„Haaaatschiiee!“
Marc hatte es kommen gesehen, aber er war wieder einmal nicht schnell genug gewesen. Nicht, dass ein einfaches Taschentuch dem Niesen eines ausgewachsenen Löwenmannes hätte standhalten können. Nein, dafür hatte er sich bereits mit einem Berg kleiner Küchenhandtücher bewaffnet. Einfache Taschentücher wären dabei in tausend Fetzen gerissen worden.
Das Üble an dem Niesen seines Liebsten war nur, dass er nicht wie ein normaler Mensch den Kopf senkte, wenn es ihn überkam – nein, nach Löwenart schleuderte er dabei sein Haupt horizontal, von rechts nach links, und verteilte seine Monsterviren damit sicherlich durch den gesamten Raum. Marc wunderte sich bereits seit Tagen, warum er noch nicht krank geworden war. Um seine Abwehrkräfte musste es weitaus besser bestellt sein, als er vermutet hatte.
„Danke, Schatz“, keuchte Tajo und nahm ihm das dargereichte Handtuch ab, schneuzte sich kraftvoll und sank in die Kissen zurück. Er stöhnte verhalten. „Warum ich? Ich war doch noch nie erkältet!“
„Vielleicht hättest du nicht mit Jon im Schnee herumalbern sollen? Davon abgesehen, dass das dünne Fell dich nicht wirklich schützt – hast du dir überhaupt keine Gedanken darum gemacht, dass man dich hätte sehen können? Es war helllichter Tag!“ Marc konnte seinen Unmut über diese bescheuerte Aktion der Brüder nicht länger verbergen.
„Hey, das war nicht meine Idee! Jon hat angefangen...“, grummelte Tajo unwirsch. Seine Stimme klang noch immer heiser und ein trockener Husten würgte zum Glück die Litanei ab, mit der er sich bestimmt soeben über seinen kleinen Bruder beschweren und ihm die Schuld an seiner Erkältung zuschieben wollte.
Marc seufzte leise auf. Diese Diskussion, wer wen auf diese glorreiche Idee gebracht hatte, hatten sie in den vergangenen Tagen bereits mehrfach geführt, also beließ er es dabei, Tajo böse anzufunkeln und ihm damit seine Missachtung zu ihrem kindischen Verhalten zu demonstrieren.
Tajo schloss müde die Augen. Besorgt griff Marc zu seiner Stirn und prüfte die Temperatur. Noch immer fühlte sie sich etwas zu warm an, aber das Fieber schien verschwunden zu sein.
„Ich gehe in die Küche und besorge dir etwas Suppe“, flüsterte er. Sein Freund nickte lediglich, ohne die Augen wieder zu öffnen. Marc verließ auf leisen Sohlen das Zimmer.
In der Küche traf er Keyla, die gerade die Spülmaschine anschaltete. „Hi Keyla, ist noch etwas Suppe übrig?“
Die blonde Löwin drehte sich zu ihm um und lächelte ihm entgegen. „Kühlschrank“, erwiderte sie knapp. „Und wehe, du erzählst ihm wieder, es wäre Gänsefleisch in der Suppe – es ist bloß eine Hühnerbrühe und meinen Gänse-Lieblingen draußen auf dem Hof geht es hervorragend!“
Marc grinste verschlagen. „Ich wollte ihn bloß ein wenig aufmuntern! Die Vorstellung, dass eine deiner nervigen Gänse in der Suppe schwimmt, hat ihm gefallen. Ich musste sie ihm diesmal nicht wieder löffelweise eintrichtern!“
„Wenn du etwas Suppe warm machst, mache mir bitte gleich einen Teller mit! Ich hab´ einen tierischen Hunger!“ Jon betrat die Küche und brachte einen Schwall kalter Luft von draußen mit herein. Seine Wangen waren vor Kälte gerötet, aber seine Augen blitzten übermütig. „Na, wie geht es denn deinem Patienten heute morgen?“
„Frag´ lieber nicht“, brummte Marc und begann, zwei Teller mit der vorbereiteten Hühnersuppe zu füllen. „So wehleidig habe ich ihn noch nicht erlebt. Okay, er hat seit Tagen kein Fieber mehr und das Antibiotikum scheint gewirkt zu haben, daher sollte er eigentlich...“
„Maaaarc!“, erklang eine raue Stimme aus dem oberen Stockwerk. Marc seufzte leise auf, schob den Teller in die Mikrowelle und stellte sie auf die passende Zeit ein. „Ich komme!“, brüllte er zurück. Er wandte sich um und bat etwas leiser: „Keyla, würdest du bitte...?“
„Klar, ich bringe den Teller gleich hoch. Geh nur schon zu ihm“, meinte Keyla fürsorglich und nickte ihm mitleidig lächelnd zu.
Müde schlurfte Marc den Weg zurück zu ihrem Zimmer. Mann, er war fix und fertig. Seit Tagen rannte er diese blöde Treppe hinauf und wieder hinunter, holte Tee, Suppe, Bücher, DVDs, Medikamente, wieder Tee, die Zeitung, was anderes zum Essen …
Zu allem Übel war noch ein fieses Schnarchen hinzugekommen, das ihn die letzten Nächte hatte wachliegen lassen. Stundenlang hatte er versucht, trotz der Geräuschkulisse, die ihn an einen vorbeifahrenden Güterzug erinnerte, einzuschlafen. Wenn er in ein anderes Zimmer „auswandern“ würde, würde Tajo bestimmt nur wach werden und ihn suchen gehen.
Als er das Zimmer betrat, sah Tajo ihm bereits mit leidender Miene entgegen. „Da bist du ja endlich! Ständig lässt du mich hier allein.“ Ein trockenes Husten begleitete sein Gejammer. „Mein Rücken juckt so komisch. Schaust du bitte da mal nach?“ Er setzte sich ein wenig auf und zog sich das T-Shirt über den Kopf.
Marc verdrehte innerlich die Augen. „Nein, da ist nichts!“ Er ließ sich neben Tajo auf dem Bett nieder und strich mit der Hand zärtlich über den Rücken, der vollkommen glatt und ohne Pusteln war, sich dafür aber ein wenig klebrig und feucht anfühlte. „Vielleicht solltest du mal duschen gehen? Du bist einfach ein bisschen verschwitzt!“
Tajo stöhnte verhalten auf und sank in die Kissen zurück. „Ich glaube, das verschiebe ich auf morgen, das kann ich noch nicht.“
Mit einem unterdrückten Schnaufen stand Marc auf, um ein neues T-Shirt für ihn aus dem Schrank zu nehmen. „Nun gut, dann eben morgen.“ Er schaffte es kaum, den Frust und die Müdigkeit aus seiner Stimme heraus zu halten.
Die Tür öffnete sich leise und Keyla brachte ein Tablett mit dem Teller Suppe. In weiser Voraussicht hatte sie zudem ein paar Scheiben Toast, ein Glas frischen Holundertee und ein paar Tabletten mit dazu gepackt. Sie warf ihrem Bruder einen prüfenden Blick zu und stellte das Tablett auf dem kleinen Nachttisch ab. „Hier, iss die Suppe, solange sie warm ist. Marc, kommst du bitte kurz mit?“ Marc nickte und folgte ihr hinaus. Sie ließen den unwillig vor sich hin grummelnden Löwen allein und gingen wieder hinunter. Was mochte Keyla jetzt noch von ihm wollen? War es ihrer Meinung nach so schlimm um Tajo bestellt, dass sie vor ihrem Bruder nichts sagen wollte?
In der Küche angekommen deutete Keyla auf den gedeckten Küchentisch. „Hier, ich habe dir ein paar Schinkennudeln gemacht. Du musst etwas essen. Den ganzen Tag rennst du hier rum, bedienst ihn von hinten bis vorne und vergisst dabei, selbst etwas zu essen. Wann hast du dich eigentlich das letzte Mal rasiert? Du siehst echt schlimm aus!“
Verlegen strich sich Marc über sein Kinn. Bei manchen Männern mochten Bärte ganz gut aussehen, aber ihm stand das Gestrüpp im Gesicht wirklich nicht besonders. „Muss ein paar Tage her sein“, brummte er. „Aber du hast recht. Ich gehe gleich ins Bad und ich habe auch heute wirklich noch nichts gegessen.“ Mit einem leisen Seufzer setzte er sich an den Tisch und begann langsam, dann immer schneller, die leckeren Nudeln in sich hinein zu schaufeln.
„Hey, iss langsam“, mahnte Keyla, die sich ihm gegenüber gesetzt hatte und ihm ein Glas Orangensaft zuschob. „Er kommt ohne weiteres ein paar Minuten ohne dich aus!“
„Ich habe im Wald das einzig wahre Allheilmittel gefunden“, tönte hinter Marc eine Stimme von der Tür her. Er drehte sich um und starrte Jon überrascht an, der mit einem armdicken, etwa einen halben Meter langen Holzstamm in der Hand die Küche betrat.
„Was willst du damit?“, fragte er verwundert. Gleichzeitig war er sich sicher, dass er die Antwort eigentlich gar nicht wissen wollte.
„Na, ihm eine überbraten, was denn sonst?“, meinte Jon und lachte vergnügt. „Mensch, der verarscht uns doch nur!“ Mit einer nachdrücklichen Geste schlug er den Holzstamm auf seine flache Hand. „Seit Tagen hat er kein Fieber mehr und könnte längst wieder aufstehen. Meinst du nicht auch, dass er sich einfach gerne von dir bedienen lassen möchte? Der lässt doch total den Pascha raushängen!“
„Was soll ich denn machen?“, fragte Marc betrübt. Genau das hatte er ebenfalls bereits vermutet.
„Aufhören, ihm alles vor den Arsch zu tragen“, kam es von Keyla wie aus der Pistole geschossen zurück.
„Genau. Wirf ihn aus dem Bett und nimm ihm die Zeitung weg“, meinte Jon grinsend.
„Und die Fernbedienung. Absolutes Fernsehverbot“, fügte Keyla an.
„Lebertran in seine Hustentropfen“, spann Jon den Faden weiter.
„Liebesentzug“, sagte Keyla und lächelte verschlagen.
„Jaaaa, genau: Sexentzug!“ Jon lachte und schlug Marc unbedacht auf die Schulter, so das ihm sein Löffel aus der Hand flog und scheppernd auf dem Teller landete.
„Aua! Lass das!“, schrie Marc und rieb sich die schmerzende Schulter. „Du weißt genau, wie weh mir das tut!“
„Oh, entschuldige“, murmelte Jon und setzte tatsächlich eine bedrückte Miene auf. „Ich vergesse immer wieder, dass du ein Mensch bist.“ Er schmunzelte leise. „Du hast dich heute morgen breitschlagen lassen und ihm einen geblasen, stimmt´s? Das habe ich an dir riechen können!“
Marc fiel der Löffel, den gerade wieder aufgenommen hatte, erneut aus der Hand. Seine Ohren wurden heiß und er schnappte konsterniert nach Luft. Bestimmt hatte sein Gesicht nun die Farbe einer überreifen Tomate.
„Jon, lass das“, schalt Keyla ihren Bruder umgehend. „Hör auf, Marc ständig in Verlegenheit zu bringen. Als ob du wesentlich leiser...“
„Hört sofort auf! Beide!“ Marc fiel es verdammt schwer, die Beherrschung zu bewahren und nicht frustriert loszubrüllen. Das Einzige, was ihn davon abhielt, war, dass Tajo ihn bestimmt hören würde. Und sein neugieriger Löwe konnte verdammt hartnäckig sein, wenn er wissen wollte, was hier gerade vorging. „Also, was schlagt ihr vor?“, wagte er mit dünner Stimme zu fragen.
„Schlagen ist das richtige Stichwort“, brummte Jon leise. „Schlagen wir ihn mit seinen eigenen Waffen!“
Keyla grinste verstehend und Marc barg stöhnend den Kopf in seinen Händen. Wenn die zwei was ausheckten, bedeutete es normalerweise das absolute Chaos ….
***
Am nächsten Morgen, in aller Frühe, weckte ein ungewöhnliches Geräusch Marc aus seinem leichten Schlaf. Neben ihm drehte sich Tajo brummend in seinem Bett herum und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Nicht, ohne dabei den letzten Zipfel, den Marc noch für sich beanspruchte, völlig von seinem Körper zu ziehen. Fluchend schnappte er sich die Decke und eroberte mühsam ein Stück zurück. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Tür zu ihrem Zimmer aufgestoßen wurde und Keyla ein unförmiges, großes Ding hinein rollte.
„Guten Morgen!“, rief sie fröhlich, in einem lauten, fast singenden Tonfall, der Marc Zahnschmerzen verursachte. Sie zwinkerte ihm kurz zu und begann, das riesige Teil behände in ein Gästebett zu verwandeln.
„Was soll das denn?“, nuschelte Marc verschlafen und setzte sich auf. Tajo drehte sich ein wenig herum und lugte neugierig unter der Bettdecke hervor.
„Na, Jon ist jetzt ebenfalls krank. Tajo hat ihn angesteckt! Und damit ich nicht die ganze Zeit zwischen zwei Zimmern hin- und herlaufen muss, quartieren wir ihn einfach hier ein!“
Marc verdrehte die Augen. Ihr singender Tonfall hätte kaum auffälliger sein können.
Ein hustender und keuchender Jon stolperte hinter ihr ins Zimmer. „Bist du endlich fertig? Mann, ich muss mich sofort hinlegen, ich kotze gleich!“, rief er und stöhnte gequält auf.
„Oh nein, das kommt gar nicht infrage!“, grollte Tajo und setzte sich nun ebenfalls auf. „Verschwindet! Das ist unser Zimmer!“
Keyla packte in aller Seelenruhe den vor sich hin wimmernden Jon in das Gästebett, breitete eine Decke über ihn und wandte sich ihrem großen Bruder zu. „Tajo, wir müssen euch beide unter Quarantäne stellen. Das ist keine Erkältung, sondern ein grippaler Infekt. Und Marc muss sofort hier raus, sonst steckt er sich womöglich auch noch an!“
Sie wedelte aufgeregt mit der Hand. Marc starrte sie verblüfft an. „Los, raus hier!“, bekräftigte sie nun, griff nach Marcs Arm und zog ihn aus dem Bett heraus. „Ich komme gleich wieder!“, flötete sie und schubste Marc vor sich her, aus der Tür hinaus.
Als sie diese leise hinter sich geschlossen hatte, legte sie einen Finger auf ihre Lippen, zeigte zur Treppe hinunter und drückte Marc seinen Morgenmantel in die Hand, den sie wohl noch von seinem Haken an der Zimmertür mitgenommen hatte. In der Küche angekommen bemerkte Marc sofort den Duft von Kaffee und frisch gebackenen Brötchen. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, als er den opulent gedeckten Frühstückstisch entdeckte. Keyla schob ihn zu seinem Stuhl hinüber. „So, du wirst jetzt erst einmal ausgiebig frühstücken. Wir lassen die beiden jetzt eine Stunde allein.“
„Eine Stunde?“, wiederholte Marc zweifelnd. „Ich gebe ihm fünf Minuten, bevor er nach uns brüllt!“
Die junge Löwin zuckte mit den Schultern. „Na und? Wir lassen sie einfach brüllen! Jon hat das schon im Griff, glaube mir.“
Tatsächlich dauerte es ganze sieben Minuten, bevor ein wütendes „Keyyyylaaaa!“ von oben ertönte. Diese trankt in aller Ruhe ihren Kaffee aus und griff nach einem weiteren Brötchen.
„Keylaaaaaa! Komm sofort hierher!“ Der Tonfall seines Liebsten wurde langsam aber sicher eindeutig genervt.
Die Gerufene grinste Marc zu, erhob sich behäbig und wandte sich aber lediglich dem Herd zu, auf dem ein kleiner Topf stand. „Ich komme gleich!“, brüllte sie einfach zurück und rührte seelenruhig in dem Topf herum.
Marc beschlich eine leise Ahnung. „Hafergrütze?“, fragte er lächelnd.
Keyla nickte bloß. „Ohne Zucker, versteht sich“, meinte sie fröhlich, holte zwei Schüsseln aus dem Schrank und füllte sie mit dem grauen, unansehnlichen Brei, der so zäh war, dass er kaum von dem Löffel heruntertropfen wollte. Sie stellte beide Schüsseln auf das Tablett, suchte zwei Löffel heraus und nahm ein kleines braunes Fläschchen von der Anrichte. „Hustentropfen mit Lebertran“, erklärte sie Marc und kicherte.
Leise lachend sah er Keyla nach, als sie das Tablett aufnahm und sich auf den Weg zu ihren Brüdern machte. „Der Arme“, murmelte er und biss genussvoll in sein Brötchen.
Keyla drehte sich an der Tür nochmals zu ihm herum. „Keine Gnade. Kein Mitleid. Kein Bedauern. Das hat er verdient!“ Sie lachte nochmals und ließ ihn allein.
Marc lauschte einige Minuten angestrengt auf die Stimmen und Geräusche, die vom oberen Stockwerk zu ihm hinunter drangen. Dabei hätte er sich wirklich nicht anstrengen müssen. Das Brüllen eines Löwen und der zornige Ruf „Willst du mich vergiften?“ war wahrscheinlich von ihrem abseits gelegenen Hof bishin nach Kassel zu hören. Er zuckte ein wenig zusammen, als Keyla schrie: „Schwing sofort deinen haarigen Arsch wieder ins Bett! Du darfst noch nicht aufstehen!“
„Und wie ich das darf! Seit wann meinst du, mir etwas verbieten zu können? Jonathan, du baust sofort die Fernbedienung wieder zusammen! Die war vollkommen in Ordnung, bis du sie in den Fingern hattest! Das hier ist das reinste Irrenhaus!“, brüllte Tajo umgehend zurück. Merkwürdigerweise ohne ein einziges Mal dabei zu husten. Marc lächelte grimmig. Oh, das würde der Löwe büßen. Tagelang hatte er sich abgerackert und sich Sorgen gemacht, wie schlecht es seinem Liebsten gehen musste! Dabei hatte es sich Tajo einfach ein wenig gemütlich gemacht.
Hinter ihm polterten schwere Schritte die Treppe hinunter und Tajo stürzte aufgebracht in die Küche. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich etwas überzuziehen und hielt nun in T-Shirt und Boxershorts abrupt in der Mitte des Raumes inne. Marc sah aus den Augenwinkeln, wie sein Freund verblüfft auf den gedeckten Küchentisch glotzte. Ungerührt biss er nochmals in sein Brötchen und schenkte sich Kaffee nach, ohne seinen Mann zu beachten.
„Oh, du frühstückst?“, stieß der nun überrascht hervor.
„Nein. Ich mähe den Rasen“, knurrte Marc angesäuert und wandte sich ihm nun doch zu. Wütend starrte er seinen Freund an. „Nach was sieht es denn aus? Natürlich frühstücke ich!“
„Du bist sauer auf mich“, stellte Tajo nüchtern fest und zog sich einen Stuhl heran.
„Ach nee, du Blitzmerker!“ Marcs Stimme troff nur so vor Sarkasmus. „Wie lange wolltest du das Spiel mit mir noch durchziehen? Meinst du nicht, dass ich mir Sorgen um dich gemacht habe?“
„Es tut mir leid“, murmelte Tajo verlegen. Er holte sich eine Tasse aus dem Schrank, setzte sich zu ihm und schenkte sich Kaffee ein. Nachdenklich rührte er darin herum, obwohl er noch gar keine Milch hinein gegossen hatte.
„Ich glaube, mit einer einfachen Entschuldigung kommst du mir nicht davon. Was hast du dir dabei gedacht?“, hakte Marc unvermindert nach.
Tajo zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht genau. Vielleicht war das einfach ein so gutes Gefühl, dass sich jemand um mich sorgt. Sich um mich kümmert.“
„Als wäre das so etwas besonderes. Es dreht sich doch ständig alles nur um dich!“, herrschte Marc ihn an, keineswegs besänftigt.
„Ich bin nunmal ...“, setzte Tajo hastig an, aber Marc unterbrach ihn sofort.
„Ja, ja, ich weiß, ein Löwe. König der Tiere. Herrscher des Dschungels und der Savanne. Aber für mich bist du einfach der Mann, den ich liebe! Manchmal wünschte ich, du wärst nur ein Mensch!“, brüllte er aufgebracht und stand ruckartig auf, sodass sein Stuhl mit einem lauten Krachen umstürzte.
Der bestürzte Gesichtsausdruck seines Freundes traf ihn mitten ins Herz. Verdammt, das hatte er nicht sagen wollen! Als würde es ihn stören, dass zwei Seelen in Tajos Brust wohnten, die jede für sich einzigartig war und bei der mal die eine, mal die andere die Oberhand gewann.
Marc sackte ein wenig in sich zusammen. Nein, in Wirklichkeit war es genau das, was er am meisten an Tajo liebte, was einen großen Teil seines Wesens ausmachte: seine ursprünglichen Instinkte, seine Wildheit, seine unzähmbare Stärke und – seine Dominanz. Seine absolute Hingabe für die Familie, sein Rudel.
Langsam richtete er den umgestürzten Stuhl wieder auf. Tajo saß noch immer unbeweglich da und starrte ihn fassungslos an. Marc setzte sich wieder und griff mit beiden Händen zu Tajos Pranke, die noch immer die Kaffeetasse umklammerte. Behutsam zog er die Hand zu sich herüber.
„Entschuldige, das wollte ich nicht sagen“, begann er leise und sah Tajo fest in dessen goldbraune Augen. „Vor allem, weil das gar nicht wahr ist. Du weißt, dass ich dich so liebe, wie du bist. Und auch, was du bist.“
Marc sah, wie sein Freund hastig schluckte. Tajo räusperte sich kurz. „Nun ja. Ich denke, da steckte wohl doch ein Körnchen Wahrheit in dem, was du gesagt hast. Wünschst du dir das manchmal? Dass ich ganz normal wäre?“
Betroffen schüttelte Marc den Kopf. „Nein, nicht wirklich.“
Tajo strich mit seinen Fingern langsam über Marcs Handrücken. „Aber ein bisschen mehr Normalität wäre dir ganz recht, stimmt´s? Einen richtigen Job, in dem du gut bist, abends müde von der Arbeit kommst, dann ein wenig fernsehen und danach ins Bett gehen …“.
Marc lachte rau auf. „So, wie du das sagst, klingt das, als wäre es etwas schlechtes.“
„Nein.“ Tajo schüttelte vehement die lange Löwenmähne. „Nichts schlechtes, nur etwas, das hier, in dieser Familie, wohl nicht möglich sein wird.“ Tajo stand auf und zog Marc von seinem Stuhl hoch. „Ich habe dich vor genau sechs Monaten, vier Tagen und knapp 23 Stunden in eine Welt hinein katapultiert, die nicht die deine ist. Die du sofort akzeptiert und zu deiner eigenen gemacht hast, ohne nur ein einziges Mal die Fassung zu verlieren und entsetzt zu brüllen: 'Das gibt es doch gar nicht!' Das hatte ich zumindest immer geglaubt, dass jeder normale Mensch so reagiert. Bis ich dich getroffen habe.“
„Vielleicht bin ich ebenfalls nicht normal?“, meinte Marc leise und grinste schwach. Nachdenklich legte er seine Hand auf Tajos Wange und strich ihm eine Strähne seiner Löwenmähne hinter sein Ohr zurück. „Eigentlich hat erst von da an alles einen Sinn für mich ergeben. Das Leben hat auf einmal Sinn gemacht. Das Leben im Allgemeinen, in seiner naturgewollten und verrückten Gesamtheit. Und ich habe mich niemals so angekommen, so zuhause gefühlt, wie bei dir.“
Ein Lächeln umspielte Tajos Mundwinkel und er beugte sich zu ihm hinunter, um ihn zärtlich zu küssen. Marc erwiderte den Kuss, schlang seine Arme um Tajo herum und drückte sich fest an ihn. Augenblicklich wurde ihr Kuss stürmischer, leidenschaftlicher und Tajo stöhnte rau auf, als sich Marcs Becken auffordernd an ihm rieb.
„Zufall?“, hauchte er an Marcs Lippen.
Der verzog den Mund zu einem Grinsen, ohne den Kuss zu unterbrechen.
„Schicksal?“, raunte er zurück.
„Scheißegal“, knurrte Tajo, hob ihn mit einem sanften Ruck auf den Küchentresen und schob sich zwischen seine Beine.
***
Der Löwe in ihm brüllte triumphierend auf, als er seine Zähne in Marcs Halsbeuge grub und ihn eroberte. Nur am Rande bekam er mit, wie jemand hinter ihnen die Küchentür schloss.
***
Tag der Veröffentlichung: 12.07.2014
Alle Rechte vorbehalten