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Die nächsten Tage und Wochen vergehen wie im Flug. An der Schule herrscht Prüfungsstress und ich komme inzwischen auch wieder besser mit Manfred aus. Norbert und Markus sind echt froh darüber, allerdings auch ein wenig sauer, weil ich viel weniger Zeit als früher mit Ihnen verbringe. Aber soweit möglich schaue ich darauf, dass ich meine Freizeit mit Stefan zusammen bin. Im Verein lebt sich Stefan ganz gut ein und kommt auch recht gut mit den anderen aus. Nur Ernst ist sauer, weil Stefan ihn aus dem A-Team gedrängt hat. Ben, Stefan und ich bilden nun eine Art Dreiergespann und unternehmen auch außerhalb des Vereins recht viel miteinander. Aber sobald Ben einen Rock sieht, vergisst er uns und geht auf die Jagd. Manchmal kommt er recht bald wieder zurück, manchmal verschwindet er für den Rest der Nacht. Stefan meint, dass bei Ben was nicht richtig im Kopf sein könne, wenn er noch immer nicht kneist was mit uns los ist. Ich glaube, dass Thema schwul ist so weit weg von Ben, dass er deshalb nie auf die Idee kommen würde. Schwule gehen für ihn mit Handtaschen und Weiberklamotten durch die Gegend. Das sie neben ihm und mit ihm auf der Matte liegen und ringen, Bier saufen und ordinäre Witze erzählen, käme ihm nie in den Sinn.
Mit Mutter und mir geht es immer mehr bergab. Sie versucht mich als eine Art Ehemannersatz einzuspannen und vergisst aber irgendwie dabei, dass ich inzwischen mein eigenes Leben habe, eigene Vorstellungen und auch eigene Wünsche. Sie streitet mit jedem und allen. Es ist zum Kotzen! Achja – und es hat geschneit. Und zwar ziemlich viel. Im Garten liegt der Schnee sicher einen halben Meter hoch. Mit Joggen ist daher vorerst einmal Schluss und wir gehen öfter mal in die Kraftkammer oder schwimmen. Der Kunstspringer mit den schwarzen Haaren und den blauen Augen ist mir dabei aber nicht mehr begegnet.
An einem kalten Novembertag, es ist ein Samstagnachmittag, liegen Stefan und ich bei ihm zu Hause am Bett und überlegen, was wir heute noch machen wollen.
„Eigentlich würd ich gerne mal wieder tanzen gehen“ meint Stefan versonnen. „War nicht mehr, seit ich in Wien bin“
„Na, dann weiß ich schon, wo wir hingehen!“
Er dreht sich zu mir, stützt seinen Kopf in die linke Hand und sieht mich erwartungsvoll an.
„naaa- da bin ich aber gespannt! Wohin geht’s denn?“
„Ich kann dir nicht einmal sagen, wie das Lokal heißt!“
„Hä? Komisch das – findest du nicht?“
„Doch – aber ich bin dort mit Norbert vollkommen zufällig hineingestolpert, als wir mitten in der Nacht noch was zu trinken wollten.“
„Klingt spannend Schatz – erzähl weiter!“
„Naja – ist nicht leicht für mich. Hab an dem Abend mit Manfred Schluss gemacht. Jedenfalls hatten wir vorher schon Zoff und er ist abgerauscht – wollte heimfahren, hat er zumindest gesagt. Norbert und ich sind dann Richtung Innenstadt gezogen und sind in den Laden gefallen. Hat ein paar Minuten gedauert bis ich das geknissen habe, aber ich denke, das war eine schwule Disko! Dort hab ich dann Manfred auf der Tanzfläche gefunden, der voll besoffen einen Paarungstanz mit einem Zwerg aufgeführt hat. Das war’s dann auch schon. Bin mit einem Affenzahn raus aus dem Lokal.“
„So war das also! Hab mich schon gefragt, was eigentlich passiert ist. Wollt aber nicht nachbohren! Das war sicher das Why Not! Ist das unter einer Brücke?“
„Ja!“
„Aber hallo! In so einen Sündenpfuhl, da willst du mich hin entführen?“
„War ja nur ein Vorschlag!“ sag ich indigniert.
„Beruhig dich! Ist ja OK. An mir soll’s nicht scheitern!“
Stefan und ich haben in den letzten Tagen wieder öfter über das Thema ‚Sex mit anderen’ gesprochen. Letzter Stand der Diskussion ist, Dreier ja, wenn es sich ergibt, beide einverstanden sind und sich dabei keiner von uns von dem anderen ficken lässt, dass bleibt uns vorbehalten. Außerdem haben wir ein Zeichen vereinbart, auf dass die Aktion sofort abgebrochen wird, sollte es einem zuviel werden.
„Also alles klar – wir gehen ins ‚Why Not’“ sage ich und dreh mich auch zu ihm, sodass wir uns in die Augen schauen.
„Alles was du willst, mein Schatz, will ich auch!“
„Gut dann fahr ich vorher aber noch heim und zieh mir was anderes an!“
„Hm – am besten eine Mönchskutte – sowie du jetzt aussiehst fallen sicher ein paar von denen dort in Ohnmacht.“
Ich liege nur mit Jeans am Bett. In den letzten Wochen haben sich meine Bauchmuskeln richtig schön entwickelt, was Stefan wahnsinnig geil macht. Er hat zwar immer noch die bessere Muskulatur, aber meine sind inzwischen auch schon alles andere als schlecht.
„Ich glaube echt, du hast noch nicht geschnallt, was für eine Sahneschnitte du bist!“ sagt er und grinst.
Vielleicht hat er Recht.

Um sieben bin ich daheim und um zehn treffe ich mich mit Stefan bei seiner Wohnung. Wir holen uns ein Taxi und lassen uns in die Innenstadt fahren. Da ich es nicht besser weiß, fahren wir bis zur Börse und gehen die paar Meter bis zur Brücke zu Fuß.
Vor dem Lokal bleiben wir noch kurz stehen. „Bereit?“ fragt Stefan – „Ja, auf in den Kampf!“
Wir läuten an und ein Typ macht uns auf, checkt uns kurz ab und winkt uns hinein.
Drinnen ist fast nichts los. Außer uns stehen nur ein paar Typen herum und plaudern oder langweilen sich einfach. Wir setzten uns an die Bar und bestellen ein Bier. Es ist wirklich so teuer, wie ich in Erinnerung hatte.
„Nicht gerade die Hölle los hier!“ sagt Stefan.
Der Kellner hat das anscheinend gehört. „Hallo Kinder. Seid ihr neu hier oder Touristen? Vor halb eins, eins geht hier selten die Post ab!“
„Nix Touriste – Einheimische – aber trotzdem neu hier!“ sag ich.
„Frisch verliebt?“ fragt er und ich denke mir eigentlich ist er ziemlich neugierig. Er ist nicht dünn, er ist mager. Seine Finger sind wie Spinnenbeine so dürr. Ich mag ihn irgendwie nicht besonders.
Wir sehen uns an „frisch nicht so sehr, aber SCHWEEEER verliebt!“ meint Stefan und sieht mich seufzend an. Ich muss ihn einfach küssen.
„Ihr zwei seid echt süß. Passt ja auf einander auf! Ihr seid hier wie Schafe unter Wölfen.“
Diese Bemerkung macht mich ein wenig unruhig.
Nach einiger Zeit kommt der Kellner wieder, stellt uns einen Sektkübel und zwei Gläser hin.
„Geht auf den Chef – als Begrüßung sozusagen. Könnt ihr euch was drauf einbilden. Normalerweise ist er nicht so spendabel!“ flötet er vor sich hin, während er eine Flasche Schlumberger aufmacht.

Er schenkt uns zwei Gläser ein und trollt sich zu anderen Gästen. Wir prosten zu dem Mann rüber, denn er uns als Chef vorgestellt hat. Der ist ebenfalls dürr wie ein Pfahl, sieht aber eher krank aus und hat ein dickes Seidentuch um den Hals geschlungen. Er hebt sein Glas, lächelt und prostet zurück. Kommt aber nicht rüber, denn er ist in eine heftige Diskussion mit einem jungen Mann verstrickt, der vielleicht gerade mal 1,70 groß ist und dem die Rücken- und Brusthaar überall oben aus dem T-Shirt quellen. Er hat aber ein nettes Gesicht, das voller Lachfalten ist. Gleich darauf ziehen die beiden in Richtung Durchgang ab, wo auch die WC-Anlagen sind.
Während wir unseren Sekt schlürfen, füllt sich das Lokal langsam.
Als die Flasche leer ist, bestellen wir uns noch zwei Bier und gehen runter zur Tanzfläche. Dort ist schon einiges los, wir stellen uns am Rand zu einer der goldenen Balustraden, die mit irgendwelchen Figuren geschmückt sind, die einer Art Fackel halten und gucken uns an, was denn so abgeht.
„Sieht aus wie ein Puff!“ schreit mir Stefan ins Ohr um sich gegen die Musik durchzusetzen.
„Mein Gedanke. Tanzen?“ schrei ich zurück.
Er nickt und wir gehen auf die Tanzfläche. Nach fast zwei Stunden sind wir je vier Bier und vier Tequila weiter, ziemlich angeheitert und voll durchgeschwitzt. Wir wollen gerade mal rauf gehen, als der DJ YMCA auflegt. Wir schauen uns an nicken beide und gehen auf die Tanzfläche zurück. Stefan ist so gut drauf, dass er sein Shirt auszieht und hinten in die Hose steckt. Was er kann, kann ich auch und mach es genauso. Und weiß der Teufel warum, auf einmal tanzen wir uns wie verrückt an. Wir drehen uns, lassen die Hände über den anderen gleiten und küssen uns immer wieder. Es geht sogar soweit, dass er mich von vorne packt, den rechten Arm um meinen Rücken legt und ich mich voll hintenüber hängen lasse im Vertrauen, dass er mich hält. Stefan beißt mich leicht in die Brustwarzen, was mich nun voll irre macht. Und das alles im Takt des Basses, der um uns wummert. Es ist einfach nur geil. Als wir voll außer Atmen sind und knapp davor die Kontrolle zu verlieren, merken wir, dass wir die einzigen sind die Tanzen und der Rest im Kreis steht und johlt und klatscht. Wir glänzen beide vor Schweiß und bekommen kaum Luft und ich hab voll den Ständer in der Hose.
Stefan drückt mich an sich und schreit „Heee – das gehört aber NUR mir!“ und fasst mir an die Hose. Wir beginnen zu lachen, nehmen uns an den Händen und laufen die Hühnertreppe hinauf zur oberen Bar.
Oben bestellen wir noch eine Runde Bier. „Hoffentlich hat das keiner bemerkt.“ Sag ich zu Stefan.
Er grinst. „Es müsste einer schon blind gewesen sein, um dass nicht zu sehen, mein Tiger“ und greift mir wieder an die Hose, wo mein Schwanz sofort wieder aufsteht, nachdem er sich gerade wieder ein wenig beruhigt hat.
„He – lass das – sonst bekommen die hier noch ganz was anderes zu sehen – ich schwör’s dir!“
Dann stecke ich ihm die Zunge in den Hals.
Stefan tut so als würde er keine Luft bekommen und rudert mit den Armen.
„Luft – Luuuft“ ruft er.
„Ein bisschen Frischluft wäre echt gut“ und deute Richtung Ausgang. Eigentlich wollen eigentlich ein paar Minuten rausgehen, aber in diesem Moment geht die Tür auf und der Wind, der hereinweht ist so kalt, dass wir sofort umdrehen und uns wieder an die Bar stellen. „Ich muss mal!“ sagt Stefan und verschwindet Richtung WC. Bei dem Andrang, der inzwischen herrscht dauert das sicher zehn Minuten oder länger.
Ich drehe mich um, lehne mich mit dem Rücken an die Bar und schau in die Runde. Mir fällt jetzt auf, wie die Typen mich ansehen. Einige versuchen lächelnd Augenkontakt herzustellen, andere schauen einfach nur geil und wieder andere schauen demonstrativ weg, wenn ich hinsehe.
„War ja eine tolle Schau, die ihr beiden da unten abgezogen habt. War das dein Freund?“
Die Stimme kommt von rechts und ich drehe meinen Kopf. Im ersten Moment erkenne ich mein Gegenüber nicht, aber dann – strahlend blaue Augen unter einem dichten schwarzen Haarschopf, eine freche Stupsnase und ein leicht spöttisch lächelnder Mund.
Der Kunstspringer aus der Stadthalle. Obwohl ich versuche mir nichts anmerken zu lassen, bin ich nicht sicher, ob er etwas merkt. „Danke – freut mich, wenn’s gefallen hat. Uns hat es jedenfalls Spaß gemacht und ja das war mein Freund.“
„Ihr seid ein echt heißes Pärchen ihr zwei. Ich bin der Matthias“ er streckt mit die Hand hin.
„Davy“ ich nehm seine Hand und drücke sie.
„Wo ist er denn – dein Freund?“
„Versucht den Druck auf der Blase loszuwerden!“
„Das dauert – ich hab vorhin fast zwanzig Minuten gebraucht!“
Mir wird klar, das ich immer noch das Shirt in der Hose stecken habe und mit nacktem Oberkörper da stehe, als ich seinen Blick sehe, der mir über den Körper wandert. Kurz überleg ich das Shirt wieder anzuziehen, lass es dann aber bleiben. Soll er doch – er kann mir ja nichts wegschauen.
„Sag mal, wie alt bist du denn?“
Soll ich lügen ? Wozu?
„Im Sommer werde ich 18! Und du?“
„Wow – und dann so einen Body! Wie bekommt man den in dem Alter? Ich werd im März 20.“
„Mein Freund und ich…“
„…sind Freistilringer und wenn man gut ist, sieht man so aus wie mein Schatz.“ vollendet Stefan hinter mir den Satz und legt mir seine Arme unter den meinen über meine Brust , drückt mich an sich und gibt mir einen Schmatz auf die Wange.
„Wer ist denn unser neuer Freund?“
„Stefan, das ist Mathias, Mathias – Stefan“ Die beiden reichen sich die Hände.
Bevor noch einer was sagen kann, fange ich ganz locker an „Das ist der Typ von dem ich dir erzählt habe – vor ein paar Wochen im WC in der Stadthalle.“ Ich bin vollkommen baff, dass ich das so locker gesagt habe.
Stefan sagt nichts und ich kann sein Gesicht nicht sehen. Aber das Gesicht von Mathias spricht Bände. Es ist total verblüfft, zuerst ein wenig wütend und dann ist es ihm sichtlich extrem unangenehm.
„Ich war mir nicht sicher, ob du dich erinnern kannst oder mich wieder erkannt hast. Tut mir leid, aber das war total blöd im Bad. Keine Ahnung, wie ich auf die bescheuerte Idee gekommen bin, dich am Klo anzumachen.“ Er sieht aus wie ein kleiner Bub, den man beim Naschen erwischt hat.
„Hast meinen Kleinen damals ganz schön durcheinander gebracht, kann ich nur sagen!“
brummt Stefan von hinten und drückt mich noch fester an sich.
„Aber was war, war und heute ist heute!“
„Ihr seid nicht sauer deswegen?“
Ich dreh mich um und schau Stefan an „Sollen wir sauer sein?“ Er schüttelt den Kopf.
„Ok – nicht sauer – und jetzt Kopf hoch und lach ein wenig!“
„Ihr habt es leicht, ihr seid nicht allein und trainiert viermal die Woche mit lauter fastnackten Heten, von denen die meisten zum Sterben geil aussehen.“
Stefan hat sich zur Bar umgedreht und ich antworte „Irrtum! Wir trainieren viermal die Wochen mit lauter Heten, von denen nicht wenige supergut aussehen und wälzen uns mit ihnen auch noch auf der Matte herum. Und dabei gehen wir manchmal SEHR auf Tuchfühlung!“
„Ja, aber ihr habt euch!“
„Stimmt, der Punkt geht an dich!“
„Bitte sehr“ Stefan reicht von hinten Sektgläser nach vorne. „Zur Feier des Abends. Prost!“
Wir stoßen an und reden und plaudern und gehen tanzen. Irgendwann ist schon wenig los auf der Tanzfläche. Es wiegen sich nur mehr zwei andere Pärchen im Takt der Musik. Stefan und ich versuchen auch gerade zu entscheiden, wer denn nun führt. Mathias steht am Rand der Tanzfläche und sieht uns zu. Die Stimmung ist extrem eigenartig. Schmusemusik, gedämpftes Licht und der DJ hat Nebel in den Raum geblasen. Irgendwie stehen wir auf einmal neben Mathias. Stefan legt ihm den Arm um die Schulter, fast genau im gleichen Augenblick wie ich. Mathias kommt meinem Gesicht langsam näher und ich sehe wie ihm Stefan am Hals küsst. Ganz leicht berühren sich unsere Lippen und Mathias lässt seine Zunge leicht über meine Zähne gleiten. Dann dreht er sich weg und küsst Stefan am Hals, während ich Stefan küsse. Ich lasse meine Hand auf seinen Arsch gleiten und merke dass Stefan seine schon dort hat. So geht das Ganze ein Weilchen hin.
„Ahem – ich stör euch ja nur ungern!“ höre ich eine Stimme hinter mir „aber eigentlich haben wir schon zu.“
Jetzt wird auch das Licht heller. Wir drei grinsen uns an und gehen Richtung Ausgang, zahlen (SCHOCK!) holen unsere Jacken aus der Garderobe und gehen auf die Straße. Draußen wird es schon hell.
Wir drücken uns unter die Brücke in den Stiegenaufgang und fangen dort wieder an zu fummeln.
„Kommt ihr noch einen Sprung zu mir? Ist nur ein paar Minuten zu Fuß!“ bricht Mathis das Schweigen.
Ich will, ich will nicht, dass heißt ich will, aber eigentlich trau ich mich nicht. Ich schaue Stefan an dem es anscheinend ähnlich geht, denn er sieht so ratlos aus, wie ich mich fühle, aber schließlich nickt er leicht. „Dann los!“ sag ich nur.
Mathias geht voraus und es sind wirklich nicht mehr als vielleicht zweihundert Meter, als wir vor einem Wohnhaus stehen bleiben und Mathias nervös einen Bund Schlüssel aus der Jacke hervorkramt und das Haustor aufschließt. Wir hetzten die Stiegen bis in den zweiten Stock, dort sperrt er die Wohnungstür auf und lässt uns rein. Die Wohnung ist nicht sonderlich groß und nicht gerade sehr zusammengeräumt, aber das ist im Moment scheißegal.
Über drei Stunden später gehen Stefan und ich aus dem Haus. Mathias schläft tief und fest, als wir uns anziehen und gehen.
Eigentlich sollten wir ja darüber reden, was da gerade passiert ist, zumindest habe ich das Gefühl, dass wir das sollten, aber wir schweigen Beide, als wir in das helle Sonnenlicht eines kalten Novembertages treten.
Vielleicht liegt das ja auch daran, dass wir beide hundemüde und immer noch angetrunken sind.
Wir nehmen uns ein Taxi und fahren zu Stefan in die Wohnung, in weiser Voraussicht, habe ich daheim schon angekündigt, dass ich bei Freunden schlafen werde. Stefan schläft schon im Taxi an meiner Schulter ein. Als wir ankommen, wecke ich ihn sanft auf und wir gehen in seine Wohnung.
Kaum ist die Türe hinter uns zu, nimmt er mich in den Arm und flüstert „Ich liebe dich über alles.“
Wir gehen duschen und legen uns ins Bett. Stefan kuschelt sich an mich und schläft fast sofort ein.
Die letzten Stunden liegen wie hinter einem Nebel und ich kann mich nur mehr undeutlich an Details erinnern. Mathias hat uns eine kleine Flasche unter die Nase gehalten. Ich bin vor dem scharfen Geruch zurückgezuckt, aber meinte nur „das macht geil! Nimm eine Nase voll!“. Mir ist das Blut in den Kopf und mit unglaublichem Druck in den Schwanz gestiegen. Stefan, wie er vor Mathias steht und sich verblasen lässt, während ich Mathias durchbumse Irgendwann hat Mathias versucht mir seinen Schwanz in den Arsch zuschieben, aber ich hab mich weggedreht und statt dessen von Stefan ficken lassen. Und als letztes habe ich Mathias gefickt und gleichzeitig Stefan mich, ich hab gespürt, wie Stefan gekommen ist und gleichzeitig hat es im Arsch von Mathias begonnen zu Pumpen und zu Arbeiten, fast genau zu diesem Zeitpunkt hab auch ich meine Ladung verschossen. Wir müssen fast das ganze Haus zusammen geschrieen haben.
Jetzt liege ich hier und merke, dass ich schon wieder geil werde und drücke mich näher an Stefan ran. Er beginnt sich zu bewegen.
„hm – willst du schon wieder? Du bist ja wirklich kaum zufrieden zu stellen!“ flüstert er schlaftrunken, aber ich spüre, wie sein Schwanz auch schon wieder hart wird.
Um vier wachen wir endgültig auf, nicht wirklich ausgeschlafen, aber schon einigermaßen fit.
Wir sitzen bei einem Kaffee und schauen uns eigentlich nur an ohne viel zu reden, als Stefan sagt „Davy, eines müssen wir noch klären“
„Was denn?“
„Wenn wir so was noch mal abziehen, dann müssen wir Gummis nehmen!“
„Wieso denn? Macht doch mehr Spaß so.“
„Du bist zwar ein wifer Junge, aber manches geht anscheinend an dir vorbei“
„Wie meinst du denn das?“ ich fühle mich fast beleidigt.
„Schon mal was von Tripper gehört? Oder Syphilis? Oder um ganz konkret zu werden, von AIDS und HIV?“
„He – Ich mach jetzt das vierte Jahr Ausbildung zum Biochemiker – Ich kenn alle meine Mikroben beim Vornamen!“
„Schon gut! Wir zwei können ja weiter darauf verzichten, aber sollten wir uns wieder auf einen Dreier einlassen, dann bitte nur mehr mit Gummi ficken. OK Schatz?“
„Hast ja Recht, mein Bär“
„Davon abgesehen, bist du gestern ja abgegangen wie eine Rakete – hat dir sichtlich Spaß gemacht.“
„Und wie – dir aber sichtlich auch“
„Schon, kann ich nicht abstreiten!“ Stefan grinst vor sich hin, als er einen Schluck aus der Tasse nimmt.
„Also das Feeling, wie ich zwischen euch in der Mitte war, puuhhh das war schon himmelschreiend geil!“
„Hab ich gehört – und das halbe Haus wahrscheinlich auch.“
Ich muss grinsen, aber geil war es ja - mein lieber Schwan!

Die Woche vergeht mit einer Schularbeit, viel Training und Vorbereitung für das Turnier am Wochenende. Diesmal müssen wir nicht weit fahren und dort wohnen, ist ja in Krems und die paar Kilometer fahren wir jeden Tag hin und wieder retour.
Wir sitzen am Samstagmorgen im Wagen bei Jochen und fahren gerade an der Donau entlang. Es ist kalt, trüb und nebelig. Ein richtiger Novembertag. Die Donau ist kaum zu sehen und wir vertreiben uns die Zeit mit reden und Blödsinn machen. Hermann und Manfred sind auch im Wagen, und im Heck türmen sich die Taschen mit unserm Zeug.
Hab gestern mit meinem Vater telefoniert, fängt Stefan an „Ich mache ab Jänner den Führerschein und bekomme dann einen eigenen Wagen. Ich kann mir aussuchen welchen!“
Die Diskussion konzentriert sich ab nur mehr darauf, welchen Typ er nehmen soll.
Stefan hat aber seine Entscheidung schon getroffen „Chrysler, LeBaron!“ stellt er ultimativ fest.
„Mann, der kostet doch eine Lawine“ stellt Hermann fest „sicher über 20.000!“
„Um genau zu sein 30.000“ meint Stefan locker.
Jochen pfeift anerkennend und Hermann meint nur locker „Dafür müsste mein Alter eine ganze Menge Überstunden machen.“

Der Vormittag des ersten Turniertags ist locker, wir gehen auf die Matte und gewinnen unsere Kämpfe einen nach den anderen. Jochen ist ganz aus dem Häuschen – wir aber auch. Mein ganz privater Fanclub ist inzwischen zum Vereinsfanclub geworden und feuert alle unsere Ringer an.
Der Nachmittag fängt auch noch ganz gut an. Und dann passiert dass, wovor uns Jochen gewarnt hat: Ringer aus dem Osten neigen dazu in verzweifelten Situationen zu unfairen Mitteln zu greifen und sind Meister darin, dass die Kampfrichter nichts mitbekommen.
Und es erwischt ausgerechnet Stefan. Er hat seinen Gegner so in der Beinschere, dass er ihn langsam aber unaufhaltsam auf die Schultern zieht und er ihm keinen Ansatz für einen Gegengriff oder eine Abwehr lässt. Als er schon auf der Schulter liegt und wir eigentlich nur mehr warten, dass der Kampfrichter abpfeift, schreit Stefan auf einmal auf, lässt seinen Gegner aus dem Griff und greift sich an die Innenseite des Oberschenkels. In dem Moment dreht sich sein Gegenspieler blitzschnell herum und hat Stefan seinerseits in der Beinschere, bevor der noch reagieren kann. Jochen will den Kampf unterbrechen und ein Zeitaus nehmen, aber der Kampfrichter reagiert nicht und pfeift den Kampf zu Gunsten des Anderen ab.
Stefan humpelt zu uns zurück und wir stürmen sofort mit Fragen auf ihn ein, er sagt aber nichts, sondern krempelt das linke Hosenbein hoch und zeigt uns, was er dort hat. Nämlich eine ca. zehn Zentimeter lange und vier Zentimeter blaue Verfärbung, die schnell dunkler und größer wird.
Der Bulgare hat ihn dort mit aller Kraft die Haut samt den Muskeln darunter zusammengequetscht. Jochen ruft nach dem Sportarzt und der bestätigt den Verdacht. Nun geht es hoch her, Jochen legt Protest ein, das Kampfgericht hört sich den Arzt an und schaut sich auch die Schwellung von Stefan an, die immer schlimmer wird und entscheidet zu unseren Gunsten. Der Bulgare wird disqualifiziert und Stefan zum Sieger erklärt. Jetzt legen die Bulgaren Protest ein, aber der wird abgeschmettert. Ab diesem Zeitpunkt werden alle Kämpfe mit den Bulgaren zu mehr oder weniger großen Gemetzeln. Zum Glück hab ich keinen Kampf mehr mit denen, sondern Marc und Ben. Marc hat zum Schluss eine Platzwunde über dem Auge und Ben eine blutige Lippe, aber sie gewinnen ihre Kämpfe. Aber insgesamt haben wir die Konzentration verloren und es sieht immer schlechter aus. Zu Mittag lagen wir noch weit in Führung, am Abend sind wir nur mehr Dritte.
Am nächsten Tag holen wir ein wenig auf und schließen als Zweite hinter einem bayrischen Verein ab. Ich hab mehr Kämpfe gewonnen als verloren, aber wir können uns nicht wirklich darüber freuen. Vater, Maria und Chris sind nicht da, obwohl sie eigentlich kommen wollten. Das macht mich schon etwas traurig.

Montag Abend – Alexander
Riesenzoff mit Manfred. Irgendeine dumme Tussi baggert ihn voll an und als sie einen zu viel über den Durst getrunken hat, will sie ihm an die Hose. Er scheuert ihr eine, dass sie zwei Meter nach hinten fliegt und sehr unsanft am Boden landet. Dann geht es so richtig schön los. Zwei Typen stürzen sich auf Manfred, Norbert und ich helfen ihm. Innerhalb von Sekunden ist eine richtig schöne Schlägerei im Gange, die mit Polizei, Rettung und viel Ärger endet der daheim natürlich weiter geht. Mutter geht um drei mit der Cognacflasche schlafen, nachdem sie mir bis dahin die Hölle heiß gemacht hat.
Wenn Vater von seiner Geschäftsreise zurück ist, frage ich ihn, ob ich zum ihm ziehen kann.
Ich halte es zu Hause einfach nicht mehr aus
Dienstag gehe ich mal wieder trainieren. Ich habe so viel Wut in mir, dass ich so gut bin wie noch nie. Ernst kegel ich fast die Schulter aus und ich kann sogar einen Schultersieg gegen Marc landen, weil ich ihn überrasche. Das erste Mal, dass ich gegen einen des Viergestirns Marc, Ingo, Ben und Stefan gewinne.
„Wenn du im Jänner auch so kämpfst, dann räumst du in deiner Klasse alles ab!“ meint Jochen.
Ernst sieht mich eigenartig an, als er mit neuem Respekt in der Stimme sagt „Also wenn du in dieser Stimmung bist, fange ich mich zu fürchten.“
Hermann sagt gar nichts, aber sein Blick spricht Bände.
Nach dem Training geht es in unser Stammlokal und wir sitzen und plaudern noch eine Stunde.
Diese Nacht schlafe ich bei Stefan. Und es ist alles traumhaft, bis Stefan ein wenig verlegen herumdrückt und dann endlich rausrückt, was ihn beschäftigt.
„Ich muss dir was sagen Davy“
Der Ton gefällt mir nicht, eine solche Einleitung verheißt selten Gutes!
„Worum geht es denn?“
„Um Weihnachten und Neujahr. Meine Eltern wollen, dass ich vom 22. Dezember bis 8 Jänner heimkomme!“
„Zwei volle Wochen?“ ich höre selbst, wie enttäuscht ich klinge „und dazu noch über Silvester?“.
„Ich werd da nur schwer rauskommen – sie sind ja schon einigermaßen sauer, weil ich mich so selten melde.“
„Ich hab gehofft, dass wir Silvester zusammen feiern!“
„Ich doch auch !“. Er seufzt leise.
Ich sage nichts mehr, aber das Thema ist noch nicht ausgestanden.

Stefan und ich diskutieren über dieses Thema noch öfter, streiten wäre zu viel gesagt, aber wir haben eindeutig unsere erste heftigere Auseinandersetzung. Er muss nach Frankfurt, ich muss in Wien bleiben. Wir kommen so auf keinen grünen Zweig und schließlich gebe ich nach, auch wenn es mich traurig macht, dass wir uns über Silvester nicht sehen. Aber, als Ausgleich, wir machen uns aus, im Sommer gemeinsam wegzufahren. Nur wir zwei machen drei Wochen Urlaub. Es wird der Himmel auf Erden.

12. Dezember
Stefan hat Geburtstag! MEIN Stefan wird 19!
Maria wollte ja eine Riesenparty veranstalten, aber ich will mit ihm alleine feiern. Es gibt fast einen Streit, aber ich setze mich doch durch. Keine Party, nur Stefan und ich! Ich weiß, dass er bis ca. sechs am Abend auf der Uni beschäftigt ist, daher nehme ich mir den Nachmittag einfach ‚frei’ (Hallo Klassenbuch!) und fahre zu Stefan in die Wohnung. Die Schlüssel hab ich ja schon länger und fange an, alles herzurichten.
Ich kaufe vorher noch alles was gut teuer ist. Sekt, Lachs, Pasteten und vieles mehr (dabei geht zwar der Großteil meines Taschengeldes drauf, aber was solls!) und beginne die Wohnung herzurichten. Im Wohnzimmer stelle ich 90 !!! Kerzen auf, in der Mitte kommt eine Decke aus dem Schlafzimmer und rundherum Polster, die ich von überall aus der Wohnung zusammengeklaubt habe. Am Rand stelle ich den Sektkübel und zwei Gläser und daneben auf zwei Tabletts all die Leckerein auf, die ich besorgt habe. Die Geschenke für ihn, hab ich in meinem Rucksack versteckt. Als ich fertig bin, ist es kurz vor fünf. Jetzt kann ich nur mehr warten.
Es wird halb sechs, sechs und schließlich halb sieben, eigentlich sollte er jetzt auftauchen und ich zünde alle Kerzen an, hole eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank und deponiere sie im Kühler.
Zehn Minuten später höre ich den Schlüssel in der Tür in mache schnell die Tür zum Wohnzimmer zu.
„Danke fürs hochbringen!“ höre ich im Vorzimmer.
„Null Problemo!“ sagt eine andere Stimme, dich ich nicht kenne.
Mir steigt die Panik hoch. Er ist nicht allein! Es ist wer bei ihm.
„Ich geh dann wieder, oder brauchst du noch was?“
„Nee – vielen danke noch mal. Jetzt geht’s schon!“
„Also dann. Pass auf, auf dich! Tschüss – bis Morgen!“
„Tschüss und noch mal Danke!“
Dann höre ich die Wohnungstür zuschnappen.
Es passiert ein Weilchen gar nichts, nur ein seltsames schnurrendes Geräusch, und es dauert ein paar Sekunden, bis ich behirne, dass es das Telefon ist.
„Ja, Hallo – Ähh – Stefan hier, ist zufällig David zu Hause?“
Dann ist mal Ruhe.
„Dumm Kuh!“ sagt Stefan leise.
Dann wählt er wieder eine Nummer, legt aber nach einer Weile auf, da sich anscheinend niemand meldet. Ich mach leise die Wohnzimmertüre auf. Er merkt es nicht, steht mit dem Rücken zu mir und blättert in seinem Adressbuchherum.
„Falls du mich suchst, kannst du dir die Mühe sparen!“
Er fährt herum. „Davy! Mann - ich bekomm einen Herzinfarkt!“
„Alles Gute zum Geburtstag, mein Bärchen!“
Stefan humpelt auf mich zu und fällt mir um den Hals.
„Du bist ein Schatz!“
„Was ist denn mit deinem Knie?“
„Bin in der Uni gegen einen Tisch gelaufen.“
„Oh du mein Geschickter!“
„Läster du nur! Ich sag nur: dicke Eier!“
Er macht die Wohnzimmertüre auf und bleibt einfach nur stehen. „Du bist verrückt!“ flüstert er leise.
Danach dreht er sich zu mir um und nimmt mich in den Arm „Ich liebe dich – ich liebe dich ganz verrückt!“
Es ist einer der schönsten Abende meines ganzen Lebens.
Ich komme gegen zwei Uhr heim und habe gleich wieder Stress. Mutter macht mich wahnsinnig! Sie redet und redet und redet und immer wieder das Selbe! Ihre Geschichten drehen sich im Kreis und kaum glaube ich, dass ihr der Stoff ausgegangen und alles gesagt sei, fängt sie von vorne an. Zum Schluss liege ich auf meinem Bett und beiße ins Kopfkissen, bis ich Federn spucke. Ich hab den unbändigen Drang, eine der Hanteln durchs geschlossen Fenster oder die Zimmertür zu schmeißen. Um halb vier hat sie endlich genug intus um ins Bett zugehen und zu schlafen. Ich hab morgen den ganzen Tag Labor – Pichler, organische Chemie – von 9 Uhr morgens bis 5 am Nachmittag. Toll! Ich häng mich auf und erschieß mich.

Nächster Tag Abend.

Es ist 20:30
Ich bin tot! Zuerst Labor, dann Training und dann rede ich noch mit Paps. Er ist sofort einverstanden, dass ich zu ihm ziehe. Als er mich fragt, warum ich sein Angebot nicht schon früher angenommen habe, weiß ich eigenartiger Weise keine Antwort. Nach Silvester ziehe ich zu ihm. Wir richten eines der freien Zimmer bis dahin ein. Morgen Nachmittag wollen wir ein paar Möbel kaufen gehen. Daheim gibt es Mutterstress der anderen Art. Sie sagt gar nichts – kein Wort. Und zu Essen gibt es nichts. Auch gut, hab sowieso keinen Hunger.
22. Dezember
Paps und ich bringen Stefan zum Flughafen – ich kann nicht anders, ich muss ihn einfach zum Abschied umarmen. Da stehen wir zwei Idioten und können beide nicht loslassen. Mitten in der Abfertigungshalle unter hunderten von Menschen halten wir uns umklammert und es rinnen uns die Tränen über die Wangen.
Ich vermisse ihn schon, als ich sein Flugzeug in den Himmel steigen sehe. Ich schaue ihm nach und versuche den kleinen Punkt noch ausfindig zu machen, als das schon lange nicht mehr möglich ist, da das Flugzeug schon viel zu weit weg ist.
Weihnachten mit Mutter geht Gott sei Dank vorüber, und es kommt der 31.12.
Stefan und ich haben bis dahin jeden Tag mindestens einmal telefoniert. Ich bin am Abend bei Manfred und werde mit der alten Clique und ein paar von den Vereinskollegen feiern. Als ich das Stefan erzähle, reagiert er ein wenig eingeschnappt, aber er meint, dass sei nicht deswegen, weil er mir nicht traut, sondern, weil er nicht dabei sein kann – er hat eines dieser steifen Gesellschaftsessen mit Familie und wichtigen Geschäftspartnern seines Vaters. Dann verrät er mir aber, dass er schon am 3. zurückkommt. Das hat er seinen Eltern abgeschwatzt. Wir sehen uns schon in vier Tagen wieder. Ich freue mich wie ein Schneekönig.

Da Maria mit Chris, Freunden und ihrem Vater in einem Lokal am Land feiert, wo er auch ein paar Tage bleiben will, ist es das erste Mal seit ich mich erinnern kann, das niemand von uns zu Neujahr zu Hause sein wird. Mutter hat sich mit einem Damenkränzchen zusammengetan. ‚Du willst ja mit mir nicht feiern!’ war ihr Kommentar bevor sie ihre Zimmertür zugeknallt hat. Mir war schon wieder zum Kotzen.

Bei Manfred ist fast alles wie früher. Wir lachen, trinken, machen Blödsinn und rauchen einen Joint. Kurz vor Mitternacht gehen wir auf die Terrasse und sehen uns das Feuerwerk über der Stadt an. Manfred hat die Terrassenlautsprecher aufgedreht und so höre ich zuerst die Pummerin das neue Jahr einläuten und dann den Donauwalzer noch oben drauf. Während sich die anderen küssen und alles Gute wünschen, stehe ich am Rand der Terrasse und hebe mein Glas Richtung Norden ‚Alles Gute mein Schatz’ wünsch ich Stefan im Stillen und höre ganz leise wie er sagt ‚Dir auch mein Kleiner’ und ich spüre auch fast wie er mich küsst.
Plötzlich fühle ich mich sehr klein und sehr alleine und merke wie meine Augen feucht werden und das Feuerwerk zu bunten großen Flecken verschwimmt.
„Na Kleiner, willst du dir nicht alle Gute wünschen lassen?“ sagt eine Stimme hinter mir. Im ersten Moment glaube ich es ist Stefan, was natürlich absolut unmöglich ist, so sehr ich es mir auch wünsche. Und es ist auch Ben, der hinter mir steht.
„Na klar will ich – Alles Gute im neuen Jahr, Ben!“
„Dir auch – und mögest du so weiterkämpfen wie die letzten Wochen!“
Wir stoßen an und Ben nimmt mich auf einmal in den Arm und drückt mich kurz und kräftig.
Komisch, es macht mir nichts mehr aus. Irgendwie ist dieser Teufel anscheinend ausgetrieben worden, scheine ich diese Narretei hinter mir gelassen zu haben.
Wir gehen zurück zu den anderen und ich schließe mich dem allgemeinen Gedrücke, Geküsse und dem allgemeinen Beglückwünschen an.
Dann stehe ich vor Manfred. Er sieht mich nur an, hebt sein Glas und stößt ganz leicht gegen das meine.
„Ich hätte mir den heutigen Abend ganz anderes vorgestellt, aber ich wünsche dir alles Gute, alle Liebe dieser Welt und jedes denkbare Glück für das neue Jahr!“
„Ich dir auch Manfred, ich dir auch, aus ganzem Herzen!“ Dann umarmen wir uns doch und Norbert, dieser Idiot, johlt und klatscht als er das sieht, womit natürlich die Aufmerksamkeit aller auf uns gelenkt wird. Manfred und ich klopfen uns gegenseitig auf die Schulter um die Situation herunterzuspielen.
Dann hat noch einer die dumme Idee, auf „abwesende Freunde“ zu trinken. Es kostet mich alle Beherrschung um die Tränen, die mir schon wieder in die Augen steigen wollen, zu unterdrücken.
Ab nun geht es wirklich rund. Manfred hat für Getränkemengen gesorgt, mit denen man unsere ganze Schule hätte ersäufen können, aber es gibt anscheinend ein stillschweigend getroffenes Abkommen trotzdem nichts überzulassen.
Nach einer Weile sind alle mehr oder weniger dicht. Ich stehe auf der Terrasse um meinen Kopf ein wenig klarer zu bekommen, als Hermann sich neben mich stellt.
Wir stoßen mit unseren Bierflaschen an und schauen hinaus über die Dächer der Stadt, wo hin und wieder noch eine verspätete Rakete in den schwarzen Himmel steigt und eine bunte, leuchtende Spur in die Nacht zieht.
„Ich wollte dir nur sagen, dass es mir leid tut. Ich meine, dass sich deine Eltern haben scheiden lassen. Hatte bis jetzt keine Gelegenheit dazu.“
Ich habe in den letzten Wochen viele Sätze wie diesen gehört, aber diesmal hab ich das Gefühl, dass es ernst gemeint ist.
„Danke, Hermann, das bedeutet mir viel!“ sag ich und schau ihn an und nehme einen Schluck aus der Flasche.
„Ich weiß, wir hatten nie viel Kontakt – ich bin nicht einer, der schnell Freundschaften schließt, aber ich wollte dir nur sagen, wenn du mal reden willst, … „
Die Welt ist voller Wunder und das Hermann mir seine Freundschaft anbietet ist eines davon. Bis jetzt hat nicht einer von uns seine Telefonnummer, oder eine Ahnung wo er wohnt. Jochen weiß es sicher, aber ihn würde genauso sicher keiner danach fragen.
„Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich zu dieser Ehre komme, aber ich freue mich über dieses Angebot!“
„Ist ernst gemeint. Und ich sag so was nur sehr selten!“
„Darf ich dich mal was fragen?“
Er überlegt kurz und nickt dann „Nur zu!“
„Wieso sonderst du dich eigentlich so ab? Bist doch kein übler Kerl und die meisten mögen dich.“
Er zögert wieder, nimmt einen Schluck aus der Flasche und schaut wieder hinaus auf die Stadt.
„Ich hab es auf die harte Tour gelernt, dass man wesentlich besser fährt wenn man sich bedeckt hält. Menschen tun einem sehr leicht weh und dagegen schützt man sich am Besten, in dem man sie nicht an sich ranlässt.“
„Klingt nicht gut“
„Wieso?“
„Klingt als hätte man dir schon weh getan!“
Er dreht sich wieder zu mir und legt den Kopf leicht schief.
„Du bist nicht schlecht, muss ich schon sagen!“
„Wie meinst du das denn?“
„Da biete ich dir an, dass du mit mir reden kannst und jetzt steh ich da und bin am besten Wege mich bei dir auszureden“
„Und ist das schlecht?“
Er überlegt wieder kurz.
„Nein, eigentlich nicht!“
„Wieso jetzt?“
„Was wieso jetzt?“
„Wieso bietest du mir das gerade heute an?“
„Weil heute Silvester ist. Weil die Stimmung gepasst hat und weil du heute mal alleine bist. Sonst steckst du ja immer mit Stefan oder Ben oder Stefan und Ben zusammen.“
„Wir verstehen uns halt blendend!“
„Davy, halt mich nicht für dumm! Bitte.“
„Tu ich doch nicht!“ ich wollte das so nicht sagen aber es ist mir rausgerutscht. Hermann übergeht es allerdings.
„Oh – meine Flasche ist leer – willst du auch noch was?“
„Ja, aber ich geh lieber rein – ich bekomm kalte Füße“
„Ja, das denk ich auch!“ sagt Hermann und sieht mich wieder so schräg an. Verflucht noch mal, der Kerl liest in mir, wie in einem offenen Buch. Ich bin vielleicht doch nicht so tough, wie ich immer denke.
In der Wohnung geht es ziemlich hoch her. Manfred ist schon sternhagelvoll. Ich hab nur Angst, dass er wieder was Dummes sagt oder tut. Auch Ben war schon besser drauf. Marc und Ingo diskutieren über irgendwelche neuen Griffe, die Marc in einem Video aus den USA gesehen haben will. Die anderen tanzen oder plaudern einfach.
Es ist gegen vier und die Anzahl der Partygäste hat sich ziemlich reduziert. Herman und ich haben noch ein paar belanglose Worte gewechselt. Langsam wird es Zeit zu gehen.
Ich suche Manfred und laufe durch die Wohnung. Rein aus Gewohnheit mach ich die Türe zu seinem Zimmer auf und bleibe wie vom Donner gerührt stehen. Ben liegt rücklings auf dem Bett, seine Hosen sind bei den Knien und sein Hemd ist bis zur Brust hoch gerutscht und Manfred arbeite an seinem Schwanz. Er bläst als hinge sein Leben davon ab. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, dass Ben das gar nicht wirklich mitbekommt, denn er liegt da wie tot, obwohl sich Manfred abmüht wie ein Irrer.
Ich weiß nicht wie lange ich da stehe, aber dann redet mich Hermann von der Seite her an. „Da bist du – habe schon gedacht, dass du dich verdrückt hast.“
Ich mache hastig die Zimmertüre zu, wohl etwas zu schnell, denn es macht einen ziemlichen Knaller, als die Türe ins Schloss fällt. Wenn das Ben mitbekommen hat gibt es jetzt den Riesenwirbel. Während ich mit Hermann rede, lausche ich ob irgendwas aus dem Zimmer kommt, aber es ist ruhig.
„Nöö – wollte mich aber gerade verabschieden. Irgendwie sind alle verschwunden und in den Zimmern ist niemand. Gehst du auch schon?“
„Ja, die Luft ist hier wohl draußen und das endgültige Besäufnis will ich nicht mehr miterleben. Hab so schon genug!“
In dem Moment geht die Zimmertüre auf und Manfred steht vor mir. Als er Hermann sieht, schließt er schnell die Türe, aber Ben war lange genug zu sehen, halbnackt und mit einem Harten unverändert im Bett liegend. Manfred ist feucht rund um seinen Mund. Ich bete, dass Hermann nichts mitbekommt, aber das ist wohl sehr unwahrscheinlich.
„Bin wohl eingeschlafen“ sagt Manfred und drängt sich an uns vorbei in Richtung Bad.
Hermann schaut nur groß „Was war DAS denn?“
„Frag lieber nicht – ich bin ziemlich sicher, dass du es nicht wissen willst!“
„Da hast du wahrscheinlich Recht. Gehen wir?“
„Ok – lass uns abrauschen. Ich hab auch genug!“
Unten frag ich ihn, ob ich ihn ein Stück mit dem Taxi mitnehmen kann, aber er lehnt ab. Wieder sagt er nicht, wo er eigentlich wohnt. Aber bevor ich in das Taxi einsteige, drückt er mir einen Zettel in die Hand „Ruf mich doch mal an!“.
Auf dem Zettel ist seine Telefonnummer gekritzelt.
Ich werde ihn ganz sicher anrufen.

1. Jänner, Freitag – Abends
Ich hab Mutter gesagt, dass ich zu Vater ziehen werde. Ein Tobsuchtsanfall apokalyptischen Ausmaßes ist die Folge. Sie hat getrunken und zwar nicht wenig, es geht soweit, dass sie auf mich einprügeln will, aber sie verletzt sich nur die Hand als sie mich trifft. Sie schreit wie eine Furie und beginnt Teile der Kücheneinrichtung herumzuwerfen.
Irgendwann reicht es mir, auch ich habe nur ein begrenztes Durchhaltevermögen. Ich packe meine wichtigsten Sachen in meine Sporttasche, ein paar Klamotten, mein Ringerzeug, die Stoffbären von Stefan, meine Tagebücher und gehe. Sie folgt mir bis auf die Straße und schimpft dabei weiter. Im Haus sind ein paar Fenster erleuchtet und irgendjemand schreit was in den Gang, von dem ich nur das Wort Polizei verstehe. Meine Mutter beginnt nun mit den Nachbarn zu streiten und ich mache mich aus dem Staub. Eigentlich sollte ich bei ihr bleiben, aber ich habe einfach nicht mehr die Nerven dazu.
Draußen ist es arschkalt, finster und mitten in der Nacht. Ich muss erkennen, dass ich keine Ahnung habe, wo ich hin soll oder kann. Die Schlüssel von Stefan’s Wohnung hab ich in der Schule im Spind vergessen und kann sie jetzt unmöglich holen.
Jetzt jedenfalls weg von hier. Ich schultere also meine Tasche und mach mich auf den Weg Richtung Gürtel, ohne eine Ahnung zu haben, wohin es gehen soll. Nach ein paar Minuten kommt mir ein Streifenwagen entgegen, der ziemlich schnell unterwegs ist. Es scheint also wirklich jemand die Polizei geholt zu haben. Ich sehe mich um und der Wagen bleibt wirklich vor dem Haus in dem ich wohne/gewohnt habe stehen.
Aus einem Bauchgefühl heraus, verlasse ich die Hauptstraße und weiche auf die Nebengassen aus, um meinen Weg weiter fortzusetzen.
Während ich so durch die Dunkelheit wandere, überschlagen sich meine Gedanken. Ich müsste wütend oder traurig sein, oder irgendwas empfinden. Aber da ist nichts. Dieser Teil der Geschichte geht an mir vorüber, als würde sie jemanden anderen betreffen, aber nicht mich. Es ist eigenartig, ich kann mir das Gefühl nicht erklären, aber ich stehe als Beobachter daneben und nicht als Teilnehmer. Mir dämmert irgendwann warum. Ich empfinde für meine Mutter nichts. Bestenfalls Mitleid. Oder ist es so, wie einer Ihrer Freunde einmal gesagt hat, ich liebe sie, aber ich kann sie nicht leiden? Diese Erkenntnis ist ein Schock für mich. Bin ich deshalb ein schlechter Mensch?
Inzwischen bin ich irgendwo in der Nähe der Volksoper angelangt. Die ersten Autos sind auf der Straße unterwegs und die ersten Menschen begegnen mir, die nicht von einer Party Richtung Heimat unterwegs, sondern sichtlich auf dem Weg zur Arbeit sind. Auch ist mir schon eine Straßenbahn begegnet. Ich hänge weiter meinen Gedanken nach, bis ich auf einmal vor einer Haustüre stehe, die ich sehr gut kenne und wo ich erst vor ein paar Stunden raus gekommen bin. Ich bin, ohne darüber nachzudenken, bis zu Manfreds Haus gelaufen.
Ich schaue auf die Uhr – es ist 7 Uhr durch, keine Zeit zu der man einem Mittwoch, den 1.1. jemanden aus dem Bett läutet.
Aber ich drücke trotzdem auf den Knopf der Gegensprechanlage. Es dauert ein paar Minuten, aber dann meldet sich doch jemand.
Eine total verschlafene Stimme fragt, welcher Irre um diese Zeit anläutet.
Ich sag nur „Ich bin’s - David. Lässt du mich bitte rein?“
Er macht sofort die Tür auf, ohne was zu fragen. Als ich oben ankomme, steht er mit Bademantel in der Wohnungstür, schaut mich an, meine Sporttasche, der man ansieht wie voll sie ist und sagt nur „Zoff?“. Ich kann nur mit zusammenkniffen Lippen nicken.
„Na, komm schon rein du Genie!“
Ich lass die Tasche im Vorzimmer auf den Boden fallen und setz mich im Wohnzimmer auf die Ledercouch.
„Willst du mir erzählen, was los ist?“
Ich erzähl ihm die Geschichte, ganz ruhig und ohne mich aufzuregen. Er hat inzwischen Kaffee gemacht und hört mir nur aufmerksam zu, während ich rede. Als ich fertig bin sagt er nur
„Depp“
„Was?“
„Du bist die ganze Strecke, quer durch die halbe Stadt, zu Fuß gelaufen?“
„Ja“
„Noch mal: Depp! Wieso hast du nicht angerufen?“
„Ich kann dich doch nicht mitten in der Nacht aus dem Bett holen!“
„Und wieso nicht? Dass wir nicht mehr zusammen sind und dass du jetzt einen Freund hast, heißt ja nicht, dass ich dir nicht helfe, wenn du mich brauchst. Du hättest einfach anrufen, dir ein Taxi nehmen und herdüsen können. Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dich allein da draußen hätte stehen lassen?!“
Ich schüttle nur den Kopf. Ich kann ihm nicht sagen, dass ich eigentlich gar nicht hierher wollte, sondern vollkommen unbewusst bis vor seine Tür gelatscht bin.
„Na komm, du musst ja total durchfroren sein – es hat fast zehn Grad unter Null da draußen. Jetzt geh mal duschen und dann leg dich nieder. Und wenn du ausgeschlafen hast, dann reden wir ok?“
Er hat Recht, mir ist eiskalt und ich beginne vor Kälte und Müdigkeit zu zittern.
Ich stelle mich unter die Dusche und lass mir fast eine halbe Stunde das heiße Wasser über den Körper laufen. Meine Gedanken fliegen schon wieder wie Vögel durch die Gegend. Was hat die Polizei wohl bei Mutter gemacht? Was hat sie erzählt? Sucht man mich vielleicht schon? Sie weiß, dass ich dick mit Manfred befreundet bin und kennt auch seinen Namen und seine Adresse. Aber wenn sie die Polizei hergeschickt hätte, wären sie schonlange vor mir hier gewesen – oder nicht?. Hoffentlich lässt er mich im Gästezimmer schlafen und geht nicht davon aus, dass ich bei ihm im Bett schlafe.
Nur mit einem Handtuch um die Hüften gehe ich zurück ins Wohnzimmer. Manfred kommt gerade aus dem Gästezimmer. „So alles fertig für den Flüchtling. Leg dich aufs Ohr!“
Dankbar geh ich in das Zimmer und lass mich auf das frisch gemachte Bett fallen, zieh mir das Handtuch runter, wühl mich unter die Decke und roll mich zusammen.
Kurz bevor ich einschlafe, spür ich noch, wie mich Manfred auf die Stirn küsst „Schlaf gut, mein Kleiner.“ flüstert er und dann bin ich weg.
Ich träume, irgendwas von Wäldern und Vögeln und einem Gewitter, das ich von einem Gipfel aus beobachte und das mich dann ringsherum einkesselt, so dass nur mehr ich im Sonnenschein stehe. Zuerst glaube ich, es sei ein Donner, aber es ist eine Stimme, die mich ruft und eine Hand, die mich sanft schüttelt „Davy, wach auf.“
Langsam gleite ich vom Schlaf ins Wachsein hinüber. Ich will überhaupt nicht aufwachen und zieh mir die Decke über den Kopf.
„Es ist halb fünf am Nachmittag und dein Vater ist da!“
Mein Vater? Ich bekomme es nur halb mit.
„Mein Vater? Was? Wo?“ Ich bin plötzlich hellwach.
„Draußen im Wohnzimmer“
„Ich komm gleich!“
Ich zieh mir schnell was über und gehe raus. Da sitzt wirklich mein Stiefvater und sieht nicht gerade glücklich aus.
„Hallo Junge! Wie das blühende Leben siehst du ja wirklich nichts aus.“
„Danke für die Blumen! Aber woher weißt du, dass ich da bin?“
„Dafür hat indirekt deine Mutter gesorgt. Sie hat mir heute Morgen die Polizei ins Haus geschickt.“
„Tut mir leid, aber ich hab’s daheim einfach nicht ausgehalten. Sie hat sich aufgeführt wie eine Verrückte.“
„Und warum bist du nicht zu mir gekommen?“
„Hab gedacht du kommst heute erst zurück. Hab nicht gewusst wohin ich sollte!“ Jetzt passiert was gestern eigentlich hätte passieren sollen – mir kommen die Emotionen hoch. War ich gestern einfach nur zu müde? Ich weiß es nicht, jedenfalls fangen die Tränen an mir über die Wange zu rollen und ich hasse es hier zu sitzen und zu heulen wie ein kleines Kind, das macht es nämlich nur noch schlimmer.
„Stimmt, aber ich bin schon heute in der Nacht heimgekommen!“ sagt Vater. Irgendwas stimmt nicht, dass fühle ich ganz genau.
Manfred reicht mir eine Packung Taschentücher rüber und ich sehe ihm an, dass er mich am Liebsten in den Arm nehmen würde.
„Woher weißt du eigentlich wo ich bin?“
„Dein Freund hat irgendwie meine Telefonnummer herausbekommen und mich angerufen!“
Ich schau Manfred ziemlich verdutzt an. Er lächelt verlegen „Wenn hätte ich sonst anrufen können?“
„Jedenfalls stehen wir jetzt vor einem nicht kleinen Problem!“
„Wieso? Hat sich doch nichts geändert –oder? Ich kann doch noch immer morgen bei dir einziehen – oder nicht?“ Ich hab panische Angst, dass Vater jetzt kalte Füße bekommt.
„Ja ja – sicher. Aber deine Mutter hat der Polizei irgendwelche Schauermärchen von wegen meines negativen Einflusses auf dich erzählt. Nicht dass das die Polizei wirklich interessieren würde, aber sie wird dort nicht haltmachen. Sie wird sicher auch irgendwelchen anderen Behörden dumme Ideen in den Kopf setzen!“
„Aber in sieben Monaten bin ich sowieso achtzehn. Und dann kann ich wohl endlich selbst entscheiden, wo ich wohnen will.“
Vater legt den Kopf schief und sieht mich an. „Daran hab ich auch schon gedacht! Bist ein gescheiter Kopf, mein Junge! Bis die Behörden aktiv werden vergehen sicher ein paar Wochen, wenn nicht sogar Monate. Wir müssen nur bis zu deinem Geburtstag durchhalten.“
Mir ist jetzt um vieles leichter. Ich kann sogar wieder lächeln. Aber irgendwo in meinen Ganglien sitzt hartnäckig der Gedanke fest, dass das alles noch lange nicht ausgestanden ist.
Vater steht auf. „Stört es dich, wenn du heute noch hier bleibst? Nur wenn dein Freund nichts dagegen hat natürlich!“
Manfred schüttelt heftig den Kopf „Gar nichts dagegen! Von mir aus kann er bleiben solange er will!“
„Gut, sehr gut! Ich muss mich jetzt nämlich in den Kampf mit deiner Mutter stürzen, damit wir dein Zeug, zumindest das Wichtigste, abholen können, ohne dass es wieder zum Eklat kommt.“
„Soll ich nicht mitkommen?“
„Ich weiß nicht, wie klug das wäre. Deine Mutter ist … unberechenbar im Moment, aber du solltest vielleicht telefonisch erreichbar sein.“
„Und was ist mit der Polizei? Mutter weiß, dass ich schon öfter hier geschlafen habe – vielleicht hat sie Ihnen ja die Adresse gegeben.“
„Ich denke nicht, dass sie darauf kommen wird. Und wenn – sie hat hier keinerlei Rechte!“ sagt Vater und steht auf.
Manfred gibt ihm seine Telefonnummer und Vater macht sich auf den Weg.
Als wir allein sind, dreh ich mich zu Manfred um und sag nur „Danke!“
„Für dich tue ich doch alles, das weißt du doch!“ Er hat schon wieder diesen Blick, den ich nur zu gut kenne. Ich will nicht, dass die Situation außer Kontrolle gerät, deswegen gehe ich in das Gästezimmer und zieh mir eine Sporthose an. Wenn ich hier schon nicht weg kann, kann ich wenigstens ein bisschen trainieren. Ich mach im Wohnzimmer ein paar Situps, ein paar Liegestütz und dann ein kleines Zirkeltraining. Nach einer halben Stunde schwitze ich schon ganz ordentlich und das T-Shirt beginnt mir am Leib zu kleben. Manfred sitzt dabei die ganze Zeit auf der Couch und wir unterhalten uns. Eigentlich ist es das erste Mal, seit wir getrennt sind, dass wir ganz normal und vernünftig miteinander sprechen. Irgendwann komme ich auf die Silvesterparty zu sprechen und die Geschichte mit ihm und Ben. Da wird er ziemlich verlegen. Er hat halt keinen Sex mehr gehabt seit wir auseinander sind und wie er dann in sein Zimmer kam und da lag Ben, schlafend, das Hemd halb ausgezogen und die Hand in der Hose, hat er sich nicht mehr beherrschen können. Ben hat nichts mitbekommen, glaubt er zumindest. Eine Stunde nach dem wir weg waren ist Ben dann aufgewacht und hat nur gefragt welches Mädel ihn denn ‚vergewaltigt’ hat. Er habe dann nur auf sehr geheimnisvoll getan und nichts gesagt. Das war’s dann auch schon.
Da läutet das Telefon und Manfred geht ran. Er meldet sich und hört ein Weilchen nur zu.
„Für dich!“ er reicht mir den Hörer und am anderen Ende ist meine Mutter.
Sie tobt zwar nicht, aber ich kann hören, wie aufgeregt sie ist. Ob es wirklich wahr sei, dass ich zu Vater ziehen will, will sie wissen. Ja, die volle Wahrheit. Dass sie das verhindern könne und ob ich das wüsste. Ja, auch das ist mir klar, aber sie müsse sich bewusst sein, dass ich bald achtzehn werde und dann hat sie sowieso jedes Recht verloren, mir irgendwas zu sagen oder zu verbieten.
Ein Wort gibt das andere und zum Schluss tobt sie wieder. Als Höhepunkt schreit sie, dass ich ein undankbarer Bastard sei, den man nach der Geburt hätte ertränken sollen. Da werde ich wieder eiskalt. So, als hätte sich eine Tür geschlossen und ich würde nichts mehr an mich ranlassen. Ich frage nur mehr ganz ruhig, wann wir mein Zeug abholen könnten. Sie tobt weiter und ich wiederhole nur ruhig meine Frage. Das geht einige Male so hin und her, bis sie merkt, dass ich nichts mehr an mich ranlasse. Zum Schluss stimmt sie wütend ein, dass ich am Montag, wenn sie im Büro ist, vorbeikommen könnte. Aber die Wohnungsschlüssel müsste ich dann bei der Nachbarin zurücklassen. Damit habe ich nun wirklich kein Problem. Dann gibt sie das Telefon meinem Vater und wir reden noch ganz kurz. Zum Schluss meint er, dass er mich morgen um zehn abholt, damit wir zum Flughafen fahren können. Ja, morgen kommt Stefan wieder! MEIN Stefan.
„Darf ich noch eine Nacht hier pennen?“ frag ich Manfred.
„Noch so eine dumme Frage und ich mach gleich was ganz Blödes!“ sagt er nur zurück.
Ich sag Vater, dass es OK ist. Dann legen wir auf.
Plötzlich sieht die Welt doch gleich ganz anders aus. Ich bin plötzlich richtig gut drauf und merke, dass ich einen Riesenhunger habe.
„Null Problemo!“ Manfred hirscht in die Küche und fängt an, Pfannen und Geschirr herum zu räumen.
„Ich geh schnell duschen!“ ruf ich ihm in die Küche nach.
„Is gut, aber mach flott – in 20 Minuten gibt’s was zu essen!“
Unter der Dusche denk ich über mein Leben nach. Es ist schon erstaunlich, wie schnell man aus dem siebten Himmel in die Hölle und wieder zurückkommen kann! Gerade noch ein Häufchen Unglück und kurz darauf ist alles wieder in Ordnung nur um Stunden später wieder eine verpasst zu bekommen, dass einem die Ohren klingen. Wird das immer so weitergehen? Wenn ja, bin ich bald reif für die Klapsmühle. Oder wird sich irgendwann einmal alles beruhigen und ich werde ein ruhiges Leben führen, mit Stefan an meiner Seite und einem Beruf, der mir Freude macht. Ja, es wird mir immer klarer: ich will WIRKLICH mit Stefan alt werden. Verrückt, da bin ich nicht einmal noch achtzehn, aber hab mich schon für mein ganzes Leben festgelegt. Ist das jugendliche Schwärmerei? Ich kann es nicht sagen, aber eine Stimme, tief in mir drinnen, sagt nein, das ist mein tiefster Ernst.
Die Stimme von Manfred ruft von draußen „Essen ist fertig!“ und die Uhr im Badezimmer zeigt mir, dass ich seit mehr als einer halben Stunde unter der Dusche stehe. Eigenartig, bis vor dreißig Minuten hätte ich nicht gewusst, was ich getan hätte, wäre mir Manfred ernsthaft an die Wäsche gegangen, jetzt weiß ich ganz sicher, dass ich nie mehr mit ihm schlafen werde.

Wieder gehen die Tage und Wochen dahin. Stefan und ich rücken immer näher zueinander, auch wenn wir jetzt mir Uni und Schule schwer beschäftigt sind. Vater ist einfach toll und lässt Stefan geradezu bei uns wohnen. Zumindest die Wochenenden ist er immer bei uns.
Mit Mutter ist es immer noch schwer – Reden mit ihr ist immer noch eine Qual. Eine große Qual! Zuerst ist sie ganz vernünftig, aber umso später es wird umso schlimmer wird es.
Das Jännerturnier in Deutschland haben wir abgehakt. Ausgerückt sind wir als fröhliche Truppe und als Krankentransport zurückgekehrt. Ingo hat eine Zerrung im Oberschenkel, wenn nicht sogar einen Einriss, Marc hat sich sein Schlüsselbein angeknackst und Ernst eine Platzwunde am Kopf abbekommen. Ich hab anscheinend eine Grippe mit 39 Grad Fieber und Stefan hat wieder Probleme mit seinem Knie. Alles super.
Jochen versucht jetzt nur uns alle bis März, dem großen Kadettenturnier in Frankreich, wieder fit zubekommen. Scherzes halber wollte er schon große rote Kreuze auf die Außenwände der Halle malen lassen. Wie bei einem Lazarett.
Mit Manfred verstehe ich mich wieder super und wir gehen auch öfter wieder mit den anderen ins Alexander, wenn Stefan lernen muss.

28. Februar

Nicht einmal mehr eine Woche bis zum großen Turnier in Frankreich. Ich habe Probleme von der Schule frei zu bekommen. Dr. Pichler, mein Klassenvorstand ist schon ein wenig sauer, da ich zwar nicht schlecht in der Schule bin, aber wesentlich besser sein könnte. Ich bin von der Spitze ins Mittelfeld abgerutscht und er will mir deswegen den Dispens verweigern. Na und? Ich werde die Klasse problemlos schaffen, aber er tut, als würde ich mit Pauken und Trompeten durchfallen. Ich hab ein Treffen mit ihm, Hr. Lehner unserem Turnlehrer, Jochen und Vater eingefädelt um ihn zu überzeugen. Übermorgen Abend sollten wir fliegen – ist also schon ganz schön knapp.
Jochen will unbedingt, dass ich dabei bin, da Ingo, Marc und Ernst immer noch nicht wieder einsatzfähig sind. Ernst hatte nicht nur eine Platzwunde, er hat auch eine Gehirnerschütterung und einen Haarriss in der Schädeldecke. Der Vereinsarzt hat ihn nicht kampftauglich geschrieben und wird es auch für längere Zeit nicht tun. Schöne Scheiße. Jetzt bleiben Jochen nur Stefan, Hermann, Ben und ich als Sieganwärter übrig. Einer von den Neuen, Franz fährt auch noch mit, aber seine Chancen sind eher bescheiden.
Pichler lässt sich nach zwei Stunden, in denen wir auf ihn wie auf ein krankes Pferd einreden doch weich klopfen. „Aber das ist das letzte Mal, dass ich da mitspiele!“ sagt er noch. Gut soll sein! Dieses Schuljahr ist kein großes Turnier mehr, an dem ich teilnehme und was nächstes Jahr ist? Wer weiß das schon.

Wir fliegen bis Toulouse und fahren dann mit einem Bus, den nur mehr Rost zusammenhält in unser Quartier. St. Priest ist ein Nest. Es gibt nur Doppelzimmer. Und es ist keine Frage, dass ich mit Stefan ein Zimmer beziehe. Jochen runzelt zwar die Stirn, sagt aber nichts.
Über das Turnier selbst gibt es nicht viel zu sagen. Es ist die europäische Juniorenelite anwesend, aber wir schlagen uns tapfer. Ben wird in seiner Klasse 5.Stefan 6. und ich 9. in derselben Klasse und Hermann wird 7.
Franz wird 17., was aber für sein erstes großes Turnier nicht schlecht ist. Jochen ist hoch zufrieden.
Während ich meinen letzten Kampf habe, sehe ich das zwei Herren mit Stefan und mit Ben reden.
Ich kann einen Punktesieg herausholen. Aber Stefan ist weg. Während der Kampfrichter meinen Arm hochreißt versuche ich ihn zu sehen, aber ich kann ihn nirgends entdecken, auch Ben ist verschwunden. Ich gehe zu Hermann rüber, der noch einen Kampf hat und frag ihn, wo die beiden sind.
„Die wurden von Talentscouts abgeschleppt. Jetzt wird sich ja weisen, was stärker ist. Die Lust am Ringen, oder …“
Ich schaue ihn an, aber in seinem Gesicht ist nichts zu erkennen. Er sieht mich nur ruhig, fast abschätzend an. Ich will gerade was darauf sagen, als er aufgerufen wird.
„Mein Kampf. Ich muss raus.“
30 Minuten später sind Ben und Stefan wieder da. Beide sind sehr nachdenklich.
Als wir späte im Zimmer sind und packen, ist Stefan immer noch sehr still.
„Was’n los, Bärchen? Alles in Ordnung ?“
„Was? Ah so – ja, alles klar.“
„Du bist so still. Stimmt was nicht?“
„Nee – hab nur ein Gespräch gehabt.“
„Mit den Talentscouts –ich weiß.“
„Hast du es also mitbekommen? Naja – ist wahrscheinlich gut so.“
„Was wollte die denn?“
„Was wohl? Mich anwerben!“ Stefan klingt fast wütend und er schnauzt mich richtig an.
„He – brauchst mich ja nicht gleich zu beißen!“
„Sorry, aber ich bin ein bisschen durcheinander.“
„Red schon – worum geht es?“
„Sie wollen mich für einen Bundesligaverein haben. Ich soll in der ersten Liga kämpfen!“
„Aber das tust du doch jetzt schon!“
„In der BRD! In Köln! Mit Stipendium und allem drum herum. Das heißt Einsieg in den Profisport!“
Ich muss mich setzen. Mein Stefan denkt anscheinend wirklich ernsthaft darüber nach. Er zieht es wirklich in Betracht, mich für das Ringen zu verlassen.
„Und was ist mit uns?“ meine Stimme klingt so rau, dass ich sie nicht wieder erkenne.
„Wenn es dich nicht gäbe, wäre ich schon mit fliegenden Fahnen unterwegs, glaub mir! Aber …“
„Aber was?“
„Scheiße noch mal, so ein Angebot bekommt man nur einmal im Leben!“ er schreit es fast hinaus und wirft so kräftig er kann, ein zusammengeknülltes Trikot in seine offen Reisetasche.
Ich kann ihn nur mit offenem Mund anstarren. Er ist mir in diesem Moment so fremd wie noch nie zuvor.
„Du wirst gehen. Nicht wahr?“ kann ich nur leise herauswürgen.
Ich sitze auf meinem Bett und merke wie ich beginne zu zittern. Die Angst ihn zu verlieren bringt mich fast um den Verstand.
Er dreht sich langsam um, so als würde er erst jetzt bemerken, dass ich überhaupt da bin.
Auf einmal kniet er vor mir und nimmt meinen Kopf in die Hände.
„Bist du verrückt? Nein, ich werde nicht gehen. Ich werde dich nie verlassen. Niemals!“
Er küsst mich auf die Augen, auf die Nasenspitze und dann auf den Mund.
Ich lass mich langsam auf das Bett zurücksinken und halte ihn nur fest.
„Seid ihr jetzt vollkommen verrückt geworden!“ kommt es auf einmal von der Tür.
Hermann steht im Türrahmen und ich sehe, dass er schnell die Tür hinter sich zumacht.
Stefan und ich fahren auseinander.
„Wir fahren in fünfzehn Minuten ab. Jochen hat eigentlich Ben schicken wollen, aber ich hab schon so ein seltsames Gefühl gehabt und bin deshalb selber her.“
Stefan ist total verwirrt. Er sieht Hermann an und dann mich „Er weiß Bescheid?“
„Ich hab’s bis jetzt nur vermutet, aber nun ist es wohl offensichtlich!“
„Ja, ich weiß Bescheid – und dass ist euer Glück! Sonst wäret ihr schon das eine oder andere Mal aufgeflogen! Und jetzt macht dass ihr runterkommt. Die anderen warten schon.“
Stefan schluckt. „Wie meinst du das ‚wir wären aufgeflogen’?“
„Erzähl ich euch ein anderes Mal. Jetzt macht bitte weiter!“
Als wir runtergehen, bleib ich noch kurz stehen und halt Hermann am Arm fest.
„Danke. Ich bin dir wirklich dankbar, aber wieso machst du dass für uns?“
Er schaut mich an und schluckt kurz. „Bitte – gern geschehen, aber wir können nicht jetzt darüber reden – OK?“.
„OK – noch mal: Danke“
Er nickt kurz und geht weiter. Der Flug ist lang und ereignislos, aber ich muss immer wieder zu Hermann rüber schauen. Er scheint das nicht zu bemerken oder bemerken zu wollen.

Am Montag ist um dreizehn Uhr Schulschluss. Eigentlich will ich heim, schnell die Aufgaben machen und dann schlafen. Wir sind mitten in der Nacht in Wien angekommen und bis ich im Bett war, war es fast eins. Zu meiner großen Verblüffung steht aber Stefan vor der Schule.
„Hallo Großer! Womit hab ich denn die Ehre verdient?“
„Wart es nur ab!“
„Haben wir was vor und ich hab’s vergessen?“
Diesen Gesichtsausdruck kenne ich – den hatte er damals auch, als er mich in Nice den Abend ausgeführt hat.
„Wieso bekomm ich auf einmal ein mulmiges Gefühl?“
„Kein Grund zur Sorge – vertrau mir einfach!“
Er verfrachtet uns in ein Taxi und gibt eine Adresse an, die ich noch nie gehört habe.
Dort angekommen, stehen wir vor einem Reisebüro.
Ich muss derart verdutzt aussehen, dass Stefan deshalb zu Lachen beginnt.
„Ich hab dir was versprochen, bevor ich nach Hause geflogen bin! Na? Keine Ahnung mehr?“
Natürlich weiß ich es noch! Wir ! Sommer. Wegfliegen.
Er hat schon fast alles fertig machen lassen. Er hat mit dem Berater drei Reisen geplant und ich soll mir nur mehr eine aussuchen. Ein wenig stört mich das und als ich die Preise sehe, die jedes Mal fein säuberlich dabeistehen, falle ich fast in Ohnmacht.
„Stefan – das kann ich mir nicht leisten! Und Vater mag ich deswegen nicht fragen. Er tut eh schon so viel für mich!“
„Schnickschnack. Mach dir deshalb mal keine Sorgen! Ich übernehme das! Du kannst es mir ja später zurückzahlen.“
Ich bin paff. Eigentlich will ich das ja gar nicht annehmen, aber als ich in sein Gesicht schaue und sehe wie viel Freude es ihm macht, kann ich es ihm nicht mehr abschlagen.
Wir entscheiden uns für fast drei Wochen auf Ibiza. In einem Bungalowdorf. Nur wir zwei! Drei Wochen lang alleine mit Sand, Strand und Sonne. Ich kann es kaum glauben. Ich freue mich unendlich darauf.
Vater ist zwar nicht sehr glücklich darüber, aber er ist einverstanden. Ich glaube langsam, er kann mir nichts abschlagen. Er meint nur zu Stefan „Pass mir ja gut auf meinen Sohn auf!“

Dienstag. Telefonat mit meiner Mutter. Neuerliches TamTam und mit viel Geschrei und viel Tränen auf ihrer Seite. Womit sie das alles verdient habe und was sie nicht alles für mich getan hat. Blablabla.

Vier Wochen Später Ende April.
Karin hat uns für das Wochenende in das Haus ihrer Eltern am See eingeladen. Auch meine Kollegen vom Verein. Es gibt zwar nicht annähernd so viele Betten im Haus, da es aber draußen schon so schön warm ist, werden wir am Grundstück zelten, Lagerfeuer abbrennen und grillen.

Am Abend sagt mir Stefan, dass er über das Wochenende nach Hause muss. Sein Vater hat den 45. Geburtstag. Ich mach ihm eine ziemliche Szene, weil er erst jetzt damit rausrückt. Er schaut richtig zerknirscht drein. Ja, er hat es vergessen und hätte es auch weiter vergessen, wenn nicht heute seine Mutter angerufen und ihm gefragt hätte, wann er denn jetzt genau nach Frankfurt kommt.
Ich kann ihm einfach nicht lange böse sein und so landen wir nach kurzer Diskussion wieder einmal im Bett. Diesmal treiben wir es sichtlich zu wild, denn mitten im ärgsten Gerammel gibt das Bett unter uns nach und die beiden Stützbeine am Fußende brechen weg und mit einem lauten Kracher landet das Fußende am Boden. Zuerst sind wir ziemlich erschrocken, aber dann beginnen wir zu lachen, bis uns die Tränen die Wangen herunter rinnen.

Am Donnerstagabend verabschieden wir uns, denn Stefan fliegt mit der 7 Uhr Maschine. Als er in das Taxi steigt, vermisse ich ihn und beim Schlafengehen tut es fast schon weh, dass er nicht da ist.
Freitagnachmittag bricht die ganze Horde Richtung Süden auf. Ingo, Marc und Ben machen auf Chauffeur, denn sie sind die einzigen mit Führerschein. Insgesamt sind wir 14 Mann hoch, die unterwegs sind.
Kaum angekommen, bauen wir die Zelte auf und verlosen dann wer mit wem im Zelt schläft damit es nicht zu langwierigen Diskussionen kommt wer mit wem und warum wer nicht. Ich ziehe Karin und … Ben. Eigentlich sollte es mir inzwischen egal sein, aber irgendwo hab ich ein schlechtes Gefühl dabei. Mit Karin hab ich kein Problem – sie ist inzwischen seit einem halben Jahr mit Peter aus der Klasse zusammen, aber der konnte leider nicht mitfahren. Sie hat es inzwischen auch aufgegeben mich oder Stefan oder Ben anzubraten.
Wir machen noch ein hübsches Lagerfeuer und gehen dann ziemlich müde schlafen.
Ich liege links außen, Ben rechts und Karin in der Mitte. Wir verkriechen uns in unsere Schlafsäcke und wünschen noch eine gute Nacht.
Am nächsten Morgen wache ich auf und stelle fest, dass ich wundervoll geschlafen habe. Karin ist schon weg und Ben sägt leise vor sich hin. Es ist gerade mal acht Uhr. Ich stehe aber trotzdem auf, ziehe meine Badehose an und gehe an den See, der nur 20 Meter von unserem Lager entfernt liegt. Karin, Martin, Norbert und Manfred sind schon dort. Alle haben Badeklamotten an, trauen sich aber sichtlich nicht ins Wasser.
Es ist nicht besonders kalt, aber es hat auch nicht gerade Badetemperatur.
Mit dem Ruf „Memmen“ laufe ich bei den anderen vorbei und werfe mich kopfüber ins Wasser.
Es ist nicht kalt. Es ist eiskalt. Es ist so kalt, dass auf meinem ganze Körper wie mit Nadeln sticht.
Die Kälte beißt mich überall und so tough ich auch sein mag, nach ein paar Minuten bin ich wieder draußen und scheppere am ganzen Körper. Die Gänsehaut steht mit überall. Das Einzige was hilft, so denke ich zumindest ist Bewegnung. So jogge ich eine Stunde durch die Gegend, danach gibt’s Frühstück und der Rest des Tages vergeht mit Herumblödeln, Holzsammeln und Vorbereitungen für den Abend. Der Abend ist einfach … angenehm. Wir sitzen um das Lagerfeuer herum, erzählen Geschichten und irgendwann holt Martin die Gitarre raus und, wenn auch nicht unbedingt Staatsopernträchtig, so singen wir dach ganz brauchbar das eine oder andere Lied. Irgendwann fällt mir auf, dass Karin und Ben fehlen, aber – was soll’s. Ist ihr Problem denke ich mir und so sage ich nichts zu den anderen. Nachdem es schon lange dunkel geworden ist, hab ich eigentlich keine Ahnung wie spät es ist. Die Biere, es sind doch schon das eine oder andere, fordern ihren Tribut und so trolle ich mich in den Wald um meine Blase wieder leer zu bekommen, aber noch bevor ich soweit bin, stürmt mir Karin entgegen – ziemlich aufgeregt und mit einem beunruhigenden Blick. Als sie mich sieht, bleibt sie nicht einmal stehen und sagt im Vorbeigehen und ziemlich außer Atem „Ich schlaf heute im Haus – du hast wenigstens gute Chancen eine ruhige Nacht zu verbringen.“ Und dann ist sie auch schon weg und ich höre nur noch ein gezischtes „Männer!“ bevor es wieder ruhig wird. Ich kann mich kaum noch gerade auf den Beinen halten und es ist mir in diesem Moment auch ziemlich egal, worüber sie redet und daher mach ich mir auch keine großen Gedanken darüber. Mehr schlecht als recht hol ich mein bestes Stück aus der Hose und lasse den Druck ab. In diesem Moment ist nur fliegen schöner. Kaum fertig, will ich zurück zum Lagerfeuer, aber irgendwie ist mir überhaupt nicht gut und es zieht mich mehr zum Zelt, als zu den anderen. Schlafen, ja genau das will ich eigentlich. Im Zelt schäle ich mich aus meinen Klamotten und versuch mich in den Schlafsack zu zwängen. Das will der aber nicht. Egal wie ich es versuche, ich schaffe es nicht, in den Schlafsack hineinzukommen. Na ja, was soll’s; kalt ist es im Zelt nicht und so leg ich mich halt auf den Schlafsack und wickle mich ein so gut es geht. So schlafe ich dann auch auf der Stelle ein.
Kaum bin ich eingeschlafen stolpert sichtlich Ben ins Zelt. Mindestens so blau wie ich.
„Scheiß Weiber!“ lallt er, während er sehr eigenartige Verrenkungen aufführt um irgendwie aus seine Hose zu kommen. Dann verliert das Gleichgewicht und knallt auf mich drauf. Man stellt sich nur schwer vor, wie viel fast 100 Kg Muskelmasse eigentlich sind – aber soviel sei verraten –es ist sehr viel. Jedenfalls schrei ich auf, Ben grunzt und rollt sich von mir runter, die Jeans bei den Knöcheln und das ganze Zelt wackelt bedrohlich. Er entschuldigt sich so oft, dass ich ihm sage er soll endlich die Klappe halten und einpennen.
Das gibt wieder tolle blaue Flecken. Wie ich die Stefan erkläre hab ich noch keinen Dunst:
„Woher hast du denn die blauen Flecken?“
„Ach nur von Ben, wie er fast nackt auf mich drauf geknallt hat!“
„Ach so – hab schon gedacht, er war was Schlimmes!“
HA HA HA Wird sicher lustig.
Ben hat es inzwischen geschafft, sich die Jeans runterzustrampeln, hat aber die gleichen Probleme in den Schlafsack zu kommen wie ich. Ich frage mich, haben die Dinger denn einen Alkomaten eingebaut, der ab einer gewissen Promilleanzahl den Zutritt verweigert?
Jedenfalls schlafe ich bald wieder ein, während auch Ben schon leise vor sich hinschnarcht.
Als ich wieder aufwache ist es noch vollkommen finster. Im ersten Moment habe ich keine Ahnung wo ich bin. Und dann wird mir schlagartig die Situation bewusst: Ich liege hinter Ben und hab ihm im Schlaf meinen Arm um die Brust gelegt und mich an ihn gedrückt, so wie ich oft mit Stefan schlafe. Wenn er jetzt aufwacht, bringt er mich wahrscheinlich um – wenn ihm nicht noch Schlimmeres einfällt. Ich will mich ganz vorsichtig wegdrehen, aber Ben hat meinen Arm unter seinem eingeklemmt und hält mit seiner Hand meine fest. Als ich vorsichtig versuche mich aus seinem Griff zu befreien, murmelt er irgendwas im Schlaf vor sich hin, drückt meinen Arm noch fester an sich und kuschelt sich noch enger zu mir.
Scheiße, jetzt bekomm ich auch noch einen Harten, als Ben seinen Arsch an mir reibt.
Ich bekomme die Panik. Ich liege da, halte einen Hetero eng umschlungen und mir fehlt jeder Tau, wie ich aus der Situation wieder rauskomme. Ben atmet tief und gleichmäßig, seinen rechten Arm auf dem meinen und die linke Hand unter seinem Kopf. Während ich verzweifelt versuche einen Weg aus der Situation zu finden, glaube ich auf einmal ich spinne und mein Herz beginnt wie rasend zu klopfen:
Ben streichelt meinen Handrücken.
Dann nimmt er meine Hand und zieht sie langsam nach unten, bis ich seinen Schwanz spüre, der mindestens so hart ist wie meiner, während dessen drückt er sich noch fester an mich. Als ich meine Hand wegziehen will, dreht er sich auf den Rücken und flüstert ganz leise „Ist schon ok!“ Dabei legt er mir seinen Arm unter den Kopf und drückt mich an sich.
Mir dreht sich alles. Das kann doch nicht wahr sein! Da wirft sich der geilste Hetero von hier bis zur Atlantikküste an mich ran. Der Mann, von dem ich schon vor Monaten feuchte Träume hatte. Mitten in der Nacht. In einem Zelt. Scheiße ich darf das nicht tun. Ich darf das Stefan nicht antun. Und während ich noch überlege, spüre ich die Lippen von Ben auf meinem Hals, meiner Brust und dann immer tiefer wandern. Als er meinen Schwanz in den Mund nimmt muss ich laut gestöhnt haben, denn er legt mir die Hand auf den Mund. Jetzt verliere ich die Kontrolle und versuche ihm einen zu blasen, was nicht leicht ist, denn ich muss mir dazu fast den Kiefer ausrenken. Irgendwann dreht er mich auf den Bauch und fährt mit der mir Zunge langsam meinen Rücken hinunter, immer tiefer und ich spüre, wie er mir die Pobacken auseinender zieht. Es jagt mir einen Schauer nach dem anderen über den Körper. Ich schwebe richtig gehend. Dann gleitet er mit der Zunge wieder nach oben, bis er an meinem Hals ist und ich spüre seinen Schwanz an DEM Punkt und wie er beginnt langsam Druck auszuüben. Millimeterweise gleitet er hinein. Zuerst glaube ich, ich muss vor Schmerzen aufschreien, aber dann lass ich es einfach geschehen. Geilheit besiegt Hirn.
Später sitzen wir dann im Dunkeln an der anderen Seite des Sees. Ich weiß nicht mehr genau, wie wir dort hingekommen sind. Der Mond ist nur ein dünne Sichel und auf dem Wasser glitzern nur hin und wieder kleine Lichtspritzer auf.
„Weißt du, dass ich das schon wollte, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe?“ flüstert er.
Wusste ich natürlich nicht!
„Nein – woher denn auch?! Ich hab dich ja immer nur Mädels rummachen sehen!“
„Stimmt schon – die haben auch was für sich!“ Ich kann sein Gesicht nicht sehen, aber es klingt, als würde er lächeln.
„Aber als ich aufgewacht bin und dein Arm um mich gelegt war, wusste ich erst nicht was tun!“
„Na, die Unsicherheit hast du ja schnell abgelegt!“
„Ich bin da sehr vorsichtig. In meiner alten Schule haben sie einen Lehrer gefeuert, weil er schwul war. War mein Sportlehrer. Ein echt feiner Kerl, der nie auch nur einen Deut hat erkennen lassen.
Dann hatte er was mit einem Ex-Schüler und dass ist aufgeflogen. Ein paar Eltern haben soviel Druck gemacht, bis er gehen musste. Seine Familie und die meisten seiner Freunde haben dann auch jeden Kontakt zu ihm abgebrochen. Nur ein paar Schüler haben ihn hin und wieder mal besucht. Das hat dann aber auch aufgehört. Ein Jahr später hat er sich erhängt! Das möchte ich nicht erleben.“
Ich schlucke und lege mich ins zurück ins Gras und schau zu den Sternen hoch. Ben legt seinen Kopf auf meinen Bauch, so dass sein Gesicht zu mir schaut. Ich habe mir darüber bis jetzt keine großen Sorgen gemacht. Alle die Bescheid wissen, haben nie negativ reagiert. Irgendwann sollte ich aber beginnen mir darüber Gedanken zu machen
Ben fängt wieder an zu reden.
„Sag mal. Du und Stefan – ist da was?“
Was soll ich sagen? Soll ich Stefan jetzt auch noch outen? Aber bevor ich weiter nachdenke, höre ich mich sagen: „Das kann man wohl sagen! Wir sind seit neun Monaten fest zusammen.“
Er schweigt lange.
„Ich beneide euch…“ flüstert er schließlich „ und vor allem Stefan…“ setzt er dann noch nach.
„Was meinst du denn damit?“
„noch mehr dumme Fragen?“
Wir schweigen wieder lange, liegen nur da und Ben spielt mit meinen Haaren am Bauch und ich kraule ihn hinterm Ohr. Die Situation ist vollkommen irreal. Was zur Hölle tu ich da? Ich hab den liebsten aller Freunde, den ich ganz irre liebe und der mich liebt und liege hier im Finstern und mache mit einem Typen rum! Und ich genieß es auch noch.
Nach wieder einer Weile stellt er dann die Frage, die ich mir auch schon stelle und der ich mich irgendwann stellen muss.
„Wirst du es Stefan sagen?“
„Ich hab noch keinen blassen Schimmer. Ich habe Angst vor seiner Reaktion, aber ich glaube ich könnte ihn nicht anlügen. Er würde es mir auf Kilometer ansehen!“
„Da hab ich dich ja schön in die Gacke geritten!“
„Hm – ja, allerdings.“ Und nach kurzem Zögern setz ich noch hinzu „aber geil war’s!“
Ben rückt mit seinem Kopf näher zu meinem.
„Es tut mir echt leid. Ich wollte dich nicht in Schwierigkeiten bringen.“
„Das hab ich schon selbst gemacht. Hätte ja ‚nein’ sagen können.“
„Sei nicht so hart zu dir selbst!“
„Bin ich das? Seh ich gar nicht so!“
Ben hat angefangen mit meiner rechten Brustwarze zu spielen. Das ist, als würde man bei einem Wagen den Anlasser betätigen. Ich werde sofort wieder geil und meine Gewissensbisse werden einfach weggespült.
Ich lasse mich wieder einfach fallen.
Als wir einige Zeit später erschöpft im Gras liegen, sieht man am Horizont einen leichten Streifen Licht. Es beginnt bereits zu dämmern.
Wir ziehen uns wieder unsere Klamotten an und machen uns auf den Weg zurück zum Zelt. Auf halber Strecke, auf einer kleinen Lichtung nimmt Ben auf einmal meine Hand und drückt sie ganz fest. Dann bleibt er stehen und ich drehe mich um und sehe ihn fragend an.
„David – ich muss dir was sagen.“
NEIN ! das bitte nicht – ich will es nicht hören.
„Bitte sag es nicht. Bitte! Es ist so schon schwer genug!“
Ben schluckt und nickt, aber er sagt nichts. Er zieht mich nur an sich und drückt mich noch einmal, dass meine Knochen krachen. Bei dem Geräusch denke ich an Stefan – ob nicht unsere Beziehung daran zerbrechen wird. Ich habe Manfred damals wegen wesentlich weniger stehen lassen. In meinem Bauch verkrampft sich etwas. In dieser Nacht habe ich einen Teil meiner Unschuld verloren.
Stück für Stück wird aus dem unschuldigen Siebzehnjährigen ein, ja was? Ich kann es nicht sagen. Ich weiß nicht wohin es geht, ich weiß nur, dass ich eine Riesendummheit gemacht habe. Wegen ein bisschen, zugegebener Maßen ziemlich geilen Sex, setze ich alles aufs Spiel, was mir etwas bedeutet. Mir ist schlecht. Ben geht wieder ins Zelt und ich setze mich an den See und kämpfe mit meinem schlechten Gewissen. Irgendwann erwacht auch der Rest der Truppe.
Der Vormittag vergeht und zieht irgendwie an mir vorbei. Ich bekomme alles nur halb mit. Ich merke immerhin soviel, dass anscheinend keiner was mitbekommen hat. Nur Norbert und Hermann sehen mich seltsam an. Norbert redet mich kurz an, gibt aber bald wieder auf, nachdem ich so gut wie nix sage außer ‚Ja’, ‚nein’ und ‚hm’. Ben geht mir zwar nicht aus dem Weg, versucht aber auch nicht mich anzureden. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus und gehe zum See und am Strand entlang, so gut es halt geht. An einer kleinen Lichtung, die bis ans Wasser reicht, setze ich mich an den Strand und starre auf das Wasser hinaus. Ich nehme ein paar Kieselsteine und lasse sie über das Wasser springen. Es ist fast Mittag, die Sonne steht mir direkt gegenüber hoch über dem Wasser und lässt verrückte Lichtreflexe über die kleinen Wellen tanzen, die sich am Ufer brechen.
Auf einmal fühle ich mich nur mehr Scheiße und beginne wie verrückt zu heulen. Ich sitze am Boden, die Knie angezogen und den Kopf dazwischen vergraben, als ich eine Hand auf der Schulter spüre.
Zuerst denke ich es ist Ben, aber es ist Hermann.
„Ich trau mich ja gar nicht zu fragen, aber was ist denn bitte passiert?“
Er hockt neben mir auf der Erde und sieht mich an.
„Weißt du, dass du ziemlich beschissen aussiehst?“
„Ich hab Scheiße gebaut!“ schluchze ich „Riesenscheiße!“
„Was ? Wie hast du das hier heraußen …“ er bricht ab und man sieht, wie die Relais bei ihm im Hirn klackern und sich für ihn alles zusammenfügt.
„Sag jetzt ja nicht, du hast Ben vernascht?!“
„Ja … Nein … Eigentlich er mich, aber das ist jetzt auch egal – ich hab mich nicht gerade gewehrt.“ Bringe ich zwischen viel Geschluchze heraus,
„Ben ist auch schwul? Unglaublich! Bin ich der letzte Hetero?“
„Nein – er ist bi – sagt er.“
Hermann sieht mich lange an.
„Du bist ein ziemlicher Depp, weißt du das?“
„Danke – das brauch ich jetzt. Ich fühl mich so schon beschissen genug.“
„Machst dir Sorgen wegen Stefan? Oder?“
„Sorgen? Ich mach mir vor Angst fast in die Hose!“
„Wird es so schlimm werden?“
„Ich hab keine Ahnung!“
„Musst du ihm davon erzählen?“
„Er wird es wissen. Er wird mich ansehen und wird es wissen!!!!“ Ich beginne wieder haltlos zu schluchzen. Ehe ich mich versehe, hab ich mich an Hermann geklammert und heule ihm das Hemd voll. Er sagt nichts mehr, er hält mich nur fest, bis ich mich wieder einigermaßen erholt habe.
„Geht’s wieder?“
Ich nicke nur und wische mir mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. Ich schaue auf den See hinaus und meine „Ich glaub ich werd ins Wasser gehen.“ Dann fange ich an mich auszuziehen.
„Bist du irre? Das ist doch kein Grund sich gleich umzubringen!!“ ruft er.
Ich schaue ihn verständnislos an. Wovon redet er? Hermann wird rot und schaut peinlich berührt zum Boden.
„Sorry – ich dachte…ach weißt du was – ich geh mit!“
Das Wasser ist immer noch nicht viel wärmer, als gestern, aber seltsamer Weise hilft es mir einen klaren Kopf zu bekommen.
Nach ein paar Minuten ist es sogar richtig erträglich und wir schwimmen weiter hinaus, bis wir hinter einer kleinen Landzunge unser Zeltlager sehen. Das Lagerfeuer brennt schon wieder und ich sehe Karin und Norbert, wie sie den provisorischen Grill mit Fleisch belegen. Ben sitzt am Ufer und sieht zu uns herüber. Er beschattet seine Augen mit der Hand und scheint uns zu beobachten. Wir schwimmen zurück zu unseren Klamotten und ziehen uns wieder an. Dann laufen wir zurück zu den anderen.
Als er Hermann und ich aus dem Wald laufen sieht mich Ben mit hochgezogenen Augenbrauen fragend an, sagt aber nichts.
Am späten Nachmittag fahren wir zurück in die Stadt. Zu Hause angekommen, sagt mir Vater, dass Stefan schon vor einer Stunde am Flughafen angekommen ist, vier Stunden zu früh und eigentlich gleich zu Hause sein müsste. Ich sage Vater nur soviel, dass ich mit Stefan über was Wichtiges reden müsse und wahrscheinlich bald wieder da bin und mach mich gleich auf den Weg.
Stefan begrüßt mich strahlend und umarmt mich sofort.
Dann sieht er mich an und merkt sofort, das was los ist.
„Was ist passiert?“ fragt er, aber nicht böse sondern nur besorgt.
Ich kann nicht gleich reden, ich fühle mich nur voll beschissen und muss schon wieder heulen.
Er sieht mich vollkommen traurig an, schaut mir tief in die Augen. Ich halte den Blick nicht aus und weiche ihm aus. Er nimmt mich beim Kinn und dreht meinen Kopf sanft so, dass ich ihn wieder ansehe.
„Kleiner, was hast du angestellt? Es kann nichts so schlimm sein, dass wir nicht darüber reden können!“
Er ist der allerbeste Mensch und ich habe ihn nicht verdient. Er ist ein Engel und ich bin ein Arschloch.
Stockend erzähle ich ihm die ganze Geschichte, na ja, fast die ganze.
Das Karin, Ben und ich im gleichen Zelt geschlafen haben und Karin die zweite Nacht im Haus übernächtigt hat, dass ich dann aufgewacht bin und mich im Schlaf an Ben gedrückt hatte, sowie ich es halt normalerweise bei ihm mache, dass ich eigentlich aus der Situation raus wollte, Ben aber dann aufgewacht ist und ganz gegen meine Erwartungen nicht eine Szene gemacht hätte sondern ganz im Gegenteil, sich voll an mich rangeschmissen hat. Ich erzähl ihm da nichts davon, dass er mich durchgefickt hat und zwar nach allen Regeln der Kunst und auch nichts von der zweiten Nummer am See, wo ich dann Ben durchgezogen hab. Ich erzähle es unter viel Geschluchze und unterbrochen von oftmaligen Schnäuzen.
Stefan hört es sich an und sagt nichts.
Er sagt sehr lange nichts und sieht eigentlich nur immer trauriger aus.
Dann steht er auf und holt sich was zu trinken. Ich sitze an seinem Wohnzimmertisch und zittere. Die Sonne scheint tief stehend durch das offene Fenster und ein leichter Luftzug bauscht die Gardinen.
Ich sehe die Schatten über den Boden wandern und es ist vollkommen still. Ich halte diese Stille fast nicht mehr aus. Wenn Stefan schreien würde, toben, weinen. Irgendwas, aber er sitzt nur vollkommen still da und starrt in sein Glas.
Als er endlich zu reden beginnt, erkenne ich seine Stimme fast nicht mehr, so rau ist sie.
„Das tut schon weh.“ Er holt zitternd Luft. „Verdammt weh.“
Er scheint noch etwas sagen zu wollen, bleibt aber wieder stumm.
Die Minuten ziehen sich hin und jede Sekunde scheint eine Ewigkeit zu dauern.
„Aber wenigstens bist du ehrlich.“
„Ich will dich doch nicht verlieren. Glaub mir das bitte!“ flehe ich ihn an.
„Mich verlieren? Kaum! Aber etwas spät denkst du schon darüber nach, findest du nicht? Ich liebe dich, aber das ist schon sehr stark. Komischerweise trifft mich am meisten, dass es Ben war und nicht irgendwer, den ich nicht kenne. Ich bin dir nicht böse, aber ich bin schon sehr traurig. Und sehr enttäuscht. Ich hatte schon gehofft, dass du dich soweit im Griff hast, dass du in solchen Situationen auch nein sagen kannst.“ Ihm rinnen die Tränen über die Wangen als er mich ansieht. „Du hast mir verdammt weh getan!“
Das lässt den letzten Rest Selbstbeherrschung in mir zersplittern. Ich will aufspringen und wegrennen – nur raus hier. Stefan springt auf und hält mich fest. „Wo willst du hin, verdammt noch mal?“
„Ich… ich weiß nicht. Ich halt dass nicht aus, dass es dir jetzt so mies geht und ich bin schuld daran.“ Ich verstehe mein Gestammel selbst kaum, dass irgendwie zwischen den Schluchzern rauskommt.
„Du Idiot – glaubst du, wenn du mich jetzt stehen lässt wird es besser?“ schreit er „Glaubst du das wirklich?“ Ich weiß nicht was ich geglaubt habe, noch was ich glauben soll. Ich weiß überhaupt nichts mehr.
Ich weiß nur, dass es so unglaublich weh tut ihn so leiden zu sehen. Er sieht mich an, und zieht mich an sich. Ich kann nichts mehr sagen, es löst sich alles in Tränen auf. Wir stehen so aneinandergeklammert und heulen wie die Kinder.
„Ich liebe dich so sehr, du kleiner Verrückter!“ sagt Stefan nach einiger Zeit und meinen Kopf in seine Hände, damit er mir in die Augen sehen kann „aber tu mir das bitte, bitte nie mehr an. Hörst du? Versprich mir das!“.
„Ja – ich versprech’ es!“
Stefan verzeiht mir und damit fällt mir ein riesiger Stein vom Herzen, aber eines ist klar: Ich habe unserer Beziehung die reine Unschuld genommen und dafür gesorgt, dass ein dunkler Schatten darauf gefallen ist der er erst nach Langem verschwinden wird, vielleicht niemals.

Dienstag – Training. Alle sind da, auch Ben und Hermann. Ben benimmt sich anfangs wie immer, als wäre nichts geschehen. Irgendwann bemerkt er die Blicke, die ihm Stefan zuwirft, nicht dass er ihn aggressiv oder böse angesehen hätte, aber es war ganz klar, was er damit sagen wollte: ‚Lass ihn Zukunft die Finger von meinem Freund!’. Ben wird unruhig und weicht mir seit dem aus. Zum Glück muss ich nicht gegen ihn auf die Matte.

Danach gehen wir alle zusammen noch in unser Stammcafe. Jochen holt Stefan und mich zur Seite und wir stellen uns an die Bar. Jochen bestellt drei Bier und sieht uns lange an.
Ben schaut etwas seltsam und richtig beunruhigt drein und Hermann runzelt die Stirn.
Scheiß Situation. Hermann weiß, dass Ben und ich am See … und er weiß, das Stefan und ich zusammen sind. Ben weiß nicht, dass Hermann weiß, was auch für Stefan gilt, der auch nicht weiß, dass Hermann weiß. Hermann weiß aber nicht, dass die beiden nicht wissen, dass er weiß. Dazu kommt noch, das Jochen über Stefan und mich Bescheid weiß, aber er weiß nichts von Hermann und Ben. Ich bekomme Kopfschmerzen beim Nachdenken. Irgendwann werde ich den Überblick verlieren, wer was von wem weiß und dann… dann wird es einen großen Krach machen und es wird uns alles um die Ohren fliegen. Mir graut davor.
“Es ist euch beiden sehr ernst? Oder?“
Stefan und ich schauen uns an und nicken beide heftig!
„Ja – sehr sehr ernst“ sagt Stefan.
„Nun – ich denke ihr wisst inzwischen, dass ihr euch nicht gerade den leichtesten aller Wege ausgesucht habt… „ von wegen ausgesucht! Ha. Weder Stefan und ich haben uns jemals ‚entscheiden’ schwul zu sein oder das wir zusammenkommen. Ich will ihm das schon sagen, aber Jochen hebt die Hand, verhindert so, dass ich etwas sage und fährt fort. „Ich weiß, ich weiß. Ihr habt es euch nicht ausgesucht! Aber ich eigentlich auf etwas anderes hinaus. Ihr gehört inzwischen beide fest zum Team und seid in eurer Liga und in euren Gewichtsklassen schon sehr gut. Ich weiß, dass man auch schon an euch herangetreten ist, in andere Vereine in die Bundesliga zu wechseln.“
Ich schaue Stefan an, aber er reagiert nicht darauf.
„Ich will Stefan ein Angebot machen. Es wird im Verein einige Veränderungen geben. Die Leitung hat sich vor zwei Wochen neu konstituiert und der bisherige Cheftrainer unseres Bundesligateams verlässt den Verein aus verschiedenen Gründen. Es ist noch inoffiziell, aber ich werde ihm nachfolgen. Ich habe vier Namen vom 1. Regionalligateam auf der Liste, die ich vielleicht mitnehmen will.“
Stefan steht da wie elektrisiert. Er wird gehen und ich werde mit den anderen Deppen aus der zweiten Reihe weitermachen.
Stefan sieht mich an und fragt Jochen, ohne den Blick abzuwenden „Gehen wir beide?“
Jochen seufzt. „Stefan, du weißt, dass Davy gut, aber noch nicht soweit ist! Vielleicht in einem Jahr oder vielleicht auch sechs Monaten, wenn er sich Mühe gibt.“
Stefan sagt nichts. Lange Zeit. Er sieht mich nur an.
„Trainer – ich gehe nicht ohne ihn! Ich werde ihn soweit bringen, dass wir gemeinsam gehen!“
Ich will ihm um den Hals fallen, aber das kann’s ja wohl nicht sein, dass er wegen mir diese Chance aufgibt.
„Nix da! Du wirst diese Chance nicht sausen lassen!“
„Aber…“
„Kein aber!“ fall ich ihm ins Wort. „Glaubst du wirklich, ich weiß nicht was dir das bedeutet? Außerdem will ich nicht die ganze Zeit dein trauriges Gesicht sehen, wenn irgendeiner das Wort ‚Bundesliga’ auf nur in den Mund nimmt! Du wirst da brav einsteigen, sonst zeig ich dir, wo der Bartl den Most herholt!“
Jochen grinst und Stefan schaut total baff drein.
„Du weißt, dass heißt wir werden uns beim Training kaum noch sehen und auch die Wochenenden werden ganz schön verpfuscht sein, weil wir zu unterschiedlichen Zeiten und an anderen Orten Turniere haben werden?“
„Das weiß ich. Aber ich weiß auch, dass du glücklich sein wirst! Ich will, dass du glücklich bist.“
Ich nehme seine Hand und drücke sie – scheiß drauf ob die anderen was mitbekommen oder nicht.
Stefan dreht sich zu Jochen um „Trainer - bis wann muss ich mich entscheiden?“
„Du hast gut und gerne noch vier Wochen Zeit! Ich brauch die Antwort nicht heute! Ganz im Gegenteil, ich will, dass ihr euch das gut überlegt. Sehr gut sogar.“
Was treibt Jochen eigentlich an? Ich habe mir bis heute keine großen Gedanken darüber gemacht, aber warum ist er so freundlich zu uns? Ist es wirklich nur, weil er das Beste für den Verein will? Wenn nicht, was steckt noch dahinter? Ich muss mit Stefan darüber reden, wenn wir alleine sind.
Stefan drückt meine Hand und nickt Jochen zu. „OK, machen wir!“
„Gut“ Jochen nickt „sehr gut! Ich werd mich dann mal wieder zu den anderen setzen.“

„Und ich muss mal wohin – Bier rauslassen!“ flüstert mir Stefan zu und rauscht ab
Kaum ist er weg, kommt Ben zu mir.
„Was war denn?“
„Es ging um ein paar Veränderungen im Verein, aber das soll dir Jochen lieber selber sagen!“
Hat er Angst es ginge um ihn und die Geschichte am See?
Sein erleichtertes Gesicht macht seltsamer Weise wütend. Was hat er denn geglaubt? Dass ich ihn bei Jochen anpetze? So ein Blödsinn!
„Ich werd doch nicht mit ihm über Geschichten reden, die ich selber am liebsten vergessen würde!“
Ben wird rot und bekommt ein hartes Gesicht.
„Siehst du das so?“
„Ja, eigentlich schon – ich hab einen Riesenfehler gemacht.“
Ben druckst ein wenig herum, bevor antwortet.
„Ich weiß, du willst es nicht hören und vielleicht glaubst du mir auch nicht, aber mir hat es etwas bedeutet!“
Ich will gerade antworten, als Stefan zu uns kommt.
„Was’n hier los?“ fragt er und ich finde es klingt eigentlich ganz normal. Eigenartig normal.
„Hab Ben gerade erzählt, das wir was mit Jochen besprochen haben!“
„Verstehe.“
Er sieht Ben und mich an. „Weil wir gerade so nett beisammen stehen, möchte ich was loswerden:“ fängt Stefan an und ich werde nervös. Hoffentlich plaudert Ben nicht wie weit es wirklich mit uns gegangen ist „ich weiß, was ungefähr vorgefallen ist. Und ich will auch gar nicht wissen, was genau passiert ist.“ Ich bilde mir ein, dass er kurz zu mir rüber schaut. „aber ich will, das eines klar ist. Davy ist MEIN Freund! Ok? Die Geschichte ist nun mal passiert und das lässt sich nicht ändern, aber wenn ich auch nur den Hauch eines Eindruckes bekomme, dass sich so was wieder anbahnt, werde ich dir zeigen, was es heißt, sich mit mir anzulegen. Ansonsten können wir gerne Freunde sein!“
Er sagt das in einem derart freundlichen und unverbindlichen Ton, dass ich einige Augenblicke brauche, bis sich der Sinn dahinter in mein Hirn vorarbeitet.
Ich starre ihn mit offenem Mund an. Ich merke, dass es auch Ben nicht anders geht.
Stefan steht locker an die Bar gelehnt und lächelt Ben an.
Ben findet irgendwie die Sprache wieder: „Auch ohne Drohung hätt ich das verstanden. Mir tut das Ganze sehr leid. Ich mag vielleicht in mancher Beziehung ein Spinner sein, aber man hat mir nie nachsagen können, dass ich ein Lügner bin oder mein Wort breche. Ich werde mich nie mehr in eure Beziehung einmischen. Einmal das Scheißgefühl so einen Fehler gemacht zu haben, reicht mir. Und glaubt mir eines: Ich hab darunter genauso zu leiden wie ihr. Das verspreche ich.“
Stefan sieht in lange an. Langsam nickt er „OK. Ich glaub’ dir! Frieden?“ und streckt ihm die Hand hin.
Ben sieht zuerst Stefan an, und dann mich. Dann nickt er „Frieden. Ob wir Freunde werden, weiß ich nich’, aber wir werden sehen!“ Er greift Stefans Hand und schüttelt sie.

Zurück am Tisch beugt sich Hermann zu mir rüber. „Puhh – kurz hab ich geglaubt gleich krachts!“
Ich auch – ich auch! Ich kann nur erleichtert ausatmen, aber als ich zu Stefan rüber sehe, merke ich an seinem Gesicht, dass es noch lange nicht ausgestanden ist.
Eine halbe Stunde später nickt mir Stefan zu und zeigt Richtung Ausgang. Wir verabschieden uns und gehen gemeinsam, ‚da wir ja einen großen Teil des Heimwegs gemeinsam haben’.
Im Bus herrscht Schweigen. Stefan schaut aus dem Fenster und sagt kein Wort. Ich bin tief in Gedanken versunken. Als wir uns der Station nähern, die Stefan eigentlich benutzen muss um in die Straßenbahn nach Hause umzusteigen, dreht er sich zu mir um „Kommst du mit?“ Es glitzert in seinen Augen, als wären sie feucht. Ich nicke nur, kann durch den Kloß in meinem Hals aber nichts sagen.
Beim ihm zu Hause angekommen, zieht er sich die Jacke aus, legt sie auf den Vorzimmertisch und geht wortlos ins Wohnzimmer.
Ich folge ihm. Er steht im Wohnzimmer und dreht sich zu mir um, als ich reinkomme. Es rinnen ihm dir Tränen über die Wangen. Es tut so schrecklich weh, ihn so zu sehen. Ich kann aber nichts sagen, ich wüsste zumindest nicht was.
„Es ist dir klar, dass ich das für niemanden auf der Welt tun würde? Und ich glaube auch nicht, dass ich es ein zweites Mal für dich machen könnte…. Verflucht ich liebe dich wie verrückt. Bitte tu mir nie mehr so weh!“ Er schluchzt die die letzten Worte und schlägt die Hände vor die Augen. Ich gehe auf ihn zu und lege ihm die Hand auf den Oberarm. Er legt seinen Kopf auf meine Schulter und ich spüre wie er vor Weinen bebt. Ich heule inzwischen auch wie ein kleines Kind. Wir sinken im Wohnzimmer auf den Boden und weinen bis uns die Tränen ausgehen. Dann hebt Stefan den Kopf und sieht mich an.
„Ich liebe dich. Du bist mir das Wichtigste auf der Welt!“
„Ich liebe dich doch auch. Ich lass dich nie allein. Nie bis zum unserem Tod!“ Ich küsse ihn auf die Stirn. Aus den leichten Küssen auf Stirn und Augen wird ein tiefer Kuss auf die Lippen und schließlich wälzen wir uns wie verrückt auf dem Boden. Wir schaffen es irgendwie ins Schlafzimmer und verlieren unsere Kleider stückweise in der Wohnung. Über das Angebot von Jochen haben wir kein Wort verloren.
Viel später, als ich heimfahre habe ich zum ersten Mal wieder das Gefühl, dass doch noch alles in Ordnung kommen könnte.

Maria ist sauer! Sie hat angerufen und sich ziemlich bitter darüber beschwert, dass ich sie links liegen lasse. OK, sie hat ja recht, aber der Tag hat nun mal nur 24 Stunden und davon gehören so viele wie möglich Stefan. Dazu kommen auch noch Schule und der Verein. Ich verspreche ihr, dass wir uns am Wochenende treffen.
Am Abend kommt Stefan zu mir. Wir gehen in mein Zimmer und reden über das Angebot von Jochen.
Eine. Zwei, drei fast vier Stunden lang.
Ich will, dass er es macht – wegen ihm. Er will nicht - wegen mir. Wir kommen einfach auf keinen grünen Zweig. Es ist schon spät abends und ich hab morgen den ganzen Tag Labor was sau anstrengend ist, also sollte ich eigentlich bald schlafen, und bin schon tot müde, als er mich in den Arm nimmt. „Du bist ein sturer Bock!“
„Du aber auch! Ich weiß doch, was dir das bedeutet!“
„So – jetzt hör mal her: Erstens: ja, es bedeutet mir viel, sehr viel – dass geb ich ja auch zu. Zweitens: du bedeutest mir aber viel, viel mehr! Drittens: ich muss auch an die Zukunft denken. Ich studiere zwar noch nicht lange, aber ich merk jetzt schon, dass mir vorn und hinten die Zeit knapp wird. Entweder ich lass beim Studium nach – Aber hallo – wenn ich da an meine Eltern denke. Oder ich lass beim Ringen nach, oder ich verbringe weniger Zeit mit dir! Was hättest du denn gerne?“
„Das ist nicht fair!“
„Seit wann ist das Leben fair? Das Leben ist nicht gut oder böse, du kannst immer nur schauen, dass du das Beste daraus machst! Versteh mich nicht falsch, aber warst du fair zu mir, als du es mit Ben getrieben hast?“
Ich will was sagen, aber ich weiß nicht was.
„Siehste, damit ist die Geschichte geregelt! Ich werde nicht aufsteigen. Ich werde das Ringen weiter als Amateur betreiben. Vielleicht hör ich in nächster Zeit auch ganz auf.“
„Du willst aufhören? Du, DER Ringercrack schlechthin?“
„Nicht jetzt, auch nicht morgen, aber irgendwann in den nächsten Monaten.“
Ich beginne darüber nachzudenken, wie es mit mir weitergehen soll. Stefan und ich schlafen diese Nacht nicht miteinander. Es ist das erste Mal seit wir uns kennen, dass wir eine Gelegenheit auslassen. Bedenklich.

Maria war, als hätten wir uns nie gestritten. Wir haben über alles Mögliche geredet, über ihren Freund (Ja, sie hat wieder einen, nachdem sie sich von Klaus getrennt hat!), über Stefan, über mich und meine Mutter (nur kurz) und vieles andere.
Ich hab ihr auch von Ben erzählt. Sie war kurz paff und hat das Ganze dann mit einem „Du bist ein Riesenidiot!“ kommentiert. Toll, super – gaaanz großartig.

Die Tage und Wochen vergehen. Stefan büffelt für seinen Führerschein und das Studium und ich für die Schule, dazwischen gehen wir zum Training und warten auf den neuen Trainer. Manchmal bin ich mit meinen Freunden noch im Alexander, aber es bedeutet mir nicht mehr soviel wie früher. Ben und ich haben einen Weg gefunden, die Geschichte zu vergessen. Wir reden nicht darüber und versuchen uns so zu benehmen, als ob nichts wäre. Manchmal wirft er mir seltsame Blicke zu, schaut aber sofort weg, wenn ich es bemerke. Marc und Ingo gehen in die oberste Liga und verlassen uns daher bald. Ben und Stefan bleiben bei uns. Eigentlich hatte ich gehofft, Ben würde auch wechseln, dass hätte ein wenig Dampf raus genommen, aber nein, er bleibt ebenfalls. Stefan und Ben haben zwar Frieden geschlossen, aber Freunde sind sie bis jetzt nicht geworden. Ihre Trainings fights sind teilweise ganz schön heftig.

Nach vier Wochen ist es soweit. Jochen stellt unseren neuen Trainer vor. Er heißt Andreas und war vor 20 Jahren vielfacher Meister und und und … Ich hab nicht behalten, was er alles gewonnen hat.
Jedenfalls hat er sicher in einer Gewichtsklasse gekämpft, die irgendwo zwischen Gorilla und Elefant angesiedelt ist. Der Mann ist ein Berg auf zwei Beinen.
Seine erste Handlung ist, dass er die Hackordnung, die sich in den letzten Jahren ergeben hat einfach aufhebt und die Karten neu mischt. Er lässt alle gegen alle kämpfen und teilt neue Teams ein.
Hermann, Ernst, Ben, Stefan und ich kommen als Fixstarter in die Kampfmannschaft, alle anderen müssen sich vor jedem Wettkampf neu qualifizieren.
Sein Stil unterscheidet sich aber zum Glück nicht allzu sehr von dem von Jochen, aber beim Kraft- und Konditionstraining ist er wesentlich konsequenter. Nach den ersten Einheiten sind wir alle wie tot. Ich habe seit langer Zeit keinen Muskelkater mehr gehabt, aber jetzt kann ich mich am nächsten Tag kaum bewegen. Jeder Knochen und jeder Muskel tut weh, sogar solche, von denen ich nicht einmal gewusst habe, dass ich sie besitze.

Mit Vater gibt es ein Problem – aber ich weiß nicht welches. Ich sehe ihn immer seltener. Er geht früh morgens aus dem Haus und kommt abends sehr spät nach Hause. Außerdem sieht er nicht gut aus. Er ist merklich dünner geworden und halt eine fahle Gesichtsfarbe Ich habe ihn öfter darauf angesprochen, aber er hat mir immer nur ausweichende Antworten gegeben. „Viel Stress im Hotel. Wir bauen um!“ – „Ich arbeite zu viel und schlafe zu wenig“ usw.
Ich glaube ihm nicht wirklich. Ich beginne mir echte Sorgen zu machen.
Ich habe Mutter gefragt, ob sie etwas weiß. Sie hat nur mit den Schultern gezuckt und gesagt „Von mir aus kann er krepieren!“. Man kann manchmal gar nicht so viel Fressen wie man Kotzen möchte.
Ich bin nur wortlos aufgestanden und gegangen. Die Frau wird mir immer fremder. Und umso fremder sie mir wird umso mehr versinkt sie in Depressionen. Ich habe mit Maria darüber geredet. Sie hat gemeint ich sollte sie dringend zu einem Arzt bringen. Aber eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr. Ich hab es probiert. Die Folge war fliegendes Geschirr und ein neuerlicher grußloser Abgang meinerseits. Ich würde graue Haare kriegen, wäre ich nicht zu jung dazu.

Schulschluss! Wieder ein Jahr vorbei und nächstes Jahr ist Matura! Es ist unglaublich. Und das Beste dabei ist – Stefan und ich fliegen in zwei Wochen gemeinsam für drei Wochen weg!
Ah ja. Stefan hat seine Prüfung geschafft! Er ist stolzer Besitzer eines Führerscheines. Nach dem Urlaub bekommt er seinen Wagen. Er ist aufgeregt wie ein kleines Kind und redet die ganze Zeit davon, was wir nicht alles unternehmen können, wenn der Wagen endlich da ist.

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Tag der Veröffentlichung: 30.09.2010

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