Cover

NEUES LEBEN, SCHWER GEMACHT!

Ich setzte mich auf einen der unzähligen Umzugskartons und schaute durchs Zimmer. Ich bin angekommen, dache ich zufrieden. Mein Blick wanderte zum Fenster, hinaus aufs freie Feld. Wie herrlich. Natur, frische Luft, die schwäbische Alb direkt vor der Haustür. Ich hatte mich bewusst für dieses kleine Dorf im Kreis Reutlingen entschieden.
Meine Großeltern hatte hier gelebt und als kleines Mädchen durfte ich jeden Sommer mehrere Wochen bei ihnen verbringen. Sie hatten einen richtigen Bauernhof, mit 20 Kühen, Schweinen, Gänsen, und, das war natürlich das Highlight für ein kleines Mädchen, wie mich, 2 Pferde.
Jeden Tag kamen unzählige Kinder aus der Umgebung, um eine Runde zu reiten. Oft durfte ich die Longe halten und fühlte mich wie die Chefin. Dann waren es meine Pferde, mein Bauerhof, meine Reitstunde.
Ich lächelte bei dem Gedanken. Heute morgen hatte ich München den Rücken gekehrt. Viel zu lange hatte ich dort ausgeharrt. Mit meinen 33 Jahren hatte ich viel erreicht, vor allem beruflich. Ich war erfolgreiche Web-Designerin und hatte mir einen großen Kundestamm aufgebaut. Der große Vorteil war, dass ich meist von zu Hause arbeiten konnte.
Doch irgendwie war ich nie richtig glücklich. Gerade hatte ich mich von Lorenz getrennt, einem erfolgreichen Juristen und absolut Karrierefixiert. Wir waren 7 Jahre zusammen, aber ich hatte in seinem Leben schon lange keinen Platz mehr. Nach und nach wurde ich verdrängt, nicht mehr mit einbezogen in Entscheidungen, Pläne und ganz ehrlich gesagt, machte es mir auch nichts aus. Oft kam es vor, dass er spät nachts nach Hause kam und morgens vor mir das Haus verließ und wir uns über Tage gar nicht sahen. Auch das war nicht weiter störend.

Doch genug geträumt, ermahnte ich mich. Jetzt wird ausgepackt, jetzt beginnt endlich mein neues Leben.
Schnell war die gemütliche 2-Zimmer Wohnung eingerichtet und ich fühlte mich von Tag zu Tag wohler. Durch die Kindheitserinnerungen war jede Strasse, jeder Winkel vertaut und ich hoffte natürlich auch, dass ich schnell Anschluss finden würde, dass mich vielleicht sogar jemand erkennt. Ich gab die Hoffnung schnell auf, denn niemand grüßte mich. Gut, tröstete ich mich, ich war auch 16 Jahre nicht hier gewesen. Meine Großeltern waren viel zu früh verstorben. Als meine Oma 1992 an einem Herzinfarkt starb, baute auch mein Opa sehr schnell ab, er hatte ohne sie keinen Lebenswillen mehr und folgte ihr nur 5 Monate später. Das war im März 1993. Das war mein letzter Besuch.
Ich konnte Jahrelang nicht mehr herkommen, zu sehr schmerzten die Erinnerungen. Doch tief im Innern spürte ich, das mich mit diesem Dorf mehr verbindet. Und deshalb war der Entschluss schnell gefasst, - ich musste hier her ziehen, ganz neu beginnen, meine innere Ruhe finden.
Ich schlenderte durch die Dorfmitte, blieb vor dem alten Rathaus stehen. Ein uraltes Gebäude aus dem 18ten Jahrhundert. Davor erstreckte sich ein großer, asphaltierter Platz mit einem steinernen Brunnen, der vor sich hinsprudelte. Ich drehte mich einmal im Kreis. Der Platz war umsäumt von schönen, historischen Gebäuden. Die Bibliothek, die alte Post, daneben das Wirtshaus „zum Hirsch“ und gleich nebenan fand sich ein Bäcker und eine Metzgerei.
Entschlossen ging ich auf den Bäcker zu, spürte, dass ich ziemlich Hunger hatte. Ich öffnete die Türe und sofort verstummten die Gespräche der 2 Frauen, die sich mit der Verkäuferin unterhielten. Alle drehten sich um. Es war nichts freundliches in ihren Gesichtern. „Guten morgen“, sagte ich sofort. „Ha, jetzt isch doch nemmer morga, isch doch gar schon Mittag“, sagte die eine etwas entrüstet.
Was meint sie? Es war doch erst viertel nach elf. Ich ließ mich nicht beirren und bestellte eine Butterbrezel und einen Kaffee zum Mitnehmen, - einen Cafe to go. Das gab es dort natürlich nicht. Ich muss lernen umzudenken, ermahnte ich mich.
„Sie wohnet jetzt hier, stimmts?“, fragte mich die dieselbe Dame. „Ja, das tue ich.“ „Und wie heisset sie?“, wollte nun die Andere wissen. Sollte ich das verraten? Was geht sie das an? Ist das nicht zu persönlich? Nein, natürlich nicht. Ich lebe jetzt in einem 723 Seelen-Dorf und da darf so etwas gefragt werden.
„Sarah-Marie Kempa.“ „So, so“, war die knappe Antwort. Ich ging, ohne Cafe to go, aber mit der leckeren Butterbrezel nach draußen, in die ich erst mal herzhaft hinein biss, als mich vom Metzger nebenan ein Ehepaar mit zwei schreienden Kindern unfreundlich ansah. Mir blieb der Bissen im Mund stecken. Ich nickte freundlich, versuchte zu lächeln und drehte mich rasch um. Weg hier. Was ist denn nur mit den Leuten los? Mich beruhigte aber schnell der Gedanke, dass ich nun einfach neu war und so etwas sicher nicht so oft vorkam. Eine Fremde von der Stadt entscheidet sich für ein Dorf, das wirklich nichts zu bieten hat. Obwohl dieses verträumte Nest mir ja ganz und gar nicht fremd war. Aber das wussten die Menschen hier natürlich nicht.
Mittlerweile sind mehrere Wochen vergangen. Ich vertiefte mich in meine Arbeit, die mir unendlich viel Spaß machte und ich war motivierter, denn je. Jeden Tag legte ich eine größere Pause ein, um nach entweder einkaufen, oder einfach nur spazieren zu gehen. Kopf frei bekommen, nachdenken, neue Kraft tanken. Das hatte ich in München vermisst. Durch die vermiefte Stadt laufen, nein Danke, das war kein Vergleich zur echten Natur. Schnell hatte ich eine Lieblingsrunde auserkoren, die direkt durchs Dorf und anschließend außen herum über weite Felder führte. Herrlich. Wobei mir der Weg vorbei an beschäftigten Bauern, spielenden Kindern in den Gärten und geschwätzigen Frauen über Gartenzäune wesentlich besser gefiel. Ich hatte immer ein Lächeln auf den Lippen, liebte es zu gucken, zu beobachten, zu lauschen, zu erfahren, wie das Dorf lebte und tickte. Doch gleichzeitig fiel es mir von Woche zu Woche schwerer, diesen Weg zu gehen. Ich grüßte jeden, den ich sah, hatte aber den Eindruck, als ob niemand mit mir zu tun haben möchte. Warum denn nur? Hatte ich eine großes Schild umhängen, auf dem stand „lasst mich alle in Ruhe, ich find euch doof!?“
Nachdenklich öffnete ich die Türe zum kleinen Tante-Emma Laden in der Dorfmitte. Ein uriges Geschäft mit einer genauso urigen Dame an der Kasse. Sie hatte diesen Laden voller Liebe ausgefüllt mit allem, was man braucht, oder auch nicht braucht. Regale reichten bis zur Decke und neben Lebensmittel gab es Schreibwaren, Küchengeräte und sogar Bastelartikel. Ich hielt mich gerne dort auf, es erinnerte mich an meine Kindheit. Diesen Laden gab es natürlich damals schon. Von Oma bekam ich oft fürs Helfen ein kleines Taschengeld, rannte hierher, um ein Eis, oder Süßes zu kaufen. Auch heute blieb ich wieder fasziniert vor dem Regal mit Schütten voller Schokolade und Gummitieren stehen. Es sah aus wie vor 20 Jahren. Ich griff sofort nach einer Tüte, und füllte sie mit kindlichem Eifer bis an den Rand. Ich war so versunken, dass ich nicht mitbekam, dass mich alle Leute im Laden anstarrten. Das waren eine Mutter mit ihrem etwa 5 Jahre alten Bengel, ein älteres Ehepaar, ein waschechter Bauer mit Blaumann und zwei Schulkinder mit Ranzen. Und natürlich die Kassiererin.
„Ist was?“ fragte ich ungläubig und etwas eingeschüchtert.
„Jetzt frisst die de Kindr dr Schlegg weg, tz“ sagte der Bauer. „Die isch echt a komische, sitzt elleweil nur dahoima und duat nix und dann au no so ogsond leba“ , stimmte die Mutter ein.
Mir reichte es. „Was haben sie denn alle gegen mich?“ fragte ich jetzt laut. Doch anstatt einer Antwort, sagte die Kassiererin nur: „Jetzt bezahlet se und dann ganget se bitte aus meinem Lada, gell?“ Ich ging vorbei an der Mutter, die instinktiv beschützend den Arm um ihren Sohn legte, vorbei an den Schulkindern und dem Ehepaar, die genervt ihre Köpfe schüttelten und vorbei an dem stinkenden Bauer. Ja, der roch gewaltig. Mich schüttelte es. Ich legte 5 Euro auf den Tisch und sagte laut „Stimmt so.“ Schnell ging ich nach draußen.
Mir schnürte es die Kehle zu. Das darf doch nicht wahr sein, dachte ich, als ich schnell loslief. Nur weg da. Was hatte ich denn getan? Die haben ein absolut falsches Bild von mir. Ich blieb stehen und überlegte, ob ich zurück und das klarstellen sollte, aber, es war mir zu blöd. Warum musste ich mich rechtfertigen? Ich wusste, wer ich bin, was ich kann und warum ich dieses Dorf gewählt hatte. Sollen sie doch ihre Dorfgespräche haben. Mir doch egal. Ich setzte mich auf mein Sofa und futterte die ganze Tüte leer. Leider war sie nicht so lecker, wie erhofft. Ein fader Beigeschmack war dabei. Dieses Erlebnis ist bis heute geblieben und die nächsten Wochen waren schrecklich. Ich hatte das Gefühl, mich ignorieren jetzt alle, selbst die Hunde machten einen großen Bogen um mich. Hatten die Bewohner ein Meeting abgehalten, und beschlossen, dass ich ein böser Geist bin, und wenn man mit mir spricht, wird man für immer vom Pech verfolgt? Oder was geht hier vor sich?

Es war Ende April und durch zufällig belauschte Gespräche beim Spazieren gehen erfuhr ich, dass das ganze Dorf den alljährlichen Tanz in den Mai plante. Man trifft sich auf dem Markplatz, hält ein Schwätzle bei Bier und Currywurst, wird von einer Kapelle aus dem Nachbarort unterhalten und geht anschließend kollektiv zum meterhohen Maifeuer, um die ganze Nacht zu tanzen und zu feiern.
Ich wusste genau, dass ich nicht erwünscht war und bis zum letzten Moment scheute ich mich davor, hin zu gehen. Aber etwas in mir sagte, das ich gerade heute meine Chance nutzen musste. Ich musste endlich einiges klar stellen, wollte den Leuen zeigen, dass ich doch hier auch meine Wurzeln habe und eine von ihnen bin.
Etwas mulmig war mir dann schon, als ich den Weg zum Marktplatz lief. Meine Schritte waren langsamer, als sonst. Noch konnte ich umdrehen, das wusste ich. Aber, mein Wille war größer, als die Angst.
Als ich um die Ecke bog schallten mir Hunderte von Stimmen entgegen. Die Blaskappelle hatte Mühe dagegen anzukommen. Mir wurde kurz übel. Ich hatte das Gefühl, jeder starrt mich an, jeder fing an zu tuscheln, „guck a mole, da kommt se“. Aber jetzt stehen zu bleiben kam nicht in Frage. Das wäre feige gewesen. Ich tat also so, als ob ich nichts bemerkt hätte und schlenderte gemütlich von Stand zu Stand und entschied mich spontan für eine Rote Wurst mit Weckle. Hunger hatte ich weiß Gott nicht, aber ich wollte was zu tun haben, bloß nicht doof rumstehen war die Devise.
Die Wurst gab mir also irgendwie Kraft und ich stellte mich an die Seite des Markplatzes, von wo ich auf die Bühne sehen konnte. Als ich sah, dass die meisten wieder mit sich und anderen beschäftig waren, atmete ich tief aus. Ich überlegte, während ich aß, zu wem ich mich setzten könnte. Ich ließ meinen Blick über die Tische gleiten. Dort saß der stinkende Bauer von damals mit seiner Familie und anderen Bauern. Nein, zum Stinketisch setze ich mich nicht. Dann vielleicht zu den etwas jüngeren Menschen mit Kinderwagen, die aufgeregt und alle durcheinander reden? Hm, irgendwie auch nicht das Passende. Dann doch zu den Älteren, die nur schweigend dasaßen und zum Takt der Musik wippten? „Ach, Mann, ist das aber auch schwer“, flüsterte ich verbissen. „Jetzt, oder nie“, sagte ich mir und lief einfach los, wollte spontan entscheiden, zu wem ich mich setze. Ich lächelte ein paar Halbstarke an, die schon mit Bier dasaßen und fröhlich vor sich hinkicherten. Gut, das ist vielleicht nicht die beste Wahl, aber da sah ich einfach die größte Chance, akzeptiert zu werden. Ich wollte mich grade zwischen Bank und Tisch zwängen, als die Musik aufhörte und einer der Jugendlichen lautstark brüllte: „Wa wit du denn? Gang weg, mir wollet di hier et ham, du bisch oine von der Stadt. Des wollet mir net hier im Dorf.“ Alle am Tisch gröllten. Aber, das viel Schlimmere war, dass durch das Aufhören der Musik plötzlich der ganze Markplatz hören konnte, was der Typ mir da ins Gesicht schrie. Stille. Absolute Stille herrschte und Hunderte Augenpaare waren auf mich gerichtet. „Sarah, denk nach, denk nach“, sagte ich mir immer und immer wieder. Weglaufen, oder kämpfen? Natürlich kämpfen! Wäre doch gelacht. Ohne nachzudenken, rannte ich Richtung Bühne und befahl dem Techniker, der dort am Mischpult saß, sofort das Mikro an zu schalten. Er tat es, sicherlich nur, weil ich ihn so wütend ansah. Ich drehte mich nach vorne. „Jetzt hört mir mal zu“, begann ich. „Ich habe euch nichts getan. Ich wohne seit drei ein halb Monaten hier und ihr behandelt mich wie eine Aussätzige. Das kann ja wohl nicht sein. Ich kann nicht mal einkaufen, ohne, dass mir einer von euch blöde Kommentare an den Kopf schmeißt. Nur, damit ihr es wisst, meine Großeltern haben...“ Pflatsch! Eine Tomate hatte mich an der Stirn getroffen.
„Das glaube ich nicht“, dachte ich, als ich rückwärts taumelte und unglücklich über ein Kabelwirrwarr stolperte. Ich fiel unsanft auf dem Allerwertesten. Gelächter. Schallendes Gelächter. Das tat weh, sehr weh. Alle möglichen zeigten auf mich und ich hörte sie sagen „gang hoim, wo de her komma bisch“, „Mir wollet so oine hier net im Dorf, die nur dahoim sitz und von eusre Steuern lebt“, „Schmarotzer“!
Das reichte! Ich wollte weg, einfach weit weg. Ich wischte mir die Reste der Tomate aus dem Gesicht und rannte los. Von der Bühne, vorbei an den gehässigen Leuten, die immer noch lachten, auf die Strasse. Ich hörte nur noch das Quietschen von Reifen, es folgte ein dumpfer Schlag. Dann war es still. Ich war unfähig, meine Augen zu öffnen, gescweige denn, mich zu bewegen, hörte aber ganz entfernt Stimmen aufgeregt durcheinander reden. „Lebt se no?“
„Ha, i woiß et so gnau.” Dann war es wieder still.
In der Klinik wachte ich dann auf und erfuhr, dass mich ein gewisser Benno angefahren hat. Er war im Gemeinderat und hatte ziemliches Ansehen im Dorf. Zum Glück hatte ich neben ein paar kräftigen Schrammen im Gesicht nur ein paar Knochenbrüche und mir wurde das rechte Bein und der reche Arm eingegipst. Die Ärzte wollten mich unbedingt da behalten, aber ich weigerte mich massiv. Ich unterschrieb schließlich einen Wisch und begab mich Richtung Ausgang. War gar nicht so einfach, mit so nem Gipsbein zu laufen, aber zum Glück brauchte ich keine Krücken, sonst wäre es ziemlich kompliziert geworden.
Ich wollte gerade in ein Taxi steigen, als ich meinen Namen hörte. Ich drehte mich um und blickte in zwei wunderschöne, blaue Augen. Die Augen von Benno. Er hatte die ganze Zeit gewartet, bis ich versorgt war, hatte sich Sorgen gemacht und wollte erst nach Hause fahren, wenn er wusste, wie es mir geht.
Er kam auf mich zu. „Ich bin Benno Schradler, ich, ähm, ich habe sie angefahren. Wie geht’s Ihnen?“ Ich fing an zu stottern „Super geht’s mir.“ War natürlich gelogen, der Kopf brummte und mir wurde etwas schwindelig. Benno bemerkte das und stütze mich schnell. „Soll ich sie nach Hause bringen?“ Ich nickte nur erschöpft. Wenige Minuten später fand ich mich in einem bequemen aber vorne etwas zerbeulten Audi wieder. „Ich zahle ihnen natürlich den Schaden“, sagte ich schnell. Benno lächelte nur. Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen. „Darf ich fragen, wieso sie so panisch auf die Strasse gerannt sind?“ Benno klang besorgt. „Fragen sie ihre Gemeinde“, sagte ich nur.
Nach einer Woche Bettruhe, die ich dringend nötig hatte konnte ich langsam wieder ein bisschen Arbeiten, als es plötzlich an der Türe klingelte. „Ich wollte mich mal erkundigen, wie es ihnen geht.“ Benno! „Ähm, besser, danke“, stammelte ich. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich vorher unter die Dusche, hätte mich geschminkt und zurecht gemacht und natürlich hätte ich was Schönes angezogen. „Wollen sie rein kommen?“ fragte ich ihn, doch er verneinte und erklärte mir, dass er mich gerne kurz entführen würde. Ich war überrascht und plötzlich aufgeregt wie ein Kind, als ich zu ihm in den Wagen stieg. War das ein Rendezvous? Vor dem Gemeindesaal hielt er und öffnete mir die Tür. Ich stockte sofort. Alle Bewohner waren versammelt und sahen mich an, diesmal aber eher verlegen, unsicher und peinlich berührt. Ich ging durch die Menge, voran Benno. Als wir ganz vorne standen, erfuhr ich den Grund dieses Treffens. „Also“, fing Benno an, „wir wollten uns alle bei ihnen entschuldigen, ich spreche hier für alle Bewohner. Wissen sie, in so einem kleinen Dorf wird viel geredet und es ist eher üblich, das man von hier weg zieht, weil man keine Arbeit hat. Jeden zieht es in die Stadt. Da war es natürlich komisch, dass jemand aus München hier freiwillig wohnen will. Deshalb entschuldigen wir uns alle und heißen sie ab jetzt herzlich willkommen.“ Alle klatschten, wahrscheinlich um sich selbst zu bestärken und diese wirklich unangenehme Situation auf zu lockern.
Ich machte eine eindeutige Handbewegung und bat um Ruhe. „Ich danke ihnen natürlich für dieses Entgegenkommen. Aber, ich habe vor ein paar Tagen beschlossen, dieses Dorf wieder zu verlassen.“ Ein Raunen ging durch die Menge. „Wissen sie, ich finde es echt schade, dass Neue und Fremde hier keine Chance bekommen. Sie alle hatten von Anfang an etwas gegen mich, sie hatten ihre Meinung und diese offen kommuniziert. Ach ja, und nur kurz zur Info, ich arbeite sehr viel und sehr hart, und zwar von zu Hause aus, das ist heutzutage nichts unübliches. Und ich bin vielleicht mehr diesem Dort zugehörig, wie der ein, oder andre von ihnen, denn meine Großeltern haben hier gelebt. Dass es aber so schwierig sein würde, habe ich mir nicht gedacht und jetzt ist zu spät. Ich will keinen Neuanfang. Ich hoffe nur, dass sie in Zukunft etwas mehr Offenheit und Verständnis zeigen, wenn sich jemand hier her verirrt und sie eher mit Stolz erfüllt sind, dass sich ein Fremder von der Stadt gerade ihr Dorf ausgesucht hat.“
Dann ließ ich alle stehen und ging hinaus. Einzig bereute ich, Benno so zurück zu lassen, ihn hätte ich wirklich gerne näher kennen gelernt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. In meinem neuen Leben.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 04.04.2009

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /