebiet durchzogen, begann Woody, zu traben. Neben ihm passte sich Cummings seiner Geschwindigkeit mühelos an, auch wenn Woody zu spüren glaubte, dass der Puma sich ernsthaft zügeln musste und gerne schneller laufen würde. Das Tempo hatte er jedoch bewusst so gewählt, dass er mit spielerischer Leichtigkeit zwanzig Kilometer laufen konnte, ohne überhaupt aus der Puste zu kommen. In seiner derzeitigen, guten Verfassung war er in der Lage, an einem Tag mehr als achtzig Kilometer zurückzulegen. Pumas dagegen gehörten eher zu den Sprintern und verfügten nicht über eine solche Ausdauer. Erwartungsgemäß fing Cummings auch an, zu schwitzen, als sie zum zweiten Mal in die Runde um den kleinen Waldsee einbogen. Trotzdem wurde der Puma nicht langsamer, sondern schien statt-dessen einen stillen, verbissen geführten Kampf gegen sich selbst und seine müde werdenden Beine auszufechten.

Genau in dem Moment, in dem Woody merkte, dass Cummings’ Laufrhythmus monoton und gleichmäßig wurde und sich seine Aufmerksamkeit nicht mehr auf die Umgebung, sondern eher auf sich selbst richtete, stoppte er mitten auf dem Weg.

›Genug‹, deutete er dem Puma mit einer Handbewegung an.

Cummings hielt ebenfalls an und stützte sich mit den Händen auf den Oberschenkeln ab, um durchzuschnaufen. Nachdem das Geräusch ihrer Schritte verklungen war, wirkte die Ruhe und Stille des Waldes unwahrscheinlich wohltuend. Vögel zwitscherten, Insekten schwirrten durch die Luft und hin und wieder erklang ein Rascheln, wenn eine Maus durchs trockene Laub huschte. Echt entspannend.

»War das alles? Oder muss der große Shaolin-Meister nur mal in die Büsche verschwinden, um zu pissen?«, provozierte Cummings ihn erneut.

Oh Mann. Die Ruhe hatte ja nicht lange angehalten.

›Sei still‹, formte Woody mit den Händen in Gebärdensprache, die jeder Seal beherrschte. Zu seiner Verblüffung hielt Cummings tatsächlich die Klappe. Der Puma sah ihn sogar abwartend an und schien sich ganz auf ihn zu konzentrieren. Woody überlegte kurz. Okay, vielleicht war dies eine Möglichkeit.

›Ich möchte, dass wir uns ab jetzt nur noch in Gebärdensprache unterhalten‹, gab er Cummings zu verstehen. Der hob spöttisch eine Augenbraue.

›Warum?‹, fragte er dann jedoch, indem er die Faust mit den Fingern in Woodys Richtung gewandt anhob.

›Weil es da weniger Schimpfworte gibt, die du mir an den Kopf werfen kannst‹, gab Woody zurück.

›Arschloch‹, formte Cummings sofort mit den Händen.

Woody konnte ein Grinsen nicht vermeiden.

›Ist das alles, was du kannst?‹, fragte er ruhig.

›Fick dich‹, entgegnete der Puma.

Still lächelte Woody in sich hinein. Diese nonverbale Art der Kommunikation gefiel ihm, nahm sie doch jegliche Schärfe aus ihrer Unterhaltung. Solange er sich den gehässigen Tonfall des Lieutenant nicht antun musste, war es wesentlich erträglicher, sich mit ihm abzugeben.

›Lass uns umkehren. Morgen früh hole ich dich ab, dann machen wir weiter‹, erklärte er und wandte sich zum Gehen.

Aus den Augenwinkeln heraus sah er zwar noch, wie Cummings irgendetwas mit den Händen erwiderte, das verflixt nach ›blöder Hund‹ aussah, ihn aber nicht weiter berührte.

Sein Repertoire an Schimpfwörtern in Gebärdensprache schien dem Puma bereits ausgegangen zu sein, wenn ihm keine bessere Beleidigung mehr einfiel.

 

 

Kapitel 2

 Zurück im Hauptquartier suchte Woody zunächst Miles auf. Er fand den Commander in mehrere Akten vertieft in dessen Arbeits-zimmer, das zwar Teil seiner Privaträume war, dem Team aber auch als Besprechungsraum diente.

»Hey, Miles, hast du kurz Zeit für mich?«, begrüßte er seinen Freund.

Mit einem leisen Seufzer schob der Löwe den Berg Akten von sich und atmete erleichtert auf.

»Für dich immer, Woody. Ich bin dir eher dankbar für die Unterbrechung, eine kleine Pause habe ich jetzt echt nötig.«

»Neue Bewerber?«, fragte Woody interessiert. Miles nickte nur, erhob sich von seinem Schreibtisch und bedeutete Woody mit einer Geste, ihm zu folgen. Im angrenzenden Wohnzimmer öffnete er den Kühlschrank der integrierten Küchenzeile, entnahm ihm zwei Flaschen Cola und reichte Woody eine davon. Zwar hätte Woody jetzt eher etwas Stärkeres, wie beispielsweise ein Bier, vertragen können, aber angesichts der Uhrzeit war es noch zu früh dafür.

»Und? Was Passendes dabei?«, fragte er halbwegs interessiert, da Miles sich lediglich mit einem Seufzer auf die Couch fallen ließ. Mit einer knappen Handbewegung bat er Woody, sich ihm gegenüber auf den gemütlichen Sessel zu setzen und er kam der Einladung gerne nach.

»Vielleicht. Mal sehen.« Miles nippte an seiner Cola und musterte ihn gleichzeitig forschend. »Deshalb bist du aber nicht hierher-gekommen. Also – was ist los? Geht es um Cummings?«

Unter dem intensiven Blick des Löwen senkte Woody automatisch den Kopf und betrachtete die Colaflasche in seinen Händen.

»Ja, deshalb bin ich hier. Ich weiß nicht, was ich von ihm halten soll, Miles. Mir ist erst heute bewusst geworden, wie wenig ich ihn kenne, obwohl wir seit fast fünf Jahren im selben Team sind. Weißt du, was ich meine?«

Miles nickte langsam. »Wir haben jede Menge brisanter Einsätze zusammen gemeistert, unzählige Übungen miteinander absolviert. Und trotzdem weiß ich nicht viel mehr über den Typen, als du«, gab auch er zu.

»Genau das meine ich«, pflichtete Woody ihm bei. »Selbst von Cayden oder Ben kenne ich ihren Werdegang, ihre Ausbildung, ihre bisherigen Einheiten, und die beiden sind nicht gerade Plauder-taschen. Vom familiären Hintergrund mal abgesehen, der ebenso bedeutsam sein könnte.«

»Cummings hat in der Vergangenheit einfach perfekt funktioniert. Immer absolut zuverlässig und gewissenhaft. Er ist hochintelligent und präzise in allen seinen Aktionen. Die Sache mit Mitch war das erste Mal, dass ich so etwas wie eine private, emotionale Seite an ihm erlebt habe«, überlegte Miles laut.

»Deshalb wolltest du ihn auch nicht fallen lassen und suspen-dieren?«, hakte Woody nach.

»Ich weiß es nicht genau.« Miles schüttelte den Kopf. »War irgendwie so ein Gefühl, dass er eine zweite Chance verdient. Aber wenn er das vermasselt, ist er draußen.«

»Ich brauche mehr Informationen über ihn, wenn ich ihm helfen soll«, wagte Woody einen Vorstoß.

Miles schaute ihn ernst an. »Wenn du seine Akte meinst – vergiss es. Die Personalakten sind absolut vertraulich. Aus gutem Grund.«

Woody nickte enttäuscht, auch wenn er mit nichts anderem als einer Ablehnung gerechnet hatte. Dafür kannte er seinen Freund zu gut. Miles war äußerst pflichtbewusst und geradlinig, selbst in Cummings’ Fall würde er diesbezüglich keine Ausnahme machen.

»Okay. War nur so eine Idee«, lenkte er sofort ein. »Kannst du mir wenigstens versprechen, dir seine Akte nochmal vorzunehmen? Irgendetwas sagt mir, dass der Schlüssel zu ihm in seiner Vergangen-heit liegt und dass es mir helfen würde, ihn wenigstens ansatzweise zu verstehen.«

»Ich kenne die Akte zwar, aber ich werde sie mir nochmal gründlich ansehen«, versprach Miles. »Wie läuft es denn eigentlich?«

»Beschissen wäre noch geprahlt«, knurrte Woody ungehalten. »Er provoziert, wo er nur kann. Ich kann nicht behaupten, dass er alles abblockt, sonst hätte ich den Versuch, ihm zu helfen, auch schon abgebrochen. Aber ich habe den Eindruck, er geht lediglich zum Schein teilweise auf mich ein, um nicht sofort rausgeschmissen zu werden.«

»Hattest du etwas anderes erwartet?«, spottete Miles gutmütig. »Es war mir klar, dass er es dir nicht leicht machen wird. Aber wenn es einer schafft, ihn wieder in die Spur zu bekommen, dann bist du das, Woody.«

»Hmpf.« Woody schnaubte missmutig, stellte seine noch halbvolle Flasche auf dem Couchtisch ab und erhob sich. »Du hast mehr Vertrauen in meine Fähigkeiten, als ich selbst«, murmelte er vor sich hin.

Niedergeschlagen verabschiedete er sich von seinem Commander und suchte ein Stockwerk tiefer wieder sein eigenes Zimmer auf. Im Flur blieb er kurz stehen und schaute nachdenklich zu Cummings’ Zimmertür.

Oh Mann, was hatte Miles ihm da nur eingebrockt!

 

***

 

Nachdem Woody verschwunden war, wartete Miles einige Minuten, bevor er selbst sein Appartement verließ und im benachbarten Verwaltungsgebäude das Personalbüro ihrer Einheit aufsuchte. Es war nach 16 Uhr, daher hatte Trudi, die Sekretärin, bereits Feierabend, aber er und auch der Admiral besaßen einen Generalschlüssel zu den Räumen. Dennoch fand er entgegen seiner Erwartung die Bürotür nicht verschlossen, sondern lediglich angelehnt vor. Lautlos schlich er näher. Drinnen raschelte etwas, also war dort jemand, offenbar unerlaubt, zugange. Ein merkwürdiges Prickeln breitete sich, beginnend in seinem Nacken, in ihm aus. Ein warmes Kribbeln, das er nur zu gut kannte. Verflucht, das war doch …

Mit einem Ruck riss er die Tür auf und erkannte sofort den Mann, der sich gerade am mannhohen Panzerschrank zu schaffen machte.

»Cayden!«, rief er scharf.

»Hi mein Süßer!« Cayden drehte sich in aller Ruhe zu ihm um und sah ihm mit einem aufrichtigen und strahlenden Lächeln entgegen. Verdammter Mist, sein Mann hatte nicht einmal den Anstand, schuldbewusst zu wirken, wenn er erwischt wurde!

»Ich brauche wohl nicht fragen, was du hier machst?« Sauer verschränkte Miles die Arme vor der Brust.

»Kaffeepause?«, versuchte Cayden, zu scherzen.

»Spar dir das. Was willst du hier?«, wiederholte Miles angefressen. Klar, er kannte Cayden und seine unkonventionellen Methoden, aber das hier ging jetzt wirklich zu weit! Außer ihm und dem Admiral hatte niemand aus der Einheit Zugriff auf die Akten, auch nicht sein Mann als stellvertretender Commander.

»Den Panzerschrank knacken, um in Cummings’ Akte ein wenig herumzustöbern«, räumte Cayden auch sogleich freimütig ein. »Aber seit wann haben wir hier einen Tresta 5000 stehen? Fuck, die Dinger sind wirklich schwer aufzubekommen!«

Miles schnaubte genervt. »Das ist jetzt nicht dein Ernst, Cay. Irgendwann bringst du dich und mich noch mit deinen hirnrissigen Aktionen und der ständigen Überschreitung sämtlicher Regeln und Grenzen in Teufels Küche.«

»Es gibt Regeln und Grenzen, die zum Überschreiten da sind, wenn es die Umstände erfordern«, erwiderte Cayden ebenso ernst.

Missmutig grummelte Miles einen Fluch vor sich hin. In dem Punkt würden sie wohl immer unterschiedlicher Meinung sein. Nun gut, wenigstens wusste er jetzt, dass der neue Tresor wirklich seinen Zweck erfüllte, denn er kannte Caydens Geschick, die Dinger in Sekunden-schnelle zu knacken.

»Los, geh zur Seite und dreh dich gefälligst um, während ich den Code eingebe«, forderte er Cayden barsch auf und schob sich an ihm vorbei, um die gesicherte Stahltür des Aktenschrankes zu öffnen. Unerwartet wortlos kam Cayden seiner Aufforderung nach und trat von dem Tresor zurück. Miles tippte hastig die Kombination ein und drückte seinen Daumen auf das Display, damit sein Fingerabdruck gescannt werden konnte. Ein leises Klicken signalisierte ihm, dass sich die Tür entriegelte und er wollte sie schon öffnen, als er urplötzlich gegen den kalten Stahl gedrückt wurde. Fest presste sich Cayden an seinen Rücken.

»Cay …«, brachte Miles überrumpelt hervor.

»Scheiße, Miles, du bist so sexy, wenn du wütend bist«, raunte Cayden heiser. Sanfte Küsse landeten auf Miles’ Ohr, seinem Hals, seinem Nacken. Er spürte den keuchenden, warmen Atem seines Liebsten im Genick und dessen Hände, die fieberhaft über seine Seiten und seine Oberarme strichen.

Miles stöhnte unterdrückt. Verdammt, er hatte keine Chance, sich gegen diesen sinnlichen Übergriff zu wehren.

»Das ist sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz«, protestierte er halbherzig. Ein sanfter Biss in sein Genick ließ seine Knie einknicken, die ihm schlagartig weich wurden, aber Cayden drückte ihn umso härter gegen den Tresor und hielt ihn damit aufrecht.

»Zeig mich doch an, Commander Hollings«, knurrte Cayden leise. »Ich plädiere dann auf Notwehr. Kein Richter der Welt würde mich einbuchten, wenn er deinen heißen Arsch sieht … deine geilen Muskeln … oh Gott, Miles, du bist einfach perfekt.«

Cayden presste sich ruckartig an ihn und rieb sein Becken gegen seinen Hintern, um ihn spüren zu lassen, wie hart er bereits war. Das raue Stöhnen seines Wolfes brachte Miles fast um den Verstand. Fuck, er war seinem Mann in dieser Beziehung hilflos ausgeliefert, seine ohnehin kaum vorhandene Gegenwehr bröckelte mit jedem Kuss, der auf seiner Wange, seinem Hals oder in seinem Genick landete, mit jeder Berührung des harten Körpers an seinem. Unaufhaltsam stieg die Erregung in ihm an, sein Puls verdoppelte sich, sein Atem ging schwer und keuchend. Automatisch stemmte er die Hände gegen die Tür des Stahlschrankes, um mehr Halt zu finden, und schob Cayden seinen Hintern entgegen.

Das Klappern seiner Gürtelschnalle drang wie eine Alarmglocke zu ihm vor und er spürte, wie Cayden seine Hose öffnete und die Hand hineinschob.

Wie denn, was denn? Jetzt? Hier? Jederzeit konnte jemand herein-kommen! Zwar gingen sie als Gestaltwandler viel ungezwungener mit ihrer Sexualität um, als die normalen Menschen, weil sie sich einfach ihrer Instinkte und Triebe wesentlich deutlicher bewusst waren. Aber schließlich war er der Commander dieser Einheit und hatte eine gewisse Vorbildfunktion gegenüber seinen Männern.

»Cay …«, mahnte er leise und zuckte zusammen, als sein Harter mit festem Griff umfasst wurde. Unerträglich langsam strich Cayden an seinem pulsierenden Schwanz hinauf und verteilte den austretenden Lusttropfen mit dem Daumen auf der hochempfindlichen Eichel.

»Cay!« Sein Ruf, der eigentlich als Warnung gedacht war, klang selbst in seinen Ohren eher wie eine verzweifelte Bitte und er ahnte, dass Cayden hinter ihm schmunzelte.

»Soll ich aufhören? Es genügt ein einziges Wort von dir.«

»Nein!« Miles unterdrückte ein Stöhnen. Sein Blut zirkulierte derzeit eher an anderen Stellen, als in seinem Gehirn, was klares Denken erheblich erschwerte.

»Sag mir, was du willst, Commander«, forderte Cayden gespielt ruppig und knurrte dunkel.

Oh, das war so gemein! Sein Liebster schien genau zu spüren, welchen inneren Kampf Miles gerade ausfocht. In ihm stritt sein Verantwortungsbewusstsein mit seiner Lust. Letztere gewann haushoch.

»Ich will, dass du mich fickst«, flüsterte er verhalten.

»Wie war das? Ich habe dich nicht verstanden, Commander!« Cayden lachte unterdrückt.

Fest biss Miles die Zähne zusammen. Natürlich hatte der Mistkerl ihn sehr wohl verstanden. Oh Gott, sein Wolf liebte solche Spielchen! Immer wieder versuchte er, Miles zum Betteln zu bringen, ließ ihn gnadenlos seine Dominanz spüren, weil er genau wusste, wie sehr sich Miles zurücknahm, wenn sie zusammen waren.

Die Hand, die weiterhin träge seinen harten Schwanz rieb, das Gefühl des warmen Körpers in seinem Rücken zusammen mit der Befürchtung, dass jederzeit jemand hereinkommen konnte, machten ihn mittlerweile vollkommen wahnsinnig. Anders konnte er es sich nicht erklären, warum er das nicht unterbinden und Cayden Einhalt gebieten konnte.

»Du hast mich schon genau verstanden. Verdammt nochmal, jetzt fick mich endlich!«, blaffte er ihn ungeduldig an. Keine Frage, das Spiel mit der Dominanz, die bei ihnen beiden nahezu gleich stark ausgeprägt war, beherrschte er ebenso!

»Zu Befehl, Commander«, gab Cayden süffisant zurück. Mit einer Hand zerrte er die Hose von Miles’ Hüften, mit der anderen öffnete er seine eigene. Unbeherrscht stöhnte Miles auf, als er fühlte, wie Caydens Schwanz gegen seine Spalte drückte und die Lusttropfen umsichtig an seinem Eingang verteilte. Ohne nachzudenken, ging Miles ein paar Zentimeter in die Knie, um ihren Größenunterschied auszugleichen. Sie waren mittlerweile ein eingespieltes Team und er wusste, dass Cayden trotz ihrer Gier extrem vorsichtig sein würde, um ihm nicht unnötig weh zu tun.

Ohne Gleitgel würde es zwar eine eher harte Angelegenheit werden, aber genau das brauchte Miles jetzt. Gott, er sehnte sich so sehr nach seinem Mann, dass es kaum auszuhalten war. Schon merkte er, wie Cayden den Druck allmählich verstärkte und so behutsam wie möglich in ihn eindrang. Trotzdem schmerzte es, er spürte jeden einzelnen Zentimeter, als Cayden sein Inneres eroberte. Es brannte, aber gleichzeitig breitete sich eine Hitze in Miles aus, die ihn zu verbrennen drohte. Schweißperlen rannen an seinen Schläfen hinab und die Arme, mit denen er sich am Tresor abstützte, gaben nach und fingen an zu zittern.

Fest umfasste Cayden seine Hüften und zog ihn mit einem Ruck an sich, drang dadurch vollkommen in ihn ein. Im Gleichklang stöhnten sie auf. Das Gefühl, auf diese Weise vollständig miteinander ver-bunden zu sein, war unvergleichlich. Miles blendete alles um sich herum aus, all seine Sinne richteten sich auf seinen Mann, der schwer-atmend innehielt. Er fühlte Caydens Erregung, die ihn überflutete, sich mit seiner eigenen verband und sie beide sofort mit sich zu reißen drohte. Cayden sank mit der Stirn gegen seine Schulter und Miles hörte an dem keuchenden Atem, wie sehr sein Liebster gerade versuchte, die Beherrschung zu bewahren. Vehement drückte er sich Cayden entgegen.

»Jetzt«, bat er leise. Mehr Aufforderung brauchte es nicht. Mit einem heiseren Stöhnen stieß Cayden zu, legte beide Arme um Miles’ Oberkörper und presste sich fest an ihn. Obwohl er sonst stets rück-sichtsvoll und ein eher zärtlicher Liebhaber war, gab er jetzt Miles’ Drängen auf der Stelle nach und trieb ihn mit kurzen, harten und schnellen Stößen fast augenblicklich an den Rand der Klippe. Berauscht gab sich Miles der hochkochenden Lust hin, griff mit einer Hand nach seinem eigenen Schwanz, passte sich mühelos Caydens Takt an und ließ sich von ihm davontragen.

Schon spürte er, wie der Orgasmus sich ankündigte, wie sich das vertraute, elektrisierende Kribbeln an seiner Wirbelsäule bildete, an ihr hinab kroch und sich rasend schnell in ihm ausbreitete.

Dennoch war er von der Wucht überrascht, mit der die Lust ihn überflutete, sich ihren Weg bahnte und aus ihm herausbrach. Hemmungslos schrie er auf, wand sich in Caydens fester Umklamme-rung und ergoss sich in seiner Faust. Nur entfernt spürte er, wie sein Liebster sich tief in ihn presste und sich schubweise in ihm entlud.

Jetzt trugen ihn seine Beine nicht mehr, er sank zu Boden und riss Cayden mit sich, der ausgepumpt und nach Luft ringend neben ihm liegenblieb, ohne seine Umarmung zu lösen.

»Mann, das war krass«, murmelte Cayden erschöpft und rieb seine schweißnasse Stirn gegen Miles’ Oberarm.

»Hmmm.« Miles war sich nicht sicher, ob er schon in der Ver-fassung war, irgendwelche Worte artikulieren zu können. Himmel, jetzt waren sie bereits einige Wochen zusammen, aber im gleichen Maße, wie ihre Gefährtenbindung sich vertiefte, schienen sich Gefühle und Empfindungen zu potenzieren, wenn sie Sex hatten. Wobei bislang immer er derjenige gewesen war, der sich von Cayden hatte nehmen lassen. Im Grunde machte ihm das nichts aus, aber in diesem Augenblick fragte er sich unwillkürlich, ob auch Cayden eines Tages mal den passiven Part übernehmen würde.

Sein Freund stemmte sich nun auf seine Ellbogen hoch und küsste Miles nochmals zärtlich.

»Ich liebe dich, Miles, aber jetzt hast du mich gekonnt vergessen lassen, warum ich überhaupt hierher gekommen bin«, meinte er und grinste verschmitzt. »Komm, lass uns gemeinsam in Cummings’ Akte reinschauen. Vielleicht finden wir etwas, das Woody hilft.«

Bevor Miles widersprechen konnte, stand Cayden auf, richtete seine Klamotten und hielt ihm die Hand entgegen. Ergeben seufzte er, wischte sich die Hand am Hemd ab, schloss seine Hose und ließ sich von seinem Mann auf die Füße ziehen. Kurz sammelte er sich, strich seine Haare wieder einigermaßen ordentlich hinter die Ohren zurück und ignorierte geflissentlich die Spermaspuren, die auf seinen und Caydens Klamotten prangten. Auch an seinem Hintern wurde es ein wenig feucht, aber er hoffte, sich schnell waschen und umziehen zu können, bevor er jemand anderem über den Weg lief. Unmerklich schüttelte er den Kopf. Jeder andere würde wohl vermuten, dass Cayden ihn geschickt manipulierte, um an sein Ziel zu kommen, aber Miles wusste es besser. Das hatten sie beide nicht nötig und er ahnte, dass Cayden jetzt ohne weiteres Wort nachgeben und verschwinden würde, wenn er es von ihm verlangte. Allerdings vertraute er seinem Mann mehr als jedem anderen auf der Welt und nur gemeinsam ließen sich manche Probleme lösen. Vorschriften hin oder her, sie waren ein Team.

»Okay, schauen wir uns seine Akte an«, lenkte er dann ein. »Aber kein Ton zu den anderen. Muss keiner wissen, dass wir das gemeinsam gemacht haben.«

Cayden deutete mit einer Geste an, dass sein Mund versiegelt wäre. Nochmals küsste Miles ihn liebevoll, dann suchte er aus dem Schrank die Akte heraus und schlug sie auf dem kleinen Besprechungstisch des Büros auf.

»Ich habe sie, nachdem ich zum Commander befördert worden war, mal kurz überflogen, aber mir ist nichts Ungewöhnliches aufgefallen«, erklärte er seinem Freund, der neugierig den tabellarischen Lebenslauf las, der jeder Personalakte voranging.

»Hm, nein, nichts Auffälliges«, brummte Cayden. »Geboren und aufgewachsen in Kanada, dann hat er in Washington gelebt, bis er in die Army eintrat. Eltern bereits verstorben, keine Geschwister. Ausbildung zum Mechatroniker. Waffenspezialist und Nahkampf-experte.« Langsam blätterte Cayden weiter. Die nachfolgenden Seiten enthielten Aufzeichnungen über durchgeführte Gesundheitschecks, bisherige Kampfeinsätze, absolvierte Truppenübungen und Zusatz-ausbildungen.

Plötzlich stockte Cayden und tippte mit dem Zeigefinger auf eines der Zertifikate.

»Eine Taucherausbildung in Suffolk, Massachusetts, im April 2009? Na, das wüsste ich aber. Genau zu dem Zeitpunkt habe ich selbst das Quietscheenten-Diplom dort abgelegt, aber Cummings war damals nicht dabei!«

»Bist du dir sicher?« Verwirrt starrte Miles auf das Dokument, das von einem General Martin und einem Admiral Gerheim unterzeichnet war. Die beiden Namen sagten ihm nichts, aber das hatte nicht viel zu bedeuten. »Vielleicht war er in einer anderen Ausbildungseinheit?«

»Ich bin mir hundertprozentig sicher und es gab damals keine zweite Einheit. Wir waren nur zu fünft und die einzigen, die in diesem Monat dort ausgebildet worden sind.« Cayden schüttelte nachdenklich den Kopf und ging zum Aktenschrank, um seine eigene Akte hervorzusuchen. Unwillig knurrte er, als er sein Foto sah, das auf der ersten Seite prangte. »Ich hasse es, fotografiert zu werden!«

Miles lächelte still in sich hinein. Das hatte er gleich vermutet, als er Caydens Akten zum allerersten Mal aufgeschlagen hatte. Sein Gesichtsausdruck auf dem Foto wirkte dermaßen verbissen, als ob er den armen Fotografen am liebsten gleich in Stücke reißen würde.

Sein Mann suchte die Seite mit den entsprechenden Einträgen über seine Taucherausbildung und legte die Akte oberhalb von Cummings’ auf den Tisch.

»Merkwürdig«, brummte Miles, nachdem er beide Dokumente verglich. »Die beiden Urkunden sind ungewöhnlich gleich. Siehst du, was ich meine?«

»Hmm.« Cayden nickte zustimmend. »Jeder einzelne Buchstabe und selbst jeder markante Bogen der Unterschriften ist exakt genau so, wie auf meiner Bescheinigung. Wenn ich irgendwo unterschreibe, gleichen sich zwei Unterschriften niemals vollkommen. Jedenfalls nicht bis ins kleinste Detail. Gedruckt oder kopiert sind diese hier allerdings auch nicht, sie sind jeweils mit Kugelschreiber geschrieben worden.« Zweifelnd sah er zu Miles auf. »Ich meine, es kann vorkommen, dass eine Person zwei vollkommen identische Unterschriften hinbekommt – aber das gleichzeitig von zwei verschiedenen Männern? Davon abgesehen, dass die Daten nicht stimmen können, da Cummings nicht zeitgleich mit mir in Suffolk gewesen ist. Das wüsste ich!«

»Aber aus welchem Grund sollten die Daten gefaked sein?«, fragte Miles irritiert.

»Um irgendetwas zu verbergen, was er stattdessen gemacht hat oder wie er überhaupt hierher, zu den Wild Forces gekommen ist«, mutmaßte Cayden vorsichtig.

»Und nun? Was machen wir jetzt? Schließlich können wir nicht beweisen, dass diese Einträge in der Akte gefälscht sind!«, wandte Miles ein. »Geschweige denn, herauszufinden, von wem.«

Nachdenklich legte Cayden die Stirn in Falten. »Wir zwei können das wohl nicht – aber vielleicht Mitch? Manche Aufzeichnungen über Lehrgänge befinden sich auch im Computernetzwerk der Navy. Wenn dort ebenfalls Daten verändert worden sind, kann er es vielleicht nachvollziehen, von wem.«

Kurzentschlossen schnappte sich Miles einen Notizblock von Trudis Schreibtisch, zückte einen Kugelschreiber und schrieb einige markante Daten aus Cummings Akte ab. Dann riss er das Blatt aus dem Block, faltete es zusammen und verstaute es in seiner Hemdtasche.

»Okay. Setzen wir unser kleines Computergenie mal auf die Sache an. Da bin ich aber gespannt, was Mitch herausfindet!«

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Tag der Veröffentlichung: 08.04.2017

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