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Sternschnuppen

Epilog



Nachdem ich nun den ungefähr 30sten Versuch eines 8.Teils zu den Sternschnuppen in den virtuellen Mistkübel gepfeffert habe und es wohl keinen Sinn hat mir die Haare zu raufen, hysterische Schreikrämpfe zu bekommen und mich auch ansonsten wie eine Tucke in der Midlifecrisis aufzuführen, habe ich mich zu einem anderen Ansatz durchgerungen, um die Geschichte zu einem Ende zu bringen.
Ich schildere die Ereignisse der Jahre 94 und 95 nicht in der Erzählform, sondern einfach so, von der Leber weg. Irgendwie hat der Leser ja das Recht zu wissen, wie es weitergegangen ist – und auch wie es geendet hat.

„Where should i begin, to tell the story of how sweet a love could be…”
Wo war ich stehen geblieben ? Achja, die neue Nähe, die sich zwischen Ben, Klaus, Stefan und mir angebahnt hat. Wie sich mancher denken kann, gab es da so einiges, was man nur schwer als jugendfrei bezeichnen könnte. Lassen wir das Herumgerede: Wir haben uns eine Woche lang gegenseitig das Hirn raus gevögelt. Geendet hat es jedenfalls damit, dass sich Klaus und Ben hoffnungslos ineinander verknallt haben. Peter verschwand aus dem Leben von Ben so schnell wie er aufgetaucht war, was ich persönlich schade fand, aber wie sagte doch der Dichter schon vor hundert Jahren „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“. Manfred versuchte noch einige Tage sich in diese Runde hineinzudrängen, ein Versuch der völlig und in unendlich peinlicher Weise in die Hose gegangen ist. Es scheiterte an der Situation, an den Gefühlsverwirrungen der Beteiligten und der unendlichen Unreife von uns allen, der wir uns aber in keiner Art und Weise bewusst waren. Wir hielten uns für die schönsten, besten, coolsten und raffiniertesten schwulen Jungs im Umkreis von 1000 km. Waren wir nicht mal annähernd. Wir waren arrogant, voreingenommen, überheblich, egozentrisch und dermaßen auf uns selbst eingebildet und bezogen, dass wir für alles, was sich außerhalb unserer kleinen Welt abspielte, taub und gefühllos geworden waren. Aber wie das ebenso ist, wenn man zu übermütig wird, man wird eines Tages auf den Boden der Realität zurückgeholt.
Aber erst einmal durchlebten wir Wochen und Monate der Kalt- und Warmwechselbäder. Hasso hat natürlich auf der Einlösung der unterschriebenen Verträge bestanden und wir drehten auch einen Film. Zum Zweiten kam es dann aus verschiedenen Gründen nicht mehr. Etwas über 1000 Stück wurden europaweit verkauft. Und ich hoffe inständig, dass außer der Kopie in meinem Keller, kein einziges Exemplar die Jahre überstanden hat.
Ben und Klaus lebten eine Zeit glücklich in einer Fernbeziehung, bis Ben in Wien seine Zelte abgebrochen hat und zurück nach Deutschland gezogen ist. Der Kontakt zu den Beiden blieb noch über Jahre aufrecht, aber dann haben sich ihre Spuren im Nebel der Zeit verloren.
Mit der Familie lief es dagegen gar nicht so gut. Hat es Sinn, näher auf jene unschöne Szene einzugehen, als ich auf einem Parkplatz im Westen Wiens mit meiner Mutter ein Schreiduell hatte? Ist es erwähnenswert, das ich dort die Nerven verloren habe und mich mit einem laut gebrüllten „Ich bin schwul und wenn dir das nicht passt, dann verschwinde aus meinem Leben!“ geoutet habe? Es war eine jener Begegnungen, bei denen ein Wort das andere gegeben hatte und nach einem „Ich hätte dich nach der Geburt ertränken sollen!“ bei mir kurzfristig die Sicherungen offline gegangen waren. Vielleicht sollte ich doch anmerken, dass es der Parkplatz meines Sportvereines war und so 30-40 Leute Zeugen dieser Auseinandersetzung waren. Unnötig zu sagen, dass dieser Disput auch das Ende meiner Sportlerkarriere eingeläutet hat. Zwei Tage später war ich wegen „moralischer Bedenken“ aus der Mannschaft und dem Verein ausgeschlossen worden – und Stefan gleich mit. Das war fünf Tage nach meinem 20. Geburtstag. Ich habe meine Mutter viele Jahre nicht mehr gesehen. Erst bei ihrem Begräbnis wieder.

Das war das erste Mal, dass ich mit Stefan einen richtigen Streit hatte. Nicht eine Diskussion, keine kleine Auseinandersetzung, sondern einen echten, handfesten Streit mit Geschrei, Gebrüll, Beleidigungen, Drohungen , Tränen, knallenden Türen und vielen Scherben. Am Boden und in unseren beiden Seelen. Nach einem Tag Affentanz und vier Tagen gegenseitigen Anschweigens haben wir dann doch eingehsehen, dass es doch absoluter Wahnsinn ist, was wir da treiben. Wir brauchten dazu keine Worte, sondern nur einen Blick beim Abendessen. Das Essen wurde fast unberührt kalt und uns bei sehr vielen Berührungen ziemlich heiß.
Da war ich nun, gerade frisch mit Abitur, ohne Sport, immer noch völlig in meinen Kerl verknallt – und er in mich- aber ohne Job und ohne Einkommen. Ich hatte mal hier mal da als Tresenschlampe gearbeitet und so unser Konto etwas aufgefüttert, aber reich würden wir nicht werden, dass war uns bewusst. Um der Wehrpflicht zumindest zeitweilig zu entgehen hatte ich mich da auf die Universität eingeschrieben und einigermaßen engagiert begonnen zu studieren und nebenbei als Aushilfe in einem Labor zu arbeiten. Mit einigen Jungs aus dem Verein blieben wir auch zu dieser Zeit in Kontakt. Hermann, Ernst und einigen anderen trafen wir uns immer wieder auf ein oder zwei oder mehr Biere. Hermann war mir besonders ans Herz gewachsen. Er war das, was man einen „besten Freund“ nennen konnte. Er war einer der ganz wenigen Menschen zu dieser Zeit, die alles von mir wussten, auch Dinge, die ich nicht einmal Stefan, oder besser gesagt, gerade Stefan, nicht erzählen konnte. Manfred sahen wir nur mehr selten – meistens in irgendeinem dunklen Lokal, in dem es noch dunklere Räume gab, die für die Verrichtung von schnellen, anonymen Sex bereitgestellt wurden. Wenn wir ihn trafen, kamen wir über ein „Hallo“ nicht hinaus und bemühten uns ansonsten gegenseitig, uns möglichst aus dem Weg zu gehen.
Am 5.März 1995 um 18:30 rief uns Ernst an. Hermann war beim Klettern in der Steiermark abgestürzt. Er hatte noch gelebt, als ihn der Hubschrauber in das nächste Spital gebrachte hatte, aber während der Not-OP gestorben. Die Welt wurde die nächsten Wochen und Monate ein Stück dunkler und kleiner für mich. Denke heute ich darüber nach, kann ich mich an das Begräbnis nicht erinnern, obwohl ich ganz sicher dabei war.

Aber ich hatte ja Stefan, der mich stützte und aufrecht hielt, der dafür sorgte, dass ich weitermachte, obwohl er nicht verstand, warum mich der Tod von Hermann derart mitgenommen hatte. War es Eifersucht von seiner Seite, hatte er das Gefühl gehabt, dass mich mit Hermann etwas verbunden hatte, an dem er keinen Anteil hatte haben können? Ich weiß es nicht. Obwohl er zu mir hielt, gab es da eine Distanz zwischen uns, die vorher nicht existiert hatte.
Ende Juni kam der nächste Schlag. Manfred war tot. Sein Vater hatte ihn erhängt in der Wohnung gefunden. Es gab keinen Abschiedsbrief, keine Erklärung, aber auf seinem Schreibtisch lag ein Blutbefund von Manfred mit dem Befund „HIV - Nachweis: positiv“
Manfred war der Erste, aber nicht der Letzte aus meinem Bekannten- und Freundeskreis, der diesen Befund noch bekommen sollte, aber er blieb bis heute der Einzige, der so wenig damit umgehen konnte. Stefan und ich machten uns lange Vorwürfe, ob wir ihm nicht hätten helfen können, aber auf solche Fragen gab es keine passenden Antworten, konnte und kann es keine Antworten geben. „Was wäre wenn“ Spielchen führen immer nur zu noch mehr Unsicherheit und noch mehr Grübelei.
Der Sommer ging vorüber und der Herbst zog ins Land. Stefan und ich waren wieder ein Herz und eine Seele. Die Probleme und Bedenken hatten sich wieder verzogen und wir verbrachten einen wunderschönen Urlaub in Griechenland, in dem wir 14 Tage lang mit Freunden von einer Ägäis Insel zur nächsten segelten.
Dann kam der 26. November. Stefan musste wieder nach Frankfurt zu seinen Eltern. Ich sollte ein paar Tage später nachkommen. Er hatte sich entschlossen, sich zu outen. Zuerst wollte er aber ein einige Tage alleine mit seinen Eltern verbringen und mich anrufen, sobald ich per Zug nachkommen sollte. Längsten nach zwei Tagen sollte es soweit sein. Stefan wollte eigentlich nicht, aber ich drängte darauf, dass wir den letzten Abend, bevor er abfuhr noch ausgehen sollten „Nicht lange, nur ein, zwei Biere vielleicht“ habe ich gesagt. Es wurde lange, es wurden mehr als zwei Biere. Es war nach drei Uhr, als wir heimkamen und uns ziemlich besoffen ins Bett legten. Um Acht holte uns der Wecker aus den Federn und alles andere als ausgeruht oder ganz nüchtern, stieg Stefan in seinen Wagen und machte sich auf den Weg nach Deutschland.
Ich hörte einen Tag nichts von ihm, zwei Tage, drei Tage. Am vierten Tag war ich ein Nervenbündel und nach sechs Tagen völlig fertig und nach einer Woche kam Maria zu mir in die gemeinsame Wohnung. Ich sah ihr ins Gesicht, als sie da, mit Ringen unter den Augen und einem verzweifelten Blick, in der Eingangstüre stand und wusste, dass mein Leben, so wie ich es kannte, vorbei war.
Stefans Vater hatte bei Marias Vater angerufen. Stefan war mit seinem Wagen, wenige Kilometer vor dem heimatlichen Haus, von der Straße abgekommen und mit fast 180 km/h ungebremst in einen Baum gerast. Vermutlich am Steuer eingeschlafen.
Ich weiß von den nächsten Monaten wenig bis gar nichts mehr. Ich fiel in das legendäre schwarze Loch und interessierte mich so gut wie gar nicht mehr für meine Umwelt. Irgendwie, mit Hilfe von Maria, Ernst und meinen Großeltern, habe ich diese Zeit überstanden. Ich schwankte zwischen Verzweiflung, selbstzerfleischenden Vorwürfen, Selbstmitleid, Hass, Wut und Angst im Minutentakt hin und her. Ich aß kaum und schlief noch weniger, verlor meine Selbstachtung und meine Würde. In dieser Zeit nahm ich fast 15 Kilo ab und sah aus wie der wandelnde Tod. Ich schmiss die Uni hin und verlor meinen Job und damit auch fast die Wohnung, in der Stefan und ich so glücklich gewesen waren. Nur Maria und Ernst war es zu verdanken, dass das nicht passiert ist.
Es dauerte ein halbes Jahr, bis ich wieder halbwegs klar denken konnte. Es dauerte ein Jahr um beruflich und finanziell wieder auf die Beine zu kommen und es dauerte 5 Jahre, bis ich wieder jemanden lieben konnte.
Wie alt ich aber auch werde und was auch immer noch geschehen mag, dieser Platz in meinem Herzen wird immer von Stefan besetzt sein. Sogar noch heute wache ich manchmal auf und habe geträumt, dass Stefan beim Aufwachen neben mir liegt und mich anlächelt.
Aber ich habe gelernt mit Freude an ihn zu denken, an die schönen Zeiten und tollen Dinge, die wir gemeinsam erlebt haben und der Gedanke an seinen Tod versetzt mir jetzt nur mehr einen kleinen Stich und stürzt mich nicht mehr in ein dunkles, tiefes Loch.


Es war die schönste aller Zeiten
Es war die schlimmste aller Zeiten
Die Besten gehen immer zu früh

in ewiger Liebe




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Tag der Veröffentlichung: 25.11.2010

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