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Outing

Nun ja. Da steh ich nun, ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor.
Kopfzerbrechen. Outing an sich – ein interessantes Thema. Aber inwiefern soll man sich outen, wenn DAS Outing schon lange Zeit hinter sich hat. Seelenstriptease? „Wahrheit oder Pflicht“ virtuell? Flaschendrehen im Textprogramm? Wie weit geht man mit der öffentlichen Verkündigung seiner per se nicht öffentlichen Spleens und Ticks bei Menschen, die man weder persönlich gesehen und schon gar nicht jemals kennengelernt hat? Was interessiert die Menschen denn überhaupt? Hat sie das zu interessieren?
HALT! Eine Idee! Erfinde eine Kunstfigur und lass die sich doch outen. Ist das eine GUTE Idee? Ist das Betrug am Kunden? Macht man das nicht jeden Tag, wenn man Geschichten schreibt, sofern es nicht eine Biografie seiner selbst ist? Was wäre das denn für ein Outing? Oh Not des Schreiberlings.
Abschweifende Gedanken
Es outet sich der Notator der Ereignisse ein jedes Mal ein kleines Stück, wenn er sich an die Tastatur, den Schreibblock setzt. Seit Jahrtausenden gibt er kleine Stücke seiner selbst mit drein, wenn er zu Hammer und Meißel, Pinsel oder Federkiel greift um die Schlacht von Kadesch in Stein zu hauen oder mit einem Stück Holz in weichen Ton die Keilschriftzeichen drückt, während der Pharao, der Hetiterkönig ihm über die Schulter sieht um beim kleinsten Fehler den Henker zu rufen. Ein wenig vom Verfasser des Dokumentes ist jedes Mal dabei, wenn er das elende Ende des elenden Lebens eines Caligula auf Papyrus pinselt, den Tod des Barbarossa in einem namenlosen Fluss in einem namenlos Land auf Pergament betrauert oder fassungslos versucht in Worte zu fassen, was nicht in Worte zu fassen ist, wenn er den Stolz der USA in einen Haufen Schutt und Asche sinken sieht. Jeder, der seit Anbeginn der Schrift eine Geschichte, sei sie wahr oder seinem Geist entsprungen, niedergeschrieben, auf Holz, Papyrus, Pergament oder Papier gepinselt, in Stein oder Holz gehauen und geschnitzt, in Ton gedrückt oder in einen Knochen geritzt hat, gab ein Stück seiner selbst mit. Ist es denn nötig zu sagen „ich bin“ oder „ich mache die und das“? Lies was und wie ein Mensch schreibt und du wirst erkennen, wie er ist.
Wie er ist? Nein, nicht ganz, denn dies nur ein Teil der Wahrheit. Nicht nur wie er ist, sondern auch wie er sein möchte, das eigne Bild, dass er gern hätte, dass ihn andere so sehen! „Und Hannibal Lektor?“ mag der eine oder andere an dieser Stelle einwerfen. Nun, auch die dunkle Seite hat ihren Platz in jedem Einzelnen. Zwischen Mutter Theresa und dem Zodiakkiller findet sich ein jeder von uns wieder. Nimm alle Haupt- und Nebenfiguren aus allen Romanen, Essays, Gedichten und Kurzgeschichten des Autors, die dir besonders real erscheinen. Suche die Gemeinsamkeiten und besonders plastisch beschriebene Details und setzte sie zusammen. Am Ende erscheint ein gänzlich neues Bild – und womöglich hast du dann das Bild des Autors. Nenne es ein Outing auf Raten meinetwegen.
Ist es nun nötig, sich zu „Outen“, was ja nichts anderes bedeutet, als ein Detail aus seinem Leben preiszugeben, das nicht der breiten Öffentlichkeit bekannt ist? Von dem man zumindest hofft, dass es niemand weiß. Ich für meinen Teil halte es mit der Tradition der Bildhauer, der Holzschnitzer, der Mönche im kalten Skriptorium, der endlosen Kette von Autoren seit Anbeginn der Schrift: Lest, was ich schreibe. Findet mich in Davy, Stefan, Manfred, Ben, Kilian, Manuel, Mattis, Marcus und all den anderen wieder, die mein ganz privates Universum bevölkern. So oute ich mich jeden Tag ein Stück, sobald ich mich an die Tastatur setze, Dies ist Outing genug. Und mehr an Outing ist mir auch nicht möglich.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 13.10.2010

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