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Oh du Fröhliche!
Wie der werte Leser vielleicht schon weiß, ist mein Familienleben nicht sonderlich ausgeprägt und ich betrachte eher meinen Freundeskreis als meine Familie. Daher hat sich die schöne Tradition eingebürgert, dass ich im Kreise meiner besten Freunde den 24.12. verbringe und am 25.&26. mit meinen Zwillingen nachfeiere. So auch heuer. Dachte ich. Denkste.
24.12.2010, 6:45.
Mein Wecker läutet – halt, es ist nicht mein Wecker, es ist mein Handy. Meine Ex ruft an – mitten in der Nacht. Es sei vorrausgeschickt, dass ich mit meiner Ex kein so sonderlich blendendes Verhältnis habe.
Ihr Anruf kann vieles bedeuten, aber selten etwas Gutes. Also hebe ich schlaftrunken ab und maule ins Telefon:
„Nein!“
„Was ‚Nein?‘“
„Egal was – ich mach es nicht!“
„Ach komm, du weißt doch gar nicht was ich will!“
„Bestimmt nichts Gutes!“
Pause. Im Hintergrund hör ich meine Jungs streiten. Eine Männerstimme mischt auch mit. Ich bin hellwach.
„Was ist bei dir los?“
„Klaus und ich fahren in die Therme!“ (Klaus ist der Neue meiner Ex. Homophob als hätte er es erfunden und wenn Latexhandschuhe nicht so teuer wären, würde er mir nur mit solchen bewehrt die Hand geben).
„Aha – und was hab ich damit zu tun?“
„Wir fahren um 10 weg. Du musst die beiden Kleinen zu dir nehmen!“ (Die ‚Keinen‘ werden im März 14 und sind 1.75!)
„Ich muss nur eines: irgendwann sterben! Und was ist das für eine bescheuerte Idee? Du weißt, das ich am 24. Immer mit meinen Freunden feiere! Nehmt die Jungs doch mit“
„Peter will ein paar romantische Tage verbringen. Und du hast die Beiden dann einen Tag länger.“
Gut – das Argument zieht bei mir immer. Ich bin vernarrt in meine Jungs. Also sage ich zu und plane schon mal das Weihnachtsessen um. Um 9:30 soll ich die Jungs abholen. Duschen, anziehen in Rekordzeit ist angesagt. Kaum sitze ich im Wagen, ruft Andre an (einer meiner Freunde) ob er seine neue Flamme mitbringen kann. Kann er – ich mache aus der Gans, die es abends eigentlich hätte geben sollen inzwischen einen Truthahn. Einen großen Truthahn. Ich fahre zum Geflügelhändler meines Vertrauens um ihm diese Planänderung mitzuteilen. Er lächelt mich nur milde an, mit einem Blick, der besagt, dass ich jetzt vollends übergeschnappt bin. Am 24.12. einen 8 Kilo Truthahn aufzutreiben. Nicht einmal wenn ich der Papst in Personalunion mit dem US Präsidenten wäre, könnte er da was machen. Also nehme ich die größte Gans, die ich bekommen kann. Mit fast 6 Kilo Großgeflügel bewaffnet mache ich mich auf um meinen Nachwuchs abzuholen. Kaum sitze ich im Wagen, gibt das Handy schon wieder laut. Mein Mann Chris ist am anderen Ende. Er will mit mir Weihnachten feiern. Mit seinen Eltern sei schon alles geklärt. Ich freu mich natürlich, aber sehe schon gewaltige Komplikationen auf mich zukommen. Meine Jungs plus meinem Neuen gibt sicher die eine oder andere spannende Situation. Es ist 9:40 als vor dem Haus meiner Ex eintreffe. Sie schiebt die Jungs förmlich aus der Haustüre mir entgegen. Ihr Mann steht mit Koffern bewaffnet hinter ihr. Die beide Racker werfen ihre Taschen in den Kofferraum und wir brettern wieder los. Weiter einkaufen ist angesagt. Gegen 11 sind wir zu Hause und schaffen es zu dritte kaum alles in die Wohnung zu schleppen. Kaum ist die Türe auf, falle ich über eine meiner Katzen, die mir um die Beine streicht und schreit. Die zweite sitzt im Durchgang zum Wohnzimmer und sieht mich vorwurfsvoll an. Klar – ich hab vergessen die beiden zu füttern. Ich sage den Zwillingen, dass sie die Einkäufe in die Küche bringen sollen, und ihr Zeug ins Gästezimmer. Die sind aber schon im Wohnzimmer und haben die XBOX samt Kinect entdeckt, die ich meinem Mann zu Weihnachten schenken wollte. Ich folge ihnen und bitte sie nochmal, das Zeug in die Küche … Gut, ich trage es selbst. Geht schon. Ich füttere erstmal die Katzen, die schon anfangen an der Tapete zu nagen und lege die Gans raus. Am Weg ins Wohnzimmer stolpere ich über die noch verpackte Tanne, die mal zu einem Christbaum werden soll. Meine Bitte an den verzogenen Nachwuchs, den Baum doch schon mal aufzustellen, geht unter, da die beiden vor dem Fernseher stehen und schräg aussehende Bewegungen machen. Sie sind taub für alles was um sie herum vorgeht. Also hole ich selbst den Christbaumschmuck und das Baumkreuz aus dem Abstellraum und stolpere prompt über eine Tasche. Gerade noch kann mich fangen und den Christbaumschmuck retten. Im Wohnzimmer angekommen sehe ich aus dem Augenwinkel, dass die größere der Katzen versucht die Gans von der Küchenarbeitsplatte zu ziehen. Ein Schrei von mir macht dem Versuch ein Ende. Die Katze erstarrt, ebenso wie meine Jungs. Während die Katze das Weite sucht, hämmert jemand gegen die Tür. Der Nachbar beschwert sich über die Geräusche wenn meine Kinder vor der XBOX herumhampeln. Ich wünsche ihm frohe Weihnacht und mache die Türe zu. Es läutet. Mein Mann ist da. Er freut sich sichtlich mehr über die XBOX als über mich. Zwischen zwei Durchgängen bei einem Spiel, bei dem es sichtlich darum geht möglichst idiotisch auszusehen, erklärt er mir, dass er mit seinen Eltern ganz fürchterlich gezofft hat und deswegen lieber bei mir ist. Wie tröstlich.
Es ist 15 Uhr, ich stehe seit drei Stunden in der Küche, der Baum ist immer noch nicht geschmückt. Meine drei Kinder – sorry, mein Kerl und meine beiden Kinder hocken vor der TV Kiste. Leicht wütend ziehe ich den Netzstecker und verkünde, dass ich den Flimmerapperat samt XBOX und Kinect aus dem Fenster zu werfen gedenke, wenn sie nicht den Baum schmücken. Maulend machen sie sich ans Werk. „Tyrann“, „Spielverderber“ und ähnliches ist zu hören, während ich weiter am Essen werke. Nach 10 Minuten verkünden sie „Fertig!“. Das Ergebnis sieht nach einer Kombination aus Tobsuchtsanfall und Brandanschlag aus. Ich bitte höflich um einen neuen Versuch. Nachdem sie aufgehört haben zu zittern, scheinen sie diesmal ernsthaft bei der Sache sein. Es läutet wieder – Das Handy von meinem Mann. Er wirft nur einen Blick aufs Display um es anschließend zu ignorieren. Kaum bin ich in der Küche läutet es wieder – diesmal an der Tür. Andre ist da. Und sein Neuer. Ich schaue gerade aus und sehe nichts. Wenn ich den Blick nach unten wende blicke ich auf einen schwarzen Haarschopf. Der Typ ist so groß, dass er mir geradewegs auf die Brustwarzen starrt – wenn er sich streckt. Ich bin versucht ihm den Kopf zu streicheln und Süßigkeiten anzubieten. Ich frage Andre, was er da denn mitgebracht hat. Seine Antwort, dass er seine fehlende Köpergröße mit seiner sonstigen Ausstattung mehr als wettmacht, lässt mich an der Menschheit zweifeln. Andre hilft mir in der Küche, während sein Zwerg sich aufmacht beim Baumschmücken zu helfen. Er bietet überraschenderweise an die unteren Partien herzurichten. Die Katzen versuchen schon wieder Essen von der Arbeitsplatte zu stehlen. Der nächste Versuch den Baum herzurichten ist abgeschlossen. Psychodelisch ist der erste Begriff, der mir in dem Sinn kommt. Es sieht aus, als hätte ein Schizophreniepatient auf Speed eine Kunsttherapie besucht. Wenigstens originell ist der Baum. Kaum habe ich seufzend kapituliert, sitzt die Bande schon wieder vor der XBOX. Zehn Minuten später hampelt mein Kerl schon wieder herum. Sein Handy läutet jetzt im 15 Minuten Takt. Ich schaue aufs Display: „Mam“ und „derAlte“ stehen da abwechselnd. „Der Alte“ ? bezeichnend. Auf meine Frage, ob er nicht abheben will, antwortet er keuchend: „ Ich … hab … jetzt keine … Lust“ er hüpft auf einem Bein im Kreis „mit denen zu reden!“ beendet er den Satz. Ich gehe Richtung XBOX-Stecker und sehe ihn nur fragend an. Meine Jungs schreien entsetzt auf. „PAAPS – nicht !“ Chris nimmt maulend das Telefon und ruft seine Mutter an. Es hämmert wieder an der Tür. Der Nachbar, der sich wieder über den Lärm beklagt. Ich frage ihn, ob ich ihm nicht schon frohe Weihnacht gewünscht habe. Chris sitzt im Arbeitszimmer und telefoniert mit seiner Mutter.
Hier ein Mitschnitt:
„Nein, ich komme nicht heim.“
„Mam – ich bin NICHT bei einer Freundin, die ich mitbringen kann.“
„Ich will nicht mit Vater reden. MA nein – ich ….“
„Hallo Vater“
„Schrei mich nicht an!“
„Ich bin 23 und …“
Chris hört länger zu und wird blass und blasser. Sein Mund verzieht sich zu einem Strich.
„Du kannst dir dein Geld hinstecken, wo die Sonne nie scheint!“ er wird richtig laut.
Pause
„Hallo Mam“
Pause. Er wird rot.
„Mam – hör auf damit. Ich bin erwachsen und weiß selber…“
Plötzlich plustert er sich auf und schreit ins Handy
„Enkel? Es gibt keine Enkel, es wird keine geben. Ich bin schwul – SCHWUUUL – und ich bin bei meinem Freund. Und was wir auch machen, Enkel ergibt das sicher nicht!“
Stille. Ich mach die Augen zu und bete, dass das nur ein Streich meiner Fantasie war. War es nicht. Chris ist aufgesprungen und hängt mir am Hals. Aus dem Wohnzimmer kommt auf einmal Geschrei und lautes Geschepper. Ich stürme hin und bleibe erstarrt in der Türe stehen. Eine Katze hängt auf zwei Drittel des Baumes und klammer sich dort fest, während Andre versucht sie runter zu ziehen. Meine Kinder halten den Baum von der anderen Seite fest, so gut es eben geht, die andere Katze hat sich mit einem Stück Girlande auf einen Kampf auf Leben und Tod eingelassen, während Andres Freund versucht, den Baum gerade so noch im Gleichgewicht zu halten. Es läutet an der Tür. Wenn das der Nachbar ist…!!! Ist er nicht, es sind Günther und Wolfi, die beiden noch fehlenden Freunde. Bei erstarren im Vorzimmer. Chris steht mit verheulten Augen neben mir, im Wohnzimmer hat es Andre gerade geschafft, die Katze aus dem Baum zu holen, die jetzt fauchend, mit Lametta behängt, an uns vorbeischießt. Vom Baum regnet es Lametta, Nadeln und Glaskugeln. Das zweite Vieh trabt in aller Ruhe vorbei und bringt seine Beute, ca. 2 Meter Weihnachtsgirlande, stolz vor sich hertragend in Sicherheit. „Fröhliche Weihnachten“ sagt Günther tonlos, als er mir zwei Pakete in die Hand drückt. Andre begrüßt die beiden nur flüchtig und verschwindet im Bad um seine Kratzwunden zu versorgen. Ich schenke mir zitternd ein Glas Wein ein. Chris macht es mir nach. Mit einem Zug stürzen wir die Gläser runter. „Du hast dich gerade geoutet?“ frag ich. Er nickt und leert ein zweites Glas. Na toll.
21 Uhr: Mit vereinten Kräften haben wir das Chaos beseitigt und sind mit dem Essen fertig. Chris hat seine dritte Flasche Wein und langsam fallen ihm die Augen zu, Andre versucht mittels Einsatz seiner Zunge rauszufinden ob sein Neuer noch Mandeln hat. Meine Jungs schauen fasziniert zu. Ich bin irritiert, weil nicht mal die XBOX sie davon ablenken kann. Zu meinem nicht gelinden Schrecken, beginnen sie jetzt auch noch Wolfgang auszufragen, wie das so ist, wenn zwei Männer …. Wolfgang ist Jugendpsychologe und antwortet dementsprechend professionell. Mir stehen die Schweißperlen auf der Stirn. „Wo ist denn der Unterschied ob man mit einer Frau oder einem Mann … Sex hat?“ fragt da einer. Mein Kerl lallt dazwischen „Euer Vater weiß das am Besten. Fragt doch ihn!“ Zwei 14 Jährigen wenden synchron ihre Köpfe mir zu, während ich das Gefühl habe mein Kopf explodiert gleich. Ich werfe Chris einen Blick zu, der ihn eigentlich zu Staub zerfallen lassen müsste, aber er merkt davon nichts. Zuviel Alkohol. Ich knipse die XBOX an und schaffe es irgendwie die beiden abzulenken.
Kurz nach Mitternacht ist Ruhe eingekehrt. Die Gäste sind gegangen Die Katzen sind im zweiten Gästezimmer und geben endlich Frieden, meine Jungs schlafen und Chris gibt laute Geräusche von sich, die einem Angst machen können.
4 Uhr morgens. Geräusche wecken mich auf. Chris schläft neben mir. Im Wohnzimmer sind die Zwillinge mit der XBOX am Werk. Ich baue das Ding ab und schiebe es, unter lauten Protesten meiner missratenen Brut, unter mein Bett. Chris bekommt davon nichts mit.
25.12. mittags.
Außer mir schläft noch alles. Chris Handy läutet Sturm. 21 entgangene Anrufe. Meine Kopfschmerzen bekommen epische Ausmaße.
3 Uhr. Chris telefoniert wieder mit seiner Mutter und meine Jungs sitzen schon wieder vor der XBOX. Ich sitze vor dem Notebook und verarbeite meine Eindrücke des vergangenen Tages. Jetzt kommt auch noch Chris und hält mir das Handy hin. Seine Mutter – sie will mit mir reden.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 26.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meinen Freunden, meiner Familie und meiner besten Hälfte gewidmet

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