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Ein Weihnachtswunder




Es war dunkel und mitten in der Nacht, da wachte Sam plötzlich auf. Wie auch letztes Jahr war in dieser Nacht nicht an Schlaf zu denken gewesen. Am Morgen würde unten im großen Wohnzimmer der Baum im hellen Licht erstrahlen und sich Pakete darunter stapeln. Schon letztes Jahr hatte sich Sam geschworen nicht einzuschlafen, damit er Santa Claus überraschen konnte, wenn er die Geschenke brachte. Nichts hatte Sam sich mehr gewünscht, als endlich Santa, seine Elfen und die Rentiere, wie sie so vor den Schlitten gespannt waren, zu sehen. Aber Sam war doch eingeschlafen und wachte erst auf, als es schon laut war im Haus und alle Geschwister aufgeregt durcheinanderwuselten und es nicht mehr erwarten konnten, endlich nach unten zu dürfen. Dieses Jahr war es aber still im Haus, also war es auch noch nicht zu spät. Sam stieg leise aus seinem Bett und schlich sich zur Tür. Die Türklinke knarrte leise, als sie nach unten gedrückt wurde. So leise es mit sechs Jahren eben möglich war, schlich Sam zum Treppenabsatz und lauschte. Nichts. Kein Geräusch war zu hören. „Doch zu spät? War er vielleicht schon da gewesen?“ dachte Sam und es machte sich schon Enttäuschung breit, trotzdem , einen Fuß vorsichtig vor den anderen setzend, schlich Sam so leise wie möglich die Treppe hinunter und dann nach rechts, über den Flur und schaute dann vorsichtig ins Wohnzimmer. Es war fast finster und nur aus der Vitrine, in der Mutter ihre Sammlung von Glastieren aufbewahrte, warf etwas Licht in den großen Raum. Der Baum stand immer noch so in der Ecke des Zimmers, aber es lagen keine Geschenke unter der weit ausladenden Tanne, deren Äste sich unter dem Gewicht des Weihnachtsschmuckes bogen. Wie jedes Jahr hatte Vater unter großem TamTam den Weihnachtsschmuck aus dem Keller geholt und mit großem Zeremoniell den Baum aufgeputzt. Es roch nach frischem Holz und Wald, vermischt mit den Gerüchen nach dem Backwerk, dass Mutter gestern Abend noch in der Küche gezaubert hatte, nach Zimt, Apfel und Orange. Enttäuscht schlich Sam weiter, in das Zimmer hinein und schaute sich genauer um. Nichts. Alles war unberührt, so wie zu dem Zeitpunkt, als es Zeit geworden war ins Bett zu gehen.
Ein Lichtreflex zuckte über den Teppich, bunt und in vielen Farben schillernd. Wäre es nicht finster gewesen, hätte man ihn leicht übersehen. Aufs Neue neugierig geworden schlich Sam zur Terrassentür und schaute hinaus. Die Terrasse und der Garten lagen unter einer dicken Schneeschicht. Es musste in der Nacht angefangen haben dick zu schneien, denn überall hatte sich die weiße Pracht wie eine Decke über Steine, Stühle, Tische, Bäume und Sträucher gelegt. Der Schnee glänzte, ja leuchtete fast in einem unnatürlichem Weiß. Und über all dem tanzten bunte Lichter, die anscheinend von rechts kamen. „da kommt Santa Claus!“ dachte Sam aufgeregt und zog, ohne Nachzudenken an der Terrassentüre. Nach hefigem Zerren gab die Türe nach und glitt seitlich auf. Kälte strömte herein, die Sam vor lauter Aufregung gar nicht wahrnahm. Die Lichtreflexe waren nun deutlicher zu sehen und auch der stetige Fall großer weißer Flocken, die langsam zu Boden segelten und den Garten mehr und mehr in eine Traumlandschaft verwandelten. Kein Lufthauch regte sich und kein Laut durchbrach die Stille der Nacht. Es war so still, dass Sam sich selbst atmen hören konnte. Durch den Schneefall konnten man vom Rand der Terrasse gerade noch die hohen Hecken erkennen, die den Garten umgaben und auf denen sich bereits auch eine dicke Schneeschicht angesammelt hatte. Von den bunten Lichtern gefesselt setzt Sam einen, der nur mit Hausschuhen bekleideten Füße, in den tiefen Schnee auf der Terrasse und lauschte fasziniert dem leisen Knirschen, das der Bewegung folgte. Der zweite Fuß folgte und so setzte Sam Schritt auf Schritt den Weg weiter in den Garten hinein fort, immer auf die bunten Lichter zu. Bei den Lichtern angekommen starrte Sam fasziniert durch den Schneefall auf die Quelle des bunten Spektakels. Über den Bäumen, durch den Schnee hindurch, war auf dem Dach des Hauses gegenüber, der Schlitten von Santa zu sehen, der in einem überirdischen Licht leuchtete. Davor waren die Rentiere zu sehen, die vor den Schlitten gespannt waren. Auch Santa war zu erkennen, wie er gerade versuchte in den Schornstein des Hauses zu klettern. Für Sam gab es da kein Halten mehr. Santa war da und die Erfüllung aller Wünsche zum Greifen nahe. Sam versuchte in Richtung des Lichts zu laufe, fiel hin und rappelte sich wieder auf. Der Schlafanzug und die Hausschuhe waren inzwischen durchnässt und kalt, aber Sam merkte es nicht. Dann machte die hohe, dichte Hecke dem Weg ein Ende. Sam irrte entlang der Hecke und suchte in der Dunkelheit unter der Hecke einen Weg hindurch, aber selbst ein Loch zwischen den ineinander verwobenen Zweigen nutzte nichts, da ein Zaun die beiden Grundstücke trennte und Sams tastende Hände nur Widerstand fanden. Unter den Büschen war der Boden noch trocken, da es noch nicht lange schneite und der Schnee nicht bis unter die Hecke vorgedrungen war. Sam blieb keuchend stehen und Tränen stahlen sich in die Augen. Das Ziel so nah und doch unerreichbar – das war zu viel für das kleine, tapfere Herz. Plötzlich durchbrach ein rutschendes Geräusch, das in einem dumpfen Plumpsen endete die Stille. Erschrocken flüchtete Sam unter die Hecke und kauerte sich in eine schneefreie Mulde zwischen zwei Heckenbüschen. Dass nur der Schnee von den Ästen einer der großen Tannen im Garten gerutscht war, konnte man von dieser Stelle aus nicht sehen, außerdem hätte der dichte Schneefall die Sicht auch noch behindert. Sam kauerte sich so noch tiefer in die Hecke, bis der Zaun ein Weiterkommen unmöglich machte. Der kleine Körper zitterte inzwischen vor Kälte und Sam rollte sich auf dem Boden zusammen. Die Kälte kroch durch den dünnen Schlafanzug und biss sich in den Gliedern fest, fraß sich durch die Haut, bis zu den Knochen. Sam presste die Augen zusammen und zog die Beine an sich. Die kleinen Arme umschlangen den mageren Körper und die Fäuste waren so fest zusammengepresst, dass die Knöchel weiß hervortraten. Vereinzelte Schneeflocken wirbelten auf das Gesicht zu. Wenn sie nicht auf den Wangen schmolzen, blieben sie auf den langen Wimpern hängen und sammelten sich dort langsam. Sam begann wegen der Kälte zu wimmern und mit den Zähnen zu klappern. Nach langer, langer Zeit, hörte Sam etwas, das wie Glockenspiel klang, oder den kleinen Glöckchen, die am Zaumzeug von Zugtieren manchmal angebracht waren. Dann begann Licht in die Hecke zu scheinen und drang durch die geschlossenen Augenlieder. Es war kein helles, scharfes Licht, wie von einer Lampe, sondern weich und sanft. Quälend langsam konnte Sam die Augen einen Spalt öffnen, wobei die Schneeflocken, die sich dort gesammelt hatten, herunterrutschten oder sich in den Augenbrauen verfingen. Vor der Hecke stand eine Gestalt, die aus sich heraus zu leuchten schien. In rote Hosen und eine rote Jacke gehüllt, den mächtigen Bauch umspannte ein breiter, schwarzer Gürtel und an den Füssen waren hohe, dicke, schwarze Stiefel. Das Gesicht strahlte eine unendliche Gutmütigkeit aus und war von einem dichten weißen Bart, der bis zum Anfang der Brust reichte, und dichten weißen Haaren, die bis zur Schulter fielen umrahmt. „Komm, dir muss kalt sein.“ sagte die Gestalt mit einer Stimme, die klang wie ein der großen Gebetsglocken in Asien. Sam streckte staunend und zitternd die Hand aus, die Gestalt umfasste sie und plötzlich schwebten beide in die Höhe. Sam sah sein Elternhaus von oben und dann noch all die anderen Häuser der Nachbarschaft, die friedlich im Dunkeln dalagen und deren Dächer langsam vom Schnee zugedeckt wurden. Da und dort waren die Häuser auch mit leuchtenden Lichtbändern geschmückt und schickten bunte Strahlen in die sonst dunkle Nacht. Dächer und Straßen zogen unter Sam hinweg. Die Häuser wurden größer und größer, der breite Fluss, der die Stadt teilte war ein schwarzes Band in der Dunkelheit, nur die Brücke die darüber führte war ebenfalls mit Lichterketten geschmückt, die dem sanften Schwung der Trägerkabel folgten. Dann, plötzlich schwebten sie wieder dem Boden entgegen und Sam sah inmitten des riesigen Parks, der inmitten des Zentrums der Stadt lag, eine Lichtung auf der ein Schlitten stand. Sanft schwebte sie hinab und saßen zu zweit auf dem breiten Kutschbock. „Du darfst den Mund wieder zumachen!“ dröhnte die Stimme von Santa und ein gutmütiges Lächeln zog sich über das Gesicht, von dem man nicht sagen konnte, wie alt es war. Sam klappte gehorsam den Mund zu, sah Santa aber weiter staunend an. Jetzt, am Ziel der Wünsche angekommen, wusste Sam nichts zu sagen. Lautlos und ohne dass Sam etwas gespürt hätte, hob der Schlitten ab und drehte in einer weiten Kurve in Richtung Norden. „Ich hab noch viel zu tun, aber du kannst ein Weilchen bei mir bleiben und dich aufwärmen. Ist dir noch kalt?“ fragte Santa sanft. Sam bemerkte jetzt, dass ihm nicht mehr kalt war. Sein Schlafanzug war trocken und es gab auch keinen Luftzug, obwohl der Schlitten rasend schnell über die Landschaft zog. Unter ihm flogen jetzt Häuser, Straßen, Wälder, Seen und Flüsse dahin. Sam schüttelte den Kopf, war aber immer noch unfähig etwas zu sagen. Der Flug über die Landschaft, die dauernde Abfolge von Licht und Dunkelheit, hatte etwas Hypnotisches und so schlief Sam endlich ein, nachdem die Augen schon immer wieder zugefallen waren.
Sam wurde sanft gerüttelt „So, du musst jetzt nach Hause und ich muss weiter.“ Weckte Santa Sam auf und ließ seine riesige Hand durch das wuschelige blonde Haar fahren. Sam hob nur kurz den Kopf aus dem Schoß von Santa, wo er gelegen hatte und merkte erst jetzt, dass sie fast wieder zu Hause waren. Der Schlitten schwebte im heimatlichen Garten nur ganz knapp über der Schneedecke, hart am Rand der Hecke. Sam war wieder eingeschlafen, als ihn Santa aufhob und unter die Hecke legte.
Eines der Rentiere gab ein mächtiges Röhren von sich. „Du sollst doch keinen Lärm machen, aber in diesem Fall mache ich eine Ausnahme!“ lachte Santa, stieg auf den Kutschbock und das Gespann verschwand blitzschnell im Himmel, der im Osten langsam anfing sich rosa zu färben. Im Laufe der Nacht hatte es aufgehört zu schneien und die Wolken waren fast vollständig verschwunden. In Sams Elternhaus gingen die Lichter an und es wurde zunehmend hektisch und laut. Man hörte Sams Mutter nach Sam rufen, kurz danach auch seinen Vater und nur wenig später auch die Geschwister. Nach wenigen Minuten hatten sie die offene Terrassentür entdeckt und stürmten in den Garten. Graues Zweilicht breitete sich inzwischen aus und so entdeckten sie auch die fast zugeschneiten Fußspuren, die Sam hinterlassen hatte. Und auch Sam selbst, schlafend unter der dichten Hecke Panisch riss Sams Mutter ihr Kind an sich und fing an zu schreien. Sams Vater hatte inzwischen die Rettung alarmiert und schnell trugen sie Sam ins Haus, legten ihn auf die Couch und deckten ihn mit mehreren Schichten Wolldecken zu. Sam fühlte sich wohlig und behaglich wie selten zuvor, als sein der Schlaf langsam wich. Die Familie stand um ihn herum und ein unbekannter Mann kniete bei ihm und schüttelte ungläubig den Kopf. „Sie müssen sich irren!“ sagte der bestimmt. „Körpertemperatur 35.6. Ihr Kind kann nicht länger als nur ein paar Minuten draußen gewesen sein.“. „Und wenn ich es ihnen doch sage! Ich bin um 2 Uhr heimgekommen, und da hat es nicht mehr geschneit. Die Fußabdrücke die Sam hinterlassen hat waren aber schon fast zugeschneit.“, warf Chris, Sams ältester Bruder, ein. „Hallo Sam!“ der Arzt lächelte Sam an „du hast deiner Familie aber einen schönen Schrecken eingejagt.“
„Ich habe Santa getroffen. Und er hat mich mitgenommen!“ sagte Sam glücklich. Alle schauten sich nur ratlos an.
Einige Stunden später diskutierte die Familie immer noch, was eigentlich passiert ist. Es schien klar zu sein, dass Sam sehr lange draußen gewesen war, was dann aber geschehen war, konnte sich keiner erklären. Dass Santa Sam mitgenommen haben könnte, wollte aber niemand glauben.
Dann gab es doch noch eine Bescherung und als Sam seine Geschenke auspackte, lag ganz unten, unter der geschmückten Tanne ein kleines Paket, das recht schwer war. Sam riss die Verpackung ab und hatte einen kleinen Schlitte in der Hand, vor dem 6 Rentiere gespannt waren. Auf dem Kutschbock saß Santa und ein kleines Kind und wenn man genau hinsah, sah man ein kleines Kind mit blonden Haaren neben ihm liegen, dass Kopf auf seinem Schoß liegen hatte und schlief. Ein Zettel fiel heraus auf dem stand: „Das ist unser Geheimnis und nur deinen Kindern darfst du davon erzählen!“ stand in einer schönen, geschwungenen Schrift darauf. Und noch während Sam die Nachricht las, verblasste die Schrift und verschwand, als wäre sie nie da gewesen.




Ende




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Tag der Veröffentlichung: 04.12.2010

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