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Prolog

Der Wüstensand peitschte ihm in einer messerscharfen Windböe entgegen und erneut fragte er sich, warum er es auf sich genommen hatte, diese Reise zu unternehmen. Ein letzter Abstecher, hatte er sich gesagt, dann würde er zurückkommen. Zurück in die zärtliche Umarmung seiner Heimatstadt Rakura, die nun, wo er mehr von der Welt gesehen hatte, so winzig wirkte. Er musste lächeln. Wenn er zurück kam würde er einiges zu erzählen haben. Er hatte die großen Statuen von Rath gesehen, hatte mit Wüstenhändlern aus Zhanda gefeilscht. Ja, selbst die verfluchte und tote Stadt Izalith hatte er gesehen. Genauso, wie er ihre Einwohner gesehen hatte. Er schluckte. Es handelten sich dabei um Bestien, die mehr aus schwarzem Rauch bestanden, als aus Fleisch und Blut, trotzdem waren sie brutal und lechzten nach Blut. Aber er bereute es nicht diese Reise unternommen zu haben.
Das sengende Licht der Wüstensonne brannte auf seinem Kopf, den er mit einem provisorischen Turban vor der vollen Belastung schützte. Ein letztes Ziel noch. Ein letztes Ziel auf seinem Weg, ehe er zurück in die Stadt reisen würde, aus der er einst floh. Nicht, dass er vor dem Gesetz geflohen war oder ähnliches. Nein. Er war aus der Stadt geflohen, weil er es nicht mehr ertragen hatte. Er hatte es nicht mehr ertragen im Schatten seines älteren Bruders zu leben. Rakuras Politik war ebenso einfach wie unfair. Die Stadt wurde von einem König und seinen sieben Generälen beherrscht, die alle pflichtgetreu Schüler unterrichteten. Sein Vater war einer dieser Generäle, sein Bruder und er seine Schüler.
Es hätte ihn nicht gestört, wenn er wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt wurde, weil er lediglich der zweitgeborene Sohn seines Vaters war, doch er konnte es nicht ertragen, dass die Taten und Fortschritte seines älteren Bruders immer im Rampenlicht standen und das obwohl er, der zweitgeborene, von beiden der fähigere Klingenmeister gewesen war.
Er stöhnte. Seine Kehle war staubtrocken und er biss die Zähne aufeinander. Sein Bruder war der geliebte gewesen, während er der Klotz am Bein war. Alles nicht schlimm. Er liebte seinen großen Bruder, doch der Bastard bekam einfach alles was er wollte und dies ließ den Keim der Eifersucht auch in seiner Brust wachsen.
Den Ausschlag für seine Flucht hatte die Hochzeit seines Bruders gegeben, der als Erbe der Familie die Liebe seines Lebens ehelichte. Die Liebe seines Lebens. Er hatte nicht das Recht sie ihm einfach weg zu nehmen, doch bevor einer der beiden sich vor ihm rechtfertigen konnten, hatte er gepackt und war gegangen. Es hatte ihn nichts mehr in der Stadt seiner Geburt gehalten. Zwei Jahre war es nun her. Er stieß den Atem aus. Sein Bruder und seine jetzige Schwägerin hatten sicherlich bereits Nachwuchs bekommen. Es schmerzte in seiner Brust, doch der Schmerz war dumpf und leidenschaftslos im Vergleich zu damals. Er hatte in den zwei Jahren dazu gelernt. Hatte weitere Menschen kennen gelernt, Verrat und Mord gesehen, puren Hass unter Geschwistern gesehen und dessen Folgen miterlebt.
Ausgerechnet in der verfluchten Stadt Izalith hatte er eine Frau kennen gelernt, die ihm gezeigt hatte, dass das Leben weiter ging. Sie hatte ihm gezeigt, dass alles, was er bereits erlebt hatte keine Rolle spielte. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen und erneut spielte er mit dem Gedanken sie einfach auf dem Rückweg mit sich zu nehmen. Sie, die ihm das nächste Ziel seiner Reise eher unfreiwillig genannt hatte. Das finale Ziel. Eine Stadt, die verborgen in den Tiefen der Erde lag. Geschützt vor den sengenden Winden und den unbarmherzigen Temperaturen der Wüste. Diese eine Stadt würde er noch besuchen und dann würde er in seine Heimat zurückkehren. Er würde als gemachter Mann zurückkehren, als Held. Er würde seinem Bruder und seiner Frau gegenüber treten und ihnen zu ihrer Hochzeit gratulieren, dann würde er zum ersten Mal seinen Neffen oder vielleicht seine Nichte in den Armen halten und letztendlich würde er seinen Vater besuchen und dem alten Griesgram einen harten Kinnhaken verpassen, den er sich mehr als nur verdient hatte. Nur noch dieser eine Punkt auf seiner Liste. Die Stadt Greypit. Die Stadt, die außerhalb der Aschewüste nicht einmal als Legende existierte. Eine Stadt in denen die gefürchteten schwarzen Künste der Magie nicht nur existierten, sondern tägliche Anwendung fanden.
Als geborener Angehöriger des Adels der Stadt Rakura, schüttelte er sich, bei dem Gedanken an Tote, die mit leerem Blick die Arbeit von Menschen vollbrachten. Doch je mehr er darüber nachdachte, fand er an der reinen Art der Magie weder etwas falsches, noch verwerfliches. Solange man den Seelen der Toten ihren Eintritt in die Gefilde der Götter nicht verwehrte und die Totenbeschwörer zu Lebzeiten die Erlaubnis des Verstorbenen einholten. Jedoch blieb ein dumpfes Gefühl des Missfallens in seinem Hinterkopf zurück, als er darüber nachdachte. Das Gedankenjoch der Religion abzuschütteln war nicht so einfach, wie er immer geglaubt hatte. Er hatte gelernt, dass es viele Arten des Glaubens gab. Genug Arten um ganze Bücher damit zu füllen, die seine „Glaubensbrüder“ fein säuberlich stapeln und dann lachend und tanzend verbrennen würden.
Das Licht der Sonne brach sich in der Ferne an scharfen, grauen Felsen. Der letzte Punkt den Edessa, seine gute Freundin aus Izalith, ihm beschrieben hatte. Immer wieder hatte sie ihn darum gebeten einfach bei ihr zu bleiben oder nach Hause zurück zu kehren. Sie hatte ihm immer wieder beschworen die Stadt nicht zu besuchen, doch er würde sich nicht daran halten. Er war der verstoßene Sohn, der geliebte und zugleich gehasste Bruder. Er war ein Held in Ländern, die seiner Heimat fern waren. Er würde nicht brechen. Weder sein Wille noch sein Körper. Er würde alles überleben, was diese Stadt ihm entgegen schleudern würde und als gestählter Mann aus der grauen Schlucht empor steigen. Er hatte die Ruinen von Izalith überlebt, also würde die Stadt Greypit kein Hindernis für ihn darstellen. Ein letzter Beweis seiner Fähigkeiten und seines Heldenmuts. Nichts weiter. Er würde jede Prüfung bestehen. Er war Keiran Feuerklinge.
Was für ein Narr er doch war.  

    

 

Kapitel 1

 

(Greypit, die Unterirdische Stadt – Zweiter Tag der Himmelswende Jahr 149 n. W.)


Raigan atmete tief. Unter ihm knackte es unangenehm. Der alte Dachbalken war nicht das sicherste Versteck. Seine Augen hatten sich bereits lange an die Dunkelheit gewöhnt und er konnte schemenhaft erkennen, was unter ihm vor sich ging. Zwei Knochendiener liefen klappernd unter ihm hinweg und trugen dabei schwere Kisten. Er schluckte. Knochendiener waren kein Problem, man musste nur warten bis sie ihre Aufgaben erledigt hatten. Natürlich konnte das lange dauern, denn letztendlich verfügten diese Kreaturen über eine nahezu unerschöpfliche Ausdauer, wenn es ums Arbeiten ging.
Von nekromantischer Magie getränkt bewegten sich die Knochen wie grazile Tänzer. Nicht so schwerfällig, wie man es ihnen zutrauen würde. Gut war, dass die Knochendiener die Intelligenz einer ausgebrannten Kerze besaßen und von Nekromanten gelenkt werden mussten um ihre Arbeit tatsächlich verrichten zu können. Raigans Augen erblickten das Wappen, was auf die Kisten gezeichnet worden war und biss nervös die Zähne aufeinander. Das rote Emblem zeigte eine Spinne, ein Symbol, was jedem Dieb und jedem Menschen in dieser verfluchten Stadt mahnte besser die Finger von den Waren zu lassen. Jedenfalls, wenn ihnen ihr Leben lieb war. Jiro, sein Gefährte, warf einen schnellen Blick zu Raigan.
„Hey du Feigling… Alles okay?“, fragte Jiro und Raigan schüttelte den Kopf. Der vier Jahre ältere Junge konnte ihn einen Feigling nennen wie er wollte, doch das machte das Ganze nicht zu einer besseren Idee.
„Wir sollten von hier verschwinden.“, erklärte der Zehnjährige kleine Dieb und Jiro blickte ihn entgeistert an.
 „Kneifst du jetzt, du Hosenscheißer? Man, es sind nur Knochendiener, wenn die weg sind können wir uns hier nach Belieben bedienen.“, zischte Jiro und fasste Raigan finster blickend ins Auge.
 „Hältst du es wirklich für eine gute Idee, die Spinne auszurauben? Die werden uns umbringen.“, erklärte Raigan und Jiro schnaubte.
„Ich erkläre es dir nochmal… Ich bin älter als du, also habe ich Recht. Draußen warten Sika und Malik, die helfen uns, wenn die Knochendiener ihren Dienst verrichtet haben. Das ganze Ding ist totsicher. Also hör auf dir in die Hose zu scheißen, Kleiner.“, stieß Jiro hervor und Raigan hob trotzig den Blick, doch als er die Augen des Jungen sah blieben ihm die Worte im Hals stecken. Diese Augen drückten nicht nur Wut aus, sondern auch Hunger. Den gleichen Hunger, den Raigan selbst empfand und dem er nicht zu entkommen vermochte. Seine Hand schloss sich um die geschärfte und angespitzte Stahlscherbe, die er immer mit sich trug.
Gegen Knochendiener würde er damit nichts ausrichten können und auch im Kampf gegen einen Menschen würde ihn die Stahlscherbe nicht viel weiter bringen, aber irgendwie fühlte er sich in diesem Moment, in dem er das alte Stück Metall umfasste, mutiger und stärker.
„Du hast doch Hunger, oder?“, fragte Jiro und Raigan schnaubte. War klar, dass der ältere Junge diese Karte spielte. Das tat er schon, seit sie sich kannten, doch letztendlich wussten beide, dass er ihn damit hatte. Er biss die Zähne zusammen, warf dem älteren Jungen einen finsteren Blick zu, nickte dann aber verkniffen und zog die Stirn graus. Jiro grinste und er konnte sein sommersprossiges, bleiches Gesicht genau betrachten. Von draußen erklang ein Rumpeln, als die Tür erneut aufgerissen wurde und wieder ein Knochendiener in das kleine Lagerhaus tänzelte. Klappernd schritten die knöchernen Füße des Dieners über den kalten Steinboden und Raigan ertappte sich dabei, wie er den Atem anhielt. Er hatte keine Angst davor, dass Knochendiener sie entdeckten.
 Die Nekromanten, welche die Knochendiener lenkten konzentrierten sich normalerweise nur darauf das Skelett von A nach B zu bewegen, dabei konnten sie nicht auf gehobene Sinne wie Geruchs-, Tast-, Gehör- oder den Sehsinn zugreifen. Wie auch. Knochendiener hatten keine Augen, die sehen konnten, keine Ohren mit denen sie hören konnten und auch keine Nase mit der sie riechen konnten. Und auch, wenn Raigan keine direkte Furcht verspürte ließ es ihn jedes Mal den Atem anhalten, wenn sich eines dieser Geschöpfe in seiner Nähe bewegte. Die Energie, die von dem Knochendiener ausging löste in ihm eine tief sitzende Übelkeit aus, die ihn ziemlich störte. Nachdem der Knochendiener die Kiste abgestellt hatte schritt er zu einer der kalten Steinwände, kniete sich hin und ließ den Kopf nach unten hängen.
Die Hände hatte die Gestalt auf den Boden gestützt, als wäre sie im Begriff sich vor jemanden zu verbeugen, doch das geisterhafte rote Flackern in den Augenhöhlen des Skeletts war erloschen. Der Nekromant hatte seinen Dienst verrichtet und sein Bewusstsein aus dem knöchernen Sklaven zurückgezogen.
 „Siehst du, du kleiner Schisser? Ich hatte recht. Der Diener ist weg und wir haben genug Zeit, um uns die Taschen zu füllen.“, stieß Jiro mit gewohntem Tonfall hervor und sprang vom Dachbalken. Auf dem Boden rollte er sich geschickt ab und grinste herausfordernd zu Raigan hinauf. Er wusste ganz genau, dass Raigan nicht so kunstvoll zu ihm stoßen konnte, wie er es gerade vor gemacht hatte und er wollte ihn dazu provozieren, dass er es versuchte. Raigan war nicht dumm genug um es zu versuchen, also ließ er sich vom Dachbalken fallen, wobei er den Holzvorsprung mit beiden Händen umklammert hielt und sich erst fallen ließ, als er sich sicher war, dass der Boden nicht mehr weit von ihm entfernt war. Der Fall sandte eine leichte Welle des Schmerzes durch seine Füße, doch mit einem Lächeln fing er Jiros Blick ein, der genau zeigte, wie sehr er es missbilligte, dass Raigan ihm nicht nacheiferte.
„Du bist so langweilig, du Schisser…“, seufzte der Junge und Raigan zuckte trotzig mit den Schultern. „Los, lass uns alles zusammen packen und hier verschwinden.“, brachte Jiro genervt hervor und schüttelte einen Sack aus, den er zusammen gefaltet in der ausgeleierten Tasche getragen hatte. Er sah sich um und grinste, als er eines der Stemmeisen erblickte, die an der Wand lehnten. Ohne nachzudenken ergriff er es und begann damit eine der Kisten, die mit dem roten Spinnenemblem bemalt waren, aufzustemmen. Raigan schluckte, während Jiro grinsend sein Gewicht auf die Stange verlagerte und dabei zusah, wie die langen Nägel sich aus dem Holz zogen.
„Hältst du das wirklich für eine gute Idee?“, fragte Raigan erneut, der nicht so ganz glauben konnte, dass jemand so dumm sein konnte, die Spinne auszurauben.
 „Raigan… Du bist nur dabei, weil meine Schwester widererwartend viel von dir hält… jetzt kneif die Backen zusammen und hilf mir… Oder hast du keine Eier in der Hose?“, fragte Jiro grollend und Raigan blickte ihn ungläubig an. Hatte er keine was in der Hose? Er schüttelte den Kopf und entschloss seiner Aussage genau so viel Bedeutung beizumessen, wie allem anderen was er zu sagen pflegte… nämlich keine. Er griff sich ein zweites Stemmeisen, was schwerer war, als es aussah und drückte das platte, gespaltene Ende unter den Deckel einer Kiste.
Er tat es Jiro gleich und lehnte sich auf das andere Ende, womit der Hebel begann seine Arbeit zu verrichten und die Nägel langsam aber sicher aus dem Holz zu ziehen. Es krachte, als Jiros Kiste sich öffnete und angestrengt blickt er hinein, versuchte etwas in der Dunkelheit zu erkennen.
„Was zur Hölle ist das?“, fragte er irritiert, als er eine kleine, bauchige Phiole aus der Kiste zog und versuchte sie im Mondlicht zu betrachten. Als Raigan aufblickte um das Ergebnis von Jiros Arbeit zu betrachten schrak er zusammen. Auf der Flasche glänzte ein weißer, grinsender Totenschädel, der ihn aus leeren, bedrohlich dreinblickenden Augen anblickte.
„Das ist… Gift?“, begann Raigan unsicher und Jiro fluchte, als sie die Flasche klirrend in den Kasten zurück fallen ließ. Raigan fuhr bei den klirrenden Geräusch zusammen und warf Jiro einen Blick zu, der so viel besagte wie: „
Bist du verrückt, hier so einen Krach zu machen?“
 Wie es nicht anders zu erwarten war verdrehte Jiro die Augen und trat die Kiste zur Seite, die erneut ein Krachen, zusammen mit einem Klirren von sich gab. Raigan widmete sich seiner Aufgabe und brach seine Kiste auf. Zusammen mit Stroh als Füllmaterial befanden sich darin mehrere Dolche, welche die eingravierte Insignie der Spinne trugen. Nicht essbar.
Verkaufen ließen sich die Waffen auch nicht, da niemand Waffen kaufte, die ganz offensichtlich für die Spinne hergestellt worden waren. Niemand wollte derartig gekennzeichnete Waren im Sortiment ihres Handels. Die Spinne stellte keine Fragen, stattdessen brannten sie den Laden einfach zusammen mit den Wohnhäusern der Geschäftsführer und denen aller Mitarbeiter nieder und achtete penibel darauf, dass niemand die Häuser rechtzeitig verlassen konnte.
„Waffen… Gift… Wo sind die Vorräte?“, stieß Jiro wütend hervor und schlug mit seinem Stemmeisen fest auf eine der Kisten. Es knallte laut und Raigan zuckte zusammen.
„Bist du wahnsinnig?“, fragte Raigan forsch und wusste, dass es nichts brachte falschen Mut vorzuspiegeln. Er hatte tierisch Schiss und das war in Anbetracht dessen, was sie gerade taten eine Reaktion, die ihm niemand verübeln konnte. Niemand, dessen geistige Fertigkeiten die einer Ziege übertraf, also schied Jiro definitiv aus.
„Scheiß dich nicht ein, ich wusste es war ein Fehler dich mitzunehmen. Ich sollte dich hier und jetzt umbringen, dann muss ich wenigstens nicht noch ein Maul stopfen. Du bist nichts von dem, was ich dir gebe wert.“, schimpfte Jiro mit vor Wut rotem Gesicht und Raigan musste sich zusammen reißen nicht laut los zu lachen. Der Unterschied zwischen dem, was er bekommen hatte, als er noch alleine für sich sorgte war, dass er regelmäßiger, aber dafür weniger zu essen bekam. Er wusste, dass Jiro das meiste, was sie „erwirtschafteten“ unter den Großen der Bande aufteilte. Das, was letztendlich für ihn abfiel war meist eine harte, kaum zu kauende Brotrinde, die obendrein noch schmutzig war.

 Er hatte gelernt damit zurecht zu kommen, auch wenn er oft genug sah, wie Jiro ihn sadistisch anblickte, während er genüsslich den frischen Laib Brot verspeiste, den Raigan oder ein anderer der Kleinen am Tag unter Einsatz ihres körperlichen Wohls gestohlen hatten. Mehr als einmal hatte er sich gewünscht den Großen einfach umzubringen, aber Jiro und die Großen waren nicht für ihre Gnade bekannt. Hätte er sich gegen sie aufgelehnt, würden sie ihn derartig verprügeln, dass er sich nie wieder davon erholte.
Das einzige, was ihn davon abhielt die Bande zu verlassen war Lyra, Jiros kleine Schwester, die genauso alt wie er selbst war und deutlich freundlicher als ihr Bruder. Nicht zum ersten Mal dachte Raigan darüber nach Jiro das scharfe Stück Metall, welches er in seiner Tasche trug, in die Eingeweide zu stoßen. Aber er war aus anderem Holz geschnitzt. Er war stärker als all das. Vier Jahre lebte er mittlerweile auf den Straßen Greypits und er wusste wie man dort überlebte. Einen kurzen Moment dachte er darüber nach Jiro umzubringen und seine sterblichen Überreste bei einer Nekromantengilde als Rohstoff zu verkaufen, aber so war er nicht. Er mochte auf der Straße leben, aber er war kein Tier. Er war noch immer der kleine Junge, der er vor Vier Jahren gewesen war nur eben lange nicht mehr so unschuldig.
Seine Unschuld hatte er verloren, als er das erste Mal dabei zugesehen hatte, wie ein Unschuldiger auf den Straßen tot geprügelt worden war und in seiner Angststarre nicht dazu in der Lage gewesen war irgendetwas zu tun. Was hätte er auch tun können? Hätten jene Männer, die diesen Mann tot prügelten ihn damals bemerkt, wäre es ihm selbst wahrscheinlich nicht anders ergangen. Raigan schluckte seine Wut herunter und zwang sich tief durch zu atmen. Möglicherweise hatten ihn seine Umstände vorzeitig altern lassen, aber er war kein Tier, was seine Mitmenschen tötete um aus ihren Überresten Profit zu schlagen, auf welche Art und Weise auch immer.

 

 Erneut schlug Jiro auf eine der Kisten ein und erneut dachte Raigan darüber nach ihm sein eigenes Stemmeisen über die Schädeldecke zu ziehen damit er damit aufhörte so einen Krach zu veranstalten.
„Hör bitte auf damit…“, stieß Raigan gequält und leise hervor und erneut warf Jiro ihm lediglich einen verachtenden Blick zu und schüttelte den Kopf, ehe er sein Stemmeisen immer wieder auf die Kisten hernieder fahren ließ. Draußen erklang das Geräusch einer Nachtschwalbe. Das Zeichen, was mit denjenigen abgesprochen worden war, die draußen Schmiere standen. Es symbolisierte, dass sie nicht länger allein waren.
„Verdammt, Jiro.“, zischte Raigan und dieser grinste breit.
„Was willst du? Hm, du kleiner Schisser?“, fragte Jiro und verpasste Raigan einen harten Stoß mit der Hand, der ihn jedoch nicht von den Füßen riss, so wie es Jiro erwartete. Diesen Gefallen würde er ihm auf keinen Fall tun, egal in welcher Situation. Er würde sich nicht länger herum schubsen lassen.
„Gehen wir und glaub nicht, dass du die nächsten drei Tage etwas von uns zu essen bekommst, du nutzloses Stück Scheiße.“, zischte Jiro hasserfüllt und ging auf die Tür zu. War das sein ernst? Die Tür? Wirklich? Wie dumm konnten Leute sein?
„Die Tür?“, fragte Raigan trocken, als wäre er sich sicher, dass Jiro ihn zu verarschen versuchte.
 „Die Tür?!“, äffte Jiro ihn wütend nach und Raigan seufzte, als Jiro tatsächlich die Tür aufstieß, als gehöre ihm der ganze Laden. Von einer auf die andere Sekunde wechselte Jiros Gesichtsfarbe von einem wütenden Rot, zu einem leichteren Rotton, der wohl Verlegenheit ausdrückte, dann zu einem bezeichnenden Kreidebleich bis hin zu einem ungesunden Grau. Dabei sah er so aus, als hätte er sich am liebsten sofort auf dem vor ihm stehenden Mann übergeben.
 Er war groß, fett und trug einen ungepflegten Bart, der seine grinsende Fratze untermalte.
„Was haben wir denn hier?“, fragte er mit einer grollenden Stimme, als hätte er erst vor kurzem den Konsum verschiedener Räuchermittel genossen. Auf einem schwarzen Wappenrock, den er über einem ebenfalls schwarz gefärbten Lederharnisch trug, war eine rote Spinneninsignie abgebildet, die ihn als Mitglied des Hauses Raxanta auswies. Ein Anhänger der Spinnenschule der Nekromantie.
„Zwei kleine Ratten, die versuchen uns auszurauben. Auf dieser Verfehlung steht der Tot.“, erklärte der Mann und grinste noch breiter. Nur ein Spinnenküsser war dazu in der Lage so derartig breit und  vergnüglich zu grinsen, während er darüber sprach jemanden zu töten. Gerade wenn es, so wie in ihrem Fall, um Kinder ging.
„Ich habe mich verirrt.“, stieß Jiro wortgewandt aus und Raigan musste sich zusammen reißen um nicht laut aufzustöhnen. Er hatte sich verlaufen. In einem Lagerhaus. Mit einer Brechstange und aufgebrochenen Kisten. Na klar, wenn das mal nicht glaubwürdig war. Instinktiv suchte er mit seinen Blicken nach einem anderen Ausgang und fand sofort zwei Wege aus dem Lagerhaus. Bedauerlicherweise waren sie alle zu weit oben um in der vorhandenen Zeit zu verschwinden, bevor der Kerl ihn draußen abfangen konnte. Sie waren sowas von am Arsch.
 Ein Schlag hallte von den blanken Wänden des Lagerhauses wieder, als der Mann Jiro mit kleinen Stahlplättchen verstärkten Handschuhen aus gehärtetem Leder, mitten ins Gesicht schlug. Der Junge flog vor Schmerz kreischend durch die Luft und kam unsanft auf dem harten Boden auf, ehe er sein blutendes Gesicht hielt. Der Kieferknochen war auf unnatürliche Art verdreht und Raigan hatte die Augen weit aufgerissen. Der Mann grinste und verpasste Jiro einen harten Tritt in den Bauch, dessen regloser Körper über den glatten Steinboden schlitterte ehe er grinsend auf Raigan zukam. Seltsamerweise war er nicht so von Angst gelähmt, wie er es von sich selbst erwartet hätte. Unter dem Druck des herannahenden Todes arbeitete sein Verstand auf Hochtouren und rang mit den, ihm innewohnenden Urinstinkten. Kampf oder Flucht?

Seine Hand umklammerte erneut die scharfe Metallscherbe und er stieß einen scharfen Atemzug aus. Der Mann kam mit diesem fetten, selbstsicheren Grinsen auf ihn zu. Er steckte wirklich in der Scheiße, vielleicht konnten ihm die beiden helfen, die draußen Schmiere standen? Er zog eine kleine Pfeife aus der Tasche und blies mit aller Kraft hinein. Das Geräusch einer Nachtschwalbe erklang und das Grinsen auf den Lippen des Mannes wurde noch breiter.
„Mach dir keine Mühe Junge, ich werde dich gleich wieder mit deinen Freunden zusammen bringen.“, erklärte der Mann, der noch immer bedrohlichen Schrittes auf ihn zu stapfte. Das bedeutete, dass er diejenigen, die draußen Wache geschoben hatten bereits umgebracht hatte. Raigan schluckte und stolperte einen Schritt zurück.
„Lauf nicht weg. Das macht es für dich nur noch schlimmer. Vertrau mir was das angeht.“, lachte der Mann und bewegte sich weiter zielstrebig auf ihn zu. Noch fester schloss sich seine Hand um die Metallscherbe in seiner Tasche und er spürte, wie das scharfkantige Schrapnell in seine Haut schnitt. Trotzdem ließ er nicht los. Viel mehr schlossen sich seine Finger noch fester um den Gegenstand, der im Augenblick sein einziger Verbündeter zu sein schien.
Dieser Kerl hatte seine Freunde umgebracht… Wenn er nur Jiro umgebracht hätte wäre es okay gewesen, aber die beiden Wachen waren zwei der kleinen aus der Bande gewesen, die den Tot nicht verdient hatten.
Wut flammte in ihm auf, rang mit dem Unverständnis in seinem Kopf. Er würde sich nicht kampflos geschlagen geben, denn die Möglichkeit einer Flucht schien verschwindend gering.
„Na? Was ist los Kleiner?“, fragte der feist grinsende Mörder und streckte seine Hand nach ihm aus. Raigan wich zurück, behielt die Hand mit der Scherbe allerdings in der Tasche, seine einzige Chance war es den Gegner mit der Waffe zu überraschen. Wenn er sie jetzt einsetzte um einen Griff zu vereiteln, dem er auch einfach hätte ausweichen können, war das einfach nur dumm. Raigan schluckte, sagte aber nichts.
„Du musst keine Angst haben… Ich werde es… Schnell machen.“, erklärte er und Raigans Blick sank kurz zu Jiro, der noch immer Reglos da lag. „Gut, dass du mich daran erinnerst Junge…“, grinste der Mann und zog das Schwert aus der Scheide, die an seinem Gürtel hing. Nein. Jiro war ein Arschloch, aber er wollte nicht, dass er starb. Nicht so.
Unter Aufbietung all seiner Willenskraft schluckte er seine Angst herunter und rannte schreiend auf seinen Gegner zu. Dieser allerdings ließ das Schwert sinken und packte Raigan fest am Hals. Er zog ihn in die Höhe, als wöge er nicht mehr als sein letzte Mahlzeit, was Raigan bei den Ausmaßen des Mannes auch nicht verwundert hätte, wäre es wirklich so. Raigan strampelte und zappelte herum, griff nach der Hand des Mannes und umklammerte sein Handgelenk.
„Was ist Junge? Angst?“, fragte er und ergötzte sich daran, dass Raigan verzweifelt nach einem Ausweg suchte. Ein harter Schlag traf Raigan im Magen und er würgte, während der Schlag die Luft aus seinen Lungen presste. Der Schmerz explodierte in seinem Magen, doch er würde nicht schreien. Wenn er schon sterben musste, dann so, dass er sich der Art und Weise, wie er starb nicht schämen musste.
„Was ist Junge? Immer noch so mutig? Ich werde dir zeigen, was mit denen passiert, die versuchen die Spinne zu betrügen. Schade nur, dass du nicht lange genug leben wirst um es anderen zu berichten.“, lachte der Mann und grinste genüsslich, während er zwei erneute Faustschläge gegen Raigans Bauch prasseln ließ. Die Schmerzen waren unfassbar, doch er riss sich zusammen und presste die Zähne aufeinander. Er biss sie so sehr zusammen, dass es wehtat.
„Noch ein paar letzte Worte?“, fragte der Mann mit einem sadistischen Grinsen auf den Lippen und zog Raigan näher an sich heran, wohl um seine Antwort besser hören zu können. Wahrscheinlich wollte er die Angst in seinen Worten hören und jede Nuance davon auskosten, aber diesen Triumph würde er ihm erlauben.
„Stirb… Spinnenküsser.“, brachte Raigan mit schwacher, von Schmerz getränkter Stimme hervor, ehe er die Metallscherbe aus der Tasche zog und zustieß. Seine Arme waren zu kurz um ihn am Rumpf zu treffen, deshalb stieß er die Metallscherbe in den Oberarm des Mannes, der ihn, von den plötzlichen Schmerzen Überrascht los ließ. Die Metallscherbe glitt aus der Wunde und Raigan kam schmerzhaft auf den Knien auf, verlor aber sein Ziel nicht aus den Augen. Wenn er schon starb, wollte er so viel Schaden wie möglich anrichten.
 Er stieß einen heiseren Schrei aus und stieß das scharfe und spitz zulaufende Schrapnell in die Oberschenkelinnenseite seines Gegners. Blut sprudelte aus der Wunde. Schmerz explodierte in Raigans Gesicht, als ihn ein harter Schlag im Gesicht traf und ihn auf den Rücken warf.
„Verdammte kleine Missgeburt! Ich bring dich um!“, brüllte der Mann, während im Rhythmus seines Herzschlags, Blut aus der Wunde sprudelte. So wie es aussah hatte Raigan etwas Wichtiges getroffen. Er hörte etwas Metallisches klirrend zu Boden fallen. Am liebsten hätte er sich aufgerichtet und wäre einfach um sein Leben gerannt, aber als er die Augen öffnete drehte sich alles um ihn herum und er musste sich zusammen reißen um nicht auf den Boden des Lagerhauses zu kotzen.
„Du verdammtes Drecksbalg.“, knurrte der Mann und schleppte sich auf ihn zu, wobei er eine Hand auf die Wunde im Oberschenkel presste, aus der unablässig Blut sprudelte. Des Weiteren kam ihm der Mann deutlich blasser vor. Ob er vielleicht einfach nur Zeit schinden musste? War er überhaupt dazu in der Lage Zeit zu schinden? So gut es ging zog er sich aus der Reichweite des Mannes zurück und versuchte dabei, die sich unablässig um ihn herum drehende Welt zu ignorieren.
„Ich reiße dich in Stücke…“, spie der Mann und holte mit dem Schwert aus.
„Du bist so gut wie tot.“, erklärte eine fremde Stimme mit ruhigem und kalten Tonfall direkt hinter dem Mann. Eine Gestalt schälte sich aus dem Schatten und es fiel Raigan schwer ein einfaches Bild wahrzunehmen, weil die Welt um ihn herum aus unzähligen Kopien ihrer Selbst zu bestehen schien. Doch er konnte allmählich wahrnehmen, dass hinter seinem Angreifer ein Mann in einer schwarzen Robe stand, dessen Gesicht vom Schatten einer Kapuze verdeckt wurde. Kurz von der fremden Stimme irritiert, hielt Raigans Angreifer inne.
Dann tat es einen Schlag und Raigan schien das schmatzende Geräusch von auseinander reißendem Fleisch in mehrfacher Lautstärke wahrzunehmen, als die Brust des Angreifers von hinten von einer pechschwarzen Hand durchbohrt wurde. Japsend schnappte der Todgeweihte nach Luft, doch seine zerrissene Lunge war nicht mehr in der Lage Luft aufzunehmen. Blut floss aus dem Mund des Mannes, ehe er zusammen klappte und vor Raigan zu Boden fiel wie ein lieblos hingeworfener Sack Kartoffeln.

Allmählich fügte sich das prismatische Puzzle seiner Sicht wieder zu einem klaren Bild zusammen und er blickte einem Mann  entgegen, dessen Arm allmählich wieder normale Gestalt annahm, während Schatten, wie kräuselnder schwarzer Rauch davon aufstiegen. Raigan blinzelte und bereute es sofort, denn unheimliche Schmerzen zuckten durch seinen Schädel, gefolgt von einer Übelkeit, die er nur schwerlich ignorieren konnte.
Von draußen durchbrachen laute Schritte die kurz entstandene Stille und Raigan blinzelte immer wieder, in der Hoffnung, dass sein Blickfeld sich wieder aufklaren würde. Er stieß ein schmerzhaftes Stöhnen aus, als er sich auf die Beine kämpfte und langsam auf den Leichnam des Mannes zuging, in dessen Nähe Raigan die Metallscherbe vermutete. Vier weitere Wachen betraten das Lagerhaus und erblickten Raigan und den Fremden, der ihren Kollegen auf dem Gewissen hatte. Raigan taumelte weiter auf die Metallscherbe zu, die in der Blutlache leicht funkelte. Er biss die Zähne zusammen und griff nach der Scherbe.
„Was geht hier vor?“, stieß eine der neuen Wachen hervor, als er den Toten auf dem Boden erblickt hatte. Es hatte keinen Sinn den Fremden mit in seine Angelegenheiten hinein zu ziehen. Sie würden nur beide drauf gehen und das nur wegen der sinnlosen Gier eines Sechzehnjährigen Pseudogenies.
 „Ich habe…“, begann Raigan, bereit alle Konsequenzen auf sich zu ziehen, doch der Fremde unterbrach ihn mit amüsierter Stimme.
„Wie sieht es denn aus? Wir töten Spinnenküsser.“, erklärte der Fremde mit einem Tonfall, der unmöglich bedeuten konnte, dass er die Situation tatsächlich ernst nahm. Sofort waren die Wachen alarmiert,  versammelten sich um den Fremden und kreisten ihn ein. Natürlich taten sie das, immerhin war es mehr als nur unwahrscheinlich, dass Raigan plötzlich anfing zu rennen.
„Tötet ihn.“, erklärte die Wache mit dem prunkvollsten Spinnenharnisch. Wahrscheinlich der Wachhauptmann oder etwas Vergleichbares. Raigan wollte etwas sagen, doch als er die zu einem stummen Lächeln verzogenen Mundwinkel des Fremden sah, erstarb sein Protest im Bruchteil einer Sekunde. Dieser Kerl freute sich auf einen Kampf. Eine der übermütigeren Wachen versuchte sich von hinten an ihn heran zu schleichen, doch das Schleichen erwies sich als unwahrscheinlich schwierig, während der Schleichende einen Harnisch aus schweren Metallplatten trug. Der Fremde reagierte sofort und flüsterte ein stummes Wort. Sofort stiegen schwarze Flammen aus einem Ring auf, der ihn umkreist hatte.
Die Flammen schwebten in die Luft, verbanden sich vor dem Fremden und erschufen aus dem nichts ein aus schwarzen Flammen bestehendes Schwert. Er packte das Schwert und sein Grinsen wurde noch breiter.
 „Einfache Soldaten sollten sich nicht mit den Besten anlegen.“, erklärte der Fremde, während dieser das Schwert in der Luft herumwirbeln ließ, wobei er das Gewicht der Waffe zu schätzen schien. Offenbar ignorierten die Soldaten Raigan lieber, statt sich mit ihm zu beschäftigen, vielleicht konnte er das zu seinem Vorteil nutzen. Langsam schritt er von hinten auf einen der Soldaten zu, die wohl planten alle gemeinsam anzugreifen um die Chancen ihres Gegners zu minimieren. Er versuchte eine Stelle in seiner Rüstung zu finden, die er zum Angriff nutzen konnte. Seine Rüstung bestand aus mehreren Platten, die miteinander verbunden waren. Je beweglicher das Körperteil, desto mehr und kleinere Platten um einen gewissen Bewegungsspielraum zu bieten.
 Raigan atmete tief durch und stieß die Metallscherbe in die Verbindungsstelle zwischen zwei Platten am Bein seines Gegners. Während der Gegner damit beschäftigt war schreiend herauszufinden woher der plötzliche Schmerz kam riss Raigan die Klinge zur Seite um möglichst viel Schaden anzurichten, dann taumelte er zurück, während sein Gegner auf ein Knie herab sackte. Ein Grinsen huschte über das Gesicht des Fremden.
„Offenbar bin ich nicht die einzige Person hier, die ihr nicht unterschätzen solltet.“, grinste er und ließ seinen Blick zwischen den Gegnern hin und her huschen, während er offenbar darauf wartete, dass seine Gegner den ersten Schritt machten. Die Blicke zweier Soldaten wanderten zu Raigan, den sie anscheinend für leichtere Beute hielten.
„Ich kümmere mich um das Würstchen hier. Tötet ihr den Sprücheklopfer.“, brachte einer der Soldaten hervor, ein hochgewachsener Mann mit breitem Oberkörper und einem wuchernden Bart im Gesicht. Voller Wut stieß der verletzte Soldat einen Schrei aus und versuchte sich wieder auf beide Beine zu kämpfen, doch Raigans angriff hatte zwischen den Platten genau die richtige Stelle verletzt um seinen Gegner im Kampf ausreichend zu schwächen. Ein Bein war nur mit intakter Kniesehne in der Lage das Gewicht einer Person, geschweige denn das einer Person mit schwerer Rüstung zu tragen. Der Fremde stieß einen Pfiff aus, als wolle er sagen: ‚Wackere Leistung Kleiner‘. Der Schrei der Wache stachelte die anderen noch weiter an. Einer der Soldaten ging auf Raigan los, dem es nur knapp gelang dem Schlag zu entgehen. Er taumelte nach hinten und fiel auf den Hintern. So würde er also sterben…

Der Soldat zog sein Schwert und hob es zum Schlag. Es hatte in etwa die Größe eines feuerspeienden Drachens. Vor Raigans Augen verschwamm die Welt, als ihm Tränen die Wangen hinunter liefen. Er weinte? Jetzt? Nein! Er weigerte sich. Mit allem, ihm zu Gebote stehenden Mut richtete er sich schwerfällig auf, wandte den Blick aber nicht von dem Soldaten ab, der ihn etwas irritiert anblickte. Was hatte er erwartet? Dass er sich in die Hosen machte und um sein Leben flehte? Das konnte er vergessen. Er ballte seine Hände zu Fäusten, die er fest zudrückte um zu verhindern, dass jemand bemerkte, wie sehr er sich fürchtete.
„Weißt du Junge… Ich mag dich. Im Gegensatz zu den meisten anderen Kindern in deinem Alter hast du… Eier. Aber glaub mir, wenn ich dir sage, dass das in deiner Situation und in deinem Alter nicht die beste Idee ist.“, erklärte der Fremde und wandte den restlichen Gegnern einfach so den Rücken zu, während er auf den Soldaten zuging, der sich vor Raigan aufgebaut hatte.
„Halt die Klappe, du bist gleich dran.“, stieß der Soldat aus und der Fremde grinste breit.
 „Oh da bin ich mir sicher…“, seufzte er und flüsterte dann lautlos etwas hinzu. Seine Lippen formten Worte, doch er sprach sie nicht aus, viel mehr hämmerten diese fremden Worte in seinem Kopf hin und her und er erschrak, als der Soldat vor ihm lauthals zu schreien begann. Raigan starrte den Mann an, der sein Schwert fallen ließ. Die Waffe fiel klirrend zu Boden und die Hände des Soldaten pressten sich auf seine Ohren, während er noch immer schrie, als würde er gefoltert. Blut sickerte aus seinen Augen und rann in roten Schlieren seine Wangen hinab. Der Blutfluss in seinem Gesicht wurde immer kräftiger, die Tränen rannen schneller über sein Gesicht und letztendlich kippte der Soldat erst auf die Knie und dann seitlich auf den Boden.
„Man… Der kann echt laut schreien…“, seufzte der Mann und streckte sich, als wäre er gerade erst aufgestanden.
„Was hast du mit ihm gemacht?“, fragte einer der Soldaten hinter dem Fremden, der lediglich lächelte und sagte:
„Ich habe ihn umgebracht. Oder wie würdet ihr das nennen?“
 Raigan traute seinen Ohren nicht. Dieser Kerl provozierte die drei übrigen Soldaten auch noch, wobei sich einer von ihnen noch immer wimmernd sein Bein hielt.
„Sag mir Junge… Möchtest du zusehen, wie ich diese Männer töte? Verdienen sie den Tod?“, fragte der Fremde und Raigan starrte ihn an.
„Wir haben sie bestohlen… Sie wollten uns töten. Ich weiß nicht ob sie den Tod dafür verdienen, dass sie Befehle ausführen… Es liegt nicht bei mir darüber zu richten.“, brachte Raigan hervor und er betrachtete, wie sich die Pupillen des Fremden vor Überraschung weiteten. Wahrscheinlich hätte jeder normale Mensch aus Selbstschutz gesagt, dass seine Peiniger den Tod verdienten, aber letztendlich waren sie alle nur Speichellecker desjenigen, der tatsächlich den Tod verdiente. Er konnte sie unmöglich dafür verantwortlich machen.
 „Ich mache dir ein Angebot Junge… Bring deinen Freund nachhause. Schlafe eine Nacht und bring deine Angelegenheiten in Ordnung. Dann suche mich. Wenn du mich findest werde ich dir eine Frage stellen. Wenn du sie richtig beantwortest… Werde ich dich zu meinem Schüler machen. Ich werde mich darum kümmern, dass du lernst, wie du deinen Verstand richtig gebrauchst um zu überleben.“, erklärte der Fremde und lächelte. Leichte Fältchen legten sich auf seine Wangen, als er ihn anblickte.
„Das Balg geht nirgendwo hin, genauso wie du, du verdammter Hundesohn!“, brüllte einer der Soldaten, der nun kopflos auf den Fremden zu rannte und mit seinem gezückten Schwert zum Schlag ausholte.

Mit einem Mal passierten mehrere Dinge gleichzeitig. Der Soldat schlug zu. Der Fremde wandte sich in einer einzigen fließenden Bewegung um und verpasste dem Mann einen gezielten Schlag gegen das Handgelenk, was den Schlag ablenkte. Weitere harte Schläge trafen den Soldaten, die ihn zu Boden und ins Reich der Träume schickten.
„Wie unhöflich.“, erklärte der Fremde und wandte sich dem anderen zu.
„Na los, bringt es schon hinter euch, dann kann ich mich in Ruhe mit dem Jungen unterhalten… Also? Wer will?“, entgegnete er kopfschüttelnd und an die letzten beiden Soldaten gewandt. Der unverletzte Soldat tat unwillkürlich einen Schritt zurück und schluckte. Offenbar war er doch nicht so mutig, wie er vorgab zu sein.
„Also?“, fragte der Fremde, doch weder der, der dazu fähig war floh, noch der mit der durchtrennten Kniesehne versuchte etwas. Der Fremde seufzte.
„Dann also auf diese Art… Junge? Dreh dich um und schließ die Augen.“, erklärte er und Raigan blickte ihn irritiert an. Wieso um alles in der Welt sollte er das tun. Der Fremde zuckte mit den Schultern und sagte mit ruhiger Stimme:
„Gut… Ich habe dich gewarnt.“
Mit einem breiten Grinsen flüsterte er ein Wort, was Raigan nicht verstand und hinter dem noch stehenden Soldaten erschien eine schwarze Gestalt, die ihm von hinten die klauenbestückte Hand durch den Brustkorb rammte und das noch schlagende Herz in der Faust hielt und zerdrückte. Der Mann wimmerte und blickte zu seinem zerdrückten Herz hinab, während Blut seine Mundwinkel hinab tropfte. Die Gestalt löste sich in schwarzen Nebel auf und der matschige Brei, der einst das Herz des Soldaten war, landete mit einem wohl hörbaren Klatschen auf dem Boden. Der Soldat sackte erst auf die Knie, dann fiel er tot zu Boden.
Der andere Soldat begann zu schreien und zu brüllen, während Raigan seinen Blick nicht von dem leblos am Boden liegenden Körper abwenden konnte. Der verletzte Soldat zog sein Schwert und hielt es der schwarzen Nebelwolke entgegen.
„Verschwinde Teufel!“, brüllte er und der Fremde seufzte Kopfschüttelnd. Langsam ging er von hinten auf den Soldaten zu, packte mit einer Hand von hinten sein Gesicht, mit der anderen den Hinterkopf. Mit einem lauten Krachen brach das Genick des Soldaten und erneut schüttelte der Fremde den Kopf.
 „Sie können nicht behaupten, ich hätte ihnen keine Wahl gelassen.“, erklärte der Fremde und ging auf Jiro zu, der noch immer reglos am Boden lag. Seine Hand legte sich an seinen Hals und er nickte.
„Er lebt. Am besten bringst du ihn nachhause. Denk daran, was ich dir gesagt habe. Bringe deine Angelegenheiten in Ordnung, dann such nach mir. Wenn du mich findest beantworte mir eine Frage. Wenn du das zu meiner Zufriedenheit tust werde ich dafür sorgen, dass du die Spinne nicht mehr fürchten musst.“, erklärte der Fremde und Raigan schluckte. War es das was er wollte? Ja. Er wollte sich nicht mehr fürchten. Vor niemanden. Weder vor der Spinne noch vor jemand Anderem. Er wollte frei sein, sein Leben verbringen ohne sich vor Schatten zu fürchten.
 „Wie finde ich dich, wenn ich mich entschieden habe?“, fragte er leise und der Fremde wandte sich mit einem halben Grinsen auf den Lippen um.
 „Keine Sorge, ich werde dafür sorgen, dass du mich findest, allerdings kann ich nicht versichern, dass du mich als denjenigen erkennst, nachdem du suchst.“, entgegnete der Fremde, der nun seelenruhig auf die Tür zu stapfte. Es schien fast so, als löse er sich im Schatten des Ausgangs einfach so in Nebel auf, doch Raigan hielt sich nicht mit unnötigem Gegaffe auf. Er spurtete zu Jiro und drehte ihn auf den Rücken. Dann begann er an seinem Körper zu rütteln.

„Jiro, wach auf!“, stieß er leise aus, aber laut genug, dass man es im Lagerhaus wahrnehmen musste. Raigan stieß einen leisen Fluch aus und schlug Raigan mit der flachen Hand ins Gesicht.
„Verdammt nochmal, Jiro!“, zischte Raigan und schlug erneut zu. Diesmal flatterten seine Augenlider und müde Augen blinzelten ihn an. Aus irgendeinem Grund war Raigan erleichtert darüber, dass Jiro noch lebte. Warum eigentlich? Jetzt musste er zusehen, dass er den schwereren Jungen irgendwie zurück ins Versteck schleppte. Raigan stieß einen Seufzer aus und packte Jiros Hand.
„Los, steh auf.“, erklärte er so ruhig wie er es in Anbetracht der Situation konnte. Jiro kämpfte sich benommen hoch und Raigan stützte ihn. Er unterließ es ihm zu sagen, was für eine Schnapsidee es war dieses Lagerhaus ausrauben zu wollen. Aber so wie es aussah erkannte er die Ausmaße, die sein kleiner Raubzug angenommen hatte anhand der auf dem Boden liegenden Leichen. Jiro erbrach sich auf eine der beiden Leichen, ehe er danach aussah, als könne er weiter gehen.
„Was ist mit den anderen?“, fragte Jiro und ließ für einen Moment seine ArJiroz vermissen. Raigan zuckte mit den Schultern.
„Weiß nicht, war keiner hier.“, erklärte er und stützte ihn weiter, während sie das Lagerhaus verließen. Auf der Straße lagen die Leichen dreier Kinder und für einen Moment stockte Raigan. Jedoch hob er dann den Blick und ging entschlossen weiter. Er hatte keine Zeit den Tod der anderen Bandenmitglieder zu betrauern, obwohl ihm wirklich danach war. Er wollte auf dem Boden zusammenbrechen und schreien, heulen, vor Wut auf den Boden schlagen, aber im Moment wurde er gebraucht, also musste er seine eigenen Bedürfnisse hinten anstellen. Langsam setzte er einen Fuß vor den anderen, was gar nicht so einfach war, wenn er bedachte, dass er dabei einen anderen Jungen stützte, der sich kaum auf den Beinen halten konnte.
 „Deine Schuld…“, stieß Jiro verächtlich hervor und Raigan blieb abrupt stehen. War das sein Ernst? Wollte er den Tot dieser Leute wirklich und wahrhaftig in seine Schuhe schieben? Vielleicht sollte er ihn doch einfach hier liegen lassen? Er hatte keine Kraft mit ihm zu streiten und schon gar nicht dafür um ihn im Notfall wieder aufzurappeln. Das konnten sie später ausdiskutieren, obwohl Raigan wusste wie es ausgehen würde. Jiro würde dafür sorgen, dass er aus der Bande verstoßen wurde um seinen eigenen Fehler zu überdecken. Immerhin war er größer und älter als er, also musste er zwangsläufig Recht haben.
Er würde von Alleine gehen, wenn diese Sache hier vorbei war. Er wusste nicht, ob er das Angebot des Fremden annehmen würde. Allerdings kam ihm momentan alles verlockender vor als weiterhin in Jiros Nähe zu bleiben. Dieser Selbstherrliche verblödete Penner… Es brachte nichts, sich darüber aufzuregen, er würde eben wieder seinen eigenen Weg gehen müssen. Wahrscheinlich würde er dann zur Abwechslung mal wieder satt werden.
Es überraschte ihn, dass seine Verbitterung sich bereits so sehr ausgeweitet hatte. Doch noch immer ließ er Jiro nicht los, egal wie gerne er es gesehen hätte, würde er Dreck fressen.

Ohne darauf zu achten, was auf der Straße geschah schleppte er Jiro weiter durch enge Gassen und dunkle Straßen. Sie befanden sich im dritten Ring der Stadt, zu hoch um vom Licht der Luzidsporen zu profitieren, aber auch zu niedrig und arm, um wie die oberen Ringe der Stadt mit magischen Kristallen ausgestattet zu sein, die als Lichtspender dienten. Der dritte Ring von Greypit lag die meiste Zeit des Jahres in absoluter Dunkelheit.
 Es gab lediglich drei Tage im Jahr, in denen sich einzelne Lichtstrahlen von der Oberfläche in den dritten Ring der Stadt verirrten, aber selbst dann konnte man diesen Stadtteil nicht hell nennen. Aufpassen mussten die Jungen erst dann, wenn sie den zweiten Ring erreichten, denn dort trieb sich neben Bettlern und Armen Handwerkern nur das Gesindel der Stadt herum. Mörder, Diebe, Menschenhändler und solcher Abschaum zu dem auch Raigan gehörte. Er war nicht darüber erhaben, sich als das zu bezeichnen, was er war. Er war eine Waise, die seinen Umständen folgend tat, was getan werden musste um zu überleben.
Er wusste, dass es nicht löblich war Leute zu bestehlen oder zu betteln, um das Mitleid anderer die ebenso wenig hatten wie er selbst, zu bearbeiten. Er war Dreck, ein Schandfleck auf einer grau und braun gefleckten Weste. Nur wusste er eben nicht zu welcher Farbe er gehörte. Es war ihm auch egal. Über so etwas nachzudenken überließ er denen, die nicht ums Überleben kämpfen musste, wohl wissend, dass es diese Leute einen Dreck interessierte. Er musste darauf Acht geben, dass er nicht nach leichter Beute aussah. Denn leichte Beute überlebte in den unteren Ringen nicht lange.

 Er betrat eine der steinernen Treppen, die in die Abgründe der Stadt führten und sog tief die Luft ein. Der Geruch von Urin, Erbrochenen und Fäkalien ätzte sich in seine Nase und er rang kurz mit sich. Es hieß, dass die Nase Gerüche recht schnell ausblendete, da der Geruchssinn der schwächste Sinn war, allerdings war der Gestank aus den unteren Ringen so beißend und streng, dass sich die Nase jedes Mal aufs Neue darauf einstellen musste. Langsam bewältigte er zusammen mit Jiro eine Stufe nach der anderen und achtete darauf, nicht auf den schmierigen und nassen Stufen auszurutschen. Der Fremde hatte ihm einen Weg aus dieser Welt angeboten.
Er war ein Idiot, wenn er dieses Angebot nicht annehmen würde, selbst wenn das bedeutete als Reinigungskraft zu arbeiten und als Untermensch bespuckt zu werden. Alles war besser, als gar nicht zu existieren. Er musste ihm eine Frage beantworten… Was das wohl für eine Frage war?
Es war nicht von Bedeutung, denn zuerst musste er sich darum kümmern, dass es Jiros kleiner Schwester in seiner Abwesenheit gut ging. Eine fast unmögliche Aufgabe.

Kapitel 2

 

(Greypit, die unterirdische Stadt – Dritter Tag der Himmelswende, Jahr 149 n. W.)


Im Endeffekt hatte Raigan nichts anderes erwartet. Kaum waren er und Jiro, der ihm sein Leben verdankte, in der Bandenbehausung angekommen, erklärte dieser, dass der Tot seiner drei Mitstreiter Raigans Schuld war. Angeblich hatte Raigan die Nerven verloren und die ganze Aktion hintertrieben. Dass es eine unheimlich dumme Idee war ein Lagerhaus der Spinne auszurauben, spielte in dieser Logik keinerlei Rolle.
Wahrscheinlich hatte er Glück, dass noch keiner der Großen versucht hatte ihm die Seele aus dem Leib zu prügeln. Möglicherweise genoss er noch einen gewissen Bonus dafür, dass er ihren furchtlosen Anführer den ganzen Weg zurück in den zweiten Ring geschleppt hatte. Ja… Und das obwohl er die Nerven verloren hatte und generell sowieso an allem schuld war.

 Er seufzte und schloss die Augen. Seine Gedanken kehrten zu dem Fremden zurück und zu dem Angebot, was er ihm gemacht hatte. Lediglich eine Frage musste er richtig beantworten… Bedauerlicherweise wusste er nicht, um was für Fragen es sich dabei handelte. Verdammt er hatte ja nicht mal einen Anhaltspunkt, wo er den Fremden finden sollte. Er war allein. Wieder allein auf der Welt, denn bei der Bande konnte er nicht bleiben.
 Auf keinen Fall. Es tat ihm weh, Lyra mit der Bande allein zu lassen. Natürlich. Ihr Bruder war der Anführer der Bande, aber wie lange noch? Was würde passieren, wenn einer der anderen Großen Jiros Platz einnahm? Wie würde ihr Schicksal aussehen? Wütend biss Raigan die Zähne zusammen und versuchte über etwas anderes nachzudenken, aber worüber?
Es war nicht einfach über etwas Unwichtiges nachzudenken, wenn jemand, den er als Freund betrachtete, möglicherweise in Gefahr schwebte. Das schlimme war dabei nicht, dass sie in Gefahr schwebte, denn dann hätte er möglicherweise etwas tun können. Das schlimme war, dass er es nicht genau wusste. War sie hier in der Bande besser dran? War sie besser dran, wenn er sie mitnahm? Er wusste es nicht und das war es, was ihn wirklich mehr als alles andere ärgerte.
 Er konnte ihr keinen Ausweg bieten, jedenfalls noch nicht. Wenn er ehrlich war, würde sich das wahrscheinlich auch so schnell nicht ändern. Er atmete tief durch und stand auf. Die anderen Kleinen der Bande schliefen noch, was wahrscheinlich gut war. Mit langsamen und fast lautlosen Schritten durchquerte er den Schlafraum des alten Gebäudes und zog langsam und leise den Vorhang beiseite, der das Schlafquartier der Kleinen vom Rest der Bande trennte.
Ruhig schritt er weiter durch das Gebäude. Um diese Zeit würde ihn niemand aufhalten und er bezweifelte stark, dass Jiro seine Schläger schon auf ihn angesetzt hatte. Das würde er erst morgen tun, wenn sein Wortschatz wieder aus anderen Worten bestand, als „Er ist schuld“.

 Raigan hätte niemals gedacht, dass er so wütend auf jemanden wie Jiro sein konnte. Aber diese Verleumdung schoss wirklich den Vogel ab. Er hatte Jiro den ganzen Weg zurück in Sicherheit geschleppt, nachdem er sich entschlossen hatte eher den nutzlosen Sandsack zu spielen. Und das war sein Dank. Raigan hatte nie mit einem Danke gerechnet, aber das war einfach zu viel. Statt anzuerkennen, dass er vielleicht einen Fehler gemacht hatte und anzuerkennen, dass Raigan ihm den Arsch gerettet hatte, erklärte er einfach allen, dass der Tod der drei Helfer auf Raigans Konto ging, weil er die Nerven verloren hätte. Das ganze machte Raigan einfach nur wütend, doch er entschied sich von nun an wieder für sein eigenes Wohl zu sorgen.
Er stieß die Tür nach draußen auf und sog tief die Luft ein, was er sogleich wieder bereute. Der Geruch von Pisse und Fäkalien war einfach viel zu stark. Raigan seufzte und schüttelte sich, ehe er den Weg aufnahm und sich in die Richtung begab, wo er den Fremden vor Kurzen getroffen hatte. Seine Schritte waren langsam und ruhig, er hatte nichts zu überstürzen, wenn er ihn finden sollte, dann würde er ihn auch finden, wenn nicht, dann würde es eben wieder so werden wie zuvor. Er hatte nichts zu verlieren.
Die Treppenstufen zum dritten Ring waren nass, schmierig und etwas klebrig, so wie er es gewohnt war. Er schloss die Augen um sich besser auf die Abwesenheit von Licht konzentrieren zu können, dann öffnete er sie und blickte noch einmal hinab in den zweiten Ring. Die Luft war von den leuchtenden Sporen der Luzidpilze durchdrungen, was in den unteren Regionen zu etwas Licht führte. Hier… Auf dem dritten Ring gab es sowas nicht. Was vielleicht auch besser war. Manchmal war es besser, wenn man die Leute, die man hier antraf nicht richtig sehen konnte. Auf dem dritten Ring war der Schwarzmarkt von Greypit beheimatet.

Langsam führten ihn seine Schritte durch die leeren Straßen, hin zu dem Lagerhaus, in dem er gestern von den Spinnenküssern überrascht worden war. Normalerweise war es gesund eine bestimmte Menge an Respekt für die verschiedenen Schulen und Häuser von Greypit aufzubringen. Doch das Haus Raxanta hatte für ihn sämtlichen Wert verloren.
Das Haus der Spinne hatte, soweit es ihn betraf, keinen Respekt verdient. Für nichts. Raxanta bestand einfach nur aus schlechten Menschen und Raigan für seinen Teil, sah nicht ein, warum er sie dafür ehren sollte, dass sie einfach nur schlecht waren. Wer Angst und Schrecken verbreitete, verdiente es in Angst und Schrecken zu leben, das hatten seine Eltern immer gesagt.
Davon einmal abgesehen gab es da noch eine Sache, die er niemanden jemals erzählte. Nämlich der Traum, der ihn immer wieder heimsuchte, seitdem er auf der Straße lebte. Im Wesentlichen kamen darin Flammen, das Gesicht seiner Mutter und Wappenröcke mit Spinneninsignien vor. Der Traum war immer sehr unzusammenhängend, sodass Raigan sich keinen Reim darauf machen konnte, ob die Traumfetzen überhaupt in irgendeinem Zusammenhang miteinander standen. Er würde es irgendwann erfahren, oder eben auch nicht.
 Es hatte wahrscheinlich seine Gründe warum er sich an die Nacht in der er seine Eltern verloren hatte, nicht mehr erinnern konnte. Auf der einen Seite brachte ihn seine unbändige Neugier zu diesem Thema nahezu um, auf der anderen Seite warnte ihn eine unterbewusste Stimme davor, an der unsichtbaren Wand zu kratzen, die ihn von seinen Erinnerungen trennte.
 Früher oder später würden seine Erinnerungen zurückkehren und wenn es soweit war, würde er sehen, wie er damit umging. Vielleicht würde er daran zerbrechen, deshalb hoffte er, dass die Rückkehr der Erinnerungen noch einige Jahre auf sich warten ließ, bis er dazu in der Lage war diese zu verarbeiten. Vielleicht würden die Erinnerungen auch erst dann zurückkommen, wenn es keine Rolle mehr spielte. Er zuckte mit den Schultern. Letztendlich würde sein Einfluss darauf unerheblich sein.
Ein Knirschen riss ihn aus seinen Gedanken und als er zur Seite blickte, sah er einen großen Mann, der ihn breit angrinste. Er war dunkel gekleidet und trug eine Spinnentätowierung auf dem Handrücken. Raigan schluckte und wandte den Blick ab. Er versuchte sich beim Gehen nicht anmerken zu lassen, dass er Angst hatte und trottete weiter. Es war zu erwarten, dass Spinnenküsser unterwegs waren, wenn am gestrigen Abend einige von ihnen das Zeitliche gesegnet hatten. „Hey Kleiner.“, stieß eine heisere Stimme hinter ihn hervor und in Raigans Gedanken formte sich ein einziges Wort. Gottverdammtbeschissenedrecksscheiße.

 

Der Junge war zurückgekehrt. Er hatte ihn sofort  erkannt, als er die Stufen vom zweiten Ring hinauf gestiegen war. In Gedanken an einem unbekannten Ort, schritt er durch die Straßen, gerade oft genug nach vorne sehend, um niemanden umzurennen. Unklug. Jedenfalls in Anbetracht der Tatsache, dass er in seinen Gedanken versunken an den Ort zurückkehrte, an dem er am gestrigen Abend so viele Spinnenküsser umgebracht hatte.
 Er selbst hatte nichts gegen Spinnenküsser, solange sie sich ihm nicht in den Weg stellten. Wenn es allerdings eine Sache gab, in der Spinnenküsser auf ganzer Linie versagten, dann war es die Kunst sich nicht einzumischen. Der Junge hatte ihn in dem Moment interessiert, als er sich dem Soldaten entgegen gestellt hatte, obwohl seine Knie vor Angst gezittert hatten. Etwas, was ihm zutiefst imponierte, obwohl er nicht genau wusste warum. Er wusste auch nicht, warum er sich in den ungleichen Kampf eingemischt hatte. Wahrscheinlich sah er etwas in dem Jungen, das ihn an sich selbst erinnerte. Wer konnte das schon genau wissen.
 Jetzt allerdings tat der Junge etwas, was er in seiner Jugend niemals getan hätte. Er betrat eine Zone der Stadt in der er nichts zu suchen hatte. Gerade um diese Zeit, gerade weil erst vor kurzem viele Spinnenküsser das Zeitliche gesegnet hatten. Es war klar, dass die Spinne die Wachen verdoppelt hatten, immerhin waren mehrere der Warenkisten aufgebrochen aufgefunden worden… Und einige Wachen tot.
Wie es zu erwarten gewesen war, wurde der Junge auf der Straße von einem Spinnensoldaten angesprochen, dieser aber ließ sich nichts anmerken, obwohl ihm merklich das Herz bis zum Herz schlug. Er war wirklich gespannt wie er sich jetzt aus dieser Zwickmühle herausreden würde.

 

„Was willst du hier Junge?“, fragte der Spinnenküsser mit grollender Stimme. Sofort schaltete Raigans Gehirn von unauffälligem Dieb zu unauffälligem Bettler und er schaute den Mann mit großen Augen an, während er die Hände ausstreckte.
„Bitte…. Mylord… Eine kleine Spende…“, brachte Raigan mit kratziger Stimme hervor und der Mann blickte ihn verdutzt an, ehe er ihm einen heftigen Schlag in den Magen verpasste.
„Dreckiger Bettler, verpiss dich hier, bevor ich dich umbringe. Verstanden?“, stieß der Spinnenküsser hervor und Raigan hustete, als ihm durch den Schlag die Luft aus der Lunge gedrückt wurde. Diese Reaktion war zu erwarten gewesen, doch ein wenig Prügel war besser, als gleich umgebracht zu werden. Oder noch schlimmer. So ruhig er konnte kroch er von dem Mann weg und spuckte auf den Boden. Der Spinnenküsser stieß ihn energisch mit dem Fuß an.
„Los, du hast hier nichts zu suchen und wenn ich dich hier noch einmal erwische schmeckst du den Stahl meines Schwertes, verstanden?“, stieß der Mann hervor und klang dabei grimmig. Raigan seufzte. Nicht die besste Idee, die er heute gehabt hatte. Aber sowas kam dabei heraus, wenn man sich von seinen Instinkten leiten ließ. Als er sich in Sicherheit glaubte, stand er wieder auf und klopfte sich den Staub von den Klamotten. Natürlich war er nicht hier.
Wieso sollte sich ein Mörder von so vielen Spinnenküssern in deren Nähe aufhalten, zumal noch in der Nähe des Ortes an dem es passiert war. Er schüttelte den Kopf und schloss die Augen. Allmählich verflüchtigte sich der dumpfe Schmerz aus seinem Bauch, das Atmen fiel ihm allmählich auch wieder leichter. Gut, dass dieser Kerl nicht noch stärker zugeschlagen hatte. Mit langsamen Schritten ging er weiter, ahnungslos, wo er hätte suchen sollen.
Das Gebiet um das Lagerhaus herum würde stark bewacht werden und die meisten Wachen der Spinne waren nicht für ihre Freundlichkeit bekannt. Die meisten würden ihn behandeln wie der Mann von eben, aber es gab auch schlimmere. Er hatte schon viele Bettler gesehen, die ihr Glück bei Spinnenküssern versucht hatten und sie alle hatten diese Entscheidung bereut. Spinnenanbeter waren sadistische Dreckskerle. Sie alle.
Seine Blicke schweiften umher und er konnte schemenhaft die Leute erkennen, die sich an ihm vorbei drückten. Die Dunkelheit hier war seiner Suche nicht gerade zuträglich. Er konnte kaum etwas erkennen. Verdammt nochmal er konnte gerade von der Person, die er suchte beobachtet werden und er würde es nicht einmal ansatzweise bemerken.

 

Die Idee, sich einfach als Bettler auszugeben, war vielleicht nicht gerade die Beste, aber sie hatte gewirkt. Der Junge war entkommen ohne unangenehme Fragen beantworten zu müssen oder um sein Leben rennen zu müssen. Nun befand er sich auf einer der Marktstraßen und blickte sich um. Er grinste. Wahrscheinlich ging der Junge bereits davon aus beobachtet zu werden. Ein Gedanke, der von einer gewissen Paranoia zeugte.
Nicht die schlechteste Eigenschaft, die man in seiner Situation haben konnte. Der Kleine wusste, wer er war und er wusste um seinen Platz in der Welt und allein das machte ihn als Schüler attraktiv. Zusätzlich dazu, dass er jung und formbar war. Aber würde er seine Frage richtig beantworten? Was würde er mit ihm tun, wenn er sie falsch beantwortete? Es handelte sich um eine Frage, die ein Junge in seinem Alter wohl kaum richtig beantworten konnte.
 Letztendlich war es egal. Er hatte ihm ein Angebot gemacht und der Junge war drauf und dran es anzunehmen. Allmählich sollte er sich dem Jungen wohl zu erkennen geben… Doch noch ein wenig, würde er ihn beobachten. Er wollte wissen, wie der Junge sich in der Stadt verhielt. War er klug oder ein Idiot? Bisher hatte er auf Möglichkeit Eins getippt, doch das konnte sich noch ändern. Drei Spinnenküsser bewegten sich auf der Straße allmählich auf den Jungen zu und dieser reagierte sofort, drehte sich unauffällig zur Seite, ging in die Knie und warf den Oberkörper vor sich in den Schmutz.
 Er tarnte sich als Bettler, gar nicht schlecht. Offensichtlich wusste er sehr gut darüber Bescheid, dass die Spinne mit herumstreunenden Kindern machte. Oft hackten sie ihnen einfach so zum Vergnügen eine oder beide Hände ab. Manchmal brachten sie die Kinder einfach um und in wieder anderen Fällen nahmen sie die Kinder mit.
Niemand wusste, was die Spinne mit diesen Kindern anstellte, aber er war sich ziemlich sicher, dass einige dieser Kinder freiwillig den Tod wählten, wenn es ihnen zu Gebote stand. Er grinste breit, als die Soldaten einfach an dem Jungen vorbei gingen ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Ein Schrei wurde laut. Er hob seinen Blick und sah ein kleines Mädchen, was von einer Spinnenwache am Arm hinter sich her gezogen wurde. Verdammt.
Eine andere Spinnenwache ging hinter ihm her um zu gewährleisten, dass das Mädchen nicht floh. Was aus den jungen Frauen wurde, die von der Spinne eingefangen wurden war nicht schwer zu erraten. Sie würden entweder in einer der Kasernen als Unterhaltung dienen, bis sie starb oder sie würde in ein Bordell geschickt werden.
Beides war nichts, was man einem Mädchen wünschte, das ihr Leben noch vor sich hatte. Als er zu seinem Schützling hinab blickte, schlich sich ein breites Lächeln auf seine Lippen. ‚Guter Junge‘.

 

Raigan schloss die Hand noch fester um den großen Stein, den er aufgehoben hatte, als er gesehen hatte, was die Spinnensoldaten taten. Es waren nur zwei.
Wenn Raigan es schaffte einen davon abzulenken hatte das Mädchen vielleicht eine Chance zu entkommen. Es war unwahrscheinlich, aber die Hoffnung bestand immerhin, was schon mal nicht schlecht war. Er atmete tief durch. Er konnte es nicht zulassen. Wenn er jetzt weg sah, würde er sich selbst nicht mehr im Spiegel ansehen können.
Er presste die Zähne zusammen und warf den Stein. Der Faustgroße Brocken prallte gezielt am Hinterkopf des hinteren Spinnensoldaten ab. Der Soldat warf mit einem Aufschrei den Kopf nach vorne und rieb mit der Hand über die schmerzende Stelle, ehe er sich umwandte und Raigan erblickte, der sich nicht mehr versteckte. Er stand einfach nur da, mitten auf der Straße und blickte den Soldaten grimmig an. Der Soldat reagierte wie erhofft und zog sein Schwert um dann wutschnaubend auf Raigan zu zu rennen.
Raigan reagierte sofort, nahm die Beine in die Hand und flüchtete in eine Seitengasse. Im Rennen hob er noch ein paar Steine auf und rannte dann weiter. Das Scheppern der Rüstung hinter ihm war nicht zu überhören. Es war beachtlich, dass sein Verfolger trotz der Last des Panzers noch einigermaßen mit ihm mithalten konnte. So schnell er konnte rannte er um die nächste Ecke, beachtete nicht, dass sein Herz hämmerte und seine Seiten zu schmerzen begannen. Wenn er jetzt stehen blieb würde er auf eine sehr unschöne Art und Weise sterben.
Etwas worauf er getrost verzichten konnte. Gut, dass sein Verfolger ihm keinen Druck machte noch schneller zu rennen.
„Ich bring dich um, du scheiß Missgeburt!“, brüllte der Soldat. Oh okay. Raigan erhöhte sein Tempo, rutschte in der nächsten Kurve fast auf einem Pferdeapfel aus, schaffte es aber letztendlich unbeschadet in die Seitengasse. Hinter sich erklang ein lautes Scheppern, gefolgt von einem noch lauterem Fluchen, als der Soldat nähere Bekanntschaft mit dem Pferdemist machte. Sehr gut. Eine Dose wie er würde länger brauchen um wieder aufzustehen. Er rannte weiter, seine Hoffnung betrachtete währenddessen zwei Möglichkeiten.
Zum einen hoffte er, dass sich das Mädchen hatte befreien können und fliehen konnte, zum anderen hoffte er, dass der Fremde ihn schon die ganze Zeit beobachtete und dem Mädchen möglicherweise die Flucht ermöglicht hatte. Beides lag im Bereich des Möglichen, doch nun musste sich Raigan erstmal auf sich selbst konzentrieren.
Er rannte auf eine besonders enge Gasse zu und nutzte den Umstand um an einem der Häuser hinauf zu klettern. Er setzte sich auf das Dach und blickte auf den Soldaten hinab, der noch immer versuchte, sich mit seiner dicken Rüstung auf die Füße zu stemmen. Es gelang ihm nicht wirklich. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Vielleicht hatte das, was er getan hatte ja wirklich einem größeren Zweck gedient. Er würde es nie erfahren. Aber es gab schlimmeres. War es das wirklich wert gewesen? Möglicherweise würde die Spinne ihn jetzt jagen und das war etwas, was niemand wollte.
„Bist du stolz auf das, was du getan hast?“, fragte eine bekannte Stimme hinter ihm und Raigan schreckte auf. Er drehte sich um und blickte dem Fremden entgegen. Seine unter dem grauen Mantel hervorlugenden Hände waren Blutverschmiert.
„Ich habe keinen Grund auf etwas stolz zu sein, was vielleicht keinen Zweck hatte.“, entgegnete Raigan ohne wirklich darüber nachzudenken. Wieso dachte er so?
„Ich verstehe. Das Mädchen ist in Sicherheit, wenn es das ist, was dich verunsichert.“, entgegnete der Fremde und Raigan überlegte kurz. Sollte er wirklich stolz auf das sein, was er getan hatte? Er mochte ein kleines Mädchen gerettet haben, aber war es den möglichen Ärger wirklich wert gewesen?
„Ich weiß es nicht.“, entgegnete Raigan ehrlich und der Fremde nickte beflissen.
„Warum bist du hier?“, fragte er und betrachtete den Jungen ruhig unter dem Schatten der Kapuze.
„Ursprünglich um euer Angebot anzunehmen.“, erklärte Raigan kühl und blickte dem Mann entgegen. Er mochte ein Mörder sein, aber vielleicht stand er auf der richtigen Seite. Wer konnte das schon so genau wissen.
 „Mein Angebot also? Bist du bereit mir die Frage zu beantworten?“, fragte der Mann und grinste breit. Schlagartig war Raigan sich unsicher. Was für eine Frage er wohl stellen würde? War er überhaupt dazu in der Lage eine Antwort zu finden? Was würde der fremde tun, wenn seine Antwort ihn nicht zufrieden stellte? Raigan atmete tief durch. Das war wohl ein Risiko, was er eingehen musste.
„Ja.“, entgegnete er und schaute den Mann unverwandt an.
„Gut, wie du meinst, junger Freund.“, lächelte der Fremde und blickte ihn ruhig an.
„Dein Leben. Was ist es wert?“, fragte der Mann und Raigan blickte ihm entgegen. Irgendwas in seinem Blick ließ ihn frösteln und die Frage war… unerwartet. Er dachte darüber nach, doch je mehr er darüber nachdachte, desto mehr wurde ihm bewusst, dass sein Leben keinen großen Wert hatte. Er atmete tief durch und schloss die Augen.
„Mein Leben hat den Wert eines Leibs Brot, bevor ich verhungere, mein Leben hat den Wert einer Pfütze, wenn ich kurz vorm verdursten bin. Mein Leben hat den Wert eines Lebens, wenn ich kurz davor bin getötet zu werden. Mein Leben hat keinen Wert, wenn es mir an nichts fehlt.“, hörte er seine Stimme sagen, ohne wirklich zu verstehen, was er sagte. Als er seine Augen wieder öffnete blickte er in das verblüfft blickende Gesicht des Fremden, der ihn interessiert anblickte.
„Interessant.“, erklärte er nach einiger Zeit und nickte damals.
„Wenn du bereit bist dein Leben in meine Hände zu legen, damit ich dich zu einer Klinge schmieden kann, dann folge mir.“, sagte er letztendlich und Raigan blickte ihn ruhig an.
„Warte…“, begann Raigan mit brüchiger Stimme. Der Fremde blickte ihn ruhig an. „Ich…“, begann er erneut und schlug den Blick nieder.
„Was?“, fragte der Fremde weiterhin mit Gelassenheit in der Stimme und dennoch schien die Luft um sie herum gespannt und zum Schneiden dick zu sein.
„Ich… Muss… Lyra… Es gibt da jemanden, den ich aus einer gewissen Situation befreien muss.“, erklärte Raigan unter zusammen gebissenen Zähnen. Der Mann blickte ihn weiterhin an, doch in seinen Blicken spiegelte sich etwas wieder, von dem Raigan nie geglaubt hatte, es in den Augen eines Mörders finden zu können. Mitleid und Interesse.
„Sprich weiter.“, erklärte der Mann und ließ durch seine Mimik keinen Moment lang durchblicken, was er dachte.
„Lyra… Sie ist die Schwester des Bandenführers… Jiro ist verletzt und bald werden sich die Großen der Bande darum streiten, wer seine Nachfolge antritt… Wenn jemand anderes als Jiro die Bande leitet wird sie… Ich darf nicht zulassen, dass ihr etwas passiert, sonst könnte ich mich nie wieder im Spiegel ansehen.“, erklärte der Junge und verlangte gar nicht, dass der Mann seine Sorgen verstand.
„Gut… Ich lasse den Spiegel aus deinem Zimmer entfernen.“, schnaubte der Mann und Raigan blickte ihn ungläubig an. Er grinste.
„Sorge dafür, dass sie dir folgt, dann sorge ich dafür, dass es ihr an nichts fehlt. Doch dafür… Gehörst du mir und du wirst mir gehören, bis deine Lehre abgeschlossen ist. Du wirst tun was ich sage und dich nicht verweigern, selbst wenn du das, was ich verlange für falsch halten solltest.“, entgegnete der Mann und Raigan dachte darüber nach. Wollte er sein Leben wirklich voll und ganz in die Hände dieses Mannes legen? Was für eine Alternative hatte er? Ungewissheit. Wie hoch war seine Chance ohne seine Hilfe etwas für Lyra zu tun? Ungewiss.
Erst seufzte er, dann nickte er.
„Gut, aber ich möchte einen Beweis, dass es ihr gut geht, ehe ich in eure Dienste trete.“, erklärte der Junge, der von kindlicher Leichtgläubigkeit bereits genug hatte, seitdem  er mit sechs Jahren auf der Straße gelandet war. Der Fremde grinste breit.
 „Gut, das ist fair… Und klug. Gerade in einer Stadt wie dieser. Ich werde deine kleine Freundin in einem der Adelshäuser unterbringen, sodass sie versorgt ist und es ihr an nichts fehlt.“, erklärte der Fremde und streckte ihm die Hand entgegen. Raigan blickte ihn misstrauisch an.
„Das verspreche ich bei meinem Blut und meinem Leben.“, fügte der Fremde etwas unsicher hinzu und Raigan stieß den Atem aus, ehe er einschlug.

Raigan holte tief Luft, obwohl es ihm eine Gänsehaut über den Rücken jagte, als er den ekelerregenden Geruch mit einsog. Seine Hand umklammerte das kleine Stilett, welches der Fremde ihm gegeben hatte. Natürlich nur zur Sicherheit. Auf die Frage, wofür er die Waffe brauche, hatte der Fremde lediglich geantwortet:
 ‚Du versuchst einem Bruder seine Schwester weg zu nehmen. Außerdem hat er deinen Ruf bei der Bande in den Dreck gezogen. Das heißt, dass dich niemand in ihrer Begleitung einfach so gehen lassen wird.‘
Raigan hatte zugeben müssen, dass das von ihm gesagte Sinn ergab. Langsam öffnete er die alte Holztür, deren Scharniere leicht quietschten. Kurz schloss er die Augen. Irgendwas stimmte nicht. Es war zu ruhig. Normalerweise waren die Großen um diese Zeit mit ihrem Kartenspiel beschäftigt, bei dem sie die Rationen der Kleinen für die nächsten Tage verwetteten. Leise schlich er die Treppe hinauf, die unter seinem Gewicht leicht knarrte und warf einen Blick durch das Schlüsselloch, dann legte er sein Ohr an das Schloss. Niemand da.
Er schluckte und öffnete auf diese Tür. Achtsam und geduckt schlich er durch die Räume, bis er den Flur erreicht hatte. Sein Blick fiel auf die offene Tür, und den dahinter liegenden Raum zu seiner Linken. Jiros Kammer. Er schluckte, als er hinein schlich. Er schnappte nach Luft, als er Jiro an einen Stuhl gefesselt auffand. Als sein Blick Raigan fand begann er unruhig zu werden und kippelte mit dem Stuhl hin und her, während er in seinen Knebel schrie, der aus einer alten Socke zu bestehen schien. Raigan blickte sich erneut um, legte einen Finger an die Lippen um zu symbolisieren, dass er ihn wahrgenommen hatte und er leise sein sollte. Jiro beruhigte sich und Raigan schlich zu ihm heran und zog ihm den Knebel aus dem Mund.
„Verdammt nochmal, diese verfickten Hurensöhne. Ich werde diese Scheißer…“, begann Jiro und Raigan stopfte den Knebel zurück in Jiros Mund. Jiro schimpfte empört über Raigans Anmaßung, doch verstand als Raigan erneut einen Finger vor die Lippen hielt um Ruhe zu gebieten. Jiro beruhigte sich wieder und Raigan zog erneut den von Speichel durchweichten Knebel aus Jiros Mund.
 „Was ist passiert?“, fragte Raigan flüsternd und Raigan blickte ihn finster an.
„Gandar und Jerome haben mich verprügelt und gefesselt. Sie haben die Bande an sich gerissen.“, stieß Jiro hervor und Raigan nickte. Gandar und Jerome waren zwei von Jiros Großen, allerdings waren sie nie so loyal wie Kerner, Fuchs und Hemd gewesen, die durch die Spinnenküsser ihr Ende gefunden hatten. Es wunderte Raigan nicht, dass sie ihre Chance ergriffen hatten.
 „Was ist mit Lyra?“, fragte Raigan leise und Jiro starrte ihn an.
„Was? Das ist doch egal, lass uns hier verschwinden!“, stieß er hervor und Raigan traute seinen Ohren nicht.
 „Wo ist Lyra?“, fragte er erneut, wobei er jedes Wort energisch betonte.
„Am Flurende, bei den Kleinen, mach mich los und schick sie zu mir. Ich mache uns den Weg nach draußen frei.“, erklärte Jiro, wobei er sich umblickte. Na klar, er würde ihnen den Weg frei machen. Genauso, wie er es für eine gute Idee gehalten hatte ohne nachzudenken in sein Verderben zu rennen. Entschlossen stopfte er den Knebel zurück in Jiros Mund und erhob sich. Jiro tobte auf seinem Stuhl und veranstaltete einen Heiden lärm.
Seine Schwester war ihm offenbar vollkommen egal, solange er keine persönlichen Vorteile damit verknüpfen konnte. Er hatte sich geirrt. Jiro wäre jederzeit dazu fähig gewesen seine Schwester zu verkaufen. Er hatte es lediglich deshalb nicht getan, weil Sklavenhändler ihn ausgelacht hätten und beide als Sklaven verkauft hätten. Wut brandete in Raigan auf. Dieser verdammte Mistkerl war noch viel verachtenswerter, als er es zuvor geglaubt hatte. Nicht nur, dass er Raigan einfach ans Messer geliefert hatte, statt auch nur ansatzweise einen eigenen Fehler zu zugeben, nein, jetzt wurde ihm auch klar, dass Jiro noch viel schlimmer war. Am liebsten hätte er dem Jungen sein Messer zwischen die Rippen gestoßen, aber das würde ihm nun auch nichts bringen.

 

 Mit langsamen Schritten verließ er den Raum und konnte sich gerade noch so in einem gegenüberliegenden Türrahmen verstecken, als einer der Großen in den Gang hinaus spähte, weil er Jiros Gepolter hörte. Der Große, den Raigan als Jerome erkannte, schritt auf Jiros Zimmer und somit auf Raigan zu. Raigans Hand schloss sich fest um den Griff des Stiletts und er wartete ab, während er es aus der Tasche zog.
Die Schritte wurden lauter, doch wartete Raigan darauf, bis er den Atem des Jungen hören konnte. Langsam, fast schon gemächlich schritt der Große durch den Gang als würde ihm alles hier gehören und erst, als Raigan den Atem des Junge klar vernehmen konnte, drehte er sich um die Ecke des Türrahmens, in dem er sich versteckt hatte und stieß mit dem Stilett zu.
 Die schmale Klinge bohrte sich zwischen die Rippen des Jungen und statt zu schreien, ließ dieser einfach nur ein nasses Gurgeln vernehmen, als ihm das Blut aus dem Mund sickerte und Raigan ungläubig anblickte. Raigan zog das blutverschmierte Messer aus dem Körper des Gegners, der mit durchbohrtem Herzen und wahrscheinlich auch verletzter Lunge auf dem Boden zusammen klappte. Langsam aber sicher ging er weiter den Gang entlang, versuchte nicht darüber nachzudenken, was er soeben getan hatte. Blut klebte an seinen Schuhen und verursachte ein quietschen, als sich die Sohlen klebrig vom Boden ablösten.
Schreie erklangen aus dem Zimmer der Kleinen, doch es scherte Raigan nicht besonders. Er schien alles nur noch durch einen dichten Schleier hindurch wahrzunehmen. Seine Zähne waren krampfhaft zusammen gebissen und seine Augen waren starr auf die Tür gerichtet, die er gleich durchschreiten würde. Das Geräusch, was von dem am Boden haftenden Schuhen her erklang warnte den zweiten Großen vor und er wandte sich zu Raigan um.
„Jerome, wo bleibst du denn so lange?“, fragte Gandar und brach dann ab, als er Raigan und das blutige Stilett in seiner Hand erblickte.
 „Du? Was tust du hier?“, fragte Gandar mit überraschtem Blick an. Raigan blickte Gandar direkt an, was ihm wohl nicht gefiel, denn er trat einen Schritt zurück.
 „Wo ist Lyra?“, fragte Raigan vollkommen emotionslos und sein Blick wanderte durch den Raum. Gandar hatte offensichtlich damit begonnen, mehreren Mädchen unter den Kleinen die Kleidung herunter zu reißen. Aber es störte Raigan nicht. Es drang gar nicht bis zu ihm vor.
 „Du meinst die Schwester von unserem Ex-Anführer?“, fragte Gandar schnaubend und Raigan nickte zustimmend.
 „Was willst du von ihr?“, fragte Gandar und Raigan wiederstand seinem Blick.
 „Ich werde sie hier raus holen.“, erklärte er vollkommen bar jeglicher Emotion.
 „Ach ja? Wie willst du das machen? Willst du mich mit deinem Messer abstechen? Du hast doch gar nicht den Mut mich damit zu verletzen du kleiner Schisser.“, stieß Gandar aus und ein leichtes Lächeln legte sich auf Raigans Lippen.
 „Jerome ist da anderer Meinung.“, entgegnete Raigan kühl, als sei das Blut, was auf ihn und seine Kleidung gespritzt war noch kein klarer Indikator dafür gewesen, was er soeben getan hatte. „Jerome!“, rief der Große, doch eine Antwort blieb aus.
„Jerome ist tot.“, erwiderte Raigan kalt und hielt Gandars Blick mühelos stand.
„Du kleiner Wichser!“, brüllte der Junge und rannte auf Raigan zu. Raigan hob das Messer, wurde aber von der gewaltigen Kraft, die ihn erfasste völlig überrascht. Gandar trat zu und riss Raigan von Füßen, das Messer glitt ihm aus den von Blut glitschigen Fingern und schlitterte über den Boden. Raigan schüttelte den Kopf, die Schmerzen hatten ihn aus seiner Lethargie gerissen und er begriff in welchen Problemen er sich befand.
Der große packte ihn an den Haaren und riss ihn hoch um ihn dann wieder mit einem Faustschlag ins Gesicht nieder zu schlagen. Kopfschmerzen bemächtigten sich seiner, doch er riss sich zusammen, als er erneut stilvoll, wie ein Sack Kartoffeln, auf den Boden klatschte.
„Du kleiner… Ich werde dich um…“, begann Gandar erneut, dann jedoch hob er den Blick und sah den leblosen Körper Jeromes, der in einer Blutlache am Boden lag. Raigan nutzte den Schockmoment und kroch zum Messer. Er packte es fest und warf sich dann auf den Rücken. Gandar richtete seinen Blick allmählich wieder auf Raigan und funkelte ihn finster an.
„Du kleiner Bastard, ich werde dir die Haut abziehen!“, brüllte er und rannte erneut auf Raigan zu. Raigan schluckte leicht, hielt aber weiterhin das Stilett fest umklammert. Gandar schrie, als er Raigan erreicht hatte und trat ihm hart in die Seite, dann ließ er sich auf die Knie fallen und riss den Arm mit dem Messer zur Seite. Seine Faust traf Raigans Gesicht und er schmeckte etwas Metallisches in seinem Mund.
„Willst du nicht um Gnade bitten, du kleiner Bastard?“, grinste Gandar und schlug erneut zu. Raigan riss sich zusammen. Wenn er jetzt schrie würde es Gandar nur umso mehr motivieren mit den Schlägen fortzufahren. Vergeblich stemmte er alle Kraft, die er aufzubieten hatte gegen den Arm Gandars, der sich keinen Millimeter bewegte.
 „Ich werde dich umbringen!“, brüllte er und schlug mit jedem Wort einmal mehr zu. Schläge prasselten auf sein Gesicht, seinen Bauch und seine Brust. Raigan blieb die Luft weg, doch er ließ das Messer nicht fallen, egal wie oft Gandar seine Hand gegen den Boden Schlug. In einem letzten Anflug von Trotz spuckte Raigan seinem Gegner blutigen Speichel ins Gesicht, der verwirrt zurück wich und sich die Spucke aus dem Gesicht wischte.

 Raigan nahm all seine Kraft zusammen und befreite seinen Arm, dann stieß er seinem Gegner die Klinge in die Seite. Gandar schrie auf und warf sich auf die Seite, wobei Raigan die Klinge aus seiner Wunde riss. Blut spritzte Raigan ins Gesicht, doch er erhob sich einfach nur und humpelte auf das Zimmer der Kleinen zu, die nach wie vor verängstigt zusammen gerückt waren.
„Lyra?“, fragte er mit gebrochener Stimme und blickte sich um. Lyra saß einige Meter von ihm entfernt und blickte ihn verängstigt an. Ihre Kleidung war intakt, wenigstens hatte Gandar sie nicht angerührt.
„Bitte komm mit mir.“, brachte Raigan hervor und wandte sich um. Lyra blickte ihm lange in die Augen und lächelte letztendlich, wobei sie ihm tief in die Augen blickte. „Wo möchtest du mich hinbringen?“, fragte sie mit dieser unschuldigen und seidig weich klingenden Stimme.
 „Dieser Ort ist nicht mehr sicher.“, erklärte er und erwiderte ihren Blick. „Was ist mit meinem Bruder?“, fragte sie und traf  Raigan damit mitten im Herz. Jiro mochte ein bösartiger Idiot sein, doch er war immer noch ihr Bruder. Doch ganz anders als für seine Schwester, konnte er ihm keine Sicherheit bieten.
„Ich kann ihn nicht mitnehmen. Nur eine Person. Das war die Bedingung.“, gab Raigan mit gebrochener Stimme zurück. Ihre Augen wurden groß, dann jedoch verengten sie sich.
„Und du? Was ist mit dir?“, fragte sie, während sie ihm mit dem ganzen Argwohn, den eine 7 Jährige aufbieten konnte anblickte. „Ich habe mein Leben bereits gegeben, damit du deines in Frieden leben kannst.“, entgegnete er und blickte zu Boden.
„Dann möchte ich diese Sicherheit nicht.“, gab sie zurück und schaute ihn strafend an. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen und mit trauriger Stimme gab er zurück:
 „Das spielt keine Rolle. Der Pakt ist geschlossen. Bitte lass nicht zu, dass ich mein Leben umsonst verwirkt habe.“
Lyra blickte ihn an und als Raigan den Blick hob, glitzerten Tränen auf ihren Wangen. Er biss die Zähne zusammen, wollte stark sein, obwohl auch er weinen wollte, doch dann nickte sie. Sein Blick fand den blutenden Gandar und er schüttelte den Kopf um die Gedanken, die seinen Geist zu vergiften drohten los zu werden. Keine Zeit. Darum konnte er sich später kümmern.
„Folge mir… Und blicke nicht zurück.“, brachte er hervor und spürte wie sich ihre Hand um die seine schloss. Er schluckte und führte sie entschlossen hinaus. Heraus aus dem Bandenversteck, vorbei an den tobenden Lauten ihres Bruders. Hinaus in die von hell schimmernden Pilzsporen erleuchtete Dunkelheit.
Es gab kein Zurück. Er würde sein Leben leben und sie würde das ihre leben. Sie würden sich wahrscheinlich nie wieder sehen. Inständig hoffte er, dass es dem Fremden gelingen würde Lyra ein Leben außerhalb der Stadt zu ermöglichen. Weg von der Dunkelheit. Sie sollte ihr Leben im Licht führen, während er für sie durch die Dunkelheit wandelte.
Das war es, was er sich für sie wünschte. Das waren seine Gedanken, als der Fremde Lyra weg führte und ihn zurück ließ. Er war ein Schüler der Dunkelheit und er würde zu einer Klinge werden, die in der Dunkelheit der Stadt ihresgleichen suchte.

(Greypit, die unterirdische Stadt – Siebter Tag der Himmelswende – Jahr 149 n. W.)


Es dauerte drei Tage bis der Fremde ihn wieder aufsuchte. Er hatte sein Leben seitdem normal weiter geführt, jedenfalls so gut es ging. Er hatte zwei Menschen getötet… Er hatte es einfach getan ohne großartig darüber nachzudenken. Es fiel ihm schwer damit klar zu kommen. Sie mochten es verdient haben, trotzdem konnte er es nicht vor sich selbst rechtfertigen.
 Er hatte keinen Appetit, obwohl der Hunger an ihm nagte. Wahrscheinlich hatte er innerhalb der letzten Tage noch mehr an Gewicht verloren, als er selbst für möglich hielt, aber es war ihm egal. Er saß einfach nur da, den Blick starr auf das Pflaster der kleinen Gasse gerichtet.
„Das wird dir nicht helfen.“, erklärte eine Stimme und Raigan hob langsam den Blick. Er konnte sich nur ausmalen, wie ausgezehrt und leer er aussah, doch er war sich ziemlich sicher, dass es für niemanden ein schöner Anblick war. Sein Blick fand den Fremden, der vor ihm hockte und ihn ebenso emotionslos anblickte, wie Raigan ihn.
„Was wird nicht helfen?“, fragte Raigan, wobei seine Stimme kratzte. Er hatte die letzten Tage mit niemanden geredet und seine Kehle war trocken, doch er weigerte sich zu husten.
„Es wird nicht helfen dich selbst dafür zu bemitleiden, dass du Leben beendet hast.“, erklärte der Fremde und ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Mundwinkel, die nicht vom Schatten der Kapuze verdeckt wurden.
„Woher?“, fragte er kurz angebunden, aber es wunderte ihn nicht wirklich, dass er Bescheid wusste.
„Lyra hat mir erzählt, was du getan hast. Auch, dass du ihren Bruder zurück gelassen hast.“, grinste der Fremde und Raigan bemerkte, dass es ihn kein schlechtes Gewissen bereitete ihren Bruder an Ort und Stelle zurückgelassen zu haben. Es störte ihn, dass er zwei Idioten umgebracht hatte, aber jemanden zurückgelassen zu haben, der seine Hilfe brauchte? Wahrscheinlich hätte es ihn gestört, hätte es sich bei diesem Jemand um eine andere Person gehandelt. Allerdings nicht bei Jiro. Raigan schwieg.
„Warum hast du ihn zurück gelassen?“, fragte der Fremde und Raigan dachte darüber nach ob er lügen sollte, aber was würde das ändern.
„Er sagte, ich solle ihn los machen, damit er abhauen konnte. Er hat keinen Augenblick an Lyra gedacht, die nur zwei Zimmer entfernt gewesen war. Sie war ihm einfach egal, also war er mir egal.“, entgegnete Raigan mit ruhiger Stimme und das Grinsen auf den Lippen des Mannes wurde noch breiter.
 „Du bist ehrlicher, als es möglicherweise gut für dich ist, aber das ist eine Eigenschaft, die ich an dir mag.“, erklärte der Fremde und streckte ihm die Hand entgegen. Raigan blickte die Hand an.
„Mein Name ist Irakiel, doch du wirst mich mit dem Namen ansprechen, der mir vor langer Zeit von meinem Meister gegeben wurde ‚Kage‘“, sagte der Fremde und Raigan hob allmählich die Hand und ergriff seine.
 „Mein Name ist…“, begann er mechanisch, doch Kage schüttelte den Kopf.
„Vyr. Von nun an lautet dein Name Vyr.“, erklärte Kage und lächelte. Vyr nickte verdrossen und ließ sich von Kage aufhelfen. Sein Magen schmerzte vor Hunger und knurrte.
„Wie lange ist es her, dass du etwas gegessen hast Junge?“, fragte Kage ruhig und Vyr zuckte mit den Schultern.
„Es interessiert mich nicht, was dein altes Ich getan hat, aber Vyr, wird ab heute Regelmäßig essen. Für das was ich mit ihm vorhabe muss er gut genährt sein. Also Vyr, mein neuer, eifriger Schüler… Komm mit mir und lasse dein altes Leben, alles, was du getan und geliebt hast, hier in dieser Gasse zurück. Werde zu einem Werkzeug in den Schatten.“, forderte Kage und Vyr blickte ihn irritiert an. Das klang zu gut um wahr zu sein, doch er würde es erleben.
Er, Vyr, würde ein Leben führen, was Raigan immer verwehrt gewesen war. Oder er würde sterben. In seiner Situation auch nicht das schlimmste, was passieren konnte. „Nun gut, lass uns gehen Vyr, du hast viel zu lernen.“, erklärte Kage und schritt voran. Raigan folgte ihm auf dem Fuße. Niemand hielt sie auf, irgendwie wirkte die Stadt um sie herum wie ausgestorben. Kaum jemand wandelte durch die Straßen um sie herum, eine Tatsache, die Vyr auf seltsame Weise verwirrte.
Oft war es so, dass die Straßen unbelebt wirkten. In diesen Fällen bewegten sich einfach wenige Leute durch die Straßen. Aber in diesem Fall wirkte es, als seien sie wirklich allein unterwegs. Die Blicke der wenigen Leute, die ihnen begegneten, schienen einfach durch sie hindurch oder über sie hinweg zu gleiten. Es schien so, als würde sie niemand bemerken.
Den verdreckten Jungen und den vermummten Mann, der sein Gesicht größten Teils unter einer Kapuze verbarg. Vielleicht war es auch besser so, obgleich Raigan nicht glaubte, dass es irgendjemanden gekümmert hätte, hätte er das ungleiche Gespann bemerkt.
„Sieh dir diese Leute genau an Vyr. Was fällt dir auf?“, forderte Kage mit ruhiger Stimme, die einsam und trist wirkte. Vyr blickte sich um, sah sich die Leute genau an, bemerkte aber nichts, was es wert gewesen wäre etwas zu sagen.
 Langsam schritten sie durch die Stadt, bis eine Person genau auf sie zu lief. Kurz bevor sie die beiden erreicht hatte einen Schritt zurück wich und einen Weg an ihnen vorbei suchte, ohne sich dabei anmerken zu lassen, warum sie dies tat. Vyr verengte die Augen zu Schlitzen und blickte der Peron nach, die sich verwirrt umblickte, seinen Blick einen Moment streifte und dann erschauderte.
„Sie bemerken uns… Aber sie sehen uns nicht.“, versuchte Vyr zu erklären, was er soeben bemerkt hatte.
„Ja. Sie sehen uns nicht. Dabei handelt es sich um eine Art der Magie, die sich Schattenmantel nennt. Die Leute mögen bemerken, dass sich dicht vor ihnen ein Hindernis befindet, aber sie können es weder sehen, noch können sie es hören.“, erklärte Kage mit ruhiger Stimme und Vyr schloss zu ihm auf.
„Aber wie kann es sein, dass sie trotzdem unsere Anwesenheit wahrnehmen?“, fragte er neugierig und Kage grinste.
„Das ist eine ausgezeichnete Frage. Der Mensch verfügt über Fünf Sinne. Sehsinn, Geruchssinn, Gehörsinn, Tastsinn und Geschmackssinn. Um allerdings den Zauber, den ich über unsere Anwesenheit gelegt habe zu durchdringen, ist ein sechster Sinn von Nöten. Dieser Sinn hat keine wirkliche Bezeichnung im Volksmund und Magier nennen ihn letztendlich wie die Sache, die es zu spüren in der Lage ist. Nennen wir den Sinn demnach einfach ‚Anima‘. Jeder Mensch besitzt diesen besonderen Sinn, doch nicht jeder ist dazu in der Lage ihn geschult zu nutzen.“, erklärte Kage und grinste dabei.
„Wirst du mir das beibringen?“, fragte Vyr erstaunt und Kage stieß ein leises Lachen aus.
„Ich werde dir beibringen diesen Sinn zu schärfen, denn oft ist es Notwendig durch die Nebel der Ungewissheit zu blicken, um die Wahrheit zu erkennen. Ja, ich werde es dir beibringen. Dies und noch viele andere Dinge.“, erklärte Kage mit einem leichten Lachen in der Kehle.
„Was wird aus mir, wenn die Ausbildung abgeschlossen ist?“, fragte Vyr in einem plötzlichen Anfall von Neugier und Unsicherheit.
 „Du kannst sein, wer oder was du willst. Ich kann dir lediglich eine Variante zeigen die Energie der Anima zu schmieden. Wenn ich dir nichts mehr beibringen kann, wirst du eine Klinge in der Dunkelheit sein. Du wirst ein Magier unter anderen Magiern sein, die alle nur an einer grauen Oberfläche kratzen. Wenn du dem Wissen, was ich dir beibringen werde würdig bist, dann wirst du ein Nekromant. Und zwar ein Nekromant, der zu mehr in der Lage ist, als die Ruhe der Toten zu stören und ihre Leichname zu schänden.“, entgegnete Kage, wobei seine Stimme ernst klang, obgleich ein breites Lächeln auf seinen Lippen lag.

Kapitel 3

(Rakura, das unabhängige Reich – Siebter Tag der Himmelswende – Jahr 149 n. W.)

 


Chyara schaute erneut auf und ahmte, von ihm unbemerkt, die Bewegungen ihres Meisters nach. Er war nicht wirklich ihr Meister, aber sie betrachtete ihn als solchen. Konzentriert schwang er das Schwert, während Chyara lediglich den Besenstiel hatte, um ihn zu schwingen. Sie musste aufpassen, dass sie nichts von einem der zahlreichen Tische stieß, während sie Meister Iador dabei zusah, wie er den Schwertkampf trainierte. Es war eine der Eigenschaften, die Chyara so sehr an ihm schätzte. Nicht nur, dass er immer freundlich zu ihr war, obgleich sie weit unter ihm stand. Nein, er war auch der Meinung, dass man etwas niemals bis zur Perfektion beherrschen konnte. Selbst dann nicht, wenn man zu den Besten seines Fachs zählte.
Talent war ein Gestell wackeliger Säulen und um sich auf der Spitze der höchsten Säule halten zu können, musste man sich unablässig bewegen und seine Sinne schulen. Sie glaubte diese Lehre zu verstehen. Ganz im Gegensatz zu seinen Schülern Romar und Vanic, die lediglich halbherzig die Figuren nachmachten, die Iador vorgab. Seit längerer Zeit war Chyara bereits der Meinung, besser in dem zu sein, was Iadors Schüler taten, die dies alles nur für einen Zeitvertreib zu halten schienen. Sie hasste die beiden dafür. Chyara war als Tochter einer armen Magd aufgewachsen und hatte ihr Handwerk gelernt, wobei sie ihr so gut half, wie es ihr möglich war. Die beiden Schüler des Meisters waren mit einem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen und verstanden daher nicht, was für eine Ehre es war, von jemandem wie Iador zu lernen. Iador war nicht umsonst der dritte Klingenmeister des unabhängigen Reiches Rakura, welches Generationen der besten Klingenmeister der Weltgeschichte hervorgebracht hatte. Wenn es nach Chyara  ging, war Meister Iador der mit Abstand beste Kämpfer seiner Generation. Romar, oder wie Chyara ihn nannte, „Bettnässer“, drehte sich abrupt um und Chyara reagierte sofort, indem sie sofort wieder damit begann eifrig den Boden zu fegen. Bettnässer hatte die Lage nicht verstanden und drehte sich wieder um. Kein Wunder. Sie glaubte nicht, dass er in seinem Leben überhaupt etwas verstand.
Meister Iador sog tief den Atem ein, was Chyara ebenfalls tat, dann schloss sie die Augen, ließ die letzten Schritte ihres Meister revuepassieren und ahmte sie nach, allerdings ohne dabei mit dem Fegen aufzuhören. Für die Umstehenden war es egal, welche Schritte sie an den Tag legte, solange die Borsten des Besens den Boden berührten. Ihre Füße tanzten über den Boden, während sie fegte und sich dabei vorstellte die Arme im stetigen Rhythmus der Hiebe zu bewegen, die Iador vormachte. Ein Räuspern hinter ihr ließ sie aufschrecken und als sie den Blick hob betrachtete sie Lady Valara, Iadors Frau und die Hausherrin, die sie fast umgerannt hätte. Sie errötete und verbeugte sich überschwänglich.
„Es tut mir leid Mylady… Ich hatte ich einen Augenblick nicht im Griff.“, erklärte Chyara betrübt, doch Lady Valara lächelte sie lediglich an.
„Keine Sorge Mädchen. Es ist nichts passiert.“ Ihre Stimme klang zärtlich und Liebevoll, während Chyara zwei schnelle Schritte zurück machte und in einen tiefen Knicks versank. „Du brauchst keine Angst zu haben Chyara… Ich tue dir nichts.“, erklärte Valara mit einem Lächeln und Chyara erwiderte das Lächeln. Valara machte ihr sehr wohl Angst, denn sie hatte es schon oft mit angehört, wie sie mit ihrer Mutter schimpfte. Zu Chyara allerdings, war sie immer nett und freundlich gewesen. Chyara wusste, dass ihre Mutter Valara ebenfalls nicht leiden konnte, doch als Chyara sie einmal deshalb fragte hatte ihre Mutter lediglich gelächelt und gesagt:
„Die alte Schrulle kann keine Kinder bekommen und ist deshalb so nett zu dir… Warte bis du älter wirst. Irgendwann wird sie dich auch als Konkurrenz wahrnehmen.“
Chyara hatte bis heute keine Ahnung, was genau sie mit Konkurrenz meinte.
 „Bitte verzeiht Mylady, ich…“, begann Chyara und sah wie Valara mit leisen Schritten auf sie zukam. Eine starke Unruhe machte sich in ihr breit und sie versuchte diese Unruhe zu ignorieren, was nicht wirklich funktionierte. Sie erwartete fast, dass Valara ihr eine Ohrfeige verpasste, doch stattdessen schlang sie die Arme um sie. Die Umarmung war warm und zärtlich und für einen Moment wollte Chyara in dieser Umarmung versinken.
 „Ich wünschte, du wärst meine Tochter.“, seufzte Valara und Chyara riss die Augen auf. Chyara konnte das nicht glauben. Seit Jahren musste sie sich von ihrer Mutter anhören, wie schwierig alles war, seitdem sie auf der Welt war. Sie hörte sich ständig an, dass sie alles falsch machte, selbst wenn sie keinen Fehler ein zweites Mal machte. Valara ließ sie los und setzte einen Fuß zurück.
 „Verzeih…“, seufzte sie, verbeugte sich leicht, was nicht gerade unterwürfig aussah und kehrte ihr dann den Rücken zu. Was war das denn? Sie verstand nicht, was da grade passiert war, jedoch schenkte sie Valara ein Lächeln und verbeugte sich ebenfalls.
„Ihr müsst euch nicht entschuldigen Mylady.“, brachte Chyara höflich hervor und ließ ihre Gefühle nicht durchblicken, denn tatsächlich war dies die mit Abstand ehrlichste und zärtlichste Umarmung, die sie seit Jahren gespürt hatte. Sie biss die Zähne zusammen und blickte Lady Valara mit einem entschlossenen Lächeln nach. Mit gleitendem Schritt betrat sie den Saal, den Iador für die Trainingsstunden benutzte und alle drei hörten auf zu trainieren. Iador reagierte als erster reagierte und war der Einzige, der nicht aus dem Gleichgewicht kam. Seine Schüler strauchelten kurz, ehe sie ihren festen Stand wieder fanden. Chyara verkniff sich ein Grinsen und schlug den Blick nieder, ehe die beiden bemerkten, dass sie lächelte. Sie wusste nicht woran es lag, allerdings schienen es die beiden als persönliche Beleidigung zu betrachten, wenn Chyara in ihrer Nähe lächelte, lachte oder irgendeine andere gefühlsmäßige Reaktion, als blinde Unterwürfigkeit zeigte. Lady Valara sprach ein paar Worte mit Iador, der nickte und sich zu seinen Schülern umwandte.
„Das Training ist für heute beendet.“, erklärte er mit seinem kraftvollen Bariton und verbeugte sich kurz ehe er seiner Frau hinterher ging. Kurz trafen sich ihre Blicke und Iador zwinkerte ihr mit einem Auge zu, ehe er ihr ein leichtes Lächeln schenkte. Sie hatte jedes Mal den Eindruck, dass Iador genau wusste, dass sie ihn beobachtete und seine Schritte nachahmte. Als Iador und seine Frau den Raum verlassen hatten kamen allmählich auch seine Schüler hinein. Beide waren ungefähr im gleichen Alter, jedoch wusste sie nie genau, welches das war. Jedenfalls waren sie älter als Chyara. Wie sie es gewohnt war, schlug Chyara den Blick nieder um keinen der beiden zu provozieren und beachtete sie nicht weiter. Der Besen stieß gegen etwas Festes und als Chyara den Blick hob blickte sie Romar in sein feist grinsendes Gesicht.
„Seid gegrüßt, Lord Romar.“, begrüßte sie ihn so, wie sie es von ihrer Mutter gelernt hatte und knickste. Innerlich hoffte sie, dass der Höflichkeit damit Genüge getan wäre, allerdings ließ Romar das wohl nicht gelten, weshalb er sie weiter ansah. Ein Grinsen bildete sich auf seinen Lippen.
„Alle Achtung. Für eine kleine Dienstmagd bist du ganz schön hübsch.“, grinste er, wobei in seiner Stimme beunruhigende Untertöne von Hohn und noch etwas anderem lagen, was Chyara nicht genau identifizieren konnte.
„Vielen Dank Mylord.“, erklärte Chyara und schenkte ihm ein leichtes Lächeln. Das war allerdings bevor seine Hand unter ihren Rock, an ihren Hintern wanderte und fest zudrückte. Chyara quiekte vor Überraschung und Ekel und sprang einen Schritt zurück. Offensichtlich hatte Romar mit einer anderen Reaktion gerechnet, denn er blickte sie wütend an.
 „Was bildest du dir ein Miststück!“, spie er und ging einen festen Schritt auf sie zu. Chyara schluckte. „Glaubst du etwa du bekommst was Besseres du dreckige Dienstmagd? Du bist Nichts! Du solltest dich geehrt fühlen von einem Mitglied des Adels berührt zu werden.“, ergänzte er und blickte sie finster an. Er packte sie erneut und zog sie zu sich. In ihrer Verwirrung schlug sie zu. Das Klatschen ihrer Ohrfeige war wahrscheinlich bis zum Stadtzentrum zu hören. Auf Romars Gesicht breiteten sich abwechselnd verschiedene Emotionen ab. Schreck, Verwirrung, dann blanke Wut.
 Seine Faust traf sie hart im Gesicht. Von der Wucht überrascht fiel sie zu Boden und musst erst einmal ihre Gedanken ordnen, ehe sie sich die getroffene Wange hielt und der Schmerz dumpf und brennend zugleich einsetzte. Romar ging vor ihr auf die Knie, packte ihre Arme und drückte sie zu Boden.
 „Dich werde ich lehren, wie man sich gegenüber eines Adligen verhält!“, stieß er hervor, ein Arm drückte sie an der Kehle zu Boden, während die andere Hand unter ihrem Rock, ihre Unterwäsche herunter zerrte. Chyara wollte schreien, aber der Blick in seinen Augen sagte ihr, dass sie es bereuen würde. Von Angst gelähmt wehrte sie sich nicht, als Romar begann an seiner Hose herum zu nesteln.
„Verdammt Romar. Sie ist vielleicht 12, lass sie in Ruhe.“, erklärte Vanic, der andere Lehrling Iadors und packte ihn am Arm.
„Halts Maul. Die Schlampe hat es mehr als verdient.“, spie Romar, noch Vanic zerrte entschlossener an Romars Arm. „Sie ist Iadors Dienstmagd. Er wird dich sofort rausschmeißen, wenn er herausfindet, was hier passiert.“, erklärte Vanic und versuchte noch immer Romar von Chyara herunter zu reißen.
„Ist mir egal. Mein Vater wird dafür sorgen, dass ich irgendeinen anderen Meister finde.“, knurrte Romar, doch letztendlich riss Vanic ihn von ihr herunter, stieß ihn weg und stellte sich schützend vor Chyara.
„Hör auf!“, brüllte er mit finsterem Blick und Romar starrte ihn an. Seine Kleidung zerknitternd und seine Hose offen stehend.
„Willst du dich mit mir anlegen? Du weißt, dass mein Vater dafür sorgen kann, dass dich niemand mehr als Lehrling annimmt. Im Gegensatz zu mir, bist du ein Niemand, im Gegensatz zu meiner ist deine Familie nichts!“, stieß Romar hervor, während Chyara ihre Unterwäsche wieder hoch zog und bitterlich weinte. Sie hatte Angst, sie hatte schmerzen. Sie konnte nicht glauben, was da grade passiert war und was passiert wäre, wenn Vanic nicht aufgetauchte.
„Du und deine Familie, ihr seid keine Götter und Iador wird mich nicht rausschmeißen. Verschwinde, reg dich ab.“, brachte Vanic hervor und Romar starrte ihn mit blanker Verachtung an, dann spuckte er vor Vanic auf den Boden. „Du wirst das hier noch bereuen.“, erklärte er, schloss die Pforten zur Hölle mit einem Zug an dem Reißverschluss seiner Hose und wandte sich ab. Dann ging er. Vanic stieß einen Seufzer aus und ließ sich neben ihr auf den Küchenboden nieder.
„Tut mir leid, wegen ihm. Er ist… Egal wie sehr ich versuche andere Worte zu finden, drängt sich mir das Wort Arschloch auf… Tun wir einfach so, als hätte ich etwas Klügeres gesagt, okay?“, sagte er und stützte sich mit den Händen, hinter sich am Boden ab. Chyara war verwirrt, wusste nicht so ganz was sie tun oder sagen sollte. Ihre Wange schmerzte, genau wie ihre Seite mit der sie auf dem Boden aufgeprallt war.  Sie schmeckte Blut, aber es war kein Zahn locker. Llediglich die Innenseite ihrer Wange hatte Schaden genommen. Sie blinzelte und schaute zu Vanic, der neben ihr saß, sie aber nicht ansah.
„Danke…“, erklärte sie, als sie allmählich begriff was geschehen war.
„Keine Ursache… Wie ich schon sagte, er ist einer der schwierigeren Menschen… Du solltest dich die nächsten Tage und Wochen von ihm fern halten. Er ist… äußerst nachtragen und er kann mit Zurückweisungen nicht umgehen.“, erklärte Vanic mit ruhiger, müder Stimme, schaute sie aber noch immer nicht an.
„Ich sollte es Meister Iador erzählen…“, brachte Chyara hervor und Vanic zuckte mit den Schultern.
„Ja… Vielleicht solltest du das, aber so bringst du Meister Iador in eine unangenehme Situation. Du würdest ihn zwingen sich zwischen dir und seinem Schüler zu entscheiden. Und Dienstmägde wiegen, egal wie jung sie sind, nicht so schwer, wie ein Adliger von Romars Schlag. Rein gerichtlich würde Romar in jedem Punkt freigesprochen werden. Du bist zwar nicht verpflichtet dir alles bieten zu lassen, aber Leute wie er… biegen die Regeln gerne so, wie sie es in diesem Moment brauchen. Das ist eines seiner Talente.“, entgegnete er ruhig und lächelte Chyara leicht an. Sie wusste, dass er Recht hatte, aber sie fand es ungerecht. So unfassbar ungerecht….
„Deine Beinarbeit ist übrigens fast so gut, wie die von Meister Iador.“, kam er auf ein anderes Thema zu sprechen und Chyara errötete. Er lachte leise.
„Dachtest ich bemerke das nicht, hmm? Ich bin nicht blöd und ich wette Iador hat es auch schon längst begriffen.“, erklärte Vanic und lächelte leicht.
„Du meinst damit…?“, begann sie, brachte  Satz aber aus Verlegenheit nicht zu ende.
„Ja, alle außer vielleicht Romar haben es bemerkt.“, lächelte Vanic, schaute sie aber wieder nicht an. Sie wurde tiefrot und dachte darüber nach, dass Iador die ganze Zeit mitbekommen hatte, wie sie seine Schritte nachahmte. „Sag mal… Was ist das mit dir und Iadors Gemahlin?“, fragte er vorsichtig und Chyara zuckte mit den Schultern.
 „Ich weiß es nicht. Ich schätze sie ist einfach nett…“, entgegnete sie und wusste, dass das nicht die Wahrheit war. Sie war nett zu Chyara, mit ihrer Mutter geriet Iadors Gemahlin allerdings alle paar Wochen in Streit. Sie stieß den Atem aus.
„Wir wissen beide, dass das Unsinn ist. Sie mag dich ganz offensichtlich. Iador hat das auch schon bemerkt und irgendwie sieht er immer etwas verschämt aus, wenn er euch beide zusammen sieht.“, erklärte er und blickte sie fest an.
„Nun… meine Mutter hat mir erzählt, dass Valara keine Kinder bekommen kann… Vielleicht hat sie sich immer eine Tochter gewünscht…“, entgegnete sie und Vanic nickte.
„Das könnte es sein… Und dennoch verhält sie sich dir gegenüber nicht so, wenn deine Mutter in der Nähe ist, oder?“, fragte Vanic und schaute sie gespannt an.
„Nein… Ich glaube, wenn meine Mutter in der Nähe ist, übersieht sie mich einfach.“, lächelte sie peinlich berührt. Irgendwie machte es mehr Spaß mit Vanic zu reden, als sie erwartet hatte. Vanic lächelte sie an und es schien als würde er erröten, ehe er wieder weg sah.
„Sag mir Bescheid, wenn Romar dir Ärger macht. Er sagt zwar immer, dass er ein großer Adliger ist, aber das würde weder mich noch Iador davon abhalten ihm einen Tritt in den Allerwertesten zu verpassen, wenn er Mist baut.“, sagte er und stand auf. Er versuchte sich den Staub von der Hose zu klopfen, aber Chyara verrichtete ihre Arbeit immer gewissenhaft und gründlich. Es gab einfach keinen überschwänglichen Staub auf dieser Stelle des Bodens. Er lächelte noch einmal kurz.
 „Bis zum nächsten Mal, Chyara.“, erklärte er und zwinkerte ihr zu, dann ging er. Er kannte ihren Namen. Aus irgendeinem Grund verwunderte sie das. Normalerweise waren junge Lords viel zu Eitel, um die Namen des Haupersonals zu lernen. Das betraf vor Allem das Hauspersonal anderer Personen. Sie sollte sich in näherer Zukunft von Romar fernhalten.
Sie wollte niemanden erzählen, was hier passiert war und letztendlich war dies wahrscheinlich auch die beste Entscheidung. Niemand konnte so genau wissen, was Iador tun würde, wenn sie ihm erzählte was passiert war. Würde er ihr letztendlich überhaupt glauben? Würde er, wenn er es wusste, Romar ärger machen? Oder würde sie die Konsequenzen tragen müssen? Sie verehrte Iador, doch das bedeutete nicht, dass er sie schützen würde, wenn es um so etwas ging. Vielleicht würde er es sogar begrüßen, wenn Romar etwas seiner Wut an Chyara ausließ. Immerhin war sie nur ein Dienstmädchen. Sie schluckte. Ganz langsam stemmte sie sich auf die zittrigen Beine. Das nächste Mal würde sie sich richtig wehren müssen und es hätte sie nicht gewundert, wenn Romar ihr früher oder später auflauerte. Es war keine Zeit zu weinen. Jetzt musste sie lernen. So viel wie irgendwie möglich. Sie stieß den Atem aus und schloss die Augen.
Die Küche war sauber, die anderen Zimmer, die zu ihrem Einsatzgebiet gehörten auch, also konnte sie sich erstmal ausruhen… Oder… Iador betrat den Raum normalerweise nicht mehr nach den Trainigseinheiten. Jedenfalls nicht, wenn die Lady des Hauses ihn beanspruchte. Ihr blick wanderte nach draußen die Sonne stand hoch am Himmel.
Ihre Mutter würde in ein paar Stunden die Küche betreten und anfangen zu kochen. Sie sog tief den Atem ein und trat in den Trainingsraum. Sie griff sich eines der Übungsschwerter und ließ es herumschwingen. Es war überraschend schwer, aber auch gut ausbalanciert. Wahrscheinlich um den Anschein zu erwecken ein echtes Schwert in den Händen zu halten. Sie sog den Atem ein und schloss die Augen. In Gedanken stellte sie die Lektionen nach, die Iador seinen Lehrlingen gezeigt hatte und begann die Figuren auszuführen, die ihr Meister Kata nannte. Das Holzschwert pfiff durch die Luft, als es von ihrer Hand geführt, kunstvoll durch die Luft schoss.
Das nächste Mal, wenn Romar ihr etwas tun wollte, musste sie vorbereitet sein. Vielleicht war es nicht die beste Idee sich gegen einen jähzornigen kleinen Adligen zu wehren, aber andererseits würde sie sich ihm nicht einfach hingeben. Sie war keine dieser Frauen, die einem Mann wie ihm alles opferten, nur damit sie nicht das Ziel seines Zorns wurden. Sollte er sich ruhig beschweren. Sie würde lieber sterben, als diesem Jungen auch nur irgendetwas von ihr zu geben.

Die nächsten Tage führte Chyara ihre Pflichten sehr früh aus, sodass niemand von ihr Notiz nahm. Aus kleinen Verstecken beobachtete sie das Training ihres Meisters und prägte sich jeden Handgriff und jeden Konter genau ein. Sie saß einfach nur da, beobachtete und ließ das Geschehene vor ihrem geistigen Auge revuepassieren. Als Iador und seine Schüler den Raum verließen, betrat sie den Trainingsraum, säuberte ihn und begann dann selbst mit dem Training. Für einige Zeit konzentrierte sie sich nur auf das, was sie tat, nicht auf das, was um sie herum geschah und ahmte die Bewegungsabläufe, die Iador Tag für Tag ablief, nach.
 Bei ihm sah es deutlich einfacher aus, als es tatsächlich war und je langsamer sie wurde, desto schwieriger wurde es, dennoch hielt sie sich wacker und gab nicht auf. Sie holte tief Atem, genoss die Stille um sich herum und bewegte sich weiter. Leise, präzise, ruhig. Die Übungsklinge glitt durch die Luft, zeichnete Symbole, Kurven und präzise Linien hinein. Sie stolperte, fing den Fall ab, holte tief Luft und begann von neuem. Ein hieb mit der linken Rückhand seitlich, eine langsame, Pirouette artige Drehung auf dem Fußballen, verbunden mit einem Tritt. Unter einigen Anstrengungen hielt sie ihr Bein zum Tritt gestreckt und verwandelte den Tritt langsam zu einem Schritt. Nun folgte eine duckende Bewegung, die fließend in einen wirbelnden Schwerthieb überging.
Bis hierhin beherrschte sie die Kata perfekt, soweit war sie sich sicher, jedoch folgte nun eine Stelle, die sie noch nicht ganz beherrschte, also drehte sie das einschneidige Übungsschwert, sodass die Klinge nach oben deutete, führte einen Seitwärtshieb. Ihre Muskeln rebellierten, als sie die Schwertklinge vor sich ausgestreckt dem Schwung zuwider stoppte und einen schnellen Schritt nach vorn, zusammen mit einer Stichbewegung tat.
Erneut stolperte sie in der Fußstellung, die sie angenommen hatte, über ihre eigenen Füße und zischte leise, als sie erneut den Fall abfing. Wieder brachte sie sich in die Grundhaltung und ahmte die Kata ein weiteres Mal nach. Immer wieder zeigten sich offensichtliche Fehler, die sie zu beheben versuchte, doch genau wie die Fehler, die sie ohnehin machte, welche allerdings keine Schwierigkeiten für den weiteren Ablauf bedeuteten, war es schwer sie zu korrigieren, ohne einen Fachkundigen Lehrer an ihrer Seite zu haben. Ob sie Iador einfach fragen sollte?
Nein. Auf keinen Fall. Vanic? Nein, er hatte selbst seine Schwierigkeiten beim Ausführen der Kata und außerdem würde er sie nur dumm ansehen und fragen, warum sie das wissen wollte. Das konnte sie nicht gebrauchen. Das leise klirren von Teegeschirr ließ sie aufschrecken und sie wandte sich um. Ihr Gesicht lief puterrot an, als sie Iador an einem kleinen Tisch in der Küche sitzen sah, wie er ihr zusah und lächelte. Beschämt ließ sie das Übungsschwert sinken und brachte kein Wort heraus. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit entrangen sich die Worte:
„Es tut mir leid Meister! Ich hatte nicht gedacht, dass mich jemand beobachtet.“, ihrer Kehle und sie blickte auf. Iador lächelte breit und nickte leicht. Erst dann stand er auf und ging mit langsamen Schritten auf Chyara zu.
„Ausgangstellung.“, sagte er mit ruhiger Stimme. Erst blickte sie ihn irritiert an, dann jedoch verstand sie und brachte sich in die entsprechende Grundhaltung der Kata. Mit langsamen Bewegungen, fließenden Bewegungen begann er die Kata auszuführen und sie spiegelte seine Bewegungen mit den ihren. Durch sein Vorbild erkannte und korrigierte sie die meisten ihrer eigenen Fehler und prägte sich die Unterschiede genau ein.
„Was ist Kata?“, fragte er, während sein Körper noch immer die schwierigen Figuren ausführte. Kurz dachte sie nach und glaubte zu verstehen, dann jedoch hielt sie die offensichtliche Antwort zurück. War Kata ein vorgefertigter Kampfablauf? Nein. Das erschien ihr zu einfach. Viele Angriffe und Konter innerhalb in einer Kata schien zu gradlinig, zu direkt, als das man damit wirklich jemand bekämpfen konnte.
 „Kata ist die Form. Ein Bewegungsablauf, der mögliche Bewegungen innerhalb eines Kampfes zeigt.“, brachte sie hervor, wohl wissend wie schwammig das klang, was sie sagte. Die Antwort war lange nicht perfekt, aber sie war nicht das Offensichtliche, was viele Andere als Antwort genutzt hätten. Sie sog  den Atem ein, während sie weiter seinen langsamen Bewegungen folgte. Die Welt schrumpfte auf sie beide zusammen und Chyara lächelte sanft, obwohl ihre Muskeln vor Anstrengung zu protestieren schienen. Ruhig bewegte er sich im Takt einer nicht hörbaren Musik und sie folgte jeder einzelnen seiner Bewegungen so gut sie konnte. Teilweise stoppte er die Ausführung für einen Moment, bis Chyara ihr Gleichgewicht wieder fand, nachdem sie taumelte. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln. Ein Lächeln, was sie so, bei ihm noch nie gesehen hatte.
„Was fällt dir bei dem was ich tue auf?“, fragte er wie ein Lehrer wohl seinen Schüler fragen würde. Chyara beobachtete ihn so gut sie konnte, während sie seine Bewegung nachahmte. Alle Bewegungen waren so langsam und nachvollziehbar und dennoch wirkten sie schwer durchschaubar. Sie beobachtete seine Bewegungen, ließ sich mit der Antwort Zeit, bis ihr etwas auffiel, was sie selbst nicht tat. Sie schloss kurz die Augen und streckte den Rücken bis er vollkommen grade war.
„Euer Rücken ist bei all euren Bewegungen sehr gerade…“, erklärte sie und spürte den Unterschied, den der gerade Rücken machte. Das genutzte Gleichgewicht war viel einfacher zu halten und Chyara seufzte. „Eure Muskeln und eure gesamte Körperhaltung wirkt trotz der anstrengenden Bewegungen völlig entspannt.“, ergänzte sie ihre Aussage und Iador blickte sie lächelnd an. Er nickte anerkennend, sagte aber nichts. Er musste auch nichts sagen, denn sie wusste, dass sie ihm eine Antwort geliefert hatte, die seine Schüler ihm nie hatten geben können. Seine Bewegungen blieben präzise und langsam und Chyara ahmte sie so gut sie konnte nach.
„Wieso bist du hier?“, fragte Iador mit ruhiger, beherrschter Stimme.
 „Weil ich meiner Mutter bei der Hausarbeit helfe.“, erklärte sie schnell, ehe sie sich eines Besseren belehren konnte. Iador lächelte sie gütig an.
„Ich meine warum du das hier tust.“, ergänzte er und Chyara lief rot an. Selbstverständlich tat sie das.
 „Ich bin mit den Hausarbeiten fertig und diese Übungen helfen mir dabei, mich zu beruhigen.“, erklärte sie. Tatsächlich entspannten sie die Übungen auf einer geistigen Ebene, während sie für ihren Körper äußerst anstrengend waren. Auf der anderen Seite eiferte sie Iador nach und wollte lernen mit seiner Schwert- und Kampfkunst umzugehen, allerdings unterschlug sie diesen Teil.
„Wie hast du den Ablauf gelernt?“, fragte er und nun wurde Chyara erneut rot.
„Durchs zusehen… Ich habe Euch sehr oft beim Training zugesehen, während ich die Küche sauber gemacht habe…“, erklärte sie und wäre am liebsten im Boden versunken.
„Dafür, dass du es nur durchs zusehen gelernt hast, beherrschst du die Kata erstaunlich gut.“, lobte er sie und ihr Blick glitt zu Boden, wobei ihr Haar ihr puterrot werdendes Gesicht verdeckte. Er hatte sie gelobt. Iador hatte sie gelobt. Nach und nach stellte sich ein seltsamer Gedanke in ihr ein. Konnte es sein, dass sie das alles nur träumte? Das waren einfach zu viele Glücksmomente auf einmal um sie wirklich ernst nehmen zu können. Mit ruhiger Hand zeichnete Chyara die Bewegung nach, die Iador vormachte.
„Sag mir Chyara… Wie gerne tust du, was du hier grade tust?“, fragte er und erneut errötete sie. Verdammt nochmal. „Sehr gerne… Es gefällt mir Euch zu zusehen und Euch nachzueifern.“, entgegnete sie Wahrheitsgemäß und Iadors Blick wurde aufmerksamer.
 „Sag mir Chyara… Was würdest du davon halten jeden Abend zusammen mit mir zu trainieren?“, fragte er und Chyara verlor das Gleichgewicht, stolperte und brauchte einen Moment um sich wieder zu fangen. Hatte er grade…? Unmöglich. Sie kniff sich in den Arm, dann noch einmal, bis ihr die unglaubliche Wahrheit klar wurde. Es war echt. Kein Traum.
„Meint ihr, als Eure Schülerin?“, fragte sie ungläubig und Iador lächelte leicht.
„Sagen wir als Trainingspartner. Die Familien meiner Schüler mussten viel Geld zahlen um sie bei mir in die Lehre geben zu können. Das hatte zwar weniger damit zu tun, dass ich keine Schüler unterrichten wollte, als das ich sie für das, was sie bei mir lernen würden, nicht als würdig erachtet habe. Vanic ist ein netter Kerl, hat aber wenig Talent und Romar… ist ein eingebildetes Arschloch, was mit einem goldenen Löffel im Mund und Diamanten im Arsch aufgewachsen ist. Er gehört meines Erachtens zu den Leuten, denen man nichts beibringen sollte, was sie Macht ausüben lassen könnte. Menschen wie er sind so schon dazu fähig mehr Chaos anzurichten, als sie wert sind. Gut, dass er bei mir nicht allzu viel lernt…“, seufzte Iador und setzte die Übungen fort, die Chyara sofort wieder nach zu machen begann.
„Wie meint Ihr das, dass er nichts bei Euch lernt?“, fragte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue.
„Es ist nicht so, als würde ich ihm nichts beibringen. Viel eher ist es so, dass er keinen Willen dazu hat, zu lernen. Er will können, was ich kann, will sich aber nicht anstrengen es zu lernen. Das ist der Grund, warum aus ihm niemals ein fähiger Klingenmeister werden wird. Möglicherweise kann er zum Ende seiner Lehrzeit ein Schwert richtig in den Händen halten, aber das wird auch schon das höchste der Gefühle sein. Er wird das, was ich ihm beibringe niemals einsetzen können.“, antwortete Iador stirnrunzelnd und setzte ein schwaches Lächeln auf.
„Ist es denn bei mir anders?“, fragte Chyara und versuchte somit ihm eine Reaktion zu entlocken.
„Möglicherweise. Bisher scheinst du in einer halben Stunde bis Stunde mehr gelernt zu haben, als beide zusammen in Wochen des Trainings.“, entgegnete er Lächelnd und Chyara betrachtete ihn genau. Er konnte sie Dinge lehren, die sie immer wissen wollte, außerdem konnte sie so mehr Zeit mit ihm verbringen, was auch nicht zu verachten war.
„Ich wäre gerne eure Trainingspartnerin.“, stimmte sie zu und Iador lächelte breiter.

 

 

„Wo hast du dich wieder rumgetrieben?“, fragte Adriana gereizt. Offensichtlich hatte sie einmal mehr ihre berühmten Kopfschmerzen. Chyara seufzte und blickte ihre Mutter an.
 „Ich habe trainiert.“, erklärte sie ihrer Mutter und Adriana schnaubte.
 „Wofür trainierst du? Du bist eine einfache Dienstmagd und das wird sich nicht ändern.“, spie Adriana mit einer gewissen Verachtung in der Stimme. Chyara stieß erneut den Atem aus. Sie war schon immer so. Wenn ihre Tochter Träume hatte pflegte Adriana diese mit Brachialgewalt zu zertrümmern.
„Das ist nicht deine Entscheidung.“, erklärte Chyara und Adriana blickte sie finster an. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihrer Mutter Widerworte gab, jedoch das erste Mal seit längerer Zeit.
„Was?“, fragte sie mit drohender Stimme und blickte ihre Tochter weiter mit diesem finsteren Blick an.
„Ich sagte, dass meine Zukunft nicht deine Entscheidung ist Mutter.“, entgegnete Chyara und Adriana kam ihr mit schnellen, forschen Schritten entgegen.
„Was soll das heißen?“, fragte sie mit, von Verachtung getränkter Stimme und packte ihre Tochter mit festen Griff am Kinn. Es juckte Chyara in den Fingern sich zu wehren, doch sie wiederstand dem Impuls ihrer Mutter einen Schlag zu versetzen.
„Ich führe mein eigenes Leben…“, begann Chyara, doch ihre Mutter schrie auf und versetzte Chyara eine heftige Ohrfeige. „Bilde dir nichts ein. Du bist zu dumm für alles andere. Du bist nicht wie ich! Du bist in dieses Leben hinein geboren und du wirst es so weiter führen. Sieh dich an. Da draußen gibt es keinen Prinzen, keinen Mann, der dich hübsch findet und wenn doch, dann nur für eine Nacht.“, spie ihre Mutter und ihre Stimme troff nur so vor Verachtung. Chyara rang mit ihrer Beherrschung und gewann den Kampf fürs Erste.
 „Das kann dir egal sein, es ist mein Leben.“, presste Chyara hervor und fing sich die nächste schallende Ohrfeige. Ihre Wange brannte, während ihr die nächste Antwort ihrer Mutter zusammen mit Speichel entgegen flog.
„Du schuldest mir dein Leben, du undankbares Gör. Ohne mich wärst du nicht am Leben.“, grollte ihre Mutter und allmählich wurde es schwieriger ihre Wut zu zügeln.
„Ich schulde dir gar nichts.“, presste Chyara zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor und ihre Mutter holte erneut aus. Diesmal jedoch war Chyara vorbereitet und fing ihre Hand ab, indem sie ihr Handgelenk umklammerte.
„Glaub mir Mädchen, da draußen gibt es kein Glück für dich. Es wird Männer in deinem Leben geben, doch sie werden dich nur benutzen und dann fallen lassen. Letztendlich wirst du mit einem Balg enden, was du nie wolltest und was dir nur Kummer bereitet. Du bist nutzlos, du bist dumm, du bist schwach. Zu schwach für die Welt da draußen!“, spie Chyaras Mutter und am liebsten hätte Chyara die Konversation sofort abgebrochen und wäre vor ihrer Mutter geflohen, diesmal jedoch hielt sie dem Verlangen in ihrem Inneren stand.
 „Ich bin stärker als du denkst.“, knurrte Chyara und ihre Miene hatte einen finsteren Ausdruck angenommen. Erneut traf sie die Hand ihrer Mutter im Gesicht und Chyara taumelte zurück.
 „Ich habe dich erschaffen und du hast mir nicht zu widersprechen, du dummes Mädchen.“, stieß ihre Mutter hervor es fiel Chyara schwer die Fassung zu wahren, doch widererwartend schaffte sie es. Krampfhaft suchte ihr Verstand nach einer bissigen Entgegnung, doch es fiel ihr keine ein. Sie fluchte innerlich und blickte ihre Mutter an in deren Gesicht pure Abscheu lag. War das, das Gesicht einer Mutter, was ihr Kind anblickt, wenn es ihr Widerworte gab? Was war geschehen? Sie biss sich auf die Lippen und sie spürte, wie ihr die Tränen die Wangen hinunter rannen. Sie stieß ein unkontrolliertes Schluchzen aus, hätte am liebsten geschrien, aber sie wusste, dass es nichts bringen würde.
„So schwach…“, spie ihre Mutter und wandte ihr den Rücken zu im festen Glauben die Konversation für sich entschieden zu haben. Chyara riss sich zusammen und holte tief Luft. Innerlich zählte sie bis zehn, ehe sie sich umdrehte.
„Mag sein, dass ich ein dummes Kind bin, aber du bist eine schreckliche und verachtenswerte Mutter.“, erklärte Chyara mit all der Ernsthaftigkeit, zu der ein Mädchen in ihrem Alter fähig war. Die Tür schlug hinter ihr zu, bevor ihre Mutter etwas entgegnen konnte.

 

 

(Greypit, die unterirdische Stadt – Siebter Tag der Himmelswende - Jahr 149 n. W.)


„Kannst du lesen?“, fragte Kage und schaute Vyr ernst an. Vyr schüttelte unsicher den Kopf.
„Ich weiß nicht... Ich kenne Alpahabetrunen… Aber das ist alles so lange her…“, begann er und zuckte dann mit den Schultern. Kage stieß einen Seufzer aus.
„Gut, dann werden wir ganz von vorne beginnen.“, erklärte er und sog tief du Luft ein. Er zog ein Buch aus einem der Regale in dem erstaunlich warmen und trockenen Unterschlupf und legte das schwere, in Leder gebundene Schriftstück auf den Tisch.
 „Dann also die Grundlagen.“, erklärte Kage mit einem ruhigen Blick und ließ sich an dem Tisch auf einen Stuhl sinken. Mit einer Handbewegung wies er Vyr an, sich den Stuhl neben ihm zu greifen. Vyr tat dies und blickte in das Buch, was in ihm einen leichten Schwindel auslöste. Das Buch war in einer engen, krakeligen Handschrift abgefasst und Vyr zog die Stirn graus. Er versuchte sich in die Zeit zurück zu versetzen in der er noch schöne Klamotten getragen hatte und mit seiner Mutter gemeinsam über einem Bilderbuch saß. Eine der wenigen Erinnerungen, die ihm an seine Eltern geblieben waren. Traurig, dass er es nicht einmal jetzt schaffte, sich an ihr Gesicht zu erinnern. Anhand der kleinen Absätze im Buch hatte sie ihm die Lettern, welche die Geschichte hinter den Bildern verrieten, näher gebracht. Er versuchte sich daran zu erinnern, aber die Zeit schien wie hinter einer Wand verborgen, die er nicht einzureißen vermochte.
„Kannst du etwas lesen?“, fragte Kage mit geduldiger Stimme und Vyr konzentrierte sich auf die Zeilen, deren Inhalt für ihn absolut keinen Sinn ergab. Zuerst begann er wahllos Runen aneinander zu hängen und stammelte ein paar Worte, die sich hinter dem  Schleier der Runen verbergen mochten, doch die Handschrift war zu eng, zu klein… Jedenfalls redete er sich das ein. Er schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf.
„Nein… Vielleicht in einem gedruckten Buch, aber die Handschrift ist…“, begann Vyr, wie um sich heraus zu reden, dann schüttelte er erneut den Kopf und zuckte mit den Schultern. Kage nickte und stand auf. Aus einem der kleinen Schränke zog er einen abgenutzten Kreidegriffel und eine kleine Tafel, die er vor Vyr auf den Tisch legte.
„Ich werde dir jetzt Runen nennen. Du wirst diese zeichnen. Denk ganz genau nach, versuch jede einzelne zu zeichnen, geh tief in dich und zeichne das, was dir einfällt, egal ob du die Rune auf Anhieb kennst oder nicht. Bei Runen, die du nicht kennst, zeichnest du das erste Symbol, was dir einfällt. Verstanden?“, erklärte Kage mit ruhiger Stimme und reichte Vyr den Kreidegriffel. Vyr schluckte, dann jedoch nickte er und ergriff den Griffel. Kage blickte ihm in die Augen.
„Bist du bereit?“, fragte Kage und Vyr holte tief Luft, wobei er die Augen schloss. Wie er es auf der Straße gelernt hatte ließ er unter einiger Mühe alle Beklommenheit von sich abfallen, als wäre sie Staub auf seiner Kleidung. Wenn man auf der Straße lebte, durfte man sich fürchten. Wer keine Angst hatte war nicht mutig sondern dumm. Doch Beklommenheit förderte Unsicherheit und Unsicherheit führte unweigerlich zu falschen Entscheidungen, die einen Waisenjungen auf der Straße ohne weiteres das Leben kosten konnten. Als er die Augen wieder öffnete sah er, dass Kage lächelte. Sein Lächeln drückte irgendetwas aus, aber er konnte nicht genau sagen was. Stolz?
Nein, er hätte stolz sein können, wenn er ihm das beigebracht hätte. Viel eher schien ihm dieses Lächeln Respekt zu zollen. Vyr schaute Kage in die Augen, dann nickte er und hob den Kreidegriffel.

 

 

 

 „Ayrin.“, begann er die Aufzählung mit der ersten Rune des, auf der Welt am meisten verbreiteten Alphabets. Schwungvoll zeichnete Vyr die Rune auf die Tafel und Kage nickte anerkennend. Die Rune war geschwungen gezeichnet und nicht so kunstlos, wie man es von einem Jungen erwartet hätte, den man von der Straße geholt hatte. Es wunderte ihn, dass Vyr Runen kannte und diese souverän zeichnen konnte. Scheinbar hatte er eine seltsame Art der Lehre genossen.
Normalerweise lernte man zeitgleich zu lesen und zu schreiben. Er hatte offenbar nur gelernt zu schreiben. Es sei denn, es hatte tatsächlich an der Handschrift seines ausgewählten Exemplars gelegen. Anscheinend hatte er auch viel Zeit damit verbracht die Runen in einer gewissen Schönschrift zu zeichnen. Wer auch immer ihn unterrichtet hatte, legte wohl Wert darauf. Ob sein Lehrer ein Gelehrter gewesen war? Ein Adliger? Oder einfach nur ein Perfektionist?
 „Barav.“, nannte er die nächste Rune und Vyr übertrug sie makellos auf die Tafel.
 „Cyriz, Dator, Elkron, Fryaer.“, zählte er nun absichtlich schnell hintereinander auf um zu testen, wie sein Schüler damit umging. Vyr verlor nicht, wie erwartet die Fassung und verhaspelte sich, sondern zeichnete die Runen sauber, aber auch schneller auf die Tafel.
„Gyrar, Hirial, Ion, Myras, Jiraz, Larem, Klaim.“, zählte Kage die nächsten Runen in der falschen Reihenfolge auf. Viele Leute waren zu sehr auf eine gewisse Reihenfolge fixiert, dass es sie verwirrte, wenn die Runen in der für sie falschen Reihenfolge folgten. Vyr zog die Stirn graus, schrieb aber die Runen geschickt und richtig auf.
„Nazar, Orek, Para, Quiray, Ryanzar… Aeon.“, sagte er schneller auf und hängte eine viel ältere Rune an. Eine Rune, die Vyr unmöglich kennen konnte, da das Wissen um diese Sprache seit Ewigkeiten in Vergessenheit geraten war. Streng genommen konnte es keine Person mehr auf dieser Welt geben, die diese Sprache sprach oder verstand. Aber hin und wieder wurden Kinder geboren, welche die alte Sprache in ihren Grundfesten verstanden. Diesen Kinder war nicht bewusst, welches Wissen sie in sich trugen. Unterbewusst jedoch, ließ sich dieses Wissen von Zeit zu Zeit zu Tage fördern.
Vyr schrieb die Runen auf, wobei er auf die letzte Rune starrte. Fast so als hätte er dieses Symbol niemals zuvor gesehen.
 „Aeon?“, fragte er mit leiser Stimme und Kage lächelte behutsam.
„Nur ein Test… Ein Test den du widererwartend bestanden hast.“, erklärte Kage und Vyr schaute ihn völlig irritiert an.
„Ich habe dieses Symbol…“, begann Vyr, doch Kage schnitt ihm mit einer raschen Handbewegung das Wort ab.
„Das ist nicht verwunderlich. Kümmere dich nicht darum. Dass du die Rune fehlerlos zeichnen konntest ist gut für dich.“, erklärte Kage und Vyr starrte ihn an, als wolle er fragen in wie fern Wissen, was er nicht verstand, welches aber tief in seinem Geist existierte, Vorteile bedeuten konnte. „Glaub mir einfach… Es ist schwer zu erklären, aber die alte Sprache zu verstehen birgt unheimliche Macht.“, lächelte Kage und grinste innerlich. Er hatte den richtigen Schüler erwählt. Seine Wahl würde sich bald bezahlt machen. In schneller Reihenfolge fragte er die anderen Standardrunen ab und Vyr schrieb sie nieder. Kage blickte auf die Tafel und inspizierte die Runen, dann nickte er.
„Gut… du kannst schreiben, aber kannst du auch lesen?“, fragte er und Vyr errötete und blickte beschämt zu Boden. Das hatte Kage sich gedacht. Schreiben konnte man, wenn man etwas abschreiben konnte. Den Sinn hinter den Worten zu verstehen, die aus aneinander gereihten Runen bestanden war etwas gänzlich anderes.
Anscheinend hatte sein Lehrer zuerst dafür gesorgt, dass Vyr repräsentativ schreiben konnte, damit er später niemanden mit unsauber gezeichneten Runen beschämte, jedoch war der Lehrer wohl nicht mehr dazu gekommen ihm auch das lesen und aussprechen von Worten beizubringen. Nun gut, das würde dann wohl Kage übernehmen. Ein Schüler der Magie, der nicht lesen konnte, war nutzlos, egal was manche Kleriker sagten. Magier und Magieradepten mussten lernen sich Geheimnisse eigenständig anzueignen.
„Nun gut.“, begann Kage mit leiser, beruhigender Stimme und schlug das Buch auf. „Versuche mir vorzulesen, ich werde dich anfangs nicht korrigieren. Wenn dir ein Wort nicht bekannt ist, dann sag es mir, ich werde versuchen es dir so gut es geht zu erklären.“, lächelte er und der Junge lächelte ebenfalls. Der Junge würde es noch schwer genug im Leben haben, Kage musste nicht auch noch zusätzlich als Arschloch fungieren.

 

 

Vyrs Unterricht im Lesen und Schreiben erwies sich als schwerer als zuvor gedacht. Kage war ein guter, aber auch ein ungeduldiger Lehrer. Jedoch traute sich Vyr einfach nicht, eine Frage nicht zu stellen, die ihm in den Sinn kam.
‚Fragen zurück zu halten um andere, vor allem seine Lehrer nicht zu reizen ist dumm und nicht das Verhalten, was ich von einem Schüler erwarte.‘, hatte Kage zu Beginn des Unterrichts gesagt und Vyr tat sein bestes sich daran zu halten. Er las die Worte vom Buch ab, stellte Fragen nach Bedeutung und Zusammenhang verschiedener Wörter und Kage antwortete ihm. Lesen und Schreiben war laut Kage essentiell für seine weitere Ausbildung und als er gefragt hatte wieso, hatte ihn Kage lediglich angesehen, als sei er ein Idiot und hatte gemurmelt:
„Die größten Geheimnisse der Welt, werden dir Menschen nicht verraten. Sie sind verschlossen und fürchten jeden, der in ihren Geheimnissen stöbert.“ Vyr schloss die Augen und bemerkte wie müde er war. Der Unterricht strengte ihn an. Es war eine andere Art der Anstrengung, die man empfand, wenn man den ganzen Tag hart arbeitete oder bettelte. Es war keine körperliche Erschöpfung, die sich in ihm breit machte. Viel mehr war die Erschöpfung geistiger Natur. Immer wieder fielen ihm die Augen zu, doch er zwang sich sie offen zu halten um Kage nicht zu unterbrechen. Seine Konzentration ließ sichtbar nach, auch wenn er selbst es kaum merkte. Er las einige Stellen mehrmals hintereinander vor, zwischen den Sätzen verging Zeit und einige Wörter wollten ihm nicht über die Zunge gehen. Als er die Seite beendet hatte, klappte Kage das Buch zu.
„Nun gut. Das soll vorerst genügen. Wir fahren morgen fort, es hat keinen Sinn deinen Verstand zu schulen, wenn er nichts mehr aufnehmen kann.“, erklärte er und blickte Vyr in die Augen, jedenfalls solange, bis sie ihm erneut zugefallen waren. Kage zeigte auf eine Ecke in der ein paar Decken lagen.
„Dort kannst du schlafen. Du solltest dich ausruhen. Morgen wird ein anstrengender Tag, dafür werde ich sorgen.“, sagte er und Vyr nickte nur abwesend ehe er sich erhob und auf die Decken zu wankte, als seien sie das schönste, was er seit Monaten gesehen hatte. Genau genommen, kam all das hier einem Luxus gleich, wenn er es mit dem verglich, was er auf der Straße besessen hatte.
„Junge…“, begann Kage und blickte ihm von seinem Platz aus nach.
„Was ist mit deinen Eltern geschehen?“, fragte er und in Vyrs Verstand drehte sich alles.
„Spinne… Glaube ich…“, brachte Vyr nur halb bei Bewusstsein hervor. Es war das letzte, was er mit der Nacht in Verbindung brachte, in der er zur Waise wurde. Er wusste nicht einmal mehr wie genau er in Greypit gelandet war. Er konnte sich an grüne Wiesen erinnern, aber nicht, wann er hier her gekommen war. Waren seine Eltern in Greypit gestorben? Waren sie außerhalb der Stadt gestorben? Er war kein Idiot.
Greypit mochte wie eine eigene kleine Welt wirken, aber es gab ein Außerhalb, woher kamen sonst die ganzen Handelsgüter? Langsam und doch mit der Anmut eines umfallenden Sacks Kartoffeln, ließ er sich auf den Decken nieder. Als er sich hingelegt hatte blinzelte er. Kage hatte den Raum bereits verlassen. Wie lange es her war wusste er nicht. Wie viel Zeit war zwischen Vyrs letzten Worten und dem Jetzt vergangen? Er wusste es nicht.
Sein Verstand kam nicht mehr hinterher. Seine Gedanken kreisten um allerlei Themen, rekapitulierten die Ereignisse des Tages. Der Inhalt des Buches, all die Worte, die er gelernt hatte. All das Wissen, was ihm so schwer und nutzlos scheinend im Kopf lag und ihn Träge zu machen schien, während seine Gedanken alles auseinander nahmen und versuchten, den Sinn hinter jeder einzelnen Information zu erkennen. Würde es  nun besser werden? Was hieß besser? Einfacher? Nein. Wahrscheinlich würde es anstrengender werden, aber es war das Leben was er gewählt hatte und er würde es leben müssen.
Er hatte es geschworen und auch, wenn er bisher kaum dazu in der Lage war gradlinig zu denken, wusste er, dass es ihm wichtig war diesen Schwur zu halten. Kage hatte seinen Teil der Abmachung gehalten, so glaubte es Vyr jedenfalls. Ob er Lyra jemals wieder sehen würde? Er wusste es nicht. Er sollte nicht darüber nachdenken. Er sollte sich um sein eigenes Schicksal kümmern, um das, was auf ihn zukam. Langsam… Ganz allmählich verlor sein Kopf, die wie Blätter im Wind kreiselnden Gedanken aus dem Fokus und er schlief ein.
 Langsam… Das Symbol, was er gezeichnet hatte schien vor ihm in der Luft zu glühen. Wie hatte Kage es genannt? Aeon? Alles um das Symbol herum schien verschwommen, die Welt schien dunkler zu werden, bis nur noch das Symbol vor ihm seinen Blick bannen konnte. Doch auch die Ränder der Rune wirkten stumpf und allmählich ausgewaschen. Die Ränder begannen sich hin zu ziehen und ein anderes Symbol zu bilden, was er noch nie gesehen hatte.
 Es wirkte geschwungen und Vyr versuchte es sich einzuprägen, aber sein Verstand war zu müde, verstand die Formen der Rune nicht. Alles wirkte so… Dunkel… Letztendlich verblasste auch das Licht, was von der Rune ausging und er driftete hinüber in einen unruhigen Schlaf.

Kapitel 4

 

(Rakura, das unabhängige Reich – Zwölfter Tag der Himmelswende – Jahr 153 n. W.)

 


Chyara streckte sich auf ihrem Futon und gähnte. Sie blinzelte und versuchte sich zu orientieren. Es war hell… Nein… Das konnte gar nicht sein… Sie stand als Dienstmagd doch immer auf, bevor die Sonne aufging… Oder? Sie schreckte hoch und blickte sich um. Tatsächlich schien die Sonne. Sie konnte das Licht durch ihr kleines Fenster sehen und rappelte sich auf. Ihre Muskeln schmerzten noch immer vom gestrigen Training. Es schien ihr allmählich so, als würden die Lektionen, die ihr Iador gab, mit dessen Absicht immer länger und anstrengender, während die, die er seinen Schülern zuteilwerden ließ, auf einem gewissen Standard blieben.
Chyara machte keinen Hehl daraus, dass sie so gut wie alles, was Iador seinen Schülern zeigte, mittlerweile bis zur Perfektion beherrschte, während seine Schüler sich weiter damit abplagten, doch sie redete nicht vor anderen darüber. Man sollte keine schlafenden Hunde wecken. Schon gar nicht, wenn diese Hunde von hoher Geburt waren. Seit vier Jahren trainierte Chyara nun mit Meister Iador. Ihre Mutter schwieg zumeist, wenn sie Chyara sah und die Atmosphäre zwischen ihnen war eher frostig. Jedoch bemerkte sie, dass sich ihr Verhältnis zu Iador und dessen Frau stetig besserte. Oft aßen sie zusammen, sie lachten sogar zusammen und das trotz des Rangunterschieds. Chyara schreckte erneut auf. Sie war zu spät. Viel zu spät.
Sie rappelte sich auf und ließ sich das Nachthemd von den Schultern gleiten. Mit geübten Griffen zog sie sich die frisch gewaschene Uniform einer Dienstmagd an und seufzte, als sie vor dem Spiegel stand. Mit schnellen Schritten ließ sie ihr Zimmer hinter sich und begann damit die Küche in Ordnung zu bringen, während Iador mit seinen beiden Schülern im Trainingsraum stand. Ihr Verhältnis zu Vanic hatte sich in den letzten Jahren deutlich gebessert, doch die Atmosphäre um Romar war stetig schlechter geworden. Zwar hatte seit dem einen Mal damals nicht mehr versucht sie anzufassen, was wahrscheinlich eher Vanics wachsamen Blick zu verdanken war, als allem Anderen. Ddennoch konnte sie spüren, wie es in dem Jungen brodelte, wenn sie mit ihm redete.
 Mit ruhigen und schnellen Handgriffen verrichtete sie ihre Arbeit, während sich Romar im Trainingsraum lauthals über irgendetwas beschwerte. Von jeher war es ihr so vorgekommen, als würde sich der Adlige einfach nur um des Beschwerens Willen beschweren, aber von Zeit zu Zeit wurde ihr klar, dass es noch schlimmer war. Viel mehr beschwerte sich der junge Adlige meist über Kleinigkeiten wie zum Beispiel, wie sich Iador ihm gegenüber verhielt. Er hatte sich auch schon bei iador darüber beschwert, dass seine Dienstmagden verprügelt werden sollten, weil sie sich seinen fähigen Händen entzogen. Als sie das mitbekommen hatte, war ihr kurz kotzübel geworden, doch Iadors Blick hatte sie für vieles entschädigt.
 Das Verhältnis zwischen Iador und seiner Dienstmagd war deutlich besser, als ein Junge wie Romar es jemals erwartet hätte. Der Blick, den Iador seinem Schüler nach dieser Aussage zugeworfen hatte, hatte diesen verstummen lassen, denn er besagte selbst für einen Idioten ungefähr so viel wie: ‚Noch ein Wort und ich werde dafür sorgen, dass man dich verprügelt.‘ Chyara war Iador für seine beschützerische Art wirklich dankbar, doch hatte sie sich tatsächlich oft gewünscht, dass Romar etwas versucht hätte, was sie ihm hätte heimzahlen können.
Nachdenklich begann Chyara damit den Bodem feucht zu wischen, da sie sich sicher war, dass die Trainingseinheiten noch einige Zeit andauern würden, doch offensichtlich hatte Romar andere Pläne. Denn er kam aus dem Trainingsraum gestürmt wie ein… Naja eben wie ein wütender Adelssohn. Als er den feuchten Boden der Küche erreicht wollte Chyara ihn warnen, dass der Boden feucht war, doch er war zu schnell, rutschte aus und landete auf seinem Allerwertesten. Sofort spielte Chyara die pflichtbewusste Dienstmagd, während sie in ihrem Kopf Beifall klatschte und ihm drei Punkte für Anmut und bei der Landung gab.
„Meister Romar, habt Ihr Euch etwas getan? Verzeiht, der Boden war feucht. Ich hatte nicht erwartet, dass das Training so früh enden würde.“, erklärte sie mit einer möglichst unterwürfig klingenden Stimme. Frustrierte Adelssöhne gehörten, wie auch Wirbelstürme, zu den verheerendsten Naturkatastrophen auf der Welt. Romar starrte sie hasserfüllt an und für einen Moment fühlte sie sich in ihrer Meinung über seinen Geisteszustand bestätigt. Romar hatte ganz eindeutig Aggressionsbewältigungsprobleme.
„Und du glaubst, das macht es wieder gut, du dumme Hure?“, stieß er hervor und stapfte auf sie zu. Chyara starrte ihn an. Sie hatte zwar oft daran gedacht ihn im Kampf fertig zu machen, aber jetzt wo er vor ihr stand… War das wirklich die klügste Lösung? Seine Handfläche traf sie im Gesicht.
 Die Ohrfeige brannte und Chyara trat einen Schritt zurück. Ihr Blick war eher überrascht, als erschrocken. Offenbar hatte er mit mehr gerechnet… Möglicherweise mit einer ausschweifenden Entschuldigung für etwas, wofür sie nichts konnte oder etwas mehr herumgerutsche auf den Knien? Stattdessen blickte sie ihn lediglich überrascht an, während ihre Wange brannte.
„Du verdammte Schlampe! Wenn du eine Dienstmagd meines Vaters wärst hätte ich dich auspeitschen lassen für diese unvorstellbare Frechheit.“, brüllte er und Chyara steckte ihren Ärger und die Wut, die in ihr pulsierte zurück, bevor beides ihren Weg nach außen fanden. Sie war über so etwas erhaben.
„Wäre ich eine Dienstmagd Eures Vaters würdet Ihr wahrscheinlich nichts anderen tun, als mich auspeitschen zu lassen, weil Eure eigene Unfähigkeit Euch dazu zwingt, ehrlich arbeitende Leute wie Dreck zu behandeln, während ihr euch im Ruhm und Reichtum eures Vaters selbst den Hintern vergoldet.“, erklärte sie, ehe sie darüber nachdenken konnte und Romar blickte sie fassungslos an. Auch Vanic, der offensichtlich heran gekommen war um Chyara zu helfen, war in der Bewegung erstarrt und blickte sie blinzelnd an.
Okay, vielleicht war sie doch nicht darüber erhaben. Mit einem Mal drängte sich ihr einer dieser Gedanken auf, die man einfach nicht abschütteln konnte. ‚Das war dumm.‘ Romar holte erneut aus und schlug zu, diesmal jedoch blockte Chyara den Angriff mit einer wegwischenden Bewegung ab. Es war einfacher, als sie jemals erwartet hatte. Romars Blick spiegelte Überraschung wieder. Offensichtlich gab es in seiner kleinen eigenen Welt, keine Menschen, die sich gegen ihn zur Wehr setzten.
„Du Schlampe!“, brüllte er und trat nach ihr, sie jedoch tat zwei vollendete Schritte und brachte sich damit in der entgegengesetzte Richtung seiner Tritte in Sicherheit. Voller Wut holte Romar erneut aus, doch wieder wich Chyara lediglich aus. Zwei weitere Angriffe folgten und Chyara wich dem ersten Angriff aus, den zweiten wischte sie einfach zur Seite. Mit einem Mal bereute Chyara, die Beherrschung verloren zu haben und so einen Spruch ausgesprochen zu haben. Es wäre viel eleganter gewesen unterwürfig zu bleiben und ihn damit zu demütigen. Sie seufzte, als ihr Fuß auf eine der feuchten Stellen des Küchenbodens trat und dabei einen Millimeter weg rutschte. Offenbar hatte Romar ihr das als Schwäche ausgelegt, denn er ging erneut zum Angriff über.
Chyara setzte einen Fuß richtig und wandte sich mit einer geschickten Drehung einfach an ihm vorbei. Sein Fuß stand nicht so fest wie der ihre auf dem feuchten Boden, rutschte aus und verlor das Gleichgewicht. Der Sturz auf sein Gesicht sah äußerst schmerzhaft aus und Chyara überlegte ob sie ihm die Hand reichen sollte, aber das hätte ihr nach ihrer Aussage von vorhin niemand abgenommen. Sie nahm wieder eine, für eine Dienstmagd übliche Fußhaltung ein und lächelte sanft auf den am Boden liegenden Romar hinab. Dann hob sie ihren Rock an und knickste.
Romar wurde puterrot im Gesicht und hatte dazu noch einen hasserfüllten Ausdruck angenommen.
„Verzeiht Meister Romar, ich habe mich im Ton vergriffen.“, erklärte sie mit zuckersüßer Stimme und Romar nahm einen ungläubigen Blick an. Hinter ihr hörte sie ein hüsteln, was wohl ein Lachen verhüllen sollte. Also wandte sie sich um und sah Iador, hinter sich, der wohl eigentlich heran geeilt war um Chyara zu unterstützen, aber so wie es aussah bedurfte sie dieser Hilfe nicht.
Sie verbeugte sich vor Iador, nicht auf die Art einer Dienstmagd, sondern eher auf die ehrerbietige Art, die wohl ein Schüler seinem Meister zuteilwerden ließ.
 „Das war… Wow.“, erklärte eine andere Stimme, die sie als die Vanics identifizierte.
„Meister Iador! Bestraft diese lebensunwürdige Schlampe!“, stieß Romar hervor und Iadors Blick wurde kalt und hart wie Stein.
„Romar. Du hast mir nichts zu befehlen, aber ich danke dir dafür, dass du mir meine Entscheidung so einfach machst. Du hast ein Mitglied meines Personals zum wiederholten Male angegriffen und beleidigt. Das ist ein unwürdiges Verhalten von einem meiner Schüler.. Dazu kommt die Tatsache, dass ich nicht zulassen kann, dass ein Schüler, der bereits seit Fünf Jahren bei mir in der Lehre ist gegen eine Dienstmagd verliert.“, brachte Iador hervor und fixierte Romar mit einem finsteren Blick, der noch röter wurde.
„Somit entlasse ich dich aus meiner Lehre Romar. Bitte geh einfach und mach mir nicht noch mehr Schande.“, seufzte Iador und seine Stimme klang hart und kalt wie Eisen. Romars Blick spiegelte Unglaube, dann wieder kalte Verachtung.
„Ihr zieht eine Dienstmagd Eurem Schüler, nein Ihr zieht sie mir vor? MIR?“, fragte Romar erzürnt und Iador zuckte mit den Schultern.
„Ich kann sie nicht weiter dazu nötigen deine nassen Bettlaken zu wechseln.“, lächelte Iador und Romar Gesicht nahm eines Schamesröte an. Vanic blickte ihn ungläubig an.
„Wirklich? Du bist 17 Jahre alt.“, fragte Vanic völlig entgeistert und Romar wurde noch einen Ticken röter.
„Wenn mein Vater hiervon erfährt dann…“, begann Romar und Iador lächelte lediglich.
„Dann wird er meine Beweggründe sicherlich verstehen.“, vollendete Iador den Satz für Romar. Romar rappelte sich auf und warf Chyara einen vernichtenden Blick zu. Chyara lächelte ihn entschuldigend an. Dämlicher Adliger 0, reizende Haushilfskraft 2.
Mit wutschnaubenden Lauten suchte Romar das Weiter und ließ bei seinem Abgang mit offensichtlicher Absicht die Tür knallen.
„Bitte entschuldigt mein Verhalten, Meister Iador. Das war ungehörig.“, erklärte Chyara und Iador warf ihr einen fragenden Blick zu. Dann lächelte er und zog eine silbern schillernde Münze aus der Tasche und legte sie in Chyaras Handfläche. Sie blickte ihn fragend an.
„Gut gemacht. Es war lange mal nötig, dass jemand dem Jungen eine Lektion erteilt.“, grinste Iador väterlich und Vanic nickte anstandslos. Auch er zog eine Münze aus der Tasche und gab sie Chyara, dann lächelte er neckend. Chyara musterte beide fassungslos. Vanics Lächeln war nahezu schüchtern, dass von Iador strahlte Stolz aus.
„Vanic. Hast du etwas einzuwenden, wenn ich die eben frei gewordene, zweite Lehrstelle mit jemanden besetze, der keine adligen Wurzeln hat?“, fragte Iador seinen zweiten Schüler und sein Grinsen wurde noch breiter. Vanic schüttelte den Kopf und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
„Nein, habe ich nicht Meister, ich bin von jeher der Meinung, dass Unterricht jeglicher Art nichts ist, was dem Adel vorbehalten sein sollte. Wenn es Eure Haushaltskasse nicht übersteigt einen Lehrling zu beschäftigen der keine Lehrlingsgebühr entrichten kann, dann habe ich nichts, was ich dagegen sagen könnte.“, kicherte Vanic heiter und Iador grinste breit.
 „Nun… Das mit der Lehrlingsgebühr… Habe ich euren Eltern eigentlich nur erzählt, weil ich keine Lehrlinge wollte. Wer hätte denn damit rechnen können, dass deine und Romars Eltern die Gebühr ohne nachzufragen entrichten…“, grinste Iador ertappt und Vanic konnte sich nun nicht mehr halten. Er lachte ungehemmt und Iador stimmte ein, während Chyara noch nicht so ganz verstand, was da grade passierte.
 „Ich erzähle es ihnen nicht weiter… Aber im Endeffekt wären meine Eltern eher dann misstrauisch geworden, hättet Ihr ihnen gesagt, dass sie keine Gebühren entrichten müssen… Sie sind Kaufleute und Kaufleute glauben in den meisten Fällen, dass alles an Bedingungen oder an Preise gebunden ist. Wenn es etwas kostenlos gibt, werden sie nervös und misstrauisch.“, lachte Vanic und Iador verpasste ihm einen spielerischen Schlag gegen die Schulter. Chyara beschlich das Gefühl, dass sich die beiden seit dem Beginn von Vanics Lehre, noch nie so unbefangen unterhalten hatten wie jetzt. Es wirkte fast so, als sei Romars Ausscheiden aus der Lehre ein Segen für alle anderen und irgendwie machte Chyara das nervös.
 Als Adliger verfügte Romar über allerlei Mittel und Möglichkeiten ihr das Leben schwer zu machen. Als Teil einer anderen einflussreichen Familie wie Iador oder Vanic war das einfach zu vergessen, da es deutlich schwerer war eine andere Adelsfamilie in Verruf zu bringen. Aber eine kleine Dienstmagd ohne Einfluss? Das war ein Kinderspiel und sie zweifelte keinen Moment daran, dass Romar alle Hebel in Bewegung setzen würde um ihr zu schaden. Chyara schluckte. Andererseits, wenn Iador sie als legitime Schülerin anerkannte war jeder Vorwurf gegen sie, zugleich ein Vorwurf gegen Iador. Somit konnte Romar Iador schaden, indem er ihr schadete. Sie verbeugte sich.
„Es tut mir leid… Aber ich kann das nicht annehmen…“, erklärte sie mit schwerem Herzen und presste die Augenlider zusammen um die Tränen zurück zu halten. Wie immer wirkte es nicht. Dummes Mädchen. Alles was sie sich gewünscht hatte war zum Greifen nahe, aber die Art und Weise, wie sie es erlangt hätte, war falsch... Es war nie gut für die eigene Person, wenn man einen Adelssohn bloßstellte um zu bekommen was man wollte. Romar würde Chyara büßen lassen, was sie getan hatte, doch es lag in ihrer Verantwortung, wen sie mit in den Abgrund zog. Als sie den Blick wieder hob lächelte Iador sie zärtlich an. Er wischte ihr die Tränen weg, die ihre Wangen hinab rannen.
 „Du bist ein gutes Mädchen. Aber ich lasse dir keine Wahl. Du wirst meine Schülerin werden.“, erklärte Iador mit diesem unfassbaren Lächeln, was Chyaras Herz erwärmte.
 „Aber… Romar wird…“, begann sie und Iador schüttelte den Kopf.
„Romar wird Lügen über dich erzählen. Das ist alles, was er kann. Mit mir sind es zwei Zeugen gegen ihn, wie viele Zeugen hat er, dass seine Anschuldigungen stimmen?“, fragte Iador und blicke zu Vanic, der langsam nickte.
„Sie werden alles glauben… Ich bin keine Adlige. Sie werden sagen, dass ich mit Euch oder mit Vanic schlafe, um aufzusteigen…“, stieß Chyara giftig aus. Iador ließ sich das kurz durch den Kopf gehen.
„Das werden wir sehen. Ich glaube nicht, das Romar daran interessiert ist, dass Gerüchte aufkommen, die besagen, dass er von eine Dienstmagd nach allen Regeln der Kunst verprügelt worden ist…“, lächelte Iador und Chyaras Augen wurden groß.
„Das würdet ihr erzählen?“, fragte sie verblüfft und Iador schmunzelte.
„Ich könnte da noch ganz andere Sachen erzählen, aber das wäre wirklich gemein.“, grinste er mit einem Mal.
„Die Sache mit den nassen Laken zum Beispiel wäre Gold wert…“, kicherte Vanic und Iador stimmte mit ein. In diesem Moment kam er ihr vor wie ein kleiner Junge, der gerne Unfug anstellte. Es war eine befremdliche und zugleich lustige Vorstellung.
 „Warum das Ganze?“, fragte Chyara etwas verlegen und blickte die beiden fragend an.
„Weil ich dich vier Jahre trainiert habe und du bereits besser bist als meine beiden Lehrlinge, die ich fünf Jahre trainiert habe. Nichts für ungut Vanic.“, erklärte Iador und Vanic lachte nur leise.
 „Kein Grund sich zu entschuldigen. Ich habe es ja eben selbst gesehen.“, lächelte Vanic etwas verlegen und Chyara wurde rot. Vanic streckte ihr die Hand entgegen.
 „Ich freue mich darauf mit jemanden wie dir mein Training weiter zu führen.“, entgegnete Vanic und schenkte ihr ein beinahe zärtliches Lächeln. Zögernd nahm sie Vanics Hand und lächelte ihn ebenfalls an. Irgendwie hatte dieser Moment etwas magisches, etwas… freundschaftliches, etwas… Respektvolles. Wahrscheinlich war es tatsächlich das erste Mal, das ihr in ihrem Leben so etwas wie Respekt entgegen gebracht wurde.

 

 

Das Holzschwert pfiff durch die Luft und Vyr blockte es mit seinem ab. Dann sprang er zurück, verfolgte die Bewegungen seines Meisters mit ungeteilter Aufmerksamkeit.
„Des Himmels Zoll ist…“, begann Kage und griff erneut an. Das Holzschwert pfiff erneut durch die Luft. Vyr wich tänzelnd zur Seite aus und ging zum Gegenangriff über, der prompt von Kage abgeblockt wurde.
„Die Zeit in der Hölle…“, vollendete Vyr das Zitat und wich dem Holzschwert seines Meisters nach hinten aus. Ein grober Fehler. Kage sprang mit einem geübten Sprung nach vorn und sein Holzschwert erwischte Vyr schmerzhaft an der Seite. Mit unheimlicher Gewandtheit lenkte Kage einen Hieb von der anderen Seite und zog Vyr damit die Beine weg.
Die Spitze des Holzschwerts lag an Vyrs Kehle ehe er darüber nachdenken konnte einen Gegenangriff zu starten. Sie trainierten täglich mehrere Stunden auf diese Art und Weise. Sie kämpften, während sein Meister ihm immer wieder Teilzitate zurief, die er zu Ende bringen musste. Die dazugehörigen Bücher las Vyr bevor er erschöpft einschlief. Laut Kage war es wichtig für einen Magier, dass er die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln kennen lernte.
Doch der Blickwinkel eines depressiven Narrens, der selbst im hellst möglichen Licht darüber klagte, dass die Welt dunkel und finster war, war einfach zu viel. Kage nahm die Schwertspitze von Vyrs Kehle und reichte ihm eine Hand. Die Miene wie immer steinern. Vyr packte die Hand seufzend und Kage half ihm wieder auf die Füße zu kommen.
„Der Lohn der Gütlichkeit ist…“, begann er ein neues Zitat und Vyr seufzte.
„Der Hass der anderen.“, beendete Vyr das Zitat und Kage blickte ihn lächelnd an.
 „Kannst du mir sagen, warum es wichtig ist, dass du diese Art des Denkens kennen lernst?“, fragte Kage mit einem Lächeln.
„Egal wie scheiße mein Leben verläuft, ich könnte immer noch depressiv sein?“, entgegnete Vyr fragend und Kages Grinsen wurde breiter.
„Nein.“, sagte er entschieden.
 „Aber zugegeben gar nicht so unkreativ.“, grinste er, doch unterschlug eine Korrektur. Offensichtlich wollte Kage, dass er von allein darauf kam. Gar nicht so einfach.
„Nun gut, ich schätze die Werke von Vystra Konsurt hast du soweit drinnen… Als nächstes möchte ich, dass du die Werke von Chamar Vilra auswendig lernst. Vyr stöhnte. Sollte das ein schlechter Scherz sein? Um die gesammelten Werke von Vystra Konsurt auswendig zu lernen hatte er drei Jahre gebraucht. Um es makellos im Kampf rezitieren zu können hatte es ein weiteres Jahr gebraucht. Kage hatte peinlich darauf geachtet, dass er das erworbene Wissen immer und überall abrufen konnte. Wie es das Klischee verlangte natürlich auch, während er Wassereimer trug oder wahlweise von Kage mit eben diesen Eimern beworfen wurde. Natürlich war Vyr innerhalb der letzten vier Jahre ein guter Schwertkämpfer geworden und hatte auch im unbewaffneten Nahkampf ein nicht geringes Talent gezeigt. Jedoch war ihm die magische Seite ihres Vertrags bisher verborgen geblieben. ‚Jeder Magier muss die Natur der Magie verstehen, ehe er sich ihr widmen kann.‘, waren stets seine Worte und das würde sich wohl so schnell auch nicht ändern.
Also blieb ihm offensichtlich nicht viel übrig, außer die Abende und Nächte wieder damit zu verbringen schlechte Dichter dafür zu würdigen, dass sie noch schlechtere Gedichte auf viel zu teures Papier erbrochen hatten.
„Was hat das alles mit Magie zu tun?“, fragte Vyr in einem Anflug jugendlicher Rebellion und Vyr grinste.
 „Einfach alles.“, erklärte er und griff an. Geistesgegenwärtig und an solche Manöver gewöhnt, wich Vyr zur Seite aus und ging zum Gegenangriff über. Kage vollführte einen Salto über die von vorne zum flachen hieb geführte Klinge und vollführte eine Drehung, bei der er geschickt die Klinge zum erneuten Angriff schwang. Vyr blockte den Angriff ab und fluchte, als ihn die Kraft, mit der dieser Angriff geführt worden war nach hinten schob.
 Das Holzschwert übertrug die Vibration vom Schlag gnadenlos auf seine Hände, die spontan zu schmerzen begann. Seine Hände waren nun Einiges gewohnt, aber nicht, mit solcher Wucht geführte Angriffe zu parieren. Seine Hände fühlten sich taub an, jedoch konnte er sehen, dass seine Knöchel sich krampfhaft um das Holzschwert geschlossen hatten. Erstaunt von der Kraft blickte er auf und sah direkt den nächsten Angriff auf ihn zu rasen. Diesmal auf Kopfhöhe geführt. Sofort ließ Vyr sich fallen, wich dem Angriff aus und rollte sich aus der Reichweite.
Dann sprang er auf, nur um den nächsten Hieb zu parieren, der erneut vibrationsschwangere Schmerzen in seine Hände sandte. Vyr biss die Zähne zusammen und sprang zurück, womit er dem nächsten Angriff auswich. So hielt er es weiter. Er versuchte nicht einmal mehr die Angriffe seines Meisters zu blocken. Viel mehr konzentrierte er sich nun darauf, den beständig auf ihn herab prasselnden Angriffen möglichst knapp auszuweichen um eine Lücke zum Konter zu finden. Fehlanzeige.
Es gab keine Lücken in der Verteidigung seines Meisters und dann glaubte er zu verstehen. Er tat zwei schnelle Schritte zurück um außer Reichweite zu kommen, dann schloss er kurz die Augen und  versetzte sich so gut es ging in die Gedanken des Dichters. Innerhalb kürzester Zeit versuchte er die Quintessenz seiner Werke herauszufiltern. Um in den Himmel zu gelangen, musst du durch die Hölle gehen? Da ist niemand, der dich schützt, nur jemand, der dir gerne dabei zusieht, wie du leidest? Alles nicht sonderlich hilfreich.
Letztendlich beschränkte er sich darauf, dass er Schmerzen erleiden musste um sein Glück zu finden, auch wenn es nicht von langer Dauer war. Dieser Dichter war wirklich ein unverbesserlicher Pessimist. Kage raste auf ihn zu und hob das Schwert und schlug zu. Vyr wich den ersten drei Schlägen aus, als Kage zum vierten Hieb ausholte hob Vyr die Hand mit dem Schwert und blieb einfach stehen. Die Spitze des Übungsschwerts lag an Kages Kehle. Der Schwerthieb hatte kurz vor seinem Hals gestoppt und Kage grinste.
„Das war unheimlich dumm.“, erklärte er und musterte Vyr, der ebenfalls lächelte. „Niemand hat gesagt, dass pessimistische Dichter gute Lehrmeister sind.“, entgegnete er und Kage starrte ihn kurz an, dann begann er zu lachen.
 „Da könntest du Recht haben… Ich habe noch nie darüber nachgedacht diese Technik auch im physischen Kampf einzusetzen. Vielleicht nicht die beste Idee, aber die schlechteste wohl auch nicht.“, erklärte Kage und Vyr hob die Augenbrauen. Natürlich, auch das war nicht die Lektion, die ihm Kage beizubringen versuchte.
„Der Ansatz war nicht schlecht und allmählich bin ich überzeugt, dass du bereit für den nächsten Schritt bist.“, erklärte Kage und musterte Vyr eingehend.
„Und der nächste Schritt wäre?“, fragte Vyr hoffnungsvoll.
„Lies heute Nacht so viel von den Werken des Dichters Chamar Vilra und erkläre mir morgen, wie dieser Mann die Welt versteht. Wenn mir deine Antwort gefällt, werde ich es dir zeigen. Und… Nicht bloß überfliegen. Lerne am besten so viel wie möglich davon auswendig.“, gab Kage zurück und Vyr stöhnte. Wenigstens hatte er sich diesmal nicht komplett geweigert ihm die nächsten Schritte zu offenbaren. Das mochte ein kleiner Sieg gewesen sein. Um in den Himmel zu gelangen, musst du durch die Hölle gehen… Mal sehen, welche Art der Hölle die Werke von Chamar Vilra für ihn bereithielten.

 

 

Zu seiner Überraschung waren die Werke von Chamar Vilra deutlich besser zu verstehen und einfacher nach zu vollziehen, als die literarischen Ergüsse eines depressiven Mannes, der mit allen Mitteln der Welt zu verhindern versuchte, dass ihn irgendjemand verstand. Die Gedichte waren meist kurz, in einfachen, kurzen Phersen abgefasst und handelten von Liebe, der Lust am Leben und der Liebe zur Natur. Die Reime waren besser abgefasst, womit gemeint war, dass sie vorhanden waren. Allerdings entzogen sich einige Vergleiche seinem Horizont. Oft verglich der Dichter die Schönheit einer Frau mit dem stolzen Antlitz einer prächtigen Eiche oder mit dem von schönen Blumen. Er selbst konnte damit nicht viel anfangen.
Andererseits konnte er sich an das kurze Leben, was er außerhalb von Greypit geführt hatte kaum erinnern und wenn doch, dann ging es um Räume und die Stimmen seiner Lehrer oder seiner Eltern. Offenbar hatte er nie wirklich Zeit in der freien Natur verbracht. Kurz bereute er es und er fragte sich, wie er wohl auf die Gedichte reagieren würde, wenn er an einem Ort aufgewachsen wäre, der sich nicht weit unter der Erde befand.
 Er stieß einen Seufzer aus und schüttelte den Kopf, ehe er sich wieder in die Pherse des Dichters vertiefte und diese leise rezitierte, während er sie nebenbei auf ein Blatt Papier schrieb. Sowohl das eine, wie auch das andere half ihm beim auswendig lernen, obwohl er sich noch immer fragte in wie fern es ihm dienlich sein sollte irgendwelche Gedichte auswendig zu lernen. Er zuckte mit den Schultern und rieb sich die Schläfen, womit er versuchte gegen allmählich aufkommende Kopfschmerzen anzukämpfen. Er schloss die Augen und wiederholte das letzte Gedicht laut aus dem Gedächtnis. Er stockte hin und wieder, begann von vorne, bis er glaubte das gesamte Gedicht zusammen zu haben.
Dann las er das abgeschriebene Gedicht mehrfach durch, verglich es mit dem im Buch und rezitierte es erneut aus dem Gedächtnis. Als er es fünfmal hintereinander Fehlerfrei rezitiert hatte, ohne dabei in das Buch blicken zu müssen, blätterte er um und begann von vorne. Selbst wenn das Ganze nicht so einen großen Effekt auf seinen Unterricht hatte, wie er es hoffte, konnte er sicherlich irgendwann ein Mädchen mit der Menge an nutzlosem Wissen in seinem Kopf beeindrucken. Was imponierte Frauen mehr, als nutzloses Wissen? Richtig. Alles.
Sein Leben war echt scheiße. Er grinste und schüttelte den Kopf. Er seufzte und kämpfte sich Gedicht um Gedicht immer weiter durch, bis sein Gesicht auf die Seiten sackte. Innerhalb einer Nacht hatte er es immerhin geschafft einen guten Teil des ersten Bandes soweit auswendig zu lernen, dass er sich nicht schämen musste. Er schob das Buch, was zwischen seinem Gesicht und der Tischplatte eingeklemmt war etwas zurück, sodass, sein Gesicht auf der Tischplatte zu liegen kam. Das Buch war zwar deutlich gemütlicher, aber er wollte es im Schlaf nicht irgendwie beschädigen.
 ‚Mit dem Eigentum anderer geht man pfleglich um…‘, er wusste nicht mehr, wer ihm das beigebracht hatte, aber irgendwie konnte er sich an die Worte erinnern. Nicht an den Wortlaut oder die Stimme, die sie sagte, einfach nur an die Worte. Es war alles viel zu lange her. Seit er Sechs Jahre alt war, hatte er sich auf den Straßen von Greypit durch gekämpft. Sechs lange Jahre lang und jetzt, letztendlich hatte er die letzten vier Jahre bei Kage verbracht, der ihm vieles beigebracht hatte.
 Die ersten Jahre hatten aus lesen, auswendig lernen und Fitness bestanden, der Schwertkampf war erst vor einem Jahr dazu gekommen, genau wie das ständige rezitieren, dämlicher Gedichte. Er seufzte und schloss erneut die Augen, während es ihn quälte, dass er sich an nichts aus seinem alten Leben erinnern konnte. Hatte er damals ein gutes Leben geführt?
Er wusste es nicht. Das erste woran er sich erinnerte war, wie er aus einem Haus geflohen war, was in Flammen stand. Männer mit schwarzen Brustpanzern auf die eine rote Spinne gezeichnet worden war, hatten versucht ihn aufzuhalten, aber er war entkommen.
 Er konnte nur mutmaßen, dass es sich dabei um die Nacht handelte in der seine Eltern gestorben waren. Was sie wohl für Menschen gewesen waren? Er konnte es nicht sagen. War es überhaupt möglich, dass er sich an so vieles erinnern konnte, aber nicht an die Zeit, bevor er auf der Straße gelandet war? Das alles war so unglaubwürdig, dass es fast wehtat. Er seufzte und versuchte sich zu entspannen, ehe er in einen unruhigen, von Albträumen verzerrten Schlaf fiel.

 

 

Vyr erwachte mit einem Ruck, seine Hand hatte nach dem Stilett gegriffen, was er immer in seiner Nähe behielt, die Klinge ruhte wenige Millimeter vor Kages Auge, der seine Hand lässig abgefangen hatte und Vyr anlächelte.
 „Guten Morgen Sonnenschein.“, grinste er und Vyr blinzelte unruhig, wobei er allmählich das Stilett sinken ließ.
„Hab wohl schlecht geträumt…“, seufzte er und schüttelte den Kopf um ihn einigermaßen klar zu bekommen. Kages Blick huschte über den aufgeschlagenen Gedichtband, der bereits die Hälfte der Seiten überschritten hatte.
 „Scheint, als seist du gestern noch weit gekommen.“, grinste Kage und betrachtete den müden Ausdruck in Vyrs Gesicht.
 „Ich schwöre es bei allen möglicherweise existierenden Gottheiten… Wenn ich Greypit jemals verlassen sollte… werde ich nie wieder ein verdammtes Gedicht lesen.“, seufzte Vyr und Kage grinste breit.
 „Ist es das, was du willst? Greypit verlassen?“, fragte Kage amüsiert und Vyr zuckte mit den Schultern.
„So viele Bücher sprechen von der Welt außerhalb von Greypit. Auf keiner Landkarte ist Greypit verzeichnet, aber es muss eine Welt außerhalb dieser Stadt geben.“, brachte Vyr gähnend hervor und Kage nickte leicht.
 „Was würdest du sagen, wenn ich dir sage, dass es auf dem Rest dieser Welt keine Nekromanten gibt?“, fragte Kage und Vyr blinzelte verwirrt. Das war unmöglich. Hier in Greypit gab es keine anderen Magier, abgesehen von Nekromanten. Die gesamte Stadt wurde von Nekromantieschulen beherrscht.
„Ich würde dich für verrückt halten.“, entgegnete er und blickte weiterhin verwirrt.
„Es gibt dazu eine interessante Geschichte.“, grinste Kage und Vyr ließ sich allmählich wieder auf die Stuhllehne sinken.
„Wirst du sie mir erzählen?“, fragte Vyr und Kage lächelte leicht.
„Vielleicht nach den heutigen Lektionen.“, entgegnete er lächelnd und Vyr zuckte mit den Schultern. Kage wusste nur zu gut, dass man Vyr mit einer interessanten Geschichte immer ködern konnte. Gerade weil sein Leben so aufregend war wie das eines Stallburschen in einem Nachtmahr Stall. Nachtmahre waren untote Pferdewesen. Pferdewesen deshalb, weil Nachtmahre nicht nur Pferde waren. Auch magische Pferde ließen sich nach Tot und Auferstehung als Nachtmahre bezeichnen. Einhörner, Pegasi, Pferde, all diese Tiere waren, nachdem sie wieder auferstanden, Nachtmahre und der Name war gut gewählt, denn diese Biester waren wirkliche Albträume. Die Stallburschen von Nachtmahrstallungen langweilten sich wahrscheinlich zu Tode, denn diese Dinger blickten Tag ein, Tag aus einfach nur mit ihren kalten roten Augen nach vorne, bis ein Nekromant sie benutzte. Hinter ihnen musste man nicht aufräumen. Sie mussten nicht gefüttert oder getränkt werden. Wurden sie allerdings von einem Nekromanten geritten, waren es wahre Bestien. Er schüttelte kaum merklich den Kopf.
„Na dann…“, gab Vyr zurück und Kage blickte erneut zum Buch. „Was ist dir beim Lesen aufgefallen?“, fragte Kage und Vyr seufzte.
„Vieles, was genau meinst du?“, hinterfragte Vyr und Kage lächelte erneut.
„Was ist dir im Vergleich zu Vystra Konsurt aufgefallen?“, präzisierte Kage seine Frage und Vyr nickte langsam.
„Es wirkt so, als würden beide in völlig unterschiedlichen Welten leben. In Konsurts Welt ist alles grau, trist, kalt und tot, während Vilra, alles sehr lebendig und farbig schildert. Er beschreibt Schönheit, wo es für Konsurt keine gibt und Konsurt beschreibt alles als leblos. Es wirkt als sei Konsurt tot und Vilra lebendig… Ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll.“, antwortete Vyr mit ruhiger Stimme und Kages Lächeln wurde breiter.
„Du hast die Unterschiede also verstanden. Was meinst du warum ich es als so wichtig erachte, dass beide Seiten kennen lernst?“, fragte er und Vyr schloss die Augen und ließ sich die Frage durch den Kopf gehen. Einzelne Textpassagen wanderten durch seine Gedanken, verglichen sich miteinander und letztendlich mit seinen eigenen Gedanken. Er öffnete die Augen.
 „Drei Welten.“, entgegnete er, während er noch versuchte richtig in Worte zu fassen, was er vermutete.
„Drei Welten?“, fragte Kage nach und ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
„Es ist fast so, als würden wir drei in völlig unterschiedlichen Welten leben. Wir alle haben eine eigene Sicht auf die Welt vor uns.“, erklärte Vyr und Kage nickte.
 „Du hast es also verstanden. Nun, ich möchte, dass du lernst deinen Geist zu teilen.“, grinste Kage und blickte ihn direkt in die Augen.
 „Meinen Geist teilen?“, fragte er und sah etwas irritiert aus.
„Nun… Wie drücke ich es am besten aus? Ich möchte, dass du die Welt durch Konsurts Augen siehst. Kannst du glauben, dass all das, was er schreibst wahr und die einzige Wahrheit ist?“, fragte Kage mit einem mildtätigen Lächeln. Offensichtlich war er sich bewusst, wie schwer es war etwas tatsächlich zu glauben, was seinem eigenen Weltbild widerspricht.
 „Für Konsurt war sie das bestimmt… Du möchtest also, dass ich lerne fest an etwas zu glauben, mich davon überzeuge und diesen Glauben und diese Überzeugung jederzeit gegen eine andere austauschen kann?“, fragte Vyr etwas skeptisch und Kage nickte.
 „Nicht nur das. Ich möchte, dass du diese verschiedenen Gedankenräume jederzeit und in jeder Situation abrufen kannst.“, erklärte Kage und Vyr stieß einen Seufzer aus.
„Das wird dauern.“, entgegnete er und Kage nickte leicht. „In diesem Fall wird dir das einsame Üben nicht helfen. Im besten Fall lernst du es, während wir trainieren, wenn du zwar lernst dich in die Gedanken anderer zu versetzen , aber dies letztendlich nur dann wirklich kannst, wenn du ruhige Gedanken hast wird dir das nicht viel helfen.“, erklärte Kage und Vyr nickte. Einen Versuch war es wert. Er hatte es bereits geschafft seine Gedanken ein wenig auf die von Konsurt einzustimmen, während er mit Kage gekämpft hatte. Es war zwar nicht so weit gegangen, dass er tatsächlich den Glauben und die Weltsicht des Dichters angenommen hatte, aber für den Anfang könnte es ihm tatsächlich helfen.
 „Also gut, dann trainieren wir.“, erklärte Vyr entschlossen und erneut nickte Kage.
„Allerdings mit einer weiteren kleinen Änderung.“, erklärte er und Vyr blickte ihn irritiert an.
„Was denn noch?“, fragte er und Kage grinste finster, dann schnipste er mit den Fingern und das Licht, was den Raum erleuchtet hatte erlosch auf einen Schlag.
„Du bist ein Nekromant, der in der Dunkelheit von Greypit aufgewachsen ist… Es wird Zeit, dass du lernst zu kämpfen, ohne, dass dich das Licht behindert.“, erklärte er und der erste Streif des Holzschwerts traf ihn im Magen. Der Schlag presste ihm die Luft aus der Lunge und er hustete irritiert. Ein weiterer Schwertstreich zog ihm die Beine weg und er landete hart auf dem Hintern. Noch immer lag bedrückende Schwärze um ihn herum.
Er atmete tief ein, obwohl es vom Bild her keinen Unterschied machte, half es ihm, die Augen zu schließen um sich auf seine anderen Sinne zu konzentrieren. Ein dumpfes Klacken erklang nicht weit von ihm und er konzentrierte sich darauf.
„Verlasse dich nicht auf deine Augen. Sie sind in dieser Situation mehr hinderlich, als nützlich. Gehör und Geruchssinn können dir helfen, aber dich wirklich retten kann nur einer deiner Sinne.“, erklärte Kage mit leicht spöttischer Stimme und erneut erklang das dumpfe aufschlagen, was ein Holzschwert auslöste, was man leicht gegen einen Holzboden schlug. Diesmal erklang das Geräusch von einer gänzlich anderen Stelle. Einer seiner anderen Sinne? Welcher Sinn sollte ihm denn in dieser Situation bessere Hilfe leisten, als Gehör- und Geruchssinn?
Er spürte wie sich sein Körper unwillkürlich anspannte. Er hatte keine Angst in der Dunkelheit, vielmehr bemächtigte sich eine urtümliche Anspannung seines Körpers, die wohl jeden Menschen befiel, der sich in einer komplett dunklen Umgebung wiederfand, die er zuvor nicht, bis in jeden Winkel hatte auswendig lernen können. Erneut sog er tief die Luft ein und das dumpfe Klacken erklang erneut. Diesmal näher.
 „Du musst lernen, alles wahr zu nehmen. Gerüche können dich verwirren, Geräusche können dich täuschen. Helles Licht kann dich ohne Probleme unangenehm blenden. Es gibt nur einen Sinn, der immer 100%ig funktioniert. Nur ein Sinn, der dich nie im Stich lässt, egal in welcher Situation du dich befindest. Ein Sinn, der dich dazu bringt ins Leere zu blicken und unsichtbaren Dingen auszuweichen.“, erklärte Kages Stimme und Vyr erinnerte sich an ein Gespräch, was sie vor vielen Jahren zu einem ähnlichen Thema geführt hatten. Anima. Er wusste, dass es diesen Sinn gab, Kage hatte nicht selten davon gesprochen und nicht selten über die Energie geredet, die das Anima im Zusammenhang mit Zaubern darstellte. Anima war eine Macht, die in allen lebenden Organismen und allen unbelebten Gegenständen existierte. Die Wahrnehmung eben dieser Macht wurde ebenfalls Anima genannt. Allerdings eher aus dem Grund, weil niemand eine bessere Bezeichnung dafür ersonnen hatte.
Wenn man im Dunkeln die Augen schloss, war es gar nicht so einfach sie nicht wieder zu öffnen. Gerade, wenn man sich im Dunkeln bewegte, war der Drang die Augen zu öffnen um in der Dunkelheit möglicherweise auch nur die kleinste Spur eines Hindernisses zu sehen, einfach viel zu stark. Er kniff die Augen zu, sodass das Ganze mit dem entspannen der Sinne nicht mehr allzu viel zu tun hatte.  Er seufzte leicht und rief sich zur Ruhe.
„So viel Zeit hast du in einem richtigen Kampf nicht.“, flüsterte Kages amüsiert klingende Stimme direkt in sein  Ohr. Er wirbelte herum und schlug mit dem Holzschwert zu, was jedoch nur Luft traf.
„Nicht einmal knapp.“, erklärte Kages Stimme in der Dunkelheit und Vyr rief sich zur Ruhe. Seine Augen schlossen sich wieder, sein Atem wurde langsamer, ruhiger, lautloser. Gerüche und Geräusche konnten einen Menschen in der Dunkelheit in die Irre führen.
In der Dunkelheit gefangen besann er sich auf sein Anima. Es war als könne er die magische Energie in der Dunkelheit spüren. Es wirkte in diesem Moment wie ein helles, weiß brennendes Leuchtfeuer, aber  irgendwie konnte er es nicht berühren. Es wirkte als sei er an einer Stelle gefangen und das Leuchtfeuer brannte leicht außer Reichweite seiner Hände.
 „Zu langsam.“, flüsterte Kages Stimme in der Dunkelheit und diesmal folgten disziplinarische Maßnahmen. Er spürte den heißen Schmerz, den ein Schlag eines Übungsschwerts in die Magengrube auslösen konnte und taumelte zurück, wo ihn gleich ein weiterer Schlag erwartete, der ihn an der Schulter traf. Ein weiterer Hieb traf seine Seite und zwei weitere trafen ihn erst an der Brust und dann in den Kniekehlen. Hart schlug er auf dem Hintern auf und hielt sich zurück um nicht zu fluchen. So ruhig er konnte holte er Atem.
Obwohl die Ruhe nicht grade einfach zurück zu erlangen war, wenn man bedachte, dass sich  brennende Schmerzen allmählich über seinen ganzen Körper ausbreiteten. „Wenn du in der Dunkelheit stehen bleibst bietest du deinem Gegner zu viel Angriffsfläche. Steh auf.“, erklärte Kages Stimme erneut und hallte bedrohlich in der Dunkelheit wieder. Unter Schmerzen erhob sich Vyr und hielt dabei weiter die Augen geschlossen. Sein Herzschlag ging schnell. Hatte er Angst? Nein, bestimmt war er einfach nur aufgeregt.
 Langsam, fast lautlos bewegte er sich in der Dunkelheit, wobei er sich in einem vorgegebenen Kreis bewegte um sicher zu gehen, nicht gegen etwas in der Dunkelheit verborgenes zu stoßen. Innerlich versuchte er das Weltabgewandte und emotionslose Weltbild von Konsurt aufzurufen. Der Drang seine Augen zu öffnen flachte ab. Alles war egal. Alles war so, wie es sein sollte. Er war eine Marionette an unzerreißbaren Fäden und die Welt zog daran, nur um ihn zu ärgern und zu frustrieren… Für einen Sekundenbruchteil flammte etwas links von ihm auf und er hob das Schwert. Kages Übungsschwert prallte dagegen.
Zwar hatte Vyr das Schwert zur Abwehr gehoben, dies allerdings war eher dazu geschehen ihn zu beruhigen. Daher taumelte er zurück, als tatsächlich eine andere Klinge dagegen prallte. Irritiert vom plötzlichen Erfolg seiner Tat, traf ihn der nächste Hieb und die Gedankenzelle zerfaserte, ehe er wusste, wie ihm geschah. Das Holzschwert traf ihn am Kopf und er taumelte, ehe ein weiterer Hieb ihn von den Beinen hob und er japsend auf dem Rücken landete.
 „Gar nicht schlecht, aber du lässt dich noch zu leicht ablenken.“, erklärte Kage und Vyr kam wieder schwankend auf die Beine. Das würde ein paar blaue Flecken mehr geben, als sonst. Sein Kopf schmerzte, aber Schmerz war ein guter Lehrmeister. Er musste auf alles vorbereitet sein, auch darauf, dass er widererwartend Erfolg haben würde. Erneut schloss er die Augen und überließ sich vollkommen seinem Gefühl. Diesmal versenkte er sich in die Weltanschauung von Vilra und betrachtete die Dunkelheit in ihrer wunderschönen Einzigartigkeit. In diesem Moment fiel Vyr zum ersten Mal auf, dass es gar nicht so einfach war reine Dunkelheit als schön zu betrachten.
 Als nächstes stellte er sich vor, wie sein Geist sich im Raum ausbreitete und er glaubte tatsächlich schemenhaft in der Dunkelheit seiner geschlossenen Augen zu erkennen, wie sich Kage bewegte. Das Holzschwert schien in dieser schemenhaften Gestalt auf ihn zu zurasen und Vyr tänzelte zur Seite. Vilra schien ihm immer der eher tanzende Charakter zu sein. Er konnte spüren, wie das Holzschwert dicht an ihm vorbei schoss und er tat aus Gefühl einen Schritt zurück. Erneut spürte er einen leichten Luftzug, diesmal an der Stirn. Weiter bewegte sich Vyr tänzelnd, wie ein Blatt im Wind, nach dem man wohl schlagen mochte, aber niemals erwischte, weil der vom Schlag erzeugte Windhauch es immer weiter vom Angreifer wegwehte.
 Er wirbelte mit dem Holzschwert herum und blockte den nächsten Angriff ab, doch diesmal hielt er die Gedankenzelle aufrecht. Ob Anima wohl aus dem Grund  in der Weltanschauung eines anderen besser funktionierte, weil er sich in der eigenen absolut sicher war, dass es unmöglich war im Dunkeln Angriffen zu entgehen oder sie zu blocken? In Vilras Werken wirkte es immer so, als wäre nichts unmöglich und vielleicht funktionierte es gerade aus diesem Grund.
Tänzelnd tat er einen Schritt seitlich, dann zwei zurück. Er wandte sich nach links, entging so einem geführten Schwertstoß, dann ging er zum Gegenangriff über. Nicht stark, er stupste Kage lediglich mit der Schwertspitze an und drückte ihn zurück.
 „Gar nicht schlecht. Wie schaffst du es den Angriffen auszuweichen?“, fragte Kage etwas irritiert und Vyr lächelte, als er antwortete:
 „Ich tanze in der Schönheit, welche die Götter erschufen.“
Kage schnaubte belustigt.
„Hast du grade Vilra zitiert?“, fragte er und klang ehrlich überrascht.
„Aber sowas von.“, entgegnete Vyr mit ruhiger Stimme, wobei er fast emotionslos klang. Kopfschmerzen stellten sich ein. Es war gar nicht so einfach fest an etwas zu glauben, woran man nicht glaubte. Vyr ließ die Gedankenzelle fallen und sofort verschwand die Wahrnehmung, die ihm soeben noch geholfen hatte, Kages Angriffen auszuweichen. Innerlich war er nun überzeugt, dass es möglich war im Dunkeln Angriffen auszuweichen und sie voraus zu sehen. Ob das wohl klappen würde? Er entspannte sich so gut es ging, trotz der wahrscheinlichen Züchtigungsversuche seines Lehrmeisters. Allmählich klärte sich das Bild um ihn herum auf. Er glaubte zu erkennen, was Kage um ihn herum tat, jedoch nahm er es dieses Mal lange nicht so klar wahr wie zuvor. Viel mehr wirkte es so, als sehe er alles durch einen dicken Nebelschleier.
 Anscheinend war er noch nicht zu hundert Prozent davon überzeugt, was er hier tat. Also wich er den nächsten beiden Hieben so gut es ging aus und versetzte sich in die Gedankenzelle von Konsurt. Die finstere und leere Weltsicht des depressiven Dichters hüllte ihn ein und nahezu sofort spürte er einen Kloß im Hals und er fühlte sich seltsam bedrückt. Das Bild wurde mit einem Mal klarer, irgendwie wunderte es ihn nicht, dass seine Anima-Wahrnehmung innerhalb  von Konsurts Gedankenzelle problemlos funktionierte.
 Es war einfacher anderen Menschen, die eine andere Sicht auf die Welt praktizierten, anzudichten, dass sie etwas glaubten wovon er selbst noch nicht voll und ganz überzeugt waren. Mit leerem Blick wich er den nächsten Hieben aus, blockte Angriffe, doch er konnte allmählich spüren, wie die Kopfschmerzen erneut begannen. Er gab die Gedankenzelle auf und Schwindel erfasste ihn. Er ächzte und sank zusammen, hielt sich den Kopf, versuchte aber sofort seine magische Wahrnehmung wieder einzuschalten. Wie durch einen Nebelschleier nahm er wahr, wie Kages Übungsschwert, auf seinen Kopf zu raste. Mit deutlicher Anstrengung warf er sich zurück und entging dem Angriff um Haaresbreite. Der Schwindel um ihn herum wurde stärker und er ächzte, als er flach auf dem Boden lag und versuchte langsam ein und aus zu atmen.
 Er hatte normalerweise keine Probleme mit seiner Kondition, die Erschöpfung, die ihn heimsuchte war zum größten Teil geistiger Natur. Kages Übungsschwert stieß dicht neben seinem Kopf mit einem Klacken auf den kalten Steinboden. Inständig hoffte er, dass die heutige Trainingseinheit vorerst vorbei war. Sie trainierten zwar noch nicht lange, aber was ihn betraf fühlte es sich an, als hätte ihn eine Kutsche überrollt.  Erneut erklang ein Schnipsen und die Kerzen und Öllampen entzündeten sich erneut. Vyr stieß den Atem aus und die Anspannung schwand allmählich aus seinen Muskeln. Er fühlte sich, als bestünde sein Körper aus einem einzigen blauen Fleck.
„Steh auf.“, forderte Kage und Vyr stemmte sich erneut in die Höhe.
 „Kage… Ich bin komplett fertig.“, spie Vyr, als ihm fast die Augen vor Erschöpfung und Müdigkeit zu fielen.
„Perfekt. Du musst auch lernen mit Schmerzen und starker Erschöpfung weiter zu kämpfen.“, erklärte Kage und Vyr stieß geräuschvoll den Atem aus. Er wusste, dass er sich Kage am besten nicht widersetzte, wenn er diesen Tonfall drauf hatte. Das brachte sie beide nicht weiter. Er würde einfach weiter machen, bis er zusammen klappte. Obwohl das sicherlich nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Er wusste, dass Kage es tolerierte, wenn man seine Grenzen überschritt und deshalb das Bewusstsein verlor. Aber Aufgeben war etwas, was er nicht einmal dem Namen nach zu kennen schien. Mit vor Erschöpfung zitternden Armen hob Vyr das Schwert und versuchte die Schmerzen in seinen Muskeln zu ignorieren, die sich zusätzlich zu den ohnehin bereits vorhandenen Schmerzen der Trainingsblessuren bemerkbar machten. Er war total am Ende.
Kage nickte und ging zum Angriff über. Das Übungsschwert schnitt durch die Luft und Vyr blockte die Angriffe bestmöglich ab, was seinen Armen nicht besonders gut tat. Wieder und wieder schlugen die Schwerter aufeinander und Vyr spürte, wie er schwächer auf den Beinen wurde. Er stieß heiser den Atem aus, vertrat sich, stolperte nach hinten.
 Kages Übungsschwert schoss knapp an seinem Gesicht vorbei. Er setzte einen Fuß nach hinten und verlagerte sein Gewicht, damit er wieder Halt fand. Erst dann ging er zum Gegenangriff über. Kage blockte den Schwerthieb, schlug Vyr mit geballter Faust ins Gesicht und trat ihm als nächsten Angriff mit der Kraft eines Zugpferdes hart gegen die Brust. Vyr flog regelrecht zurück und prallte erneut hart auf den Boden, doch diesmal stoppte Kage nicht.
Er führte einen weiteren Schwerthieb von oben und Vyr wusste sofort, dass er diesen Kampf besser nicht als Übungskampf verstehen sollte. Kage würde nicht davor halt machen ihm nachhaltige Schmerzen zu zufügen, sollte er den Kampf nicht ernst nehmen. Knapp wich er dem Hieb aus, indem er sich zur Seite rollte, dann stemmte er sich so gut es ging auf die Füße, ein Vorgang, den Kage zu unterbrechen versuchte. Noch immer schwach auf den Beinen taumelte Vyr zurück, hielt sich aber so gut es ging, leicht schwankend auf den Beinen. Er sprang zurück und entging einem weiteren Angriff. Das würde ewig so weiter gehen. Mit einem heiseren Kriegsschrei ging Vyr zum Gegenangriff über.

Kapitel 5

Chyara gähnte und streckte sich. Sie hatte keine Ahnung, wann sie das letzte Mal so gut geschlafen hatte. Das große Himmelbett war nur eine der Steigerungen ihres Lehrlingsdaseins. Sie konnte nun jederzeit mit Iador und Vanic zusammen sein. Wann sie es wollte. Ihr Herz wurde schwer, als sie an die Reaktion ihrer Mutter zurück dachte, die sie beschimpft hatte und immer wieder wiederholt hatte, dass sich Chyara wohl für etwas Besseres hielt, nun da Iador sie als Lehrling angenommen hatte. Dazu hatte sie gesagt, was sie bereits schon einmal gesagt hatte. Sie würde von irgendeinem Adligen benutzt und dann weg geworfen werden. Dazu kamen die typischen Tiraden, die so viel sagten wie: Du bist nutzlos, wertlos und undankbar.

 Chyara zog die Beine an die Brust und verdrängte die negativen Gefühle aus ihrem Kopf. Jedenfalls so gut es ging. Warum war ihre Mutter so? was hatte sie ihr getan? Wieso hatte Iador sie gelobt, aber ihre Mutter ihr niemals auch nur ein bisschen Anerkennung geschenkt? Sollte nicht eigentlich die Liebe einer Mutter ein unumstößlicher Faktor im Leben eines Menschen sein? Warum hasste ihre Mutter sie so sehr? Es tat weh, doch sie drängte das schmerzende Pochen von sich und setzte ein Lächeln auf. Jedenfalls so gut es ging.
Mit schnellen, geübten Handgriffen begann sie ihr Nachtgewandt abzustreifen, welches sie achtsam zusammen legte und auf die Fensterbank ihrer neuen Gemächer legte. Sie blickte sich um und konnte es noch immer nicht glauben. Als Dienstmagd hatte sie lediglich eine kleine Kammer für sich allein gehabt, doch dieses Zimmer war im Vergleich einfach riesig. Sie hatte ein gewaltiges Himmelbett, einen Schreibtisch, genau wie einen Spiegel und einen weiteren Tisch mit vier Stühlen für Gäste.
 In der Ecke stand ein Sofa und eine hölzerne Tür wies den Weg in ein eigenes Badezimmer. Sie konnte kaum glauben, was sich nicht alles verändert hatte. Sie war nicht länger eine Dienstmagd, sie war die Schülerin eines Klingenmeisters von Rakura. Ein Klopfen erklang an der Tür und Chyara stutzte, wollte die Tür öffnen, als ihr auffiel, dass sie noch immer nackt war.
„Einen Moment bitte.“, erklärte sie und rannte zu einem der Schränke und riss ihn auf. Sie wählte eine der Kleidergarnituren, die Iadors Frau für sie in Auftrag gegeben hatte und streifte das blaue Kleid über, nachdem sie Unterwäsche übergezogen hatte. Kurz betrachtete sie sich im Spiegel und seufzte. Es war eindeutig keine Zeit ihre Haare in Ordnung zu bringen, die zum Teil eingedrückt und zum anderen Teil abstanden. Kurz wuschelte sie sich durch die langen roten Haare und gab sich mit dem Anblick zufrieden, die sie damit gerichtet hatte.
Langsam und noch etwas schlaftrunken torkelte sie zur Tür. Als sie die Tür öffnete blinzelte sie, denn vor ihr stand Valara, die sie wissend anlächelte.
„Guten Morgen Meisterin Valara.“, erklärte Chyara mit einer Verbeugung, weil sie keine Ahnung hatte, wie sie die Frau ihres Meisters ansprechen sollte. Valara lächelte leicht und musterte Chyara aufmerksam von oben bis unten.
 „Du musst nicht so förmlich sein Chyara.“, lächelte Valara, aber noch immer verharrte Chyara in der tiefen Verbeugung.
„Setz dich hin und beruhige dich.“, lächelte Valara und sofort entspannten sich Chyaras Schultern. Als sie ihr Lächeln sah wurde ihr ganz warm ums Herz. Valaras Lächeln hatte etwas Freundliches, fast Liebevolles. Chyara schluckte, weil sie nicht so ganz wusste, wie sie damit umgehen sollte. Sie konnte sich nicht erinnern jemals so ein Lächeln bei ihrer Mutter gesehen zu haben. Valara deutete auf einen kleinen Schemel vor dem Schminkspiegel. Chyara konnte nicht so ganz sagen, was sie erwarten sollte denn dieses ganze Verhalten war ihr vollkommen neu. Langsam ließ sie sich auf dem Schemel nieder und Valara zog einen der Stühle für Gäste zu ihr heran. Dann griff sie nach der Bürste und lächelte Chyara zu. Chyara war sprachlos.
„Hast du etwas dagegen?“, fragte Valara vorsichtig, als sei Chyara ein Rehkitz, was bei einer schnellen Bewegung davon rennen würde. Langsam schüttelte Chyara den Kopf, weil sie nicht wusste wie sie reagieren sollte und Valara lächelte und begann ihr zärtlich das Haar zu bürsten. Sanft zog sie die Bürste durch ihr Haar und Valaras Blick lag dabei liebevoll auf ihr.
„Du hast wundervolles Haar, die Farbe erinnert mich an die, die ich als junge Frau hatte.“, erklärte Valara und zog die Bürste erneut durch ihr Haar. Ihr Haar war eine der wenigen Dinge, die Chyara an ihrer körperlichen Erscheinung wirklich mochte. Sie waren dunkelrot, glänzten aber im Licht in einem Spektrum aus violett und lila.
Chyara musste ein schluchzen unterdrücken. Sie konnte nicht einmal wirklich sagen warum. Ihre eigene Mutter hatte ihr niemals Komplimente gemacht, auch hatte sie sich niemals so um sie gekümmert, wie es Valara gerade tat. Sie schloss die Augen und mahnte sich zur Ruhe.
„Wieso tut Ihr das?“, fragte Chyara und bereute die Frage zugleich, denn etwas in ihr genoss, wie sehr Valara sich um sie kümmerte. Valara lächelte sie zärtlich an.
 „Wie meinst du das?“, fragte Valara etwas überrascht und blickte sie an.
 „Meine Mutter… würde das niemals tun… Warum tut Ihr es?“, fragte sie, weil es schlecht wäre jetzt einen Rückzieher zu machen. Valara stoppte und schaute sie ungläubig an.
„Deine Mutter hat niemals…?“, begann sie und Chyara schüttelte den Kopf, soweit die Bürste in ihrem Haar es zuließ.
„Das kann ich kaum glauben… Du bist so hübsch. Jede Mutter muss doch stolz auf die Frau sein, zu der ihre Tochter wird…“, erklärte sie und hatte dabei die Stimme leicht erschrocken erhoben.
 „Meine Mutter hat nie etwas in der Art gesagt. Das einzige Halbkompliment, was sie mir jemals gemacht hat war, dass ich zuhause bleiben soll, weil jeder Mann mich wohl gerne vergewaltigen würde.“, seufzte Chyara und unterdrückte weiterhin ein Schluchzen. „Nun das stimmt wohl… Du bist eine wunderschöne Frau Chyara. Aber im Gegensatz zu anderen Frauen deines Schlags weißt du dich zu wehren.“, erklärte Valara etwas erschrocken und reagierte etwas irritiert auf die mühsam zurück gehaltenen Tränen, die nun doch über Chyaras Gesicht liefen.
 Zärtlich schlang sie von hinten die Arme um Chyara und zog sie an sich. Etwas, was Chyara noch mehr verwirrte und ihr die Fähigkeit raubte, ihre Tränen und Schluchzer zu unterdrücken. Sie weinte leise und Valara zog sie so zu sich, dass ihr Gesicht auf ihrer Brust ruhte. Dabei streichelte sie zärtlich ihr Haar und stieß beruhigende Laute aus.
„Ich werde mich darum kümmern… Verlass dich auf mich.“, erklärte Valara und Chyara weinte hemmungslos in ihre Brust. Valaras Lippen trafen ihren Schopf, etwas was sie noch mehr zum Weinen anstachelte. Warum war diese Frau mehr wie eine Mutter zu ihr, als ihre eigene Mutter? Das war nicht fair. Nach einiger Zeit, nachdem ihre Tränen versiegt waren zog Valara sie auf die Füße und stellte sie vor den Spiegel.
„Sieh dich an Kind… Du bist eine wunderschöne Frau...“, seufzte Valara und streichelte zärtlich ihre Schultern.
„Deine Figur kommt der einer Prinzessin gleich. Deine Brüste würden sich die meisten Prinzessinnen wünschen. Dein Haar und deine Lippen würden jeden Mann in deinen Bann schlagen und deine Augen sind wunderschön…“, seufzte Valara und Chyara ertappte sich bei einem leichten Lächeln. Sie hatte das in letzter Zeit etwas anders gesehen. Ihre Brüste waren zu groß und waren bei manchen Kampfformen im Weg, sodass sie manche Figuren anpassen musste. Eine Aufgabe, bei der Iador ihr nicht helfen konnte. Er hatte bisher hauptsächlich männliche Schüler unterrichtet und das verlangte Chyara eine ganze Menge Fantasie und Eifer ab.
Sie hatte eigentlich noch nie darüber nachgedacht, wie sie mit all ihren Reizen auf andere wirkte. Vor allem auf das männliche Geschlecht. Erneut erinnerte sie sich an Romars Übergriffe ein paar Jahre zuvor.
„Mein Mann kann froh sein, dass er eine Schülerin, wie dich gefunden hat. Manchmal kriegt er sich gar nicht mehr ein, wenn er davon schwärmt wie aufgeweckt du bist und wie sehr es ihn freut eine Schülerin zu haben, die wirklich versteht, was er sagt.“, erklärte Valara und Chyara errötete.
„Ich…“, begann sie, doch sie wusste nicht genau was sie sagen sollte. Das war mehr als ein Kompliment. Das war die Erfüllung eines Traums.
„Chyara… Was hast du vor, wenn du deine Lehre bei meinem Mann abgeschlossen hast?“, fragte sie und Chyara dachte wahrscheinlich zum ersten Mal wirklich darüber nach. Iadors Schülerin zu sein war immer ihr Traum gewesen, aber es war ihr dabei mehr um den gegenwärtigen Zustand gegangen, als um die danach stattfindende Zukunft. Manche fertig ausgebildete Klingenmeister verdingten sich für einen hohen Preis als Söldner oder verpflichteten sich für ebenfalls hohe Besoldung als Soldaten. Manchmal eröffneten sie eigene Schulen oder blieben bei ihrem Meister um an der Ausbildung weiterer Schüler mitzuwirken. Alles war möglich, doch was wollte sie tatsächlich tun? Eine schwierige Entscheidung.
„Ich weiß nicht recht…“, begann sie und wusste wirklich nicht weiter.
„Wie wäre es dann, wenn du hier bei uns bleibst und meinem Mann dabei hilfst weitere Schüler auszubilden? Gerade Schülerinnen würden sich unter deiner Obhut wahrscheinlich viel besser fühlen als unter der meines Mannes oder eines anderen Lehrers. Denk doch mal darüber nach. Du könntest entscheidend dazu beitragen, dass auch Frauen Chancen haben zu Klingenmeisterinnen ausgebildet zu werden. Gerade weil du dich so sehr ins Zeug legst die Kampffiguren meines Mannes so abzuändern, dass sie auch dem weiblichen Geschlecht einfach von der Hand gehen.“, erklärte Valara und das Angebot haute Chyara fast aus den Socken. Sie hatte nicht Unrecht, aber war es nicht viel zu früh um darüber nachzudenken? Immerhin befand sie sich erst am Anfang ihrer siebenjährigen Ausbildung.
„Meisterin Valara… Ich weiß nicht… Ich fühle mich geehrt, doch ich bin doch noch am Anfang der Ausbildung.“, wiederholte sie ihren Gedanken verbal und Valara lächelte sie an.
„Lass das Meisterin weg, du bist nicht mehr meine Untergebene.“, erklärte sie und lächelte Valara an. 
„Wie meint ihr das?“, fragte Chyara perplex und Valara schüttelte den Kopf.
„Bald wirst du all das verstehen. Hab noch etwas Geduld mein Kind.“, entgegnete Valara mit zärtlicher Stimme. Wenn diese Frau nicht mal in Rätseln sprach…
„Sag mir… Liebst du deine Mutter?“, fragte Valara und sofort bekam Chyara Angst. Was sollte das heißen? Wollte sie ihre Mutter entlassen? Was würde sie dann tun? Sie hätte nichts wovon sie sonst hätte leben können.
„Natürlich… Sie ist meine Mutter und auch, wenn sie mich nicht liebt, so werde ich sie trotzdem lieben…“, entgegnete Chyara vorsichtig. Valara jedoch lächelte sanft und drückte Chyara erneut sanft an sich.
„Du bist ein wundervolles Mädchen.“, erklärte sie und ließ sie los.
„Mach dir keine Sorgen mein Kind.“, führte sie ihre Aussage weiter und Chyara rätselte innerlich daran herum.
„Sag mir Chyara… Wie findest du Varic?“, fragte sie nun, was Chyara nicht weniger verwirrte. Das war ein immenser Sprung zwischen den Themen. Aber es war eine verdammt gute Frage. Was hielt sie eigentlich von ihm?
 „Er ist… nett?“, begann sie ohne wirklich zu wissen, was sie sagen sollte. Er hatte sie damals davor bewahrt von Romar ernsthaft verletzt, wenn nicht sogar vergewaltigt zu werden. Des Weiteren war er immer nett zu ihr gewesen und er konnte seine Finger bei sich behalten. Sie seufzte. Sie erinnerte sich an mehrere Gäste des Hauses, die den Hintern ihrer Mutter begrapscht hatten, als sie bedient wurden.
Auch Chyara war von ihnen des Öfteren angefasst worden. Ebenso hatte sie mehrere Vorschläge über sich ergehen lassen müssen. ‚Hey Kleine, wie wär’s, wenn wir uns mal schnell in eines der Zimmer verziehen und ich dir zeige, was ein richtiger Mann so drauf hatt‘ oder ‚Unter dem Tisch ist noch genug Platz. Zeig mir doch mal wie gut eine von Iadors Dienstmägden bläst.‘ waren nur ein paar der Sprüche, die sie sich hatte anhören müssen, aber Vanic war nie so gewesen.
 Ob es daran lag, dass er nur ein wenig älter als sie war, oder ob er einfach nur besser erzogen war schwer zu sagen. Aber selbst wenn sie sich jemals Gedanken darüber gemacht hätte, wäre es töricht gewesen über ein Verhältnis mit ihm nachzudenken. Er war adliger Abstammung und allein das rückte ihn schon in unerreichbare Ferne.
Es war wahrscheinlich auch nicht gesund jetzt darüber nachzudenken. Er war zwar ein netter und anständiger Kerl, aber noch immer unerreichbar für sie.
„Ich sollte nicht darüber nachdenken. Selbst wenn ich zu guten Schlüssen komme, was bei ihm nicht unwahrscheinlich ist, ist er weit außerhalb meiner Reichweite…“, erklärte Chyara und Valara lächelte.
„Du weißt nicht wer er ist oder?“, fragte sie lächelnd und Chyara blinzelte.
„Dann möchte ich dich mal aufklären. Er ist der Sohn eines einflussreichen Geschäftsmannes, der eine Dienstmagd zur Frau genommen hat. Sie hilft ihm seitdem sein Geschäft weiter auszubauen. Er stammt selbst aus der gesellschaftlichen Unterschicht und trägt keinen Tropfen altadligen Blutes im Leib. Er erhielt erst vor zehn Jahren den Adelstitel. Mit anderen Worten, Vanic ist lange nicht so weit entfernt, wie du vielleicht denkst.“ Chyara holte tief Luft und überlegte, wie sie darauf reagieren sollte.
„Und er mag dich, sogar sehr. Wer will es ihm auch verübeln. Wenn ich deine Vorzüge gehabt hätte, als ich noch jung war, hätte ich jeden Mann haben können. Und dazu bist du auch noch klug. Es gibt da draußen nur wenige Frauen, die so viel zu bieten haben wie du. Wenn du Vanic verführen könntest, dann wäre dir auf jeden Fall ein schönes Leben sicher.“, lächelte Valara und Chyara dachte darüber nach. Sie stellte sich dieses Leben vor ihrem geistigen Auge vor. Sie würde Vanic verführen, würde ihm zu willen sein und mit ihm zusammen sein. Sie würde Kinder von ihm bekommen und dann? Ein langes und glückliches Leben führen?
 Es fiel ihr schwer weiter zu denken. Vanic war ein netter Mann. Er sah gut aus und hatte deutliche Vorzüge, aber irgendwie fiel es ihr schwer sich ein Leben an seiner Seite vor zu stellen. Sie wollte keine Frau sein, die man vor zeigte um Überlegenheit zu demonstrieren. Sie wollte keine Gebärmaschine sein, auch wenn sie neugierig auf den Gedanken war, wie es wohl war mit ihm zu schlafen. Nichts Besonderes. Seit kurzer Zeit dachte sie bei jedem halbwegs gutaussehenden Mann darüber nach. Sie schüttelte den Kopf.
Verdammt sie hatte bisher nicht mal einen Jungen geküsst, warum dachte sie immer wieder über sowas nach? Wahrscheinlich war sie einfach nur neugierig.
„Ich weiß nicht, ob es das ist, was ich letztendlich will… Wenn ich darüber nachdenke beginnt es schön, aber ich glaube letztendlich wäre ich nur noch ein Statussymbol für ihn.“, erklärte Chyara mit rotem Kopf und Valara lächelte zärtlich.
„Möglich wäre es, aber denk daran, dass es immer ein Zurück gibt.“, erklärte sie und Chyara traute ihren Ohren nicht. Empfahl Valara ihr grade sich auszuprobieren und sich unter den Männern auszutoben? Das konnten Adlige tun, aber nicht solche von so geringen Stand wie sie.
„Meisterin… Ich meine Valara… Das wird nicht funktionieren. Wenn eine Adlige, oder viel eher ein Adliger das macht, ist das eine Sache. Aber jemand von meinem Stand? Letztendlich würden mich alle ächten. Selbst diejenigen, die mir ihre Gunst aufzwingen würden. Es ist immer einfacher jemanden zu verurteilen, der einen dazu gebracht hat, seine Treue zu vergessen.“, erklärte Chyara schüchtern und Valara lächelte sanft.
„Wir leben nicht mehr im Mittelalter Chyara… Ich war auch keine Jungfrau mehr, als Iador und ich vermählt wurden, nun… sein Schaden war es nicht.“, erklärte sie mit einem anzüglichem Grinsen und Chyara errötete noch mehr.
„Was das Problem des Standes angeht… glaub mir einfach, wenn ich dir sage, dass du höher stehst, als du vielleicht glaubst.“, erklärte sie und lächelte. Für einen Moment dachte Chyara darüber nach, dass es vielleicht das war, was man als Mutter-Tochter-Gespräch benennen konnte. Sie verstand Valaras letzten Einwand nicht ganz, wie sollte eine Dienstmagd einen höheren Stand genießen, als ihr bewusst war? Eine Dienstmagd war eine Dienstmagd und blieb eine Dienstmagd, auch dann, wenn sie bei einem Namenhaften Klingenmeister in die Lehre ging.
Valara war eine Adlige und so verzieh sie ihr, dass sie vieles einfacher betrachtete, als es eigentlich war. Ihr hatten von Beginn an alle Wege offen gestanden. Sie hatte von Anfang an ihr Leben damit verbracht die Pflichten einer Adligen zu lernen, hatte ihr Leben damit zugebracht schöne Kleider zu tragen und für andere gut auszusehen, damit ihre Eltern stolz auf sie waren. Chyara hingegen hatte Kleider aus grobem Stoff getragen, hatte Böden geputzt bis ihr der Rücken geschmerzt hatte.
Sie hatte an hohen Stellen Staub gewischt, bis sie gefallen war und alte Kleider genäht, bis ihr die Finger bluteten. Für all das hatte sie lediglich einen hochmütigen Blick und widerwilligen Respekt von ihrer Mutter geerntet. Chyara und Valara waren so verschieden, dass es schmerzte und doch lächelte Chyara Valara an.
„Ich bin eine Dienstmagd und eine Schülerin Iadors. Ich schätze, das ist mehr, als ich jemals hatte erwarten können.“, entgegnete sie und Valara musterte sie ruhig.
„Du lebst noch immer zu sehr in deiner eigenen Welt.“, erklärte Valara und Chyara lächelte. In welcher Welt sollte sie denn sonst leben?

 

 

„Es gibt da draußen unzählige verschiedene Arten der Magie. Anima manifestiert sich in den verschiedensten Formen. Ich für meinen Teil kann dir nur beibringen, was ich beherrsche.“, erklärte Kage mit ruhiger Stimme, während er Vyr in die Augen blickte.
 „Ich habe Menschen gesehen, die das Licht der Sonne heraufbeschworen, Feuerbälle warfen oder über Schlachtfelder gingen ohne einen einzigen Pfeil abzukriegen. Letzteres war allerdings wahrscheinlich eher auf Glück zurückzuführen.
„Wie ich bereits sagte, bin ich ein Nekromant, also werde ich dich in die Künste der Nekromantie einweihen, die überall sonst geächtet und gefürchtet werden. Meine eigene Magie…“, begann er und schwieg dann kurz.
 „Ich werde versuchen, sie auch dir näher zu bringen, aber ich weiß nicht ob man diese Art der Magie erlernen kann.“, erklärte er dann und Vyr hob den Kopf.
„Du willst mir eine Magie beibringen, von der du nicht weißt ob man sie lernen kann? Wie hast du sie denn gelernt?“, fragte Vyr und schaute seinen Meister an. Er grinste, dann zuckte er mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht. Sie war einfach da. Genau das ist der Punkt.“, entgegnete er lächelnd und überlegte, wie er es erklären könnte.
„Hör zu… Ich möchte nicht, dass aus dir ein einfacher Navigator von Knochendienern oder so etwas Ähnliches wirst. Natürlich ist das Eindringen in einen untoten Geist für einen Nekromanten von elementarer Wichtigkeit. Jedoch gibt es deutlich mehr, was du als Nekromant tun kannst. Was sind deine Ziele, wenn du deine Lehre abgeschlossen hast?“, fragte Kage und Vyr dachte seufzend darüber nach. Konnte er es Kage wirklich sagen? Er sog tief die Luft ein.
 „Ich möchte die Stadt verlassen und herausfinden wer ich bin und wer meine Eltern waren.“, erklärte Vyr und blickte beschämt zu Boden. Kage blickte ihn an.
 „Verstehe. Du weißt, dass du die Nekromantie und generell die schwarze Magie außerhalb von Greypit nicht benutzen solltest?“, fragte Kage und Vyr hob erneut den Kopf.
„Warum nicht?“, fragte er etwas verblüfft. „Außerhalb von Greypit wird jeder, der schwarze Magie oder gar Nekromantie praktiziert, verbrannt … Oder auf eine andere Art und Weise getötet, aber Verbrennen war zu meiner Zeit sehr beliebt um den Keim des Bösen auszutreiben.“, entgegnete Kage und lächelte leicht.
„Wenn du dich als Nekromant zu erkennen gibst, wird dir niemand Gastfreundschaft erweisen und wenn doch, dann nur um dich abzulenken, bis die Inquisitoren anrücken um deinem unheiligen Leben ein Ende zu setzen.“, grinste Kage und Vyr sog tief die Luft ein. Er drufte also das, was er hier lernte nirgendwo anders einsetzen… Irgendwie klang das nicht fair… Aber es war sein Los, für das er sich vor langer Zeit entschieden hatte. Er nickte und blickte Kage an.
„Also gut. Bring mir alles bei, was du mir beibringen kannst.“, erklärte Vyr und setzte ein Lächeln auf. Kage nickte. 
„Siehst du den Schatten, der vom Kerzenlicht flackernd verdrängt wird?“, fragte Kage und Vyr blickte in die Ecke, die Kage im Blick hielt. Er nickte.
„Versuche den Schatten zu dir zu rufen.“, forderte Kage und Vyr zog eine Augenbraue nach oben. Wie sollte er Schatten zu sich… Nein. Nichts war unmöglich, wenn er in der Dunkelheit die Schritte seines Meisters voraussehen konnte, dann konnte er auch Schatten zu sich rufen. Er sog tief die Luft ein und besann sich auf sein Anima, diese unbändige Kraft, die im Hintergrund seines Bewusstseins danach gierte genutzt zu werden. Er griff danach, zog so wenig Energie wie möglich aus dem unendlich scheinenden Quell der Macht. Dann sandte er die Magie in alle Richtung und befahl dem Schatten sich bei ihm zu sammeln.
Vyr traute seinen Augen nicht, als die Schatten um ihn herum in einem Wirbelmuster verschwammen und langsam zu ihm flossen, sich in einer schwarzen Sphäre über seiner Hand sammelten und dort schwebten. Ruhig sog Vyr die Luft ein und es fühlte sich an, als würde er Schatten atmen. Kage schien überrascht vom schnellen Erfolg und nickte dann.
„Du scheinst eine natürliche Begabung dafür zu haben…“, erklärte er und musterte die schwarze Sphäre, die sich über Vyrs Hand um sich selbst drehte und dabei stetig mehr Schatten sammelte.
 „Ist das gut oder schlecht?“, fragte Vyr und dachte daran, dass Begabung zwar etwas Gutes war, aber bestimmte Dinge schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich machte. Er schluckte. Kage dachte darüber nach.
„Das Bild, was man von der Welt hat schmiedet die magische Gabe.“, erklärte Kage und  blieb ansonsten still, obwohl er anscheinend noch mehr sagen wollte. „Dein Weltbild ist den Schatten und die Dunkelheit so sehr gewohnt, dass es die Dunkelheit geradezu in sich aufzusaugen scheint. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, liegt im Auge des Betrachters. Für das Ausüben der Magie, die ich dich zu lehren versuche ist es natürlich gut. Ob es für alles andere auch gut ist, ist natürlich wieder etwas anderes.“, brachte Kage dann hervor. Vyr seufzte. Wer konnte ihm schon verübeln, dass er ein finsteres Weltbild hatte?
Er war mehr oder weniger auf den Straßen von Greypit aufgewachsen, konnte sich nicht an die Wärme einer Familie erinnern und hatte unvorstellbare Gräuel gesehen. Es war doch klar, dass das nicht spurlos an seinem Gemüt vorbei gegangen war. Er stieß einen Seufzer aus und konzentrierte sich stärker. Sein Anima sog den Schatten weiter in seine Handfläche, die Kugel wurde zu einem Wirbel aus Schatten und Vyr zog immer mehr schatten zusammen.
„Das reicht erstmal. Jetzt versuche daraus einen Handschuh zu formen, der Pfeile und Bolzen aufhalten kann.“, forderte Kage und Vyr zog die Augenbrauen nach oben. Ein Handschuh okay, aber wie sollte er bewerkstelligen, dass er Pfeilen oder gar Bolzen widerstand? Das war doch so gut wie unmöglich. Lyr schüttelte den Kopf. Nein. Es musste möglich sein, irgendwie würde es möglich sein. Er konzentrierte sich und stellte sich einen Handschuh vor.
Gehorsam schmiegte sich der gesammelte schatten um seine Hand und bildete einen schwarzen Handschuh, der matt im Kerzenlicht schimmerte. Ein seltsamer Gedanke.

 

 

„Gut.“, erklärte Kage und ging sofort zum Angriff über. Das Holzschwert, was er in den Händen hielt, glitt peitschend durch die Luft und in Reaktion darauf hob Vyr den Arm mit dem Schattenhandschuh. Hand und Holzschwert kollidierten, doch Vyr spürte den Schlag nicht mal. Erstaunt blickt er auf seine Hand und der nächste Schlag traf seine Niere. Er fuhr von Schmerz gepackt zusammen und hob erneut den Arm um den nächsten Schlag abzuwehren.
Doch vom Schreck des unerwarteten zweiten Angriffs gepackt hatte er sein Anima los gelassen und der Handschuh, den er aus Schatten geformt hatte, war zerfasert. Zum Glück traf das Holzschwert Vyrs Arm und nicht seine Finger.
 Das tat zwar auch verdammt weh, aber die Chance eines gebrochenen Knochens war deutlich geringer. Er stöhnte auf, als sein Arm vom Holzschwert getroffen wurde. Die Waffe hatte seine Knochen nicht gebrochen, aber der Schmerz war überwältigend.
 Er wusste, dass Kage ihn erneut geschlagen hätte, hätte Vyr geschrien, deshalb biss er die Zähne zusammen und widerstand dem Drang seinen Schmerz hinaus zu brüllen. Vyr sprang zurück und rieb sich die schmerzhaft pulsierende Stelle am Arm, an der er getroffen worden war.
„Was ist grade passiert?“, fragte Kage und Vyr schnappte nach Luft. „Ich habe durch den Schreck mein Anima los gelassen und somit zugelassen, dass sich der Schattenhandschuh auflöst.“; brachte Vyr unter zusammen gebissenen Zähnen heraus.
„Und wie könntest du das verhindern?“, fragte Kage grinsend und Vyr hasste ihn einen Augenblick lang dafür, dann verstand er. Er nahm all seinen Willen zusammen und griff erneut nach seinem Anima. Erneut sammelte sich Schatten in seiner Hand und diesmal schob er den Vorgang des Sammelns unter starkem Schwindel in eine andere Gedankenzelle. Seine restliche Aufmerksamkeit richtete er auf Kage und auf einen möglichen Angriff. Seine Sinne waren bis aufs schärfste gespannt, während er immer mehr Schatten sammelte. Dabei hüllte er seine Hand und letztendlich seinen ganzen Arm in Schatten. Sofort setzte sich Kage in Bewegung und griff an. Das Übungsschwert schwang durch die Luft und Vyr reagierte sofort.
 Er setzte einen Schritt nach hinten, wich der Holzklinge aus, indem er seinen Oberkörper nach hinten beugte und drehte sich dann nach links weg, um einem weiteren Angriff zu entgegen. Sein Schattenarm blockte den nächsten Angriff ab, griff nach dem Schwert, doch seine Hand rutschte am glatt pollierten Holz ab. Er blockte zwei weitere Hiebe und wich drei anderen aus. Seine Schritte waren schnell und bewegten sich nach keinem bestimmten Muster. Bewegungsmuster machten einen Berechenbar. Das war eine der ersten Dinge, die Kage ihm beigebracht hatte. Während er blockte und auswich beschloss Vyr das Ganze als Lehrstunde für Magie zu betrachten. Also nutzte er die Zeit um mit seiner Magie zu experimentieren.
Er zog weiterhin Schatten aus der Umgebung, während er die Schattenrüstung um seinen Arm aufrechterhielt. Er stellte fest, dass es den Sammelvorgang verlangsamte, wenn er zugleich Magie aufrechterhalten musste. Er sprang einige Schritte von Kage zurück und schob das Sammeln in eine weitere, seine letzte Gedankenzelle. Schwindel befiel ihn und kurz schwankte er, als das Sammeln von Schatten sich deutlich beschleunigte. Vyr sog tief den Atem ein, während er den gesammelten Schatten dazu nutzte dem Handschuh eine offensive Note zu verpassen. Er ließ die Fingerspitzen des Schattenhandschuhs zu Klauen werden, die möglicherweise sogar tatsächlich etwas ausrichten konnten. Kage lächelte ihn an.
Offenbar hatte er bemerkt, was er getan hatte. Vyr warf sich in den Kampf, parierte Schläge, wich ihnen aus und konterte so gut es geben ging, allerdings erreichte er seinen Meister nicht. Der Reichweitennachteil zu Vyrs Seiten verhinderte einen ausgeglichenen Kampf. Vyr blieb nichts anderes übrig als defensiv zu bleiben… Nein. Das stimmte nicht. Vyr musste nur seinen Kampfstil ändern. Bevor Kage und er den Kampf mit Waffen geübt hatten, hatte Kage ihn die Waffenlose Kampfkünste eingeweiht. Kage schwor darauf, dass man damit bewaffneten Gegnern ebenbürtig sein konnte, doch Vyr hatte es nie geglaubt.
Geistesgegenwärtig ließ er den gesammelten Schatten in einen Schutz für seinen Anderen Arm fließen und nahm die Position des Waffenlosen Kampfes an. Es wurde Zeit Kages Aussage auf Herz und Nieren zu prüfen.

 

 

 

Kage grinste innerlich. Erneut spürte er, dass er zunehmend stolz auf seinen Schüler wurde. Nicht nur, dass er die Grundzüge dieser Magie so schnell begriffen hatte. Nein, er setzte sie sogar nahezu virtuos aus. Jedenfalls im Vergleich zu seinen ersten Versuchen. Die Geistesgegenwart in die Waffenlose Kampfkunst Garu zu wechseln um sich gegen seine Angriffe zur Wehr zu setzen war durchaus klug. Denn die Kampfkunst bot ein breites Spektrum von Bewegungsabläufen, die auch im  Kampf gegen einen Gegner mit Schwert durchaus wirksam waren.
Sie übten täglich sowohl den waffenlosen, wie auch den bewaffneten Kampf, wobei der Fokus momentan allerdings auf dem bewaffneten Kampf lag. Er war gespannt, wie Vyr gegen ihm vorgehen würde. Immerhin befand er sich im Besitz einer Waffe und hatte somit einen nicht minderen Vorteil. Kage ging zum Angriff über und Schwerthiebe prasselten nur so auf seinen Schüler hernieder. Wie er erwartet hatte, blockte Vyr viele dieser Hiebe mit den Handschuhen aus Schattenmagie, die er gewoben hatte, ab.
Diese Magie war im Licht schwierig auszuführen und kostete deutlich mehr Kraft, als im Dunkeln, was Kages Stolz auf seinen Schüler keinesfalls schmälerte. Vyr bewegte sich schnell und präzise. Seine Beinarbeit war er feuchte Traum eines Tänzers und die Art, wie er versuchte unter Kages Deckung hinweg zu tauchen oder diese einfach nur austestete, ließ taktisches Talent vermuten. Er konnte sagen was er wollte, doch er konnte nicht behaupten, dass er diesen Ausgang erwartet hatte. Die Art und Weise wie Vyr, die von ihm eingesetzte Magie verstand und sie nutzte war weitaus besser, als Kage sich bei den ersten Anwendungen angestellt hatte.
Er benutzte alle Gedankenzellen, die ihm zur Verfügung standen um das Potenzial der Magie möglichst effizient auszuschöpfen und das war etwas wofür er Wochen, wenn nicht sogar Monate gebraucht hatte. Er hatte lediglich einen kleinen Denkanstoß gebraucht. Den Rest hatte er instinktiv umgesetzt. In einer Gedankenzelle sammelte er weiter Schatten, der ihn nun umwaberte, weil er ihn, nicht mehr wie zuvor in seiner Handfläche konzentrieren konnte.
Eine weitere Gedankenzelle hielt die Konzentration zur Aufrechterhaltung der magischen Bindungen des Schattens in die Form von Arm- und Handschützern. Die dritte und letzte Gedankenzelle behielt den Kampf im Auge und spendete die Konzentration für das Geschehen.
Kage lächelte. Was Vyr da tat war beeindruckend, aber er konnte noch nicht erahnen wozu der menschliche Geist tatsächlich im Stande war. Wenn er diesen Dreh einmal heraus hatte, würde er keinen Gedankenzellen mehr brauchen um seine Magie effizient zu nutzen, doch jetzt war es eine ausgezeichnete Übung. Seine Hände blockierten das Übungsschwert, dabei bewegten sich seine Beine kreisend, geschickt, berechnend.
Offenbar hatte Vyr weitaus mehr aus dem unbewaffneten Nahkampf mitgenommen, als Kage geglaubt hatte. Eine gute und passende Wendung. Vyr bewegte sich mit einer Geschwindigkeit um die ihn viele Leute beneidet hätten, jedoch war es nicht nur seine Geschwindigkeit. Wer schnell war benötigte ein gewisses Geschick um seine Fähigkeiten entsprechend einzusetzen. Vyr besaß beides. Seine Beine und Arme bewegten sich schnell und geschickt, wie die eines virtuosen Tänzers. Kage griff immer wieder an, doch Vyr parierte die Angriffe mühelos.
Gleichzeitig testete er seine Abwehr. Er suchte nach Lücken in Kages Verteidigung und Kage vermied es, sich eine entsprechende Blöße zu geben. Vyr tauchte unter dem nächsten Angriff hinweg und setzte einen Gegenangriff. Seine flache Hand traf Kages Brust. Von unheimlicher Kraft gepackt taumelte er zurück. Kage stutzte, als Vyr zusätzlich Kages Gegenangriff nach hinten auswich und dann Schnell wie ein Schatten vor ihm stand und ihm die Klauen an die Kehle drückte. Kage lächelte respektvoll. Er hatte vieles erwartet, doch nicht, dass Vyr ihn tatsächlich besiegen würde. Vyr schien von der Tatsache ebenso überrascht zu sein, denn die Konzentration in seinem Blick schwand und machte Irritation Platz.
Kage musste Vyr Respekt dafür zollen, dass er seine Situation so schnell bewerten konnte. Er wusste, dass er vorerst gewonnen hatte und der Schatten um seine Arme löste sich in konturlosen schwarzen Nebel auf. Vyr verbeugte sich. Es war offenkundig, dass er erschöpft war, jedoch verbarg er es. „Das war nicht schlecht.“, gab Kage neidlos zu und lächelte seinen Schüler an, der offenbar etwas irritiert von der Tatsache war, dass er Kage tatsächlich ohne den Einsatz von Waffen besiegt hatte. Natürlich hatte er sich nicht so stark aufs ausweichen konzentrieren müssen, wie in einem richtigen Kampf zwischen Klingen und Fäusten. Dennoch war ihm klar, dass ihm eigentlich die Reichweite gefehlt haben müsste um Kage tatsächlich überwältigen zu können.
„Guter Kampf.“, lächelte Kage und stützte sich leicht auf sein Schwert.
„Ich habe nur gewonnen, weil…“, begann Vyr mit etwas beschämter Stimme, doch Kage hob eine Hand und unterbrach ihn damit rüde.
„Du hast gewonnen. Es gibt kein „nur“ in Sieg oder Niederlage, zwischen Leben und Tod. Beide Tatsachen sind endgültig. Entweder du lebst oder du stirbst. Wie du das geschafft hast ist etwas, worüber du dir später Sorgen machen kannst. Ein Kampf ist ein Kampf, ein Sieg ein Sieg, egal wie man es dreht und wendet. Wer siegt lebt, wer verliert stirbt. Im Kampf gibt es kein Zögern, kein Fair oder Unfair. Es geht ums Überleben und es wäre Hirnrissig sein eigenes Überleben an Regeln zu ketten, die den eigenen Tod begünstigen. Du hast gekämpft und du hast deine Magie und dein Können eingesetzt.“, erklärte Kage mit kühler Stimme und lächelte dabei ruhig. Er war stolz auf seinen Schüler. Vyr biss die Zähne zusammen und nickte dann leicht.
 Er war müde und erschöpft und doch hielt sich Vyr auf seinen Beinen und erwiderte Kages Blick ohne sich eine Blöße zu geben.
„Du hast deine Magie deutlich besser eingesetzt, als ich es erwartet hätte. Für den Anfang hast du deine Gedankenzellen gut eingesetzt, doch ich möchte, dass du das nächste Mal maximal zwei von dreien belastest.“, sagte Kage und Vyr entging der Stolz in seiner Stimme offenbar nicht, denn seine Züge hellten sich etwas auf. Was er auch tat, er war im Herzen immer noch ein Kind.
„Ruh dich aus.“, erklärte Kage und wandte Vyr den Rücken zu, dann grinste er.
„Ach und Vyr… Erwarte nicht, dass ich es dir das nächste Mal genauso einfach mache.“, erklärte er noch ohne sich zu ihm umzudrehen.
„Ja, Meister.“, entgegnete Vyr mit fester Stimme.

 

 

 

Es war Vyr nicht möglich einfach so einzuschlafen. Kages Worte hielten ihn wach. Wollte er wirklich, dass er seine Magie in nur einer Gedankenzelle wirkte? Er benötigte eine um zu kämpfen, um sich auf das Geschehen während des Kampfes zu konzentrieren und die Verwirrung von Schmerz von seiner magischen Konzentration fern zu halten. Er schloss die Augen und streckte einen Arm von sich. Er begann damit Schatten zu sammeln, als wäre es das natürlichste der Welt. Es würde ihn Jahre kosten seine Magie mit dem Kampf zu verbinden, aber er würde es schaffen. Er hatte einen guten Anfang gemacht. Langsam kroch Schatten seine Haut hinauf und überzog sie mit einem schimmernden, mattschwarzen Film, während die Schatten sich weiter in einer dunklen Kugel sammelten, die dicht über seinem Handteller schwebte.
Ob es wohl nötig war den Schatten zuerst zu sammeln und dann in seine Magie fließen zu lassen? Mit grimmiger Entschlossenheit versuchte er den Schritt zu überspringen und den Schatten direkt dort zu sammeln wo er gebraucht wurde. Der Vorgang war etwas anstrengender, aber er beschleunigte das Einhüllen seiner Haut immens. Er atmete tief ein und versuchte die Kopfschmerzen zu ignorieren, die ihn zu peinigen begannen. Er streckte seine andere Hand aus und begann den Schatten dort ebenfalls zu sammeln. Die dünne Schicht aus Schatten kroch seinen anderen Arm ebenfalls hinauf, ohne, dass die Bildung der Schattenpanzerung an der anderen Hand sich verlangsamte.
Die Kopfschmerzen wurden stärker, doch er ignorierte sie weiter. Er hüllte seinen kompletten Arm in Schatten. Prüfend bewegte er den Ellbogen, beugte, streckte und drehte ihn um herauszufinden wieviel Beweglichkeit sein Körper durch den Schatten einbüßte. Sein Arm fühlte sich etwas steif an. Er zog etwas Schatten von den Gelenken ab und versuchte es erneut.
Besser, aber noch nicht perfekt. Er sog tief den Atem ein. Es war schwieriger, als alles in einer separaten Gedankenzelle auszuführen.
Aber es war machbar und für alle Fälle hatte Vyr im Kampf noch eine Gedankenzelle zur Verfügung, die er nutzen konnte. Das konnte ihm vielleicht helfen, aber Vyr wusste, dass es noch nicht genug war seine Magie unter Anstrengungen und Kopfschmerzen auszuführen. Er musste seine Magie nutzen können, ohne dass es irgendeine Art von Ablenkung für ihn brachte. Dazu kam, dass er noch kein bisschen Nekromantie gelernt hatte und ohne diese Kunst würde er nicht an den Prüfungen teilnehmen können.
Die Ausbildung zum Nekromanten war schön und gut, aber wie alles, wurde das Können eines Lehrlings letztendlich geprüft und die Prüfungen der Nekromanten waren alles andere als Freundlich. Ein Nekromant war ein Diener der Dunkelheit und das musste er in dieser Prüfung beweisen. Zwar sah die Prüfung jedes Jahr etwas anders aus, aber Vyr wusste, dass jährlich von 50 Anwärtern vielleicht drei überlebten und zu vollwertigen Nekromanten wurden. Es war ein undankbares Ausbildungssystem. Der Schüler opferte Jahre seines Lebens in die Ausbildung und letztendlich gab er möglicherweise sogar sein Leben.
Es war grausam und erneut überlegte Vyr, was er mit seinem Leben anfangen würde, wenn er das ganze überlebte. Würde er es tatsächlich bewerkstelligen, weiter in dieser Stadt zu leben? In einer Stadt, die ihre Bewohner versklavte und sie zwang zu Mördern zu werden, die in der Lage waren, die Seelen ihrer Opfer bis in alle Ewigkeit zu quälen? Konnte er das wirklich mit seinem Gewissen vereinbaren? War er ein solcher Mensch?
War er der richtige Mensch um ein Nekromant zu werden? Kage selbst hatte nie über seine Initiationsprüfung gesprochen, doch Vyr war sich ziemlich sicher, dass er vieles getan hatte worauf er nicht stolz war. Es war schon witzig.
Im Endeffekt wusste er rein gar nichts über den Menschen, den er Meister nannte. Er wusste nichts über die Vergangenheit des Menschen, der ihn ausbildete. War er hier in Greypit aufgewachsen, war er sein ganzes Leben darauf aus gewesen ein Nekromant zu werden? Hatte er möglicherweise andere Pläne oder Träume gehabt? Hatte er die Welt außerhalb von Greypit gesehen? Alles was Vyr über Kage wusste, war, dass er gut zu ihm war und dass er die Spinne hasste.
Raxanta, die Schule der Spinne… Die Nekromantenschule, welche die grausamsten aller Nekromanten hervor brachte. Sklavenhändler, Mörder, Wahnsinnige, Monster. Es war nicht so, als hätten die anderen Schulen eine weiße Weste. Manche von ihnen schmuggelten im großen Stil, andere waren Diebesgilden. Wieder andere bildeten Auftragsmörder aus, doch in Raxanta bildete man Monster aus. Ohne Ausnahme.
Vyr biss die Zähne zusammen und ihm wurde bewusst wie wenig er in den vergangenen Jahren von Greypit kennen gelernt hatte. Er war seit vier Jahren nie wirklich außerhalb von Kages sicherem Haus gewesen. Es wurde Zeit, dass er die Stadt in der er aufwuchs besser kennen lernte, denn bisher, so wurde ihm klar, kannte er nur die Armenviertel der Stadt.
 Er schluckte und blickte auf seine Hände hinab. Die Magie schmiegte sich weiterhin um seine Arme. Er hatte die Magie trotz seiner Gedanken aufrecht gehalten. Ein merkwürdiges Gefühl von Stolz befiel ihn und er lachte in sich hinein. Er wusste nicht, warum ihm all das so leicht fiel, doch er machte sich keine Illusionen, es würde noch früh genug schwerer werden.

Kapitel 6

 

(Rakura, das unabhängige Reich – Erster Tag der Himmelswende – Jahr 156 n. W.)

 

 

 

„Weißt du warum man mich herbestellt hat?“, fragte Chyara gefühlt zum zehnten Mal und wieder lächelte Vanic lediglich.
„Nein. Ich weiß genau so viel, wie zum Zeitpunkt deiner ersten Frage.“, erklärte er mit einem Lächeln. Dienstboten hatten sie gebeten sich vor Iadors Arbeitszimmer einzufinden und aus irgendeinem Grund war auch Vanic hier.
„Verdammt, ich bin so nervös…“, seufzte Chyara und Vanic lächelte. „Ich finde es übrigens sehr erfrischend, dass du die einzige Frau im Königreich zu sein scheinst, die es wagt, vor einem Edelmann zu fluchen.“, grinste Vanic neckend und Chyara schrak sichtlich zusammen.
„Was soll das heißen?“, fragte sie und Vanic grinste breit. „Das was es eben heißt. Du bist die einzige Dame, die ich jemals habe fluchen hören, während sie sich sicher war, dass ich sie hören konnte.“, grinste er und Chyara blickte ihn für einen Moment irritiert an.
„Bestätigt das jetzt die tief verankerte Meinung des Adels, dass einfache Leute weniger Wert sind als ihr?“, fragte Chyara mit einem Anflug von Trotz und Vanic blickte sie erschrocken an. Das schien ihn verletzt zu haben.
„Wieso sollte ich sowas denken? Meine Eltern waren einfache Menschen und haben sich ihren Reichtum und ihre Titel mit harter Arbeit erarbeitet. Dass ich mit einem silbernen Löffel im Mund geboren wurde, macht mich nicht automatisch zu einem besseren Menschen… Ich bin nicht Romar.“, seufzte Vanic und mit einem Mal fühlte sich Chyara schlecht.
„Es tut mir leid Vanic…“, seufzte sie und Vanic schüttelte den Kopf.
„Geschenkt… Du hast lediglich ausgesprochen, was du gedacht hast…“, erklärte Vanic und wirkte dabei etwas verkrampft.
„Nein… Es war dumm… Ich kenne dich und ich weiß, dass du nicht so denkst…“; seufzte sie und Vanic zuckte mit den Schultern. „Mag sein, aber es ist trotzdem dein gutes Recht das zu glauben.“, gab Vanic mit ruhiger Stimme zurück.
„Das kannst du sicherlich wieder gut machen…“, lächelte Vanic und Chyara blickte ihn an.
„Wie?“, fragte sie eifrig und er lächelte wölfisch. „Wie wäre es mit einem Kuss?“, fragte er und Chyara verstand die Welt nicht mehr.
 „Wieso solltest du das wollen?“, fragte sie irritiert und Vanic grinste, dann zuckte er mit den Schultern.
 „Ich bin schließlich auch nur ein Mann.“, schloss er und Chyara ging einen Schritt auf ihn zu. Wenn sie es damit wieder gut machen konnte… Es war nur ein Kuss. Ihr erster zwar, aber trotzdem nur ein Kuss. Er schaute sie mit deutlicher Verwirrung in der Miene an.
„Warte mal! Willst du das wirklich tun?“, fragte Vanic und Chyara errötete, dann allerdings besann sie sich darauf, was Valara gesagt hatte.
„Warum nicht? Du wärst immerhin eine gute Partie.“, lächelte sie so selbstsicher, wie sie es im Moment konnte. Vanic tat einen Schritt zurück. „Wer bist du und was hast du mit Chyara gemacht?“, fragte er misstrauisch und sie zwinkerte ihm lediglich schelmisch zu. Diesmal war es an ihm zu erröten. Vanic 1, Chyara 1 – Ein fairer Spielstand. Jedenfalls fürs Erste. Mit langsamen Schritten ging sie auf Vanic zu, wobei sie sich möglichst an grazil zu bewegen versuchte.
Es gelang. Ein Kleid war dafür gar nicht so ungeeignet, wie sie es gedacht hätte. Sie setzte ein Lächeln auf, wobei Vanic leicht zurück wich.
 „Was denn? Hast du Angst vor einem kleinen Kuss?“, fragte sie und lächelte adrett. Vanic räusperte sich.
„Ich… Also… Natürlich nicht…“, entgegnete er so männlich, wie es ihm im Augenblick möglich war. Sie hatte ja vieles erwartet, aber ganz sicher nicht, dass Vanic schüchtern wäre. Sie lächelte leicht und ging einen weiteren Schritt auf den jungen Adligen zu. Langsam streckte sie die Hand nach seinem Gesicht aus und er erschauerte, als sie ihn berührte. Sein Blick glitt von ihren Augen hinab zu ihren Brüsten. Zwar war das Kleid ansonsten züchtig geschnitten, doch das Dekoltee ließ trotzdem kaum Wünsche offen. Sie lächelte.
„Gefällt Euch, was Ihr seht Mylord?“, fragte sie mit gespielter Selbstsicherheit.
 „Ich…“, begann er und erinnerte sich einen Augenblick zu spät daran, dass ihr Gesicht etwas höher angesiedelt war, denn sein Kopf schrak hinauf. Sie lächelte ihn vielsagend an und berührte dann mit der zweiten Hand seine andere Wange. Sie zog ihn zu sich und ihre Lippen trafen seine Stirn. „Manchmal bist du wirklich niedlich Vanic…“, seufzte sie und ließ den puterroten Adligen wieder los. Chyara 2, Vanic 1 – Der Sieg war ihr schon fast sicher.
Vanic war einfach nicht der Typ, der… Eine Hand packte sie im Nacken und riss sie herum, dann trafen seine Lippen die Ihren. Sie hatte die Augen aufgerissen angesichts der Situation. Mit ruhiger Gelassenheit lagen seine Lippen auf den ihren und es fühlte sich wiedererwartend gut an. Es hatte etwas Beruhigendes. Allmählich schlossen sich ihre Augen und ihre Lippen öffneten sich etwas. Sie genoss das Gefühl, was Vanics Lippen auf den ihren auslösten. Ein leichtes Kribbeln. Als ihre Lippen sich wieder trennten konnte sie nicht anders als Vanic sprachlos anzublicken, der sich genüsslich über die Lippen leckte.
 „Was denn?“, fragte er und lächelte sie etwas verlegen an.
„I…Ich war einfach nicht darauf vorbereitet, dass du wirklich…“, begann Chyara, doch brach dann unvermittelt wieder ab. Offenbar herrschte nun Gleichstand. Oder hatte er sie Punktemäßig eingeholt? Es war ihr egal. Das Kribbeln auf ihren Lippen blieb.
 „Dass ich dich wirklich küssen würde meinst du? Darauf war ich ebenso wenig vorbereitet.“, lächelte er und Chyara blinzelte. „Willst du damit sagen…“, begann sie wieder und Vanic lächelte etwas peinlich berührt.
„Es ist einfach passiert… Ich hoffe… Es ist nicht so schlimm…“, erklärte Vanic und Chyara blinzelte ungläubig.
 „Ja… Ich meine Nein, ich meine… Ich…“, brachte sie hervor und schüttelte den Kopf um ihn wieder klar zu bekommen.
„Ich fand es nicht schlimm… Es hat sich… gut angefühlt…“, gab sie zu und blickte verlegen zur Seite, wobei sie sich fragte, warum sie diese Verlegenheit packte. Vanic lächelte sie an und schaute ihr dabei in die Augen.
„Ich fand es auch schön…“, seufzte er zärtlich und zog sie erneut zu sich. Diesmal war es Chyara, die ihn küsste. Zärtlich glitt seine Hand über ihre Wange und löste ein weiteres wohliges Gefühl in ihr aus. Seine Lippen waren warm und weich, was sie niemals gedacht hätte. Es fühlte sich traumhaft an, während sie tief seinen Geruch einsog, der immer eine leichte Nuance von Zedernholz innehatte. Sie seufzte hingebungsvoll und ließ sich von ihm in seine Arme ziehen. Zärtlich glitt seine Zunge in ihren Mund und flutete diesen mit seinem eigenen berauschenden Geschmack.
Kurz dachte sie darüber nach ihn weg zu stoßen, doch dann ergab sie sich dem Kuss und erwiderte ihn nicht weniger fordernd, als Vanic. Langsam hob sie ihre Arme und legte sie um ihn, während auch seine Hände über ihren Rücken glitten, eher forschend, als alles Andere. Sie seufzte auf, als seine Finger zärtlich über eine nackte Stelle an ihrem Rücken glitt.
Es erfüllte sie zeitgleich mit Furcht und Neugier von Vanic berührt zu werden. Auf der einen Seite wollte sie mehr, doch auf der anderen fürchtete sie sich davor etwas falsch zu machen oder ihn abzuschrecken. Die Tür vor ihnen öffnete sich, der Kuss endete plötzlich und beide blickten Valara ins Gesicht, die beide wissend angrinste.
„Störe ich?“, fragte sie mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. Noch immer verwirrt von dem, was eben geschehen war schüttelte Chyara den Kopf und lief rot an. Hatten Valara und sie nicht erst vor Kurzem über so etwas gesprochen? Peinlich… Einfach peinlich. „Kommt herein. Mein Mann möchte mit euch beiden sprechen.“, lächelte Valara und kurz angebunden betraten beide Iadors Arbeitszimmer. 
„Da hatte es aber jemand eilig.“, flüsterte Valara, als Chyara an ihr vorbei ging, so leise, dass nur sie es hören konnte. Chyara spürte wie ihre Ohren und Wangen heiß wurden. Manchmal hasste sie ihren Körper dafür, dass er so eindeutige Signale gab. Mit ruhigem Lächeln blickte Valara ihr nach. Sofort bezog sie neben Vanic die Stellung, als würden sie zusammen trainieren. Wahrscheinlich eine Art Angewohnheit, aber im Gegensatz zu sonst, spannte sich ihr gesamter Körper an. Es war ein Unterschied, wenn sie sich in der Trainingshalle aufhielten, anstatt in diesem Arbeitszimmer.
„Vanic, Chyara…“, begann Iador und blickte dabei besonders Chyara an.
„Ich habe euch etwas zu sagen. Normalerweise würde ich diese Information nur gegenüber Chyara preisgeben. Doch aufgrund meines zweiten Anliegens hat auch Vanic das Recht dem hier beizuwohnen.“, erklärte Iador und Chyara sog instinktiv die Luft ein. Etwas, was er normalerweise nur mit ihr besprochen hätte? Wollte er sie loswerden?
Kurz bemächtigte sich Angst ihrer, doch sie beruhigte sich sofort wieder. Nein. Er hatte keinen Grund dafür sie loswerden zu wollen.
„Als ich zu einem der Klingenmeister aufstieg, hatte ich eine Menge Feinde. Gerade diejenigen, die im Ausscheideturnier gegen mich kämpften hatten einen guten Grund mich zu hassen. Ein Umstand, der einen Schritt notwendig machte, den ich wahnsinnig bereute… Heute, 15 Jahre später, habe ich meine Stellung als einer der obersten Klingenmeister gefestigt. Dies machte es mir möglich bestimmte Dinge zu erklären…“, sagte Iador und er atmete tief ein, als wolle er genau auskosten, was er nun sagen wollte. „Vor 17 Jahren versuchten viele mir die Aufnahme in die Riegen der Klingenmeister zu verderben. Dazu gehörten auch Drohungen  gegen meine Familie und vor allem gegen meine geliebte Frau, die zu diesem Zeitpunkt schwanger war.“, erklärte er und Chyara warf einen Blick auf Valara. Er räusperte sich und schloss kurz die Augen.
 „Valara bekam das Kind im Geheimen und aus Angst, es könnte ins Fadenkreuz von Machtkämpfen geraten, gaben wir es weg. Valara gab das Kind an eine Dienerin weiter, die zu diesem Zeitpunkt treu ergeben war. Die Dienerin schwor auf das Kind aufzupassen und es zusammen mit ihrem Mann zu behandeln, wie ihr eigenes… Ihr Mann allerdings, ein Spiel- und Machtsüchtiger Mann, sah seine Chance darin, das Kind als Druckmittel gegen mich und meine Frau einzusetzen. In einer Auseinandersetzung tötete ich ihn.  Und die Frau blieb allein, als eine unserer Dienerinnen zurück. Nie wieder hatte sie uns gegenüber etwas gesagt, hatte das Kind erzogen und sich um es gekümmert, wenn es krank war. Sie hat sich um unsere Tochter gekümmert. Sie hat sich um dich gekümmert Chyara.“, erklärte Iador mit ruhiger Stimme und sein Blick wanderte von der Tischplatte hinauf zu Chyara, die ihn mit vor Schock geweiteten Augen anblickte.

 

 

(Greypit, die unterirdische Stadt – Dritter Tag der Himmelswende – Jahr 156 n. W.)

 

 

 

Vyrs Sinne waren bis aufs äußerste geschärft. Seine Augen waren verbunden, seine Ohren nahmen das Schwingen des Pendels wahr, was durch die Luft fegte. Sein Tastsinn spürte, wie sich seine Zehen an die Ränder des schmalen Steinsimses gruben. Die vom schwingenden Pendel zusammen gepresste Luft, schlug ihm entgegen und er sprang.
Er konnte spüren, als das Pendel unter ihm entlang zischte und verlor für keinen Moment das Gleichgewicht, als seine Füße wieder den Steinsims berührten und er ohne zu taumeln darauf stehen blieb. Sein Körper führte Übungen mit dem Schwert aus, drehte sich an dem Steinpendel vorbei und bewegte sich immer schneller. Das Schwert schwang durch die Luft, Seine Griffe um das Heft änderten sich je nach Figur, wobei seine Anima penibel das schwingende Pendel im Auge behielt. Er sprang darüber hinweg, tauchte darunter hindurch, obwohl der Abstand zwischen Steinsims und Pendel unheimlich gering war, er drehte sich am Pendel vorbei, wobei es auf wahnsinniges Geschick ankam. Sein Anima ließ ihn schon lange nicht mehr im Stich. Es war als stellte die unsichtbare Macht eine Verlängerung seiner eigenen Sinne dar.
Wie ein Tänzer bewegte er sich auf dem schmalen Sims, während das Pendel hin und her, auf ihn zu und wieder von ihm weg schwang. Drahtseilartisten hätten beim Anblick dessen, was er tat gestrichen die Hosen voll, so war er sich sicher. Mit einem Rückwärtssalto entging er dem nächsten Pendelschlag und bewegte sich dabei nur Millimeter am Seil, welches das Pendel hielt, vorbei. Auf einem Fuß fing er sich auf dem schmalen Sims ab, ehe er die Bewegungen der Kata, ohne auch nur einen Moment einzuhalten, weiter führte. Kunstvoll wich er weiterhin dem Pendel aus und dachte dabei an nichts anderes, als daran, was seine Anima um ihn herum wahrnahm. Zum Beispiel war ihm völlig bewusst, dass sein Meister aus den Schatten heraus beobachtete und nur darauf wartete, dass er einen Fehler machte.
Doch setzte sich der Schatten seines Meisters nun zum ersten Mal in Bewegung. Ein Übungsschwert schoss mit den Spitze voraus auf Vyr zu. Dieser ließ sich allerdings nicht davon aus der Ruhe bringen. Er wich dem Schwert aus, fing es hinter seinem Kopf mit der linken Hand auf und band es mit in die Kata ein. Er konnte Kages bissiges Grinsen von hier aus sehen. Mit verbundenen Augen. Sein Anima funktionierte so gut wie nie zuvor, dabei musste er dafür nicht einmal mehr eine Gedankenzelle nutzen, selbst wenn man ihn angriff.
 „Vyr.“, hörte er die Stimme seines Meisters, wich dem Pendel mit einer schnellen Körperdrehung aus und vollführte dann eine Rückwärtssalto vom Sims. Die Übungsschwerter klemmte er zwischen Gürtel und Hüfte, dann band er sich die Augenbinde ab. Das trübe Kerzenlicht blendete ihn nicht, dafür war es zu trist. Sofort erkannte er, wie sich Kage im Schatten materialisierte und lächelte dabei.
„Ja Meister?“, fragte er mit ironischem Unterton in der Stimme.
„Ich habe einen Auftrag für dich.“, erklärte sein Meister Beiläufig, doch Vyr war sofort klar, dass diese Worte äußerst wichtig waren. Ein Auftrag bedeutete, dass er das Versteck allein verlassen würde und nicht versagen durfte. Er ließ sich nichts anmerken und nickte ruhig.
 „Du wirst zu einem der Händler im zweiten Ring gehen und Schwarzblüten besorgen.“, erklärte Kage und Vyr notierte jedes Wort in Gedanken. Wenn Kage etwas wollte, stellte er Aufgaben. Er bat niemals um etwas. „Meister. Ein Händler aus dem zweiten Ring wird mir nichts verkaufen.“, erklärte Vyr mit ruhiger Stimme. Kage lächelte.
 „Deshalb wirst du ihm sagen, dass ich dich schicke.“, entgegnete Kage und lächelte dabei breit. Irgendwie bezweifelte Vyr bei diesem Grinsen, dass ihm das wirklich helfen würde.
„Also gut Meister...“, seufzte Vyr und fing den Beutel mit Gold auf, den Kage ihm zuwarf. Er zog beide Übungsschwerter aus dem Gürtel und warf sie seinem Meister zu, der sie ohne Probleme auffing. Er begann sich das schmutzige, verschwitzte Hemd auszuziehen und ging schnellen Schrittes zu seinem Zimmer. Es war ihm klar, dass die Aufgabe seines Meisters lange nicht so einfach war, wie sie klang. Wahrscheinlich würde sich der Händler sofort in einen riesigen Dämon verwandeln und ihn aufessen, sobald er Kages Namen nannte.
 Es wurde Zeit sich seelisch und moralisch auf ein absolutes Debakel vorzubereiten. Am liebsten hätte er Waffen eingepackt, aber diese hätten symbolisiert, dass er sich vor einem einfachen Besuch beim Kräuterhändler fürchtete. Wenn er eines in der langen Zeit in Kages Lehre gelernt hatte, dann, dass Kages Schüler keine Angst davor hat, mit bloßen Händen einem Dämon entgegen zu treten. Möglicherweise würde er etwas zittern und schlottern, ehe er gefressen wurde, aber er würde sich nicht vor der Auseinandersetzung fürchten. Vyr seufzte und wog erneut ab, in wie fern es klug war Kages Schüler zu sein.
Erneut fand er keine vernünftige Antwort in den Sinn. Vernunft war feige, warum vernünftig sein, wenn es so viel interessanter war unvernünftige und unkonventionelle Lösungsansätze zu finden.
 Er verstaute den Sack mit Münzen in seiner Tasche und überlegte. Die letzten Male, als Vyr für seinen Meister Besorgungen machen sollte, hatte dieser ihm einen Taschendieb, einen Auftragsmörder und sogar eine Prostituierte auf den Hals gehetzt um zu testen, wie er in seinen jungen Jahren auf so etwas reagierte. Bisher hatte er bestanden. Den Taschendieb hatte er gefangen, ehe er entkommen konnte, den Auftragsmörder hatte er entwaffnet und davon überzeugt, dass es eine schlechte Idee war, unbewaffnet gegen einen Nekromantenadepten mit einem nagelneuen Schwert zu kämpfen. Die Prostituierte hatte er lediglich verlegen angelächelt und gefragt, wie viel sein Meister ihr zahlte. Sie war daraufhin in Gelächter ausgebrochen, hatte Vyr den Kopf getätschelt und war verschwunden.
 Er begann zu überlegen, was sein Meister wohl diesmal für ihn auf Lager hatte. Eine ganze Bande Taschendiebe oder Auftragsmörder? Vielleicht mehrere Prostituierte oder einfach mehr von allem? Es hätte ihn nicht gewundert, wenn ihn ein rosa leuchtendes Einhorn durch die Straßen von Greypit verfolgen würde und dabei einen geruchsintensiven Regenbogen mit fragwürdiger Herkunft hinter sich her zog. Es brachte nichts darüber nachzudenken.
Vyr  warf sich seinen Mantel über und verließ das Versteck wonach er jedes der fünf Schlösser sorgfältig hinter sich schloss. Kage hatte eine leicht paranoide Art, was man ihm anhand der Gegend, in der das Haus lag, nicht verübeln konnte. Kages Unterschlupf befand sich im zweiten Ring von Greypit, nicht unbedingt das tiefste Glied der Nahrungskette, aber der zweite Ring wurde von Verbrecherbanden bevölkert, die alle ohne mit der Wimper zu zucken ihre eigene Mutter für eine ordentliche Keilerei mit Mord und Totschlag gegeben hätten.
Ob Vyr mittlerweile wohl auch dazu gehörte? Nein, er hatte keine Mutter, die er verkaufen könnte. Er schloss die Augen und sog die kühle Luft ein, die wie gewohnt nach Urin, Fäkalien, Tod und noch mehr Fäkalien roch. Nahezu sofort schärften sich seine Sinne in der trüben, von leuchtenden Pilzsporen leicht erhellten Dunkelheit. Seine Schritte waren langsam und der Geldbeutel in seiner Tasche klimperte nicht. Wenigstens etwas. Er hatte nicht hinein gesehen, aber ging schon fast davon aus, dass der Inhalt aus Eisen und nicht aus Gold bestand. Wahrscheinlich würde er den Händler damit beleidigen, wenn er versuchte ihn auf Eisen herunter zu handeln, obwohl Schwarzblüten einen hohen Wert hatten.
Abgesehen von den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten waren Schwarzblüten noch schwer zu beschaffen. Gerade in einer Stadt wie Greypit. Schwarzblüte benötigte Sonne und kühle Nachtluft um richtig zu wachsen. Wenn sie das nicht bekamen färbten sich die Blüten und faserten aus wie Federn. Die daraus entstehende Pflanze nannte man Federblüte, die man nur noch als sehr starkes Gift nutzen konnte. Allerdings handelte es sich um ein Gift, was schnell wieder aus dem Kreislauf verschwand, man musste es also mehrfach anwenden um jemanden zu töten. Vyr seufzte und blickte trotz allem nicht in den Geldbeutel.
 Es wäre auch ziemlich dumm gewesen in dieser Gegend auf sich aufmerksam zu machen, indem man herum zeigte, dass man einen vollen Geldbeutel besaß. Seit dem letzten Mal, als er das Versteck verließ, hatte sich hier nicht besonders viel geändert. Die Straßen waren noch immer mit glitschigem leuchtendem Schleim bedeckt, es roch noch immer genau so, wie er es gewohnt war. Noch immer wurde aus den Gassen heraus beobachtet.
Der Schleim bestand aus Schlamm und leuchtenden Pilzsporen, die sich darin festsetzten. Würde niemand etwas unternehmen würden aus diesem Schlamm früher oder später neue Pilze sprießen. Das Gefühl beobachtet zu werden maximierte sich allmählich zu einem unangenehmen Pochen. Er besann sich auf sein Anima. Sieben Leute. Drei Große und vier kleine, die wohl Ausschau hielten. Das hatte ihm noch gefehlt.
 „Hey du kleiner Scheißer.“, erklang eine Stimme aus einer der Seitengassen. Hätte sein Anima es ihm nicht verraten hätte er das Anziehen von Steinschleudern gehört. Mit ruhiger Gelassenheit wandte er sich zu der Stimme um, die ihn aus dem Schatten heraus angesprochen hatte. Er hätte diese Stimme unter hunderten erkannt, die Stimme des Jungen, der ihn so lange schikaniert hatte. Jiro. Langsam schälte sich die Gestalt des älteren Jungen aus dem Schatten, der Vyr hämisch angrinste. „Da bist du also, du kleiner Scheißer… Es ist lange her.“, erklärte Jiro und blickte ihn mit vor Hass funkelnden Augen an.
„Sieben Jahre.“, entgegnete Vyr ungerührt und erwiderte Jiros Blick eher mitleidig, als alles andere. „Du erinnerst dich also… Ich hätte gedacht, dass man schon ein ziemlicher Idiot sein muss, um auf die Straße zu gehen, wenn jemand wie ich deinen Tot will.“, stieß Jiro hervor. Er war eben ein Schambolzen und hatte keine Ahnung, dass er es sein sollte, der Angst hatte. „Wer bin ich einem Experten, wie dir zu widersprechen.“, entgegnete Vyr mit ruhiger Stimme und lächelte dabei. „Hä?“, fragte Jiro und blickte ihn Ratlos an. Vyr seufzte und zuckte mit den Schultern, dann ging er ein paar Schritte weiter.
 „Hey! Keinen Schritt weiter, oder ich schlitze dich auf wie einen Fisch!“, spie Jiro aus und Vyr wandte sich mit hoch gezogenen Augenbrauen an Jiro.
„Hast du überhaupt eine Ahnung, wie man einen Fisch aufschlitzt?“, fragte Vyr mit deutlicher Neugier in der Stimme. Einer seiner Gorillas kicherte und handelte sich sofort einen tödlichen Blick von Jiro ein.
„So so… Du bist also ein ganz lustiger was?“, stieß Jiro giftig hervor. „Soweit würde ich nicht gehen, meine gewisse Ausstrahlung wirkt nur gut bei Idioten.“, gab Vyr mit ruhiger Stimme zurück und der andere Gorilla lachte.
„Der war gut Boss…“, erklärte er auf einen giftigen Blick von Jiro hin und dieser schüttelte den Kopf. „Halts Maul Raigan! Ich schwöre dir, ich werde dich umbringen!“, stieß Jiro wütend hervor und Vyr seufzte erneut, er wandte sich um, ging zwei schnelle Schritte auf Jiro zu, stieß ihm den Handballen der linken Hand widerstandslos gegen das Kinn. Jiros Kopf schnappte zurück. In einer einzigen, fließenden Bewegung zog Vyr Jiros Messer aus seinem Gürtel und drückte ihm die Klinge an die Kehle. Sein Blick war kalt wie Eis, während der Jiros Blick eine Mischung aus Angst und Unglaube wiederspiegelte.
„Das nächste Mal, wenn du jemanden umbringen willst, tu es einfach und halte vorher nicht einen ermüdend langen Vortrag darüber.“, sagte Vyr mit eiskalter Stimme, die Jiro ganz offensichtlich einen kalten Schauer über den Rücken jagte, denn er zuckte zusammen.
 „Ich…“, begann Jiro und schielte Krampfhaft zu der Klinge an seiner Kehle hinab, während er ebenso krampfhaft zu schlucken versuchte.
 „Was?“, fragte Vyr mit einer Engelsgeduld. Jiro entgegnete nichts. Vyr nahm das Messer von seiner Kehle und schleuderte es in einen der Pilze, die an den Straßenrändern wuchsen. Auf die Berührung des Messers hin versprühte dieser sofort leuchtende Sporen in alle Richtungen. Etwas was Vyr nicht wirklich interessierte. Er ließ sienen alten Anführer einfach stehen und ging weiter seines Weges. „Wenn du mir folgst, steckt diese Klinge das nächste Mal in deinem Auge, anstatt in einem Pilzkopf. Verstanden?“, fragte Vyr mit ruhiger Stimme, während er weiter geradeaus schritt. Niemand folgte ihm. Das war auch gut so.
 Er hatte schon gar nicht mehr an Jiro gedacht, schon seit mindestens fünf Jahren nicht mehr… Er hatte andere Dinge zu tun. Auch an seine Schwester Lyra hatte er lange nicht mehr gedacht. Ob es ihr gut ging? Wo hatte Kage sie hin gebracht? Lebte sie überhaupt noch? Das waren wohl Fragen, die er Kage später stellen musste.
 Er atmete tief durch und ging weiter. Als er die glitschige Treppe in den dritten Ring erklomm und sich der Geruch von Fäkalien allmählich lichtete, atmete er auf. Er wusste nicht wieso, aber im dritten Ring war der Gestank nicht annähernd so schlimm, wie im Zweiten. Wahrscheinlich lag es daran, dass die Schläger der Schulen alle Bettler und Armen, die sie im dritten Ring zu Gesicht bekamen, wie Dreck behandelten. Es kam nicht selten vor, dass ein Bettler von einer gelangweilten Stadtwache tot geprügelt wurde.
Das Leben war hier kein besonders wertvolles Gut. Er musste Lächeln. Er hatte so viele Bücher gelesen, hatte so viel Wissen über die Welt außerhalb von Greypit in sich angehäuft. Er hatte sogar Gesetzbücher anderer Städte gelesen, in denen ausdrücklich stand, dass Mord nicht geduldet und schwer bestraft wurde. Mit schnellen Schritten ging er weiter, bahnte sich einen Weg durch zahlreiche Gassen zwischen noch zahlreicheren Lagerhäusern. Der dritte Ring wurde von vielen Schulen und Kaufmännern als Lagerbezirk verwendet. Es kam ihm vor, wie gestern, als er sich mit Jiro in den Dachbalken der Lagerhäuser vor Knochendienern versteckt hatte. Der Tag an dem sie erwischt worden waren war ihm ebenso gut im Gedächtnis.
Der Tag, der alles verändert hatte. Er sog tief den Atem ein und versuchte die Erinnerungen an sein altes Leben zu verdrängen. Das war gar nicht so einfach, wie es klang. Er entspannte sich und besann sich auf seine Anima, sein magischer Sinn nahm viele Leute um ihn herum wahr, aber niemanden, der sich schneller näherte oder es darauf anlegte den Abstand zwischen ihnen möglichst gering zu halten. Es kam ihm alles so… normal vor.
 Er setzte alles daran den Lagerbezirk schnellstmöglich hinter sich zu lassen. Irgendwie packte ihn hier ein gewisses Unbehagen. Die Treppe zum vierten Ring war deutlich sauberer als die, die er bereits kannte. Je höher man kam, desto besser war das Leben… Er musste Lächeln. Was für eine Heuchelei. Würden die Wachen ihn überhaupt in den vierten Ring vorlassen? Das blieb abzuwarten. Er zog sich die Kapuze seines Mantels tief ins Gesicht und ging mit unbewegter Miene weiter, sein Gesicht im Schatten Greypits verborgen.
Zwei Männer in schwarzer Rüstung standen am Portal, was in den vierten Ring führte.
„Halt!“, erklärte einer der Wachen mit harter Stimme und zwei Speere versperrten Vyr den Weg. Vyr blieb stehen und blickte die beiden Männer an.
„Wer seid Ihr?“, fragte der Linke, während der andere Vyr musterte.
„Ich bin Nekromantenadept. Mein Meister hat mir aufgetragen die tieferen Ringe der Stadt aufzusuchen. Nun möchte ich zurück.“, erklärte Vyr mit ruhiger, aber snobistisch klingender Stimme. Er nahm an, dass ein Nekromantenadept aus den oberen Ringen so klang. Die beiden Männer musterten ihn noch genauer.
 „Aha… und wie seid Ihr in die unteren Ränge gekommen ohne diesen Posten zu passieren?“, fragte der andere Wächter. Etwas beschämt blickte Vyr zu seinen Füßen.
„Ich habe meinen Meister verärgert, also hat er mich von der Schimmerbrücke in den Abgrund gestoßen.“, erklärte er und ließ seine Stimme dabei so beschämt wie möglich klingen. Eine der Wachen lachte. Im Zentrum des ersten Ringes befand sich ein unterirdischer See, der den Fall bremsen würde. In diesem gab es mehrere kleine Strudel, was bedeutete, dass das Wasser permanent in Bewegung war, sodass keine, oder nur wenig Oberflächenspannung entstehen konnte. „Wer ist Euer Meister, Junge?“, fragte die Wache, die nicht damit beschäftigt war zu lachen.
 „Karan Isorvez.“, brachte Vyr hervor und nannte damit einen  der bekannteren Nekromantenmeister. Die Wache blickte ihn mit hochgezogener Augenbraue an und Vyr blickte ihm direkt in die Augen, in der Hoffnung, dass sein Schwindel so glaubwürdiger wirkte.
„Der alte Karan ist für seine begrenzte Geduld mit Adepten bekannt. Es spricht für Euch, dass Ihr nach seiner offensichtlichen Ablehnung den Mut habt, zurück zu kehren.“, erklärte die Wache und die andere Stadtwache kam allmählich wieder zu sich.
„Ich möchte Nekromant werden und das kann ich nur unter Meister Isorvez Führung, Herr.“, entgegnete Vyr und legte dabei einen echt klingenden Respekt in seine Stimme. Innerlich hoffte er, dass das nicht zu viel des Guten war. „Also gut Junge… Zeigt mir einen Nekromantenzauber, dann könnt Ihr durch.“, gab die Wache zurück und Vyr fluchte innerlich. Isorvez war auf Knochenmagie spezialisiert und das wären seine Schüler sicherlich auch. Vyr verstand sich nur in den absoluten Grundzügen auf diese Art der Magie, allerdings wusste er, dass sie Reagenzien benötigte. Reagenzien, die Vyr nicht hatte.
„Herr… Ich habe in den Strudeln des Sees all meine Ritualknochen verloren… Ich bin fast ertrunken und musste einen Kaufmann, der sich für etwas Besseres hielt, töten, um an diesen Mantel zu kommen…“, stieß er hervor, wobei er vorspielte innerlich vor Wut zu brodeln. Offenbar war seine schauspielerische Leistung nicht schlecht, denn beide Wachen zogen die Augenbrauen graus.
 „Wenn Ihr, wie Ihr sagt eure Ritualknochen am Grund des Sees verloren habt, wie habt Ihr dann einen Kaufmann töten können?“, fragte der linke der beiden Soldaten und Vyr zeigte sich entrüstet. „Natürlich mit meinen Händen. Glaubt Ihr ein Schüler des großen Nekromanten Karan Isorvez benötigt Waffen oder Magie, um kleine Fische zu töten?“, spie er schon fast mehr, als er sprach. Diese Art der entrüsteten Aussprache musste er sich auf jeden Fall merken, denn sie schien Wirkung zu zeigen. Beide Soldaten starrten ihn an und ihre Blicke verrieten, dass sie keine Ahnung hatten, wie sie auf diese Ansage reagieren sollten.
„Ich rate Euch mich durch zu lassen, bevor ich mich entschließe Eure Knochen für meine neuen Ritualknochen zu benutzen.“, brachte er erzürnt hervor und hoffte, dass er damit nicht zu sehr über die Strenge schlug.
„Passt lieber auf, was Ihr sagt, Junge! Drohungen dieser Art kann Eurem Meister große Probleme machen.“, stieß der Soldat hervor, der bisher geschwiegen hatte.
 „Der Arsch hat mich von einer Brücke geworfen. Glaubt Ihr wirklich es interessiert mich, ob er Probleme bekommt, weil ich ein paar nichtsnutzige Wachen bedroht habe?“, brachte Vyr finster hervor. Die linke Wache nickte. Offenbar konnte sie das nötige Verständnis aufbringen. „Beweist mir einfach, dass Ihr ein Nekromantenadept seid, dann könnt Ihr sofort durch.“, erklärte die andere Wache und Vyr seufzte. Er täuschte einen schnellen Hieb gegen seine Brust an, verpasste ihm aber mit dem linken Handballen einen gezielten Schlag gegen die Kehle. Wie er es erwartet hatte, war der Soldat solche Angriffe nicht gewöhnt, denn er beugte sich nach vorne, wie es jeder Idiot in einer Straßenprügelei getan hätte.
Vyr zog ihm mit einem gezielten Tritt das rechte Bein weg, das Gewicht der Rüstung und der Schreck taten ihr übliches. Mit der Anmut eines fallenden Sacks Kartoffeln, landete die Wache scheppernd auf dem Boden. Sein Blick wandte sich der anderen Wache zu.
„Beweis genug? Wenn Ihr möchtet kann ich ihm auch einen Arm abhacken und die darin enthaltenen Knochen zu Magiereagenzien umwandeln. Das dauert allerdings etwas länger.“ Die Wache starrte ihn an, als sei es vollkommen unglaubwürdig, dass ein Junge wie er in Windeseile eine Wache des vierten Ringes zu Boden geschickt und überlistet hatte. Von etwas anderem konnte man hierbei nicht reden, weil es lediglich die schwere Rüstung war, die ihn am Aufstehen hinderte. Die Welt war eben einfach nicht fair.
„Glaubt Ihr wirklich, ich werde Euch nach dieser Vorstellung hier vorbei lassen?“, fragte der Soldat und schien sich seiner Sache deutlich unsicherer zu sein, als noch vor einer Minute.
„So wie ich das sehe habt Ihr keine große Wahl, oder wollt Ihr genauso auf dem Boden landen wie Euer Freund hier?“, fragte Vyr mit beinahe jungenhaftem Lächeln.
„Nun gut Junge, geht durch, aber wenn Euer Meister Euch das nächste Mal von einer Brücke in die unteren Ringe wirft, rechnet nicht mit Verständnis oder Gnade für Eure Situation.“, knurrte der Soldat und Vyr schnaubte.
 „Als könntet Ihr mich aufhalten, wenn ich es darauf anlege.“, brachte er hervor und ging an der Wache vorbei. Ein Grinsen stahl sich auf seine Lippen. Kage hätte ihn für seine Schauspielerische Leistung beglückwünscht. Es war gar nicht so einfach den versnobten Schüler eines großen Nekromanten zu spielen, wenn man sein Leben lang im Dreck gelebt hatte. Er atmete auf. Wenigstens diese Hürde war überwunden. Jetzt musste er nur noch den richtigen Kaufmann finden, der Kage die Schwarzblüten verkaufen wollte und hoffen, dass dieser ihm nicht sofort die Wachen auf den Hals hetzte. Er stieß den Atem aus. Genieß die kleinen Dinge Vyr… Die kleinen Dinge.

 

 

Zoe blickte sich erneut über die Schulter. Diese Stadt war ihr mehr als nur unheimlich. Warum hatte ihre Meisterin sie ausgerechnet hier her geschickt? Es war unnatürlich eine Stadt unter der Erde zu bauen, vor allem unter einer Wüste. Sie hätte niemals erwartet, dass die große Stadt der Nekromanten so groß war.
 Natürlich, ihre Meisterin hatte ziemlich große Worte benutzt, als sie die Stadt beschrieben hatte, aber das hier war einfach unglaubwürdig. Was sollte sie überhaupt hier? Ihre erste Adepten Prüfung konnte sie doch nie und nimmer in so einem Loch absolvieren. Sie hatte ja unbedingt damit angeben müssen, dass sie in ihrer Lehre schon so viel gelernt hatte. Verdammt, als Schülerin einer schwarzen Feuerhexe war sie bisher nicht mal dazu in der Lage gewesen schwarzes Feuer zu beschwören, stattdessen waren ihre Flammen… Rosa…ROSA! Wie peinlich war das denn? Ihre Meisterin hatte sich darüber kaputt gelacht. Dieser alten Schrulle würde sie es zeigen. Sie würde schon sehen, was sie von ihrem Spott hatte.
Zoe sollte drei verschiedene Arten Kräuter von einem der Händler hier stehlen und daraus eine grün schimmernde, schwarze Tinktur brauen. Was sie damit zu tun hatte würde sie selbst herausfinden müssen. Was sollte sie wohl mit einer grünlich schimmernden, schwarzen Tinktur anfangen? Sie war absolut ratlos. Es würde sicherlich einen gewissen Sinn haben, aber welchen? Welches Ziel verfolgte sie damit? Sollte sie die Tinktur trinken? Nein, wahrscheinlich nicht, immerhin würde der Umstand, dass sie grünlich schimmerte keinen Sinn mehr haben, wenn sie die Tinktur einfach trank. Verdammt nochmal, was sollte sie überhaupt hier?
 Ihre Lehrmeisterin hatte ihr sogar noch offenbart, dass sie nie wieder aus dieser Stadt entkommen würde, ehe sie diese Tinktur gebraut hatte. Verdammt nochmal, was sollte das Ganze? Warum zur Hölle hatte sie überhaupt ja gesagt? Sie wusste, dass sie in eine unterirdische Stadt geschleift werden würde, sie wusste, dass Sklaverei in dieser Stadt nichts Besonderes war. Nein verdammt. Sklaverei war sogar an der Tagesordnung. Im Moment mochte ihre Kleidung sie noch vor Übergriffen schützen, aber was war, wenn ihre Kleidung schmutzig wurde und sie keine Chance hatte sie zu waschen? Was war wenn sie riss und sie sie nicht nähen konnte? Wie lange würde man eine schlampig aussehende junge Frau auf den Straßen einer Stadt ignorieren, in der es mehr Kriminalität gab, als irgendwo anders im gesamten Land?
Sie musste diese Tinktur herstellen und zwar schnell. Und um das zu tun benötigte sie die passenden Kräuter. Sie sog tief die Luft ein und blickte sich um, zog die Kapuze tief ins Gesicht im verzweifelten Versuch, ihr Gesicht zu verbergen. Würde all das wirklich etwas bringen? Wahrscheinlich nicht, aber sie musste es wenigstens versuchen. Mit langsamen Schritten öffnete sie die Tür zu einem der Kräuterläden und blickte sich um.
Am Verkaufstresen stand ein hagerer, älter aussender Mann. Ihr Blick wanderte umher. So seltsam es aus klang, aber sie suchte nach einer Insignie oder etwas, was aussagte, zu wem dieser Kräuterladen gehörte. Ihre Meisterin hatte ihr eindringlich empfohlen, Häuser mit einer Spinneninsignie zu meiden. Natürlich galt das umso mehr für Personen, die dieses Symbol trugen. Ein Tipp, den Zoe zu schätzen wusste, auch wenn sie den Hintergrund nicht vollkommen verstand.
 „Was kann ich für die Dame tun?“, fragte der Verkäufer und lächelte sie an, während er sich die Hände rang. Soviel zu ihrer natürlichen Unauffälligkeit…
 „Ich wollte mir die Auslage mit den Kräutern ansehen…“, begann sie und lächelte schüchtern, während sie näher an den Verkaufstresen heran trat.
„Aber natürlich. Wir haben alles, was das Herz begehrt, Kräuter für Rituale, Tränke, Arzneien, magischer und nicht magischer Natur.“, erklärte der Händler und ihr entging nicht, wie er sie ansah. Sie war sich vollkommen bewusst, dass ihre Robe sehr eng anlag und ihre Rundungen keinesfalls verleugnete. Sie wusste, dass ihre Proportionen keinen männlichen Wunsch offen ließ und war in der hauptsächlichen Gesellschaft von Frauen tatsächlich stolz darauf gewesen, doch nun, wo sie die Blicke der Männer sah und die Absicht dahinter erkennen konnte, schien dieser Segen sich allmählich in einen Fluch zu verwandeln. Verdammt nochmal.
„Da bin ich mir sicher…“, lächelte sie zurück und ihre Wachsamkeit stieg, als sich die Tür hinter ihr öffnete. Ein Junge trat hinter ihr in den Laden. Er schlug sich die Kapuze zurück und sah sich misstrauisch um. Hatte sie vor ein paar Sekunden ähnlich ausgesehen? Immerhin blickte auch er sich zu allen Seiten um, ehe er kurz sie und dann den Mann hinter dem Tresen musterte. Ihre Musterung hatte nicht so lange angehalten, wie sie es sich gewünscht hätte, denn egal wie ungern sie es zugab. Der Junge war süß und sie mochte es, wenn gutaussehende Jungs sie anblickten. Er war ungefähr in ihrem Alter, doch aus irgendeinem Grund wirkte er älter. Der Junge trat an den Tresen heran und blickte den Kaufmann direkt an.
 „Ich brauche Schwarzblüten.“, sagte der Junge und der Mann hinter dem Tresen musterte ihn. Seine Kleidung wirkte etwas abgerissen und sein Haar war verwuschelt und lag lieblos auf seinem Kopf. Er würde wahrscheinlich noch besser aussehen, würde er sich etwas mehr um seine Frisur sorgen…  Worüber dachte sie da nach? Sie unterdrückte ein Kopfschütteln und wandte ihren Blick wieder auf die einzelnen Kästchen mit Kräutern, die offen in der Auslage lagen.
„Junge… Wieso sollte ich dir etwas verkaufen?“, fragte der Kaufmann und der Junge sog tief die Luft ein.
„Kage schickt mich.“, erklärte er und die Augen des Händlers weiteten sich. Eine Tür im Hintergrund wurde unsanft aufgestoßen. Als Zoe sich umblickte sah sie sich der personifizierten Form aller Warnungen gegenüber, die sie für diese Stadt erhalten hatte. Drei bullige, breitschultrige Männer in schwarzen Lederpanzern, die mit einem roten Spinnenemblem verziert waren. Der Junge drehte sich um und sah den drei bulligen Typen eher genervt entgegen, als gefürchtet.
„Oh seht nur… die Musikanten sind da.“, seufzte er und schüttelte den Kopf, als war ihm von Anfang an klar gewesen, dass es so ausgehen würde. Langsam tat Zoe einen Schritt nach dem anderen zurück, bis sie mit dem Rücken gegen eine Wand stieß.
„Seht ihr? Ich hab euch gesagt, dass Kage wieder hier auftauchen wird!“, brüllte der Kaufmann für ihren Geschmack etwas zu hysterisch, die Spinnengorillas nickten nur zustimmend. Synchron. Selbst ihre Fresse war gleich… Hatten die das einstudiert?
„Hört mal Leute… ich bin hier um ein paar kräuter zu kaufen, nicht um eure Tempel nieder zu brennen,  also könntet ihr einfach so tun, als hättet ihr mich nicht gesehen?“, fragte der Junge und klang dabei nicht besonders Hoffnungsvoll.
 „Wie kannst du es wagen einen unserer Getreuen zu belästigen?“, fragte einer der Gorillas knurrend.
 „Offenbar stelle ich mich an den Tresen und frage nach Schwarzkräutern.“, entgegnete der Junge und Zoe konnte nicht so ganz glauben was er da tat. War er blöd? Zurückgeblieben? Beides? Die waren zu dritt und er allein, mal ganz davon abgesehen, dass sie jedem ihrer geschwollenen Muskeln ein eigenes Stück Land zuordnen konnten und er… eben nicht. Was stimmte mit diesem Typen nicht? Einer der Gorillas zog ein Schwert… Noch ein Stück Land. Ob sie sich wohl nebenbei aus dem Staub machen konnte? Wahrscheinlich nicht, bevor es Probleme gab.

 

 

Vyr blickte den Männern entgegen und lächelte dabei. Es musste ja so kommen.  Er sollte niemals seinem Meister vertrauen, denn sonst geschah es, dass er von breitschultrigen Vollidioten konfrontiert wurde, die ihn in den nächsten religiösen Himmel prügeln wollten.
 „Beruhigt euch Leute… Ich kaufe meine Kräuter und schon bin ich wieder weg.“, erklärte er um den unvermeidlichen Streit noch einmal zu schlichten, aber er bezweifelte stark, dass es auf irgendeine Art und Weise funktionieren würde.
 „Dein Meister hat ein paar unserer Leute getötet… und jetzt werden wir eben dich töten.“, brachte einer der Soldaten hervor und Vyr seufzte. Warum konnte sein Meister es ihm nicht einmal einfach machen. „Ja, okay… Aber mein Meister wäre nicht traurig, würde ich sterben. Immerhin hat er mich her geschickt.“, gab Vyr zurück und schüttelte den Kopf.
„Hä?“, fragte eine der Wachen. Wie Vyr es hasste, wenn irgendjemand sowas wie „Hä“ sagte. Es gab in der Sprache so viele Möglichkeiten  auszudrücken, dass man etwas nicht verstand, aber ein einfaches und kurzes Hä brachte ihn einfach nur auf die Palme.
„Mein Meister hat mich hier her geschickt und war sich vollkommen darüber bewusst, dass ihr Idioten hier seid. Das ist ein Test für mich… Ihr seid Übungsmasse.“, entgegnete Vyr und überlegte kurz danach ob es nicht vielleicht diplomatischer gewesen wäre einfach so was zu sagen wie: ‚Ach schon gut.‘. Unfassbar. Er musste dringend an seiner Selbstbeherrschung arbeiten.
„Wir sind was?“, fragte einer der Idioten noch einmal nach, als hätte er nicht verstanden, was Vyr grade gesagt hatte. Warum taten Idioten sowas immer wieder? „Ach vergesst es einfach, kommt her uns lasst uns herausfinden, wer hier stirbt. Ich tue mir euren Scheiß nicht mehr an.“, entgegnete Vyr und offenbar musste er das nicht zweimal sagen, denn eine der Wachen zog ein Schwert, während die anderen beide Handäxte aus ihren Gürteln zogen. Die Schwertklinge raste auf ihn zu und Vyr wich zur Seite aus, sodass die Schwertklinge im harten Holztresen stecken blieb. Allein das war ein Hinweis darauf, dass seine Waffe verdammt scharf war.
 Vyr nutzte den kurzen Moment der Verwirrung, den die Tatsache, dass sein Schwert auf mehr Wiederstand gestoßen war, als erwartet, verursachte und schlug mit dem Handballen direkt nach dem Kehlkopf seines Gegners. Er spürte, wie er den Kehlkopf knapp verfehlte, dennoch verfehlte der Schlag seine Wirkung nicht. Sein Gegner schnappte nach Luft. Vyr packte seinen Hinterkopf und Gesicht und Tresen machten eine nähere und innige Bekanntschaft, als Vyr den Kopf seines Gegners unsanft darauf schmetterte.
 Sein Gegner sackte zusammen. Offenbar waren einfache Spinnensoldaten keine so harten Nüsse, wie er es immer geglaubt hatte. Der Körper seines ersten Gegners erschlaffte und Vyr lächelte den beiden anderen entgegen, die bereits mit ihren Äxten ausholten. Vyr sammelte in einem Moment so viel Schatten wie möglich und verfestigte ihn an seinem Unterarm, dann wehrte er den ersten Axthieb damit ab.
Schatten legten sich ohne, dass er großartig nachdenken musste über seinen Arm, schmiegten sich um seine Fingerspitzen und hinterließen scharfe Klauen. Vyr packte die Axt an der Klinge zog den Gegner zu sich heran und verpasste ihm einen harten Ellbogenstoß gegen die Nase. Es krachte und Blut spritzte aus den Nasenlöchern des Gegners. Geistesgegenwärtig zog er den Kopf ein, womit er der Axt des anderen Gegners entging und ging unvermittelt zu Gegenangriff über. Er ballte die, mit Schatten bedeckte Hand zur Faust und schlug zu. Seine Faust traf seinen Gegner an der Brustplatte, die sich unerwartet stark nach innen bog.
Offenbar hatte sein Gegner den Schlag durch die Rüstung hindurch gespürt, denn er hatte die Augen aufgerissen und keuchte überrascht und schmerzerfüllt. Er nutzte die Gelegenheit, packte seinen Gegner mit der von Schatten umspielten Hand am Hals und drosch mit der anderen mehrfach gegen seine Schläfe.
Sein Gegner verdrehte die Augen und sank kraftlos in sich zusammen. „Pass auf!“, hörte er eine Stimme von links, beachtete sie aber nur für einen Sekundenbruchteil, denn seine Anima warnte ihn vor dem nächsten Angriff.
Er sprang einen Schritt nach vorn und spürte den Luftstoß, den eine, an ihm vorbei zischende Axt bildete, kalt im Nacken. Er wandte sich um, duckte sich unter dem nächsten Angriff hindurch, dann schlug er mit der, von Schatten verstärkte Hand zu. Die Faust traf das Gesicht des Mannes und das Ergebnis war verheerend. Eine Faust, die eine Rüstung verbiegen konnte, zerschmetterte mit einem Hieb Jochbein und Kiefer seines Gegners und schleuderte ihn gegen den großen, dunklen Holztresen. Ein krachendes Geräusch war wohl das letzte, was sein Gegner hörte, ehe er ins Reich der Träume versank. Die Schatten um seinen Arm kräuselten sich und lösten sich in schwarzen Rauch auf, während er sich wieder dem Kräuterhändler zuwandte.
„Also…“, begann er etwas außer Atem und blickte den Mann hinter dem Tresen an, der ihn seinerseits fassungslos anblickte.
„Schwarzblüten?“, fragte er und lächelte dabei leicht um dem verängstigten Kräuterhändler nicht noch mehr Angst zu machen. Ohne etwas zu sagen und mit hastigen Bewegungen fuhrwerkte der Mann unter dem Tresen herum.
 Glasfläschchen klirrten aneinander, als er einen Sack auf den Tresen legte. Aus den Augenwinkeln erkannte Vyr, wie sich etwas schnell bewegte und zwar an ihm vorbei, aus der Tür hinaus.
 „Nicht zu fassen! Haltet die Diebin!“, brüllte der Ladenbesitzer und blickte Vyr flehend an. Das konnte doch unmöglich sein Ernst sein. Verdammt nochmal. Er verfluchte sich selbst dafür, doch er setzte der schnellen Diebin nach, aus der Tür hinaus in das triste Zwielicht der Straßen von Greypit.

 

 

 

Kapitel 7

 

Chyara blickte Iador an. Ihr Vater? Sie konnte es nicht fassen, das bedeutete, dass Valara tatsächlich ihre Mutter war. Nicht nur im übertragenen Sinne, sondern tatsächlich. Die einzige Frau, die sie tatsächlich wie einen vollwertigen Menschen behandelte. Sie schluckte, wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Das war einfach zu viel auf einen Schlag. Sie sog tief den Atem ein und blickte die beiden Menschen an, die ihr auf der Welt am nächsten sein sollten und doch so wirkten als seien sie Welten von ihr entfernt. Ihr Leben lang hatte sie sich gewünscht, dass Iador sie beachtete und nun war sie nicht nur seine Schülerin, sondern auch seine Tochter? Sie wusste wirklich nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Tränen rannen ihre Wangen hinab, sie konnte nicht einmal sagen warum, aber sie spürte den leichten Druck von Vanics Hand auf ihrer Schulter.
„Hey… Es ist alles in Ordnung… Du musst dich nicht verstecken… Nie wieder.”, erklärte Vanics Stimme und Chyara begann zu schluchzen. Ihr Körper bebte und sie weinte. Vanic schlang die Arme um sie und machte beruhigende Geräusche. Dieser Liebenswerte Trottel. Zärtlich küsste er ihre Stirn und es fühlte sich an, als würde die Sonne auf ihr Gesicht scheinen.
Ihre Arme umfassten ihn und drückten ihn fest an sich. Seine Hand streichelte zärtlich über ihr Haar und es fühlte sich einfach schön an. Sie wusste nicht, warum sie es nicht schaffte sich zusammen zu reißen, doch irgendwie war es genauso unmöglich sich zusammen zu reißen, wie es falsch gewesen wäre. Sie war so verwirrt.
So glücklich, so nervös. Es fühlte sich gut an, weinen zu dürfen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich nach etwas Wärme und Zuneigung gesehnt und jetzt lag sie in den Armen eines jungen Adligen, der sie streichelte und ihr zärtlich ins Ohr flüsterte, dass es in Ordnung war zu weinen. Viel zu lange hatte sie das alles in sich eingeschlossen, hatte gehofft, dass es niemals an die Oberfläche gelangen würde. In dieser Hoffnung hatte sie täglich eine Schaufel Erde nach der anderen auf den Sarkophag ihrer Gefühle geworfen. Sie weinte bitterlich und spürte nun auch, wie sich ein weiteres Paar Arme um sie legten. Valaras Geruch erfüllte ihre Nase und sie schluchzte noch mehr. Wie konnte es sein, dass sich ihr Leben so drastisch änderte? Geschah das alles wirklich? Oder war sie beim Putzen einmal zu oft hingefallen, hatte sich dabei den Kopf angeschlagen und träumte das einfach nur? Niemals hätte sie gedacht, dass ihr Leben auf einen Schlag so positiv werden würde. Sie holte tief Luft und versuchte sich auf Vanic zu konzentrieren, der sie im Arm hielt und zärtlich an sich drückte. Zärtlich glitt seine Hand über ihr Haar und sie beruhigte sich allmählich. Erneut sog sie tief die Luft ein und straffte dann ihre Schultern.
„Es tut mir so leid Chyara…“, seufzte Valara und Chyara löste sich aus Vanics Armen um sich ihrer Mutter zu zuwenden.
„Mutter… Ihr müsst nicht.“, begann Chyara und überlegte. Sollte sie ihre Mutter wirklich so höflich ansprechen? Die junge Frau zog sie fester in ihre Arme und küsste ihre Stirn.
„Chyara… Ich wollte dich niemals weg geben…“, weinte nun Valara und allmählich kam sie sich schlecht vor. Sie hatte ihre Mutter zum Weinen gebracht. Sie sah über ihre Schulter hinweg und betrachtete, wie Iador aufstand und langsam auf Mutter und Tochter zuging.
„Ich wollte nicht… Bitte verzeih mir…“; weinte Valara und Chyara riss sich zusammen um ihrerseits nicht erneut los zu weinen. Diesmal war sie es, die ihre Mutter in ihre Arme zog und zärtlich über ihr Haar streichelte.
„Du musst dir keine Vorwürfe machen… Ich verzeihe dir… Mama…“, brachte Chyara hervor, wobei sie ebenfalls schluchzte. Valaras Griff festigte sich und sie weinte noch bitterer.
„Du nimmst es uns also nicht übel, auch wenn du in einer fremden Familie aufwachsen musstest und man dir verwehrte, was dir eigentlich zugestanden hätte?“, fragte Iadors Stimme, der offenbar eine andere Reaktion erwartet hatte.
„Nein… Ich…. Es fühlt sich an wie ein Traum…“, entgegnete sie und sagte bewusst nicht, dass es sich für sie einfach unwirklich anfühlte. Noch eine Weile blieben sie so stehen, in fester Umarmung, genossen ihr erstes aufeinandertreffen als Mutter und Tochter. Niemand störte diesen Moment, auch nicht Iador, der seine Arme um sie beide legte und das Bild der endlich vereinten Familie komplett machte.

 

 

Vyr rannte durch die Stadt, folgte der Wahrnehmung seiner Anima. Er hatte die Aura des Mädchens bedauerlicherweise nur sehr flüchtig inspizieren können, was ein Jammer war. Denn nun bewegte sie sich mit unheimlicher Geschwindigkeit von ihm weg, was es ihm noch schwerer machte ein klares Bild von ihr zu erhaschen. Es war gut, dass er seine Kondition so stark geschult hatte, denn das Mädchen setzte ein ganz schönes Tempo voraus.
 Ein weiteres Problem hier war seine mangelnde Ortskenntnis. Im zweiten und dritten Ring hätte er sie innerhalb von wenigen Minuten eingeholt, ohne dabei wirkliche Probleme zu haben. Doch hier, im vierten Ring, war er zum ersten Mal und er bemerkte es immer wieder, als er kurz davor war eine Stadtwache oder einen geschmückten Edelmann umzurennen. Er fluchte innerlich, wich Hindernis um Hindernis aus und verfolgte, auf seine Anima bedacht, dass das Mädchen in eines der wenigen Lagerhäuser rannte. Kurz spielte er mit dem Gedanken so einen melodramatischen Schwachsinn wie: Haltet die Diebin zu brüllen, aber das war keine gute Idee. Selbst in den unteren Ringen wurden Diebe hart bestraft. Wie es hier in einem der Adelsteile der Stadt war wollte er gar nicht wissen. Wahrscheinlich würden die Stadtwachen mit äußerster Brutalität gegen einen möglichen Dieb vorgehen.
Noch mehr Brutalität würden sie wahrscheinlich gegenüber eines bestätigten Diebes zeigen, aber Vyr zweifelte nicht daran, dass allein die Mutmaßung eines Diebstahls schon das Brechen von Beinen rechtfertigte. Er hasste diese verdammte Stadt.
Ohne darüber nachzudenken rannte er ihr in das Lagerhaus nach und tauchte damit in die Dunkelheit ein. Hier konnte er absolut nichts sehen. Vorsorglich sammelte er Schatten und verknüpfte diesen auf seinem Arm. Dann besann er sich noch stärker auf die ausgedehnten Sinne seiner Anima und suchte erneut nach der Aura, die sich schnell von ihm entfernte. Er rannte weiter, das Training der letzten Jahre kam ihm zugute und er musste unwillkürlich Lächeln, als er daran zurück dachte, wie oft Kage ihn hatte seine Ausdauer stählen lassen. Schritte waren von rechts hörbar, doch sein magischer Sinn konnte dort lediglich einen Nachhall von Magie ausmachen. Kages Worte schossen ihm durch den Kopf:
 Deine Augen, deine Ohren, deine Nase und auch dein Tastsinn können dich in einer gravierenden Situation täuschen, aber deine Anima wird dich so gut wie nie täuschen. Vyr fluchte, als er dem Signal seiner Anima vertraute und seinem magischen Gespür folgte. Das Knurren von Hunden, die dem Klang nach drei Stockwerke maßen, hallte durch die Dunkelheit und Vyr fluchte erneut, als Schatten beide Arme einhüllten und sich an den Fingerspitzen zu harten, scharfen Klauen verdichteten.
Das grollen wurde lauter und er erblickte riesige schwarze Flecken, die durch die Dunkelheit auf ihn zu jagten. Seine Anima jedoch registrierte aus dieser Richtung nichts. Er stieß einen Schrei aus, rannte auf beide Flecken zu und zog die Klauenbewährten Finger über ihre Flanken, während er zwischen ihnen hindurch rannte. Kein heißes Blut, was über seine Arme oder seinen Oberkörper sprudelte. Kein Schmerzerfülltes aufjaulen oder aggressives Knurren.
 Nur Stille.
Er beschloss es vorerst zu ignorieren und jagte dem Ziel auf seinem magischen Gespür nach. Erneut Schritte hinter ihm, doch er ignorierte sie und rannte weiter. Laute Schritte vor ihm, zusammen mit einem lauten Ausruf:
„Oh Scheiße!“, dann das Geräusch, was Kisten bei der Kollision mit einem menschlichen Körper machten. Offenbar war er richtig. In der Dunkelheit  konnte er schemenhaft erkennen, wie eine Person aufstand. Vyr zog seine magische Wahrnehmung zusammen und schloss die Augen. Die magische Sicht um ihn herum schärfte sich nachdrücklich und Vyr entging dem von vorne geführten Angriff mit Bravur. Er packte den Arm des Angreifers und drehte ihn auf seinen Rücken. Das wütende Schnauben einer weiblichen Stimme erklang. Dazu war der Arm den er gepackt hielt zu dünn für einen normal gebauten Mann. Als er den Arm, den er nicht zum Festhalten nutzte um seinen Gegner schlang drückte sein Arm gegen etwas weiches. Er errötete. Eine Frau. Ganz sicher eine Frau. Und das erste Mal, dass er Brüsten so nah kam.
„Lass mich los du verdammter…“, stieß sie hervor und trat nach seinen Füßen.
„Bleib ruhig.“, stieß er so gelassen hervor, wie er es unter gegebenen Umständen vermochte.
„Damit du mich still und leise vergewaltigen kannst?!“, fauchte sie und Vyr stieß einen Seufzer aus. „Ich habe nicht vor dich zu vergewaltigen, bleib ruhig. Ich will nur die Kräuter zurück haben und ansonsten will ich nichts von dir. Also… Ich werde dich jetzt los lassen und es wäre schön, wenn wir miteinander reden könnten, anstatt hier alles in Schutt und Asche zu legen.“, erklärte Vyr mit einem leichten Seufzen. Das Mädchen nickte still und heimlich und Vyr ließ sie los.
Sofort schwappte ihm ein Schwall schattenhafter Schwärze ins Gesicht, die ihm die Sicht nahm, er konnte hören, wie sie sich umdrehte doch Vyr war schneller. Er griff nach ihrer Hand und packte fester zu, als er beabsichtigt hatte.
„Aua, du Tölpel… das tut weh, Arschloch! Lass mich los.“, brüllte sie und Vyr sprach noch immer mit ruhiger Gelassenheit:
„Hör zu Mädchen… ich will dir nicht weh tun, aber du lässt mir keine Wahl. Bleib ruhig und lass uns reden. Ich werde dir nicht weh tun, wenn ich es vermeiden kann. Bitte mach keinen Unsinn.“, erklärte er und Das Mädchen blickte ihn durch die sich allmählich vor seinen Augen lichtende Dunkelheit grimmig an.
 „Ich brauche diese Kräuter!“, protestierte sie und Vyr blickte sie ungerührt an. „Und ich brauche ein ruhigeres Leben. Scheint als würden wir beide nicht bekommen, was wir wollen.“, entgegnete Vyr still und der Blick des Mädchens wurde noch giftiger.
„Mein Name ist Vyr… Wer bist du?“, fragte er und das Mädchen verengte die Augen zu schlitzen. „Wieso sollte ich dir das sagen, du Wahnsinniger. Ich habe genau gesehen, was du da drinnen mit den Wachen gemacht hast! Was gibt mir die Sicherheit, dass du mich nicht auch umbringst?“, stieß sie wütend hervor und versuchte abermals sich von ihm los zu reißen,

„Ich habe niemanden getötet und ich habe es auch nicht vor. Die Wachen haben mich grundlos angegriffen, also hab ich mich gewehrt. Ich habe nicht vor dir Weh zu tun. Aber bitte gib mir die Kräuter, damit ich sie dem Händler wieder bringen kann… Ohne sie wird er mir nicht geben, was ich benötige und wenn ich das nicht habe, kann ich meine Aufgabe nicht erfüllen.“, erklärte der junge Mann namens Vyr und Zoe schnaubte genervt.
„Was interessiert mich was du tun kannst und was nicht?“, fragte sie verbittert.  Aber gut, dann eben auf diese Tour.
„Ich will auch nur meine Prüfung abschließen und dafür brauche ich die Kräuter, weil ich kein Geld habe, muss ich sie eben stehlen.“, erweiterte sie ihre Aussage und Vyr schüttelte den Kopf. „Ich will einfach nur ein Einhorn, was im Dunkeln leuchtet, aber das ist mir auch nicht vergönnt. Also gib mir die Kräuter wieder, du kannst an deiner Prüfung arbeiten und ich arbeite daran mir ein Einhorn aus den Pilzen wachsen zu lassen.“, gab er zurück und seine Miene blieb dabei ernst. Sie musste sich zusammen nehmen um nicht zu lachen. Was redete dieser Typ für einen Müll?
„Es gibt keine Einhörner.“, schnaubte sie und konnte nicht fassen, dass sie darauf einging. „Mit genügend Pilzen gibt es alles.“, gab er zurück und blickte ihr ernst in die Augen. Sie kicherte. Warum zur Hölle kicherte sie?
„Lass uns reden. Ich werde dir nichts tun.“, entgegnete er schenkte ihr ein seltenes Lächeln. Jedenfalls wirkte das Lächeln etwas unbeholfen und ungeübt. Sie seufzte und ließ die Hände sinken. „Also gut… Aber sobald du eine falsche Bewegung machst, werde ich dich bei lebendigem Leibe grillen. Kapiert?“; entgegnete sie und zog Magie in sich hinein. Sie erschuf keine Flamme, da sie wusste, dass rosa Flammen nicht unbedingt einschüchternd wirkten.
„Und noch etwas…“, begann sie und er zuckte in der Dunkelheit mit den Schultern.
„Ja?“, fragte er und sie musste sich zusammen nehmen um nicht vor Frustration aufzuheulen. Warum hatte niemand, einmal von ihr selbst abgesehen Probleme mit der Dunkelheit?
„Lass uns aus der Dunkelheit verschwinden, es reicht mir schon zu wissen, dass ich mich Stockwerke unter der Erde befinde… Die Abwesenheit von Licht macht das nicht unbedingt besser.“, erklärte sie uns biss dabei die Zähne zusammen. Der Schemen vor ihr nickte zustimmend.
„Entschuldige. Es ist lange her, dass ich daran gedacht habe, dass es über uns noch eine Welt gibt.“, gab der Junge zurück und für einen Moment hatte sie Mitleid mit ihm. Ob er wohl schon lange hier war? Hatte er das Licht des Tages jemals gesehen? Und wenn ja… konnte er sich daran erinnern? Kurz fühlte sie sich schlecht wegen dieser Gedanken, doch sie ließ sich nicht verunsichern. Sie wusste, dass dieser Mann unheimlich gefährlich war, auch wenn er noch so jung war. Sie hatte gesehen wozu er fähig war. Er hatte drei Leute, die deutlich größer waren als er einfach so verprügelt, im Angesicht dessen war es schwierig zu glauben, dass er nicht das gleiche mit ihr tun würde. Rückwärts rückte sie von ihm ab, dem Ausgang entgegen, inständig hoffend, dass sie nicht über eine Kiste stolpern würde.
„Vorsicht, hinter dir ist ein Stolperdraht.“, sagte der Junge und sie blieb wie angewurzelt stehen. Dieser Junge wollte ihr aber nicht wirklich verklickern, dass er in dieser Dunkelheit einen Stolperdraht sehen konnte, oder?
„Ein Stolperdraht… Na klar.“, stieß sie ungläubig hervor und hoffte, dass er ihr die Nervosität nicht anhören würde.
„Ja. Ungefähr einen halben Meter hinter dir, in Höhe deines Knöchels. Spinnenküsser nutzen sie um ihre Waren mit einem Alarmsystem zu sichern.“, erklärte der Junge und Zoe hob eine Augenbraue. Was hätte er davon sie anzulügen? Langsam ging sie zurück und bewegte ihren Fuß etwas nach hinten. Sie stockte. Da war tatsächlich ein Draht gespannt. Verdammt nochmal, wer war dieser Junge? Sie hob den Fuß, setzte ihn hinter dem Draht ab und hob nun den zweiten ebenfalls. „Danke…“, grummelte sie und ein amüsiertes: „Gern geschehen.“ aus seiner Richtung folgte.
Dieser Junge hatte vor ihren Augen drei Männer mit Spinneninsignien umgehauen, doch er schien in Ordnung zu sein, jedenfalls soweit sie das beurteilen konnte. Sie sog tief den Atem ein.
Ob sie ihm vertrauen konnte? Wahrscheinlich nicht, aber wäre es schlecht ihn zu benutzen, solange sie in dieser Stadt fest saß? Er schien über Fähigkeiten zu verfügen, die hier unten ziemlich nützlich waren. Wahrscheinlich konnte sie das Risiko eingehen ihm wenigstens so nah zu kommen, dass er ihr helfen konnte. Was würde ihre Lehrmeisterin jetzt wohl sagen? Zweifelsohne würde die alte Vettel ihr raten nichts anbrennen zu lassen und diesen jungen Mann in ihren Bann zu schlagen. Beinahe zeitgleich kam ihr eine passende Lektion ihrer Lehrmeisterin in den Sinn und die Stimme der Frau schoss ihr zusammen mit ihren Worten durch den Kopf:
 ‚Du bist jung und du bist hübsch, deine Magie mag ein in der Scheide steckendes Schwert zu sein, doch deine weiblichen Reize sind eine geschärfte Klinge die jederzeit dazu bereit ist genutzt zu werden. Unterschätze niemals die Wirkung deines Körpers auf das männliche Geschlecht. Die meisten Männer sind Sklaven ihrer Begierde und einer intelligenten Frau vollkommen ausgeliefert.‘. Sie schüttelte den Kopf.
Sollte sie diesen Jungen verführen um sich Sicherheit zu erkaufen? Sie war doch noch viel zu jung für sowas. Sie war erst 16 und damit in einem guten Dutzend Staaten und Städten bereits seit drei Jahren im Heiratsfähigen Alter. Verdammt nochmal.
„Worüber zermarterst du dir so den Kopf? Hinter dir sind keine weiteren Stolperfallen… Naja, mal abgesehen von dem kleinen Kistenstapel hinter dir.“, sagte die Stimme des jungen Mannes und klang dabei ziemlich gelangweilt. Sie tat drei Schritte nach links. Die Schritte des Jungen machten sie nervös, genau wie die allmählich deutlicher werdenden Konturen in der Dunkelheit.
„Ich werde dir nichts tun. Du musst die keine Sorgen machen.“, beteuerte der Junge erneut und sagte damit wahrscheinlich genau das, was jeder gewalttätige Vergewaltiger jederzeit ebenso gesagt hätte.
 „Bleib bitte da stehen.“, bat sie und hasste sich für das leichte Wimmern, was in ihrer Stimme mitschwang. Diese ganze Situation machte ihr eine Heidenangst. Der Junge blieb stehen.
 „Wer bist du?“, fragte sie, obwohl sie wusste, dass es irrelevant war. Er würde ihr trotzdem Angst machen.
 „Mein Name ist Vyr. Ich bin ein Nekromantenadept und nicht daran interessiert aus deinen Knochen Brot zu backen oder sowas.“, sagte er und sie starrte ihn aus großen Augen an. Dieser Junge musste total verrückt sein. Wie konnte er erwarten, dass sie der zweite Halbsatz beruhigen würde? Andererseits… Wenn er ihr etwas tun wollte, hätte er bereits öfter als nur einmal die Gelegenheit dazu gehabt.
„Warum haben die Typen im Kräuterladen dich angegriffen?“, fragte sie mit einem Mal und unterstützte die eher zufällig heraus gerutschte Frage mit einem grimmigen Blick.
„Ich bin zwar Nekromantenadept, aber ich gehöre keiner der sieben Schulen an. Mein Meister und die Spinnenküsser sind nicht unbedingt das, was man Freunde nennen kann. Mein Meister hat mich wahrscheinlich dorthin geschickt um meine Fähigkeiten zu testen, er weiß normalerweise Bescheid, welche Orte in der Stadt von der Spinne überwacht werden.“, gab Vyr mit weiterhin beruhigend klingender Stimme zurück.
„Wieso sollte ich dir vertrauen?“, fragte sie und Vyr gluckste. „Solltest du nicht. Du solltest hier Niemanden vertrauen. Es gibt in der ganzen Stadt wahrscheinlich niemanden, der keine Hintergedanken hat.“, gab er ungerührt zurück und Zoe seufzte. Keine Fortschritte, stattdessen verwirrte dieser Junge sie noch mehr.
 „Und was sind deine Hintergedanken?“, fragte sie irritiert.
 „Das ist recht einfach zu beantworten. Meine Hintergedanken sind dir diese Kräuter abzunehmen, sie zurück zu bringen, die benötigten Kräuter vom Händler zu holen und mit ihnen zu meinem Meister zurück zu kehren. Recht überschaubar… denke ich.“, erklärte er und sie konnte kein Zucken seines Körpers oder ein Zittern in seiner Stimme wahrnehmen. War er wirklich ehrlich? Sie atmete tief durch und blickte zu dem Schemen auf.
„Zitterkraut, Regenwurzel, Schattenamphis, Himmelsschlaf, Feuerwurz.“, gab sie zurück und testete ihn, beziehungsweise sein Wissen über Kräuter. Er schwieg kurz, dann jedoch seufzte er. „Und dafür schickt mich dieser Händler hinter dir her? Eine Schande…“, entgegnete und schüttelte dann den Kopf.
„Was soll das jetzt heißen?“, fragte sie und trat mit einem Fuß nach draußen, wobei der zarte Lichtschein einiger Kristalle dafür sorgte, dass sie wieder etwas sah.
„Mein Meister hat einen riesigen Vorrat dieser Kräuter im Versteck… Allerdings habe ich keine Ahnung, was er damit macht.“, entgegnete er und lächelte dabei etwas irritiert. Sein Gesicht, wie auch der Rest seines Körpers waren aus der Dunkelheit aufgetaucht. Seltsamerweise sonderte sein rechter Arm einen seltsamen schwarzen Nebel ab, der aber sofort verschwand. Hatte sie sich getäuscht? Schade, dass er nicht wusste, was sein Meister damit tat, das hätte ihr vielleicht bei ihrer Aufgabe helfen können. Er stieß den Atem aus.
„Also gut… Hier ist der Deal. Du gibst mir die Kräuter zurück, ich gehe zurück zum Laden, hole das, was mir zu holen aufgetragen wurde und nehme dich dann mit in das Versteck meines Meisters. Wenn du das erste aufeinandertreffen mit ihm überlebst kannst du ihn sicher um die genannten Kräuter bitten.“, erklärte er, während seine Lippen sich zu einem ironischen Lächeln formten.
„Ist das dein Ernst? Du hast noch nicht viele Mädchen zu dir nachhause eingeladen oder?“, fragte sie und funkelte ihn finster an. Meinte dieser Kerl das etwa ernst? Das war doch vollkommen Lächerlich. „Nein… Bisher musste ich auch niemanden mit Kräutern bestechen und Spinnensoldaten aus dem Weg räumen. Ich schätze es gibt für alles ein erstes Mal.“, seufzte er und schüttelte dann den Kopf. Ihr Blick wurde finsterer.
„Du hast die Wahl… Mehr kann ich dir nicht bieten.“, fügte er hinzu und zuckte mit den Schultern, als sei es ihm vollkommen egal. Alles nur wegen einer verdammten Tinktur… Das Problematische war, dass sie nicht mal ihre Meisterin dafür verantwortlich machen konnte. Sie hatte sich selbst in diese Lage geritten. Also gut. Alles sah so aus, als sei es die beste Möglichkeit sein Angebot anzunehmen, aber sie musste sich einen Rückweg offen halten. Irgendeinen… Aber wie? Verdammt nochmal, warum konnte ihr Verstand unter Stress nicht verlässlicher arbeiten?
Sie seufzte und streckte ihm die Hand mit der Ausbeute hin. Er begutachtete die Ausbeute und lächelte dann schwach.
„Du weißt aber schon, dass das hier Geiferblatt ist oder?“, fragte er und deutete auf das Bündel Kräuter, was sie für Zitterkraut gehalten hatte. Geiferblatt? Das war nicht gut. Wenn man Geiferblatt falsch behandelte setzte es eine giftige Wirkung frei, bei der allein der Hautkontakt reichte um eine ausreichende Menge aufzunehmen um in einem grausigen Todeskampf das Ende zu finden. Sie blinzelte die Blätter an und erblickte die charakteristischen bläulichen Punkte, die sich auf dem sonst grünen Blatt verteilten.
Sie zischte vor Enttäuschung. Vyr nahm ihr sacht die Kräuter aus der Hand und begutachtete sie. Seinem Blick war anzusehen, dass der Zustand der Kräuter nicht mehr im verkäuflichen Rahmen lag, jedoch sagte er nichts.
"Komm mit… Wir schaffen das aus der Welt. Man sollte es sich in dieser Stadt nicht mit Kräuterhändlern verscherzen. Sie verdienen hier unten gut und sind zumeist äußerst nachtragend.“, erklärte er und klang dabei etwas gestresst. Sie verstand ihn nicht, aber sie vertraute ihm genug um das logische Denken lang genug auszuschalten um ihm zu folgen.

 

 

„Du wagst es, mir meine Kräuter in einem solchen Zustand zurück zu bringen du nutzloser Tölpel?“, zischte der Kräuterhändler. Vyr ließ Beleidigung und Anschuldigung einfach an sich abgleiten. Er konnte glauben und sagen was er wollte.
„Offensichtlich.“, gab er kühl zurück und versuchte die Finger des Mädchens zu ignorieren, die sich beinahe schmerzhaft in seinen Arm gruben. „Und was ist mit ihr? Warum hast du sie nicht einfach umgebracht? Sie hat sich des Diebstahls schuldig gemacht!“, stieß der Kräuterhändler wütend hervor und warf der jungen Frau einen tödlichen Blick zu. Ohne auf die Frage einzugehen stieß er einen der drei, noch immer am Boden liegenden Spinnenküsser, mit dem Fuß an.
„Aus dem gleichen Grund, warum sie noch am Leben sind.“, entgegnete er dann mit ruhiger Stimme. „Das ist eine Unverschämtheit. Du wirst die Ware bezahlen und das Mädchen wird ihre Schulden hier abarbeiten!“, stieß der Kräuterheini hervor und Vyr zog die Augenbrauen nach oben.
„Bei wem soll sie die Schulden abarbeiten, wenn ich die entwendete Ware bereits bezahlt habe?“, fragte er mit ruhiger Stimme, die trotz allem etwas rauer wirkte, als beabsichtigt. Er war es so satt, dass ihn alle für blöd hielten.
„Ich… Sie…“, begann der Kräuterfutzi und Vyr verlor sämtlichen Respekt vor dem Mann, als er weiter stammelte ohne einen ordentlichen Satz zu bilden.
„Schon gut, lassen Sie sich Zeit.“, entgegnete Vyr und warf den bedrohlich, zornigen Blick des Mannes mühelos auf ihn zurück. Der Kaufmann gab es auf und winkte ab.
„Bezahl einfach und geh. Das Mädchen lässt du hier, damit ich sie den Ordnungshütern übergeben kann.“, knurrte der Kräuterverkäufer, der Vyr offensichtlich noch immer für blöd hielt. Vyr atmete tief durch und ließ auch diese Kränkung von sich abgleiten.
„Wie wäre es mit folgender Lösung. Ich bezahle die Kräuter, die ich hier kaufen wollte, dann verlassen wir beide, also das Mädchen und ich, deinen Laden und ich vergesse, dass du deine freundlichen Spinner aus der Nachbarschaft auf mich angesetzt hast. Das bedeutet du überlebst, wir haben keinen Stress. Alle gewinnen.“, entgegnete Vyr trocken und musterte den Mann hinter dem Tresen finster. Der Kräuterhändler musterte Vyr verächtlich. „Wer ersetzt mir die gestohlenen Kräuter?“, knurrte er und blickte Zoe dann mit einem obszön anmutenden Blick an.
„Die Kräuter oder dein Leben. Du hast die Wahl.“, seine Stimme klang eiskalt, drückte aber keinerlei Emotionen aus. Der Mann hinter dem Tresen setzte einen verunsicherten Blick auf und blickte sich dann um. Sein Blick fiel auf die drei am Boden liegenden Spinnenküsser. Er seufzte und legte einen Beutel Kräuter auf den Tresen. Vyr öffnete ihn und überprüfte den Inhalt. Offenbar war es dem Händler ernst und Vyr nickte. Er wandte sich um und warf dann noch einen Blick auf den Händler zurück.
 „Ach übrigens… Wenn du uns irgendjemanden hinterher schickst… Werde ich zuerst ihn töten und dann dich… Glaube mir… Das wird kein Vergnügen. Verstanden?“, sagte Vyr mit harter Stimme, dann verließ er zusammen mit der verunsicherten Zoe den Laden.
„Warum hast du dich so für mich eingesetzt?“, fragte Zoe, als die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war. „Komplexe… Nehme ich an.“, gab er zurück und zuckte mit den Schultern. Sie blickte ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an.
„Und ich hasse es, wenn Leute versuchen mich zu verarschen…“, ergänzte er ohne ihr in die Augen zu blicken. Das der Gedanke, wie sie von diesem Kräuterhändler vergewaltigt wurde für ihn schier unerträglich war, ließ er aus. Er hatte keine Zeit für sowas.
„Also? Wollen wir zurück?“; fragte er mit ruhiger Stimme. Zoe blickte ihn finster an, dann jedoch nickte sie. Vyr sog tief die Luft ein.
„Also gut… jetzt müssen wir uns nur noch eine passende Geschichte ausdenken um an den Wachen vorbei zu kommen. Meine Geschichte für sie war eher sowas wie ein Oneway Ticket.“, sagte er und dachte scharf nach. Er hatte sich den Wachen als Nekromantenadept vorgestellt, der von seinem Meister in die unteren Ringe gestoßen worden war. Aber wie rechtfertigte er, dass er wieder genau dorthin zurück wollte und das auch noch mit einem hübschen Mädchen an seiner Seite. Vyr kam eine Idee und er wandte sich zu Zoe um.
„Ich brauche deine Hilfe.“, erklärte er und das Mädchen blickte ihn fragend an.
„Wobei?“, entgegnete sie misstrauisch und Vyr musste lächeln. Es war ihr gutes Recht misstrauisch zu sein. „Du musst meine untote Sklavin spielen, jedenfalls so lange, bis wir an den Wachen vorbei sind.“, gab er vor und Zoe blickte ihn ungläubig an.
„Ist das dein ernst?“, fragte sie vorsichtig und Vyr seufzte. „Leider ja. Schaffst du das?“, gab er zurück und Zoe funkelte ihn finster an.
„Was heißt das?“, fragte sie und Vyr dachte nach. Er begann ihr die Kapuze über den Kopf zu ziehen, eine Geste die er deutlich zärtlicher ausführte, als es gut für ihn war. Er blickte ihr in die Augen und musste ihr Respekt zollen. Die saphirgrünen Augen waren atemberaubend schön. Er unterdrückte jede Regung, die sich bei ihrem Anblick in ihm bemerkbar machte und schenkte ihr ein möglichst sanftes Lächeln.
„Das heißt du musst jetzt möglichst böse gucken und darfst nur sprechen, wenn du dazu aufgefordert wirst. Falls du über mich sprichst, nennst du mich Gebieter oder Meister… Wenn du über andere sprichst solltest du zwar Ehrerbietung zeigen, allerdings nicht so viel, als würdest du mit mir sprechen… Ich weiß es ist demütigend. Aber es ist ja nicht für lange.“, erklärte er und schaute ihr weiter in die Augen. Ihre Lippen zuckten, ob zu einem Schmollmund oder einem Lächeln, konnte er nicht erkennen, doch sie stimmte mit einem Nicken zu.
„Wenn du mir nach der ganzen Show drei Fragen vollständig aufrichtig beantwortest, werde ich das tun.“, stellte sie dann jedoch eine Forderung. Vyr dachte darüber nach.
„Zwei Fragen und ich darf dir meinerseits eine stellen, die du ebenfalls ehrlich beantworten musst.“, gab er zurück. Zoe dachte darüber nach, nickte aber letztendlich.
„Also gut.“, stimmte sie zu und Vyr griff in seine Tasche. Er kramte kurz darin herum und zog letztendlich einen Kohlestift heraus, den er begann in den Händen zu rollen, damit er etwas weicher wurde. Er hob den Stift und zeichnete ein beeindruckend aussehendes Zeichen auf ihre Stirn. In der Zeichenschrift der Nekromanten bedeutete das Zeichen Valzyra, was so viel wie Kriegssklave bedeutete.
„Was hast du mir da grade auf die Stirn gezeichnet?“, fragte Zoe misstrauisch und Vyr lächelte leicht. „Die Rune für Kriegssklave, ich hoffe du kannst einigermaßen bluffen, wenn es um deine Fähigkeiten im Nahkampf geht.“, seufzte er und Zoe funkelte ihn finster an. Also gut. Augen zu und durch. Vyr warf sich die Kapuze über den Kopf und ging vor Zoe entlang zur Treppe, die in den tieferen Ring führte. Die Wachen betrachteten ihn irritiert.
„Was willst du schon wieder hier? Hast du was vergessen?“, fragte die eine Wache, die offenbar vergessen hatte zu was Vyr fähig war.
 „Mein Meister hat mir aufgetragen Seelen unter den wertlosen Gesinde der tieferen Bevölkerungsschichten zu sammeln. Wollt ihr mir im Wege stehen?“, fragte er und setzte dabei wieder diesen leicht versnobt klingenden Tonfall auf.
„Erst wirft euer Meister euch von der Brücke in die tieferen Ringe und jetzt sendet er euch aus Seelen zu ernten?“, fragte die linke Wache etwas misstrauisch.
„Meister Isorvez ist alt… Ich schätze allmählich wird er senil. Er hatte komplett vergessen, dass er mich von der Brücke geworfen hat. Als ich ihn aufgesucht habe hat er mich nur gefragt wo ich war und hat mir damit gedroht mich mit einem Nekronomicon zu verprügeln.“, seufzte Vyr und zuckte gleichgültig mit den Schultern. Beide Wachen starrten ihn an, als hätte er grade gesagt, dass Lucius Raxanta ein kleines Kind war, was seine eigenen fäkalen Erzeugnisse aß. Der Rechte von beiden fing sich als erster wieder und blickte zu Zoe.
 „Und wer ist da bei Euch?“, fragte er und schien von dem, was er sah äußerst angetan zu sein.
„Das ist ein Werkzeug, was mir beim Ernten von Seelen behilflich sein soll.“, entgegnete Vyr kühl, als spreche er über eine äußerst niedere Person.
 „Oh Mann, die dürfte bei mir jederzeit etwas anderes ernten…“, seufzte der andere Soldat und griff sich vulgär in den Schritt. Vyr ignorierte die Geste, hörte aber ein leises, angewidertes  zischen von Zoe, was er mit einem Hüsteln übertönte. „Schickt die Schlampe doch kurz zu mir, bevor Ihr sie zurück gebt… Es soll Euer Schaden nicht sein.“, erklärte die gleich Wache und packte Zoe an den Hintern. Vyr reagierte sofort, packte den Arm des Soldaten, drehte ihn auf dessen Rücken, bis es knackte und der Soldat schrie, dann riss er den Arm aus dem Gelenk und stieß den in die Rüstung gehüllte Wache vom Treppenabsatz hinab in den dritten Ring.
Sein Blick ruhte finster auf den anderen Soldat, der sofort seine Waffe gezückt hatte.
„Niemand fasst das Werkzeug eines Nekromanten an, es sei denn er bittet darum. Wenn du etwas dagegen hast wirst du schlimmer enden, als dein Freund. Verstanden?“, brachte Vyr mit vor Wut verzerrter Stimme hervor und verlieh seiner Aussage diesen snobistischen Tonfall, der so viel sagte wie:
 ‚Natürlich habe ich recht, schweig Still elendes Gewürm.‘
Der Soldat schaute ihn fassungslos an, während das Krachen der Rüstung, des anderen Soldaten, der freudig die Treppenstufen in den dritten Ring herunter purzelte allmählich zu verklingen begann. Vyr hielt dem Blick stand. Letztendlich senkte er den Blick und tat einen Schritt zur Seite.
„Seht zu, dass Ihr vor dem Schichtwechsel zurück seid, sonst wird die Wachablösung Euch umbringen. Auch Euer Meister wird dagegen nichts unternehmen können.“, stieß der Soldat hervor und hielt den Blick dabei gesenkt.
„Ich habe nicht vor so schnell wieder her zu kommen, meine Mission wird drei Tage und drei Nächte in Anspruch nehmen. Seht zu, dass ihr früh genug hier seid. Ansonsten werde ich die Seelen der Wachen, die mich angreifen zu den gesammelten hinzufügen.“, erklärte Vyr mit ruhiger Stimme. Der Soldat blickte ihn an, versuchte offensichtlich einen Bluff in seiner Miene zu erkennen, doch in seinem Gesicht war kein Zögern, kein Zaudern, kein Mitleid. Der Soldat räusperte sich.
 „Ja, Meister Nekromant.“, erklärte er mit verbissen klingender Stimme, während er sich ein wenig verbeugte. Vyr ging kommentarlos weiter, als sei dies die normale Reaktion, die ein Mitglied des Volkes gegenüber eines Nekromanten zu zeigen hatte. Wahrscheinlich war es wirklich so… Jedenfalls bei Nekromanten der Schulen, die auf so etwas wert legten. Vyr und Zoe stiegen die Treppen herunter, wobei sie am verdreht da liegenden Soldaten vorbei gingen, der Zoe angefasst hatte. Sie ließen den reglos daliegenden Mann einfach dort liegen und gingen weiter.
„Das war mehr als verdammt unheimlich…“, seufzte Zoe und schien noch etwas mit sich zu kämpfen. Wer konnte es ihr verübeln. Sie hatte gerade gesehen, wie Vyr einem Mann nur aufgrund einer einzelnen Berührung ziemlich übel mitgespielt hatte. Die Wache würde im besten Fall sterben. Im ungünstigeren Fall würde er zu einem lebenslangen Pflegefall werden. Vyr würde sich später damit auseinander setzen. So oder so. Er hatte ein Leben zerstört und das nur um als Nekromant glaubwürdiger zu wirken. Einstweilen blieb er ruhig, still, zeigte keine Reaktion dessen, was in seinem Inneren kochte.
 „Vyr?“, fragte Zoe und klang etwas besorgt.
 „Hm?“, gab er zurück, wohl wissend, dass es sich dabei um keine vollwertige Antwort handeln konnte.
„Danke, dass du mich beschützt hast… Ich bin dir was schuldig.“, entgegnete sie und hielt dabei den Blick gesengt.
 „Du bist mir nichts schuldig. Ich habe lediglich getan, was von einem Nekromantenadept, einer der höheren Schulen erwartet wird.“, entgegnete er mit ruhiger Stimme und kämpfte gegen die Wut in seinem Inneren an. Er hatte grade wahrscheinlich einen Menschen getötet und es fraß ihn auf. Er sog tief die Luft ein.
„Das ist deine Sicht der Dinge. Ich bin dir trotzdem dankbar… obwohl es mich auch ziemlich erschreckt hat. Ich hätte nie gedacht, dass du sowas tun könntest…“, erklärte sie und schüttelte dann den Kopf. Wie hatte sie das glauben können? Sie kannten sich vielleicht eine Stunde. Wie konnte sie schon wissen wozu er fähig war und wozu nicht. Er wurde dazu ausgebildet ein Monster zu sein und seine Taten sprachen dafür, dass er seinen Weg gewissenhaft verfolgte.
Vyr stieß einen Seufzer aus und verbannte seine Gedanken für einen späteren Zeitpunkt. Inständig hoffte er das richtige zu tun, indem er Zoe half.
„Es war eine Kurzschlussreaktion… Wie gesagt. Komplexe.“, gab er bitter zurück und Zoe schloss zu ihm auf. Neugierig suchte sie seinen Blick.
„Was soll das mit diesen ständigen ‚Komplexen‘? Warum sagst du nicht einfach, dass du mich magst und das du nicht wolltest, dass mich dieser Widerling anfasst?“, erklärte sie und errötete. Sie schien selbst zu bemerken, dass sie innerhalb kürzester Zeit mit einer ziemlichen Vertrautheit mit ihm umging.
 „Hör zu… Ich weiß nicht, warum ich so reagiert habe… Ich schätze es war einfach das, was ich getan hätte, wäre ich der gewesen, für den ich mich ausgegeben habe. Nekromanten sind ziemlich zimperlich, wenn es um perfekt geratene Untote Diener geht.“, seufzte er und Zoe hob eine Augenbraue.
 „Perfekt geraten?“, fragte sie und lächelte dabei geschmeichelt. „Bild dir nichts drauf ein, damit meine ich, dass du weder Schimmelst, noch irgendwelche anderen Verwesungsspuren aufweist. Ich habe dich als untotes Werkzeug vorgestellt und dementsprechend habe ich mich verhalten, schätze ich.“, gab er zurück und Zoe blickte ihn amüsiert an.
„Du schuldest mir zwei Fragen.“, sagte sie dann und blickte ihn an. Er nickte verdrossen.
„Wer bist du eigentlich?“, fragte sie und schaute ihm in die Augen. „Ich schätze damit fragst du mich nicht nach meinem Namen?“, gab er zurück und blickte sie ebenfalls an.
„Nein. Ich will wissen, welcher Mensch sich hinter diesem Namen verbirgt.“, erklärte sie und lächelte ihn erwartungsvoll an. Rückblickend war das eine ziemlich intime Frage, gerade für jemanden wie ihn.
„Ich weiß nicht… Ich bin Vyr. Ich habe den Teil meines Lebens an den ich mich erinnern kann, bis vor ein paar Jahre auf den Straßen von Greypit verbracht… Davor… Nichts. Ich kann mich an meinen Namen erinnern, aber an nichts, was ihn ausmacht.“, beantwortete er ihre Frage nach besten Wissen. „Vyr ist ein eher seltsamer Name…“, entgegnete sie und er atmete tief durch.
„Ich habe versprochen dir ehrlich zu antworten, also sage ich dir, dass Vyr nicht mein richtiger Name ist… Naja… Ist er schon irgendwie… Mein Meister gab mir den Namen Vyr… Er hat mir nie gesagt warum… Der Name an den ich mich erinnere ist Raigan.“, brachte er hervor, schaute sie aber nicht an.
„Soll das heißen… Vyr ist ein Deckname?“, fragte sie und wich einen Schritt zurück. Vyr lächelte verkniffen.
„Nein… Im Moment ist er mein richtiger Name, aber nicht mein ursprünglicher Name.“, entgegnete er mit ruhiger Stimme. Sie musterte ihn genau und Vyr überlegte, was er sagen sollte.
„Also… Darf ich dich Raigan nennen?“, fragte sie und Vyrs Lippen verzogen sich zu einem steifen Lächeln.
 „Der Name erinnert mich nicht grade an die beste Zeit in meinem Leben, aber wenn du mich so nennen möchtest, kann ich damit leben.“, antwortete er und Zoe lächelte ihn an.
„Also gut… Es ist schön dich kennen zu lernen, Raigan. Und danke für die Hilfe, die du mir bisher erwiesen hast.“, sagte sie, dann küsste sie seine Wange. Er starrte sie an und errötete. Er verstand nicht, warum sie das getan hatte. Sie kannten sich doch so gut wie überhaupt nicht. Er räusperte sich. „Bedank dich nicht zu früh… Ich könnte dich immer noch an einen Sklavenhändler verkaufen.“, erklärte er und bluffte dabei nicht schlecht, denn sie wurde kurz bleich. Als er zu lächeln begann schlug sie ihm leicht gegen die Schulter.
 „Mach mir keine Angst du Arsch…“, gab sie zurück und zog einen Schmollmund, den Vyr irgendwie… süß fand. Vyr verbannte all diese Gedanken, die ihm beim Anblick ihrer Lippen durch den Kopf strömten in eine ferne Ecke seines Verstandes um sich ihnen später zu widmen.
 „Dein Meister… Was ist er für ein Mensch?“, fragte sie dann und Vyr musste tatsächlich darüber nachdenken. Das war eine verdammt gute Frage… Er wusste kaum etwas über Kage. Verdammt, wahrscheinlich war Kage nicht mal sein richtiger Name. Wusste er überhaupt etwas über den Mann, der ihn ausbildete? Den Mann dem er so nah war… Er war sein Schüler, aber wie viel seiner wahren Persönlichkeit zeigte er ihm?
„Ich weiß es nicht… Er ist ein sehr stiller Mensch… Er redet nicht viel, wenn es nicht grade um Unterricht geht.“, entgegnete Vyr und Zoe schaute ihn irritiert an.
„Du weißt also nicht, wie er reagieren wird, wenn du mich mit zu seinem Versteck nimmst?“, erkundigte sie sich und wirkte dabei etwas erschrocken. „Nein. Nicht wirklich. Aber es ist wahrscheinlich immer noch besser als das, was dir überall sonst in Greypit auflauert…“, entgegnete er und Zoes Mund klappte auf. Sie hatte Mühe ihn wieder zu zu klappen, doch letztendlich gelang es ihr. Sie sog tief den Atem ein.
„Manchmal wünschte ich wirklich du würdest mir statt der Wahrheit zu sagen auch mal etwas Mut machen.
 „Nun… Was mich betrifft ist er ein netter Kerl…“, gab Vyr zurück und Zoe kicherte leicht.
„Idiot…“, seufzte sie und folgte ihm weiter.

 

 

Die Stadt um sie herum war bemerkenswert. Das Wenige Licht, was die Welt um sie herum etwas erhellte wurde nicht wie einen Ring weiter oben durch Kristalle gespendet sondern durch riesige Pilze, die einfach so aus dem Fels um sie herum zu sprießen schienen und hin und wieder kurz zuckten um einen Schwall leuchtende Sporen durch die Luft zu wirbeln. Das hier war ein Wunder der Natur. Ein Beweis dafür, dass auch Pflanzen Magie nutzen konnten es aus einem Schutzmechanismus heraus taten. Die Sporen waren nicht giftig, ließen sich ohne weitere Probleme einatmen und Vyr, der den größten Teil seines Lebens unter deren Einfluss gelebt hatte zeigte ebenfalls keine Probleme. Für sie war dies hier, diese Stadt unter der Erde zunehmend ein Wunder. Dennoch konnte sie den Aufenthalt hier nicht genießen. Sie musste sich nur umsehen und erkannte sofort wieso. Egal wohin sie blickte überall sah sie zwielichtige Menschen, die sie aus den Schatten heraus anblickten. Mancher Blick war hungrig, ein anderer verachtend, ein wieder anderer neidisch. Ohne es zu merken rückte sie näher zu Vyr auf.
 „Was ist?“, fragte er und sie schüttelte unwillkürlich den Kopf.
„Nichts… Es wirkt nur so… feindselig auf mich. Einfach alles…“, gab sie zurück und Vyr lächelte. „Das zeigt nur, dass du eine gute Auffassungsgabe hast. Wir befinden uns zwar im dritten Ring, der von den meisten Schulen als Lagerfläche genutzt wird. Aber hier würde dir ohne weiteres jemand die Kehle für ein Butterbrot durchschneiden. Weiter unten wird es noch schlimmer. Egal was passiert, pass auf deine Geldbörse auf.“, erklärte er und sah dabei etwas finster aus. Sie lächelte leicht.
 „Nun… Ich habe keine Geldbörse. Das dürfte die Sache erleichtern.“, erklärte sie und Vyr blickte sie an. Sein Blick war durchdringend.
 „Nicht wirklich. Damit kannst du froh sein, wenn du von einer Bande Kinder überfallen wirst. Ältere Banden provozierst du damit… Du bist eine junge hübsche Frau. Alles Güter, die unter den Männern hier sehr geschätzt werden.“, gab er zurück und sein Blick war unmissverständlich. Er musste nicht weiter reden. Sie rückte noch näher zu ihm auf. Konnte er sie beschützen, wenn sie überfallen wurden? Sie wollte nicht als lebende Sexpuppe enden… Sie schluckte.
„Schon gut, solange du dich in meiner Nähe aufhältst müsstest du soweit sicher sein. Die meisten Banden trauen sich weder an mich noch an meinen Meister heran. In anderen Fällen… Sei froh, wenn du in der Masse untergehst und keine Blicke auf dich ziehst… Deine Kleidung solltest du gegen etwas… schlichteres und im besten Fall ausgebeulteres austauschen. Im Moment versprichst du für die meisten Banden hier zwei Dinge… Und wenn du kein Geld hast, hast du immer noch… das.“, erklärte er und deutete mit einer eindeutigen Geste auf ihren Körper. Er hatte recht. Sie hatte ihre Kleidung, die ihr der Hexenzirkel gegeben hatte immer geliebt, aber hier unten war sie ein doppelter Nachteil.
Sie bestand aus teurem, magisch behandelten Stoff und sie war so geschnitten, dass ihre Rundungen deutlich sichtbar waren. Sie schluckte und merkte, dass ihr Mund trocken wurde. Sie verkörperte einerseits ein Gewinnbringendes Ziel, ihre Kleidung brüllte schon fast hinaus, dass sie im Besitz von viel Geld war. Notfalls würden allein ihre Kleider genug Geld abwerfen um mehrere Monate, wenn nicht sogar Jahre unbeschwert leben zu können.
Diejenigen, die sich darüber aufregten, dass sie kein Geld dabei hatte konnten ihren Unmut Luft machen, indem sie Zoe einfach vergewaltigten. Sie mitnahmen, in Ketten legten und noch öfter vergewaltigten. Und letztendlich, wenn sie ihrer müde waren konnten sie Zoe entweder töten oder als Sklavin weiter verkaufen. Sklaverei war hier in Greypit hoch im Kurs. Schrecken packte sie, doch sie unterdrückte ein Schaudern. War sie an seiner Seite wirklich sicher? Er war ein erschreckend guter Kämpfer, aber würde ihm das gegen eine Übermacht wirklich weiter helfen?
Dazu kam, dass sie ihn verwundbar machte. Natürlich hatte auch sie ein paar Tricks im Ärmel, aber wahrscheinlich würde sie im entscheidenden Moment nicht in der Lage sein darauf zurück zu greifen. Sie schluckte.
„Raygan… Ich…“, begann sie mit stockender Stimme, doch er schüttelte den Kopf.
„Mach dich nicht verletzlicher, als du bist. Du bist nicht wehrlos. Du bewegst dich wie jemand mit Kampferfahrung, allerdings hast du keine Erfahrung darin sie im Notfall einzusetzen. Das werden wir ändern… Aber jetzt, sei stark. Versuche selbstbewusst zu wirken und ignoriere die Blicke, die dir zugeworfen werden. Ach so und… Entschuldige, das was jetzt folgt.“, flüsterte er und Zoe blickte ihn irritiert an.
„Was meinst… was zur Hölle ist das für ein Gestank?“, brachte sie hervor, wobei sie die letzten Worte erstickt krächzte. Das Aroma der ersten zwei Ringe von Greypit war eben einfach atemberaubend.

Kapitel 8

Chyara wischte sich eine Träne aus dem  Augenwinkel und blickte sowohl ihre Mutter, wie auch ihren Vater mit Freude und Glück im Blick an. Vanic lächelte und verbeugte sich vor Chyara. 

„Meisterin Chyara.“; grinste er und Chyara verpasste ihr einen Schlag gegen die Schulter. Er lachte, Iador und Valara stimmten ein und es dauerte nicht lange, bis auch Chyara kicherte. Iador räusperte sich und blickte beide an.
„Tochter… Vanic… es hat noch andere Gründe warum ich euch habe her rufen lassen.“, erklärte Iador mit gebieterisch klingender Stimme und beide blickten zu ihrem Meister auf.
„Es ist so… Seit ich Romar aus meinen Diensten entlassen habe ist der Strom an Anfragen für die weitere Ausbildung anderer Schüler stark zurückgegangen… Damit möchte ich sagen, dass es niemanden mehr gibt, der hier lernen und trainieren möchte.“, begann Iador und Vanic warf Chyara einen besorgten Blick zu. „Grund hierfür sind Verleumdungen, die sowohl Romars Familie, wie auch er selbst über unsere Schule verstreut.“, führte Iador weiter aus und Chyara presste eine Faust fest zusammen.
„Als ich einen Boten zu Romars Familie sandte um nach einer Lösung des Problems zu fragen, wurde ich angeleitet dich als Dienstbotin an ihren Haushalt zu übereignen, damit dir Respekt beigebracht werden kann.“, erklärte Iador und blickte zu Chyara, der alle Farbe aus dem Gesicht wich.
„Keine Angst… Ich habe nicht vor dieser Forderung nachzukommen. Nein. Vielmehr habe ich mich auf die Dinge konzentriert, die über unsere Schule verbreitet werden. Sie sagen wir kennen keine Disziplin und sind schlechte Kämpfer. Sie sagen wir nehmen jeden auf, weil wir verzweifelt sind. Selbst Dienstmädchen werden bei uns aufgenommen und der Adel würde nicht richtig behandelt.“, erzählte Iador und Chyara schluckte. Das war alles ihre Schuld.
„Unser Schwertstil ist minderwertig und lasse sich nicht mit dem anderer Schulen vergleichen. Also habe ich vor diese Argumente gegen unsere Feine zu verwenden.“, führte Iador weiter aus und sowohl Vanic, wie auch Chyara hoben fragend den Kopf.
„Chyara und Vanic. Ihr habt in den letzten Jahren eurer Ausbildung starke Fortschritte gemacht und ich möchte, dass ihr am diesjährigen Klingentanz Turnier teilnehmt um unseren Feinden zu zeigen, dass wir nicht am Boden liegen.“, stieß Iador hervor und Vanic senkte den Kopf. Chyara blickte ihren Vater ehrfurchtsvoll an und lächelte, ehe auch sie den Kopf senkte.
„Jawohl Meister.“, erklang es synchron von beiden. Das Klingentanz Turnier war ein jährlich ausgerichtetes Turnier, welches die stärkste der Klingenkunstschulen im Reich in den Fordergrund rücken sollte. Iadors Schule hatte nun seit einigen Jahren nicht mehr an dem Turnier teilgenommen, weil es nur Schülern gestattet war ihre Schule zu repräsentieren. Iador hatte weder Vanic noch Romar für bereit gehalten um am Turnier teilzunehmen, doch seitdem Chyara Romar ersetzte, hatte auch Vanic gewaltige Fortschritte gemacht. Sie waren beide bereit dafür. Sie konnten beide zeigen, was ihre Schule ausmachte. „Seid ihr bereit diese Bürde zu tragen?“, fragte Iador mit lauter Stimme und mit ebenso lauter und fester Stimme erwiderten beide Schüler:
„Ja Meister!“

 

 Schweiß tropfte von Chyaras Gesicht, als sie zugleich gegen Iador, wie auch gegen Vanic kämpfte. Vanic drängte sie mit schnellen und gezielten Hieben in den Rückzug, während sich Iador bemühte, jede Lücke in ihrer Verteidigung auszunutzen um sie zu treffen. Nicht selten war es ihm gelungen. Ihre Haut starrte vor blauen Flecken und bereits mehrfach hatten sowohl Vanic, wie auch Iador versucht sie davon zu überzeugen sich erst auszuruhen, ehe sie das Training fortsetzten, doch Chyara behielt ihren eisernen Willen bei. Sie machte keinen Fehler zweimal, schenkte beiden Gegnern die gleiche Beachtung  und blockte Schlag um Schlag mit ihrem Übungsschwert, was ihr mitunter schwer in den verschwitzten Händen lag.

Krachend schlugen die Schwerter aufeinander und Chyara analysierte Vanics Angriffsmuster, was sich bereits zum siebten Mal in Folge geändert hatte. Vanic hatte sehr große Fortschritte gemacht.

Natürlich würde Chyara ihn im Einzelkampf ohne weiteres gewachsen sein, doch Iador und er ergänzten einander wie zeitgleich geführte Zwillingsklingen, welche die Luft durschnitten um ein im Wind trudelndes Blatt in der Mitte zu durchtrennen. Mit schnellen Schritten brachte sich Chyara in Sicherheit und brachte sich immer wieder in die richtige Position um auf sie einprasselnde Schläge zu parieren oder zugleich zu kontern. Es war gut für sie, dass Iador sich im  Hintergrund hielt, wie war sich nicht sicher ob es ihr ohne Weiteres gelungen wäre seine Angriffe so zu blocken und kontern, wie es ihr mit den Angriffen Vanics gelang. Vanics Angriffe wurden offensiver, zielstrebender und deutetten immer wieder auf ihre Schwächen.

Seit drei Runden zog sie ein Bein leicht nach, welches Iador in einem unachtsamen Moment mit einem Hieb getroffen hatte. Sie belastete ihren linken Arm nur noch selten um einen besonders harten Hieb mit beiden Armen zu blocken. Ihre linke Seite schmerzte furchtbar, seit Vanic sie in einem unachtsamen Moment hart an den Rippen getroffen hatte. Sie bereute keinen dieser Treffer, denn im Turnier würden ihre Gegner jeden ihrer Fehler gegen sie verwenden um ihr noch schwerer zu zusetzen.

Sie machte sich keine Illusionen. Niemand würde darauf Rücksicht nehmen, dass sie eine Frau war und das war auch gut so. Sie musste die Ehre ihrer Schule wieder herstellen, die durch haltlose und arrogante Lügen beschmutzt worden war und sie würde alles tun um ihr Ziel zu erreichen. Vanics Schrittfolge gelangte in ein bereits bekanntes Muster und Chyara zögerte keine Sekunde. Sie wich dem folgenden Schwertstoß zur Seite aus, duckte sich unter einem in ihrem Rücken geführten Angriff Iadors hinweg, hob das linke Bein und stieß damit zu wie mit einem Skorpionstachel.

Sie erwischte Iadors Schwertarm und stieß ihn aufwärts, dann vollführte sie eine Rolle nach vorne, landete auf den Füßen und zog Vanic mit einem gezielten Schlag die Beine weg. Mit der Anmut eines Wäschesacks plumpste er auf den Boden und schnappte nach Luft, während sie Iadors nächsten Angriff entging, indem sie den Oberkörper wie eine Palme im Wind zurück beugte. Instinktiv führte sie zwei schnelle Schläge, traf dabei einmal Iadors Handgelenk und beinahe Zeitgleich seine Finger.

Das Schwert rutschte ihm aus den von weißem Staub behafteten Fingern und landete in Chyaras Hand, die wie eine wahre Siegerin mit einem Fuß auf Vanics Rücken stand und ihr eines Übungsschwert gegen das Genick drückte, während sie einen allmählich zurück weichenden Iador mit dessen eigenem Übungsschwert auf Abstand hielt. Sie konnte es nicht fassen. Sie hatte gewonnen.

Es war die siebte oder achte Trainingsrunde gewesen, aber dennoch konnte sie es nicht fassen, dass sie gegen zwei Gegner gewonnen hatte, wobei ihr einer stark überlegen war, während der andere ihr mindestens Ebenbürtig war. Ihre Atmung ging in schnellen Stößen, Schweiß tropfte ihr von der Nasenspitze und vom Kinn, als sie beide Schwerter fallen ließ und sich neben Vanic auf den Boden legte. Verdammt nochmal. Das war ein gutes Stück Arbeit gewesen. Vanics Keuchen wandelte sich in ein atemloses Lachen.

„Verdammt… Und ich hatte es mir immer schöner vorgestellt das erste Mal schwitzend neben dir zu liegen.“, lachte Vanic und Chyara stieß ihm die Faust in die Seite.

„Aua.“, gab er zurück, obwohl sie sich sicher war, dass es ihm nicht wirklich wehgetan hatte.

„Schwachkopf…“, seufzte Chyara und Iador hüstelte. Chyara lief feuerrot an, als sie das Gesicht ihres Vaters erblickte, der sich mit einem halben Lächeln über sie beugte. „Gibt es da etwas, was ich wissen müsste?“, fragte Iador mit einem väterlichen Lächeln. Chyara schmetterte ihm einen verächtlichen Blick entgegen.

„Weißt du, dass Vanic ein Vollidiot ist?“, fragte sie, wobei sich ihr Blick nicht änderte.

„Ich schätze schon.“, gab Iador zurück und sein Lächeln wurde breiter.

„Dann weißt du bereits alles, was sich zu sagen lohnt.“, entgegnete sie und Vanic brachte einen gequälten Laut hervor, ehe er erneut zu lachen begann. „Das war ein guter Kampf.“, erklärte Iador mit einem Mal wieder ernst. Ein Lächeln stahl sich in Chyaras Züge, als ihr Vater ihr die Hand entgegen streckte um ihr aufzuhelfen. Sie seufzte, packte die Hand und trat ihm die Beine weg, sodass er neben ihr auf dem Rücken landete.

„Schön hier unten hm?“, fragte sie und ihr Vater lachte laut, wobei er in Vanics Gelächter einfiel. Sie waren beide Idioten.

„Das Turnier… wann beginnt es?“, fragte Chyara, als das Gelächter der beiden allmählich verebbte.

„In drei Tagen. Aber ich glaube nicht, dass du dir Sorgen machen musst. Auch wenn du das Turnier vielleicht nicht gewinnst wirst du unsere Schule in jedem Fall würdig vertreten.“, erklärte Iador mit einem stolzen Klang in der Stimme. Es war ihr nicht möglich zu entscheiden ob er nun stolz auf seine Schülerin oder auf seine Tochter war, doch letztendlich entschied sie, dass es keine Rolle spielte, denn in beiden Fällen blieb eine Wahrheit.

Er war stolz auf sie. Sie würde diesen Stolz nicht enttäuschen. Ihre Muskel protestierten schmerzend, als sie sich aufsetzte und wieder auf die Beine sprang. Mit langsamen Schritten ging sie auf das Gestell zu, was sich an der Wand befand und die Übungswaffen befestigte. Sie zog einen Übungsspeer von der oberen Halterung und wirbelte ihn herum. Mit dem Schwert war sie gut, keine Frage, aber ihr Umgang mit dem Speer suchte seinesgleichen.

"Wir sollten keine Zeit verschwenden.“, sagte sie und blickte auf die am beiden Männer hinab, die vor ihr auf dem Boden lagen. Beide stöhnten geschunden, doch sie kämpften sich auf die Beine und griffen nach ihren Übungswaffen.

„War Meisterin Valara in ihrer Jugend auch so eine Sklaventreiberin?“, fragte Vanic an Iador gewandt, der ihm einen belustigten Blick zurück warf.

„Du hast ja keine Ahnung Junge…“, gab er zur Antwort und Chyaras Züge verfinsterten sich.

„Schon gut, wollte nur wissen, ob das irgendwie in der Familie liegt.“, grinste Vanic und hob das Übungsschwert. Chyara verschwendete keine Zeit und rannte auf ihre Gegner zu, wobei sie den Speer kreisend durch die Luft wirbeln ließ.

 

 

Kage blickte seinen Schüler mit unbewegter Miene an.

„Und warum sagtest du, bringst du ein fremdes Mädchen in unser Versteck?“, fragte er zum gefühlt hundertsten Mal. Vyr seufzte.

„Sie brauchte Hilfe und ich dachte, dass ihr besser dazu geeignet seid um ihr diese zukommen zu lassen.“, gab Vyr zurück und Kages Augen verengten sich zu Schlitzen.

„Gib mir einen Grund euch beide nicht augenblicklich windelweich zu prügeln.“, gab Kage mit einem finsteren Blick zurück. Vyr hielt diesem Blick jedoch mühelos stand, er kannte die Launen seines Meisters zu genüge und grundlose Gewalt gehörte meistens eher nicht dazu.

„Weder sie noch ich haben dir einen Grund dafür geliefert.“, entgegnete Vyr trocken und Kage stieß einen Seufzer aus. „Nun gut… Aber wenn sie eine Spionin der Spinne ist übernimmst du die Verantwortung dafür. Verstanden?“, fragte Kage mit einem weiteren Seufzen. Vyr lächelte.

„Sehr wohl Meister.“, entgegnete Vyr sarkastisch. Kage lächelte matt, da ihm der Sarkasmus in Vyrs Stimme nicht entging. Beide standen auf und öffneten die Tür, hinter der Zoe an einem Tisch saß und nervös mit den Fingern darauf herum tippte.
„Du bist also Zoe.“, sagte Kage und ging auf das nervöse Mädchen zu. Sie nickte, wandte den Blick aber hilfesuchend zu Vyr. Vyr lächelte ihr aufmunternd zu und für einen Moment schien sie das etwas zu stärken.

„Ich bin Kage, der Lehrmeister dieses kleinen Idioten.“, erklärte Kage mit ruhiger Stimme und Zoe schluckte, dann blickte sie ihn an.

„Schön euch kennen zu lernen Meister Kage.“, gab Zoe schüchtern und respektvoll  zurück und Kage lächelte breit.

„Hörst du Vyr? So geht das.“, lachte er vergnügt und Vyr stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. Das würde ihm nun ewig nachhängen.

„Was tust du hier in Greypit?“, fragte Kage und setzte sich auf einen Stuhl Zoe gegenüber.

„Ich… Meine Meisterin…“, begann sie und stockte dann.

„Ganz ruhig. Du hast nichts von mir zu befürchten.“, erklärte Kage ermutigend und wartete ab, bis Zoe sich etwas beruhigt hatte.

„Ich bin eine Schwarzfeuerhexe… Also… Eine Schülerin… Meine Meisterin schickte mich zur Prüfung hier her.“, erklärte Zoe und heftete ihren Blick auf die Tischplatte. „Eine Pyromantin aus den Ruinen von Izalith also… Es ist lange her, dass ich das letzte Mal dort war. Sind die Ruinen noch immer so gefährlich wie vor 25 Jahren?“, fragte er und lächelte Zoe entgegen, die ihn irritiert anblickte. „Ihr wart in Izalith?“, fragte sie irritiert  und Kage lächelte.

„Ich bin in meiner Jugend weit herum gekommen, bis ich hier gelandet bin.“, entgegnete Kage und schaute Zoe in die Augen.

„Ja… Die Ruinen sind noch immer ein sehr gefährlicher Ort… Wir werden dazu angehalten uns möglichst mit den von Siegeln geschützten Gebieten aufzuhalten.“, erklärte Zoe und Kage nickte zustimmend, als wüsste er genau wovon sie redete. Langsam näherte sich Vyr und ließ sich auf einen Stuhl links von ihr nieder.

„Meisterin Edessa schickte mich her, um mehrere Kräuter zu holen, allerdings weiß ich nicht genau, was ich mit denen anfangen soll…“, brachte Zoe hervor und blickte Kage an.

„Das sieht der alten Schrulle ähnlich…“, seufzte Kage und Zoe stutzte.

„Ihr kennt meine Meisterin?“, fragte Zoe und Kage setzte ein verlegenes Lächeln auf. „Wie ich bereits sagte, ich bin viel herum gekommen, als ich jung war… Deine Meisterin hielt mich damals davon ab mir die Ruinen von Izalith genauer anzusehen. Sie hat mir, könnte man sagen das Leben gerettet.“, lächelte Kage und Vyr blickte seinen Meister irritiert an. Das war das erste Mal, dass er über seine Vergangenheit sprach.

„Ihr seid… Keiran… Keiran Feuerklinge…“, entgegnete Zoe beinahe ehrfurchtsvoll, Kage blickte sie beinahe erschrocken an. Keiran Feuerklinge? War das Kages wahrer Name? Vyr blickte ihn irritiert an. Kage seufzte.

„Diese Stadt verändert die Menschen. Ich habe nichts mehr mit dem Mann gemein, den deine Meisterin Keiran Feuerklinge nannte.“, erklärte Kage mit ruhiger Stimme und blickte zu Vyr hinüber.

„Diese Stadt bricht jeden, und letztendlich ist es an den Gebrochenen ihr selbst  erneut zusammen zu setzen.“, erklärte Kage und sein Blick war unmissverständlich. Er war nicht mehr Keiran Feuerklinge. Er war Kage. Sein Meister, sein Retter, sein Lehrer und sein Vorbild. Vyr senkte den Blick.

„Woher hast du es erkannt?“, fragte Kage und blickte zu Zoe hinüber.

„Soll das ein Witz sein? Meine Meisterin redet ständig über euch… Immer wenn es um Heldentaten, den Beweis für Mut und… nunja… ungezogene Momente ihrer Jugend geht…“, erklärte sie und hüstelte. Kage räusperte sich, konnte sich aber eines Lächelns nicht erwehren.

„Ihr seid der Mann, der sie verlassen hat um die Welt zu bereisen… Ich dachte immer ihr wart nur… Naja eine Sagengestalt, die Meisterin Edessa erfunden hat um vor ihren Schülerinnen protzen zu können…“, erklärte Zoe und blickte den nun alt wirkenden Mann an.

„Meine Reise endete hier… In Greypit.“, gab Kage zurück und wirkte mit einem Mal in Gedanken versunken.

„Was ist passiert?“, fragte Zoe und blickte ihn ernst an. Kage schnaubte lediglich.

„Warum bist du hier?“, fragte er und blickte Zoe ebenso ernst an. Vyr kannte diesen Blick zu genüge. Auf Zoes ursprüngliche Frage zurück zu kommen war keine gute Idee. Zoe schluckte.

„Meine Meisterin hat mir im Rahmen meiner ersten Prüfung aufgetragen mehrere Kräuter zu finden…“, erklärte Zoe und bemühte sich dabei Kage nicht direkt anzublicken.

„Und welche Kräuter?“, fragte er und sah gelangweilt aus. Zoe seufzte und nannte ihm die Kräuter. Kage blickte zu ihm auf.

„Du sollst fluoreszierende Tätowier Tinte herstellen?“, fragte er nach und blickte sie genau an.

„Eine grün schimmernde Tinktur, aber ich schätze damit liegen sie genauso richtig.“, gab sie zu und Kage nickte.

„Deine Meisterin ist nicht dumm. Wenn du dir das richtige Symbol eintätowieren lässt lassen dich die Wachen aus der Stadt.“, erklärte er und Zoe blickte zu ihm auf.

„Was? So einfach?“, fragte sie irritiert.

„Hier in Greypit sind nur Einwohner, Nekromanten und jene, die ihre Klappe nicht halten können gefangene.“, gab Kage zurück und Vyr blickte seinen Meister an.

„Vyr, wie bist du in den oberen Ring und wieder zurück gekommen?“, fragte Kage interessiert und Vyr blickte auf die Tischplatte.

„Ich hab mich als Schüler der Knochenschule ausgegeben.“, erklärte er und blickte Kage nur kurz an, der ihn schalkhaft zulächelte. „So bist du hoch gekommen, wie hast du Zoe runter gebracht?“, fragte er und Vyr seufzte.

„Ich hab sie als untotes Werkzeug hergerichtet und einer der Wachen den Arm aus dem Gelenk gerissen, als er sie angefasst hat.“, seufzte er und Kage blickte ihn etwas überrascht an.

„Wow… Du scheinst deine Rolle sehr überzeugend gespielt zu haben.“, lächelte Kage und Zoe kicherte.

„Die Imitation der Stimme eines höher gestellten Adligen war auf jeden Fall sehr überzeugend.“, erklärte Zoe und lächelte dabei breit.

„Sprich mich nicht an Fliegendreck.“, imitierte sie seine Imitation und Vyr lächelte leicht. Kage blickte ihn mit einem leicht erschrockenen Blick an. „Erschreckend authentisch.“, sagte er lediglich und schenkte ihm ein leichtes Lächeln. Vyr zuckte mit den Schultern.

„Also gut… Ich habe alle Kräuter da um die Tinktur herzustellen. Jetzt müssen wir nur noch Vyrs Tarnung perfektionieren. Vyr? Ich schätze es wird Zeit für den Ernst des Lebens. Und für ein eigenes Schwert.“, erklärte Kage und Vyr blickte auf. Es schien wohl so, als hätte Vyr seine Aufgabe zufriedenstellend abgeschlossen. Vyr atmete tief durch und blickte seinem Meister entgegen.

„Ernst des Lebens hm? Klingt interessant.“, gab Vyr zurück und lächelte grimmig, als alle drei vom Tisch aufstanden.

„Warum sind wir nochmal hier?“, fragte Zoe mit leicht ängstlicher Stimme an Kage gewandt.

„Nekromanten der Knochenschule kaufen ihre Bestienknochen nicht. Entweder bekommen sie diese von ihrem Meister oder sie besorgen sich diese selbst. Vyr hat vorgegeben ein Adept der Knochenschule zu sein, also wird er jetzt ein paar Kreaturen der Dunkelheit töten und deren Knochen entsprechend bearbeiten.“, erklärte Kage ungerührt und schritt mit Zoe weiter durch den Tunnel, der mit Sicherheit nicht mehr zur Stadt gehörte.

„Möchtest du sagen, du hast Vyr allein hier runter geschickt um wilde Tiere zu jagen?“, fragte Zoe und blickte ihn völlig angeekelt an.

„Monster ist die passendere Bezeichnung.“, gab Kage zurück und Zoes Blick war verstört.

„Das ist doch grausam.“, stieß sie beinahe angewidert hervor und Kage blickte ihr Emotionslos in die Augen.

„Das Leben ist grausam… Ich habe ihm alles nötige beigebracht. Wenn er damit nicht überleben kann, wird er die Tage in Greypit genauso wenig überleben. Die wahren Monster sind diejenigen, die vorgeben Menschen zu sein. Das ist etwas, was man hier in Greypit sehr schnell lernt.“, gab Kage zurück und Zoe schnaubte.

„Meisterin Edessa würde sich für euch schämen.“, stieß Zoe hervor und Kage lächelte gleichmütig.

"Der Mann, den sie kannte und für den sie sich hätte schämen können ist schon lange tot.“, gab er ebenso gleichmütig zurück.

„Das ist armselig.“, stieß sie hervor, als ihr der Geruch von Blut in die Nase stieg.

„Aber wirkungsvoll.“, entgegnete Kage und stieß mit dem Fuß einen toten Körper auf dem Boden an. Als Zoe den Körper anblickte kam ihr das Frühstück hoch und sie versuchte es krampfhaft im Mund zu behalten. Die Kreatur, die in einer lache des eigenen Blutes am Boden lag war humanoid, hatte allerdings ein verfilztes mit Blut beschmiertes Fell, scharfe Krallen an den Händen und große spitze Zähne. Sie war kleiner als ein gewöhnlicher Mensch, aber die Beine waren äußerst muskulös. Offenbar war die Jagdstrategie dieser Kreaturen auf einen Gegner zu zu springen und sie mit ihrem Gewicht nieder zu reißen, ehe es sie mit Klauen und Zähnen zu einem bekömmlichen Brei aus Hackfleisch, Blut und Innereien verarbeitete.

„Was ist das?“, krächzte Zoe und hob den Blick um das Vieh nicht mehr ansehen zu müssen. Die Kreatur trug tiefe Wunden, eine am rechten Hinterlauf, eine Stichwunde an der Brust letztendlich war ihr die Kehle durchgeschnitten worden. War das wirklich Vyr gewesen? Sie konnte es kaum glauben. Andererseits hatte der Sympathische Junge vor ihren Augen einem Mann, der deutlich kräftiger als er zu sein schien einfach so den Arm aus dem Gelenk gerissen. Sie schluckte.

„Ein Schleicher. Äußerst bösartige Biester und schwer zu überwältigen. Diese Viecher dürfte es hier eigentlich gar nicht geben.“, sinnierte Kage teilnahmslos und Zoe warf ihm einen finsteren Blick zu.

„Was soll das heißen, es dürfte sie hier nicht geben? Möchtest du damit sagen du bist zwar ein Mistkerl, weil du deinen Schüler in Gefahr bringst, aber nicht so ein Mistkerl, weil du ja nicht wusstest, was hier rum kriecht? Ist das dein Ernst? Er könnte hier drauf gehen!“, brachte Zoe hervor und starrte ihn wütend entgegen. Kage erwiderte ihren Blick milde.

„Du Unterschätzt Vyr… Und du weißt nicht wovon du redest. Vyr würde dir auch nicht zustimmen… Du weißt nichts von ihm. Du weißt nichts von dieser Stadt. Jeder Tag in dieser Stadt könnte ebenso sein Tod sein. Jedes Gespräch, jeder falsche Schritt könnte ihn das Leben kosten. Vyr weiß das. Er kennt diese Stadt. Er kennt ihre Regeln und er weiß, wie sie mit Menschen umspringt. Als ich ihn das erste Mal getroffen habe war er zwölf. Ein Straßenkind, wie viele andere auch… Aber er hatte etwas, was ihn besonders machte. Den Willen zu überleben und dafür zu kämpfen. Hast du diesen Willen Zoe? Würdest du dich mit einem Wachmann anlegen, der doppelt so groß ist wie du? Gepanzert, während du nur eine Metallscherbe als Waffe hast? Vyr hat das getan.“, gab Kage zurück und hielt ihrem tadelnden Blick mühelos stand. Zoe taumelte einen Schritt zurück und starrte Kage in die Augen.

„Du weißt nichts Mädchen. Nichts über ihn, nichts über mich. Ich bin mir nicht mal wirklich sicher,  ob du besonders viel von dir selbst weißt. Du weißt nicht, wie du in einer lebensbedrohlichen Situation reagieren würdest, weil du dich noch nie in einer befunden hast.“, ergänzte Kage mit ruhiger Stimme und Zoe warf ihm einen hasserfüllten Blick zu. Ein lauter Schrei hallte durch die Höhlen, es war nicht der eines Menschen…. Glaubte sie zumindest, doch sie war fest entschlossen Vyr beizustehen, wenn es nötig wurde. Sie holte tief Luft und griff nach ihrer Magie. Gehorsam prickelte die Magie unter ihrer Haut, wo sie die Energie sammelte.

„Zoe… Das ist seine Aufgabe. Seine Möglichkeit sich zu beweisen. Hättest du dir die Bürde, hier nach Greypit zu kommen von irgendjemanden abnehmen lassen?“, fragte Kage mit ruhiger Stimme und Zoe blickte zu ihm auf.

„Er könnte sterben!“, stieß sie hervor und Kage blickte sie ungerührt an.

„Das könntest du auch. Nur weiß er im Gegensatz zu dir worauf er sich eingelassen hat. Er kennt jede Kreatur, die in diesen Schächten leben, auch wenn er es mich oder dich nicht wissen lässt. Dieser Junge ist etwas Besonderes. Er ist seit Sieben Jahren bei mir und hat jedes Buch in meiner Bibliothek mindestens einmal gelesen. Er kämpft intuitiv und eignet sich Kampftechniken schneller an, als jeder andere, ich selbst mit eingeschlossen. Als ich nach Greypit gekommen bin, war ich auf das, was mich erwartete nicht vorbereitet und die Stadt hat mich gebrochen, doch Vyr ist hier aufgewachsen. Er kennt die Stadt, kennt ihre Gefahren und, auch wenn ich es niemanden wünsche… Aber er ist für dieses Leben geschaffen.“, entgegnete Kage mit ruhiger Stimme und Zoe starrte ihn einfach nur an. Das konnte doch nicht sein ernst sein? In seiner Stimme schwang Stolz mit und davon nicht wenig. War dieser Mann nun ein Arschloch oder juckte es ihm ebenso in den Fingern wie ihr Vyr zu helfen?

„Warum tun sie ihm das an?“, fragte sie mit schwacher, rauer Stimme und Kage erwiderte ihren Blick.

„Weil er sich für dieses Leben entschieden hat.“, gab er zur Antwort und wandte den Blick von ihr ab um weiter dem Schacht zu folgen, der in die Dunkelheit führte. Zoe stieß die Luft aus und ließ die Magie los, die sie gesammelt hatte. Es fühlte sich an, als würde sie eine verkrampfte Hand aufhebeln, die etwas Wichtiges umklammert hielt.

„Ich will nicht, dass er stirbt, weil er mir helfen wollte.“, seufzte sie traurig und Kage gluckste amüsiert.

„Du überschätzt dich. Ich bezweifle, dass Vyr das allein nur für dich tut. Er tut es ebenso sehr für sich selbst.“, erklärte Kage mit amüsierter Stimme. Zoe blickte ihm ins Gesicht.

„Warum? Weshalb hilft er mir?“, fragte sie und schaute zu Boden.

„Komplexe.“, gab Kage zur Antwort und zuckte dabei merklich mit den Schultern. Zoe stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus.

„Seid ihr sicher, dass ihr nicht verwandt seid?  Die gleiche Antwort hat er mir auch gegeben.“, brachte sie hervor und schüttelte den Kopf.

„Dann solltest du dich vielleicht darauf einstellen, dass es die Wahrheit sein könnte.“, erklärte Kage mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Zoe wusste nicht ob sie diesen Mann mögen oder hassen sollte.

 

 

Vyr wich zur Seite aus, als sich ein besonders großer und kräftiger Schleicher auf ihn stürzte. Die Klauen der Kreatur verfehlten ihn nur um Haaresbreite, aber auch knapp daneben war vorbei. Mit unheimlicher Geschwindigkeit, die sogar seine Artgenossen in den Schatten stellte, die Vyr zuvor getötet hatte wirbelte die Kreatur herum und griff erneut an. Vyr wich zurück, entging auch diesem Hieb, während er das Heft des Schwertes in seiner Hand weiterhin umklammert hielt, was durch das Blut der anderen Schleicher bereits glitschig geworden war. Wahrscheinlich hatte es Vyr bei diesem besonders schnellen und kräftigen Exemplar mit dem Alpha des Rudels zu tun deren Mitglieder Tot den Boden des Schachts dekorierten. Ein beschissener Alpha, sollte er nicht eigentlich das Rudel schützen? Der Alpha riss das Maul auf und schrie ihn an, wobei er zwei Reihen prächtiger gelblicher Reißzähne entblößte. Der Schrei war erstaunlich menschlich, wobei der Geruch an verrottendes Fleisch erinnerte. Vyr ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, wich weiteren zwei Angriffen aus, wobei er darauf achtgab nicht auf einer der zahlreichen Blutpfützen auf dem Höhlenboden auszurutschen. Die Kreatur tat einen Satz zurück und betrachtete Vyr lauernd, nachdem drei weitere Angriffe fehl gegangen waren. Dieses Vieh schien auch intelligenter als seine restlichen Artgenossen zu sein, denn es beobachtete Vyrs Verhalten, nachdem es bemerkt hatte, dass er seinen Angriffen ausgewichen war. Die Gelb leuchtenden Augen beobachteten ihn wie gebannt und Vyr erwiderte den starrenden Blick.

Die Kreatur knurrte einschüchternd und brüllte Vyr entgegen, der einfach zurück knurrte, dem Drohgebärden aber standhielt. Vyr wusste nicht, wie lange die Kreatur ihn einfach nur anstarrte, bis es erneut angriff, doch er hatte den Angriff jederzeit erwartet und wich zur Seite aus. Die Klaue raste ihm vorbei und Vyrs Schwert trennte den rechten Arm der Kreatur mit einem schnellen, kräftigen Konter vom Rumpf der Kreatur. Faulig riechendes Blut schoss Vyr entgegen, doch er bemerkte es kaum, als die heiße Brühe seinen Mantel durchnässte. Die Kreatur schrie vor Schmerz , doch Vyr ignorierte die Schreie, machte einen schnellen Satz hinter die Kreatur und hob das Schwert zum Schlag. Die Klinge durchschlug das Rückgrat der Kreatur mit einem Krachen. Das Wesen fiel nach vorn, landete auf der Schnauze, da es die Arme nicht zur Stütze nutzen konnte.

Vyr blickte auf den zuckend am Boden liegenden Körper und holte tief Atem, ehe er die Schwertklinge erneut hob. Er benötigte drei Hiebe ehe sich der Kopf vom Körper löste. Das Blut der Bestie versprühte einen eitrigen Geruch, während es heiß und dickflüssig über den steinernen Boden glitt. Er setzte sich einige Meter vom Blut entfernt auf den Boden und schloss die Augen. Der Blutgeruch würde Aasfresser oder schlimmere Kreaturen aus den Höhlen hervor locken und er durfte sich nicht von ihnen überraschen lassen. Er griff nach seiner Anima und weitete seine magische Wahrnehmung aus. In der näheren Umgebung näherten sich ihm drei Lebenszeichen. Zwei dieser Auren waren ihm bekannt.

Kage und Zoe, die dritte Aura war matt und grau, wirkte fast leblos, war aber dennoch kräftig. Vyr stieß den Atem los und weitete seine magische Wahrnehmung noch etwas weiter aus. Diese drei Auren schienen fürs Erste die letzten zu sein, die sich ihm näherten. Er öffnete die Augen, zog seine magische Wahrnehmung wieder auf einen erträglichen Umkreis zusammen und ignorierte Schwindel und Kopfschmerz, indem er sie in eine andere Gedankenzelle sperrte. Sein Blick lastete auf dem Stollen aus dem sein neuer Spielgefährte treten würde, wenn er angekommen war. Das kratzende Geräusch von Krallen auf der Felswand kündigte die Ankunft der Kreatur an, die alles andere als Klein zu sein schien.

Vyr sammelte mittels seiner Magie den Schatten um ihn herum. Die Ausbeute war schwach, da in der dunklen Höhle kaum Schatten existieren konnte. Lediglich das leichte Zwielicht, was vereinzelte, leuchtende Pilzsporen in der Höhle hinterließen war verfügbar, doch das trübe Licht produzierte nur äußerst wenig Schatten. Egal. Es musste reichen. Für das, was dort nahte. Das Geräusch von Klauen, die über Stein kratzten wurde immer lauter und ein noch fauliger Geruch erfüllte die Luft. Der Geruch war widerlich, trieb Vyr Tränen in die Augen, die er eifrig weg blinzelte.

Ein schnaufen, gefolgt von einem Stöhnen und Schleifen ging durch die Höhle und pflanzte sich über die engen Wände des Schachts immer weiter fort, ehe die Bestie, die sich ihm näherte, den Weg aus dem Schacht fand. Die Kreatur war ein Zerrbild des Grauens. Kein einziges Haar wuchs auf der aufgedunsenen Fleischmasse, die nur noch entfernte Ähnlichkeit mit einem, ihm bekannten Wesens aufwies. Vyr stieß den Atem aus, als er die die 15 Fuß große Kreatur genauer betrachtete. Sie schien nur aus unnatürlichen Muskeln zu bestehen. Muskeln, Krallen und Zähnen. Das Gesicht der Kreatur mochte vor der Verwandlung einmal menschlich gewesen sein, doch jetzt ging der Kopf in einer klobigen Fleischmasse unter. Der Gesamte Torso der Kreatur schien aus einem Buckel zu bestehen aus dem Klauenbewährte Gliedmaßen sprossen, aus denen hin und wieder scharfe, gebogene Zähne sprossen. Vyr hatte eine derartige Kreatur noch nie gesehen, noch hatte er jemals von etwas vergleichbarem gelesen.

Seine Muskeln spannten sich an und er wirbelte das Blutverschmierte Schwert herum. Die lebendige Fleischmasse kam schleppte sich ihm entgegen und Vyr fragte sich tatsächlich wie er die Kreatur bekämpfen sollte. Er bezweifelte stark, dass es an dieser Situation Sinn ergab Sehnen zu durchtrennen, was noch einmal dadurch erschwert wurde, dass Vyr weder wusste wo sich Sehnen befanden, noch ob diese Kreatur überhaupt etwas vergleichbares besaß. Das Brüllen der Kreatur schlug ihm mit einer totbringen Wolke aus Mundgeruch entgegen. Vyr schüttelte sich leicht um seinen Ekel irgendwie zum Ausdruck zu bringen und blickte das Ungetüm an. Er verbot sich vor dem Angriff tief durch zu atmen, da er befürchtete in Ohnmacht zu fallen, ehe er zum Angriff übergehen konnte. Ruhig ging er langsam auf die Kreatur zu, bereit, jeden Moment zur Seite auszuweichen. Die Kreatur reagierte sofort und schlug mit einem der massigen Arme zu. Vyr sprang zur Seine, rollte sich über eine Bluchlache hinweg, ehe sich an der Stelle, an der er eine Sekunde zuvor noch gestanden hatte ein massiger Mit Zähnen besetzter Arm in den Felsboden grub.

Die Zähne, welche die Gliedmaßen der Kratur schmückten waren offenbar nicht nur Zierde, Zierde bohrte sich nicht durch massives Gestein ohne dabei irgendeinen erkennbaren Schaden zu nehmen. Vyr nutzte den Augenblick und rannte auf die ungeschützte Flanke der Kreatur zu, aus der innerhalb weniger Momente ein langer Fangarm spross, der seinerseits mit zahlreichen dicken Zähnen gespickt war. Der Fangarm verfehlte Vyr nur Knapp und er führte einen harten Schlag mit der Klinge aus, die in der ledrigen Haut des Fangarms nur geringen Schaden auslöste. Zwar teilte sich das Fleisch unter der Schwertklinge, jedoch glitt die Klinge ab, ehe sie größeren Schaden anrichten konnte. Vyr sprang mehrere Schritte zurück und betrachtete die Kreatur. Die Haut war zäh wie Leder, auch wenn sie nicht so wirkte. Vyr unterdrückte ein Fluchen. Er unterdrückte alles, was in diesem Moment einen tieferen Atemzug zur Folge hätte. Seine Hand krampfte sich um den vom Blut glitschigen Schwertgriff und ihm kam eine Idee. Er befahl dem gesammelten Schatten sich um seine Hand und das gesamte Schwert zu legen. Durch seinen Willen verfestigte sich der Schatten an seinem Schwert, gab dem Schwertgriff eine bessere Grifffläche und schärfte die Klinge so sehr, wie es sein Wille zuließ. Vyr wich einem weiteren Hieb der Kreatur aus, die zu klobig war um sich großartig bewegen zu können. Vyr nutzte die fehlende Wendigkeit der Kreatur, bewegte sich in einen blinden Fleck und  eröffnete den Angriff im Rücken des Ungetüms.

Die Klinge aus seinem Willen geschmiedeten und geschliffenen Klinge glitt durch  das ledrige Fleisch der Kreatur, wie durch Butter. Die Klinge drang mit einem  abwärtshieb in den Körper der Kreatur und Vyr riss die Klinge nach links, dann wieder aufwärts um möglichst viel Schaden anzurichten. Seine Bemühungen schienen nicht vergebens, denn die Bestie schrie wie von Sinnen, als es in sich zusammen sackte. Dunkles Blut quoll und spritzte aus den Wunden der Bestie und Vyr stieß einen angriffslustigen Schrei aus, als er das Schwert aus der Wunde seines Gegners riss, auf dessen Rücken Sprang und die Spitze der Klinge dorthin rammte wo er das Genick der Kreatur vermutete. Ein weiterer Aufschrei belohnte Vyrs Mühe zusammen mit einem lauten krachen, als die Klinge irgendetwas Wichtiges erwischt zu haben schien. Blut schoss aus der Wunde und Vyr Riss die Klinge weiter nach links, verband den Hieb mit dem Sprung vom Leib der Bestie, wobei die Klinge die linke Seite des Ungetüms komplett aufschlitzte. Erneut brüllte die Kreatur, doch lange nicht so laut, wie zuvor. Es schien als wurde die Kreatur von ihren Kräften verlassen, als es komplett zusammen sackte.

Der letzte Hieb Vyrs durchtrennte die Fleichwulst unter dem, was wohl das Gesicht der Kreatur war. Das Fleisch der Kreatur begann zu brodeln und Vyr entschied sich dazu einige Schritte zurück zu weichen, als irgendeine Art von Magie der Kreatur das Fleisch von den Knochen nagte. Zurück blieb ein missgestaltetes Skelett, Klauen, Zähne und Asche, wo zuvor das Fleisch der Bestie gewesen war.

Prüfend blickte er der Kreatur entgegen von dessen Körper nur noch Überreste blieben. Seine Anima verriet ihm, dass ihm wohl vorerst keine Überraschungen mehr bevorstanden. Er löste den Schattenmantel, den er um die Waffe gelegt hatte auf und blickte das Skelett an, was nur noch entfernt an das eine Menschen erinnerte. Er säuberte die blutverschmierte Klinge mit seinem ohnehin versauten Mantel und schob es in die Scheide zurück. Achtsam begutachtete er die Zahnartigen Auswüchse, die aus den Knochen selbst zu wachsen schienen, griff nach einem der Gebilde und rüttelte daran. Nachdem nichts geschah zog er ein kurzes Jagdmesser aus einer Gürtelscheide und setzte sie Klinge wie einen Hebel an die Stelle, an der Knochen und Zahn aneinander gebunden waren. Es dauerte nicht lange, bis sich der  Handlange Zahn vom Knochen löste und in der Hand des jungen Nekromantenadepten lag.

Magie prickelte auf seiner Haut, als er den Zahn in der Hand hielt. Er legte ihn bei Seite und machte sich daran den nächsten Zahn aus dem Skelett zu hebeln. Als er die Zähne größten Teils entfernt hatte begann er damit die Klauen der Kreatur mit geübten Handgriffen aus den Fingergelenken zu hebeln um sie auf einen extra Haufen neben die Zähne zu legen. Die restlichen Knochen waren zu groß um tatsächlich etwas daraus machen zu können. Er wandte sich der Leiche des Schleicher Alphas zu, holte tief Luft, was sich bei dem Gestank als Fehler erwies und kniete sich hustend vor der Leiche hin. Dann begann er mit akribischen Handgriffen die Zähne aus dem Kiefer der Kreatur zu hebeln.

Auch die Leiche dieser Kreatur strotzte vor Magie und Knochen, Zähne und Krallen würden ihm dabei helfen seine Tarnung nicht nur aufrecht zu halten, sondern auch weiterhin in die Rolle eines Adepten der Knochenschule schlüpfen zu können. Er stieß den Atem aus und begann Schnitte an den Gliedmaßen zu setzen um der Kreatur das Fell ab zu ziehen. Der Gestank trieb ihm Tränen in die Augen, doch auf den Geruchssinn war verlass, denn als schwächster Sinn, versagte er nach einiger Zeit unter den Torturen.

 

 

Das Gebrüll der Menge war kaum noch auszuhalten, als sich die kleine Gruppe, bestehend aus Iador, Vanic und Chyara einen Weg ins Zentrum des Kolosseums bahnten um Iadors Schule ebenfalls mit unter die Teilnehmer zu schreiben. Iadors Gestalt half ihnen bei ihrem Unterfangen ziemlich weiter, der imposante Mann wurde generell sofort bemerkt und niemand hatte größeres Interesse daran sich ihm in den Weg zu stellen, Chyara und Vanic mussten sich lediglich dicht hinter ihm bewegen um ebenfalls voran zu kommen.

„Welche Schulen wohl alles teilnehmen...?“, fragte Chyara mehr zu sich selbst, als zu einem anderen, dennoch antwortete Vanic auf ihre Frage: „Ich nehme an, so gut wie alle. Ich glaube nicht, dass sich irgendeine Schule die Aufmerksamkeit entgehen lässt.“ Chyara dachte über seine Worte nach und blickte den jungen Mann dann noch einmal genauer an.

„Steht das Turnier nur Schulen aus der Stadt zur Verfügung?“, fragte Chyara und Vanic schüttelte den Kopf.

„Nein. Soviel ich weiß schicken Klingenkunstschulen aus dem ganzen Land Vertreter hier her.“, erklärte Vanic und blickte sich um, Chyara tat es ihm gleich und eine Gruppe aus komplett vier Leuten, die komplett mit dunklem Stoff vermummt waren stach ihr besonders ins Auge.

„Was sind das für welche?“, fragte sie und wurde unsanft von der Seite angerempelt, sie ignorierte denjenigen der sich nach vorne zu drängeln versuchte und blickte sich zu Vanic um.

„Das sind Mayaj, Sie kommen aus der Wüste und sind soviel ich weiß sehr geschickt mit kürzeren Klingenwaffen.“, gab Vanic zur Antwort rempelte sich nun ebenfalls durch die Konkurrenz. Sie hatte noch nie von den Mayaj gehört, das war allerdings nicht besonders verwunderlich. Ihr Leben hatte bisher zum größten Teil aus Hausarbeit und Training bestanden. Recherchen über irgendwelche Wüstenstämme blieben dabei eher ungefragt. Iador blieb unversehens stehen und Chyara stieß gegen seinen Rücken, Vanic blieb abrupt stehen um seinerseits nicht gegen Chyara zu prallen.

Chyara drängte sich neben Iador, der kurz vor einem Podium gehalten hatte auf dem ein junger Mann auf einem Schemel saß, neben ihm stand ein Tisch auf dem eine Box, wie auch ein breiter Bogen Pergament und eine Feder mit Tintenfass lagen. Der Mann erhob sich, blickte in die Menge, dann auf eine Taschenuhr, die er aus einer Tasche zog. Seine Finger zeichneten ein Zeichen in die Luft, was von flirrendem Licht  nachgezogen wurde. Chyara hatte dieses Zeichen noch nie gesehen, aber sie hätte darauf schwören können, dass es sich dabei um Magie zur Stimmverstärkung handelte.

„Meine Damen und Herren, verehrte Kämpfer, die darum fechten, ihrer Schule Ruhm und Ehre zu bringen!“, begann der Mann und drehte sich langsam um die Masse um ihn herum die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken.

„Ich begrüße euch zum diesjährigen Turnier der Meister. Es ist mir eine Ehre so viele wackere Krieger hier anzutreffen, die alle die Absicht haben ihr Können mit der Welt zu teilen!“, erklärte der Mann und sein Blick blieb kurz an Chyara hängen, der er ein verschwörerisches Zwinkern schenkte. Mit einem grimmigen Gesichtsausdruck stellte sich Vanic vor sie um den Blick des Kampfrichters abzufangen. Dieser allerdings grinste nur. Der Kampfrichter war jung und sah gut aus, aber er war nicht Chyaras Typ. Wer war eigentlich ihr Typ? Das war eine gute Frage. Sie seufzte.

„Nun denn werte Teilnehmer! Nennt mir eure Namen und die Namen der Schulen, die ihr repräsentieren wollt.“, erklärte der Kampfrichter und lächelte in die Menge. Es wurde still um ihn herum und es bildeten sich Gassen in der Menge.

Shyron von der Schule der Morgenröte!“, erklärte ein Mann mit kräftiger Statur, auf seinem Rücken lag ein schweres Schwert, was noch in der Scheide ruhte. Er stellte sich mit dem Rücken gegen das Podium und wartete darauf, dass sich andere Teilnehmer meldeten.

Korvez von der Schule der wankenden Schneide!“, rief ein etwas kleinerer Mann mit kleineren Klingen, die er in seinem Gürtel verbarg. Ohne Furcht stellte er sich neben den Koloss und wartete auf den nächsten Kontrahenten.

Marivar von der Schule des fliegenden Fächers!“, verkündete eine, diesmal weibliche Stimme und eine schwarzhaarige, dünne und kurvenreiche Schönheit stellte sich neben den etwas kleineren Mann.

Zahira von der Schule der Blüten.“, erklärte eine mürrische Frauen Stimme und eine ebenfalls sehr attraktive Frau stellte sich neben die andere. Chyara atmete tief durch.

Rilar von der Schule des Wüstensargs.“, erklärte eine gedämpfte, männliche Stimme und einer der vermummten Männer trat vor. Nur ein Schlitz zeigte seine Augen, der Rest seines Gesichts war verhüllt. Chyara holte erneut Luft und fasste all ihren Mut.

Chyara von der Schule der tanzenden Klinge!“, rief sie und die Menge um sie herum wurde mit einem Mal still. Die Schule der tanzenden Klinge hatte seit einigen Jahren keine Teilnehmer mehr gestellt und offensichtlich hatte niemand damit gerechnet, dass die Schule dieses Jahr einen Teilnehmer ins Rennen brachte. Ohne eine Reaktion abzuwarten trat sie vor und stellte sich neben den Mann aus der Wüste. An ihrer Hüfte baumelte ein Schwert, auf ihrem Rücken lag ein einfach gearbeiteter Speer.

Varicaz von der Schule der Schwarzäxte!“, rief ein gutaussehender Mann, der eine für seine Verhältnisse ziemlich große Axt mit sich herum trug. Die Menge tobte. Offenbar nahm er nicht das erste mal teil. Er stellte sich mit einem breiten Grinsen neben Chyara und schielte in ihren Ausschnitt.

„Du solltest das mit dem kämpfen lassen… ich zeige dir gerne eine andere Art dich zu bewegen.“, grinste der Mann und Chyara zupfte an ihrem Ausschnitt um ihn etwas zu verbergen. „Du solltest besser etwas Respekt zeigen Axtschwinger. Sonst wird die Schmach von einer Frau besiegt worden zu sein nur noch umso größer.“, erklärte der Mann aus der Wüste, bevor Chyara etwas sagen konnte.

„Was sagst du da Wüstenratte?“, fragte Varicaz sofort mit aggressiver Stimme nach. Männer.

„Ich glaube du hast mich verstanden.“, entgegnete der Mann aus der Wüste teilnahmslos und schwieg dann.

Lurine von der Schule der Dornenranke!“, erklärte eine weitere weibliche Stimme und eine junge Frau, die einen faible für Lederklamotten zu haben schien stellte sich neben Varicaz, der nun ihre zugegebenermaßen eindrucksvolle Gestalt ausgiebig betrachtete. Allerdings hielt er sich diesmal mit einem Kommentar zurück. Somit standen die ersten acht Teilnehmer. Offenbar stellte jede Schule erstmal nur einen Schüler, das sollte ihr nur recht sein.

Kapitel 9

Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass den Teilnehmern des Klingentanzturniers Zeit eingeräumt wurde, sich näher kennen zu lernen. Das Turnier war nicht nur dazu da die beste Klingenmeisterschule zu ermitteln, nein, es diente der Theorie nach auch dazu Freundschaften zu knüpfen. Als Chyara sich in der Halle umsah, die den Teilnehmern dazu diente sich vorzubereiten bezweifelte sie allerdings, dass sie sich mit einem anderen Teilnehmer einfacher Kommunikation hingeben konnte. Sie seufzte als sie sich erneut umsah und ihr Blick fiel auf Varicaz, der sie mit seinen Blicken förmlich auszog.

„Na wenn das nicht die Schülerin von Iador ist… Ich habe gehört, dass dich der alte Zausel aufgenommen hat, weil er dich ficken durfte… Was ist da dran?“, fragte Varicaz mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. Chyara mahnte sich zur Ruhe. Er wollte sie provozieren. Sie wäre nicht hier, würde sie ihre Schule beschämen. Das wusste er genauso gut wie sie es wusste.

„Genauso viel wie an den Gerüchten, die über dich im Umlauf sind nehme ich an.“, erklärte sie und Varicaz lachte. Er kam auf sie zu und streckte die Hand nach ihr aus. Ihr erster Gedanke war es seine Hand abzublocken und zu brechen, aber irgendetwas sagte ihr, dass das nicht grade das beste Mittel der Diplomatie war. Seine Hand glitt an ihre Wange und er schenkte ihr ein schon nahezu obszönes Lächeln. Nein Chyara… jeden Finger seiner Hand einzeln zu brechen war auch kein gültiges Mittel der Diplomatie… Reiß dich zusammen.

„An dem Gerücht, dass ich ein Tier im Bett bin, ist allerdings etwas dran, möchtest du es später mal ausprobieren?“, grinste er und Chyara tat ihr bestes nicht rot anzulaufen. Verdammt, wenn das hier vorbei war musste sie dringend etwas gegen ihre Jungfräulichkeit unternehmen. Jedes Mal fast zu erröten, wenn das Thema auf Sex wechselte war kein geeignetes Vorgehen, gegen Idioten.

„Tut mir leid, ich gehe ausschließlich mit Männern ins Bett und habe kein Interesse an Tieren.“, gab sie zurück und versuchte den Umstand zu ignorieren, dass ihr Gesicht wahrscheinlich trotz allem eine leichte rosa Färbung angenommen hatte.

„Na da hast du ja Glück, ich bin nämlich beides.“, grinste er und kam ihrem Gesicht unangenehm nah, ehe er von einer Hand an der Schulter zurück gezerrt wurde.

„Ein echter Mann würde das Desinteresse einer Dame zur Kenntnis nehmen, anstatt sie weiter zu bedrängen.“, erklärte Rilar, der Mann aus der Wüste mit einem ruhigen Klang in der Stimme.

„Was willst du Sandschlucker?“, fragte Varicaz wie der typische Idiot. Chyara war sich ziemlich sicher, dass er nicht schwerhörig war.

„Was ist das nur mit dir und deinem Gehör?“, entgegnete Rilar mit einer Gegenfrage. Offenbar war Varicaz Possen dieser Art nicht gewohnt, denn er ging auf den Wüstenbewohner zu und versetzte ihm einen Stoß gegen die Schulter. Rilar jedoch taumelte durch den Stoß nicht zurück, sondern er bewegte sich einfach einen Schritt zurück, was Varicaz Schlag die Wucht nahm.

„Pass auf was du sagst Wüstenratte. Die Kleine gehört mir, verstanden?“, stieß Varicaz hervor und Chyara zog eine Augenbraue in die Höhe.

„Ich werde keinem von euch im Wege stehen, sollte es das sein, was ihr beide wünscht.“, entgegnete Rilar ruhig und sein Blick drückte Schalk aus. Chyara konnte nicht umhin zu bemerken, dass sie den Wüstenbewohner mochte. Varicaz stieß ein Knurren aus, offenbar darüber erbost, dass Rilar ihm keinen Grund lieferte um ihren Streit weiter zu führen.

„Pass auf, was du sagst.“, stieß er hervor, doch diesmal unterließ er es erneut handgreiflich zu werden und stapfte davon.

„Danke Rilar aus der Wüste.“, erklärte Chyara, die nur zur Hälfte wusste, wie sie darauf reagieren sollte, dass Rilar sich für sie eingesetzt hatte und knickste vor ihm, wie es die Höflichkeit gebot. Ein raues Lachen drang unter den Stofflagen hervor, die sein Gesicht und seinen Kopf einhüllten.

„Wie es mir scheint ist die Höflichkeit nicht für jeden Einwohner dieser Stadt ein Fremdwort.“, erklärte Rilar ruhig und verbeugte sich freundlich vor Chyara. „Es ist mir eine Ehre euch kennen zu lernen Chyara von der Schule der Klingentänzer.“, sagte Rilar mit ruhiger Stimme.

„Mein Name ist Rilar al Chazat am Altair.“, ergänzte er und stellte sich vor. „Mir ist ebenso eine Ehre, mein Name ist Chyara Ariacoptis.“, stellte auch sie sich vor und schenkte dem Mann aus der Wüste ein zärtliches Lächeln.

„Ariacoptis? Ist dies nicht der Name des Leiters der Schule der Klingentänzer?“, fragte Rilar etwas erstaunt. „Ja, so ist es.“, entgegnete Chyara ohne zu wissen, wie sie tatsächlich auf diese Frage reagieren sollte.

„Es tut mir leid, darf ich fragen, wie viel an den Gerüchten dran ist?“, fragte der Mann aus der Wüste und blickte ihr dabei nicht in die Augen. Es wirkte schon fast so, als würde er schüchtern den Blick senken. Sie dachte kurz darüber nach, dann blickte sie ihn fest an.

„Es kommt darauf an, welche Gerüchte ihr gehört habt.“, entgegnete Chyara und konnte sich nicht dagegen wehren den Mann aus der Wüste sympathisch zu finden.

„Viele… Zu viele, die sich wiedersprechen. Habt ihr euch wirklich in der Gunst eures Meisters hoch geschlafen?“, fragte er und vermied es noch immer sie anzusehen. Chyara lief feuerrot na.

„Ich soll was?“, fragte sie schon fast entsetzt und biss dann die Zähne zusammen.

„Ich… Nein…“, stotterte sie und versuchte sich trotz allem bei ihrer Aussage möglichst glaubwürdig zu klingen. Das war lächerlich und unfassbar ekelhaft. Iador war ihr Vater. Dies war allerdings eine Information, die noch nicht die Runde gemacht hatte. Zwar hatte Iador sie als legitime Tochter anerkannt, aber Gerüchte brauchten immer etwas länger, wenn sie seröser Natur waren. Klatsch Geschichten hingegen verbreiteten sich stets wie ein Lauffeuer. Wahrscheinlich hatte die Tatsache, dass Valara sie ebenso als Tochter anerkannt hatte die schwelenden Flammen der Gerüchteküche etwas abgekühlt. Chyara räusperte sich und verbeugte sich dann.

„Verzeiht, diese Gerüchte waren mir selbst noch nicht bekannt…“, erklärte sie und lächelte dabei leicht. Der Mann aus der Wüste musterte sie kurz, dann wandte er erneut den Blick ab.

„Nein… Ich muss mich entschuldigen… würdet ihr erzählen warum es zu solchen Gerüchten kam?“, fragte er und hielt den Blick dabei abgewandt. Ihm war klar, dass er viel verlangte. Chyara entschied sich dazu kurz und pregnant zu schildern, was tatsächlich geschehen war.

„Ich habe mein ganzes Leben als Dienstbotin für Meister Iador gearbeitet. Ich habe ihn immer von der Arbeit aus beim Training beobachtet und ahmte seine Bewegungen nach… Als er mich einmal dabei ertappte, wie ich eine seiner Kata ausführte, als ich mit der aRbeit abgeschlossen hatte korrigierte er meine Schritte und fragte mich ob ich Interesse daran hätte ihm als Trainingspartnerin zu dienen. Ich stimmte zu und wir trainierten täglich nach den Trainingszeiten mit seinen Schülern. Eines Tages erregte ich das Missfallen eines seiner Schüler der mich angriff um mir, wie er es nannte ‚Eine Lehre zu erteilen.‘. Er hatte damit gerechnet auf ein wehrloses Dienstmädchen los zu gehen, dass dieses wehrlose Dienstmädchen sich gegen ihn zur Wehr setzen würde hatte er wohl nicht erwartet und so verlor er den Kampf. Iador entließ ihn mit der Begründung, dass jeder Mitarbeiter in seinem Haushalt unantastbar war, aus der Schule und der Schüler verließ das Haus in seinem Adligen Stolz gekränkt... Iador nahm mich als Schülerin an um denjenigen, den er entlassen hatte zu ersetzen… Das ist was geschehen ist.“, erklärte sie und der Mann aus der Wüste beobachtete sie ganz genau, letztendlich nickte er.

„Ich nehme an der Adlige Schüler, von dem die Rede war ist ein gewisser Lord Romar, der sich in so vielen Gerüchten ehrenvoll geschlagen hatte, während ihr mit unfairen Mitteln gekämpft habt.“, fragte Rilar nach und seine Augenpartie wirkte als würde er lächeln.

„Möglicherweise… Ich habe keinen Grund jemanden in seiner Ehre zu kränken, weil er etwas möglicherweise anders wahrgenommen hat als ich.“, gab Chyara vorsichtig zurück und der Mann lachte nun. „Egal wie eure Geschichte klingt, ihr seid mir sympathischer als jeder andere es mir beschrieben hat. Ich glaube euch, wenn es euch etwas bedeutet.“, erklärte der Mann aus der Wüste und räusperte sich, offenbar von seinem Lächeln etwas peinlich berührt. Zu gerne hätte Chyara gewusst, was sich unter der Maskerade des Mannes verbarg, denn mit der Sympathie stieg ebenso ihre Neugier.

„Auf einen fairen Wettstreit.“, erklärte der Mann aus der Wüste und streckte ihr die Hand entgegen. Chyara lächelte und schlug ein.

„Auf einen fairen Wettkampf Wüstenkämpfer Rilar.“, entgegnete sie, wobei sie seinen Namen mit seinem weichen Akzent aussprach. Die Betonung seines Namens schien ihn überrascht zu haben, denn er verbeugte sich knapp.

„Es war mir eine Ehre mit euch zu sprechen Klingentänzerin Chyara.“, gab er zurück und die Art, wie er ihren Namen mit diesem zeitgleich weich und rau klingen Akzent aussprach ließ sie erröten. Sie verbeugte sich ebenfalls, womit sie hoffte, ihr erröten vor ihm verbergen zu können. Warum konnten ihre Gegner nicht alle solche Arschlöcher sein, wie Varicaz? Das würde einiges einfacher machen. Rilar war einfach viel zu charmant, als das sie ihn gerne als Gegner betrachtete. Sie seufzte leicht.

„Alles in Ordnung?“, fragte Rilar mit leicht schroffer Stimme. Chyara nickte und lächelte. Dieser Kerl war auf der einen Seite freundlich und geradezu süß, auf der anderen war ein schroffer Krieger, der sich dem Rausch eines Kampfes nur zu bewusst war.

„Dieses Turnier… Wer glaubst du wird es gewinnen?“, fragte Chyara geistesabwesend und Rilar blickte sie an.

„Natürlich ich mir selbst gerne eine bestimmte Chance einräumen, jedoch weiß ich recht wenig über die meisten anderen Teilnehmer. Dieser Varicaz scheint sich seiner Sache sehr sicher zu sein, allerdings fällt es mir schwer einzuschätzen wie er kämpft. Seine Bewegungen wirken grobschlächtig, das kann dafür sprechen, dass er einen auf Kraft basierten Kampfstil hat, allerdings traue ich ihm zu, dass er vielen hier etwas vorspielt. Er tut auf unbeherrscht, allerdings kaufe ich ihm diese Haltung nicht ab… Jemand, der derartig unbeherrscht ist wäre schon längst auf meine Sticheleien eingegangen und hätte angegriffen. Nein… Ich glaube hinter ihm steckt mehr, als man vorerst vermutet. Die Schule des fliegenden Fächers, wie auch die der Blüten haben ebenfalls recht undurchsichtige Kämpfer aufgestellt. Beide Frauen wirken äußerst wendig und haben einen soliden Körperschwerpunkt.

Das sieht man an der Art, wie sie sich bewegen. Sie versuchen sich nicht hinter einer Fassade zu verstecken sondern setzen darauf, dass die Tatsache, dass sie Frauen sind, in einer von Männern dominierten Gesellschaft allein schon dafür spricht, dass sie gegen einen Mann keine Chance haben. Ich tippe darauf, dass sie beide äußerst ernstzunehmende Gegner sind. Beide bewegen sich wie Raubtiere in einer Nutztierherde, sie beobachten jeden Schritt, den ihre Gegner machen. Die Schule der Morgenröte hat einen ordentlichen Brocken als Kämpfer aufgestellt, dem es gelingt, allein durch sein Aussehen und seine imposante Gestalt schon als Champion zu wirken. Wir müssen nicht darüber reden, dass die Größe eines Teilnehmers keine wirkliche Rolle spielt, doch diejenigen, die keine Ahnung von der eigentlichen Materie haben sollte er bereits überzeugt haben. Die ersten Wetten werden zu seinen Gunsten ausfallen… Das ist ziemlich sicher, bei den restlichen beiden drei Teilnehmern tue ich mich etwas schwer, zumal gleich zwei Frauen darunter sind, die mich auf mehr als eine Art verwirren.“, gab Rilar zurück und warf ihr einen Blick zu. „Was ist es, was dich an der Schülerin der Dornenranke verwirrt?“, fragte sie und ein amüsiertes Funkeln legte sich in seine Augen.

„Es wundert mich, dass du dich erst über sie erkundigst, statt über dich.“, erklärte er mit amüsierten Tonfall.

„Ich bringe mich lediglich auf den neuesten Stand, über mich weiß ich schließlich schon alles.“, entgegnete sie mit einem kecken Lächeln.

„Nun, das kann ich verstehen… Lurine, die für die Schule der Dornenranke antritt trägt keine Klingenwaffen bei sich. Ich konnte nicht mal Messer an ihr wahrnehmen. Entweder versteckt sie ihre Waffen sehr geschickt oder sie nutzt tatsächlich keine. Dazu kommt, dass sie sich bewegt, wie jemand, der eher aus der Distanz kämpft und nur selten eine direkte Konfrontation eingeht. “, erklärte Rilar seine Verwirrung und Chyara blickte ihn interessiert an.

„Woran erkennst du, dass sie eher der Distanz kämpft?“, fragte sie und warf ihm einen neugierigen Blick zu. „Nun…“, begann er und blickte zu Boden, möglicherweise war er verlegen?

„Ich habe das Gefühl… Außerdem versucht sie mit jedem Schritt möglichst viel Raum zu überbrücken… Das tun Distanzkämpfer die versuchen ihrem Gegner möglichst lang fern zu bleiben.“, sagte er und Chyara schaute ihn skeptisch an. Hatte er tatsächlich ihre Schrittlänge gemessen? Ihr kam ein anderer Gedanke und sie lächelte schwach.

„Das ist eine schöne Umschreibung dafür, dass du ihren Hintern angegafft hast.“, entgegnete Chyara mit einem Lächeln auf den Lippen. Rilar blickte sie erst an, dann blickte er zu Boden…

„Ich habe nicht… Ich habe ihre Beine… Egal.“, rechtfertigte er sich und Chyara lachte leicht.

„Was verwirrt dich an mir?“, fragte Chyara und blickte ihm lächelnd zu. „Du… wirkst sehr selbstbewusst und zeitgleich unsicher… Ich kann nicht genau erkennen ob du dich auf das, was kommt freust oder ob du dich davor fürchtest. Du bewegst dich im einen Moment wie eine Kriegerin und im nächsten wie eine normale Dienstmagd.“, erklärte er und Chyara blickte ihn finster an.

„Hast du meinen Hintern etwa auch ausgiebig betrachtet? Oder meinetwegen meine Beine?“, fragte sie und klang dabei leicht vorwurfsvoll. Er machte einen halben Schritt rückwärts und starrte sie an, ehe er wieder den Blick senkte.

„Ich…“, begann er und schüttelte dann den Kopf.

„Ja habe ich, es wäre doch eine Schande einen so schönen Hintern und solche Beine einfach zu ignorieren.“, gab er zu und blickte ihr dabei in die Augen. Chyara wunderte sich etwas darüber, dass er so forsch war, sie hätte ihm eher zugetraut, dass er sein Bestes geben würde um sich aus der Affäre zu ziehen. Stattdessen spürte sie, wie die Röte ihr Gesicht hinauf kletterte.

„Ähm… Ich… Danke…“, erklärte sie völlig irritiert. Hatte sie sich grade dafür bedankt, dass sie auf ihren Hintern und ihre Beine reduziert worden war? Hätte sie nicht eigentlich empört sein sollen oder sowas? Sie atmete tief durch, anstatt sich beleidigt zu stellen. Dafür war es nun sowieso zu spät. Der Blick in Rilars Augen sah etwas ungläubig aus. Er konnte wohl ebenso wenig glauben, dass sie sich bedankt hatte. Cool bleiben Chyara.

„Danke für all die Informationen…“, erklärte sie und lächelte sie dabei, als hätte sie ihren Fehler nicht bemerkt. Sie wandte ihm den Rücken zu und tat ein paar Schritte von ihm fort. Auch jetzt war sie sich sicher, dass er sie angaffte. Unangenehm… Und doch auf eine seltsame Art und Weise schmeichelhaft. Was zur Hölle war nur los mit ihr. Das große Tor wurde aufgestoßen und der Kommentator betrat, flankiert von zwei Wachen die Halle.

„Das Turnier wird in Kürze beginnen.“, erklärte er und grinste breit in die Runde. Offenbar gehörte er zu der Art Person, die solche Momente genießen konnte. Ein seltsames Gefühl beschlich sie. Mit langsamen Schritten ging der Mann auf einen schmalen Tisch zu, der in der Mitte der Halle stand und betrachtete die Tischplatte, auf dem eine kleine Schachtel lag.

„Wir werden nun die Kampfpaare auslosen.“, erklärte der Kommentator und blickte in die Runde, als würde er ein Jubeln erwarten. Offenbar war er andere Arten von Turnieren gewohnt, denn er schnaubte und wandte sich wieder der Schachtel zu..

“Nun gut, seid ihr bereit?“, fragte er und blickte erneut in die Menge, als erwarte er Applaus. Niemand widersprach. Er seufzte und schob eine Hand in die Schachtel. Er fischte einen Zettel heraus und breitete ihn aus. Sofort zog er einen zweiten Zettel aus der Kiste und entfaltete ihn genauso.

„Varicaz gegen Zahira!“, rief er die erste Paarung aus und legte beide Zettel nebeneinander auf den Tisch. Mit gelangweilter Geste zog er zwei weitere Zettel hervor und legte sie nebeneinander.

„Marivar gegen Shyron!“, erklang seine Stimme erneut und Chyara atmete tief durch. Seine Hand zog zwei weitere Zettel heraus und entfaltete sie.

„Chyara gegen Lurine.“, rief er und grinste Chyara zu, als erwarte er irgendeine besondere Reaktion. Als er keine bekam wandte er einfach wieder den Blick ab und zog das letzte Pärchen.

„Rilar gegen Korvez, die ersten Paarungen stehen. Das Turnier beginnt in einer Stunde mit dem Kampf… Chyara gegen Lurine!“ erklärte er, nachdem er die Kampfpaarungen noch einmal untereinander gemischt hatte. Chyara war als erstes dran und das gegen einen Gegner, den sie schwer einschätzen konnte. Sie seufzte und schloss für einen Moment die Augen. Eine Hand griff nach ihrer Schulter und sie musste sich beherrschen demjenigen, der sie angefasst hatte nicht gleich mit einem Konter zu antworten. Als sie sich umwandte lächelte sie Lurine an, die in ihren Lederklamotten einfach unfassbar gut aussah.

„Auf einen guten Kampf.“, erklärte sie und lächelte Chyara dabei freundlich an.

„Ja… Auf einen guten Kampf.“, entgegnete Chyara mit einem Lächeln.

 

 

Vyr schwitzte aus allen Poren, als er das glühende Werkzeug aus der Esse zog in der seit einiger Zeit ein Behälter mit Schimmerstahl lag und das Metall zum Schmelzen brachte. Schimmerstahl war ein Gemisch aus Stahl und Silber, was sich besonders gut für die Jagd auf alle Arten von Monstern eignete. Er wandte sich um und blickte den Unterarmknochen des Alphas genau an, den er zu Recht geschnitzt hatte, sodass er ein klingenähnliches Gebilde formte. Das Schnitzwerkzeug glühte hell im Zwielicht des kleinen, zur Schmiede umfunktionierten Raumes. Er atmete tief durch und drückte die Spitze des glühenden Metalls in den Knochen. Langsam und behutsam ritzte er Runen in den Knochen.

In seiner magischen Sicht pulsierte der Knochen vor Magie, die langsam in die Runen sickerte, die bald im eigenen magischen Licht glommen. Immer weiter kratzte er Symbole in den Knochen und murmelte dabei schnell und konzentriert Worte, welche seine eigene Magie mit der des Knochens verknüpfte. Er wusste selbst nicht, was für magische Eigenschaften sein Schwert letztendlich haben würde, das lag letztendlich in der Art und Weise wie seine Magie und die, die im Knochen ruhten zusammen arbeiten würden. Mit ruhiger Gelassenheit und von der Stirn tropfenden Schweiß setzte er seine Arbeit fort. Die Magie würde den Knochen vor der Hitze des Metalls und den Schlägen des Schmiedehammers schützen, wenn er sich daran machte die Waffe zu schmieden. Er vollendete das letzte Symbol und wischte sich mit dem rechten Arm den Schweiß von der Stirn, wobei er wahrscheinlich eine Rußschicht auf seiner Haut hinterließ. Er atmete auf und betrachtete den Knochen über seine Anima.

Das Knochenstück glomm in einem hellen Licht und pulsierte in der eigenen magischen Energie. Er konnte sehen wo seine eigene Magie sich unter die des nekromantischen Knochenzaubers geknüpft hatte. Vyr atmete tief durch und legte den Knochen in eine der Gussformen, die sein Meister ihm zur Verfügung gestellte hatte und griff die Zange mit den langen Griffen, die den Kübel mit dem geschmolzenen Metall fest hielt und hob den Kügel aus dem Schmiedefeuer. Die Hitze schlug ihm ins Gesicht, doch er ignorierte es so gut er konnte. Erneut atmete er tief, murmelte einen weiteren Zauber. Gehorsam hob sich der Knochen etwas an, ehe Vyr das Metall darüber goss. Die Magie stellte seine Anima auf die Probe, er konnte spüren, wie der magisch mit ihm verbundene Knochen mit dem Metall übergossen wurde. Er spürte keinen Schmerz oder ähnliches, viel eher wirkte es wie ein gewisser Druck, der mit einem Mal auf einem lastete, wenn man mit einem Schlitten einen steilen Abhang hinunter fuhr.

Er hielt den Knochen weiter fest im Griff, auch wenn es ihm schwer fiel, erst als der Knochen vollständig von Metall umschlossen war ließ er die Magie los. Es fühlte sich seltsam an, als würde er eine Faust aufhebeln, die sich fest um den Griff eines Gegenstandes gekrampft hatte. Vyr atmete tief ein und aus, griff die glühende Rohling mit der Zange und legte sie auf einen Amboss. Er klemmte die Zange in eine Schraubzwänge, damit sie durch die Schläge nicht verrutschte, dann packte er den Schmiedehammer und murmelte ein paar Worte, welche die darauf eingeritzten Runen zum Aufleuchten brachten, dann begann er zu schmieden.

 

 

Das Gebrüll der Schaulustigen machte Chyara nervös, als sie im Vorbereitungsraum der Arena stand. Iador hatte ihr beschwichtigend auf die Schulter geklopft und sie angelächelt.

„Egal was da draußen passiert. Du darfst dir von Niemanden einreden lassen, du seist nichts wert. Du bist meine Schülerin und meine Tochter. Du bist mehr wert, als die meisten anderen da draußen. Ich bin stolz auf dich.“, erklärte Iador und lächelte sie aufmunternd an. Chyara lächelte ihn ebenso an. „Danke Meister.“, entgegnete Chyara mit einer Verbeugung und Iador lächelte schmerzhaft.

„Wann wirst du mich endlich Papa nennen?“, fragte er mit schiefem Grinsen. Chyara zuckte mit den Schultern und lächelte dabei. Es stimmte. Sie hatte seitdem er ihr gesagt hatte, dass er ihr Vater war nicht einmal Vater genannt. Egal wie er es auffassen mochte, sie war einfach noch nicht soweit und das würde er akzeptieren müssen. Irgendwie war es ihr einfacher gefallen Valara als ihre Mutter zu akzeptieren. Zu Iador hingegen hatte sie immer ein Verhältnis des Respekts gehabt. Er war ihr Ausbilder und jemand, der in ihren Augen Respekt verdiente. Ihn einfach Papa zu nennen kam ihr falsch vor.

„Meisterin Chyara, seid ihr bereit?“, fragte ein kleiner Mann mit kreisrundem Haarausfall, der durch eine der Seitentüren hinein gelangt war. Chyara musterte den jungen Mann und nickte, dann wandte sie sich wieder Iador zu.

„Ich werde da draußen mein Bestes geben um für die Schule Ruhm und Ehre zu erkämpfen.“, erklärte sie mit einem Lächeln. Iador schlang die Arme um seine Tochter.

„Mach dir nichts draus, wenn du verlierst. Die meisten Meister schicken ihre besten Schüler her. Die meisten dürften Magiekundig sein. Bilde dir nicht ein, dass sie nicht von ihrer magischen Gabe Gebrauch machen, nur weil du keine einsetzt.“, sagte Iador und ließ sie los. Zärtlich blickte er ihr in die Augen. „Verzeih… wir waren noch nicht soweit, dass ich dich in die Magie einweisen konnte.“, seufzte er und Chyara schenkte ihm ein Lächeln.

„Nach dem Turnier.“, gab sie zurück und wandte sich von ihm ab. Mit langsamen Schritten ging sie auf das große Tor zu. Der kleine Mann, stand an einem Hebel, der neben dem großen Eisentor stand. Verdammt der Hebel war einfach genau so groß wie er. Chyara nickte ihm zu und er stemmte sich auf den Hebel, der offenbar gut geölt war, denn er löste den gewünschten Mechanismus ohne offensichtlich großen Kraftaufwand aus. Die Tür schwang langsam auf und das Gebrüll der Menge vor den Toren wurde noch besser hörbar. Chyaras Herz hämmerte. Inständig hoffte sie, dass sie in der Lage war einen guten Kampf gegen Lurine zu liefern. Das letzte, was sie wollte war es Schande über ihre Schule zu bringen. Sie trat auf den heißen Sand hinaus, in dem sie leicht einsank.

Das würde die Sache nicht einfacher machen, aber Iador hatte immerhin daran gedacht, sie auch auf unbeständigen Terrain auszubilden, was das ganze erträglicher machte. Sie sog tief den Atem ein und Lächelte. Die Menge um sie herum jubelte.

„Aus dem Tor der aufgehenden Sonne: Chyara von der Schule der Klingentänzer!“, rief der Kommentator und die Menge jubelte noch lauter.

„Aus dem Tor der untergehenden Sonne: Lurine von der Schule der Dornenranke!“, folgte dicht darauf, als das zweite Tor ihr gegenüber aufschwang und Lurine hinaus marschierte. Chyara sog erneut tief die Luft ein, warum tat sie das? War sie so unheimlich nervös? Das war tatsächlich das erste Mal, dass sie ihr Können vor außen stehenden zur Schau stellte, aber das sollte sie nicht so nervös machen… War es vielleicht die Tatsache, dass der Ruf ihrer Schule im Moment ausschließlich auf ihren Schultern lag? Na klasse… das machte es jetzt natürlich besser.

Lurine lächelte ihr entgegen und Chyara wusste nicht allzu viel damit anzufangen. Lurine zog eine mit Dornen gespickte Peitsche von ihrem Gürtel und Chyara stutzte. Wie konnte ihr das entgangen sein? Hatte sie ihr Augenmerk wirklich so stark auf offensichtliche Klingenwaffen gerichtet, dass ihr diese Peitsche mit den zahlreichen scharfen Klingen nicht aufgefallen war? Chyara selbst trug ein Schwert an der Hüfte und einen Speer auf dem Rücken. Sie zog zuerst den Speer um den Reichweitenunterschied auszugleichen. Ob das wohl eine gute Idee war?

„Also gut, wollen wir beginnen Kleine?“, fragte Lurine mit einem so zärtlichen Lächeln auf den Lippen, dass sich Chyara fragte ob die Peitsche ihr nun zum Kampf oder zum Vergnügen dienen sollte. Chyara wirbelte den Speer herum und brachte sich in eine Kampfposition. Lurine fackelte nicht lange und die Peitsche zischte durch die Luft. Chyara wich zur Seite aus, während die Peitsche beim Aufprall auf den Sand knallte. Anstatt die Peitsche zum erneuten Hieb zurück zu ziehen, ließ Lurine sie in einem weiteren Bogen zur Seite auf Chyara zu schlagen.

Chyara schaltete sofort, sprang so hoch wie konnte. Die Dornen der Peitsche zerfetzten den Stoff an ihrem Rücken, doch davon abgesehen ging der Angriff fehl.

„Was ist los Chyara? Sieht so die Taktik deiner Schule aus? Einfach weg rennen und hoffen nicht getroffen zu werden?“; fragte Lurine mit ruhiger Stimme und Chyara verdrehte die Augen. Spott… Wie subtil. Aber das ganze hatte einen wahren Kern, vielleicht sollte sie allmählich zum Angriff übergehen. Die Peitsche schoss zu Lurine, die den Dornenbewährten Körper der Peitsche auffing ohne sich an den Klingen zu verletzen. Auf ihren Lippen lag noch immer dieses Lächeln. Es machte sie schier wahnsinnig.

Sie durfte sich nicht verunsichern lassen. Erneut raste die Peitsche auf sie zu. Chyara wich zur Seite aus, doch erneut schlug die Peitsche einen weiteren Bogen. Chyara konnte nicht ausweichen, also beschloss sie den Angriff zu blocken. Sie hob den Speer und die klingenbewährte Peitsche wickelte sich um das Holz des Stiels. Chyara biss die Zähne aufeinander  und packte die Peitsche. Die Dornen schnitten sich unangenehm in ihr Fleisch, doch sie ignorierte den Schmerz und zog an der Peitsche, was Lurine aus dem Gleichgewicht brachte. 

Sie taumelte nach vorne, doch Chyara war zu weit entfernt um wirklich einen Gegenangriff starten zu können. Lurine fing sich wieder, ehe Chyara einen Plan entwickeln konnte und grinste. Ihre Lippen bewegten sich zu einem undeutlichen Gemurmel und die Peitsche leuchtete auf. Sie glühte wie flüssiges Metall und Lurine zog sie zurück. Chyaras Speer wurde in zwei Stücke gerissen und Lurine lachte. Als Chyara etwas fassungslos auf beide Teile des Speers blickte, die nun in ihren Händen lagen. Magie… Verdammt nochmal, das war ätzend. Chyara stieß den Atem aus und konzentrierte sich.

„Na? So fassungslos? Hat dich dein Meister nicht in der Magie unterwiesen?“, fragte Lurine mit Hohn in der Stimme.

„Ich brauche keine Magie um dich zu besiegen. Ihr Blick fiel an die Bruchstelle des Speers, die nicht wie ein Bruch anmutete. Es wirkte eher wie ein sauberer Schnitt. Chyara entschied sich dazu ihren Kampfstil erst einmal zu beobachten, ehe sie zum Gegenangriff überging. Die Peitsche schoss durch die Luft auf sie zu und Chyara duckte sich unter ihr weg. Kein weißes glühen. Die Peitsch landete einen knallenden Schlag im Sand und Lurine zog die Waffe zurück, wobei sie versuchte Chyara zu treffen. Sie jedoch entging den Dornen.

Chyara wich zur Seite aus und rannte auf Lurine zu. Lurine stieß ein Zischen aus und schlug erneut mit der Peitsche zu, die sie diesmal allerding kürzer hielt. Das würde zwar Kraft aus den Schlägen nehmen, allerdings war es für den Nahkampf deutlich besser, eine kurze Waffe sein Eigen zu nennen. Die Schläge wurden flinker, folgten schneller aufeinander und machten es Chyara unmöglich schnell, näher an sie heran zu kommen ohne dabei von der Waffe getroffen zu werden. Ihre Hand schmerzte schrecklich und sie spürte, wie das Blut ihre Hand und den kaputten Stab des Speers entlang glitt. Sie brachte sich erneut auf Distanz, wobei sie mit dem Rücken auf eine Säule stieß, die eigentlich größten Teil zur Zierde dort stand.

Wahrscheinlich dienten sie als Deckung, denn sie stützten keine Decke oder etwas Ähnliches. Sie ragten einfach nur in die Höhe. Der Peitschenhieb kam wie gerufen. Chyara hechtete zur Seite und die Peitsche schlang sich einmal um die Säule. Die Peitsche begann zu glühen und Chyara kam eine Idee. Die Magie, die Lurine nutzte war nicht offensiver Natur, viel mehr diente sie dazu Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Es ist ihr damit nicht möglich einen Schlag auszuführen. Sie kann die Magie erst nutzen, wenn der Schlag bereits ausgeführt wurde und sich die Waffe um ein Hindernis gewickelt hat. Chyara atmete tief durch und fasste einen Entschluss. Sie rannte auf Lurine zu. Die Peitsche schoss durch die Luft.

Chyara spürte die Erschütterung einer Säule, die zu Boden gerissen wurde und blockte den erneuten Angriff mit dem angesägtem Griff des Speers, den sie sofort in den Sand rammte. Dann rannte sie so schnell sie konnte auf Lurine zu und warf den kurzen Speer, der auf ihre Hand zielte. Chyara wich zurück, ehe sie ihren Zauber nutzen konnte, spürte, dass die Peitsche sie davon abhielt und entschied sich dazu ihre Waffe los zu lassen um dem Speer zu entgehen. Sie sprang zurück und Chyara lächelte. Ihr Plan war aufgegangen, als Lurine aufsah schlug Chyara zu. Ihre Faust landete in Chyaras Gesicht und die Wucht ihres Gesamtgewichts, den sie in den Schlag gepackt hatte riss Lurine von den Füßen.

Lurines Nase war nicht gebrochen, aber angenehm war es sicherlich auch nicht. Chyara warf sich auf Lurine und landete mit den Knien auf ihren Armen, ihre linke Hand packte ihre Kehle, während die Rechte vorsichtig das Schwert zog. Lurine blickte sie völlig verdutzt an.

„Gewonnen.“, lächelte Chyara während das Blut vom Schwertgriff in den Sand tropfte. Ihre Hand war verletzt, aber das würde sie nicht davon abhalten ein Schwert zu halten. Lurine blickte sie perplex an, als realisiere sie erst jetzt, dass sie besiegt am Boden lag. Offenbar hatte auch das Publikum die überraschende Wende im Kampf erst jetzt registriert, denn mit einem Mal durchbrach Jubel die entstandene Stille.

„Unfassbar! Chyara von der Schule der Klingentänzer entscheidet den Kampf mit einem Fausthieb und stahlharter Entschlossenheit für sich! Lurine von der Schule der Dornenranke ist besiegt. Chyara atmete ruhig und erhob sich, ließ Lurine los und stützte sich kurz auf das Schwert, ehe sie die Klinge zurück in die Scheide gleiten ließ. Sie streckte Lurine die linke Hand hin um ihr aufzuhelfen, da ihre Rechte verletzt war.

Es wirkte, als musste Lurine ihre Niederlage erstmal verdauen, denn sie schloss die Augen und schien Emotionen nieder zu ringen, ehe sie mit einem Lächeln die Hand ergriff, die Chyara ihr darbot.

„Guter Kampf… Ich hätte nie erwartet, dass ich so besiegt werde…“, erklärte Lurine und Chyara zog sie mehr schlecht als recht auf die Füße. Ihr linker Arm war deutlich besser für so etwas geeignet. Es wurde Zeit dieses Defizit zu tilgen und auch ihre linke Seite besser zu trainieren. Ein fähiger Waffenarm war gut. Zwei waren besser. Sie lächelte.

„Nächstes Mal fällt mir bestimmt noch etwas Besseres ein.“, grinste Chyara und Lurine schüttelte den Kopf.

„Versteh mich nicht falsch, ich hätte mit wirklich allem gerechnet, aber mit einem Faustschlag ins Gesicht? Während du ein Schwert zur Verfügung hast? Das kam… überraschend.“, entgegnete Lurine noch immer Lächelnd. Das Schwert zu ziehen hätte Zeit gekostet, die ich nicht hatte, also dachte ich mir… Scheiß drauf...“, grinste Chyara und Lurines Lächeln wurde breiter.

„Du hast etwas sehr besonderes an dir… Ich hoffe du kannst es dir bewahren.“, erklärte Lurine und wandte sich ab um die Arena zu verlassen. Was sollte das denn jetzt heißen? Sie zuckte mit den Schultern und ihr Blick wandte sich zur Tribüne. Sie sah Iador, Vanic und Valara, die alle samt stolz zu ihr herab blickten. Bedauerlicherweise sah er auch Varicaz, der sie mit unverhohlenem Hass anblickte. Man konnte eben nicht jeden auf seiner Seite haben. Sie seufzte. Wahrscheinlich konnte sie ihn nur auf eine ganz bestimmte Art auf ihre Seite ziehen und darauf verzichtete sie nur zu gern.

 

 

Vyr blickte auf den das Schwert, was in der magischen Sicht dunkelgrün schimmerte. Erneut wischte er sich den Schweiß von der Stirn wobei er eine schmierige Rußschicht hinterließ. Es war vollbracht. Er wusste nicht wieviel Zeit er hier verbracht hatte, aber er war sich sicher, dass es deutlich länger gedauert hätte das Schwert zu schmieden, wenn er keine Magie zur Unterstützung hätte nutzen können. Das Schwert war ein Wunderwerk, Teils aus Stahl und Knochen geschmiedet, teils durch seine Anima und seinen Willen.

Die Schneide war rasiermesserscharf und Gestalt annehmen dank seines Willens niemals stumpf werden. Das Schwert war unzerstörbar und an Vyr gebunden. Es würde niemals bersten, solange sein Wille eisern blieb. Mit ruhiger Gelassenheit betrachtete er das Schwert, was im Zwielicht der Schmiede noch immer in einem schwachen grünen Schimmer leuchtete. Er wusste, dass das, was er geschaffen hatte keineswegs ein normales magisches Schwert war. Es hatte etwas düsteres, besaß eine eigene Aura. Er konnte nicht sagen ob das gut oder schlecht war.

Er griff nach dem Schwertheft und spürte sofort dieses leichte Kribbeln, was die Berührung an seiner Haut auslöste. Es war ein seltsames Gefühl. Er hob das Schwert hoch und betrachtete es in der Luft. Der grüne Schimmer, das magische Kribbeln an seiner Haut. Er hatte eine plötzliche Eingebung und näherte sich dem Eimer mit dem aufgesammelten Blut der Schleicher, was er teilweise genutzt hatte um die Klinge zu härten. Das Blut stank noch immer erbärmlich, doch Vyr ignorierte den Gestank und tauchte die Klinge hinein.

Das Kribbeln und Nagen an seiner Haut wurde noch stärker und er glaubte seinen Augen nicht. Das Schwert saugte das Blut der Bestien in sich auf. Rötliche Instarsien schienen sich auf magische Weise in das silbrige Metall der Klinge einzubetten. Es war ein Atemberaubender Anblick. Er konnte spüren, dass die magische Waffe einiges an Macht zugelegt hatte. Das war mehr als seltsam, doch er beschloss es als gegeben hin zu nehmen. Es konnte nur gut sein, wenn die Magie, welche in die Klinge eingebettet war sich vom Blut derer ernährte, die er töten musste.

Zwar hoffte er, dass es noch etwas dauern würde, bis er tatsächlich jemanden töten musste, aber er wusste wofür er dieses Schwert geschmiedet hatte und machte sich keine Illusionen. Ein Schwert war ein Werkzeug, was man nutzte um Leben zu nehmen oder Leben zu schützen. Egal ob er damit Gemüse oder Fleisch schnitt, es brachte unweigerlich den Tod. Die Klinge , in die jetzt kunstvolle rote Intarsien eingearbeitet waren, maß etwas mehr als drei Fuß, der Griff war etwas länger geraten um das Schwert notfalls auch mit zwei Händen führen zu können. Die Klinge war zweischneidig und die Parrierstange war der Klinge entgegen Schräg gehalten um eine Waffe, die sich darin verfing aus den Händen ihrer Nutzer reißen zu können. Von der eigentlichen Gestalt her war das Schwert nichts Besonderes, lediglich die Intarsien und die Aura verrieten, dass es sich hierbei um eine besondere Waffe handelte. Er dachte kurz darüber nach, was wohl Kage dazu sagen würde, doch das würde er noch früh genug herausfinden.

Er griff nach der Schwertschneide, die er in mühevoller Kleinarbeit gebastelt hatte. Er hatte die breitesten Knochen der seltsamen Bestie aus den Tunneln dafür benutzt. Er hatte sie zurecht geschnitzt und die beiden gleichen Stücke so angepasst, dass die Klinge hineinpassen würde. Die Seiten und die Spitze hatte er mit Metall zusammen gefasst  und dem ganzen Metallintarsien verpasst, die magische Runen formten. Die noch übrige Magie in den Knochen hatte er dezent wieder erweckt. Er hatte nicht vor sein ganzes Leben in Greypit zu verbringen und den Bimbo für die Nekromantieschulen zu spielen und das letzte was er wollte war, dass er da draußen auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, weil seine Schwertscheide nekromantische Magie ausstrahlte. Die Magie der Scheide richtete sich nach innen, hielt die magische Aura seines Schwertes in sich gefangen und wurde durch die Runen, die darauf abgebildet wurden stabiler gemacht. Als er die Klinge in die Scheide gleiten ließ seufzte er auf.

Sie passte perfekt Die Klinge seines Schwertes war nicht breit und die Schneide ziemlich dünn. Generell wirkte weder das eine, noch das andere besonders hochwertig. Jedenfalls für ihn. Es war ein Stück Anfängerschmiedekunst, nicht mehr, nicht weniger. Er war froh, dass er es geschafft hatte das Schwert so auszubalancieren, dass es zu seinem Kampfstil passte. Er befestigte das Schwert, samt Scheide mit Riemen an seinem Rücken und griff als nächstes nach den Knochenbeuteln. Er hatte die Zähne und Knochen der meisten Schleicher mit Runen versehen und ihnen mittels einfacher Knochenbelebung wieder Leben eingehaucht. Sie würden seinen Befehlen gehorchen und tun was nötig war, wenn es nötig war.

Er lächelte, als er darüber nachdachte, wie gut die Testläufe mit den einfachen Gegenständen verlaufen waren. Er hatte sich darauf beschränkt einfache Zähne zu nutzen und kleine Knochen anzuspitzen um sie notfalls als Wurfspieße nutzen zu können. Beim dritten Beutel hatte ihn der Ehrgeiz gepackt. Er hatte tatsächlich Wurfsterne aus dem Knochen der großen Bestie geschnitzt und mit Runen verziert. Er war eindeutig viel zu lange hier drinnen gewesen. Er hatte nicht viel gegessen, weil ihm nicht viel zur Verfügung stand, das Wasser hatte er sich stark einteilen müssen, was in Anbetracht der Tatsache, dass er sich in einer Schmiede befand nicht gerade einfach war.

Im Großen und Ganzen konnte er wohl mit seiner Arbeit zufrieden sein. Als er sich mit der Hand übers Kinn rieb verblüffte ihn die Tatsache, dass sich weiche Stoppeln an seiner Handinnenfläche rieben. Er war eindeutig viel zu lange hier drinnen. Er atmete tief ein und öffnete die Tür nach draußen. Kühle Luft schlug ihm entgegen wie ein Vorschlaghammer und kurz erfasste ihn Schwindel, den er mit einem Kopfschütteln abschüttelte. Verdammt nochmal. Er hatte nicht tagelang in dieser Schmiede gearbeitet um jetzt von der frischen Luft umgehauen zu werden. Sein Kreislauf stabilisierte sich allmählich, als er sich an die neue Temperatur gewöhnt hatte.

Gut. Langsam setzte er einen Fuß vor den anderen, in Befürchtung einen weiteren Schwindelanfall zu erliegen. Das fehlte noch. Vyr seufzte auf, als er zu schwitzen begann. Temperaturunterschiede waren wirklich rigoros. Er atmete tief durch. Bis zu Kages Versteck war es nicht besonders weit. Soweit würde er es schaffen müssen, dann konnte er sich ausruhen. Seine Arme und sein Rücken schmerzten furchtbar, genau wie seine Finger und sein rechtes Handgelenk. Seine letzten Tage hatten nicht grade unter den idealsten ergonomischen Bedingungen stattgefunden.

Er würde es überleben. So oder so. Jedenfalls, wenn er es zum Versteck schaffte ohne dabei zusammen zu brechen.

 

Erneut war das Gebrüll im Kolosseum unheimlich. Auf der einen Seite konnte man die Begeisterung heraus hören, andererseits klang es wie eine Symphonie aus Freude, Begeisterung, Schrecken und Angst. Chyara schüttelte sich um die Gedanken los zu werden. Gleich würden die nächsten Kämpfer ausgelost werden. Sie krallte die die Finger um das vor ihr liegende Geländer und biss die Zähne zusammen, als brennender Schmerz  ihre Hand erfasste. Ihr Blick wandte sich auf ihre rechte Hand, die in einen Verband eingewickelt war. Die Verwundung, die sie sich zugezogen hatte war nicht besonders schwer, aber trotz allem schmerzhaft. Der Schmerz pochte brennend in ihrer Handfläche und es fühlte sich an, als sie ganze Hand doppelt so groß, wie es sonst der Fall wäre. Sie atmete tief durch. Das ganze würde besonders unterhaltsam werden, wenn sie über längere Zeit eine Waffe halten musste. Angriffe wären kein Problem, aber sie sollte davon absehen Paraden auszuführen oder ihre eigenen Angriffe parieren zu lassen. Sie wusste nicht in wie fern ihre Hand mit der dadurch entstehenden Vibration und Erschütterung klar kommen würde.
 „Meine Damen und Herren!“, erklang die frenetisch, ekstatische Stimme des Kampfrichters, der sich auf seinem Podium erneut viel zu sehr präsentierte.

„Die nächste Kampfpaarung wurde ausgelost. Aus dem Tor der aufgehenden Sonne Marivar, von der Schule des fliegenden Fächers und aus dem Tor der untergehenden Sonne Varicaz, von der Schule der Schwarzäxte!“, brüllte der Kampfrichter und Chyara konnte sich einer gewissen Nervosität nicht erwehren. Varicaz war ein Großmaul, aber konnten seine Fähigkeiten tatsächlich mit seinem Mundwerk mithalten? Das war eine Frage, die man sich grundsätzlich stellen sollte. Viel und laut reden konnte jeder, aber Hunde die bellten bissen bekanntlich nicht. Das jedenfalls sagte ein Sprichwort. Marivar hatte sich in einteiliges Kleid gehüllt, dass ihre Rundungen perfekt betonte, dazu gewährte ihr maximale Bewegungsfreiheit.

Die würde sie auch brauchen, denn die beiden Klingenfächer in ihren Händen würden den Schaden, den die Axt, welche Varicaz bei sich trug nicht viel entgegen setzen können. Varicaz wirbelte die Axt herum. Sie war gewaltig, aber er führte sie mit einer Hand. Jedenfalls tat er das im Moment.
Wenigsten wirkte er gefährlich. Sie hoffte nur, dass er nicht geschickt genug war um gegen Marivar zu bestehen. Sie konnte den Axtschwinger einfach nicht leiden.

Das allerdings beruhte wahrscheinlich auf Gegenseitigkeit, wenn man einmal ausklammerte, dass Varicaz sie wahrscheinlich jederzeit ficken würde, wenn sich ihm die Gelegenheit bot. Bei dem widerwertigen Gedanken schüttelte sie sich. Sie wünschte sich, dass Marivar den Kampf gewann und Chyara den Axtschwinger niemals wieder sehen musste. Sie atmete tief durch und betrachtete den Mann, der mit einem selbstgerechten Grinsen auf seine Gegnerin zuging. Seine Gedanken waren genau so offensichtlich wie widerwertig. Erneut schüttelte sie sich.

„Ist dir kalt?“, fragte eine Stimme hinter ihr. Sie wandte sich um und blickte in die klaren Augen Rilars, die sie fragend anblickten. „Nein… Dieser Kerl ist nur einfach… Ekelerregend.“, entgegnete sie und Rilars Augen glänzten leicht.

„Er ist wohl einfach nicht dein Typ.“, lächelte er und zuckte dann mit den Schultern, ehe er sich neben sie stellte und zur Arena hinab blickte. „Und Marivar? Ist sie dein Typ?“, fragte Chyara ins Blaue, einfach um das Thema zu wechseln. Rilar zuckte zusammen. Oh? Volltreffer?

„Nein… Ja… Ich weiß es nicht. Ich habe nicht groß mit ihr geredet.“, gab Rilar zurück und zuckte letztendlich wieder mit den Schultern. „Seit wann müssen Männer mit einer Frau reden um sie attraktiv zu finden?“, hakte Chyara neugierig nach. Die meisten Männer, die sie kannte machten so etwas äußerst oberflächlich fest.

„Das mag nicht auf jeden zutreffen… Wie soll ich es ausdrücken… Ich will nicht sagen, dass sie mich rein körperlich nicht anspricht oder so… Das wäre gelogen… Sie ist sehr hübsch.“, sprudelte es aus Rilar heraus und Chyara wurde bewusst, dass Rilar offenbar nicht oft über solche Dinge sprach. Interessant.

„Was würde sie denn für dich noch attraktiver machen?“, fragte sie schelmisch, wohl nur um ihn etwas aufzuziehen. Irgendwie genoss sie es zu sehen, wie er sich vor Scham wandte. Ob sie das wohl zu einem schlechten Menschen machte? Wen kümmerte das schon. Sowas wie gute Menschen gab es nicht. Jeder hatte seine Schattenseiten.

„Naja… Ich weiß nicht… Vielleicht wenn sie etwas so… wie du wäre?“, antwortete Rilar zögernd und Chyara stutzte. Etwas mehr wie wer? Wie ich? Sie hob eine Augenbraue.

„Etwas so wie ich gibt es nicht… nur mich… Schätze ich.“, gab sie zurück und Rilar grinste peinlich berührt.
„Das befürchte ich auch…“, seufzte er und Chyara lächelte leicht. Was sollte das denn jetzt heißen? Sie beschloss es auf sich beruhen zu lassen und blickte zum Geschehen in der Arena herunter.  Offenbar hatte Varicaz ihr bereits angeboten seinem persönlichen Harem beizutreten und wie es schien hatte sie abgelehnt. Was für eine ungeheuerliche Überraschung. Der Kampf versprach interessant zu werden.

Kapitel 10

Als Vyr die Tür zum Versteck aufstieß hatte er mit vielem gerechnet. Mit dem Geruch vergilbtem Pergaments, Staubs und verbrennendem Wachs. Mit den typisch gestapelten Büchern, die auf dem Boden lagen, mit einer dicken Staubschicht auf dem Fußboden, in der seine Füße wie gewohnt Abdrücke hinterlassen würden. Womit er nicht rechnete war eine vor Freude schreiende Frau, die auf ihn zu gerannt kam, dabei fast eine Staubwolke hinter sich her zu ziehen schien und ihn von den Füßen riss. Der Aufprall auf den Boden war schmerzhaft, doch er ließ es sich nicht anmerken, als Zoe sich an ihn kuschelte, als sei er ihr Geliebter, der nach drei Jahren Geschäftsreise das erste Mal nach Hause kam.

„Du lebst!“, rief sie und umarmte ihn mit festem Griff. Es fühlte sich seltsam an, seltsam aber auch schön und für einen Moment schien es so, als würde sich etwas in seiner Brust entzünden. Gefühle strömten auf ihn ein. Gefühle, die er nicht verstand und somit unterdrückte. Die schwache Flamme, die sich in seiner Brust entzündet zu haben schien erlosch sogleich und er lächelte Zoe an.

„Ja… Schätze schon.“, erklärte Vyr mit ruhiger Stimme und wusste nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte. Sie kuschelte und schmiegte sich an ihn. Er verstand es nicht. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass sie sich so nahe gewesen waren, als er damit begonnen hatte Kages Auftrag zu erfüllen. Oder freute sie sich einfach nur darüber, dass es nun nicht mehr lange dauern würde, bis sie diese Stadt möglicherweise verlassen konnte? Das machte Sinn. Jedenfalls mehr Sinn, als zu denken, dass sie sich einfach nur freute ihn zu sehen.

„Es ist so schön dich wieder zu sehen…“, seufzte sie und schmiegte sich weiter an ihn. Sie spielte das wirklich gut, er hätte beinahe geglaubt, dass ihr tatsächlich etwas an ihm lag. Seine Hände griffen sacht nach ihren Schultern und wollten sie leicht weg schieben, doch sie klammerte sich an ihm fest.

„Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein…“, seufzte sie und ihr Körper bebte. Vyr war ob dieser schauspielerischen Leistung wirklich überrascht. Er dachte kurz nach. Er hatte sein Zeitgefühl komplett verloren, als er sich im ewigen Zwielicht der kleinen Schmiede aufgehalten hatte. Wie lang er wohl dort gewesen war?

„Wie lange war ich… Nicht hier?“, fragte er mit ruhiger und etwas verwirrter Stimme. Zoe blickte auf, blickte ihm ins Gesicht und er war überrascht echte Tränen in ihren Augenwinkeln glitzern zu sehen.

„Eine verdammte Woche… Ich dachte schon du wärst tot… Aber Kage hat mir nicht verraten wo du bist… Ich hab mir wirklich Sorgen gemacht.“, erklärte sie und Raygan war sichtlich irritiert. Er hatte eine ganze Woche in der Schmiede verbracht? Warum hatte er das nicht bemerkt? Er grübelte, suchte in seinem Verstand nach einer Möglichkeit ihr Sicherheit zu symbolisieren und das einzige was ihm einfiel war eine unvollständige Erinnerung an eine Zeit, bevor all das angefangen hatte. Einer Zeit vor Greypit. Jedenfalls glaubte er das. Er lag auf etwas weichem und eine Hand glitt ihm zärtlich durchs Haar.

Als er sich an mehr zu erinnern versuchte verblasste die plötzliche Erinnerung. Er schluckte und begann zärtlich durch ihr Haar zu streicheln. „Alles ist gut… ich bin wieder hier. Ich wollte dir keine Sorgen machen.“, sprach er aus, was er glaubte sagen zu müssen und spürte, wie sich Zoe allmählich zu entspannen schien. Wann war er ihr so wichtig geworden? Sie kannten sich kaum. Das war seltsam. Er atmete tief durch und erblickte Kage, der mit einem leichten Lächeln um die Ecke bog.

„Nun… Bevor du unseren Gast bezirzt würde ich doch gerne sehen, was du aus dem, was dir zur Verfügung stand gemacht hast.“, erklärte Kage lächelnd und er sah wie Zoe Feuerrot anlief und es plötzlich nicht eilig genug damit haben konnte wieder aufzustehen. Vyr stand ebenfalls auf und klopfte sich den Staub von den Klamotten, der sich im Vergleich zu sonst ziemlich in Grenzen hielt. Er sah sich um und wunderte sich. Hatte Kage Staub gewischt? Nein, das war nicht möglich. Seit 5 Jahren hatte er nicht einmal gesehen, dass Kage jemals einer solchen Tätigkeit nachgegangen war.
Er versuchte den Umstand zu ignoriere, was ihm nur mäßig gelang. Langsam ging er auf einen der Tische zu, die erstaunlich leer war, legte darauf die Knochenbeutel ab. Als letztes legte er das Schwert samt Scheide auf dem Tisch ab. Neugier funkelte sowohl in Zoes, wie auch in Kages Blick auf, doch beide gaben sich sichtlich Mühe dabei es zu verbergen. Es wirkte schon beinahe witzig zu sehen, wie Kage sich zuerst die Knochenbeutel vornahm und sorgfältig auskippte, um den Inhalt zu inspizieren.

Dabei war es offensichtlich, dass er am liebsten zuerst das Schwert in Augenschein genommen hatte. Zoe zeigte diese Art von Geduld nicht und berürhte den Schwertgriff. Ihre Hand Zuckte  zurück und schrie kurz auf, ehe sie das Schwert anstarrte, wie eine Schlange, die bedrohlich die Zähne zeigte.

„Was ist los?“, fragte Kage irritiert und Zoe tat einen weiteren Schritt zurück. Sie betrachtete abwechselnd das Schwert und die Hand mit der sie es berührt hatte.

„Das Schwert… es hat sich angefühlt als hätte es mich… gebissen… Nicht schmerzhaft… Aber es fühlte sich an, als würden unsichtbare Zähne an meiner Haut nagen…“, versuchte sie das Gefühl zu beschreiben und massierte sich etwas abwesend die Hand. Kage ließ von den gravierten und verzauberten Zähnen ab, die er eben noch ausgiebig betrachtet hatte und fasste nun stattdessen das Schwert ins Auge. Er nahm es vorsichtig in die Hände und hob überrascht den Blick.

„Das Schwert ist… Beseelt.“, erklärte er, als würde Vyr wissen, was er damit meinte. Tatsächlich konnte er mit dem Griff etwas anfangen, aber nicht so genau, wie er es gerne hätte. Also legte er den Kopf schräg, als verstehe er ihn nicht.

„Beseelt? Was meinst du damit?“, fragte er, doch Kage antwortete nicht sofort. Stattdessen zog er das Schwert aus der Scheide, die er zärtlich auf den Tisch legte. Seine Blicke wanderten über die feinen roten Intarsien auf der Silbrig glänzenden Klinge erneut richtete er den Blick auf Vyr.

„Wie hast du…?“, begann er, doch sprach nicht weiter. Vyr blickte ihm in die Augen und zuckte mit den Schultern. Ich habe einfach das Wissen, was ich aus verschiedenen Büchern gesammelt habe zusammen gekratzt und in einen Topf geworfen.“, erklärte er und ahnte, dass diese Aussage seinem Meister nicht reichen würde. Tatsächlich verstand er selbst nicht zu hundert Prozent was und vor allem wie er dieses Schwert geschaffen hatte. Es hatte sich angefühlt, als befinde er sich in einer Trance, während er an der Waffe gearbeitet hatte. Er hatte einfach getan, was er für richtig gehalten hatte.

Vielleicht konnte er es… Intuition nennen? Nein, diese Ausrede galt nur bei Frauen. Er beließ es also bei seiner Aussage und ertrug den ungläubigen Blick seines Meisters, der nun eine Hand über das Metall der flachen Klingen Seite gleiten ließ. Die Klinge schien sich mit einem leichten Nebelschleier zu umgeben, der sich um seine Finger herum aufwirbelte.

„Vyr… Was du da geschaffen hast ist… Ein Meisterwerk. Ein Seelenfresser… Diese Kunst ist… Seit Jahrhunderten vergessen…“, erklärte Kage ungläubig und blickte Vyr erneut an. Vyr hob eine Augenbraue.

„Seit Jahrhunderten vergessen? Das ist doch ein Scherz… Ich meine… Die hohen Nekromanten tragen doch alle einen… Dachte ich.“, gab Vyr zurück, war sich ob seiner Aussage allerdings nicht mehr sicher.

„Das tun die Meisten. Aber diese Waffen sind Erbstücke… Sie haben alle lange nicht mehr die Macht, die sie hatten, als ihr Schöpfer sie in Händen hielt.“, sagte Kage mit kaum zurück gehaltener Verwunderung in der Stimme.

„Hast du eine Ahnung was passiert, wenn jemand herausfindet, dass du, aus welchem Grund auch immer dazu in der Lage bist eine solche Waffe zu schmieden?“, setzte er mit einer Frage nach, doch Vyr schwieg. War das, was er getan hatte wirklich so verwunderlich? Er konnte es kaum glauben. Er war sich sogar sicher, dass er in Kages Bibliothek ein Buch gelesen hatte, was sich mit dem Thema beschäftigte. Hatte er das wirklich? Jetzt wo Kage all das gesagt hatte sank seine Sicherheit darüber beträchtlich.

„Ich… Könnte sicher sein, dass ich ein Buch zu dem Thema gelesen habe...“, brachte Vyr hervor, doch Kage blickte ihn irritiert an.

„Vyr… Es gibt keine Bücher darüber. Es handelt sich dabei um ein Geheimnis, was nur mündlich von Lehrer zu Schüler weiter gegeben werden durfte. Deshalb ist diese Kunst verloren gegangen. Es gibt nicht nur keine Bücher darüber, es gibt auch niemanden mehr, der das Geheimnis weiter geben könnte.“, erklärte Kage und packte ihn an den Schultern. Vyr starrte ihn völlig verstört an.

„Ich habe einfach… Einen Knochen mit Runen verziert, mit Metall übergossen, geschmiedet und letztendlich mit Runen versehen…“, brachte Vyr hervor und Kage schüttelte mit dem Kopf.

„Wir wissen beide, dass du mehr getan hast als du, aber ich wette du weißt es nicht mehr. Nicht wahr?“, gab Kage zurück und Vyr warf ihm einen irritierten Blick zu. Er kramte in seinem Kopf nach der Antwort, nach der Antwort, was er anders gemacht hatte, aber es fiel ihm nicht ein.

„Das kann nicht sein… Ich bin doch nicht… Verrückt… oder?“, brachte er hervor und bemerkte erst jetzt, dass er schneller atmete, dass er so schnell atmete, dass es kaum gut für ihn sein konnte. Sein Blick traf Zoe, die ihn besorgt anblickte.

„Nein… Ich denke nicht… Ich glaube nur, dass du mehr weißt, als es dir selbst bewusst ist.“, erklärte sich Kage und Vyr starrte ihn an, als sei er der wahnsinnige. Wie sollte es funktionieren, mehr zu wissen, als einem bewusst war. Das war doch totaler Unsinn.

„Was?“, presste Vyr ungläubig hervor. „Ich kann es dir nicht genau erklären, aber erinnerst du dich an die Nacht in der du zu mir gekommen bist?“, fragte Kage und blickte Vyr tief in die Augen. Natürlich erinnerte sich an die Nacht. Er nickte. Kage holte tief Luft.

„Ich hatte dich gebeten Runen aufzuschreiben, dir ich dir diktiere.“, ließ Kage den nächsten Hinweis fallen.

„Ja und?“, fragte vyr und war völlig irritiert.

„Einige dieser Runen hättest du nicht kennen dürfen. Sie gehörten zu einer alten Sprache, aus der nur noch Fetzen überliefert sind. Du jedoch hast sie aufgeschrieben ohne Fragen zu stellen und hast danach auf das Papier gestarrt, als könntest du dich nicht daran erinnern so ein Symbol jemals gesehen zu haben.“, führte Kage weiter und Vyr starrte ihn angestrengt an, als er versuchte sich genauer zu erinnern.

Ja… Da war etwas. Er hatte diese Runen gezeichnet, weil Kage ihm gesagt hatte er solle das erste zeichnen, was ihm einfiel, aber auf keinen Fall aussetzen. Er atmete tief durch, jedenfalls so gut es ging...

„Was soll das bedeuten?“, fragte er kraftlos und Kage lächelte ihn an.

„Nichts. Nur, dass mehr in dir steckt, als du es selbst für möglich gehalten hättest. Ich kann dir nicht sagen was es ist. Aber du bist eines mit Sicherheit nicht. Normal.“, erklärte Kage und Vyr starrte ihn an. Das war ja mal eine Aussage, die jeder gerne hören würde. Du bist vieles, aber mit Sicherheit nicht normal. Lächerlich. Andererseits…

„Das ist doch Blödsinn.“, hauchte er und heilt Kages Blick fest.

„Du hast dir meine Magie schneller angeeignet, als jeder andere es gekonnt hätte. Die Knochenmagie hast du bereits in einer Unterrichtsstunde verstanden. Nekromantenadepten der Knochenschule brauchen Monate bis die Runen, die sie zeichnen auch nur ansatzweise soviel Magie enthalten, wie jene, die du gezeichnet hast. Vyr, die Knochen und Zähne, die du in deinem Knochenbeutel hast pulsieren vor Magie. Wenn jemand deine Arbeit begutachtet wird er dich ohne Zweifel zu einem der Eliteschüler der Knochenschule halten.

Du bist ein Genie, was Magie angeht. Alles, was ich dir gezeigt habe hast du schneller gelernt, als du es hättest tun dürfen.  Und das hier… verstärkt meine Aussage noch einmal.“, erklärte Vyr mit ruhiger Stimme und legte dann eine Hand auf die Schwertklinge.

„Du weißt nicht, was du in den letzten Jahren geleistet hast. Normalerweise reichen die sieben Ausbildungsjahre eines Nekromantenadeptes nicht einmal richtig dazu die Grundlagen zu vermitteln, aber du? Du hast so viel gelernt… du hast mehr gelernt, als ich dir habe beibringen können.“, stieß Kage hervor und Vyr sackte zusammen. Ihm war abwechselnd heiß und kalt, auf seiner Stirn stand Schweiß. Was war mit ihm los? Ehe er sich zur Ruhe rufen konnte wurde alles um ihn herum schwarz.

 

 

Der Kampf tobte unerbittlich. Varicaz stürmte einmal mehr auf seine Gegnerin zu, die in den vergangenen Minuten mehr als einmal bewiesen hatte, dass sie nicht nur das Ausweichen ausreichend beherrschte, sondern auch den Gegenangriff, denn Varicaz Körper starrte allmählich, vor dunkel anlaufenden Hämatomen. Chyara zeigte sich beeindruckt von ihrer Leichtfüßigkeit, als sie sich abstieß und dem nächsten Axthieb nur um Haaresbreite entging. Sie landete auf den Händen und vollführte einen Flick Flack rückwärts, wobei ihr rechter Fuß Varicaz Kiefer stilvoll massierte.

Varicaz taumelte zurück und zog die Axt aus dem Sand. Offenbar war er noch immer der Meinung, dass sein Angriffsmuster genau das richtige für den Kampf gegen eine Gegnerin war, die seinen Angriffen bisher gänzlich entgangen war und ihm dazu auch noch bei jedem Angriff einen  harten Konter verpasst hatte. In diesem Moment schoss Chyara ein Gedanke durch den Kopf.

Was war, wenn Varicaz gar nicht so dumm war, wie man es bei seinem Auftreten erwarten würde? Varicaz stieß einen lauten Schrei aus, während er seine stattliche Axt herum wirbelte. Seine Muskeln spielten dabei beachtlich, was seitens des weiblichen Publikums jubelschreie zur Folge hatte.

Chyara stöhnte angewidert.

„Wie kann es sein, dass so viele Frauen in diesem Kolosseums nicht erkennen, dass es sich bei dem Kerl da unten um einen absoluten Vollidioten handelt?“, fragte Chyara etwas angewidert.

„Manche Frauen sehen nur, was sie sehen wollen. Davon abgesehen hast du unter Umständen Unrecht.“, entgegnete Rilar, der den Kampf mit Interesse verfolgte. Chyara blickte ihn irritiert an. Wobei irrte sie sich denn bitte? Sie blickte erneut in die Arena hinab und sah erneut wie Marivar einem Axthieb entging.

„Was meinst du?“, fragte sie neugierig und Rilar blickte sie prüfend an.

„Hast du es etwa wirklich noch nicht bemerkt?“, fragte er etwas fassungslos und Chyara starrte die kämpfenden erneut an. Varicaz schlug zu, Marivar wich zur Seite aus und streifte seinen Arm mit einem Fuß, als sie am Boden aufkam schlug sie ein Rad um fest mit beiden Füßen im Sand stehen zu bleiben. Sie atmete schwer und wirkte erschöpft, was ihr niemand verübeln konnte, so oft wie sie den Hieben ihres Gegners bereits ausgewichen war.

Varicaz hingegen…

Chyara stutzte. Varicaz sah völlig frisch und entspannt aus, wenn man mal von den blauen Flecken absah. Fakt war, dass er noch genügend Kraftreserven hatte um den Kampf noch mindestens eine Stunde  so weiter zu führen. Wenn der Moment kam, in dem Marivar nicht mehr die Kraft haben würde um Varicaz Hieben auszuweichen würde er die Taktik wechseln und gewinnen.Das schien sicher zu sein und als hätte Marivar ihre Gedanken gelesen wich sie dem nächsten Angriff nicht aus, stattdessen tat sie einen Schritt zur Seite, schlug leicht mit dem linken Fächer auf den Rücken des Axtkopfes und verpasste Varicaz einen harten Tritt gegen die Brust.

Der linke Fächer klappte auf und entblößte mehrere rasiermesserscharfe Klingen, die gefährlich im Sonnenlicht glänzten, ehe sie genutzt wurden um Varicaz tiefe Wunden an der Brust beizubringen.

Varicaz ließ sich durch den Angriff zurück drängen und ließ seine Waffe los. Die schwere Axt steckte im Axt und er war außer Reichweite um sie erneut nutzen zu können. Marivar nutzte die Chance und ging sofort zum Angriff über. Der zweite Fächer entfaltete sich und auch hier blitzten die scharfen eingearbeiteten Klingen auf, ehe die Kämpferin sich ihrem Gegner mit tänzerischen Drehungen entgegen sprang und attackierte.

Die Klingen pfiffen nur Millimeter an seiner Haut vorbei, doch es schien Marivar unmöglich diese kurze Distanz zu überwinden, denn es blieb dabei. Keine ihrer Klingen trafen ihn. Dann geschahen zwei Dinge auf einmal. Marivar trat falsch auf, rutschte im Sand nach vorn, Varicaz wich beiden Fächern aus, drängte ihre Arme zu beiden Seiten, ehe er ihren rechten Arm packte und mit brutaler Gewalt auf ihren Rücken drückte. Sie schrie auf.

Chyara war so, als könne sie das protestierende Knirschen ihrer Knochen hören.  Marivar versuchte sich aus dem Griff zu lösen, aber Varicaz hielt sie fest und zog den Arm weiter in die Höhe. Marivar schrie vor Schmerz, während Varicaz erregt lachte. Dieser widerliche Penner. Chyara konnte wetten, dass ihn das jetzt richtig anmachte. Am liebsten wäre sie in die Arena hinunter gesprungen und hätte ihm die Eier abgerissen.

Ekelhaftes Dreckschwein. Die Menge tat ihr Missfallen mit Buh Rufen und lautem Gemurmel Kund. Varicaz schien ihr etwas ins Ohr zu flüstern, sie schrie erneut. Offensichtlich hatte sie widersprochen. Erneut flüsterte Varicaz,, erneut ein Schrei. Chyaras Blick ging durch die Menge. Offensichtlich war Marivars Meisterin ebenfalls in Aufruhr. Sie fand ihren Blick. Erneut fragte Varicaz und diesmal ließ er sie los. Sie landete mit dem Gesicht voraus im Sand und Varicaz lachte lauthals.

„Sie hat aufgegeben! Die Schwarzaxt hat gewonnen!“, brüllte Varicaz und streckte triumphierend beide Arme aus. Marivars Meisterin rannte hinunter in die Arena und schnellte zu ihrer Schülerin. Beschützend stellte sie sich vor ihre Schülerin und blickte Varicaz grimmig entgegen. Varicaz lachte sie aus und sagte noch etwas, was Marivars Meisterin wütend zu machen schien, während Marivar lauthals zu weinen schien. Chyara stieß sich vom Geländer ab, wollte ebenfalls in die Arena herab rennen, aber Rilar hielt sie am Arm fest.

„Nicht.“, erklärte er und schüttelte den Kopf.

„Was?“, fragte sie und Rilar schüttelte einfach nur den Kopf.

„Ich glaube es ist besser, wenn das relativ wenige Leute mitbekommen. Varicaz ist ein Schwein.“, spie er hervor und sein Griff um ihren Arm war eisern.

„Ich werde ihn umbringen.“, erklärte Chyara und Rilar schüttelte erneut den Kopf.

„Umbringen? Ich weiß nicht ob das möglich ist, so einen Idioten will kein Gefilde haben…“, gab Rilar zurück und sein Blick war finster.

„Er hat ihr wirklich wehgetan…“, spie Chyara giftig und blickte fest in Rilars unnachgiebige Augen. „Er wird noch viel mehr tun.“, gab Rilar zurück und wandte den Blick ab.

„Was soll das heißen?“, brachte Chyara ungläubig hervor und Rilar schaute sie unverwandt an.

„Du glaubst doch nicht wirklich, dass er sie aus reiner Barmherzigkeit los gelassen hat… Nein, er hat das an Bedingungen geknüpft. Und so wie du ihn kennst, kannst du dir ausdenken was das für Bedingungen sind.“, spie er aus und wandte erneut den Blick ab. Varicaz war ein Scheusal und Chyara würde ihn leiden lassen, wenn sie ihm in der Arena entgegentrat. Am liebsten hätte sie sich jetzt schon los gerissen und wäre in die Arena hinunter gerannt um diesem Idioten den Schlag seines Lebens zu verpassen. Nun blieb es ihr nur noch zu hoffen, dass Varicaz Gegner vorzugsweise Männlich, oder dazu in der Lage waren ihn zu besiegen.

Sie biss die Zähne aufeinander. Die Lehrerin zog ihre weinende Schülerin auf die Beine, während Varicaz noch etwas sagte und dabei breit grinste. Er packte seine Axt und verließ die Arena.

„Ich hoffe du musst niemals gegen ihn kämpfen.“, hörte sie Rilar neben sich sagen und starrte ihn an.

„Wieso?“, fragte sie und Rilar schaute sie scheu an.

„Weil ich es nicht ertragen könnte, wenn dir das gleiche zustößt wie ihr.“, erklärte er und Chyara lächelte ihm zu.

„Keine Sorge, wenn er das Pech hat gegen mich anzutreten, werde ich ihn besiegen und dafür sorgen, dass er seine Taten bereut.“, gab Chyara zurück und ihr Blick wanderte erneut in die Arena hinab. In Marivars Gesicht lagen zwei Emotionen, die alle anderen überwogen. Charme und Angst. Sie hatte Angst vor dem, was passieren würde. Verdammt nochmal, wie sehr sie Varicaz dafür hasste. Sie kannte Marivar zwar nicht, aber niemand hatte es verdient solche Angst zu empfinden. Sie stieß den Atem aus.

„Bist du dir sicher, dass du gegen ihn gewinnen kannst?“, fragte Rilar mit ruhiger Stimme und Chyara wandte sich zu ihm um.

„Ich bin ihm gewachsen. Egal was passiert, ich werde mich sicherlich nicht unterwerfen.“, stieß Chyara hervor und Rilar nickte ruhig.

„Das hoffe ich.“, gab er mit ruhiger Stimme zurück, während sein Blick in undefinierbare Ferne gerichtet war.

 

 

Die Welt um ihn herum war dunkel. Eigentlich kein besonderer Unterschied zu sonst. Es hatte sich nicht viel verändert. Wenn er darüber nachdachte hatte sich nichts geändert. Bis auf diese eine kleine Tatsache. Diesen verdammten Kopfschmerzen, die sich anfühlten, als würde eine Horde Knochendiener rücksichtslos durch einen Porzellanladen marschieren. Er atmete tief durch und erhob sich langsam aus dem mehr oder weniger bequemen Polster der durchgelegenen Matratze.

Seine Hand hielt seinen Kopf, da ihn allmählich die Angst überfiel er könne abfallen. Angestrengt blickte er in die Dunkelheit und er konnte sich nicht erwehren ein schmerzerfülltes Seufzen auszustoßen, als er sich allmählich aufrichtete.  Langsam erhob er sich vom Bett, was zu seiner Verwunderung gut klappte. Anscheinend war als einziges Problem sein Kopf in Mitleidenschaft gezogen worden.

Er hatte keine Ahnung wie lange er geschlafen hatte, aber ihn befiel die Ahnung, dass es viel zu lange war. Mit langsamen, aber festen Schritten überwandte er den Abstand zwischen sich und der Tür und stieß sie auf. Er hörte leichte Schritte auf dem Holzboden und blickte in die Richtung aus der sie zu kommen schienen. „Vyr?“, fragte eine, ihm bekannte Stimme und Zoe schälte sich aus der Dunkelheit. Er hob grüßend die Hand.

„Hey.“, gab er zurück, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte. Mit langsamen, etwas zurück haltenden Schritten ging sie auf ihn zu und blickte ihm in die Augen.

„Du warst zwei Tage bewusstlos…“, erklärte sie und Vyr stieß scharf den Atem aus. Wieder zwei Tage verschwendet.  Wahrscheinlich hatte ihn die Zeit in der Schmiede einfach zu sehr erschöpft.

„Tut mir leid.“, gab er zurück, obwohl er nicht wusste wofür er sich entschuldigte. Zoe schüttelte den Kopf und lächelte.

„Ist schon gut… Kage sagte du bräuchtest die Ruhe… Du warst ziemlich erschöpft, als du aus der Schmiede kamst.“, entgegnete sie mit einem scheuen Lächeln. Vyr lächelte ebenfalls, was ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen wohl eher missglücke, als alles andere. „Wo ist Kage?“, fragte er mit ruhiger Stimme und Zoe lächelte, dann zuckte sie mit den Schultern.

„Er hat gesagt, ich solle die Tinktur herstellen, er würde bald zurückkommen.“, erklärte sie und Vyr blickte irritiert an. „Tinktur?“, fragte er und Zoe lächelte breit.

„Naja, die Tinktur, die ich für meine Meisterin herstellen sollte. Wenn man damit ein bestimmtes Symbol auf die Haut zeichnet ist es sozusagen ein Vertrauensbeweis und bemächtigt dich dazu die Stadt zu verlasen. Allerdings wird das Symbol nur im ersten Ring vergeben.“, lächelte sie und Vyr nickte dann. Wahrscheinlich wurde das Symbol ausnahmslos von den Schulleitern vergeben. Wenn die Welt wirklich so abweisend auf schwarze Magie reagierte, wie es Kage glaubte, dann machte das ganze Sinn.

Nur Leute mit bestimmten Voraussetzungen durften wieder aus der Stadt entlassen werden. Ein seltsamer Gedanke, aber nichts wirklich Unerwartetes.

„Das heißt du hast die Tinktur fertig?“, fragte Vyr mit freundlichem Blick. Zoe nickte hastig. Vyr nickte.

„Das freut mich, dann kannst du deine Prüfung ja bald abschließen und wieder zu deiner Meisterin zurückkehren.“, gab Vyr zurück und Zoes Augen wurden groß.

„Und was ist mit dir?“, fragte sie und schaute ihn etwas bedrückt an.

„Ich bleibe hier und beende meine Ausbildung. Danach sehe ich weiter.“, gab er zurück und Zoe ließ etwas den Kopf hängen. Hatte sie wirklich gedacht er würde mit ihr zusammen die Stadt verlassen? Nein. Er hatte zu viel Zeit und Mühe in seine Ausbildung investiert um sie jetzt einfach abzubrechen. Außerdem gab es da immer noch dieses Versprechen, was ihn an Kage band. Sein Leben gehörte Kage, solange bis er ein vollwertiger Nekromant war.

„Kage hatte bereits angekündigt, dass du das wahrscheinlich sagen würdest.“, erklärte Zoe und schaute zu Boden. Natürlich hatte er das. Vyr stieß einen Seufzer aus.

„Dann scheint es wohl so, als seien meine Handlungen deutlich vorhersehbarer, als ich es bisher dachte.“, entgegnete er und blickte Zoe in die Augen.

„Versprich mir eines Vyr… Solltest du diese Stadt jemals verlassen, besuche mich in Izalith.“, sagte sie dann und Vyr stutzte. Er sollte ihr wirklich versprechen, dass er sie besuchte, wenn er die Stadt verließ? Er hatte nicht vorgehabt sein restliches Leben hier zu verbringen, aber irgendwie kam ihm der Gedanke seltsam vor die Stadt hinter sich zu lassen. Natürlich wollte er die Welt um ihn herum kennen lernen, aber bisher kannte er einfach nichts anderes als diese Stadt. Würde er wirklich an einen anderen Ort passen? Das galt es wohl heraus zu finden.

„Gut. Wenn ich die Stadt verlasse werde ich nach Izalith kommen und dich besuchen.“, erklärte er mit ruhiger Stimme und zwang sich zu einem weiteren Lächeln.

„Versprich es.“, gab sie zurück und blickte ihn so an, als sei es das letzte Mal, dass sie sich sahen.

„Ich verspreche es.“, erklärte er und diesmal lächelte er aufrichtig, auch wenn es wahrscheinlich unnatürlich schief aussah. Sie schlang die Arme um ihn und drückte ihn an sich.

„Wenn du mich wirklich besuchst wirst du es nicht bereuen… Ich habe da eine Menge, die ich dir zeigen kann.“, hauchte sie in sein Ohr und er war froh, dass sie sein Gesicht jetzt nicht sehen konnte, denn er war sich sicher, dass er gerade errötete. Er hüstelte und lächelte sie an.

„Gut, ich werde dich auf jeden Fall besuchen. Jetzt zufrieden?“, fragte er mit einem breiten Lächeln und Zoe nickte ebenfalls grinsend.

„Fürs Erste.“, ergänzte sie die Geste und ließ ihn los. Die Tür öffnete sich knarrend und Kage betrat den Raum. Er warf Vyr einen ruhigen Blick zu und lächelte dann leicht. „Du bist wieder wach?“, fragte er und sah dabei etwas besorgt aus.

„Sieht so aus.“, entgegnete Vyr mit ebenfalls ruhiger Stimme und Kage nickte. „Fühlst du dich in der Lage den Auftrag durchzuführen?“, fragte er und Vyr dachte darüber nach. Abgesehen von den Kopfschmerzen hatte er keine Probleme, also sprach nichts dagegen, also nickte er.

„Ja, ich bin bereit, sie aus der Stadt zu bringen.“, erklärte er ruhig und nickte um seine Aussage zu untermauern. „Wer bist du?“, fragte Kage und Vyr lächelte.

„Carem Flux, Adept der Knochenschule und Untergebener von Meister Karan Isorvez.“, erklärte Vyr vollkommen ernst und Kage grinste.

„Gut.“, gab Kage zurück und lächelte beiden zu.

„Also dann Zoe, anscheinend war es das dann mit deiner Zeit in Greypit.“, erklärte Kage und war etwas überrascht, als auch er von ihr umarmt wurde.

„Solltet ihr jemals Greypit verlassen wollen… In Izalith gibt es einen Platz für euch. Das gilt auch für dich Vyr. Ihr habt mir geholfen und das werde ich euch niemals vergessen.“, erklärte sie und Kage strich zärtlich über ihr Haar.

„Ich werde daran denken.“, erklärte Kage mit einem unergründlichen Lächeln.

„Nun lasst uns die Tinktur auftragen.“, fügte er hinzu und Zoe ließ ihn los.“

 

 

„Hör auf deinen Arm zu kratzen… Das fällt zu sehr auf.“, sagte Vyr wahrscheinlich zum tausendsten Mal und Zoe blickte ihn missmutig an.

„Aber das Zeug juckt so sehr.“, quängelte sie und klang dabei wie ein Kind. Gemeint war das Mal auf ihrem Arm, was Kage in filigraner Kleinarbeit auf ihren Arm gepinselt hatte. Gepinselt war das falsche Wort, immerhin hatte er eine Nadel benutzt. Die Tinktur hatte sich dann gehorsam nadelfein auf ihrem Arm abgesetzt und glomm unnatürlich grün. Es war ein seltsamer Anblick.

„Das mag sein, aber wenn die Tinktur verblasst oder das Symbol unterbrochen wird, bekommen wir Probleme.“, antwortete Vyr genervt und stieß den Atem aus.

„Du bist wirklich ganz schlecht darin meine Nervosität und Paranoia zu beruhigen.“, stieß Zoe patzig aus und Vyr lächelte leicht.

„Gut, ich ziele nämlich nicht darauf ab deine Paranoia zu beruhigen. Du solltest jederzeit auf einen Angriff gefasst sein. Geh lieber davon aus, dass deine Hoffnungen enttäuscht werden, sonst bist du umso enttäuschter, wenn es tatsächlich schief geht.“, entgegnete Vyr mit ruhiger, gefasster Stimme.

„Ach ja? Und was machen wir, wenn es tatsächlich schief geht?“, fragte sie ungläubig.

„Naja… Bitte lieber um Vergebung, als um Erlaubnis?“, gab er zur Antwort und Zoes Augen wurden noch größer.

„Wie sieht diese Vergebung aus?“, stellte sie die nächste Frage.

„Meine Vergebung sieht so aus, dass ich den Wärter töte und weitere ablenke, während du rennst.“, erklärte Vyr und lächelte dabei so zuckersüß, dass man fast annehmen könnte, er hätte das schon tausende Male gemacht.

„Falls du diese Stadt jemals verlässt gebe ich dir einen Tipp. Eine Berufung als Motivationstrainer solltest du nicht anstreben.“, presste Zoe wutschnaubend hervor und Vyr grinste.

„Ich werde es mir merken. Es wäre besser, wenn du jetzt eine unbeteiligte Miene aufsetzt, wir werden gleich die Treppe in den zweiten Ring erreichen. Ich würde vorschlagen wir machen es so ähnlich wie letztes Mal… Nur, dass ich heute eindrucksvoller aussehe.“, sagte Vyr mit einem Mal geschäftsmäßig und Zoe nickte. Tatsächlich sah er deutlich eindrucksvoller aus, als zuvor. Was hieß eindrucksvoller. Er sah einfach mehr wie ein Nekromantenadept der Knochenschule aus.

Die Kapuze des verschlissenen schwarzen Mantels  verdeckte sein Gesicht notdürftig und kleine, mit Siegeln versehene Knöchelchen hingen an getrockneten Sehnen von seinem Gürtel und mehreren Stellen seines Mantels herab. Die verschiedenen Beutel, die ebenfalls an seinem Gürtel baumelten taten ihr Übriges dazu um den Eindruck zu vervollständigen.

„Bist du dir wirklich sicher, dass das reicht um die zu überzeugen?“, fragte sie noch immer etwas angespannt. Vyr seufzte, drückte einen Finger in den Dreck zu seinen Füßen und zeichnete ein Symbol auf ihre Stirn.

„Bäh… Was ist das?“, stieß sie hervor und rümpfte entsetzt über den Geruch die Nase.

„Das möchtest du nicht wirklich wissen.“, seufzte Vyr und Zoe stieß ebenfalls einen Seufzer aus.

„Nein… Wahrscheinlich nicht.“, stellte sie schulterzuckend fest. Vyr lächelte schwach.

„Also. Gefühllose Miene bitte.“, forderte er mit ernster Stimme und ein leichtes Lächeln spielte um ihre Mundwinkel.

„Ja Sir…“, gab sie zurück und ihre Gesichtszüge glätteten sich zu einer gefühllosen Miene. Die Treppe zum zweiten Ring befand sich nun genau vor ihnen und Vyr ging sie Kommentarlos hinauf. Zwei Stadtwachen blickten ihn durch die Finsternis durchdringend an.

„Wer bist du, Fremder?“, blaffte die Stimme des ersten Wächters und Vyrs Gesichtsausdruck war kalt.

„Ich bin Carem Flux ein Nekromantenadept unter Meister Isorvez.“, entgegnete Vyr emotionslos und blickte den Mann vor sich an, der sich mittels seiner Hellebarde drohend gebar. Sein Blick war ebenso durchdringend, wie der des Wachmanns, was dem Ganzen eine seltsame Atmosphäre verlieh. Der Blick des Wachhabenden wurde noch finsterer.

„Seid ihr der angehende Nekromant, der meinem Kollegen vor kurzem den Arm aus der Schulter gerissen hat?“, brachte der Wächter hervor und Vyr grinste.

„Und wenn es so wäre?“, entgegnete Vyr herausfordernd, hielt sich mit dem schnöseligen Unterton in der Stimme allerdings vorerst zurück. „Dann liegt ein Haftbefehl für euch und eure… Puppe vor.“, erklärte die Wache ungerührt und die andere Wache erwachte zum Leben. „Glaubt ihr, ihr könnt einen Nekromantenadept festnehmen?“, fragte Vyr mit ruhiger Stimme, wobei sich ein leicht psychotischer Ton mischte. Die Wache straffte sich und Vyr konnte seine Angst gerade zu riechen.

„Was habt ihr Soldat? Wollt ihr mich nicht festnehmen?“, fragte er mit dunkler, drohender Stimme, während er mit langsamen Schritten auf die Wache zuging. Zoe folgte ihm im gleichen Schrittmaß, sie hatte es wirklich drauf die ergebene Puppe zu spielen.

„Also Wache? Was ist?“, fragte Vyr mit geradezu mörderischem Ton.

„Ich…“, begann der Mann, doch Vyr schnitt ihm mit einer energischen Handbewegung das Wort.

„Kurze Worte. Ja oder Nein.“, forderte Vyr mit einer Geste die zeigte, dass er keine Zeit für so etwas hatte. Seine Lippen formten lautlose Worte, während die Siegel der kleinen Knochen an seinem Mantel zu glühen begannen. Die Wache tat einen Schritt zurück und sah so aus, als ginge ihm der Arsch gehörig auf Grundeis.

„Lasst euch nicht einschüchtern.“, erklärte eine ruhige Stimme hinter den Wachen, die sofort begannen stramm zu stehen. Ein junger Mann mit zurück gekämmten schwarzen Haaren schritt zwischen den Wachen hindurch und grinste Vyr an.

„Ich bin Marik Lazar, Student der Schlangenschule. Es freut mich dich kennen zu lernen Carem Flux. Es ist seltsam, dass ich noch nie von euch gehört habe.“, grinste der Mann, der einen Kopf größer war als Vyr und offenbar auch zwei bis drei Jahre älter. Vyr ließ sich nicht verwirren, jetzt kam es darauf an, wie gut sein Bluff tatsächlich war.

„Mach dir nichts draus, ich habe von dir auch noch nie etwas gehört, abgesehen davon gibt es keine Schlangenschule, sondern höchstens eine Vipernschule. Du solltest das nächste Mal darauf achten deinen Text auswendig zu lernen.“, entgegnete Vyr und ließ diesmal tatsächlich etwas ‚verwöhnter Schnösel‘ in seine Stimme fließen. Mariks Augen verengten sich zu Schlitzen.

„Du wagst es?“, fragte Marik ungläubig und starrte Vyr an, wobei er seinen Umhang zur Seite schlug und einen Krisdolch zog, der entlang der Klinge mit vielen kleinen Löchern gespickt waren. Die Löcher in der Klinge waren wahrscheinlich mit Wolle gefüllt, die in Gift getränkt worden war. Eine typische Waffe in der Vipernschule.

„Möchtest du es zu einem Duell kommen lassen Viper?“, fragte Vyr unbeeindruckt und griff nach seiner Anima. Er spürte, wie die Zähne in seinem Lederbeutel in Aufruhr gerieten. Vyr zog die Schlaufe auf, die den Beutel verschloss und grün schimmernde Bestienzähne begannen vor ihm in der Luft zu schweben.

„Wache, lautete die Information nicht, dass der Nekromantenadept nicht im Besitz von Ritualreagenzien war?“ , fragte Marik und blickte Vyr in die Augen. Die Wache schien mit einem Mal noch strammer zu stehen.

„Nun… Ich… Ja… Das haben die Wachen zu Protokoll gegeben.“, erklärte die Wache und Vyr lächelte schief. „Sieht das für dich so aus, als sei der Adept nicht im Besitz von Ritualreagenzien?“, erfragte Marik eine offensichtliche Information.

„Nun Meister… Vor ihm schweben Zähne, also…“, begann die Wache und Marik hob die Hand um ihn zu unterbrechen.

„Hast du meine Frage nicht verstanden Viper?“, schaltete sich Vyr wieder in das Gespräch ein und funkelte den Nekromantenadept vor sich erneut finster an.

Erneut verdiente Zoe einen Preis für ihre schauspielerische Leistung, denn sie blieb vollkommen ruhig.

„Doch, ich habe deine Frage verstanden Knochenjongleur. Bitte verratet mir… Warum schickt ihr nicht eure untote Marionette vor um mich zu beseitigen?“, gab der Nekromant zurück und Vyr lachte leise.

„Ich muss keine Puppe beschädigen um einen Idioten wie dich aus dem Weg zu räumen.“, erklärte Vyr und spielte seine Erheiterung dabei nur zur Hälfte. Ob Zoe nun eine untote Puppe war oder nicht, kein Nekromant würde mit einer Puppe gegen einen unbekannten Nekromanten antreten. Die Gefahr, dass sich die eigene Waffe gegen ihn richtete war zu groß.

Das gleiche ließ sich zwar auch ohne Probleme auf Ritualknochen anwenden, doch hatte Vyr genauestens darauf geachtet, dass er bei der Bearbeitung von Knochen und Zähnen keine Standardrunen verwendete.

„Also gut Knochenjongleur, zieh dein Schwert und lass uns herausfinden ob du ein wahrer Adept der Knochenschule bist.“, stieß Marik hervor und grinste dabei verächtlich. Hatte Vyr irgendetwas übersehen? Hatte die Knochenschule irgendeinen Standardschwertstil? Nein. Studenten der Knochenschule verwendeten normalerweise keine Schwerter. Oder? Vyr beschloss die Probe aufs Exempel zu machen und legte die rechte Hand an den Schwertgriff. Fast automatisch sog das Schwert Magie in sich hinein, die linke Hand hatte er vor sich erhoben, während sie von schwebenden Bestienzähnen umgeben war. Selbst er war nicht darauf vorbereitet, was geschah, als er den Seelenfresser aus der Scheide zog.

Es war wie eine magische Explosion, die eine Druckwelle aussandte. Vyrs Herz schien einen Schlag zu überspringen. Beide Wachen warfen sich klappernd und klirrend zu Boden, während Marik geräuschvoll nach Luft rang. Vielleicht hatte Vyr es etwas übertrieben?

„Was ist? Schon die Hosen voll?“, fragte er und konnte spüren, wie Zoe hinter ihm Stumm auf die Knie sackte. Er wusste nicht ob das von einer Puppe nun glaubwürdig oder aber unglaubwürdig war. Im Moment war es egal, denn beide Wachen rollten sich auf dem Boden und starrten sabbernd ins Nichts. Er hätte nie erwartet, dass sein Schwert eine solche Wirkung haben würde. Marik starrte ihn an.

„Ein Adept dürfte so eine Waffe gar nicht besitzen…“, stieß er angestrengt hervor und schüttelte den Kopf.

„Ich war schon immer etwas Besonderes.“, gab Vyr zurück und behielt den Gegner im Auge. Er wusste nicht, wie er Zoe die Anweisung geben konnte aufzustehen.  Marik starrte ihn finster an und hob den Kris. Er drehte den Dolch in einer geschickten Bewegung, sodass die Klinge nach unten zeigte. Vyr bezweifelte stark, dass es sich dabei um eine friedliche Geste hielt. Der linke Arm des Vipernadepten schnellte vor und ein grünlich fluoreszierendes Schlangenskelett schoss auf Vyr zu. Er sprang zur Seite, entging den Fängen und den Messerscharfen Knochen der Schlange.

Marik ging in den Nahkampf und zog mit dem Kris eine grün schimmernde Linie durch die Luft. Vyr wich nach hinten aus und stolperte dabei fast über Zoe. Verdammt nochmal, sie musste sich bewegen und zwar am besten bevor sie eine Bedrohung für sich selbst wurde.

„Es scheint so, als hättest du keine Kontrolle mehr über deine Puppe.“, stieß Marik verachtend hervor und Vyr musste grinsen. Es war eine Schande die Kontrolle über seine Untote Puppe zu verlieren, wenn niemand sie dir streitig machte.

„Ich brauche keine Puppe um dich zu besiegen.“, entgegnete Vyr und schenkte ihm ein Lächeln. Er musste sich beeilen diesen Kampf zu beenden. Nach dem magischen Impuls, den Vyrs Schwert freigesetzt hatte würden eine Menge Leute hier her auf dem Weg sein und nur der kleinste Teil davon würde aus Schaulustigen bestehen.

Vyr durfte keine Gnade walten lassen. Marik musste nicht nur außer Gefecht gesetzt werden, er durfte auch niemanden von dieser Begegnung erzählen. Also gut. Er griff nach seiner Anima, spaltete sie in zwei Teile auf. Der eine Teil hielt die Knochen, während der andere Teil damit begann Schatten aus der Umgebung zu sammeln. Marik ging erneut zum Angriff über, aber Vyr durfte nicht ausweichen, wenn er auswich, brachte er Zoe in Gefahr und das kam nicht in Frage.

„Zoe. Steh auf und bring dich in Sicherheit.“, stieß er hervor, als er den Hieb des Kris parierte.  Zoe hatte offenbar verstanden, denn sie stand auf und schleppte sich steif von ihm weg. Vyr lächelte. Marik grinste ebenfalls breit und das Schlangenskelett schoss erneut auf Vyr zu. Schatten wickelte sich um seinen linken Arm, mit der er das Schlangenskelett abfing und im festen Griff hielt. Der verfestigte Schatten hielt die Klingen davon ab ihn zu verletzen. Mit aller Kraft riss er an der Schlange und es geschah was er vermutet hatte. Marik taumelte nach vorn und verlor etwas von seinem Gleichgewicht. Das Skelett der Schlange war also fest mit seinem Arm verbunden.

Marik nutzte den Moment um einen weiteren Dolchstoß auszuführen, doch Vyr hatte es voraus gesehen und parierte den Angriff, eine Konterattacke traf ihn an der Brust und er stieß einen leisen Schrei aus. Die Magie des Schwertes pulsierte freudig, als sie das Blut des Nekromanten schmeckte. Die Intarsien auf der Klinge glommen rot auf. Marik stieß einen Schrei aus und die Knochenschlange in Vyrs Griff regte sich, bewegte sich eigenständig, als sei sie lebendig. Verdammt noch mal der Kampf gegen andere Nekromanten war wirklich problematisch.

Vyr ließ das Skelett los und hechtete zur Seite, ehe die Reißzähne der Schlange seinen Rücken von hinten durchbohren konnten. Es wurde wohl Zeit zu zeigen, dass die Zähne, die vor ihm schwebten nicht nur Tarnung waren. Ein Zahn nach dem Anderen schoss auf Marik zu, der erschrocken auswich, jedenfalls so gut es ging, doch es war nicht so einfach Pfeilschnellen Projektilen auszuweichen. Mehrere Zähne durchbohrten seinen Waffenarm, er verzog schmerzerfüllt das Gesicht und Vyr packte die Zähne, die getroffen hatten mit seiner Magie. Seine linke Hand drückte die Finger krampfhaft zu einer Faust zusammen. Es war unnatürlich schwierig, es fühlte sich an, als drückte er auf Stein, doch Vyr gab nicht auf.

Als es ihm gelang die Faust zu bilden, platzten die Zähne in Mariks Schulter und vollführten ihr zerstörerisches Werk. Der Schreck in seinem Gesicht war deutlich abzusehen, als der Dolch samt seines abgerissenen Arms in den Dreck fiel. Vyr beschloss es zu beenden. Die Klinge des Seelenfressers durchstieß Mariks Herz. Ein leicht blaues Leuchten legte sich erst in seine Augen, dann floss es über die Klinge und schien in den Intarsien zu versickern. Marik hatte ihn als Gegner nicht ernst genommen und dafür zahlte er jetzt.

Der Glanz in Mariks Augen war komplett erloschen und Vyr trat gegen seinen leblosen Körper, der Widerstandslos von der Klinge glitt und zu Boden sackte. Um sicher zu gehen, stieß Vyr die Klinge noch einmal in den Schädelknochen des Adepten und zerstörte das Gehirn, dann wandte er sich zu Zoe um, die sich in einer Ecke zusammen gerollt hatte. Er wischte das Schwert an Mariks Mantel ab und ließ es zurück in die Scheide gleiten. Die geistig armen Wachen blickten sich sofort verwirrt um. Sie hatten von dem, was geschehen war nichts mitbekommen. Jedoch schraken sie auf, als sie Mariks grausam hingerichteten Körper am Boden liegen sahen, von dem sich eine stetig wachsende Blutlache ausbreitete.

„Wie ihr seht, habe ich euren Freund besiegt. Habt ihr weiterhin Interesse daran mir im Weg zu stehen?“, fragte Vyr mit kühler Stimme, während er weiter auf Zoe zuging.

„N… Nein!“, stießen beide Wachen synchron hervor und Vyr nickte, ehe er Zoe die Hand entgegenstreckte.

„Es ist vorbei. Kannst du aufstehen?“, fragte er mit beruhigender Stimme und scheu nickte Zoe, ehe sie seine Hand ergriff um sich von ihm aufhelfen zu lassen. Vyr zog sie auf die Beine und lächelte stoisch.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er. Erneut ein scheues Nicken. Offenbar war sie grade nicht dazu in der Lage mehr zu tun. Das würde warten müssen. Sie konnten nicht hier bleiben.

„Gehen wir.“, erklärte Vyr ruhig und zog Zoe hinter sich her, die eher schwerfällig als schnell hinter ihm her schritt.

 

Chyara hatte sich die weiteren Kämpfe nicht mehr mit ansehen können. Natürlich war keiner der weiteren Teilnehmer ein so sadistisches Schwein wie Varicaz, aber das Ende seines Kampfes war zu viel für sie gewesen. Sie saß in einem der Räume, die den Kämpfern zur Verfügung gestellt worden war und ließ ihren Kopf auf der Tischplatte ruhen. Es hatte lange gedauert, bis Marivars Schreie sich in Stöhnen gewandelt hatten, doch letztendlich war es nur noch das, was sie hörte. Die beiden befanden sich im Nebenzimmer.

Wieso musste ihr die Kammer direkt neben diesem Irren zugeteilt werden? Sie hatte darüber nachgedacht einfach zu gehen, doch ihre Beine hatten sich geweigert. Sie wusste nicht, wieso sie sich diesen Qualen aussetzte, aber vielleicht war es ein notwendiges Übel um ihre Entschlossenheit zu stählen. Sie würde auf keinen Fall gegen Varicaz verlieren, wenn es  soweit war. Das Stöhnen von nebenan, war nunmehr nicht mehr als ein Wimmern, was es noch schlimmer machte, denn nun konnte sie Varicaz schnaufende Laute umso besser hören, während er Marivar vergewaltigte.

Es konnte sein, dass es falsch war von einer Vergewaltigung zu sprechen, wenn sie sich ihm gegenüber damit einverstanden erklärt hatte, aber ein erzwungenes Einverständnis änderte nichts daran. Es war eine Vergewaltigung, jedenfalls für sie. Chyara hatte sich geschworen ihm jeden ihrer Schreie mit einem Schlag zurück zu zahlen. Varicaz Schnaufen wurde lauter und er stöhnte auf. Ihre Faust traf die Oberfläche des Tisches mit einem lauten Knall. Ihre Hand schmerzte, aber das war ihr egal. Für den Moment.

Für den Moment konnte sie sich nichts Schöneres vorstellen, als Varicaz Kiefer mit ihrer Faust zu bearbeiten. Das Stöhnen und Schnaufen verklang allmählich zu schnellem Atem. Die Wände waren ein Witz und so hörte Chyara jedes Wort, was im anderen Zimmer gesprochen wurde.

„Bist du jetzt zufrieden?“, fragte die traurige und gebrochene Stimme Marivars und Varicaz lachte.

„Nein, aber geh nur, ich werde ich holen, wenn ich will.“, drang seine Stimme durch die Wand und Chyara stieß finster die Luft aus.

„Nein... Bitte nicht… Ich habe dir alles gegeben was…“, begann sie doch ein lautes Klatschen unterbrach sie, gefolgt von einem Aufprall. Sie weinte. Chyara stand auf und mahnte sich zur Ruhe.

„Du gehörst mir, bis ich dich freigebe. Verstanden?“, stieß Varicaz laut hervor und Marivar weinte nur.

„Verdammte Heulsuse!“, brüllte er halblaut und erneut hörte sie ein Klatschen, dazu ein leiser Schmerzensschrei von Marivar. Fünf Schritte bis zur Tür, weitere Sechs über den Flur, eine Tür, Vier Schritte bis zu ihm, ein glatter Schnitt durch die Kehle und die Welt würde sie bis an ihr Lebensende als Heldin feiern. Sie biss die Zähne aufeinander. Marivar Schrie.

„Bitte, ich tue alles, aber lass meine Haare los!“, wimmerte sie laut und Chyara überwand die Fünf Schritte bis zur Tür, schloss die Finger um die schwere Türklinke. Im Nebenraum krachte es erneut, als die Tür aufflog. Chyara öffnete die Tür und konnte noch sehen, wie Varivaz seine unfreiwillige Gespielin nackt aus dem Zimmer warf.

„Meine Kleidung…“, presste sie empört und ängstlich hervor.

„Die brauchst du nicht mehr. Du lebst um mir zu gefallen, besser du gewöhnst dich dran. Sollen dich die anderen doch begaffen…“, erklärte Varicaz mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. Als er den Blick hob erblickte er Chyara und grinste. Auch er war splitternackt.

„Na? Bist du gekommen um sie abzulösen?“, fragte er und sein Grinsen lud dazu ein ihm die Fresse einzuschlagen. Chyara zwang sich zur Ruhe.

„Ich bin hier um dir zu geben, was du verdienst.“, erklärte sie und konnte sich grade noch davon abhalten das Messer zu ziehen um es ihm 47 Mal in die Brust zu stoßen… Wahrscheinlich noch öfter.

„Ach ja? Jetzt bin ich gespannt.“, grinste er und Chyara lächelte, als sie mit verführerisch wiegenden Hüften auf ihn zuging. Sein Grinsen wurde breiter. Sie verschwendete keinen Blick an seinen nackten Körper, viel eher fixierte ihr Blick den seinen. Ihre Faust schnellte voraus und traf Varicaz am Kiefer, hinter der Kraft des Schlages, lag der Schwung ihres Armes, dahinter die Kraft des Schwungs ihrer Hüfte und dahinter, so konnte man vermuten die Kraft der gesamten Schöpfung.

Es krachte, als Varicaz Zähne aufeinander klappten und er von den Füßen gehoben wurde um unsanft auf dem Fußboden zu landen. Mit einem Laut innerer Befriedigung ließ sie die Tür vor sich ins Schloss fallen. Ihr Blick richtete sich auf die nackte Marivar, die vor ihr auf dem Boden lag.

„Komm… Wir machen dich erstmal sauber und ich besorge dir was zum Anziehen.“, lächelte Chyara und Marivar nickte traurig. Chyara zog sie auf die Beine und lächelte sie an. Kurz verschwand sie im Zimmer um eine Decke zu holen in die sie Marivar einwickelte.

Es kostete sie eine Menge Selbstbeherrschung um nicht erneut die Tür zu öffnen und Varicaz die Scheiße aus dem Leib zu prügeln. Sie hatte blaue Flecken… An den Hüften, am Hals, an den Brüsten, auch der flache Bauch war nicht verschont geblieben und die klebrige, zähflüssige Substanz, welche die Innenseiten ihrer Schenkel hinab lief gab ihr den Rest. Sie biss die Zähne zusammen und hielt sich zurück. Sie durfte ihn nicht töten. Und wenn, dann musste es wie ein Unfall aussehen.

„Na los… Die Dusche ist dort hinten. Ich sorge dafür, dass wir nicht gestört werden.“, erklärte Chyara mit einem ruhigerem Lächeln, als ihr zumute war. Panik, Wut, Verbitterung oder Unruhe hätten Marivar nur noch mehr verstört, als sie es ohnehin schon war. Mit unendlicher Vorsicht führte Chyara Marivar zu den Duschen und schloss die Tür hinter sich ab. Die Decke glitt achtlos zu Boden und erneut bot sich Chyara eine Geduldsprobe, als sie Marivars Schulter sah, die komplett blau angelaufen war.

„Ich werde dafür sorgen, dass er dafür büßt…“, flüsterte Chyara  und biss erneut die Zähne aufeinander. Das Wasser der Dusche unterbrach ihre Gedanken. Oder war es Maivars Weinen und Wimmern, was sie mit der Dusche zu übertönen versuchte? Sie wusste es nicht.

Kapitel 11

‚Nicht jetzt.‘, hämmerte es erneut in Vyrs Schädel. Er hatte einen Menschen getötet. Sein Schwert hatte seine Seele gefressen. Es kann sein, dass es notwendig gewesen war um das zu tun, was er tun musste, aber verdammt… Ein Mensch. Er war sich nicht einmal sicher gewesen ob er den Tod verdient hatte, aber es war notwendig gewesen um Zoe zu beschützen und ihr zu helfen wieder in Sicherheit zu gelangen. Zoe. Es ging um Zoe. Nicht um ihn. Er war der ausführende Arm, aber Zoe war diejenige auf die es ankam. Er sog erneut tief die kühle Luft ein, die so unerwartet frei von Leuchtsporen war und seufzte. Er wusste nicht wie weit sie gekommen waren, seit sie den zweiten Ring betreten hatten, er konnte auch nicht sagen wieviel Zeit seitdem vergangen war. Sein Zeitgefühl hatte sich verabschiedet, seitdem er dem Nekromanten Adept Marek sein Schwert in die Schläfe gerammt hatte um zu verhindern, dass Nekromanten das Geschehen aus seinen Erinnerungen heraus rekonstruieren konnten. Zoe hatte sich wohl wieder von ihrem Schock erholt, was gut war. Er würde sie noch brauchen um weiter zu machen.

„Ist alles in Ordnung Vyr?“, fragte sie bestimmt zum 100sten Mal und Vyr begriff erst jetzt, dass er auf die letzten 99 Fragen einfach nicht geantwortet hatte.

„Ja… Es ist nur ein Unterschied ob man ein Monster tötet oder einen Menschen, von dem man nicht weiß ob er eines ist.“, erklärte er und hielt seine Stimme bar jeglicher Emotion.

„Du hattest keine Wahl… Er hätte ich getötet… Und mit mir wer weiß was angestellt.“, versuchte Zoe ihn zu trösten und ihr Versuch war so unbeholfen, dass es ihm ein Lächeln abverlangte. Es war ein schwacher Trost und ein noch schwächerer Grund… Aber es war alles was Vyr in diesem Moment hatte und er hätte niemals gedacht, dass er jemals so froh darüber hätte sein können Zoe in seiner Nähe zu haben.

„Es ist seltsam…“, begann sie und Vyr wusste nicht wovon sie redete.

„Was meinst du?“, fragte er und Zoe lächelte ihn an.

„Ich mag dich wirklich, aber das hier ist das erste Mal, dass du wirklich… Verletzlich wirkst.“, erklärte sie und Vyr musste Lächeln.

„Das hält sich nicht lange, keine Angst. Mit den nächsten Drei Menschen, die auf mein Konto gehen stumpft das ab.“, entgegnete er und Zoe zog eine Schnute.

„So war das jetzt nicht gemeint…“, antwortete sie Kopf schüttelnd und Vyrs Lächeln wurde breiter.

„Mag sein… Aber…“, begann er und zuckte dann mit den Schultern.

„Ich mag dich auch Zoe.“, setzte er dann mit einem freundschaftlichen, fast zärtlichen Lächeln fort. Sie stockte in ihrer Bewegung und wurde knallrot im Gesicht. Seltsam. Er hatte doch nur gesagt, dass er sie mochte… Reagierte sie da nicht etwas über? Sie hüstelte, hielt sich eine Hand vor den Mund und ging dann wortlos weiter. Es dauerte eine Weile, bis sie das peinliche Schweigen mit den Worten:

„Wie lange dauert es bis zum ersten Ring?“, beendete.

„Nicht mehr lange schätze ich… Ich bin nicht besonders viel im zweiten Ring herum gekommen und den ersten habe ich noch nie gesehen.“, erklärte Vyr schulterzuckend und lächelte leicht.

„Irgendwie kommt es mir so vor, als würde die Stadt nach unten hin kleiner werden…“, seufzte sie und schien wirklich darüber nachzudenken.

„Das ist wahrscheinlich auch so. Die Stadt Greypit ist nach unten hin Trichterförmig angelegt und in 5 Ringe unterteilt. Ganz oben leben die Reichen und Einflussreichen und unten diejenigen, die kaum genug zum Überleben haben… Naja und ganz unten ist der Unterirdische Fluss. Es gibt einen Grund warum die Nekromanten die Stollen so weit unten angesiedelt haben. Sie gehen davon aus, dass die Monster, welche aus den Schächten kommen sich bereits an dem Volk unten satt fressen, ehe sie in die oberen Ringe kommen um nach weiterer Nahrung zu suchen.“, entgegnete Vyr mit trockener Stimme.

„Ich werde dich vermissen Vyr… Nein… Raygan…“, erklärte Zoe und ergriff seine Hand. Er wusste nicht genau, was sie jetzt dazu verleitete seine Hand zu nehmen und so etwas zu sagen, aber es störte ihn nicht wirklich. Tatsächlich fühlte sich ihre Hand weich und warm an. Zärtlich griff er zu und nahm auch ihre Hand.

„Ich werde dich auch vermissen.“, erklärte Vyr mit ruhiger Stimme wobei sich in die Klangfarbe etwas mischte, was er nicht verstand. Sie hielt ihn fest. Er wandte sich zu ihr um und lächelte um ihr Mut zu machen.

„Es wird alles gut werden… ich passe auf dich a…“, begann er, doch Zoe unterbrach ihn indem sie ihm einen Kuss auf die Lippen drückte. Ihre Lippen waren weich und fühlten sich gut an. Die Wärme ihres Körpers, der ihn umarmte wurde ihm bewusst und er erwiderte den Kuss zärtlich. In ihm keimte eine Wärme auf, die er nicht kannte, die er weder fassen noch begreifen konnte, zusätzlich keimte dieses Gefühl auf, was er bisher nur aus Biologiebüchern zu kennen schien. Dieses warme und zeitgleich kühle kribbeln im ganzen Körper, das Blut rauschte in seinen Ohren und er wollte nicht mehr von ihm ablassen. War das Begierde? Er wusste es nicht. Sie löste den Kuss zärtlich und lächelte ihn an.

„Wenn du mich in Izalith besuchen kommst… Machen wir dort weiter, wo wir aufgehört haben.“, lächelte sie zärtlich und auch in ihren Augen leuchtete etwas, was er als Begierde zu identifizieren glaubte.

„Okay…“, sagte er begriffsstutzig und hätte sie am liebsten wieder sofort an sich heran gezogen um sie erneut zu küssen. Nein. Keine Zeit dafür. Das war einfach zu viel auf einmal. Er sog tief die Luft ein und stopfte die Lust und Begierde, die er empfand zusammen mit den Gedanken darüber, dass er einen Menschen getötet hatte in eine andere Gedankenzelle. Später.  Er lächelte.

„Also gut… Wollen wir weiter?“, fragte er und zeigte dabei keine Emotionen. Zoe lief rot an, schlug den Blick nieder und nickte dann leicht. Er nahm ihre Hand fester und nickte ihr freundlich zu.

„Mach dir keine Sorgen. Ich lasse nicht zu, dass wir aufgehalten werden.“, seufzte er und sie nickte mit einem schmerzhaften Lächeln auf den Lippen.

 

 

Das Wasser klatschte hinter ihr auf Marivar hinab, die hemmungslos weinte. Chyara saß mit dem Rücken an die Duschwanne gelehnt da, wurde vom Duschvorhang von der tosenden Wassermasse abgeschirmt, die auf das Mädchen niederging.

„Was ist passiert? Also in der Arena?“, fragte sie mit leiser Stimme, wusste nicht ob Marivar sie überhaupt hörte, doch sie hatte den Eindruck irgendwas sagen zu müssen. Es war seltsam, das grade sie nicht wusste, wie man mit weinenden Frauen umging, aber dies musste sie jetzt hinten anstellen. Sie musste sich jetzt zu helfen wissen.

„Er… hat mich gepackt…“, begann Marivar mit zittriger Stimme und ein Schluchzen mischte sich unter. „Meinen Arm und hat… gedroht… ihn aus der Schulter zu reißen… wenn ich nicht…“, begann sie erneut, doch erneut unterbrach sie sich selbst, schluchzte und rang um Fassung. Chyara wartete geduldig, sie konnte sich vorstellen, dass das nicht einfach für sie war.

„Wenn ich nicht… Einen Blutschwur leiste… alles zu tun, was er von mir verlangt…“, erklärte sie, schluchzte und weinte, doch Chyara verstand. „Einen Blutschwur also… Gibt es eine Möglichkeit einen Blutschwur… Rückgängig zu machen?“, fragte Chyara mit ruhiger Stimme.

„Er müsste mich aus seinen Diensten entlassen…“, erklärte sie und Chyara nickte. Varicaz würde das nicht tun… Nicht bevor Marivar unbrauchbar geworden war… Oder sie ihm nicht mehr gefiel. Chyara beschlich das Gefühl nicht fest genug zugeschlagen zu haben, als sie Varicaz Kiefer bearbeitet hatte. Also gut. Sie musste Varicaz irgendwie dazu bringen Marivar aus seinen Diensten zu entlassen.

„Ich werde ihn dazu bringen den Blutschwur zu lösen.“, erklärte Chyara bitter und Marivar schluchzte. „Wie willst du das… Machen?“, wimmerte sie und Chyara dachte darüber nach.

„Darf die Lösung des Blutschwurs erzwungen werden?“, fragte Chyara und Marivar sagte nichts. Also wahrscheinlich nicht. Die Praktiken des Blutschwurs… Sie kannte sie nur am Rande und auch nur aus Erzählungen und Büchern, die über das Land Rath berichteten. Offenbar stammte Marivar aus Rath, wenn ihr das so viel bedeutete. Marivar schwieg, für Chyara war es Antwort genug. Sie seufzte.

„Aber es ist wie bei allen anderen Dingen… Wenn er den Blutschwur allerdings freiwillig löst… Sagen wir… durch eine Wette…“, begann Chyara und mit einem Mal schien Marivar stocksteif in der Duschkabine zu stehen.

„Das wird er nicht…“, begann sie doch Chyara lächelte nur.

„Er liebt dich nicht und es geht ihm auch nicht darum, dass du gut aussiehst… naja zur Hälfte vielleicht. Es geht ihm um Macht. Ich werde ihn an seiner Arroganz packen müssen… Das kann nach hinten losgehen…“, sagte Chyara leise und ruhig, Marivar schwieg. Bedrückende Stille senkte sich ins Bad, die nur vom Prasseln des Wassers gestört wurde.

„Tu dir das nicht an…“, erklang eine mühsam beherrschte Stimme hinter dem Duschvorhang und Chyara lächelte erneut.

„Es steht fest, dass ich im nächsten Kampf gegen ihn antreten werde. Und machen wir uns nichts vor… Er wird den Kampf nicht enden lassen ehe er von seiner Warte aus die Chance hatte mich zu unterwerfen und… sich gefügig zu machen, so wie er es bei dir getan hat. Ich pokere hoch, wenn ich es ihm einfacher mache, aber möglicherweise deine Freiheit für dich zurückgewinnen kann. Wenn dann möchte ich die einzige Sexsklavin eines Irren sein… Das macht es mir einfacher ihm Nachts die Kehle durchzuschneiden.“, erklärte Chyara, deren Stimme kalt und hart klang wie eine Klinge. Marivar schwieg.

„Halte durch. Vielleicht gewinne ich alles… Oder ich verliere… Und selbst dann ist es für dich halbes Leid, nicht wahr?“, sprach Chyara weiter und lächelte dabei, dann stand sie auf.

„Ich bringe dir noch Klamotten vorbei… Sie werden vielleicht nicht passen, aber in jedem Fall sind sie besser als nichts.“, sagte sie dann noch und verließ den Raum. Von Jetzt an gab es drei Dinge, die sie tun musste. Marivar Klamotten holen, eine Nachricht schreiben und zustellen und letzten Endes ihren Eltern einen Besuch abstatten. Sie würden wissen was das Beste war. Jedenfalls hoffte Chyara das.

Mit langsamen Schritten ging sie in ihr Zimmer, klaubte ein paar Kleidungsstücke aus dem Schrank zusammen, die mehr oder weniger ihre Größe hatten und brachte sie zu Marivar ins Bad. Sie stand nackt da, als Chyara die Tür öffnete und das kleine Paket aus Kleidern auf dem Waschbecken ablegte. Marivar blickte sie aus tief in den Höhlen liegenden, verheulten Augen an. Ihr nackter Körper glänzte durch die Wassertröpfchen, die an ihrer Haut hafteten. Die schöne Frau biss sich leicht auf die Unterlippe, ehe sie hervorpresste:

„Ich habe mir das selbst eingebrockt… Ich kann nicht von dir verlangen…“ Chyara schenkte ihr ein trauriges Lächeln.

„Ich kenne dich nicht und ich weiß, dass es deine Entscheidung war. Auch wenn sie nicht ganz freiwillig getroffen wurde. Aber ich sehe auf Varicaz Gesicht lieber einen schmerzerfüllten Ausdruck, als dieses selbstgerechte Grinsen, mit dem er dich Nacht für Nacht vergewaltigt. Ich werde das nicht zulassen. Das hat niemand verdient und wenn ich scheitere habe ich die Konsequenzen selbst zu tragen.“, erklärte Chyara und Marivar hörte stillschweigend zu, den Blick zu Boden gerichtet.

„Geh Varicaz aus dem Weg. Schließ dich ein, tu so als seist du nicht da, wenn er bei dir klopft. Bitte deine Meisterin darum, dass sie ihn auf Abstand hält. Ich werde dir ebenfalls jemanden darum bitten auf dich Acht zu geben.“, seufzte Chyara und blickte Marivar in die Augen.

„Wenn ich den Kampf verliere wirst du früh genug davon erfahren.“, ergänzte sie und lächelte.

„Bis dahin. Öffne Vanic deine Tür, er kommt von mir… Er ist mir noch etwas schuldig.“, gab sie hinzu und lächelte über sich selbst. Sie hätte nie gedacht, dass sie Vanic einmal freiwillig auf das Zimmer einer anderen Frau schicken würde. Einmal war wohl immer das erste Mal. Sie gab Marivar nicht die Chance noch etwas zu sagen, denn sie verließ den Raum und schloss hinter sich die Tür. Sie konnte jetzt nichts gebrauchen, was ihre Entschlossenheit schmälerte.

Sie konnte nicht mit ansehen wie andere unter diesem Monster Varicaz litten. Sie schritt ihrem Zimmer entgegen, öffnete die Tür und setzte sich an den kleinen Schreibtisch, auf dem Ein Stück Papier, eine Feder und ein kleines, verkorktes Glas Tinte stand.

Einzig und allein für den Zweck, sein freiwilliges Ausscheiden aus dem Turnier schriftlich festzuhalten. Sie nutzte den Papierbogen jedoch zu einem anderen Zweck. Mit einem Lächeln auf den Lippen schrieb sie, was ihr auf der Seele brannte, dann machte sie sich auf den Weg zu ihren Eltern, nicht aber ohne das Stück Papier zuvor gefaltet unter Rilars Tür hindurch zu schieben.

 

 

Der Aufgang zum ersten Ring war prachtvoller als alles, was Vyr jemals gesehen hatte. Im Gegensatz zum Rest von Greypit, der zum größten Teil aus groben Stein heraus geschlagen worden war der erste Ring aus weißen Mamor und glatten, schwarzen Stein gemeißelt. Die Treppe selbst war ein absolutes Kunstwerk. Komplett aus weißem Stein gearbeitet und glatt polliert, an den Rändern der Felswand waren detaillierte Figuren aus dem Fels gemeißelt. Es war ein unfassbarer Anblick und mehr, als Vyr es jemals zu sehen erwartet hatte. Mit einem Seufzen riss Vyr sich vom einzigartigen Anblick los und blickte zu Zoe. Er hatte jetzt keine Zeit dafür seine künstlerische Ader zu entdecken.

„Bist du bereit?“, fragte er und Zoe nickte verbissen. Vyr nahm ihren Arm, was sie zu überraschen schien. Allerdings schmälerte sich ihre Begeisterung, als Vyr ihn behutsam umdrehte um die Markierungen auf dem Unterarm zu begutachten. Offenbar hatte ihr ständiges Kratzen dem eigentlichen Bild keinen Schaden zugefügt. Gut. „Hier wird die Sache mit der Puppe nicht ziehen. Verhalte dich wie eine Gesandte… Das wird das Beste sein.“, erklärte Vyr und Zoe atmete tief durch, ehe sie nickte. Vyr zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht. Sie lächelte ihn an.

„Ich finde ja, du siehst besser aus, wenn du den Mist mit der Kapuze lässt.“, erklärte sie mit einem beinahe zärtlichen Lächeln. Vyr lächelte ebenfalls schwach, ehe er dem gesammelten Schatten befahl sein Gesicht unter der Kapuze komplett unkenntlich zu machen. Ab diesem Zeitpunkt hielt er sein Anima stillschweigend aufrecht, ganz dich unter dem bemerkbaren Krad sammelte er magische Energie und ließ sie Zeichen in die Haut seines Unterarmes brennen. Nutzbare magische Energie, die niemanden so schnell auffallen würde. Das war zumindest seine Hoffnung, doch er war sich lange nicht mehr sicher, ob sich das, was er im ersten Ring vorfinden würde tatsächlich mit seinen Erwartungen übereinkommen würde.

Er sog tief die saubere und lediglich nach Staub riechende Luft ein. Vyr gab sich Mühe wie ein ernstzunehmender Nekromant auszusehen, während Zoe ihr Haar zu Recht machte um weniger wie eine Puppe zu wirken.

„Bist du bereit?, fragte er und Zoe nickte, während sie erneut das Mal auf ihrem Arm in Augenschein nahm. Aus irgendeinem Grund beruhigte es ihn, dass sie noch angespannter und aufgeregter war, als er. Er nickte und ging mit selbstgerechter Sicherheit voran. Die glatten Stufen unter seinen Füßen fühlten sich ungewohnt an und aus irgendwie beschämte es ihn ein wenig, dass seine schmutzigen Schuhe schmierige Abdrücke auf dem schneeweißem Mamor hinterließen.

Was war nun wirklich sein kleinstes Problem. Es war unfassbar wie man sich im Angesicht einer fast unvorhersehbaren Prüfung noch um solche Kleinigkeiten Sorgen konnte. Er sog tief die Luft ein und setzte so selbstbewusst wie irgend möglich einen Fuß vor den anderen.

Zoe folgte ihm mit ebenfalls aufgesetztem Selbstbewusstsein, wobei sie immer wieder einen Vorwand zu finden schien in ihren Haaren herum zu nesteln. Offenbar hatte jeder irgendeinen nervösen Tick , den er nicht steuern konnte. Ebenfalls eine beruhigende Tatsache. Langsam erklommen sie die Treppe, was Vyr vorkam wie ein ewig währender Marsch. Das Ende näherte sich in rasanter Geschwindigkeit. Viel zu schnell, wie Vyr fand.

Die Soldaten am Ende der Treppe unterschieden sich massiv von denen  am Tor zum zweiten Ring. Sie trugen dunkle Roben, in die offenbar Metallplatten eingenäht waren und trugen Masken auf dem Gesicht. Nekromanten. Der linke Wächter trug eine Maske, die an ein Eulengesicht erinnerte, der Rechte trug eine Maske, die das Antlitz einer Katze zur Schau stellte. Der Sinn der Masken war klar. Unter den Stadtwachen durfte es keine Rivalitäten geben.

Ob diese nun von den verschiedenen Schulen herrührten oder persönlicher Natur waren, war in diesem Fall egal. Die Stadtwachen gehörten der gleichen Kaste an und ihr Ziel war das Wohl der Stadt. Inständig hoffte Vyr hier keinen Vertreter der Knochenschule anzutreffen, der seine Tarnung hätte auffliegen lassen können.

„Keinen Schritt weiter.“, erklärte eine männliche Stimme. Die Eule hatte gesprochen.

„Name und Begehr.“, forderte die Katze. „Mein Name ist Carem Flux, Nekromantenadept unter…“, begann er und die Eule unterbrach ihn mit einer wedelnden Handbewegung.

„Ich habe nach deinem Namen gefragt, nicht nach deiner Lebensgeschichte. Wer ist die Frau?“, unterbrach die Eule Vyr und Zoe schluckte wohl hörbar hinter ihm.

„Mein Name ist Zoe Feuertänzer, ich bin im Auftrag der Hexen von Izalith in der Stadt und dieser Mann ist meine Eskorte.“, erklärte Zoe und schenkte den beiden Nekromanten ein nervöses Lächeln.

„Eine Botschafterin aus der Schwarzen Wüste? Interessant. Wo ist euer Siegel?“, fragte die Katze mit schnurrender, weiblicher Stimme. Vyr musste sich zusammen reißen um nicht der Absurdität wegen aufzulachen. Zoe hob ihren Arm auf dem die grün glühenden Linien zu sehen waren.

„Sagt mir… Wenn ihr eine Botschafterin seid, was macht ihr dann im zweiten Ring?“, fragte die Eule und Vyr schluckte. Eine berechtigte Frage.

„Mein Kontaktmann… War wohl etwas paranoid… er hat mir auch seinen Namen nicht genannt. Es war ein ziemlich seltsamer Typ.“, erklärte Zoe und Vyr hoffte innerlich, dass diese Aussage nicht nach hinten losging. Er war sich mehr als unsicher ob er in der Lage war gegen zwei ausgebildete Nekromanten auszurichten. Bisher zweifelte eher daran. Trotz allem griff er vorsichtshalber nach seiner Anima, der Kopf der Katze ruckte zu ihm herum.

„Ganz ruhig Kleiner. Das sind Routinefragen.“, erklärte die Katze und Zoe begann auf ihrer Unterlippe herum zu kauen. Vyr ließ seine Anima nicht los, sorgte dafür, dass sich Zähne und Knochen mit Magie vollsogen.

„Es ist dir nicht seltsam vorgekommen, dass jemand ein geheimes Treffen arrangiert und euch nicht mal seinen Namen nennt? Wenn das, was ihr sagt stimmt ist dieser Kerl keine Eskorte, sondern eher ein Hinrichtungskommando. Zoe warf Vyr einen erschrockenen Blick zu und rückte einen Schritt von ihm ab. Ein Meisterstück. Vyr hätte nicht stolzer auf sie sein können.

„Sagt jetzt nicht, die Idee wäre euch noch nicht gekommen. Dann seid ihr wirklich naiv.“, brachte die Eule hervor, während die Katze Vyr noch immer genauestens im Auge behielt.

„Ich… Er wirkte nett.“, brachte Zoe mit bebender Stimme heraus und Vyr lächelte ruhig.

„Ihr werdet doch wohl nicht glauben, was diese beiden hier erzählen oder? Mein Meister hat mich gebeten euch aus der Stadt zu eskortieren. Nicht mehr und nicht weniger.“, entgegnete er trocken und sein Blick wandte sich an die Katze, die ihn noch immer anstarrte.

„Und wer ist euer Meister?“, fragte die Eule und Vyr fluchte innerlich. Aus der Sache kam er wohl nicht mehr raus. Er sammelte Schatten und bündelte sie in Form eines vermeintlichen Tattoos an seinem Unterarm.

„Rede.“, stieß die Katze hervor. Beide griffen nach seinen Waffen.

„Halt die Luft an und Lauf.“, erklärte Vyr und zog einen der Knochen aus seinem Beutel und schleuderte ihn in die Luft. Beide Nekromanten ließen sich nicht davon ablenken und zogen ihre Waffen. Die Eule zog ein Beil, während die Katze sich wohl auf Dolche verließ. Der Knochen zerbröselte in eine Wolke aus Staub und Vyr hielt die Luft an, während sie von Knochenstaub eingehüllt wurden. Er konnte hören wie Zoe sich von ihnen entfernte und zwar an den Wachen vorbei. Er ließ den Schatten seine Hände und Unterarme einhüllen.

Seine Anima verriet ihm, dass ein Angriff von links folgte, die Katze vollführte einen Dolchstoß und Vyr wich zur Seite aus. Beil und Messer der Eule parierte er mit seinen Unterarmen. Ein einzelner Zahn schwebte aus seinem Zahnbeutel und schoss auf die Eule zu.

Er konnte hören, wie er Fleisch durchbohrte. Vyr packte die Klinge des Messers, die keinerlei Schaden an ihm verursachte, vollführte einen Stoß, sodass die Waffe seinem Gegenüber nach hinten aus der Hand glitt. In einer fließenden Bewegung versetzte er ihm einen Tritt um ihn auf Abstand zu bringen, hob die Hände, fing die Dolchklinge der Katze mit einer Hand ab und vollführte einen harten Schlag gegen deren Brust, der sie aus dem Gleichgewicht brachte. Zwei weitere Zähne schossen aus seinem Knochenbeutel und trafen auf Fleisch.

Er griff erneut nach seiner Anima, sog soviel magische Energie in den Knochenstaub um sich herum, wie er konnte, dann zog er den Staub zusammen, der gehorsam einen langen, einschneidigen Dolch in seiner Hand bildete und ging erneut zum Angriff über. Die Eule fing den Dolch mit seinem Beil ab, erwartete wohl, dass die knöcherne Klinge  unter  der Kraft seines Blocks bersten würde, doch die Klinge war so unnachgiebig wie sein Wille. Die Knochenklinge schnitt durch  das Metall des Beilkopfes, wie ein erhitztes Messer durch Butter.

Die Klinge landete an der Kehle der Eule, doch nicht weiter. Die Klinge verharrte an der Kehle. Vyr wollte niemanden mehr töten. Er hätte es gekonnt. Bestimmt, doch er wollte nicht. Gegen beide Nekromanten hatte er keine Chance, selbst wenn er die Eule jetzt tötete würde die Katze ihre Chance nutzen und ihm seinerseits nicht geringen Schaden zufügen.

„Du hast bei keiner der bekannten Schulen gelernt, nicht wahr?“, fragte die Eule, offenbar ein wenig beeindruckt von dem, was er getan hatte.

„Lass die Magie los Junge. Oder wir werden ernst machen.“, stieß die Katze hervor. Vyr blickte zur Eule auf.

„Vergiss es Junge. Du hast das nicht bei der Knochenschule gelernt. Die Schüler der Knochenschule benötigen ausnahmslos Bannsprüche um ihre Magie anzuwenden und nicht mal die besten unter ihnen würden es hinbekommen einen Dolch aus Knochenstaub zu binden, der dazu fähig ist Stahl zu zerschneiden. Außerdem stammt dein Kampfstil ganz sicher nicht von den Spinnern der Knochenschule.“, erklärte die Eule, die sich mit einem Schlag in einen Wirbelnden Schatten verwandelte und verschwand, vor ihm stand lediglich ein Gebilde aus dunkler Energie, was aussah wie die dreidimensionale Version, des Schattens eines kleinen Mädchens. Der Schatten streckte ihm die Zunge heraus und etwas spitzes tippte von hinten gegen seinen Nacken.

„Und jetzt? Wollt ihr mich umbringen?“, fragte Vyr mit ruhiger Stimme. Die Eule musste ein Nekromant der Gräberschule sein, der kleine Schatten vor ihr ein untoter Begleiter.

„Wieso? Weil du zu einer anderen Schule gehörst? Wir sind die Garde von Greypit. Unter uns gibt es keine Schulen oder Zugehörigkeit zu diesen, genauso wenig irgendwelche Verpflichtungen, die wir ihnen gegenüber erfüllen müssen. Wir sind nur dem Wohle Greypits verpflichtet und ich möchte keinen vielversprechenden Anwärter töten, bevor er die Möglichkeit hatte seine Fähigkeiten zu beweisen. Wer deine Kleine ist, ist mir egal. Sie ist ungefährlich. Und du? Du hast keine Absichten, die das Wohl der Stadt aufs Spiel setzen oder? Ich habe keinen Grund dich zu töten, sie genauso wenig.“, erklärte die Eule mit gelangweilter Stimme. Vyr stieß einen Seufzer aus.

„Wer ist die Kleine?“, fragte die Katze, die offenbar am Überlegen war, ob sie ihr nachlaufen sollte oder nicht.

„Niemand.“, entgegnete Vyr mit einem Lächeln und die Eule hinter ihm lachte.

„Du lässt dich nicht einwickeln hm? Gut. Sieh zu, dass du deine Prüfung beendest. Für den weiteren Weg solltest du dir etwas besorgen, was du als Maske nutzen kannst.“, erklärte die Katze und Vyr schloss die Augen. Er mischte noch mehr Magie in den Knochendolch und zog die rechte Hand über sein Gesicht. Der Dolch zerfiel zu Staub und band sich vor seinem Gesicht als Maske, die das Antlitz eines Fuchses annahm. Nachtaktiv. Genau wie eine Katze oder eine Eule. Er hörte die Eule hinter sich kichern und spürte wie der Druck der Klingenspitze von seinem Genick verschwand.

„Man sieht sich wieder.“, erklärte die Eule und ließ das Messer in die Lederscheide an seinem Gürtel zurück gleiten. Vyr stieß den Atem aus.

„Sicher.“, entgegnete er und ging langsam weiter, in die Richtung in die Zoe gelaufen war. Er ließ einen Großteil der Magie fallen und erneut fühlte es sich, als müsse er eine verkrampfte Faust aufhebeln. Er konnte spüren, wie die Magie aus der Maske floss, wie die Knochen und Zähne in seinen Beuteln begannen zu erstarren und wie der Schatten, der sich um Hände unter Unterarme gesammelt hatte allmählich zu feinem schwarzen Rauch zerfaserte.

 

 

Chyara musste Lächeln, als sie sich auf den Weg zurück zur Arena machte. Ihre Mutter hatte geweint, Iador selbst hatte verbissen drein geblickt und beide hatten sie beschworen das, was sie vorhatte zu unterlassen. Aber aus irgendeinem Grund war es ihr unmöglich alles bei dem zu belassen was den momentanen Standard darstellte.

Ihre Schritte waren federleicht. Sie war sich darüber im Klaren, dass Varicaz ihr nächster Gegner war, aber wenn er sie besiegte würde er nichts von ihr bekommen, was sie nicht selbst in der Hand hielt. Selbst dann würde sie ihm so wenig Genugtuung wie irgend möglich zu eigen werden lassen. Sie würde nicht seine Sklavin sein. Ihr Leben war ihr höchstes Gut und sie würde es auf keinen Fall kampflos in die Hände eines Irren legen. Sie musste bei dem Gedanken darüber lachen, wie Valara im Angesicht von Chyaras Plan zur Hochform aufgelaufen war, auch wenn sie wusste, dass das Leben ihrer Tochter auf dem Spiel stand. Jedenfalls auf die Eine oder Andere Art.

Valara hatte sie mit Tränen in den Augen angelächelt und ihr erklärt, sie solle sich keine Sorgen machen, Iador und sie würden alles Weitere regeln. Manchmal war Valara wirklich gruselig. Chyara hüstelte beim Gedanken daran, was sie jetzt vorhatte. War sie wirklich dazu bereit? Sie musste. Es gab kein Zurück mehr. Sie bemerkte die abgestandene Luft, die im Inneren der Arena vorherrschte kaum noch, es war wirklich seltsam.

Auf irgendeine Art machte ihr das was jetzt folgen würde mehr Angst als der eigentliche Kampf. Sie würde sich mit allen Kräften gegen Varicaz wehren, das stand für sie fest, aber war es in Ordnung sich einer anderen Person so sehr zu ergeben? Solange es in ihrer Entscheidungsfreiheit lag ja. Sie sog tief die Luft ein, als sie vor Rilars Tür stand. Ihr Herz hämmerte, als sie klopfte. Würde  er überhaupt hier sein? Es dauerte eine Weile bis sich Schritte der Tür näherten. Rilar sah verschlafen aus, als er die Tür öffnete, doch er lächelte Chyara an.

„Hallo Chyara, hab deinen Brief bekommen… warum wolltest du so sehr mit mir reden?“, fragte er mit einem Lächeln und Chyara stockte der Atem. Es war das erste Mal, dass sie Rilars ganzes Gesicht sah, denn die Bandagen, die sonst sein Gesicht einhüllten waren nicht mehr da. Er war ein unheimlich gut aussehender Mann, obwohl er etwas fertig aussah. Wer wollte es ihm auch verübeln immerhin hatte er vor nicht wenigen Stunden noch in der Arena gestanden. Chyara seufzte leise und betrachtete ihn eingehend.

„Wie… Wie ist dein Kampf gelaufen?“, fragte sie etwas planlos und er lächelte leicht.

„Ich habe gewonnen.“, erklärte er und lächelte. Er hatte ein ansteckendes, schiefes Lächeln und Chyara sog tief die Luft ein.

„Meinen Glückwunsch… ähm… darf ich… reinkommen?“, fragte sie und dachte erst jetzt darüber nach, dass sie möglicherweise stören könnte. Er blinzelte und nickte dann.

„Klar. Ist alles okay bei dir?“, gab er zurück und sah immer noch etwas verschlafen aus, als er ihr die Tür aufhielt. Sie schlüpfte an ihm vorbei und Chyara lächelte ihn an, vollkommen planlos davon, was sie jetzt sagen sollte.

„Nun…“, begann sie und hatte einfach keine Ahnung, was genau sie jetzt sagen sollte. Sein Zimmer sah genauso aus, wie das ihre, kompakt, zweckmäßig. Ein Bett in der hinteren Ecke, ein Schreibtisch, relativ zentral, dazu ein kleiner Schrank und ein Stuhl. Mehr nicht.

„Ja?“, fragte er und blickte sie belustigt schmunzelnd an. Wie sollte sie ihm das jetzt sagen?

„Mein nächster Kampf wird gegen Varicaz sein.“, begann sie und seine bis eben ruhige Miene wurde bekümmert.

„Ja.“, entgegnete er trocken und schien nicht damit einverstanden zus ein.

„Ich… Falls er mit mir das gleiche macht, wie mit Marivar… Falls er gewinnt. Ich will nicht, dass er…“, begann sie und nestelte mit ihren Fingern herum. Gab es irgendeine stilvolle Art so etwas zu sagen?

„Ich will nicht, dass er alles bekommt.“, erklärte sie zögernd und Rilar blickte sie gespannt an. Er verstand nicht, natürlich nicht. Wie auch? Damit er verstand musste sie sich deutlich ausdrücken und das schien sie im Augenblick einfach nicht hin zu bekommen. Gut… Dann also auf die vollkommen klare Tour. Sie sog tief den Atem aus und löste die Verschlüsse ihres Kleides mit geübter Eleganz. Ihr Kleid glitt zu Boden und ließ sie nur in Unterwäsche zurück. Rilar sog tief die Luft ein und blinzelte verwirrt.

„Ich will nicht, dass er meine Jungfräulichkeit nimmt.“, sagte sie zum ersten Mal klar und deutlich. Rilar blinzelte erneut.

„Du meinst…“, begann er etwas ungläubig, was seine erhöhte Augenbraue nochmals unterstrich. Chyara lief rot an und sie schlug den Blick nieder, dann jedoch nickte sie.

„Bitte schlaf mit mir… Vielleicht ist es die letzte Chance meine Jungfräulichkeit einer Person zu schenken, die ich liebe… Ich will dass du es bist.“, erklärte sie und lief noch röter an.

„Es sei denn… du möchtest nicht, dann kann ich das verstehen…“, erklärte sie dann schnell und fixierte ihren Blick beschämt am Boden. Seine Hand berührte ihre Wange und hob ihr Kinn an.

„Bist du dir… Sicher?“, fragte er und schaute sie besorgt an. Sie sog tief den Atem ein.

„Ich hätte dich gerne vorher noch etwas besser kennen gelernt… Aber ja… Ich bin mir sicher.“, erklärte sie und nahm all ihren Mut zusammen, als sie ihn küsste. Seine Lippen fühlten sich warm und weich an, auch wenn sie zugleich ein ganz kleines bisschen rau waren. Der Kuss war kein Vergleich zu dem, den sie mit Vanic geteilt hatte. Nein dieser war… schöner… Interessanter. Vanic war sehr forsch gewesen, als sie sich geküsst hatten. Rilar hingegen war zurückhaltend, seine Hand fuhr zärtlich ihre Wange hinab zu ihrem Hals. Eine Gänsehaut stahl sich von ihrem Nacken aus den Rücken herab.

Sie stieß einen weichen seufzer aus, als seine Hand sie sanft aber bestimmt am Nacken packte. Wohlige Schauer schossen von ihrem Genick aus durch den ganzen Körper, als er sie enger an sich zog, seine linke Hand streichelte leicht kratzend über ihre Seite, was sie erschaudern ließ. Rilars Küsse wurden eindringlicher, fordernder und es fühlte sich so gut an. Seine linke Hand packte ihren Hintern, was ihr zusätzlich das Gefühl vermittelte gewollt zu werden. Ganz allmählich begann sich ein warmes Kribbeln in ihrem Schoß und ihren Brüsten auszubreiten.

Sie seufzte erneut heiser in den Kuss, als ihre Lippen sich teilten glitt seine Zunge in ihren Mund als sich sein Geschmack in ihrem Mund ausbreitete war sämtliche Zurückhaltung zurück. Mit aller Sicherheit zu der eine unerfahrene Jungfrau fähig war schlang sie die Arme um ihn und zog ihn näher an sich. Sie konnte spüren sie ihre Brüste sich gegen seinen muskulösen Oberkörper pressten. Er hatte nicht diese widerliche Bodybuilderstatur wie zum Beispiel Varicaz, nein, seine Muskeln waren schlank, seine Statur eher drahtig, was ihr deutlich mehr zusagte. Ihr Atem ging schneller, als ihre Zungen sich gegenseitig neckten, streichelten und verwöhnten.

Das Kribbeln in ihren Brüsten und ihrem Schoß wurde eindringlicher, fordernder. Ein verlangendes Ziehen ging durch ihren Unterleib und ließ sie erneut erschaudern. Zärtlich schoben sich ihre Finger unter den Saum seines Hemds und begannen es unbeholfen hoch zu krempeln, während ihre Finger forschend über seine Haut strichen.

Ein heiserer Laut, halb Schrei, halb Stöhnen entrang sich ihrer Kehle, als seine Hand von ihrem Hintern, ihre Seite hinauf strich und zärtlich und fordernd zugleich ihre Brust ergriff. Es war, als rase ein Blitz aus reinem Verlangen durch ihren ganzen Körper. Es war das erste Mal, dass sie auf diese Art berührt war. Es war vulgär, es war verdorben, es war schön.

Der Kuss löste sich zärtlich, sie konnte spüren, wie ein dünner speichelfaden riss, der ihre Zungen verbunden hatte, doch egal wie seltsam sie es normalerweise gefunden hätte, sie war berauscht und sehnte sich nach mehr. Ungeduldig fuhr sie damit fort sein Hemd hoch zu krempeln und mit gemeinsamer Kraft entledigten sie sich dem unnützen Fetzen Stoff, der achtlos zu Boden fiel. Beide seiner Hände packten ihren Hintern, hoben sie in die Höhe, was ihr ein mädchenhaftes und zugleich aufgeregtes Kichern entlockte.

Er trug sie durch den Raum und legte sie sanft auf der kleinen Pritsche ab, die ihm hier als Bett diente. Seine Hände schoben sich hintern ihren Rücken und öffneten problemlos den Verschluss ihren BHs. Der Druck des Bügels ließ nach und sie atmete auf, als er ihr das wertlose Stück Unterbekleidung vom Körper riss. Sofort begann er abwechselnd eine Brust mit der Hand zu massieren, während an der  anderen leckte, und spielerisch knabberte. Erneut strömte Blitze des Verlangens quer durch ihren Körper und als eine seiner Hände forschend begann zwischen ihren Beinen herum zu Tasten war es vollends vorbei mit ihrer Selbstbeherrschung. Lustvoll reckte sie ihm ihr Becken entgegen. Genoss wie seine Finger zärtlich über dem dünnen Stoff ihren Venushügel zu streicheln begannen.  Sie konnte nicht mehr, wollte nicht mehr warten. Sie wollte ihn spüren, was sie ihm nur zu gerne zeigte.

Fordernd ließ sie ihre Zunge über seine gleiten, während ihre Hände begannen an seiner Hose herum zu werkeln. In Rekordzeit öffnete sie den Verschluss und zog begierig die Hose von seinen Hüften. Ihre Hand griff zärtlich zwischen seine Beine. In seinen Shorts hatte sich eine beachtliche, harte Beule gebildet. Sein Glied schien in ihrer Hand zu pulsieren und sie hatte das Gefühl zu sterben, wenn sie ihn nicht gleich in sich spürte. Mit lustvoller Gewalt riss er ihr den bequemen Slip herunter, wobei sie seine Shorts herunter zog. Unbeholfen Strampelnd entledigte er sich den Resten seiner Kleidung und packte die Innenseiten ihrer Schenkel, die unter seinen Berührung in Brand gesetzt zu werden.

Sie wollte ihn. Sie wollte ihn so sehr, dass sie es nicht in Worte fassen konnte.

„Bitte… Ich bin bereit…“, stieß sie gierig hervor. Das ließ er sich nicht zwei Mal sagen. Aufjauchzend spürte sie, wie die Spitze seines Glieds über ihren empfindlichsten Punkt glitt, was ein wohliges Kribbeln durch ihren ganzen Körper jagte. Ein süßer Schmerz packte sie, als sein Glied sich in ihre Öffnung senkte. Sie biss die Zähne zusammen, vergaß für einen Sekundenbruchteil zu atmen und sog scharf die Luft ein, als das erwartete brennen einsetzte, als es sich anfühlte als riss etwas in ihrem Inneren. Sie stieß einen heiseren Schrei aus. Er schaute sie zärtlich an.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er und sie biss die Zähne zusammen.

„Ja… Mach nur langsam…“, brachte sie mit einem Lächeln hervor und Rilar nickte lächelnd. Sie konnte spüren, wie er langsam tiefer in sie hinein glitt und erst einmal verharrte, ehe er weiter machte. Es brannte und ein tauber Schmerz pochte in ihrem Unterleib. Langsam aber sicher ließ der Schmerz in ihrem Inneren nach und sie stieß seufzend den Atem aus. Er lächelte, beugte sich über sie und küsste erst ihre Lippen, dann ihren Hals an dem er zärtlich zu knabbern begann. Sie seufzte, während er langsam zärtlich aus ihr hinaus glitt um dann wieder zärtlich in sie hinein zu gleiten.

Sie schlang die Arme um ihn und seufzte glücklich, als der Schmerz sich zu einem dumpfen Pochen zurück gebildet hatte. Seine Zunge glitt über ihren Hals, was ihr einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Seine Lippen liebkosten ihr Schlüsselbein und letztendlich ihre Brust, was nichts von seinem Reiz eingebüßt hatte. Seine Zunge spielte mit ihren Brustwarzen, während seine Hände sie zusätzlich massierten und ihr einen Verlangensschub nach dem anderen verpasste. Sie stieß mit einem lustvollen Stöhnen den Atem aus und als er begann an ihren Brustwarzen zu knabbern schien ihr Körper vor Leidenschaft nur so zu glühen. Erneut stöhnte sie und schlang die Beine um seine Hüften um ihm zu symbolisieren, dass sie soweit war.

Gehorsam erhöhte er die Intensität seiner Stöße. Es kitzelte frohlockend in ihrem Inneren , während sich eine unerklärliche Spannung in ihrem Bauch ausbreitete. Sie sah sein liebevolles und begehrendes Lächeln, als sie begriff, dass sie vor Lust schrie und stöhnte. Es fühlte sich unheimlich gut an. Seine Hände schoben sich unter ihren Hintern und packten ihn, wobei sie ihm ihre Hüften weiter entgegen streckte und ihre Beine noch fester um ihn schlang. Jeder seiner Stöße sandte Wogen aus Feuer durch ihren Körper, spannte ihren Bauch weiter an und jagte ihr Schauer über den ganzen Körper. Sie legte die Arme um ihn, krallte sich mit einer Hand in sein Haar und genoss jede seiner, noch so kleinen Bewegungen.

Das Kribbeln in ihrem Inneren wurde immer stärker, mischte sich mit der Anspannung der Muskeln, kitzelten und liebkosten sie, während sie immer weiter stöhnte. Es war ihr gleich wie laut sie war. Sie wollte es, sie wollte ihn, sie wollte mit ihm zusammen sein, wollte eins mit ihm sein und wollte ihn immer tiefer in sich spüren. Sie bemerkte wie fest sie sich an ihn klammerte und wie sehr sie sich ihm entgegen drückte, das Gemisch aus Anspannung, kitzeln  und Druck in ihrem Inneren wurde unerträglich und löste sich mit einem unhörbarem Feuerwerk.

Sie stieß einen Lustschrei aus, als ihr gesamter Körper zu zucken und zittern begann. Tränen schossen ihr in die Augen als ihr ganzer Körper kribbelte, eine Flut aus tauben und zugleich kitzelnden Wogen rauschte durch ihren Körper. Sie streckte ihm gehorsam weiter ihre Hüften entgegen und sie lachte tief in der Kehle, als sie erkannte, dass sie gekommen war. Sie hätte niemals für möglich gehalten, dass sich Sex so gut anfühlen würde. Sie küsste ihn zärtlich, doch sein Kuss fiel leidenschaftlicher aus, als sie erwartet hatte.

 

Mit einem aufgeregtem Seufzer ließ sie sich von seiner Lust mitreißen, als er immer wieder stark zustieß und sie mehr und mehr in den Wahnsinn trieb. Sie ließ sich einfach fallen, hinab in den allmählich von ihren Gedanken Besitz ergreifenden Rausch aus wohligen Gefühlen, während sie sich an Rilar fest klammerte und jede Sekunde, die er in ihr war genoss. Erneut spürte sie, wie sie kam und ergab sich ganz dem wohligen Rausch und dem Zucken ihres Körpers.

Auch er stieß ein tiefes Stöhnen aus, zog sein Glied schnell aus ihr heraus und ergoss eine heiße, dicke Flüssigkeit über ihres Bauch, während sie noch immer kam, zuckte und dabei zu ihrem eigenen Argwohn ziemlich dümmlich zu Grinsen schien. Rilar lächelte sie an und legte sich neben sie, küsste ihre verschwitzte Schulter und ihren Hals, ehe sie den Kopf zur Seite beugte und erneut seine Lippen auf ihren spürte. Ihr Körper erschlaffte und sie stieß einen seufzenden Laut der Befriedigung aus. Zärtlich streichelten seine Finger über ihre Brust. Sie genoss es.

„Vielleicht sollten wir das wiederholen, wenn das alles vorbei ist…“, seufzte Rilar und Chyara musste lächeln.

„Wenn ich den Kampf gegen Varicaz gewinne… Sehr gerne. Aber nur, wenn du mich im Finale besiegst.“, grinste sie und Rilar schenkte ihr ein zärtliches und liebevolles Lächeln.

„Zu Befehl.“, erwiderte er grinsend und küsste erneut ihre Stirn.

 

 

Es dauerte eine ganze Weile, bis er Zoe wieder fand, die sich in eine Straßenecke gedrückt um Deckung bemühte. Als sie ihn sah wurden ihre Augen groß.

„Vyr?“, fragte sie mit zittriger, angsterfüllter Stimme und er lächelte. „Hallo Zoe.“, entgegnete er und ihr Blick wurde misstrauisch. „Wo haben wir uns das erste Mal getroffen?“, fragte sie ihn und sog Magie in sich hinein, wie ihm seine Anima verriet. Fürchtete sie, dass Nekromanten über die Fähigkeiten von Formwandlern verfügten? Man konnte es ihr nicht verübeln, es gab tatsächlich hohe Nekromanten der Gräberschule, die dazu in der Lage waren die Gestalt einer von ihr getöteten Person anzunehmen.

„Du schuldest mir immer noch das Geld für versiffte Kräuter.“, erklärte Vyr und konnte nicht schnell genug darauf reagieren, dass zwischen 50 und 60 Kilogramm Zoe frontal mit ihm zusammen krachten. Sie schlang die Arme um ihn und drückte ihn fest an sich, wobei er ganz genau spürte, wie sich ihre Brüste gegen ihn schmiegten. Er hüstelte leicht, doch als sie ihn nicht los ließ schlang er ebenfalls die Arme um sie.

„Es ist alles in Ordnung Zoe…“, seufzte er beruhigend und streichelte zärtlich über ihren Rücken.

„Ich dachte du wärst… Sie würden dich… ich hatte solche Angst um dich du Idiot… Mach das nie wieder!“, gab sie lauter von sich, als offenbar beabsichtigt, dennoch zügelte sie ihre Lautstärke auch nicht. Sie zitterte am ganzen Körper. Weinte sie? „Mach das nie wieder du Idiot!“, wiederholte sie und schluchzte, während sie ihr Gesicht an seine Brust drückte.

Zärtlich strich seine Hand über ihre violetten Haare und er spürte wie sich ein eigenartiges Lächeln auf seine Lippen legte, während ihm ganz warm wurde.

„Mach dir keine Sorgen um mich Zoe.“, seufzte er und dachte kurz nach. Sie hatte ihn vorhin geküsst… Dann war es auch okay, wenn er...  Er drückte ihr einen sanften Kuss auf ihr Haar und spürte, wie sie in seinen Armen erbebte. „Tut mir leid.“, schnaubte er und fragte sich, warum er das gerade getan hatte.

„Nein… Schon gut.“, gab sie etwas angespannt zurück.

„Na los… Ich bringe dich  hier raus.“, seufzte er und wusste selbst nicht, was genau er erwartet. Es war das erste Mal gewesen, dass er einer Frau von sich aus näher gekommen war. In seinem Hinterkopf hörte er Kage lachen. Er war so ein hoffnungsloser Fall. Er atmete tief durch und lächelte leicht. Sie war rot im Gesicht, aber er führte es auf seine überstürzte Aktion zurück und lächelte sie entschuldigend an.

„Na los.“, ermutigte er sie und ließ sie los, sie jedoch klammerte sich behände an ihm fest. Ein merkwürdiges Gefühl.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er und schenkte ihr sein bestes ‚Ich-pass-schon-auf-dich-auf-Lächeln‘. Sie kicherte und nickte.

„Danke.“, entgegnete sie und lächelte ebenfalls.

„Wofür?“, fragte er etwas verwirrt und sie schenkte ihr einen verwirrten Blick.

„Ich weiß nicht… Ich hab dir einfach noch nicht dafür gedankt was du hier für mich tust. Immerhin setzt du dein Leben aufs Spiel…“, erklärte sie und schaute zu Boden. Er atmete tief durch und legte ihr eine Hand auf den Kopf.

„Mach dir deshalb keine Gedanken und jetzt los. Wir sollten uns beeilen.“, gab er mit einem ruhigen, gütigem Ton zurück. Sie nickte mit einem Lächeln, hielt dann jedoch seinen Blick mit ihrem fest.

„Versprich es mir nochmal.“, forderte sie mit einem Mal im unnachgiebigen Ton.

„Was?“, fragte er und schaute sie an. „Versprich mir noch einmal, dass du mich besuchen kommst… Und das… du hier nicht stirbst.“, antwortete sie und lief rot an, was ihrem forderndem Ton, allerdings nichts an Aussagekraft stahl.

„Ich verspreche es…“, begann er, doch ehe er den Satz mit dem Halbsatz ‚Wenn es mir möglich ist.‘ beenden konnte lagen ihre Lippen zärtlich auf seinen. Ein warmes Kribbeln fuhr ihm durch den ganzen Körper und kurz erwiderte er den Kuss unbeholfen. Als sie den Kuss löste, lächelte sie ihn an.

„Gut… Den Rest bekommst du, wenn du mich besuchen kommst.“, erklärte sie und wandte sich vielsagend um. Er wusste wirklich nicht, was er davon halten sollte, doch er hinterfragte es nicht, sondern ging hinter ihr her. Wenigstens sie würde diese Stadt bald verlassen. Seine schwerste Aufgabe lag erst noch vor ihm.

Er musste die Prüfung der Nekromanten ablegen und würde somit in den Fokus der Schulen geraten. Ab diesem Zeitpunkt würde es schwierig werden unter zu tauchen und die Stadt zu verlassen. Immer wieder dachte er darüber nach ob es nicht sinnlos war diese Prüfung zu machen… Aber so viel er wusste konnte er die Stadt nur mit deren Segen verlassen. Es war kompliziert. Er würde es bald wissen. Mit entschlossenem Blick gingen beide, nebeneinander einher. Der schneeweiße Boden unter ihnen vom Schlamm an ihren  Schuhen gezeichnet, doch es störte sie nicht. Sie waren nicht in Eile.

Vyr spürte nur Ruhe, gab sich keiner Sorge mehr hin. Zoe trug das Zeichen, welches sie aus der Stadt bringen würde und zum ersten Mal dachte Vyr tatsächlich darüber nach es ihr gleich zu tun. Es waren lediglich ein paar Schritte. Jedoch trug er das Zeichen nicht. Würde ihn die Stadt überhaupt gehen lassen? Er bezweifelte es. Er holte tief Luft und stieg zusammen mit Zoe die letzten Treppenstufen aus dem grauen Höllenschlund, der den Namen Greypit trug empor.

Sofort blendete ihn das grelle Licht der Sonne und die ungewohnte Hitze kam ihm seltsam vor. Der Ausgang von Greypit war von scharfkantigen grauen Felsen umrahmt und das heiße Licht der Wüstensonne trieb ihm und Zoe die Tränen in die Augen. Zwei bis auf die Augen komplett in schwarze Gewänder gehüllte Gestalten kamen auf sie zu und blickten erst Zoe, dann ihm in die Augen.

„Was ist euer Begehr?“, fragte eine ruhige Männerstimme und Zoe räusperte sich.

„Ich bitte darum die Stadt verlassen zu dürfen.“, erklärte Zoe und streckte ihren Arm aus, auf dem die grün schimmernde Substanz noch immer glühte. Die rechte Gestalt nickte und blickte dann Vyr an.

„Und ihr?“, fragte die Gestalt und Vyr erwiderte den Blick kühl.

„Ich bin ihre Eskorte.“, entgegnete er mit ruhiger Stimme. Erneut nickte die Gestalt. „Bis hier hin und nicht weiter. Nekromantenadept.“, sagte die Gestalt und Vyr biss die Zähne zusammen. Woher wussten die Stadtwachen davon? Er würde sich sicherlich nicht noch einmal mit zwei Nekromanten anlegen.

„Dann ist das wohl das Ende unserer gemeinsamen Reise.“, erklärte Vyr mit möglichst distanziert klingender Stimme. Zoe lächelte ihn an und kam dicht an ihn heran.

„Meine Gespräche sind gut gelaufen… Wir werden uns bestimmt wieder sehen und uns dann… noch etwas besser kennen lernen.“, erklärte sie und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Mehr Zärtlichkeiten würde es wohl nicht geben, nein… Durfte es nicht geben. Vyr zeigte ihr ein seltenes, aufmunterndes Lächeln, nahm ihre Hand, kniete sich herunter und küsste ihren Handrücken.

„Es wäre mir eine Ehre.“, erklärte er und blickte Zoe an, die leicht errötete. Sie lächelte und verbeugte sich ebenfalls. Zoe drehte sich offensichtlich mit deutlicher Schwierigkeit von ihm ab und tat den ersten Schritt. Vyr räusperte sich.

„Meisterin…“, erklärte er und zog einen Trinkschlauch aus seinem Gürtel, reichte ihn ihr und lächelte ebenfalls. Über ihnen befand sich eine Wüste. Das mochte man in den Tunneln von Greypit nicht wirklich bemerken, aber außerhalb würde es grausam sein. Zoe lächelte und errötete erneut.

„Vielen Dank. Das habe ich tatsächlich vergessen…“, erklärte sie etwas irritiert und verbeugte sich kurz. Eine der Stadtwachen zuckte mit den Schultern und reichte ihr ebenfalls einen prall gefüllten Wasserschlauch.

„Ich kann mir jederzeit einen neuen organisieren. Die Wüste außerhalb ist grausam. Ihr solltet auf euch Acht geben.“, erklärte die Wache und erneut verbeugte sich Zoe. Diesmal wandte sie sich ab und ging. Die ersten Schritte schienen ihr Probleme zu machen, doch letztendlich zog sie Kapuze über den Kopf und zog ein Halstuch über Mund  und Nase. Die langsamen, zittrigen und nervösen Schritte wurden fester, ihre Körperhaltung wurde selbstbewusster.

Vyr sah ihr nach, überlegte ob sie sich wohl erneut zu ihm umdrehen würde. Sie tat es nicht. Es war wahrscheinlich besser so. Als sie im Licht der Morgensonne verschwand war es das letzte Mal für lange Zeit, dass die beiden sich sahen. Vyr schluckte und erwartete, jeden Moment von den Stadtwachen abgeführt zu werden. Immerhin hatte er einen anderen Nekromantenadepten getötet.

„Junge. Du hast zehn Minuten Zeit aus dem ersten und zweiten Ringen zu verschwinden, wenn dich in der Zwischenzeit einer der Stadtwachen sieht wird er tun, was ihm der Anführer der Knochenschule aufgetragen hat. Verschwinde so schnell wie du kannst und lass dich nicht sehen, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Das ist mein Rat an dich. Du tust gut daran ihn zu befolgen.“, erklärte die Wache und blickte ihn unter der Kapuze mit finsterem Blick an. Vyr nickte kaum merklich und wandte sich um.

„Und noch etwas Junge. Denk daran, dass es immer eine Alternative gibt. Wenn dich eine Schule anwirbt sobald du die Prüfung abgelegt hast, hast du noch immer die Wahl der Stadtwache beizutreten und jetzt verschwinde.“, sagte die gleiche Stimme noch einmal teilnahmslos. Vyr nickte erneut, dann rannte er davon. Zehn Minuten reichten nicht um normal aus den ersten beiden Ringen zu verschwinden. Es gab nur eine Variante in dieser kurzen Zeit aus der Stadt zu verschwinden. In diesem Moment war er froh darüber, dass er gelernt hatte zu schwimmen. Der Sprung vom ersten Ring in einen unterirdischen, wahrscheinlich von Monstern verseuchten See war etwas anderes. Etwas ganz anderes.

 

 

Chyara sog tief die Luft ein. Es fühlte sich an, als würde sie den Weg zu ihrer eigenen Beerdigung hinter sich bringen. Das Lächeln auf ihren Lippen war verblasst, als die Stimme des Kampfrichters durch die Zimmer der Kämpfer gehallt war und den nächsten Kampf ausgerufen hatte. Chyara gegen Varicaz. Sie hätte lügen müssen, würde sie sagen, dass sie keine Angst davor gehabt hätte gegen diesen Kerl zu kämpfen.

Sie wusste nicht ob sie dazu in der Lage war ihn zu besiegen. Sie wusste nur eines. Sie würde sich ihm nicht unterwerfen. Auf keinen Fall. Ihre Schritte waren schwer, aber bestimmt. Langsam, ruhig und doch angespannt. Bald würde sie wieder den Boden der Sandgrube unter ihren Füßen spüren. Sie würde diesem perversen Schwein gegenüber stehen und würde alles geben um ihn zu besiegen.

Nach diesem Kampf würde sie im Finale stehen und zwar gegen Rilar. Sie musste lächeln. Das wahre Finale würde wohl später an einem deutlich privaterem Raum stattfinden. Sie bemerkte, wie ihre Wangen heiß wurden. Es war gut, dass sie nach ihren aktivitäten noch etwas geschlafen hatte. In Rilars Armen. Es hatte sich so unheimlich gut angefühlt. Das Gefühl, seiner starken, schlanken Muskeln unter ihrem Kopf, ihre Wange an seine warme Haut gekuschelt, seine Wärme spürend. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie gerade knallrot anlief, aber sie bereute nichts. Nein. Im Gegenteil.

Zum ersten Mal hatte sie so etwas wie Zärtlichkeit von einer anderen Person empfangen und hatte gespürt, wie gut es sich anfühlte mit einer anderen Person intim zu sein. Sie ließ die Hände leicht gegen ihre Wangen klatschen um auf andere Gedanken zu kommen. Ein Kampf stand ihr bevor, ein schwieriger Kampf. Wahrscheinlich sogar der schwerste Kampf ihrer bisherigen Laufbahn. Sie musste lächeln. Große Worte für jemanden, der bisher zum größten Teil Trainingskämpfe bestritten hatte. Es machte keinen Unterschied. Sie würde nicht zulassen, dass Varicaz Marivar weiter benutzte und sie selbst würde sich nicht von ihm benutzen lassen. Sie musste ihn nur besiegen.

Sie seufzte. Irgendwie bezweifelte sie, dass das mit dem besiegen so einfach von statten gehen würde. Ihre Schritte hatten sie zur Arena getragen und nun blickte sie an dem riesigen, kreisrunden Gebäude hinauf. Sie sog tief den Atem ein, versuchte die jubelnde Menge zu ignorieren. Konzentriert und mit vorgetäuschter Ruhe betrat sie das Gebäude. Ihr Körper ließ sich nicht täuschen. Sie war angespannt und sie hatte Angst. Sie schritt die Treppe hinab, die zu den Vorbereitungsräumen führte und sah  ihre Eltern an der Tür stehen, auch Marivar und Vanic hatten sich eingefunden.

Ein zärtliches Lächeln legte sich auf Chyaras Züge, als sie Marivar betrachtete, die Vanic aus den Augenwinkeln heraus musterte. Was wohl zwischen den beiden vorgefallen war? Zum ersten Mal in den letzten Stunden beschlich sie der Gedanke tatsächlich etwas richtig gemacht zu haben. Marivar verbeugte sich vor ihr und wagte es nicht ihr in die Augen zu sehen.

„Meisterin Chyara…“, begann Marivar und Chyara blickte sie verwirrt an. Meisterin? Sie hatte doch nichts getan. Sie hatte nichts geschafft, von dem was sie sich vorgenommen hatte. Auch wenn sie es sich fest vorgenommen hatte. Valara schloss ihre Tochter fest in die Arme.

„Bist du dir sicher?“, fragte sie ihre Tochter und Chyara zögerte kurz. Wollte sie wirklich ihr eigenes Schicksal einsetzen um das einer wildfremden Person zu retten? Ihr Blick fiel auf Marivar, dann auf Vanic. Kurz blickten die beiden einander an und schauten dann weg, als hätten sie sich angestarrt. Ja… Sie tat das richtige. Sie liebte Vanic wie einen Bruder. Vor ihrem geistigen Auge sah sie die Zukunft. Nein sie sah eine Zukunft. Sie sah wie Marivar und Vanic einander umarmten und küssten.

Marivar hielt in ihren Armen einen Säugling, der Vanic auf nahezu verstörende Art und Weise ähnlich sah und sie sah die verliebten Blicke, die sie einander zuwarfen. Sie musste etwas tun um diese Zukunft auch nur entfernt möglich zu machen. Sie sog tief den Atem ein.

„Ja. Ich bin mir sicher. Ich weiß, dass ich ihn besiegen kann.“, erklärte Chyara und Valara blickte ihre Tochter fest an. Es wirkte fast so, als wolle sie sich ihr Gesicht einprägen, weil sie dieses eine ganze Weile nicht sehen würde.

„Egal was passiert. Dein Vater und ich… stehen immer auf der Seite. Aber… Lass nicht zu, dass dieser Schleimer gewinnt.“, stieß Valara hervor und Iador gluckste. Auch Marivar und Vanic konnten sich eines Lächelns nicht erwehren.

„Vanic… pass auf sie auf. Ich will das nicht umsonst riskieren.“, erklärte Chyara und Vanic nickte zögerlich, während Marivar knallrot anlief. Witzig. Sie hätte niemals erwartet, dass eine Frau wie sie vor Scham erröten konnte. Sie sog tief den Atem ein und ging zum Waffenständer. Sie zog ein Schwert samt Scheide aus dem Gestell, dann zog sie einen der Speere vom oberen Ende und wirbelte ihn etwas umher um ein Gefühl für die Waffe zu bekommen. Also gut. Sie durfte sich nicht von Varicaz ermüden lassen.

Möglicherweise würde er die gleiche Taktik, wie im Kampf gegen Marivar auch gegen sie anwenden. Sie wusste, dass sie schneller und geschickter war als Varicaz. Sie wusste auch, dass sie klüger war. Jetzt musste sie es nur noch beweisen. Für den Bruchteil einer Sekunde rutschte ihr das Herz in die Hose, dann jedoch riss sie sich zusammen. Sie musste alles geben und sie musste sicher wirken, wenn sie Varicaz ihr Angebot unterbreitete. Sie schollt sich innerlich dafür, dass sie bisher keinen Gedanken darauf verschwendet hatte ob Varicaz das Angebot überhaupt annehmen würde. Sie biss die Zähne zusammen.

Los Chyara, wirke sicher und bring ihn dazu das Angebot anzunehmen, dann besiege ihm im Kampf und zwing ihn dazu seine Schulden zu begleichen, gleich danach kannst du dir den Hunger in der Welt vornehmen. Sie seufzte.

„Bist du soweit?“, fragte Iador mit besorgtem Blick.

„Ja.“, log sie, denn innerlich würde sie nie soweit sein das zu tun, was sie zu tun im Begriff war. Wie konnte sie nur so dumm sein? Wie konnte sie so weit gehen um jemanden zu helfen, der dich erstens nicht darum gebeten hat und den zu allem Überfluss nicht einmal wirklich kennst. Kurz wanderte ihr Blick zu Vanic und Marivar, die… oh siehe da… Sie hatte seine Hand genommen. Was war zwischen den beiden passiert? Egal. Streich das. Schieb es auf später oder denk am besten nicht einmal darüber nach. Jetzt zählte der Kampf. Mit einem Mal stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen.

„Marivar. Darf ich mir einen deiner Fächer leihen?“, fragte sie und zwinkerte der überaus attraktiven Frau zu. Sie wirkte zwar verwirrt, doch trotzdem zog sie einen der zusammen geklappten Klingenfächer aus ihrem Gürtel und reichte ihn ihr.

Chyara ergriff die Waffe und staunte. Dieses Ding war deutlich schwerer, als sie es geglaubt hatte. Natürlich war er das, immerhin handelte es sich nur äußerlich um eine Gerätschaft, die darauf abzielte  sich an heißen Tagen etwas Luft entgegen zu fächeln. Statt Stoff oder Holzstäbchen befanden sich in der aufgeklappte Variante stählerne Klingen. Chyara bedankte sich und verbeugte sich dann.

„Wünscht mir Glück, wenn ich verliere erwartet mich ein unschönes Schicksal.“, erklärte sie und lächelte, als sie daran dachte, was Rilar gesagt hatte, als sie sich zum Kampf aufgemacht hatte. ‚Wenn Varicaz dich anrührt werde ich ihn umbringen.‘, hatte er gesagt und sie bezweifelte stark, dass es sich dabei um eine leere Drohung handelte, denn sie hatte ihn noch nie so ernst drein blicken sehen. Sie verwarf den Gedanken.

Sie durfte einfach nicht verlieren. Iador räusperte sich und Chyara blickte sich zu ihm um.

„Dir ist aber klar, dass Varicaz der Favorit des Turniers ist und dass du dich, solltest du gewinnen nicht mehr vor Hochzeitsanfragen retten können wirst oder?“, erklärte er und grinste. Valara verpasste ihm einen Schlag gegen den Oberarm. Chyara lächelte verschmitzt.

„Es wird mir wirklich leidtun sie alle abzulehnen.“, gab sie zurück und schritt dann nach einem weiteren tiefen Atemzug auf das Tor zur Arena zu, dass sich langsam öffnete.

„Meine Damen und Herren, der nächste Kampf findet zwischen der tanzenden Klinge und der Schwarzaxt statt!“, brüllte der Kommentator und das Publikum jubelte vor Vorfreude. Chyara zeigte keinerlei Reaktion. Varicaz hingegen trug ein breites Grinsen zur Schau und wirbelte seine Axt herum. Offenbar versuchte er damit jemanden zu beeindrucken. Noch viel schlimmer war, dass es auch noch irgendwie zu fruchten schien. Das Grinsen auf seiner Fresse war so selbstgerecht, dass sie es ihm mit Freude aus dem Gesicht prügeln würde.

„Bist du bereit dich deinem Schicksal zu ergeben?!“, rief Varicaz und Chyara lächelte gespielt.

„Bist du bereit für einen Handel?“, fragte sie leiser, doch sie spürte, wie das Gebrüll und Gejohle aus dem Publikum mit auf einen Schlag verstummte. Varicaz blickte sie fragend an. „Was meinst du?“, fragte Varicaz und grinste noch breiter.

„Du hast mich schon verstanden. Ich möchte, dass du Marivar aus ihrem Blutschwur dir gegenüber entlässt, wenn du den Kampf gewinnst werde ich an ihre Stelle treten.“, erklärte sie trocken und hielt seinem perversen Lächeln stand, obwohl sie sich vornahm nach dem Kampf ein ausgiebiges Vollbad zu nehmen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie sich selbst dann nicht mehr sauber fühlen würde.

„Du bist wohl eifersüchtig auf die kleine Schlampe geworden, was?“, fragte Varicaz weiterhin mit diesem perversen Lächeln auf den Lippen. Sie musste sich bemühen einen Brechreiz zu unterdrücken.

„Gehst du mein Angebot jetzt ein oder nicht?“, spie sie und blickte Varicaz finster entgegen. Varicaz verschlang sie mit seinen Blicken, das Grinsen auf seinen Lippen wurde immer breiter. Anscheinend versuchte er abzuschätzen, wer von beiden hübscher war und wer ihm länger Vergnügen bereiten konnte. Das Grinsen wurde noch breiter, als sei das überhaupt möglich gewesen.

Sie stieß genervt die Luft aus.

„Gut, wenn ich diesen Kampf gewinne gehörst du mir und zwar so lange, bis ich dich frei lasse. Du wirst meine hörige Sklavin sein und wirst all das tun worum ich dich bitte.“, stieß Varicaz hervor und Chyaras Haut fühlte sich mit einem Mal so an, als würden tausende kleiner, klebriger Insektenbeine über sie hinweg kriechen. Wahrscheinlich wäre ihr das tatsächlich lieber gewesen, als sich von diesem Typen auch nur anfassen zu lassen. Wenn es einen Gott gab, erbittete sie sich nun zum ersten Mal genug Willenskraft von ihm um nicht sofort schreiend vor diesem Ekelpaket davon zu laufen. Nun gut, wenigstens war Marivar von nun an in Sicherheit.

Hoffte sie mindestens. Mit geübter Bewegung zog sie den Speer vom Rücken und beobachtete Varicaz, der  genüsslich seine Axt herum wirbelte. Das Geräusch, was der schwere Stahl verursachte, während er durch die Luft schnitt machte Chyara nervös. Varicaz Schritte, die er auf sie zu tat waren langsam und einschüchternd. Sie symbolisierten mehr oder weniger die Worte: ‚Du kannst mir nicht entkommen, egal was du tust.‘ Sie sog tief die Luft ein und schloss die kurz die Augen, in diesem Moment hörte sie, wie sich Varicaz Schritte im Sand beschleunigten.

Natürlich. Chyara öffnete die Augen und reagierte im Bruchteil einer Sekunde, sie drehte den Körper zur Seite und sah, wie die Axt haarscharf an ihr vorbei in den Sand glitt. Als nächstes führte Varicaz einen weiteren Hieb um ihr Sand entgegen zu wirbeln. Nicht mit ihr. Sie tat einen schnellen Satz zurück, doch sie hatte Varicaz Geschwindigkeit wohl unterschätzt, denn innerhalb kürzester Zeit riss er den Axtkopf auf dem Sand, wirbelte die gewaltige Axt herum und ließ einen weiteren, diesmal diagonal von oben nach unten geführten Hieb folgen.

Erneut vollführte Chyara einen Satz zurück. Varicaz lachte, als er den nächsten Hieb führte, dem Chyara erneut auswich, diesmal jedoch führte sie einen schnellen Schritt nach vorn aus, wirbelte den Speer herum und verpasste ihm einen Hieb mit dem stumpfen Ende des Speers gegen die Schulter. Es sah so aus, als sei sie einfach an ihm vorbei gegangen und hätte ihm im Vorbeigehen einen Klaps versetzt. Das Publikum war still. Das war auch gut so. Chyara musste sich konzentrieren. Etwas, was ziemlich unmöglich war, wenn alle Leute um sie herum durcheinander schrien. Sie sog tief den Atem ein und konnte spüren, wie die Spannung auf ihrer Haut zu kribbeln schien.

Der Kampf begann. Varicaz stieß einen Schrei aus und die Axt wirbelte in einer unfassbaren Geschwindigkeit durch die Luft. Chyara gelang es mit einiger Mühe dem Axthieb auszuweichen. Sie duckte sich darunter hinweg und vollführte eine Rolle nach vorn um nicht weiter auf der Stelle zu stehen. Sie sprang auf, wandte sich ihm in der gleichen Bewegung zu und fasste ihn mit einem finsteren Blick ins Auge, während er bereits den nächsten Angriff ausführte. Sie musste nur den Kopf zur Seite neigen um dem Hieb in graziler Vollkommenheit zu entgegen.

Sie konnte den Luftzug auf ihrem Gesicht spüren, als die Axt an ihr vorbei schoss und konterte. Der Speer schoss ihm entgegen, diesmal mit der Spitze voran und mit einem Stoßangriff. Varicaz wich ihm mit einem schnellen seitwärtsschritt aus, aber nicht mit ihr. Sie setzte nach und vollführte einen Halbkreiskick, der Varicaz direkt an der Wange traf. Von der gesamten Wucht des Angriffs gepackt fand er sich mit einem Mal auf dem Boden sitzend wieder, während Chyara ihm einen weiteren Tritt verpasste, diesmal traf sie seine Schläfe.

Für einen Moment schien er mit dem Bewusstsein zu ringen, doch er fing sich wieder und rollte sich zurück um aufzuspringen. Die Axt zwang Chyara auf Abstand, als er einen schnellen waagerechten Hieb folgen ließ. Chyara stieß den Atem aus und brachte sich in Sicherheit. Diesmal jedoch schien Varicaz den Kampf möglichst schnell beenden zu wollen, denn er ließ einen Schlag nach dem anderen folgen, zwang sie dazu hilflos auszuweichen, zurück zu weichen und als sie den warmen Stein des Arenarandes im Rücken spürte ging ihr sein Plan auf. Sie fluchte innerlich und warf sich zur Seite, als die Axt mühelos einen Spalt in die Sandsteinwand hieb. Chyara nutzte die Gelegenheit.

Während Varicaz an seiner Axt zerrte um sie aus der Steinwand zu reißen trafen ihn zwei schnelle Hiebe, einer gegen den Kiefer und einer frontal gegen die Nase. Er strauchelte und stolperte zurück, wobei er die Axt los ließ. Er schüttelte den Kopf und ging mit den Fäusten zum Gegenangriff an.

Chyara blockte die Angriffe, fegte den frontal geführten Fauststoß mit ihrer flachen Hand zur Seite und  entging dem linken Schwinger, indem sie ihn mit dem anderen Arm blockte.

Chyara stieß einen Fluch ab, als sie erkannte, dass Varicaz genau das geplant hatte. Seine Hände packten ihren rechten Arm und drehte ihn mit brutaler Gewalt auf ihren Rücken. Sie stieß einen leisen Schrei aus, als er stark an ihrem Gelenk zerrte. Verdammt, sie war auf den gleichen Trick rein gefallen wie Marivar. Varicas schlang einen Arm um ihren Körper und packte unsanft ihre Brust. Sie zischte schmerzerfüllt und frustriert.

„So du kleine Schlampe. Gib auf, schwör mir deine Treue oder ich reiße dir den Arm aus dem Gelenk und sorge dafür, dass er den Rest deines Lebens nutzlos an deiner Seite baumelt. Na wie klingt das?“, erklang seine arrogante Stimme genau hinter ihr. Ihr Arm schmerzte und sie versuchte sich aus seinem Griff zu winden, doch er zog nur noch fester. Unaussprechliche Schmerzen rasten durch ihre Schulter und sie gab ihr bestes nicht los zu schreien.

„Na los, schrei Schlampe, das ist Musik in meinen Ohren.“, lachte er Chyara zischte schmerzerfüllt. Das wars. Sie würde genau so enden wie Marivar. Er würde sie vergewaltigen. Immer wieder, bis er sie gebrochen hatte, bis sie freiwillig mit ihm schlafen würde, nur um keine Schmerzen mehr leiden zu müssen. Sie würde es immer wieder ertragen, bis sie nur noch ein geistloses Stück Fleisch war.

NEIN! Dafür war sie nicht so weit gekommen.

Ihre Gedanken glitten zu ihrer Ziehmutter, die sie immer mit Missachtung gestraft hatte, dann zu Valara, die sie als ihre Tochter aufgenommen hatte. Sie dachte an Iador und Vanic, die mit ihr trainierten und ihr immer wieder bewiesen, wie stolz sie auf sie waren. Sie dachte an Marivar, wie sie gebrochen  und nackt auf dem Boden lag und sie mit Tränen in den Augen anblickte.

„NEIN!“, brüllte sie und ergriff ihre letzte Chance. Mit einem lauten Schrei warf sie sich ihm entgegen und spürte wie ihr Arm aus dem Schulter Gelenk rutschte. Sie biss die Zähne zusammen und nutzte die Verwirrung, die kurz eintrat. Mit voller Wucht rammte sie Varicaz den linken Ellbogen in die Seite und riss den Kopf zurück. Ihr Hinterkopf kollidierte mit seinem kantigen Kiefer und es krachte.

Innerlich hoffte sie, dass das, was sie brechen gehört hatte sein Kiefer war und nicht ihr Schädel, doch sie tippte darauf, dass sie Glück hatte, denn Varicaz ließ sie los und als ihr Fuß mit seinen Kronjuwelen kollidierte stieß er einen so erbärmlich hohen Schrei aus, dass ein Chor voller Gottesgeiler Nonnen stolz darauf gewesen wären. Sie stieß einen wütenden Schrei aus und nahm den Speer, der im Sand gelandet war in die linke. Mit einer Drehung holte sie Schwung und ließ ihm das Stumpfe Ende der Waffe gegen den Schädel krachen.

Er taumelte. Es war ein wunderschöner Anblick zu sehen, wie ihm das Blut unablässig aus dem Mund lief, der Kiefer hatte eine seltsam groteske Form angenommen und sie hoffte, dass es so schmerzhaft war, wie es aussah. Varicaz stieß einen Laut aus, der wohl am ehesten als knurrendes Brüllen bezeichnet werden konnte und schlug zu. Doch der Schmerz, der durch Chyaras Körper pulsierte machte erfinderisch. Sie lenkte ihre Schulter so, dass die Faust genau darauf prallte.

Die Schmerzen wurden für einen Moment fast zu viel, als Varicaz Faust mit ihrer ausgekugelten Schulter kollidierte und den Knochen gehorsam zurück ins Gelenk schob. Chyara lächelte und beschloss es ihm dreifach zurück zu zahlen. Sie täuschte einen Schlag von links an, trat dann von rechts zu, als Varicaz sich vor dem Schlag in Sicherheit bringen wollte. Ihr Fuß traf erneut sein Jocbbein, er schrie auf. Sie griff in sein Haar und schlug zwei weitere Mal zu. Frontal krachte ihre Faust zwei Mal auf seine Nase, ehe sie mit lautem Krachen nachgab.

Musik in Ihren Ohren. Die pure Angst in seinen Augen war einfach nur zu schön anzusehen, doch es reichte. Nur noch eine Kleinigkeit. Sie trat ihm gegen die Brust und er sackte kraftlos nach hinten. Sie stieß den Speer in den Sand und zog den Klingenfächer. Sie ließ ihn aufklappen und drückte die Klingen zwischen seine Beine. „Du wirst Marivar nie wieder anfassen, verstanden?“, fragte sie und er nickte mit Angst erfüllten Blick.

„Du wirst nie wieder eine Frau dazu zwingen mit dir zu schlafen, du wirst keine Frau mehr anfassen, es sei denn sie wünscht es ausdrücklich. Verstanden?“, gab sie zurück und er wimmerte mit zustimmenden Nicken, als der Druck auf seine Kronjuwelen noch härter wurde.

„Schwöre es.“, forderte sie und er stieß halb nuschelnd halb schreien die Worte: „Schwöre Es…“ hervor. Sie nickte und ließ den Klingenfächer zuschnappen, was seine Hose aufritzte. Ein nasser Fleck bildete sich zwischen seinen Beinen und sie grinste, als sich die Luft mit dem Geruch von Urin vollsog. Sie wandte sich um, drehte sie sich noch einmal um und drosch ihm den zu geklappten Fächer gegen die Schläfe.

Der dumpfe, hohle Klang, als der Fächer seinen Schädel traf war erfüllend, genauso wie der lautlose Schrei auf seinen Lippen, als er vollends das Bewusstsein verlor. Sie wandte sich unter den Blicken fassungslos stiller Zuschauer ab und durchquerte das Tor.

Erst jetzt gab sie sich eine Blöße, ließ sich auf eine der Bänke fallen und schluchzte. Sie hätte niemals gedacht, dass sie mit einer solchen Brutalität hätte handeln können. Ihre Schulter schmerzte furchtbar und pochte unablässig. Das sollte sich ein Arzt ansehen.  Doch für diesen einen Moment brauchte sie Ruhe. Sie hatte Marivar aus seinen Händen befreit, zu dem Preis, dass sie nun nicht mehr wusste wer sie war. War sie die schüchterne und freundliche Chyara, die sie gegenüber Iador, Valara und Vanic war? Oder war sie die brutale und durchgeknallte Chyara, die gerade Varicaz zusammen geschlagen hatte? Sie wusste es nicht. Bitterlich weinte sie. Die Tür öffnete sich knarrend, doch es war ihr egal.

„Wow, ich hoffe du bist niemals auf mich sauer…“, erklang Rilars Stimme und sie wandte ihm den Blick zu. Sie sprang auf und fiel ihm um den Hals. Schluchzend drückte sie sich an ihn und er schlang zärtlich die Arme um ihn. Sanft streichelte er ihren Rücken und ihr Haar.

„Alles ist gut… es ist vorbei… Ich bin da…“, säuselte er beschwichtigend und hielt sie fest im Arm und für diesen kleinen Moment war es ihr egal, wer sie war. Für diesen kurzen Moment, war die Welt schön.

 

 

„Sie scheiden aus.“, erklärte die sachliche, nasal klingende Stimme des Arztes, der den Verband um ihre Schulter und ihren ganzen Arm etwas strammer zog.

„Aber…“, begann Chyara, doch der Arzt blickte sie unnachgiebig an.

„Nichts aber. Mit diesem Arm können sie nicht kämpfen. Jedenfalls nicht in einem Turnier. Sie sind weit genug gekommen und haben ihren Standpunkt klar gemacht. Verstanden?“, entgegnete der Arzt finster und Chyara blickte verlegen zu Boden.

„Was ist mit ihm?“, erkundigte sie sich nach Varicaz befinden. Der Arzt gluckste.

„Er wird einige Zeit Flüssignahrung zu sich nehmen und wahrscheinlich wird er neue Zähne brauchen. Du hast seinen Kiefer völlig zertrümmert. Aber mit einer guten Magiebehandlung wird er wieder.“, gab der Arzt zurück und klang in keinster Weise so vorwurfsvoll, wie sie es erwartet hatte.

„Sie sind nicht sauer, weil ich es übertrieben habe?“, fragte sie kurzatmig und der Arzt zuckte mit den Schultern.

„Es wurde Zeit, dass das passiert. Es war seltsam befriedigend zu sehen, wie gerade er von einer Frau zusammen geschlagen wird.“, erklärte der Arzt und ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Wieso das?“, fragte sie, obwohl sie sich die Antwort bereits denken konnte. Der Arzt zog eine Augenbraue in die Höhe und lächelte dann erneut.

„Brauchst du darauf wirklich eine ehrliche Antwort?“, gab er zur Antwort und Chyara winkte ab.

„Schon gut… Ich habe meine Vermutungen…“, gab sie dann zurück und der Arzt nickte.

„Ich hoffe du kannst verstehen, warum ich dich für den restlichen Wettkampf sperre.“, sagte und sie warf ihm einen seltsamen Blick zu.

„Weil… meine Schulter ein Nachteil für folgende Kämpfe wäre?“, fragte sie und er schenkte ihr ein mildes Lächeln. „Auch. Dazu kommt die Art und Weise, wie du mit Varicaz umgegangen bist, obwohl er, wie wir beide wissen wohl schlimmeres verdient hatte.“, gab er zurück und sog tief die Luft ein. Offenbar war er noch nicht fertig.

„Der wohl wichtigste Grund ist dein nächster Gegner. Er ist eine dieser Wüstenratten… Ich will damit jetzt kein Klischee bedienen oder ähnliches… Die Männer aus der Wüste, wie sie hier in Rakura genannt werden, werden als Auftragsmörder und bezahlte Karawanenwächter ausgebildet. Sie sind dafür bekannt, dass sie jedes Jahr einen anderen Schüler schicken.Die meisten von ihnen würden ohne Weiteres deine Verletzung zu ihrem Vorteil nutzen, auch wenn das zur Folge hat, dass du deinen Arm nie wieder gebrauchen kannst…“, seufzte der Arzt und Chyara stutzte. „Sie sperren mich wegen… Rassismus?“, fragte sie irritiert und der Arzt lachte traurig.

„Ich sperre dich, weil deine Verletzung viel zu einfach verschlimmert werden kann und sich zu einem riesigen Problem auswachsen kann. Und wegen Rassismus.“, erklärte er und lächelte dann. Sie blickte ihn erneut irritiert an.

„Aber Rilar ist nicht so…“, begann sie und er lächelte müde.

„Ich verstehe, dass sein Charme auf dich wirkt, aber egal, was zwischen euch ist. Du wirst ihn nach dem Turnier nie wieder sehen. Trenne dich von ihm solange du noch dazu in der Lage bist, sonst könntest du es bereuen.“, erklärte er mit mild klingender Stimme. Wusste er etwa mehr über die beiden? Wusste er was für eine Beziehung sie führten? Sie stand auf.

„Danke für die Behandlung. Kann ich gehen?“, gab sie von sich und der Arzt zuckte mit den Schultern. „Die körperlichen Wunden sind behandelt, mehr kann ich nicht tun.“, gab der Arzt seine Erlaubnis und Chyara verbeugte sich knapp, ehe sie aus dem Raum flüchtete. Was wusste er schon? Was wusste dieser verdammte Arzt schon von Rilar? Sie kannte ihn. Sie war ihm näher gewesen. Sie war ihm sogar… So nah gewesen. Wenn sie ihn nicht kannte, wer dann? Sie stockte. War das jetzt die verzweifelte Hoffnung eines kleinen Mädchens? Verdammt nochmal, sie war 17 Jahre alt.

Im Endeffekt wusste sie nichts über ihn. Sie wusste, dass er aus der Wüste kam. Sie hatte keinen seiner Kämpfe gesehen, wusste nur, dass er sie beide gewonnen hatte. Aber sie wusste auch, dass er für sie da gewesen ist, als traurig war. Ob sie ihrer Mutter wohl erzählen sollte, was zwischen ihr und Rilar gewesen war? Es war wahrscheinlich besser, wenn sie es nicht tat. Sie würde ihr nicht so etwas Abgedroschenes sagen wie: ‚Du bist viel zu jung dafür‘, oder ähnliches.

Nein. In Rakura galt eine Frau mit 13 Jahren als Heiratsfähig. Aber was würde sie letztendlich sagen? Würde sie es gutheißen? Würde sie verlangen, dass sie mit Rilar ging und ihn heiratete? Nein auf keinen Fall. Sie sog tief die Luft ein. Vielleicht würde sie es ihr irgendwann einmal erzählen, aber nicht mehr heute. Auch nicht morgen. Irgendwann.

Mit langsamen Schritten ging sie auf den Flur zu, in dem sich ihre Zimmertür befand und konnte sehen, dass sich fünf Leute vor ihrer Tür versammelt hatten. Rilar bemerkte sie zuerst und nickte ihr respektvoll zu. Das war wohl das höchste der Gefühle, wenn man bedachte, dass er wieder seine Verschleierung trug. Vanic, Marivar, Iador und Valara bemerkten sie als nächstes und stürmten auf sie zu um sie zu umarmen. Andere Länder, andere Sitten. Sie musste zugeben, dass es verdammt schmerzhaft war, als ihre Mutter sie unkontrolliert fest in die Arme schloss.

Chyara stieß ein unterdrücktes, schmerzerfülltes Stöhnen aus und ihre Mutter ließ sie sofort los.

„Tut mir leid mein Schatz… Ich hab total vergessen, dass du verletzt bist…“, stieß sie nervös hervor und Chyara lächelte leicht.

„Schon in Ordnung.“, erklärte sie und biss bei den allmählich verklingenden Schmerzen etwas die Zähne zusammen.

„Du hast ihn ordentlich vermöbelt…“, erklärte Vanic mit einem Lächeln und Marivar strahlte.

„Wenn ich könnte würde ich es mir gerne nochmal in Zeitlupe ansehen.“, schwärmte sie mit einem Augenzwinkern und Vanic verpasste ihr einen Knuff in die Rippen. Sie lächelte ihn an. Offenbar waren die beiden sich wirklich näher gekommen. Sie zuckte mit den Schultern.

„Mach dir keine Gedanken darüber. Der Junge hat bekommen, was er verdient hat. Es könnte allerdings sein, dass ich mich mit seinem Vater unterhalten werden muss.“, erklärte Iador und lächelte sie an. Es wunderte sie, dass niemand etwas darüber sagte, dass sie wirklich brutal mit ihm umgesprungen war. Sie lächelte schwach und zog dann den Klingenfächer aus ihrem Gürtel. Sie reichte ihn Marivar und lächelte leicht. Sie schüttelte den Kopf und lächelte.

„Behalt ihn. Selbst meine Meisterin sagt, dass du unserer Schule Ehre gemacht hast, indem du ihn benutzt hast.“, sagte Marivar mit ruhiger Stimme, wobei ihr rathischer Akzent unverhohlen mitschwang.

„Was ist eigentlich noch passiert, während ich nicht da war?“, fragte Chyara und Marivar errötete.

„Nun… Varicaz hat bei mir geklopft und Vanic hat aufgemacht. Der Dreckskerl hat eine Menge herum gebrüllt, aber Vanic hat sich nicht entmutigen lassen und ihm gesagt, er solle gehen… Varicaz hat angefangen Vanic anzugreifen, doch er hat einen kühlen Kopf behalten und so lange Varicaz Angriffe ertragen, bis dieser total fertig war und wieder gegangen ist…“, erklärte Marivar und ein Lächeln stahl sich auf Chyaras Gesicht.

„Du siehst garnicht wie ein Prügelknabe aus.“, brachte Chyara hervor und lächelte Vanic an. Er zuckte mit den Schultern und zog sein Hemd etwas an. Blaue Flecken zeichneten sich auf seiner sonst blassen Haut ab.

„Die Schläge ins Gesicht waren besser abzublocken.“, lächelte er und zuckte den Schultern, was ihn offenbar nicht geringe Schmerzen verursachte. Rilar näherte sich ihnen langsam und nickte Chyara zu.

„Es war ein guter Kampf… Auch wenn du dich etwas hast… gehen lassen.“, erklärte er und Chyara errötete spontan. Marivar stutzte kurz, dann jedoch breitete sich ein wissendes Lächeln auf ihren Lippen aus. Vanic hüstelte und schaute weg.

„Nun… Wir werden dann mal… gehen… Wichtige Dinge warten auf uns.“, erklärte er und griff nach Marivars Hand.

„Ach ja?“, fragte sie und schaute Vanic an. Er warf einen schnellen Blick auf Chyara, dann auf Rilar und dann auf die Zimmertür. Marivar grinste breit.

„Ach ja… Diese Dinge… Ähm Meisterin Valara, Meister Iador, würdet ihr mir bitte… Helfen? Ich wollte mir noch das Museum ansehen, aber es ist während der Kämpfe gesperrt.“, brachte sie hervor und blickte Chyaras Eltern an.

„Ach ja?“, fragte Iador verdutzt und kassierte einen Ellbogenhieb von Valara in die Rippen.

„Ach Ja! Richtig!“, erklärte er und ließ sich von Valara, die ihrer Tochter verschwörerisch zuzwinkerte mit ziehen. Chyara stand wie angewurzelt da.

„Das war… verdammt peinlich…“, erklärte sie trocken und Rilar gluckste.

„Ich muss sagen, dass ich deine Freunde und deine Eltern für sehr sympathisch halte.“, entgegnete er und zuckte mit den Schultern. Sie lächelte und sammelte dann all ihren Mut. „Du wirst gehen, nicht wahr?“, fragte sie und Rilar erstarrte, dann senkte er den Blick.

„Ja.“, gab er zurück und Chyara blickte ihn an. „Wirst du wieder kommen?“, fragte sie hoffnungsvoll und Rilar schüttelte den Kopf.

„Nein. Wahrscheinlich nicht.“, entgegnete er und Chyara nickte leicht.

„Also… Ist das dein letzter Besuch?“, fragte sie und Rilar wartete etwas, ehe er nickte.

„Ich verstehe.“, sagte sie dann und wandte ihm den Rücken zu.

„Ich gratuliere dir zu deinem Sieg. Ich hoffe dich erwartet eine gute Zukunft.“, fügte sie nach kurzem Zögern hinzu. Sie atmete tief durch, doch ehe sie einen Schritt machen konnte legte sich eine Hand auf ihre Schulter und zog. Ungeschickt taumelnd landete sie in Rilars Armen, der sie zärtlich an sich drückte.

„Es tut mir leid.“, seufzte er und barg sein Gesicht an ihrer Schulter. Sie stutzte. Sie hatte vieles erwartet, aber ganz sicher nicht das.

„Ich… wollte dich nicht verletzen.“, seufzte er und sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Ohne, dass sie etwas dagegen tun konnte kamen ihr die Tränen und sie presste das Gesicht an seine Brust.

„Idiot… Ich… Warum gehst du einfach?“, stieß sie hervor und war von sich selbst überrascht. Warum nahm sie das so mit? Sie hatten doch nur miteinander geschlafen. Oder war da doch mehr gewesen? Für sie? Möglicherweise auch für ihn?

„Ich muss… Mein Leben gehört der Schule… Ich… Wenn ich nicht gehe wird man mich jagen und töten.“, erklärte er und zog sie dichter an sich. So war das? Wenn man in Zhanda ausgebildet wurde, wurde man verpflichtet sein Leben in den Dienst der Schule zu stellen? Das konnte sie nicht glauben.

„Wieso?“, fragte sie mit bebender Stimme.

„Ich wurde von meinen Eltern an die Schule verkauft. Die Schule hat mich ernährt, erzogen und mich zu einer Waffe geformt. Laut dem Gesetz der Wüste gehöre ich solange der Schule, bis ich ihr das Geld, was sie in mich investiert hat zurück erstattet habe.“, erklärte er mit ruhiger und leerer Stimme. So grausam es klang, so plausibel klang es auch. Er kam aus einer völlig anderen Welt. Nicht jede Stadt oder jeder Ort war wie Rakura.

„Bleib in Rakura… Bleib bei mir, wir können dich beschützen…“, gab sie mit zitternder Stimme zurück und sie konnte spüren, wie er den Kopf schüttelte.

„Rakura hat einen Vertrag mit der Schule. Schüler der Schule des Wüstensarges werden unmittelbar nach dem Turnier aus der Stadt entfernt, damit das Verhältnis zwischen Zhanda und Rakura nicht gestört wird. Ich habe keine Wahl. Rein Rechtlich bin ich, sobald ich weg laufe vogelfrei. Sowohl in Rakura, wie auch überall anders auf der Welt.“, seufzte er und streichelte Chyaras Rücken.

„Ich… Ich will nicht, dass du gehst.“, stieß sie hervor und fühlte sich mit einem Mal schwach und wehrlos, wie das verletzliche Mädchen, was sie eigentlich war.

„Ich muss gehen…“, seufzte er und schluckte dann.

„Aber ich verspreche dir, dass ich dich niemals vergessen werde… Und wenn ich es schaffe meine Schulden gegenüber der Schule zu tilgen… Werde ich zu dir kommen.“, erklärte er und wirkte in diesem Moment entschlossen.

„Du schreibst mir, verstanden? Jeden Monat einen Brief… An die Adresse von Meister Iador.“, erklärte sie und blickte ihn fest an. Er zögerte, dann nickte er.

„Jeden Monat. Verstanden. Und sendest du mir einen Brief zurück? Jeweils an die Absenderadresse?“, gab er zurück und in seinen Augen schimmerte so etwas wie Hoffnung. Chyara lächelte.

„Natürlich tue ich das du Dummkopf.“, lächelte sie mit Tränen in den Augen. Irgendwie beruhigte sie der Gedanke, dass er ihr schreiben würde. „Ich werde dich niemals vergessen Chyara.“, erklärte er mit ernster Stimme. Chyara lächelte matt.

„Und ich werde dich nicht vergessen Rilar.“, erklärte sie und lächelte.

„Ich muss jetzt los…“, sagte er und deutete mit dem Kinn hinter sie. Chyara wandte sich um und sah den anderen beiden vermummten Männer aus der Wüste.

„Ich verstehe… Schade… Ich hätte dir gerne noch ein Abschiedsgeschenk gegeben… Aber dann musst du damit vorlieb nehmen.“, murmelte sie, dann zog sie ihm den Schleier vom Gesicht und küsste ihn zärtlich auf die Lippen. Er öffnete genüsslich den Mund und empfing ihre Zunge, die sanft über seine strich. Er erwiderte den Kuss mit all der Leidenschaft, zu der er fähig war und als sie den Kuss beendeten lächelte er.

„Sieh das als kleinen Vorgeschmack.“, erklärte sie mit einem schelmischen Lächeln. Er erwiderte das Lächeln.

„Je schneller du das Geld für deine Schule verdienst, desto schneller kann ich dir den Rest… zuteil werden lassen.“, grinste sie und blinzelte sich die Tränen aus den Augen. Er nickte und schluckte dann.

„Wir sehen uns wieder.“, sagte er mit ruhiger Stimme, auch wenn sie glaubte ein Lachen darin auszumachen.

„Das werden wir. Gute Reise Rilar. Möge der Wind und das Feuer der Sonne dich behüten.“, antwortete sie, als er sie los ließ und rezitierte damit eine uralte Floskel, die man in Rakura reisenden mit auf dem Weg gab. Er nickte und lächelte dabei, ehe er sich den Schleier wieder über Mund und Nase zog.

„Ich freue mich darauf dich wieder zu sehen Chyara.“, sagte er noch, dann ging er an ihr vorbei. Sie seufzte.  Sie hätte das Gespräch darüber in ihrem Zimmer beginnen sollen… hätte sie das getan, dann hätten sie sich anders verabschiedet. Sie wandte sich noch einmal ab und sah, wie sich Rilar mit den beiden anderen Wüstenmännern unterhielt. Der größere von den beiden anderen, der einen schwarzen Schleier trug, statt, wie Rilar einen grauen deutete auf Chyara. Rilar wurde stock steif.

Dann lachte der Mann und Chyara hörte, wie der Mann laut lachend etwas sagte, was sich ziemlich genau wie: „Morgen Früh.“ Anhörte. Rilar entspannte sich und selbst auf diese Entfernung konnte Chyara sehen, wie Schwarzschleier Rilar zu zwinkerte, dann packte er den anderen an der Schulter und zog ihn mit sich ehe er ging. Rilar wandte sich ihr zu und ging auf sie zu.

„Scheint so, als sei ich wieder da.“, erklärte er und Chyara musste Lächeln.

„Wie lange kannst du denn bleiben, jetzt wo du solange weg warst?“, fragte Chyara im Ton einer Ehefrau, die ihren Ehemann empfing. Rilar ging auf sie zu, schlang einen Arm um sie und zog den Schleier etwas herunter.

„Nur diese Nacht, morgen muss ich mich auf den Weg zurück machen.“, erklärte er und küsste sie. Es war schön, fühlte sich wunderbar an und sie lächelte, als sie ihn packte und zu ihrem Zimmer zog und die Tür öffnete.

„Nach einer so langen Reise bist du sicher erschöpft, was hältst du von einer ausgiebigen Dusche und ein paar Stunden… Im Bett?“, gab sie zurück und Rilar grinste.

„Das klingt sehr gut.“, entgegnete er, packte sie, hob sie hoch und trug sie ins Zimmer. Sie lachte, als die Tür klickend hinter ihnen ins Schloss fiel. Das Turnier ging offiziell bis Morgen Mittag, also war das Zimmer auch noch bis morgen früh für sie nutzbar.

Impressum

Lektorat: Shirohime / Jessica K.
Tag der Veröffentlichung: 09.07.2018

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine wundervolle Freundin Jessica, die immer wieder ihr bestes gibt um mir zu helfen und mich zu motivieren weiter zu schreiben. Vielen Dank für alles, für all die Gespräche, die mich auf neue Ideen bringen, für all die Mühe, die das korrigieren meiner Texte sicherlich bedeutet und für all die motivierenden Worte mit denen du mich dazu bringst immer weiter zu machen und niemals aufzugeben. Du bist die Beste.

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