Lesehäppchen
2nd Edition
Love -Thrill - Fantasy
Leseproben aus den aktuellen Projekten von
Andrea Bielfeldt
Sina Müller
Tanja Neise
Pea Jung
Karina Reiß
Inhalt
Title Page
Zum Buch
Andrea Bielfeldt
EINS
ZWEI
DREI
VIER
Über die Autorin
Sina Müller
Kapitel 1 Lena & Noah
Über die Autorin
Tanja Neise
Prolog
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Über die Autorin
Pea Jung
Kapitel 1
Über die Autorin
Karina Reiß
Prolog
Tag 1
Tag 2
Tag 3
Über die Autorin
Impressum
Nachwort
Zum Buch
Unter dem Label Love Thrill Fantasy haben sich fünf Autorinnen zusammengetan, die in den benannten Genres veröffentlichen. Teils als Verlagsautoren, teils als verlagsunabhängige Selfpublisher.In diesem Buch sind Leseproben aus aktuellen Geschichten der Autorinnen enthalten:
Andrea Bielfeldt – REALIZE – Frühlingszauber
Sina Müller - Lena in Love – Sprich mit mir
Tanja Neise – Lost & Found in New York - Centerstarks
Pea Jung – Sand in den Haaren
Karina Reiss – Das 8.te Siegel
Am Ende jeder Geschichte befindet sich der Link zur Homepage sowie zur Facebookseite der Autorin, auf der Du Dich ausführlicher informieren kannst.
Wir wünschen Dir viel Spaß mit den Auszügen aus unseren Geschichten und freuen uns immer über ein Feedback dazu.
Besuche uns doch mal auf unserem Blog oder auf unserer Facebookseite
Alles Liebe
Love - Thrill - Fantasy
Lesehäppchen Eins
Andrea Bielfeldt
REALIZE Frühlingszauber
Erscheinungstermin Frühjahr 2017
Eins
LAURA
»Muss das sein?« Ich schnaube verächtlich in den Telefonhörer, den ich zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt habe, und rolle mit den Augen. Auf dem Weg durch den Flur strecke ich meiner Kopie im Spiegelbild die Zunge heraus. Ich bin leicht genervt.
Suse, meine ältere Schwester und zweitbeste Freundin, ist tatsächlich der Meinung, dass es für mich - mit meinen siebenundzwanzig Jahren - endlich an der Zeit ist, unter die Haube zu kommen. Doch ich sehe das ganz anders. Ich bin Single. Und das gerne. Na ja ... eigentlich hätte ich schon ganz gerne einen festen Freund, aber der, den ich schon seit Jahren will, will mich nicht. Zumindest nicht in einer festen Beziehung und schon gar nicht für die Ewigkeit. Ich akzeptiere das, auch, wenn es wehtut. Oft genug habe ich wegen ihm gelitten, aber irgendwie bin ich nicht glücklich, wenn ich nicht unglücklich sein kann. Verdrehte Welt, ich weiß. Und Suse weiß das auch.
Seit ich in Hamburg wohne, startet sie einen Verkupplungsversuch nach dem anderen, um mich endlich von meinen Gefühlen für Nick abzubringen. Doch bisher gingen alle diese Blind Dates schief. Warum wohl?
Anfangs fand ich es noch ganz amüsant, wie Suse sich für mich und die armen Männer ins Zeug gelegt hat, nur damit ich von diesem - wie sie Nick nennt - Chauvinisten loskomme. Mal war es der nette Kellner beim Italiener, der, beladen mit drei schweren Tellern voller Pasta, gleich über meine Tasche auf dem Boden gestolpert war, und von da an einen großen Bogen um mich machte. Das Lokal meide ich seitdem. Schade, das Essen dort war wirklich lecker.
Dann war es der neue Erzieher aus dem Kindergarten von Suses Tochter, der mit Vorliebe Cordhosen trug und sich mit mir über den Weltfrieden unterhalten wollte. Nichts gegen Weltfrieden, aber er war schon echt ne schräge Nummer. Nichts für mich.
Ganz oben auf der Liste stehen auch Kollegen ihres Mannes, die sie mir bei einem kleinen Empfang bei sich zu Hause nacheinander vorgestellt hatte. Doch solche Schlipsträger mit Stock im Hintern sind nun so gar nicht mein Fall, was Suse überhaupt nicht verstehen konnte, arbeite ich doch seit einem Jahr mit solchen Leuten zusammen. Eben.
In ihren Augen musste ich aus einer anderen Blutlinie stammen als sie. Nun ja, wenn man bedenkt, dass wir unterschiedliche Väter haben, macht das ja auch Sinn.
Suse ist schon zweiunddreißig und hat sich früh von zu Hause abgeseilt. Sie ist mit siebzehn zu ihrem Vater gezogen, was mich sehr getroffen hat. Aber trotzdem hat sie den Kontakt zu mir immer aufrecht gehalten, worüber ich sehr froh bin.
Sie ist seit drei Jahren glücklich verheiratet und hat eine bezaubernde dreijährige Tochter - die in den besagten Kindergarten geht -, lebt in einem geräumigen und luxuriösen Architektenhaus in der besten Gegend der Stadt und kann es sich auf Grund des Gehalts von ihrem Mann Rainer leisten, nicht mehr arbeiten gehen zu müssen. Bis zur Geburt von Marie hat sie in der Werbeagentur Strohtmann gearbeitet, in der ich nun seit einem Jahr beschäftigt bin. Als ich wegen Nick unbedingt aus Rendsburg wegwollte, hat sie bei ihrem ehemaligen Chef ein gutes Wort für mich eingelegt. So bin ich nach Hamburg gekommen. Nick allerdings auch ...
Mein eigener Vater hat ihn hierher versetzt. Er hat Nick, der seit einem Jahr als Pressesprecher bei ihm angestellt ist, die Leitung der Presseabteilung in seiner Hamburger Zweigstelle anvertraut. Und leider hat er ihn auch in eine seiner Mitarbeiter-Wohnungen hier ganz in der Nähe einquartiert. Vielleicht glaubt mein Vater, mir damit etwas Gutes zu tun, weiß er doch um meine Gefühle für Nick. Doch das mich das mehr durcheinanderbringt als beruhigt, ahnt er nicht. Eltern eben ...
Auch, wenn ich Suse manchmal um ihren Lebensstil beneide, bin ich doch stolz darauf, unabhängig zu sein, mein eigenes Geld zu verdienen und mich abends in meine eigenen vier Wände zurückziehen zu können. Wenn ich die Füße auf den Tisch legen will, dann tue ich das, ohne dass jemand meckert. Bin ich mal zu faul zum Aufräumen, störte das nur mich und sonst niemanden. Gebe ich zu viel Geld für Klamotten aus, muss ich mich nur vor mir selbst verantworten. Ich muss niemandem Rechenschaft ablegen und das ist in meinen Augen ein ganz großer Vorteil gegenüber dem Leben, das Suse führt. Die bekommt nämlich Haushaltsgeld und Taschengeld von Rainer eingeteilt. Davon zwar reichlich, aber es ist eben kein selbst verdientes Geld. Suse ist das egal, für mich aber macht genau das den Unterschied aus.
All das sind gute Gründe, weiterhin alleine zu bleiben, und die rufe ich mir immer dann wieder ins Gedächtnis, wenn die Einsamkeit mich zu übermannen droht. Das sind dann Momente, in denen ich mir wünsche, Nick wäre bei mir. Und manchmal, wenn ich ganz schwach bin, dann rufe ich ihn an. Nur, um ein paar Stunden Zweisamkeit mit ihm zu genießen. Auch, wenn ich weiß, dass es mir danach wieder ein paar Tage mies geht. Ich lerne einfach nichts aus meinen Fehlern. Aber so ist es wohl, wenn man sein Herz vergeben hat. Das fragt nämlich nicht danach, ob der Rest des Körpers mit seiner Wahl einverstanden ist.
Nick und ich kennen uns schon seit der Jugendzeit. Erst war er nur ein Fußballkollege meines damaligen Freundes, dann kam er mit meiner besten Freundin Hannah zusammen. Anfangs mochte ich ihn überhaupt nicht. Er war mir zu brav, zu langweilig. Der ewige Sunnyboy eben. Everybodys Darling. Das war nichts für mich. Ich mochte die verwegenen Typen, solche, die laute Rockmusik hörten, rauchten, tranken, Tattoos trugen und vielleicht sogar in einer Band spielten. Wie Momo. Momo ist Nicks Bruder.
Mit ihm hat sich im Laufe der Jahre eine wirklich tolle Freundschaft ergeben, allerdings auch erst, nachdem ich erkannt habe, dass er Hannah liebt. Und ich Nick.
Hannah und Momo haben es glücklicherweise endlich geschafft, ihre Hindernisse zu überwinden und eine Beziehung miteinander einzugehen. Das hat mich auch in dem Glauben bestärkt, dass Nick sich irgendwann auch zu mir bekennen wird. Doch mehr, als einige kurze Bettgeflüster sind bisher nie draus geworden. Und das, obwohl ich seit Jahren in ihn verliebt und nie wirklich von ihm losgekommen bin. Wir haben sowas wie eine WG miteinander. Eine Wohlfühlgemeinschaft, wie ich unser Techtelmechtel nenne.
Erst gestern habe ich Nick in meinem Bett gehabt und die ganze Wohnung riecht noch nach seinem Aftershave. Kurzerhand reiße ich die Fenster auf, um den Geruch und Nick somit - zumindest aus meiner Wohnung - zu vertreiben.
Und ausgerechnet nach diesem harten Tag ruft Suse mich an, um mir von dem neuen Kollegen ihres Mannes vorzuschwärmen. Er hat gerade einen Packen Unterlagen vorbeigebracht und sie mit seinem - wie sie es ausdrückt - hinreißendem Charme um den Finger gewickelt.
»Ach komm schon, Laura. Er wird dir gefallen.« Ich höre an ihrem Ton, dass sie sich bereits an dieser Idee festgebissen hat, und weiß genau, dass ich aus der Nummer nicht mehr herauskommen werde. »Er ist kultiviert, gut gebaut, hat noch dichtes Haar - was du bei Männern in dem Alter nicht mehr voraussetzen kannst - und außerdem hat er den überaus großen Vorteil, dass er ebenfalls Single ist. So wie du«, spielt sie ihren Trumpf aus. Ich stöhne erneut auf.
»Na und? Ach Suse, lass mich doch einfach mit deinen Kuppeleien in Ruhe, ja? Charmeur hin oder her. Du weißt genau, an wem mein Herz hängt.« Mir ist allerdings klar, dass ich mich mit diesen Worten auf eine Diskussion gefasst machen kann.
»Pah! Nick. Ja, das weiß ich wohl. Meinst du nicht, du wirst allmählich zu alt für die Kindergartengruppe, in der ihr beide miteinander spielt?«
»Suse, bitte!« Ich kann es nicht mehr hören. »Ich weiß selbst, dass er mir nicht guttut, aber Gefühle haben nun mal keinen An- und Ausschalter. Du solltest das ja wohl wissen!« Suse hatte ihren damaligen Freund für Rainer sitzen lassen, obwohl die beiden bereits in Hochzeitsplanungen waren. »Deine Worte. Erinnere dich«, werfe ich hinterher. Damit kriege ich sie.
»Ich bin ja schon still«, antwortet sie mir zerknirscht.
»Suse, sei nicht böse, aber ich bin alt genug. Und wenn ich unglücklich sein möchte, dann lass es mich bitte auch sein, ja?« Ich kann mir vorstellen, wie sie am anderen Ende der Leitung mit den Augen rollt und mich am liebsten schütteln würde, damit ich zur Besinnung komme.
»Okay. Ich halte mich daraus. Aber wegen Samstag ... Du willst doch auch den Abschluss deines Projektes feiern, oder? Rainer hat euch alle dazu eingeladen und du kommst auch. Ob du willst oder nicht. Punkt.« Meine Augen drehen eine genervte Extrarunde. Nur, weil Rainer einen seiner großen Kunden an mich verwiesen hat, sitze ich jetzt in der Falle. Das ist nicht fair.
Das Projekt, an dem ich seit Monaten sitze, dreht sich um die Firma Kollmans. Ein einflussreicher Kunde, den Rainer unserer Werbeagentur zugeschustert hat. Sollte der Fisch anbeißen, hätten wir alle nur Vorteile davon. Doch ob ich meinen Erfolg, den ich hoffentlich haben werde, wirklich mit einem fremden Mann feiern will, da bin ich mir gerade nicht so sicher. Auch, wenn er noch volles Haar hat. Das hat Nick nämlich auch. Doch Suse lässt die ältere Schwester raushängen und damit auch keine Widerworte gelten. »Und darüber möchte ich nicht mehr diskutieren.« Ich schnaufe still vor mich hin. »Samstagabend, zwanzig Uhr. Hier bei uns. Zum Essen. Ich erwarte dich.« Und noch bevor ich etwas dagegen einwenden kann, hat sie aufgelegt.
»Ich liebe meine Schwester, aber ...« Kopfschüttelnd stelle ich das Telefon zurück in die Station und gehe in die Küche.
Es ist ja nichts Neues für mich, dass Suse so energisch ist, was das »Laura-an-den-Mann-bringen« angeht, und eigentlich sollte ich diesbezüglich schon etwas abgestumpft sein. »Sie macht sich eben Sorgen um dich«, versuche ich, sie vor meiner Wut in Schutz zu nehmen. »Was ich angesichts dieser problematischen Beziehung zu Nick - die ja eigentlich keine ist - auch verstehen sollte. Schließlich ist sie es, die sich über Jahre hinweg mein Rumgeheule anhören durfte.« Deswegen, und weil ich ihr nichts abschlagen kann, weiß ich ganz genau, dass ich am Samstag, pünktlich um zwanzig Uhr, geschniegelt und gestriegelt vor ihrer Tür stehen werde, um einen weiteren Reinfall zu erleben. »Ein letztes Mal«, schwöre ich mir. »Und dann nie wieder!«
Mein Magen gibt ein erbärmliches Knurren von sich. Als ich die Kühlschranktür öffne, gähnt mir eine unendliche Leere entgegen. Außer einer gut gekühlten Flasche Weißwein, einem Stück Gouda und einer angebrochenen Packung Frischkäse starrt mich nur das Eis an, welches sich an der Rückwand des Schranks angesetzt hat.
»Auch das noch.« Ich motze in die Stille meiner Wohnung und durchbreche damit das laute Ticken der Wanduhr. »Aber wann, wenn nicht jetzt.« Kurzerhand stelle ich den Kühlschrank auf null, räume die mickrigen Lebensmittel heraus und beschließe, endlich mal einkaufen zu gehen, während der Eisschrank in Ruhe abtauen kann.
Seit dem neuen Auftrag und der damit verbundenen Arbeit komme ich kaum noch im Hellen nachhause. Und dann bin ich meist auch viel zu groggy, um mich noch mit dem Haushalt oder dem Einkaufen zu beschäftigen. Der Pizzalieferant ist in den letzten Wochen mein bester Freund geworden. Schade, dass er nicht meine Kragenweite ist. Er kennt mich mittlerweile besser, als ich mich selbst und hat mich schon in den unmöglichsten Aufzügen gesehen. In meiner ausgebeulten Lieblingsjogginghose, im Bürooutfit oder sogar im Pyjama. Das alles hat ihn nicht gestört. Er hat immer ein nettes Wort und ein charmantes Lächeln für mich übriggehabt, und wenn er mit einem saftigen Trinkgeld gegangen war, dann fühlte ich mich umso besser. Schade eben, dass er erst knapp zwanzig ist ... Damit hätte ich Suses Versuchen, mich unter die Haube zu bringen, ein Schnippchen schlagen können.
Außerdem kommen seitdem die gemeinsamen Abende mit meiner besten Freundin Hannah auch viel zu kurz. Das muss sich ändern, und ich hoffe wirklich darauf, den Auftrag endlich zum Abschluss zu bringen und dann auch wieder mehr Zeit zu haben.
Missmutig ziehe ich meinen Mantel über, schnappe mir den Schlüssel und meine Tasche und öffne die Tür.
»Ein Hoch auf lange Öffnungszeiten.«
Zwei
LAURA
So schnell ich kann, lege ich den Weg vom Auto in den Supermarkt zurück. Es gießt aus Kübeln und ein eisiger Wind fegt über den fast leeren Parkplatz. Hoffentlich kommt der Winter nicht noch einmal mit voller Wucht zurück. Ich hatte mich schon so auf den Frühling gefreut.
Da Suse mich am Telefon so lange aufgehalten hat, habe ich es nicht mehr geschafft, mich aus dem Bürooutfit zu befreien und mir etwas Alltagstauglicheres anzuziehen. So renne ich auf viel zu hohen Absätzen und in meinem viel zu engen Bleistiftrock und einem viel zu dünnen Mantel über den mit Rollsplitt bedeckten Parkplatz. Ein Blick auf meine Armbanduhr zeigte mir, dass ich noch eine knappe halbe Stunde Zeit zum Einkaufen habe. Ich muss mich also beeilen, wenn ich diesmal so richtig zuschlagen will, dass es für die nächsten Tage reicht.
Mein Magen knurrt und der Gedanke, an die leckeren Gerichte, die ich endlich mal kochen könnte, lassen mir bereits das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Ich schnappe mir einen Einkaufswagen und klappere Gang für Gang die Regale nach den geeigneten Zutaten ab. Als ich die Obst- und Gemüseabteilung betrete, fällt mir ihr ein Mann ins Auge, der durch das große Angebot von Frischwaren überfordert zu sein scheint. Ich muss grinsen, und während ich die saftigen Tomaten abwiege, beobachte ich, wie er scheinbar ratlos an den Ständen auf- und abwandert und seine Finger unschlüssig über die angepriesene Ware schweben lässt. Vermutlich ist er von seiner Frau losgeschickt worden, weil es der zu ungemütlich draußen ist. Armer Mann. Er tut mir fast ein bisschen leid und deswegen lächele ich ihm aufmunternd zu, als ich seinen verzweifelten Blick auffange, bevor er den Kopf wieder von mir ab- und dem Gemüse zuwendet.
Der könnte mir gefallen, denke ich und erschrecke über meine Gedanken. Sowas ist mir lange nicht passiert. Seit Jahren hat es kein anderer Mann in meine Gedanken- geschweige denn Gefühlswelt geschafft, als Nick. Nun ja ... einen Blick kann ich doch wohl riskieren, oder? Ich will ihn ja nicht gleich heiraten.
Heimlich beobachte ich ihn weiter. Ich schätze, dass er mich um gut einen Kopf überragen würde, was bei meiner Größe von einem Meter fünfundsechzig auch nicht weiter schwer ist. Er besitzt tatsächlich dichtes, dunkles, halblanges Haar, das allerdings mal wieder geschnitten werden müsste. Neben Jeans und einem lässigen Parka und trägt er ein sehr sympathisches Lächeln im Gesicht. Doch leider wendet er sich nach einem kurzen Techtelmechtel mit den Kartoffeln ab und schiebt von dannen, ohne einen weiteren Blick in meine Richtung zu verschwenden.
Vermutlich ist er sowieso verheiratet, hat drei Kinder und ein Reihenendhaus. Tja, die Männer mit vollem Haar sind eben alle schon vergeben. Ich muss lachen, als ich an Suses Worte denke, und mir eingestehen, dass dieser Mann mir tatsächlich einen zweiten Blick wert gewesen wäre.
Nachdem ich noch Unmengen an Paprika, Zucchini, Zwiebeln und Möhren für eine gehaltvolle Gemüsepfanne in meinen Einkaufswagen gelegt habe, schiebe ich weiter durch den leeren Supermarkt. »Ich sollte immer um diese Uhrzeit einkaufen gehen«, murmel ich und mache mich auf die Suche nach den Hygieneartikeln. Ich brauche dringend Toilettenpapier und Slipeinlagen.
Mein Blick schweift auf der Suche nach Mr. Unbekannt noch durch die Gänge. Ich biege ohne zu gucken schwungvoll um die nächste Ecke, als mein Fuß plötzlich unter mir wegrutscht. Eine kleine nasse Pfütze zieht mir buchstäblich die Schuhe aus. Ich glitsche weg und versuche mich auf einem Bein balancierend am Einkaufswagen festzuhalten. Doch der gibt - wie sollte es auch anderes sein - unter dem Schwung nach und rollt rasant unter meinem Fingern weg nach vorne. Es scheppert.
Ich rudere mit den Armen und dank des Regals kann ich einen Sturz gerade noch verhindern. Als ich aber ein gequältes Aufstöhnen höre, spähe ich vorsichtig um die Ecke. Erschrocken sehe ich die Bescherung, die ich vermeintlich angerichtet habe.
»Ach du schhhh ...«
Mein Einkaufswagen ist ausgerechnet Mr. Unbekannt direkt in die Hacken gefahren, wodurch dessen eigener Wagen mit ausreichend Schwung in den Stapel der ausgestellten Angebotsware gerast ist und den kunstvoll aufgebauten Turm aus Slipeinlagenverpackungen zusammenkrachen lassen hat.
»Ups.« In Sekundenschnelle schießt mir das Blut ins Gesicht und sofort suche ich im Anflug meiner kindlichen Naivität nach einer Lücke im Boden, die sich jetzt bitte auftun soll, damit ich darin verschwinden kann. Doch der blöde Fußboden tut mir diesen Gefallen natürlich nicht. Verräter. Stattdessen stehe ich nun dem Mann, der mir noch vor wenigen Minuten einen zweiten Blick wert gewesen wäre, gegenüber. Mit offenem Mund, nur einem Schuh am Fuß und dem anderen in der Hand. Einen erfolgreichen Flirt hatte ich mir auch anders vorgestellt.
»Wenn das kein Strike war ...«, krächze ich unbeholfen.
Langsam erwacht auch Mr. Unbekannt aus seiner Starre, in die er seit dem Einstürzen des Turms gefallen ist, und dreht sich zu mir herum. Ein Schmunzeln legt sich auf sein Gesicht.
»Gut getroffen«, sagt er mit einer Stimme, die mir einen Schauer über den Rücken laufen lässt. Dann reibt er sich die hintere Wade. Mein Blutkreislauf gerät in Rage und pumpt immer mehr der roten Flüssigkeit in meine Wangen. Gott, wie peinlich!
»Das ... das tut ... Das tut mir leid«, stammele ich. Hilflos hebe ich die Hände.
»Mir nicht«, sagt er nach einer gefühlten Ewigkeit und zwinkert mir zu. Ich zucke zusammen und vor Überraschung fällt mir der Schuh aus der Hand. Polternd landet er auf dem Boden.
»Oh nein.« Nun ist auch noch der Absatz abgebrochen. »Ich hätte zu Hause bleiben sollen«, bringe ich verlegen heraus, während ich in dem engen Rock alles andere als elegant in die Hocke gehe, um den Schuh in zwei Teilen aufzuheben. »Dann wäre das alles nicht passiert.«
»Das wäre aber schade gewesen.« Ich hebe ruckartig den Kopf.
»Bitte?«
»Dann hätten wir uns nicht getroffen ...« Flirtet er jetzt etwa mit mir? Ich spüre, wie ich noch unsicherer werde. Eigentlich bin ich nicht auf den Mund gefallen, aber die Offenheit meines - wohlgemerkt ansehnlichen Gegenübers - lässt in meinem Kopf eine gähnende Leere entstehen. »Und das wäre doch wirklich schade gewesen«, spricht er weiter. Ich nicke automatisch, denn ... irgendwie er hat ja recht.
Seine Finger zeigen auf meine Füße. »Haben Sie sich was getan?«
»Nein. Nein, alles gut. Ist nur ...« Ich hebe den Schuh in meiner Hand etwas an. »Nur kaputt.« Für diese Schuhe habe ich ein halbes Monatsgehalt ausgegeben.
»Okay.« Mr. Unbekannt löst den Blick, dreht sich um und nähert sich seinem Einkaufswagen. Diesen kurzen Moment nutze ich, um ihn von hinten zu betrachten. Auch seine knackige Kehrseite, die in verwaschenen Jeans steckt, gefällt mir außerordentlich gut. Knackiger, als Nicks, vergleiche ich sofort. Autsch! Laura, reiß dich zusammen. Beschämt senke ich den Kopf, und während ich unter meinem Pony versteckt einen weiteren Blick in seine Richtung riskiere, bete ich, dass er meine lüsternen Blicke nicht bemerkt hat.
»Dann wollen wir mal«, höre ich ihn sagen, was mich dazu bringt, meine Augen nun endgültig von ihm abzuwenden und mir das Chaos, das ich veranstaltet habe, genauer zu betrachten. Ich humpele auf einem Schuh näher. Quer über den Gang verteilt liegen die Jumbopakete mit Slipeinlagen aus dem Angebot und scheinen mich höhnisch anzugrinsen. Sicherlich werde ich davon keine Einzige mehr in meinen Einkaufswagen legen. Zumindest nicht heute.
»Das ist ja wie in einem schlechten Film«, bringe ich leise heraus, bevor ich mich zu Mr. Unbekannt hinunter knie und ihm helfe, die Kartons einzusammeln und neu zu stapeln.
»Das tut mir leid, ernsthaft. Sie ... sie müssen nicht ... Sie haben bestimmt Besseres zu tun. Das war ja ganz alleine meine Schuld. Lassen sie ruhig, ich mache das schon«, versuche ich, mein Missgeschick wieder gut zu machen. Aber er winkt ab.
»Nein, schon gut. Ich habe nichts Besseres vor.« In meinem Bauch kribbelt es angenehm, als er mich anlächelt. Dann hält er inne, richtet sich etwas auf und dreht sich zu mir herum. Er streckt mir seine Hand entgegen. »Wenn wir schon so vertraut zusammen auf dem Boden herumkrabbeln ... Ich bin Ryan.« Wie in Trance ergreife ich seine Hand.
»Laura.« Seine Finger fühlen sich angenehm warm und sein Händedruck sehr fest an. Nicht zu fest, sondern genau richtig. Ich ertappe mich dabei, wie ich verstohlen auf seine Hände sehe und nach einem Ring Ausschau halte. Kein Ring. Das macht mich noch nervöser. Was ist nur los mit mir?
»Laura? Ein schöner Name.« Seine Augen funkeln.
»Ähm ... danke. Eigentlich sollte ich Lena heißen, aber meine Mutter war nach der Geburt zu verwirrt. Und dann hieß ich Laura, hatte aber auf allen Klamotten den Namen Lena stehen.« Wie blöd bin ich eigentlich? Was muss er von mir denken? Ich suche wieder verstohlen nach der Bodenlücke.
»Lena ist auch schön, aber Laura noch schöner.« Ryan schmunzelt und ich sehe, wie sich zwei Grübchen in seine Wangen graben. Mein Herzschlag setzt kurz aus, bevor er sich kurz darauf wieder etwas über Normal einpendelt. Unbeholfen lasse ich meine Hand sinken, als er mich loslässt, und senke den Blick zu Boden. Mit ungelenken Bewegungen krabbele ich in meinem engen Rock über den schmutzigen Fußboden des Supermarktes, um auch die verstreuten Verpackungen einzusammeln, die unter das Regal gerutscht sind. Ich versuche, mich und mein Herzrasen in den Griff zu bekommen.
»Wir müssen schon ein komisches Bild abgeben«, höre ich ihn unter Lachen sagen.
»Ja, in der Tat«, erwidere ich über die Schulter hinweg und kann bei seinem Anblick nicht mehr an mich halten. Ryan kniet mitten in einem Berg Slipeinlagen, hält eine Packung hoch und lächelt, als wäre er das neue Werbegesicht 2017 für diese Dinger. Ein albernes Kichern bricht aus mir heraus.
»Du weißt schon, dass du ziemlich ... verboten damit aussiehst, oder?«, platze ich heraus. Ryan runzelt die Stirn.
»Mit anderen Worten: Es steht mir nicht?« Er verzieht die Mundwinkel nach unten.
»Nein, um Gottes willen. Es steht dir fantastisch. Du solltest immer in bis zwei Packungen davon mit dir herumschleppen. Das macht bestimmt Eindruck.« Zufrieden nickt er.
»Ich denke schon ernsthaft darüber nach, ob ich nicht ein oder vielleicht besser zwei Pakete davon kaufe, wenn wir hier fertig sind.«
»Die hast du dir dann auf jeden Fall verdient.« Ich möchte mich wegschmeißen vor Lachen und gemeinsam kichern wir wie zwei durchgeknallte Teenies. Wir müssen ein merkwürdiges Bild miteinander abgeben, aber ich kann nicht anders, als weiterzulachen. Doch nach einem Blick über Ryans Schulter erstarre ich jäh.
Ich traue meinen Augen kaum, als ich Nick am Ende des Ganges stehen sehe. Er sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich kann sehen, wie es in seinem Gehirn rattert und er sich fragt, ob er gerade eine Halluzination hat.
»Äh ... Hallo, Nick«, bringe ich mit rauer Kehle heraus. Ryan schaut ebenfalls in seine Richtung, dann zu mir und wendet sich ohne eine Miene zu verziehen wieder den verstreuten Slipeinlagen zu.
»Was um alles in der Welt machst du da?« Nick entgleiten alle Gesichtszüge, und sein Blick schwenkt abwechselnd zwischen mir, Ryan und den verstreuten Pakten voller Slipeinlagen hin und her. Ich zucke mit den Schultern. Jetzt nur cool bleiben, auch, wenn mein Herz rast, wie ein ICE auf freier Strecke.
»Mein Taschengeld aufbessern«, gebe ich zurück, darauf hoffend, dass er das Zittern in meiner Stimme nicht bemerkt. Seine Miene ist regungslos.
»Und ihm gibst du die Hälfte ab?«
»Wir können auch durch drei teilen. Es ist ja noch genug zu tun.« Verlegen zeige ich auf die Kartons neben mir. Seine Miene verdunkelt sich.
»Nee, lass mal. Viel Erfolg noch.« Er nickt in Ryans Richtung und ich kann mir denken, was er damit meint. Dann dreht er sich um und verschwindet im nächsten Gang. Mein Puls beruhigt sich langsam wieder.
Vielleicht ist es ganz gut, dass er mich mal mit einem anderen Mann zusammen sieht. Auch, wenn der Anblick, den wir abgeben, nicht unbedingt vorteilhaft ist. Er soll ruhig sehen, dass ich nicht zu Hause sitze und nur auf ihn warte. Dass ich das im Normalfall mache, weiß er ja nicht.
»Bekommst du jetzt Ärger?« Ryan hält inne und sieht mich zerknirscht an. Ich schüttele schnell den Kopf.
»Nein, quatsch. Ist nur ... jemand, den ich kenne.«
»Okay.« Damit lässt er es auf sich beruhen und ich bin froh, keine weiteren Erklärungen abgeben zu müssen. Nicks Auftauchen hat mich nämlich ziemlich aus der Fassung gebracht. Schweigend widme ich mich wieder den Packungen auf dem Boden. Bis mein Blick erneut hochfährt.
Ein Angestellter mit grauem Kittel kommt mit energischen Schritten auf uns zu. Seine Miene verheißt nichts Gutes, und ich möchte mich am liebsten ganz klein machen, um mich unter dem Regal zu verstecken. Doch genauso wenig, wie sich vor einigen Minuten der Boden unter mir aufgetan hat, schrumpfe ich nun auf ein Minimum oder werde gar unsichtbar.
»He, Sie da! Was machen Sie denn da?« Fassungslosigkeit spricht aus seiner Stimme, und als ich mich traue, noch einmal hinzusehen, schlägt er gerade die Hände über dem Kopf zusammen.
»Wir haben fast alles wieder aufgeräumt«, stammele ich und richte meinen Finger auf den halbfertig aufgestapelten Turm.
»Das hier«, der Mitarbeiter zeigt auf ihr Kunstwerk, was keines ist, »erinnert mich eher an den Schiefen Turm von Pisa.« Er schnaubt entrüstet. »Eine Frechheit ist das. Und das zum Feierabend.«
»Na, entschuldigen Sie mal«, bringt Ryan heraus. »So schlimm ist das nun auch wieder nicht.« Mit ernster Miene sieht er auf. »Geben Sie uns ein paar Minuten, dann haben wir hier ganze Arbeit geleistet. Zumal der Fußboden nun wieder schön sauber ist.« Er klopft mit einer Hand auf seine Jeans, die an den Knien bereits starr vor Dreck ist. »Sehen sie, wie gut das geht.« Er balanciert drei der pinkfarbenden Packungen übereinander und versucht, sie auf den bereits wackeligen Stapel vor sich zu setzen. Als er seine Hände fortzieht, kracht alles, was wir bisher aufeinandergestapelt haben, wieder zusammen. »Ups.« Erschrocken zieht Ryan sich zurück.
Mir entfleucht ein lautes Lachen, bevor ich mir schnell die Hand auf den Mund schlage. Das bringt mir einen verkniffenen Blick des Angestellten und ein schelmisches Zwinkern von Ryan ein.
»Nein. Das stimmt. Es ist ... es ist ... es ist Schlimmer. Fassen Sie ja nichts mehr an.« Er greift nach seinem Haustelefon und tippt wild darauf herum. Ryan steht langsam auf. »Ja, Waldorf hier. Schick mal die Julia in die Hygieneabteilung. Hier haben ein paar ...« Er wirft uns einen abschätzigen Blick zu. »... verrückt Gewordene gewütet, wie es scheint.« Ich höre Ryan schnauben. Er klopft sich den Dreck von den Jeans, was jedoch vergebene Mühe ist. Zwei dunkle Pfützen machen sich auf seinen Knien breit. Ich ahne, dass ich nicht besser aussehe, und spüre,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Andrea Bielfeldt, Sina Müller, Tanja Neise, Pea Jung, Karina Reiß
Bildmaterialien: Andrea Bielfeldt
Tag der Veröffentlichung: 28.09.2016
ISBN: 978-3-7396-7605-0
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für unsere nimmersatten Leser!
Möge euer Hunger niemals vergehen.
Danke und guten Appetit.