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Ankunft zu Hause.
Marias Vater steht am Flughafen am Ausgang und wartet auf uns. „Gut schaut’s ihr aus – So richtig erholt“ Dann umarmt er uns.
Auf der Fahrt nach Hause quetscht er uns nach Strich und Faden aus, wir erzählen ihm so gut wie alles, nur gewisse Details erwähnen wir nicht.
Zu Hause laufe ich in mein Zimmer schmeiße mein Gepäck in eine Ecke und rufe sofort Manfred an.
Noch bevor das erste Läuten vorbei ist, hebt er ab.
„Ja, bei Neck!“
„Rate mal, wer dran ist.“
„Endlich!“
Er habe mich unglaublich vermisst und die Tage am Kalender abgezählt. Er sei fast schon verrückt geworden vor lauter Sehnsucht.
Er freut sich so sehr darüber, dass ich wieder da bin, dass ich es nicht übers Herz bringe ihn jetzt mit Stefan zu konfrontieren.
„Davy, sehen wir uns heute noch?“ Ich brauche ein paar Augenblicke, bis ich realisiere, dass er die Frage schon zum zweiten Mal stellt. „Ich kann es noch nicht sagen – Mutter will noch was mit mir bereden. Ich weiß nicht, was danach ist.“ „Ok – aber du rufst mich doch nachher an – oder?“
„Sicher mein Schatz. Ich liebe dich!“
„Ich dich auch - sehr sogar!“
Als ich auflege fühle ich mich, wie der letzte Dreck.
Am Abend sitzen wir zusammen am Gartentisch auf der Terrasse, Mutter redet von der Scheidung und wie es weitergehen wird, davon, dass wir finanziell in Zukunft wohl nicht mehr so gut gestellt sein werden und das wir jetzt mehr zusammenhalten müssen. Ich erzähle ihr von Frankreich, wie schön es dort ist und was wir nicht alles erlebt haben. Ich erfinde auch ein Mädchen, dass ich, oh welch Ausbund an Phantasie, Stefanie nenne.
Ich merke irgendwann, dass es sie nicht wirklich interessiert – für sie ist nur wichtig, dass wir jetzt auf Familie machen – mit ihren Schwestern und Eltern hat sie sich wieder einmal verkracht. Ich will heute nicht mit ihr streiten, so sag ich zu fast allem ja und Amen.
Ich gehe diesen Abend nicht fort, telefoniere aber fast zwei Stunden mit Manfred. Ich sage ihm nichts von Stefan. Um halb drei reißt mich das Telefon aus dem Tiefschlaf.
„Hallo“ sag ich verschlafen in den Hörer.„Hi – ich wollte deine Stimme hören!“ Ich bin sofort hellwach – es ist Stefan.
Ich telefoniere schon wieder – wieder fast zwei Stunden. Meine Ohren glühen, und ich bin mir nicht sicher, ob so viel telefonieren noch gut für das Gehirn ist.

Am nächsten Tag wache ich erst zu Mittag auf. Ich habe von Nizza geträumt, von mir, Stefan und Manfred, die dort gemeinsam leben. Ein dummer Traum, aber schön!
Ich habe mir mit Manfred ein Treffen am Abend ausgemacht, vorher will ich eigentlich noch schwimmen gehen, aber das Wetter ist eher schlecht und für die Schwimmhalle fehlt mir jede Lust, also bleibe ich zu Hause. Eigentlich wird in den Ferienmonaten das Training nicht so streng gehandhabt, aber ich bin schon ganz gierig darauf und so beschließe ich doch noch trainieren zu gehen, auch wenn ich erst am Dienstag wieder reguläres Training hätte. Seltsam, aber erst als ich vor der Halle stehe, fühle ich mich wie zu Hause. Am Weg in die Umkleide begegnet mir niemand und ich befürchte schon, dass niemand da sein wird den ich kenne aber in der Halle selbst liegen die Ringermatten am Boden und ich höre schon von weiten die Stimme von Jochen, der seine Anweisungen gibt. Ernst und Martin, einer der eher neuen sind auf der Matte. Ich komme aus dem Dunkeln und die meisten haben mir den Rücken zugedreht oder sind ganz auf den Kampf konzentriert und so bemerkt mich niemand, als ich bei einer Bank meine Tasche zu den anderen Taschen stelle, die dort bunt zusammengewürfelt herumstehen. Ernst versucht gerade einen Griff anzubringen rutscht aber immer wieder ab. Ich merke, dass er den gleichen Fehler macht, wie schon früher.
„Ernstl, das kannst du aber besser – schau auf seine Beine!! Tiefer ansetzen, dann geht es.“ Rufe ich dazwischen.
Er rutscht endgültig ab, sieht mich und läuft auf mich zu. „Daaavy“ höre ich noch, dann kracht es und wir liegen am Boden.
„Toll, dass du wieder da bist. I frei mi narrisch“ Irgendwie komm ich wieder auf die Beine, schüttle Hände und bedank mich für das nette Willkommen.
„Da du jetzt schon Trainer sein willst, darfst du auch gleich beweisen, ob du in den Ferien auch brav warst.“ grinst mich Jochen an, schickt mich zum Umziehen und verpasst mir eines seiner Spezialaufwärmtrainings.
Nach vierzig Minuten bin ich einfach nur fertig.
„Na, wenigstens bist du nicht nur auf der faulen Haut gelegen.“ höre ich ihn sagen, während ich nach Luft schnappend am Boden liege.
Irgendwie bin ich besser drauf als vor dem Urlaub, lockerer nicht so verkrampft. Wunder kann das aber auch keine wirken und gegen Marc und Ingo bin ich immer noch fast so chancenlos wie früher. Aber nur fast. Stefan hat mir zwei Griffe beigebracht und bei Marc kann ich mit einem damit sogar einen Überraschungserfolg landen, bringe ihn auf den Boden und sogar fast auf die Schulter, aber gegen seine Kraft habe ich im Endeffekt doch keine Chance. „Du hast drei Wochen mit einem Privattrainer geübt gib’s zu! War nit schlecht - gratuliere.“
„Weil wir gerade beim Thema sind. Es geht um die neuesten Termine und die Nominierungen.“
Jochen rollt die große Tafel heran, auf der schon ein Raster eingezeichnet ist.
Die Spalten sind mit der Bezeichnung der Turniere und dem entsprechenden Datum mit Ort versehen, in den Zeilen stehen die Namen der Teilnehmer.
Ich stehe fünfmal auf der Liste!

20./21. September Landesvergleichskampf
11./12. Oktober nationaler Vergleichswettkampf Schüler und Kadetten in Götzis
13./14. Dezember Junioren Donaupokal in Linz
24./25. Jänner Internationales Kadettenturnier in Deutschland
Und dann:
4.-7. März Internat.Kadetten-Turnier in St.Priest/FRA.
Frankreich! Stefan! Ich hab keine Ahnung wo St. Priest liegt, aber im März ist Stefan sowieso nicht mehr an der Cote d’Azur sondern in Frankfurt.
FÜNF!! Einsätze bei großen Wettkämpfen, abgesehen von den Regionalligaturnieren an den diversen Wochenenden – mir wird schummrig.
„Jochen – das meinst du doch nicht ernst! Oder?“
„Wieso nicht? Du hast heute gezeigt, dass du für einen Wettkampf reif bist. Und wirklich weiterentwickeln kannst du dich nur, wenn du anfängst richtige Wettkampferfahrung zu sammeln.“
„Bammel hab ich trotzdem!“
„Den hat jeder beim ersten Mal – da mach dir keine Illusionen. Aber ich bin mir sicher, du schaffst das!“
In der Umkleide gratulieren mir alle noch mal und Ingo klatscht mir seine Bärenpfote so auf die Schulter, dass ein roter Fleck zurückbleibt.
„Also dann Jungs – bis morgen zum Training.“ rufe ich beim hinausgehen.
„Bis später Davy!“ ruft mir Ernst als Antwort retour und ich sehe gerade noch wie Ingo ihm den Vogel zeigt und Ernst rot wird.

Abend. Ich stehe vor dem Haus von Manfred und schaue hinauf in Richtung Dachgeschoß, dass ich von hier unten eigentlich gar nicht sehen kann, als könnte ich erfühlen, was mich erwartet. Ich bin voller gemischter Gefühle. Angst, Vorfreude, schlechte Ahnungen und schlechtem Gewissen. Ich hole tief Luft und läute an. Die Türe wird geöffnet, ohne dass sich Manfred über die Gegensprechanlage meldet und mein schlechtes Gefühl verstärkt sich.
Der Aufzug ist auch schon da, sichtlich hat ihn mir Manfred schon runter geschickt.
Ich komme oben an, gehe durch die offene Türe und höre schon Partylärm aus dem oberen Stock, von wo aus es auf die Terrasse geht.
Manfred kommt gerade die Treppe hinunter und will in die Küche als er mich im Wohnzimmer stehen sieht. Er fliegt geradezu auf mich zu, nimmt mich in die Arme, hebt mich hoch und wirbelt mich herum. Er küsst mich immer wieder und ich bekomme fast keine Luft mehr.
“Sei vorsichtig, durch brichst mir ja noch was“ sag ich lächelnd, während ich ihm die Haare aus der Stirn streiche.
„Ich lass dich nie mehr los!“
„Hmmm – macht sicher ein gutes Bild, wenn wir so in die Schule gehen!“
„Dummi“
„Apropos – macht auch sicher ein gutes Bild, wenn jetzt einer die Treppe runterkommt!“
„Scheiß drauf - außer Markus und Norbert ist eh noch keiner da – die anderen kommen erst!“
„Was ist überhaupt los? ich hab geglaubt, wie wären heute allein.“
„Wollt ich auch Kleiner.“ Er sieht richtig zerknirscht aus…“aber Markus und Norbert wollten unbedingt eine Willkommensparty für dich machen. Ich hab zwar gesagt, dass wir eigentlich alleine sein wollen, aber die Antwort war – ich zitiere: ‚Das Bett oder sonst was versauen könnt ihr später auch noch’“ er bekommt wieder dieses Leuchten in den Augen, beim dem mir die Knie weich werden und was anderes hart.
„Wer ist denn …Daaaaaaaavy“ höre ich noch und versinke schon in den Umarmungen von Markus und Norbert.
So langsam trudeln alle ein. Fast meine ganzen Klassenkameraden und die halbe Ringer Riege samt Jochen sind am Ende versammelt.
Ich kann es kaum glauben, dass sie alle wegen mir gekommen sind, allerdings hab ich auch den leisen Verdacht, dass sie auch einfach die Gelegenheit nutzen eine Party zu feiern.
Manfred und ich lassen alles über uns ergehen und sitzen dabei doch auch Nadeln, denn eigentlich hatten wir doch etwas anderes vor.
Wie bei jeder Party kommt auch hier der Moment, wo sich der Lärm etwas legt und die Party anfängt sich in Gruppen und Grüppchen aufzuteilen, die mehr oder weniger mit sich selbst beschäftigt sind.
Irgendwann treffen sich Manfred und ich in der Küche, wo auch andere damit beschäftigt sind, sich mit Nahrung und Flüssigkeiten einzudecken. Auf einmal sind wir aber doch allein. Manfred nimmt meine Hand und zieht mich in das Kaminzimmer, das am anderen Ende des Ganges liegt. Er macht hinter mir die Türe zu und versperrt sie. „So – jetzt können mich alle mal!“
Nach einer halben Stunde liegen wir schwer atmend am Teppich vor dem Kamin.
Manfred sitzt noch so auf mir, wie er gekommen ist, er ist nach vorne gesunken und sein Kopf liegt auf meiner Schulter. Meine Brust und mein Bauch sind vollkommen nass und es rinnt auf beiden Seiten Richtung Teppich.
„Das war IIIIRRRREEEEEEEEE“ flüstert er mir ins Ohr und beißt mich ganz leicht ins Ohrläppchen.
„Was hast du denn da?“ fragt er misstrauisch.
„Wo?“
„Na da, auf der Schulter.“ Er tippt mit dem Zeigefinger auf den roten Fleck, den die Hand von Ingo nach dem Training dort hinterlassen hat.
„Das hab ich vom Training. Ein Gruß von Ingos Bärenpranke.“
„Ahso – ich wird schon narrisch, wenn dich beim Training einer angreift. Ich glaub, ich würd’ ausrasten, wenn dich sonst einer so haben könnt wie ich!“
Soviel also dazu. Die Idee, ihm die Wahrheit zu sagen, kann ich abschreiben. Also versuche ich wieder abzulenken: „Und was mach ich jetzt damit?“ und zeige auf meinen Bauch, wo die Soße inzwischen beginnt einzutrocknen.
„hmmm – ich hab keine Ahnung – du könntest ja ins Bad gehen“ Zum Bad sind es mindestens 20 m vom Kaminzimmer.
„Tolle Idee. Macht sicher eine schlanken Fuß, wenn ich jetzt nackt durch die Wohnung flitze.“
„Die Mädels würd’s freuen. Du siehst wirklich toll aus heute.“
„Danke für die Blumen“
Als Notlösung, wische ich mich mit der Boxershort (ganz frisch gewaschen!) ab und verstaue sie unter der Couch. Ich will sie später in meinen Rucksack packen.
Wir ziehen uns an, ich ohne Unterwäsche unter meiner Jeans, was ein neues, aber ziemloich gutes und ziemlich geiles Gefühl ist, nehmen uns zwei Gläser mit Whiskey, sperren die Türe auf und platzieren uns in die beiden großen Ohrensessel, die vor dem Kamin stehen. Keine fünf Minuten später geht auch schon die Türe auf und Markus schaut herein.
„Hier steckt ihr – hab schon geglaubt, ihr habt euch zum Zwecke der Begrüßung der ganz privaten Art verzogen.“ Er ahnt nicht, wie nah er an der Wahrheit ist.
„Darf ich mir auch ein Glas nehmen?“
„Sicher – bedien dich“
Markus macht nicht den Eindruck, als würde ihm der Whiskey schmecken, aber ich muss zugeben, ich weiß auch nicht wirklich, was die Leute daran finden.
Irgendwie kommen immer mehr der Partygäste in das Kaminzimmer und wir tauschen Urlaubsgeschichten aus. Karin setzt sich auf dem Teppich, auf dem Manfred und ich keine dreißig Minuten vorher noch gerammelt haben wie die Kaninchen und lehnt sich an die Couch – keine 10 cm von meiner versauten Boxershort entfernt. Manfred und ich grinsen uns an – ich stelle erstaunt fest, dass es uns anmacht, immer knapp vor dem Entdeckt werden zu stehen.
Gegen drei verlassen dann die Gäste langsam die Wohnung. Markus, Norbert und ich bleiben um Manfred beim Putzen zu helfen. Nach einer Stunde sind wir soweit fertig, dass man den Rest der Putzfrau überlassen kann und die Beiden rauschen ab. Endlich allein.
Wir liegen in Manfred’s Bett und es dämmert langsam. Durch das offene Fenster hört man ein paar Vögel singen. Manfred liegt hinter mir und ich habe mich an ihn gekuschelt. Wir dämmern leicht vor uns hin, nicht wirklich schlafend, aber auch nicht wirklich wach. Manfred regt sich hinter mir und ich spüre, dass er schon wieder geil wird.
„Davy ?“
„mhmm“
„Ich liebe dich“
„Ich dich doch auch mein Schatz“
Er drückt sich enger an mich und ich merke, dass sein Schwanz immer tiefer rutscht und zwischen meinen Arschbacken zu liegen kommt.
Es ist klar, dass er diesmal den aktiven Part übernehmen will, aber ich habe Angst davor, den sein Schwanz ist nicht nur ein wenig, sondern um einiges größer als der von Stefan und schon Stefan scheint bei der Schwanzzuteilung zweimal „HIER“ gerufen zu haben. Manfred hat wohl dabei gestottert und „Hie … hie… hie …hier!“ bei der Meldung von sich gegeben.
„Ich bin auch ganz vorsichtig“ flüstert er mir ins Ohr. Ich nicke und lege mich so hin, dass er leichter an mich rankommt. Es schmerzt – und zwar ziemlich gewaltig, aber nur die ersten paar Sekunden und ich beiße die Zähne zusammen. Dann ist es der reine Wahnsinn. Wir verlieren alle Hemmungen und als ich komme, spritze ich über meinen Kopf an die Wand, so dass es hörbar klatscht.
Manfred bricht fast im selben Moment laut stöhnend über mir zusammen und ich kann in mir spüren, wie er zuckt.

Der August geht rasend schnell zu Ende, ohne das Großartiges geschieht, außer dass ich zwischen Manfred und Stefan hin und her gerissen bin. Während ich mit Manfred tolle Nächte und grandiose Tage verbringe telefoniere ich mit Stefan fast jeden Tag und wir schreiben uns ellenlange Briefe. Mein schlechtes Gewissen Manfred gegenüber wird jeden Tag größer und ich kann es gar nicht glauben, dass er immer noch nichts merkt. Um die Komplikationen noch zu vergrößern rede ich mit Stefan über meine Gefühle zu Manfred ganz offen und wir diskutieren die halbe Nacht darüber, während ich Manfred gegenüber eine Lüge aufrechterhalten muss. Stefan’s Verständnis treibt mich endgültig in die Verzweiflung. Wäre er eifersüchtig, zornig oder wütend wäre es irgendwie leichter, aber nein – er ist so voller Verständnis für meine Situation, dass es mir die Tränen in die Augen treibt. Und er ist traurig, dass er nicht bei mir sein kann – und ich, dass er nicht hier ist. Ich frage mich immer öfter, was ich eigentlich will – und die Antwort gefällt mir insofern nicht, als ich weiß, dass ich das nie bekommen werde und eines Tages eine Entscheidung treffen muss, die nur Schmerz und Leid verursachen kann. Ich will beide – aus ganzem Herzen und ich kann keinen der Beiden aufgeben. Ich schaffe es einfach nicht. Auch wenn Stefan sanften, aber stetigen Druck ausübt. Am liebsten würde ich mit beiden zusammenleben. Hat Maria recht, wenn sie meint ich bin zumindest ein Egozentriker, wenn nicht gar ein Egoist? Mir ist nur der Unterschied nicht ganz klar!

Mein Geburtstag geht recht still vorüber. Da Mutter noch immer mit dem Rest der Familie zerstritten ist, wird nicht groß gefeiert. Am Abend schaue ich noch bei Paps vorbei und dann treffe ich mich mit den anderen im Alexanders. Manfred und ich ziehen um elf ab und feiern noch gemeinsam.

Am nächsten Tag ruft Stefan an. Er wollte mir gratulieren, hat mich aber nicht erreicht. Die Situation gerät langsam außer Kontrolle – lange halte ich das so nicht mehr durch, dass merke ich ganz deutlich.

Verein: Ich trainiere wie ein Irrer – in drei Wochen ist mein erster Wettkampf. Jochen meint schon, ich soll es nicht übertreiben, dass bringt nichts. Manfred hat mit dem Ringen wieder aufgehört, eigentlich hat er ja gar nicht richtig angefangen. Mit der Begründung „er kann seinen Schwanz nicht unter Kontrolle halten, wenn er die Jungs zuerst in ihren engen Trikots und dann unter der Dusche sieht.“

Schulbeginn. Vierte Klasse. Das Jahr der Hölle, laut unseren Lehrern (wahrscheinlich für unsere Lehrer, weniger für uns).
Erstes AHA-Erlebnis: Meike ist nicht mehr an der Schule. Sie wurde von Ihren Eltern mit der Begründung, dass sie an ‚ein passenderes Institut eingeschrieben wurde’ von unserer HTL abgemeldet. Meldung aus der Klasse: „Kann man jetzt schon in Mode und Kosmetik maturieren?“
Gelächter aus der Runde, aber ein paar der Jungs schauen richtig traurig aus der Wäsche.

Wettkampftag.
Heute ist es soweit – mein erster Wettkampftag.
Ich trete mit 75,5kg in der Klasse bis 76 Kg an. Jochen meint am Vortag das ist ideal, aber ich soll aufpassen, dass ich nicht knapp über die 76 kg komme. Sonst müsste ich in der nächsten Klasse antrete und dort könnte es schon um einiges schwieriger sein.
Vor den Kämpfen ab auf die Waage. 75 genau – wo das halbe Kilo von gestern abgeblieben ist, habe ich keine Ahnung.
Sollte alles nach Plan laufen, bin ich für acht Kämpfe eingeplant. Heute fünf und morgen drei.
Solange wir noch außerhalb der Halle sind, hält sich meine Nervosität in Grenzen. Beim Einmarsch bekomme ich zum ersten Mal ein echt flaues Gefühl im Magen. Dummerweise hat meine Klasse herausbekommen, dass ich heute eingesetzt werde und es sind fast alle da – sogar mit einem selbst gemalten Transparent auf dem „DAVY SCHAFFT SIE ALLE“ steht. Auch Chris und Maria haben sich eingefunden. Ich möchte am liebsten im Erdboden versinken.
Ich habe meinen ersten Kampf in gut einer Stunde. Ich habe bis dahin unterschätzt wie schwer es ist, sich über Stunden warm zu halten und die Konzentration nicht zu verlieren.
Marc hat seinen ersten Kampf schon hinter sich. Er ist auf die Matte getreten und hat seinen Gegner mit einem Blick angesehen, der sich am Besten als der einer Schlange, die sich auf ein Kaninchen konzentriert, beschreiben lässt.
Es dauert nicht ganz 90 Sekunden und er hat mit Schultersieg gewonnen. Ingo braucht die ganzen 2x3 Minuten, aber er gewinnt mit technischer Überlegenheit. Ernst hat Pech, sein Gegner ist ein solcher Zappelphilipp, das Ernst ihn nicht zu packen bekommt, dadurch wird er unkonzentriert und sein Gegner kann ihn mit einem Beinangriff überraschen und hat ihn auf den Schultern bevor Ernst reagieren kann.
Dann komme ich an die Reihe. Siedend heiß fällt mir ein, dass ich nicht einmal auf das Pairing geachtet und keine Ahnung habe, gegen wen ich antrete. Ich bin schweißnass und kann mich kaum konzentrieren.
Aber kaum gibt der Kampfrichter das Kommando, werde ich seltsam ruhig. Es scheint alles in Zeitlupe abzulaufen. Mein Gegner ist ein gutes Stück größer als ich, aber so dürr, dass ich mich frage, wie er in meine Gewichtsklasse gekommen ist. Irgendwie kommt er mir bekannt vor, aber das realisiere ich nur irgendwo im Hinterkopf. Das Problem ist, dass seine Reichweite um ein gutes Stück größer ist als meine, daher kann er mich auf Distanz halten. Ich sehe nur eine Möglichkeit – wir müssen auf den Boden. Ich habe gerade einen Angriff von ihm abgewehrt, als ich automatisch einen Wurf ansetze, ohne nachzudenken. Plötzlich liegen wir am Boden und ich habe ihn fixiert. Ich überlege noch, wie ich ihn auf die Schulter bekomme, als der Kampfrichter pfeift. Ich begreife nicht was los ist, habe aber fünf Punkte für meinen Wurf bekommen und die erste Kampfhälfte ist schon um. Meine Leute im Publikum jubeln.
Ich gehe zu Jochen, der mich groß ansieht. „Pass jetzt aber auf, du hast ihn überrascht, dass gelingt dir sicher kein zweites Mal. Schau, dass du den Vorsprung über die zweite Hälfte rettest.“
Ich nicke. Ingo steht auf einmal vor mir „Reschpekt. Max Lemnowski so vorzuführen – alle Achtung“
Ich weiß nicht, was er meint und irgendwie sieht er mir das auch an „Weischt nit, wer das is- gell?“
Ich höre die Antwort nicht mehr, denn ich muss wieder auf die Matte, der Zeitrichter hat das Signal gegeben.
Jochen hat recht, mein Gegner ist vorsichtiger geworden und meine Versuche ihn so wie vorher zu überraschen gehen ins Leere. Zweimal kann er einen Beinangriff anbringen und ich muss in die Bank.
Ich schaffe es am Boden kleben zu bleiben, ohne das er einen Griff anbringt oder ich wegen Passivität eine Verwarnung bekomme. Ich gewinne – knapp nach Punkten, aber ich gewinne!!
Als der Kampfrichter meine Hand und hebt fühle ich mich wie Gott. Meine Klasse tobt und schwenkt das Transparent, meine Familie steht und applaudiert Chris schreit „David – David - Daivd“.
„da legscht die nieder – schlagt in seinem erschten Kampf den Landesmeister!“
Ingo ist paff – ich auch.
„W ..was – das war...“ „der Juniorenlandesmeister 1990und 1991 – genau.“ Vollendet Jochen den Satz.
„Und du hast ihn gerade besiegt. Kann ein Vorteil sein, denn die anderen werden jetzt mit einigen Respekt vor dir auf die Matte gehen. Wenn du schnell, überraschend und konsequent angreifst, kannst du das vielleicht zu deinen Gunsten ausnutzen.“
Als nächster ist Ben dran. Er hat inzwischen eine Lizenz und darf für den Club kämpfen. Es dauert genau 40 Sekunden und er geht mit Schultersieg von der Matte.
So geht es weiter, mal gewinnen, mal verlieren wir. Zwei meiner vier noch folgenden Kämpf verliere und zwei gewinne ich. Einmal passe ich nicht auf und mein Gegner landet einen Schultersieg, beim zweiten Mal geht es 4 zu 5 gegen mich aus. Am Ende des Tages liegt unser Verein weit vorne. Und ich auf Platz 4 der Gesamtwertung meiner Gewichtsklasse. Ingo führt, Ben ist Zweiter und Marc dritter in den Ihren. Jochen grinst wie das berühmte frisch lackierte Schaukelpferd und hat eine fast schon unerträglich gute Laune.
„Ich hab’s gewusst, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe“ ruft er mir am Abend zu, als wir alle beisammen sitzen, ich hab’s gewusst, dass du das Zeug zu einem Superringer hast. Dreimal gewonnen und nur zweimal verloren UND den amtierenden Landesmeister besiegt Und das beim ersten Wettkampf. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.“
Um 9 Uhr schickt uns Jochen nach Hause „Und ab in die Kojen – keine Ausflüge heute, sonst werdet ihr mich kennen lernen.“
Im Bett bin ich tatsächlich um halb zehn. Zuerst versuche ich Stefan zu erreichen, aber er ist „dieses Wochenende weg und kommt erst Montags Abend wieder“ ich bin enttäuscht und auch eine wenig traurig. Ich hätte ihm so gerne von meinem Erfolg erzählt. Manfred ist auch nicht daheim. Er ist mit irgendwelchen Freunden unterwegs, wahrscheinlich im Alexander’s, nehme ich an. Das hab ich nun davon – zwei Freunde und keiner ist erreichbar.

Der zweite Tag
Heute sind es noch drei Kämpfe. Das Wiegen kostet mir fast alle Nerven. 75,8 kg – nachdem die Nadel schon über 76 hinausgeschossen war.
Wieder sind alle da – samt Transparent. Auch Chris hat eines gebastelt „DAVY ist der Champion“ – Ich hasse ihn dafür.
Mein erster Kampf ist eine klare Sache. Volle Zeit, aber mit technischer Überlegenheit gewonnen. Ich kann mich daran gewöhnen, dass der Kampfrichter meinen Arm hochreißt – es ist einfach saugeil.
Danach habe ich volle drei Stunden Pause. Ich darf aber die Halle nicht verlassen und es ist ziemlich heiß in der Halle heiß, also ziehe ich mir das Trikot vom Oberkörper und laufe halbnackt herum.
„Das sehe ich aber gar nicht gerne, wenn du so durch die Gegend läufst. Da werden ja alle Mädels ganz kopfscheu!“ Manfred steht vor mir und grinst. „nur die Mädels?“ frage ich ihn leise.
„Ich bin schon ganz narrisch nach dir, dass weißt du ja!“ gibt er genauso leise zur Antwort.
Ben, Marc und Ingo ziehen ihr Ding einfach durch und gewinnen fast alle ihre Kämpfe. Es ist wie beim Training – die Drei teilen sich die Spitze.
Ernst hat weniger Glück, er verliert alle Kämpfe, genauso wie Martin und alle anderen. Ich habe noch zwei Kämpfe vor mir und kurzen vor dem Ersten sagt Jochen zu mir „Ich möchte dich ja nicht drängen, aber ich hätte gerne, dass wir die Vereinswertung gewinnen.“
„Haben wir das nicht schon? Ich dachte, nur die ersten sechs Ringer werden gewertet und wir haben Platz eins, zwei, fünf und sechs.“
„offiziell ja, aber inoffiziell zählen wir alle Punkte zusammen, und da liegen wir nur mehr 2 Punkte vor dem nächsten!“
Ich verliere mit einem Punkt Unterschied, aber ich verliere.
Vor meinem letzten Kampf, haben wir Punktegleichstand mit unserem Verfolger.
Mein Gegner macht es mir nicht leicht, er ist mir technisch über, aber ich bin schneller und stärker.
Zur Pause liegen wir gleich auf, aber dann mache ich einen Fehler und muss in die Brücke gehen. Er versucht alles um die Brücke einzudrücken, damit er noch einen Schultersieg landen kann. Langsam verlassen mich die Kräfte und ich merke, und nicht mehr lange durchhalte. Es sind noch 40 Sekunden bis zum Ende des Kampfes. Ich setze alles auf eine Karte. Ich gebe die Brücke plötzlich auf und rolle mich über die Schultern ab, dass gibt zwar wieder Punkte für den Gegner, aber er ist dermaßen überrascht, dass ich einen Griff setzen und ihn in die Rückenlage und auf die Schultern bringe. 5 Sekunden vor Schlusspfiff bricht der Kampfrichter wegen Schultersieg ab.
Die Halle tobt! Marc und Ingo nehmen mich auf die Schultern und tragen mich so rund um die Matte.

Sie bleiben abrupt stehen und ich sehen den Kampfrichter streng zu mir heraufschauen.
„Wenn ich die Regeln ganz streng auslege, dann muss ich sie disqualifizieren, da sie die Matte verlassen haben, bevor das Ergebnis bekannt gegeben wurde. Sollte das Kampfgericht zustimmen, werde ich aber ein Auge zudrücken. Und jetzt runter von da oben!“
Er geht kurz zu den anderen Kampfrichtern, ist aber nach ein paar Sekunden wieder da. Er lässt sich sehr lange Zeit, bevor er meinen Arm hochhebt, dass scheint seine Art der Strafe zu sein.
Nun bricht die Hölle los. Alle wollen mir gratulieren. Jochen schiebt sich nach vorne „Mach das nie wieder! Hörst du. Ich habe fast einen Herzinfarkt bekommen!“
„Aber toll warst du!“ Zum ersten Mal umarmt er mich. Marc und Ingo heben mich wieder auf die Schultern und so geht’s an den Zuschauern vorbei, Richtung Umkleideräume. Vater und Maria applaudieren mir zu und zu meiner Verwunderung stehen bei Chris, der wieder sein dummes Plakat schwingt gut ein Dutzend Mädchen und intonieren mit ihm „Davy-Davy-Davy“ Chöre.
Meine Klasse ist überhaupt ausgerastet und pfeift und johlt und klatscht wie verrückt.
In der Endwertung bin ich nun Fünfter, bei mehr als sechzig angetretenen Ringern gar nicht so schlecht, finde ich. Marc und Ben sind punktegleich Erste, und Ingo Dritter – mit zwei Punkten Abstand.
Sonntag tut mir alles weh. Der Kopf vom Vorabend, denn wir haben ausgiebigst gefeiert, der Körper ist aber eine ganz andere Geschichte. Ich habe so viele blaue Flecken, dass ich sie gar nicht zählen kann. Jede Bewegung wird zur spannenden Angelegenheit, da ich nie weiß, wo wann welcher Schmerz in welcher Stärke zu Tage tritt.

Montag Abend telefoniere ich mit Stefan und erzähle ihm vom Wochenende.
Er ist richtig geknickt. „Echt schade, ich wäre so gerne bei deinem ersten Sieg dabei gewesen. Ich wäre ja fast schon zu Dir geflogen, aber ich musste mit meinen Eltern nach Paris. Da hat nichts geholfen!“
Ich vermisse dich ganz schrecklich Stefan!“
„Ja, ich dich auch – wir müssen uns unbedingt bald wieder sehen – sonst werd ich verrückt.“
„Du bist verrückt“
„Ich weiß“
„Was machst du denn im Oktober? Um genau zu sein, das Wochenende so um den 12. herum?“
„Da hab ich leider keine Zeit – Ich muss auf ein Turnier! Wenn ich nicht bald wieder antrete, zieht mir mein Trainer die Hammelbeine lang und ich verliere den Platz in der Mannschaft.“
„In Götzis?“
„Ja“
„Ich bin auch da!!“
„Aktiv?“
„Wie du willst, aktiv oder passiv“
„Sei nicht dumm, du weiß was ich meine. Außerdem hasse ich wenn du so was sagst. Ich weiß dann immer stundenlang nicht, wohin mit meinem Ständer“
„Oh – das wollen wir natürlich nicht, also wieder ernst. Ganz offiziell, ja ich nehme am Turnier teil.“
„Meine Güte – in welcher Gewichtsklasse denn ?“
„bis 76, aber ich habe immer größere Probleme das Gewicht unter 76 zu halten, ich werde wohl bald in die nächste Klasse aufsteigen“
„Bitte vor Götzis – sonst müssten wir vielleicht gegeneinander antreten! Und das könnte ich nicht.“
„Wieso nicht?“
„Spinnst du? Ich würde einen Ständer bekommen sobald ich dich nur am Rand der Matte sehe und ich würde nicht mit dir kämpfen, ich würde dich vernaschen.“
„Wäre doch mal was Neues! Die Gesichter würd ich aber schon gern sehen. Ich blase dir einen, du fickst mich – und das unter den Augen von was weiß ich wie vielen Zuschauern.“
„Scheiße“
„Was denn los?“
„Ist schon wieder so weit – Voll der Ständer.“
Ich lache – „dann lass uns doch was dagegen machen…“

Donnerstag – Training

Jochen kommt in die Halle – mit einem Wäschekorb. In diesem Korb liegen mindestens einige Dutzend Briefe, Postkarten und sogar einige Pakete.
Wortlos stellt er diesen Korb vor mich hin:
„Was ist das?“ frag ich
„Das ist deine Schuld“
„Aha – und woran bin ich schuld?!“
„Dass das Vereinssekretariat seit drei Tagen seine Zeit damit verbringt deine Post entgegen zu nehmen!“
Marc und Ingo prusten los.
„Meine Post? Hat sich da einer einen Scherz erlaubt? Was ist das überhaupt alles!“
„Das, mein junger Freund, ist der Preis des Ruhmes!“
„Hää?“
„Fanpost! Dein halbnackter Auftritt beim Turnier hat anscheinend alles was älter als 10, jünger als 70 und weiblich ist, naja bis auf eine Ausnahme weiblich, dazu veranlasst dir eine Liebeserklärung zu schicken!“ Jetzt prusten alle los und ich bekomme einen knallroten Schädel.
„Naja – so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Marc und Ingo haben das auch schon erlebt – und für die Beiden kommt auch immer wieder Post. Falls sich das nicht gibt, werden wir von dir wohl Autogrammkarten machen lassen müssen.“
„Ich bin begeistert“, sage ich mit wenig begeistertem Gesichtsausdruck.
„Wieso – andere wäre froh, wenn sie so viele weibliche Fans hätten!“
Ich trödle ein wenig beim Umziehen und so bin ich der letzte, der geht. Als ich aus der Halle gehen will, treffe ich noch mal Jochen. „Gut, dass ich dich noch alleine treffe. Es gibt noch ein oder zwei Dinge, dich mit dir besprechen will. Komm doch mal mit.“
Er führt mich in sein Büro, was im Normalfall nichts Gutes verheißt.
Er setzt sich in seinen Stuhl, der vor einem Schreibtisch steht, der von einem Ende bis zum anderen mit Papier voll geräumt ist. Die Wände sind mit Tabellen, Listen und Übersichten derart zu tapeziert, dass man die eigentlich beige Wand kaum noch sieht.
„Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden. Ich habe das hier bekommen“ er hält mir einen geöffneten Brief hin. Es ist ein Brief von meiner Mutter, in der sie dem Verein alles möglich an schrecklichen Dingen androht, sollte mir was passieren. Der Brief ist nicht nur konfus, er ist auch in einer schrecklichen Handschrift und mit unzähligen Rechtschreibfehlern verfasst.
„Was ist da los? Was hat das zu bedeuten?“
Jochen weiß nicht viel über die Angelegenheit und ich wollte die Geschichte auch nicht ausbreiten, aber nun muss ich ihm wohl alles erzählen. Er hört mir ruhig zu, stellt nur Fragen, wenn etwas nicht ganz klar ist und gibt sonst keinen Kommentar ab.
Nach einer halben Stunde bin ich mit meiner Geschichte fertig. Er sieht mich an „Ist das alles? Ist da noch was, was ich wissen sollte? Du müsstest eigentlich wissen, dass du über alles mit mir reden kannst. Ein Trainer ist wie Vater, Mutter und Beichtvater in einem.“
Ich atme tief ein, will schon sagen ‚Nein, da ist sonst nichts’ kann es aber nicht. Aus einem Grund, den ich mir nicht erklären kann, kann ich diesen Mann nicht anlügen. Aber ich hab keine Ahnung wie ich anfangen soll, so sitze ich nur da und kaue auf meiner Unterlippe herum.
„Gut ich will dir entgegen kommen. Als ich heute sagte ‚ andere wäre froh, wenn sie so viele weibliche Fans hätten’ war das nicht von ungefähr. Wie lange kennen wir uns jetzt? Über drei Jahre? Ich wäre ein miserabler Trainer, wenn ich euch Rasselbande nicht besser kennen würde, als ihr euch selbst. Ist es das? Gerade heraus gefragt, kann es sein, dass du schwul bist?“
Ich kann nichts mehr sagen, mir sitzt ein Riesenkloß im Hals, also nicke ich nur. Aber nur ganz leicht, dass man es auch ignorieren könnte wenn man wollte.
„Gut, nachdem wir das geklärt hätten, folgendes: Es ist mir scheißegal, was du mit wem machst, wenn du im Bett bist. Du bist ein Riesentalent und hast das Zeug zu einem großen Ringer. Ich will dich nicht als Ringer verlieren und auch persönlich würde es mir leid tun wenn sich unsere Wege trennen würden, denn ich halte auch als Mensch sehr viel von dir. Deswegen werde ich alles tun, um dir zu helfen. Hast du das verstanden?!“ Ich nicke wieder, aber diesmal deutlicher. Jochen fährt fort: „Und noch was: Hättest du mich angelogen, würdest du diesen Raum nicht als Mitglied unseres Vereins verlassen.“
Ich versuche den Kloß in meinem als runterzuschlucken, aber sitzt hartnäckig fest und will verschwinden.
„Aber“ setzt er fort und wird dabei sehr ernst „du musst dafür sorgen, dass da nichts nach außen dringt. Das muss ein Geheimnis bleiben. Der Verein kann sich sowas nicht leisten. Einige unsere Sponsoren würden sehr unangenehm reagieren. Und die Vereinsleitung auch.“ Ich sehe ihn erschrocken an.
„Um es ohne Trara zu sagen, wenn das rauskommt, dass du schwul bist, muss ich dich rausschmeißen und habe nie was davon gewusst! – Ist das klar?“
Ich nicke wieder ohne ein Wort zu sagen.
„Zu deinem Trost – ich führe dieses Gespräch hier nicht zum ersten – und wahrscheinlich auch nicht zum letzten Mal.“ Dann sieht er mich noch kurz an und fügt hinzu „Und ich kann doch davon ausgehen, dass du deine Hormone unter Kontrolle hast – bis jetzt hast du dir ja nichts anmerken lassen, also belassen wir es dabei.“
Es tröstet mich nicht sonderlich, aber ein wenig doch. Irgendwie fühle ich mich aber leichter nachdem das jetzt klar ist. Und es würde mich schon noch interessieren, mit wem er dieses Gespräch sonst noch geführt hat.
„Gut – zu dem Problem mit deiner Mutter. Ich werde mit unserem Rechtsanwalt reden, dass wird sich sicher regeln lassen, aber wir müssen mit deinem Vater reden.“ Er denkt kurz nach und beugt sich über seinen Schreibtisch „Wissen deine Eltern eigentlich Bescheid, was mit dir los ist?“
Ich fühle mich plötzlich ganz klein und furchtbar verlegen. „Nein ich hab noch nicht den Mut gehabt es ihnen zu sagen.“ kann ich nur kleinlaut von mir geben.
„naja – macht die Sache auch nicht leichter. Aber OK – wir werden das schon regeln. Unter einer Voraussetzung – du musst mir vertrauen – keine Geheimnisse mehr. OK?“
Beim Heimgehen versuche ich den ganzen Packen Fanpost in meine Sporttasche zu bekommen, was aber sinnlos ist, so lasse ich einen Teil in meinem Spind und packe nur ein paar Briefe auf Geratewohl und die Päckchen ein.
Auf dem Heimweg sind meine Gedanken kaum zu ordnen – Wieso hilft mir Jochen? Was hat er davon?
Ein kleiner Teufel in meinem Hinterkopf flüstert mir die bösartigste aller Vermutungen zu. Ich schiebe den Gedanken weit weg und verschließe ihn ganz fest in hintersten Winkel meines Gehirns.
DASS will ich einfach nicht glauben.

Meine Mutter ist zu Hause und ich rede sie wegen dem Brief an. Sie stellt sich dumm und will von nichts etwas wissen. Als ich nicht locker lasse bekommt sie einen ihrer gefürchteten Wutanfälle und droht, dass sie mich aus dem Verein nehmen wird und stößt die absurdesten Drohungen aus. Da Vater den Vereinsbeitrag zahlt und ich von ihm die Erlaubnis habe, kann sie, was den Verein angeht eigentlich überhaupt nichts machen. Ich sage ihr das, was dazu führt, dass sie endgültig ausrastet. Ich lass sie schreiend und tobend im Wohnzimmer stehen und gehe in mein Zimmer.
Dort lese ich mir die Fanbriefe durch die ich mitgenommen habe, während Mutter draußen laut zetert und schreit.
Irgendwann beruhigt sie sich, was derzeit leider nur bedeuten kann, dass sie eine Flasche Cognac aufgemacht hat.
Sobald ich achtzehn bin, ziehe ich aus!!
Die beiden Stoffbären, die ich bekommen habe, sind so süß, das ich sie auf meinem Bücherbord abstelle. Jetzt sind es schon drei, der von Stefan in der Mitte und die beiden anderen links und rechts davon.
Ich telefoniere noch mit Manfred und versuche auch Stefan zu erreichen, habe aber kein Glück. Manfred ist sauer, dass wir uns heute nicht sehen. Wir streiten fast. Eigentlich haben wir noch nie wirklich wegen so einer Bagatelle gestritten. Ist das gut oder schlecht? Ich weiß es nicht. Es war wieder einer der Tage, die man am liebsten vergessen würde.
Es ist schon wieder nach eins. Irgendwann wird sich mein Schlafdefizit bemerkbar machen. So geht es nicht weiter. Und morgen ist Mathetest und Biochemie Wiederholung, gelernt habe ich für beide nichts. Getrommelt und gepfiffen. Gute Nacht.


Freitag – Verein

Nichts besonderes – Ben trainiert mit mir Griffe bis zum Umfallen und dann muss ich gegen Marc antreten – was mir eine weitere Niederlage und ein paar blaue Flecken einträgt.

Alexander’s

Manfred und ich haben Zoff – wir halten uns zwar zurück und knurren uns gegenseitig an, wenn wir nebeneinander stehen, so dass die anderen nicht verstehen was wir sagen, aber sie bekommen es natürlich mit, dass es kracht.

„Wassn los?“ fragt Norbert mit schwerer Zunge „Ehestreit?“
„Idiot“ was Besseres fällt mir im Moment nicht ein.
Manfred hat ja Recht – aber das kann ich unmöglich zugeben. Ich mache mich nicht nur etwas rar sondern ganz ordentlich.
Wenn ich ihm die Wahrheit sagen würde, müsste ich auch alles über Stefan erzählen müssen und das ist undenkbar.
Verglichen mit dem was dann käme, wäre die jetzige Diskussion ein lauer Sommerwind im Gegensatz zu einem Hurrikan.
Angefangen hat es eigentlich damit, dass ich mich geweigert habe weiter mit Manfred Mathe zu lernen.
Wir haben zwanzig Minuten gelernt und eine Stunde Matratzensport betrieben. Vor ein paar Tagen habe ich Karin gebeten statt mir mit Manfred zu lernen, denn seit dem letzte Mathetest ist bei ihm Feuer am Dach und bei uns dicke Luft.
Schlimmer weise, ist es nicht der einzige Grund. Ich denke in letzter Zeit immer öfter an Stefan um umso öfter ich an ihn denke, umso mehr setze ich mich von Manfred ab. Nicht dass ich Manfred nicht mehr liebe, ganz im Gegenteil – ich genieße immer noch jede Minute, die wir haben, aber unser Verhältnis scheint sich seit ein paar Wochen abzukühlen. Manfred ist immer öfter schlecht drauf und will mir nicht sagen warum. Dass hat sicher dazu beigetragen, dass wir uns immer öfter streiten.
Ich habe, bis zu einem gewissen Grad, physischen Sex mit Manfred durch immer häufigeren Telefonsex mit Stefan eingetauscht. Scheißsituation.
Kaum sind wir aus dem Alexander’s draußen, geht es erst richtig los – wir werden sogar laut. Was ist das für eine blöde Situation ist das denn bitte? Wir stehen um halb zwölf Nachts auf der Straße und brüllen uns an. Muss ein tolles Bild für die Anrainer geben. Plötzlich sagt Manfred, dass er heimgehen will – alleine, dreht sich um und geht! Er lässt mich mitten auf der Straße wie einen Idioten stehen und verschwindet. Vor lauter Wut will ich auf irgendetwas einprügeln. Aber da nichts Annehmbares in der Nähe ist, trete ich gegen einen dieser Behälter mit Streusand, die am Straßenrand stehen und breche mir dabei fast einen Zeh.
Ich bin mir unschlüssig, ob ich ihm nachgehen soll, aber denke mir dann dass es besser ist, wenn ich ihn morgen anrufe, nachdem sich die Gemüter beruhigt haben.
Ich drehe mich um und gehe zurück ins Alexander’s – weit sind wir ja nicht gekommen.
Norbert und Markus sind noch da, die anderen haben sich schon verzogen. Markus ist müde und will auch heim und Norbert ist sturzbesoffen aber voll unternehmenslustig. „Scheiß drauf – wir gehen noch wohin was saufen – die Hütte da macht gleich dicht.“
Warum nicht – mir ist nun wirklich nicht nach schlafen gehen.
Wir ziehen also los, Richtung Innenstadt. Wir gehen bei der Börse vorbei und sehen, als wir die Brücke über dem tiefen Graben überqueren unten noch ein Lokal, bei dem die Türe offen ist und laute Musik herausdringt.
Vor dem Lokal stehen und sitzen ein paar Typen mit Mädels und quatschen oder schnappen einfach nur Luft.
„Schauen wir rein?“ Norbert hat sich in der frischen Luft sichtlich etwas erholt und klingt fast schon normal.
„Klar – Hauptsache Alkohol, aber wo geht’s da runter?“
Nach ein wenig suchen finden wir einen Abgang, der fast direkt zu dem Lokal führt.
Drin angekommen, verschlägt es mir den Atem. Es ist nicht sonderlich groß, aber pumpvoll – mehr Leute würden nur mit einem Schuhlöffel hineinpassen. Das Lokal ist in rotem Plüsch, Gold und schwarz gehalten, die Bar ist schräg gegenüber vom Eingang, halbrund und schwarz. Zuerst denke ich an ein Puff, aber dazu passt das Publikum nun überhaupt nicht. Lauter junge Leute, oder fast nur junge und – es sind fast nur Jungs und sehr wenige Mädels.
Norbert boxt mir mit dem Ellenbogen in die Rippen „Schau dir das an“ sagt er und zeigt verstohlen in eine Richtung. Dort, zwischen zwei Durchgängen gleich gegenüber der Bar, wo ein Durchgang in einen hinteren Bereich und einer nach unten führt, stehen zwei Jungs eng umschlungen und schmusen sich ab wie verrückt. Neben uns stehen zwei andere lässig an einen großen Spiegel gelehnt, der die ganze Wand vom Abgang bis zum Eingang reicht. Sie sind nicht mal unhübsch, total verschwitzt und halten je eine Flasche Bier in der Hand. Der eine grinst mich unverschämt an, während sich der andere zu ihm beugt und ihm irgendwas ins Ohr flüstert.
„Denkst du, was ich denke?“ fragt Norbert sichtlich leicht nervös und inzwischen vollkommen nüchtern.
„Ja – da gibt es wohl kaum einen Zweifel!“
„Ich will gehen!“
„Ich aber nicht – zumindest ein Bier will ich trinken. Und meine Blase ist auch zum Platzen voll.“
Norbert zögert und sieht sich um „OK – EIN Bier, aber wenn du mich länger als 5 Minuten hier alleine lässt, schrei ich um Hife!“
Wir kämpfen uns zur Bar durch und bestellen zwei Flaschen Bier. Um das Geld hätte man im Alexander’s einen Vollrausch finanzieren können, aber was soll’s.
Ich frage den Kellner wo es zu den Toiletten geht und er zeigt in den Durchgang, der in den hinteren Bereich führt. Ich verziehe mich in die Richtung und sehe gerade noch, wie der Kellner jemanden hinter mir angrinst und irgendwas sagt, was ich nicht verstehe. Der Gang zum Klo ist dunkel, was durch die schwarze Wandfarbe noch verstärkt wird. In einer Ecke stehen noch zwei Burschen und sind über das blanke Küssen anscheinend schon hinaus, jedenfalls versuchen sie sich gegenseitig in die Hosen zu fahren. Mir ist heiß und kalt, ich hatte ja keine Ahnung, dass es so was gibt. Das Klo ist proppenvoll und ich muss einige Minuten warten, bis eine Muschel frei wird. Ich stehe dort, habe gerade mein bestes Stück herausgeholt, als mir jemand auf den Hintern klopft. Vor Schreck mache ich mich fast nass.
„Hee – was soll das, spinnst du?“
„Ich konnte einfach nicht widerstehen – bei so einem netten Arsch muss man einfach hin greifen!“
Es ist der Typ, der mich vorher am Spiegel angegrinst hat. Er ist etwas kleiner als ich, blond, blauäugig, muskulös und sicher über zwanzig – sieht aber wirklich nicht schlecht aus. Er ist immer noch verschwitzt und das T-Shirt klebt an ihm. Ich muss zugeben, er gefällt mir, aber ich bin ziemlich sauer über die Art wie er mich angesprochen hat. „Lass das – OK? Das nächste Mal setzt es was.“
„OKOK – zickig auch noch!“ Er hebt beide Hände in Kopfhöhe und zeigt seine Handflächen – „Kommt nicht wieder vor.“. Er dreht sich um und geht. Inzwischen bin ich fertig, kann mir die Hände waschen und mich wieder Richtung Bar aufmachen. Die beiden Typen in der Ecke sind verschwunden, als ich dort vorbeikomme.
Kein Zweifel mehr möglich – es ist ein schwules Lokal. In meinem Bauch kribbelt es und meine Knie sind ganz weich. Früher dachte ich, ich bin der einzige, dem es so geht, bis ich zuerst Peter, dann Manfred und dann auch noch Stefan getroffen habe und selbst dann dachte ich, das muss man verstecken und es sind nur sehr wenige so wie ich. Aber hier sind es Dutzende, wer weiß, wie viele es wirklich sind. Hunderte ? Tausende ? Ich bin nicht alleine und ich muss mich hier nicht verstecken. Ein Teil von mir will sofort raus, ein anderer will bleiben – und dieser Teil ist stärker.
Ich finde Norbert, er hat sich in einer Ecke an die Wand gepresst, beide Biere in der Hand und einen fast schon panischen Gesichtsausdruck.
„Wo bist du denn gewesen? Ein Typ hat mir an die Hose gefasst! VORNE!!!!“
„Und mir auf den Hintern – also reg dich nicht auf“
„Dir gefällt das ja vielleicht.“
„Nicht so sonderlich – ich mag’s nicht von Fremden“
Wir stehen so, dass man in den Abgang sieht. „Wo geht es denn dorthin?“
„Der Musik nach in den Discobereich im Keller“
„Schauen wir mal runter?“
„Aber nur, wenn du dich nicht wieder verdrückst!“
„Versprochen, dass nächste mal wiesel ich dir an die Hose“ – ich muss grinsen und wir drücken uns durch die Menge und gehen die geschwungene Treppe hinunter, die für einen gerade breit genug, für zwei aber sicher zu schmal ist.
Unten ist es ähnlich wie oben. Viele Spiegel, viel roter Plüsch, schwarz und gold.
Die Tanzfläche verdient kaum den Namen, sie ist vielleicht sechs mal sechs Meter groß, aber gerammelt voll.
Ich schaue mich gerade um, als mich Norbert am Oberarm nimmt „Komm, gehen wir wieder. Ich glaub ist besser so“
Ich will gerade fragen warum, als ich Manfred auf der Tanzfläche sehe.
Manfred!
Er hat sein T-Shirt ausgezogen und hinten in die Hose gestopft. Und er tanzt nicht alleine. Ein Typ tanzt ihn an. Klein, dunkel fast zart sieht er aus. Und er tappscht Manfred ab. Er fährt mit seinen kleinen zarten Händen über den Oberkörper meines Freundes und greift ihm dann noch an die Hose.
„DAVY – nicht!“ Norbert hält mich an den Schultern fest. Ich wollte gerade, ohne dass ich es merke auf die Tanzfläche stürmen. In mir tobt ein Sturm, der mich droht fortzureißen. Mir schießen hundert Gedanken auf einmal durch den Kopf und meine Gefühle schlagen dutzende Purzelbäume gleichzeitig.
Ich werde plötzlich ganz ruhig – zumindest äußerlich, aber in zerbricht in diesem Moment etwas und es bleibt eine eiskalte Wut zurück. Ich gebe Norbert mein Bier „Halt das bitte mal. Ich gehen tanzen.“
„Sei doch nicht dumm, mach keinen Blödsinn bitte. Ich rede mit Manfred – Davy Bitte!!“ ruft Norbert noch, aber ich bin schon auf der Tanzfläche.
„Ich wird mich hüten, dich da rein zuziehen.“ Schrei ich ihm zu, aber ich habe keine Ahnung ob er mich versteht, jedenfalls macht er ein tot trauriges Gesicht und schüttelt den Kopf.
Dann ziehe ich mein T-Shirt aus und stecke es auch hinten in den Gürtel meiner Hose. ‚Was du kannst, kann ich schon lange’ denke ich mir und gehe auf die andere Seite der Tanzfläche und bleibe dort beim Klavier stehen. Manfred hat mich bisher nicht bemerkt – er ist ganz mit dem Zwerg beschäftigt, der jetzt auch noch beginnt, sich an Manfred’s Hose zu schaffen zu machen.
Etwas abseits steht wieder der Typ, der mich am Klo angemacht hat. Ich stelle mich neben ihn und beginne auch zu tanzen. Er bemerkt mich und dreht sich ganz zu mir. “Aber Hallo“ sagt er und schaut mich von oben bis unten an „Du solltest immer ohne Shirt herumlaufen.“
Ich tanze mit ihm, aber so, dass ich immer Manfred im Blick habe – er hat mir den Rücken zugedreht.
Ein paar Typen johlen und klatschen, als der Zwerg ihm den Gürtel aus der Hose zieht und wie eine Trophäe schwenkt während er sich im Kreis dreht. Manfreds Jeans sind soweit runtergerutscht, dass man seine Boxershorts sieht
Ich lass den Typen vor mir alleine weitertanzen und stelle mich jetzt keine zwei Meter hinter Manfred, verschränke die Arme und warte einfach was passiert. Manfred will sich jetzt anscheinend auch im Kreis drehen, er hat die Arme gehoben und macht so was Ähnliches wie Hüftkreisen, während die Lautsprecher ‚I am, what I am’ brüllen. Er macht eine Halbdrehung und bleibt wie vom Donner gerührt stehen. Wir stehen uns Aug in Aug gegenüber.
Ich stehe einfach nur da und sehe ihn an. Er sagt nichts, er bewegt sich nicht, aber ich sehe dass ihm Tränen in die Augen steigen, dann kommt der Zwerg wieder und greift ihm von hinten an die Brust. „Verpiss dich, du Missgeburt“ sage ich ganz ruhig. Ich bin mir nicht sicher, ob man das hört, aber er scheint die Botschaft verstanden zu haben und verschwindet eiligst in der Menge.
Ich schüttle den Kopf und gehe Richtung Ausgang. Als ich bei Norbert vorbei komme knurre ich noch „Gehe wir bitte!“
Am Weg nach oben ziehe ich mir mein T-Shirt an und stürme dann nach draußen. Norbert kann kaum Schritt halten, schafft es aber unsere Jacken zu organisieren, während ich schon die Treppe in Richtung Börse hinauflaufe.
Als ich oben bin höre ich wie von unten Manfred meinen Namen ruft.
Es ist sonst totenstill und ich höre noch, wie das Echo seiner Rufe in der Häuserschlucht verklingt, während ich vor Tränen fast blind weiterlaufe.
Später findet mich Norbert, wie ich in einem Hauseingang zusammengekauert sitze und heule wie ein Kind. In diesem Moment strömen alle Sorgen, all die Verzweiflung der letzten Zeit aus mir heraus. Alle Dämme, die ich mir mühsam gebaut habe sind fortgespült.
Es interessiert mich in diesem Moment nicht, wie oft oder warum Manfred in der Disco war, es ist mir auch vollkommen gleichgültig was er jetzt tut, ob er heimgeht, weitertanzt und mit dem Zwerg ins Bett geht – es ist mir scheißegal.
Norbert sagt nichts und tut nichts – außer mir die Jacke umzuhängen „du holst dir noch den Tod!“. Er ist einfach nur da, mehr kann er nicht tun und mehr kann ich auch nicht verlangen.
Lange Zeit später liege ich wach im Bett und starre die Decke an. Mir gehen alle möglichen Dinge durch den Kopf, nicht zuletzt das Lokal, in den sich das Ganze abgespielt hat. Ich spüre, dass sich dort eine ganz neue Welt auftun könnte. Eine aufregende, gefährliche Welt. Das Telefon habe ich ausgesteckt, obwohl es gar nicht geläutet hat.

Die Wochen danach ignoriere ich Manfred. Ich beachte ihn nicht in der Schule und wenn er anruft, lege ich auf. Ins Alexander’s gehe ich nicht und in der Diskothek unter der Brücke war ich auch nicht mehr. Mein Leben spielt sich zwischen zu Hause, Schule, Training ab und Telefonaten mit Stefan ab. Ich fühle nichts. Es ist kalt in meinem Inneren und in den ganz dunklen Momenten, erscheint mir sogar das angedrohte Gefängnis bei meiner Mutter verlockend, als Ausweg aus der ganzen beschissenen Situation.
Manfred leidet, ich kann es deutlich sehen, aber ich kann nicht zu ihm gehen und mit ihm reden, ich kann ihn nicht anrufen und ich kann nicht einmal seine Briefe lesen, die ungeöffnete auf meinem Schreibtisch liegen. Ich telefoniere natürlich mit Stefan, auch er hat Sorgen. Er muss zur deutschen Bundeswehr und hat deswegen Probleme mit seinem Studienplatz. Aber er will lieber zuerst seinen Wehrdienst ableisten und dann erst studieren. Mir dämmert, dass auch ich einmal einrücken werden muss. Und was mache ich nachher? Das Ringen ist nicht dazu geeignet seinen Lebensunterhalt zu verdienen und ich habe noch keine Ahnung, was ich nach der Matura machen soll/will. Maria, Markus und Norbert liegen mir täglich wegen Manfred in den Ohren. Ich habe seit zwei Wochen keinen Sex gehabt und kann mir aber nicht einmal einen runterholen.
Momentan ist mein Leben ein tiefes, dunkles Loch.

Anfang Oktober

Meine Nerven flattern wieder einmal. Am Donnerstag zu Mittag fahren wir nach Götzis, wo am Samstag das Turnier beginnt und ich Stefan wieder sehen werde, das heißt, falls ich noch fahre denn Mutter macht gewaltigen Stress, obwohl es sie eigentlich freuen müsste, dass ich in letzte Zeit so oft zu Hause bin.
Im Training geht es eigentlich ganz gut. Ich kann mein Hirn ausknipsen, wenn ich auf der Matte stehe und habe keine Probleme alles wegzuschalten. Hermann ist endlich wieder da. Er hat es ohne Training nicht ausgehalten. Er musste viermal zur OP und nachher einen Monat Reha machen. Jetzt fängt er wieder an zu trainieren. Ganz langsam zu Beginn, denn er muss erst wieder Muskeln aufbauen und sehr vorsichtig sein, da die Ärzte in seinem Knie ganz wüste Dinge angestellt haben. Er hat es zwar erklärt, aber ich wollte die Einzelheiten gar nicht so genau wissen. Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich nur daran denke. Ich verstehe mich ganz gut mit ihm, besser als ich zuerst vermute habe, dass sein könnte. Wir reden oft, auch wenn er eher der Zuhörer als der Erzähler ist. Nur wenn die Sprache auf sein zu Hause kommt, reagiert er seltsam. Er erzählt nichts, von daheim oder seinen Eltern. Ich weiß nicht einmal ob er Geschwister hat.
Mit Manfred ist es vorerst vorbei. Ich habe eingesehen, dass es so nicht weitergehen kann und wir haben uns zu einer Aussprache in einem Kaffee getroffen. Obwohl ‚Aussprache’ nicht ganz das richtige Wort ist. Er hat geredet, ich habe zugehört. Wie leid ihm nicht alles tut und das er mich nicht verlieren möchte, wie sehr er mich liebt, wie dreckig es ihm jetzt geht, dass er den Typen in der Disco vorher noch nie und nachher nie mehr gesehen hat und so weiter. Woher er das Lokal kennt, hat nicht wirklich gesagt. Er sei einmal, während ich in der Cote d’Azur war, an einem Abend dort hineingestolpert und bis zu jenem Abend nie mehr dort gewesen. Aber ich glaube ihm nicht wirklich.
Wir kommen überein, eine „Auszeit“ zu nehmen, damit wir feststellen können, wo jeder von uns steht. Eigentlich beschließe ich das. Manfred stimmt nur zu, weil er darin eine Chance sieht, dass er mich nicht ganz verliert. Wenn ich ihn so ansehe, merke ich, dass auch ich ihn schreckliche vermisse, aber es ist wohl mein Stolz, der nicht zulässt, dass ich das auch zugebe. Ich schaffe es bis nach Hause nicht zu weinen. Aber in meinem Zimmer ist es mit der Selbstbeherrschung vorbei.

Ich telefoniere jeden Tag mit Stefan, aber ich habe das Gefühl, dass auch er immer weiter weg ist.
Mir fällt wieder ein, was Maria gesagt hat: „wenn du dich nicht entscheidest, dann verlierst du vielleicht Beide!“ Ich höre bei Stefan natürlich durch, dass er sich darüber freut, dass ich sozusagen frei bin, aber er will es sich nicht anmerken lassen. Ich werde nicht ganz schlau aus ihm. Er scheint keine Eifersucht und keinen Neid zu kennen, aber kann er dann auch Gefühle wie Liebe, Freundschaft oder auch nur Zuneigung haben? Obwohl er mir immer wieder sagt, dass er mich liebt und es auch zeigt oder merken lässt, bin ich vollkommen unsicher, was ihn anlangt. Maria meint, dass es eine Art Selbstschutz von Stefan ist, mit dem er sich vor zu großem Schmerz abkapselt. Ich denke über das was er mir bezüglich Gregory erzählt hat nach und denke, dass sie wohl recht haben wird. Aber wie soll das nun weitergehen?! Hab ich Manfred wegen Stefan den Laufpass gegeben? Und wenn ja, wie soll das werden? Er in Frankfurt, ich in Wien, beide in der Schule oder Uni. Wir können uns allerhöchstens drei-, vielleicht viermal im Jahr auf ein paar Tage oder vielleicht Wochen sehen. Kann das genug sein? Soll ich nach Deutschland ziehen? Wenn ja, wie könnte ich dort leben, ohne Geld, ohne Beruf oder Unterkunft, denn eines ist klar, ich werde mich nicht von ihm aushalten lassen – egal wie viel Geld seine Eltern haben?! Ich muss mal mit Maria darüber reden – und mit Stefan, sobald ich ihn in Götzis sehe!

Donnerstag, 9. Oktober

Was soll ich über diesen Tag sagen?

Vater bringt mich zum Vereinsgebäude – wir sind spät, denn wir sind im Stau stecken geblieben eigentlich hätte der Bus vor zehn Minuten abfahren sollen.
Jochen war gestern mindestens so nervös wie ich. „Wir warten solange wir können – ok? Mach uns nicht unglücklich!“ Es war bis gestern nicht klar gewesen, dass ich meiner Mutter noch das Einverständnis für die Fahrt würde abringen können.
Ich bitte Paps vor dem Parkplatz stehen zu bleiben, denn ich sehe das Heck des Busses hinter der nächstgelegenen Ecke hervorschauen. Ich verabschiede mich von Paps, schnappe meine zwei Taschen und schaue um die Ecke. Dort steht Jochen, mit unserem Masseur Herbert, dem Hilfstrainer und mit Marc, Ben und Ingo.
„Wir können nicht mehr warten, sonst kommen wir mitten in der Nacht an und die Jungs müssen schlafen!“ höre ich Herbert sagen.
„Du hast Recht – anscheinend hat er es nicht geschafft. Scheiße, dabei war er so zuversichtlich!“
Ich biege um die Ecke „Ihr solltet mich nicht zu schnell abschreiben und außerdem – Totgesagte leben länger!“
„Mir fällt ein Stein vom Herzen! Schnell, steig ein wir müssen los!“ Jochen sieht wirklich erleichtert aus und im Bus ist ebenfalls ein großes Hallo als, ich einsteige.
Der Busfahrer ist zwar die Ruhe selbst, fährt aber wie die berühmte gesengte Sau und nach nicht ganz acht Stunden kommen wir in Götzis an! Es ist kurz vor neun Uhr und bis wir unsere Quartiere bezogen haben, ist es zehn vorbei. Ich sehe Stefan an diesem Abend nicht mehr, weiß nicht einmal, wo er untergebracht ist oder ob er schon angereist ist.

Tagwache um 6 Uhr, Frühsport, Frühstück und Besichtigung der Wettkampfstätten und danach frei, am Nachmittag leichtes Training - so steht es zumindest am Plan für diesen Freitag.
Im Großen und Ganzen läuft es auch so ab. Es ist jetzt zehn Uhr durch, wir haben uns gerade die Halle, die Umkleide- und die Nassbereiche angesehen und ich habe noch immer keine Spur von Stefan gesehen. Langsam frage ich mich, ob er überhaupt hier ist oder ob er kommt.
Nach dem Mittagessen gehen zurück in unsere Unterkunft. Ich möchte mich vor dem Training ein wenig hinlegen und lesen, denn sonst renne ich sicher die ganze Zeit durch den Ort ob ich nicht zufällig Stefan treffe.
Unser Hotel ist eine Mischung aus Familienpension, Schihütte und Jugendherberge. Es ist nicht besonders luxuriös, aber adrett und sauber – auch wenn die Duschen auf der anderen Seite des Ganges liegen und für alle, die hier untergebracht wurden, auch viel zu wenige sind. Wir liegen zu viert in unserem Zimmer. Ernst, Hermann, Martin und ich. Martin hat groß ‚MEFD’ mit Kreide auf unsere Zimmertür geschrieben, was auch immer er damit bezwecken wollte. Es ist so gegen zwei und ich bin allein am Zimmer, liege auf dem Bett und lese ein Buch über berühmte Ringer - alle anderen sind irgendwo im Ort unterwegs und wollte erst gegen vier wieder da sein, bevor wir zum Training gehen, als es klopft.
„Ja – immer nur herein, wenn’s kein Schneider ist“ sage ich und schaue gar nicht von meinem Buch auf.
Ich höre die Türe quietschen, dann ein Weilchen nichts mehr.
„Hey – ich such `nen Partner zum Joggen! Haste Lust?“
Stefan steht in der Tür, lässig an den Rahmen gelehnt und grinst mich an.
Als er mein Gesicht sieht, macht er hinter sich die Türe zu. Ich weiß nicht wie ich vom Bett hochgekommen bin, aber ich stehe plötzlich vor ihm und wir fallen uns in die Arme.
Ich drücke ihn gegen die Wand, während wir uns wild abküssen, bis uns die Luft ausgeht. Jeden Moment könnte einer bei der Tür hereinkommen, aber jetzt ist es mir vollkommen egal – ich bin bei Stefan – alles andere ist mir gleichgültig.
„hee – nicht auffressen – brauch noch alles an mir“ lacht Stefan und hält meinen Kopf zwischen seinen Hände. „Ich habe dich schrecklich vermisst Kleiner. Oh – so willst du ja nicht genannt werden. Sorry. Los komm mit!“
„Was ? Wohin denn?“
„Ich habe ein Doppelzimmer und mein Zimmerkollege kommt erst um 6 mit dem Zug an!“
Da habe ich keine Einwände – und wenn ich welche hätte, würde ich nichts sagen!
Wir stürmen durch den Gang, die Treppen hinaus und in ein Zimmer gleich beim Stiegenaufgang.
Wir versuchen in 45 Minuten die letzten drei Monate nachzuholen, was zwar ein sinnloses Unterfangen ist, aber wir geben unser Bestes.
Danach liegen wir erschöpft auf einem der beiden Betten, ich sehe mich ein wenig um. Nichts besonderes zu sehen, zwei Betten, ein Schrank, eine Art Schreibtisch, zwei Sessel und über der Tür eine altmodische Uhr, die sicher aus den 50er Jahren stammt. Sie zeigt 16:05.
Ich fahre auf und springe in meine Klamotten. “Scheiße – seit fünf Minuten habe ich Training – Jochen erwürgt mich, reißt mich in kleine Fetzen und trampelt auf dem Rest herum!“
Stefan lacht „Reicht dir das nicht als Training, was wir zwei machen?“
„Besser als alles andere, aber ich muss weg!“
„Klar! Verstehe ich, aber küss mich noch mal schnell!“
Ich stürme die Treppen hinunter, und renne Richtung Halle. Jochen macht zwar Stress, nimmt aber meine Erklärung, dass ich Joggen war und die Zeit übersehen habe, brummend zur Kenntnis. Verschwitzt bin ich ja, aber wenn er wüsste wovon…
Nach dem Training ist Abendessen und danach treffe ich mich wieder mit Stefan. Sein Zimmerkamerad ist jetzt auch da. Ist zwar ungefähr so alt wie ich, aber mindestens drei Gewichtsklassen unter mir. Er scheint nur aus Haut und Knochen zu bestehen. „Hi – ik bin de Moritz!“ sagt er in schwerem Berliner Dialekt.
Stefan und ich ziehen ab – Joggen. Zum Glück will Moritz nicht mitlaufen, ich wüsste nicht, welche Ausrede uns eingefallen wäre ihn davon abzubringen.
Wir laufen aus dem Haus, in die Hügel hinein und damit in den Wald. Nach ca. 2 km wird es langsam dunkel. Als wäre es das Signal gewesen, bleiben wir beide stehen und starren uns an. Ich weiß nicht was passiert ist, aber in dieser doch schon recht kühlen Oktobernacht treiben wir es wie zwei Ertrinkende, die nach Luft schnappen. Verzweifelt, glücklich, wild, zärtlich, fordernd und gebend. So war es noch nie – die Welt existiert nicht, nur wir beide sind real, alles andere ist Illusion.
Nach Stunden, Tagen, Jahren? kommen wir wieder zur Besinnung. Wir liegen nackt im kalten Gras und schauen in den klaren, dunkeln Himmel. Daheim sieht man nur ein paar Sterne, die hellsten am Himmel. Hier ist der Himmel von Sternen übersät. Zu viele, als dass man sie zählen könnte. Ich liege mit dem Kopf auf Stefans Arm und merke, dass er zu zittern beginnt. Auch mir wird langsam kalt. „Komm, wir müssen zurück – sonst holen wir uns noch eine Lungenentzündung.“
Ich sage nichts, sondern nicke nur.
Wir laufen ganz locker Richtung Haus, als Stefan plötzlich meint. Ich hab mein Problem mit dem Bund gelöst.“
„Aha - Und wie?“
„Ich studiere auswärts!“
„Wie auswärts?“
„Nicht in Deutschland!“
„Und wo willst du studieren? Wie weit wirst du denn weggehen?“ Ich habe Angst, dass er irgendwo weit ins Ausland geht, weiter als er jetzt schon weg ist.
„Hmmm – rate Mal!“
„Komm schon – ich sterb vor Neugier!“
„Ok – ich habe mich an der Wirtschaftsuni eingeschrieben!“
„Und welcher? Komm schon – mach’s nicht so spannend!!!!“ ruf ich schon ziemlich sauer. Ich mag es nicht, wenn man mich so auf die Folter spannt.
„Bei dir!“
Ich bleibe stehen. „WAS!?“
„Kleiner, du musst jetzt sehr tapfer sein: ich ziehe nach Wien– zumindest für die nächsten Jahre!“
Ich bleibe wie angewurzelt stehen.
„Du verarscht mich!“
„Nööö – alles schon geritzt, Wohnung hab ich auch schon.“
„und .. und wann?“
„Ab Montag in einer Woche – da beginnt das Semester!“
„Und du hast kein Wort gesagt!“ flüstere ich.
„Ich hab’s dir versprochen, weißt du noch? Und es sollte auch ne Überraschung werden.“
„IST ES AUCH – JUCHUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUU!“
Ich werfe mich ihm an den Hals – und küsse ihn wie verrückt.
„Heute ist Weihnachten, Ostern und Geburtstag auf einmal.“
“Weißt du wie sehr es mich glücklich macht, wenn du glücklich bist?!“
„Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt und lasse dich nie mehr los.“
„Ich liebe dich auch mein Kleiner, mehr als ich sagen kann!“ dabei streicht er mir die Haare aus der Stirn, die mir in Strähnen bis fast zu den Augen hängen. „Aber eines musst du mir versprechen!“ sagt er und hebt dabei den Zeigefinger vor mein Gesicht.
„Alles was du willst!“
„Lass dir die Haare schneiden, die Frisur steht dir gar nicht!“
Lachend nehmen wir uns an den Händen und gehen zurück zu unserer Unterkunft.
Dies ist der schönste Moment in meinem Leben. Ich kann mir nicht vorstellen in der Zukunft glücklicher zu sein als in diesem Moment. Alle Sorgen, alle Gedanken über die Zukunft sind weg, fort geblasen durch den besten Menschen, den man nur treffen kann.

Zehn Minuten später sind wir wieder im Haus – und jeder muss wieder zu seinen Leuten. Aber heute bin ich glücklich, glücklich wie noch nie.

Erster Wettkampftag.
Wiegen – es war ja klar – 77,5 Kg – ich bin unwiderruflich in der nächsten Gewichtsklasse. In der von Stefan. Jochen meint, er hat mich ja sowieso schon in dieser Klasse gemeldet. Seit zwei Wochen hat er die Hoffnung aufgegeben, dass ich wieder unter die 76 falle.
Einmarsch in die Halle, es sind elf Vereine aus sechs Ländern mit insgesamt 132 Ringern. Da es nur vier Matten gibt, zieht es sich lange dahin, bis man drankommt.
Ich habe meinen ersten Kampf erst in einer Stunden und so versuche ich mich warm zu halten und schaue mich in der Halle um, damit ich einen Eindruck gewinne, wie viele Österreicher hier sind und wie stark die Unterstützung aus dem Publikum sein wird, mit der wir rechnen können. Also sehe mich um und versuche, die Leute in Bezug auf ihre Herkunft einzuschätzen. Dann trifft mich der Schlag. In der siebenten oder achten Reihe steht eine Gruppe und schwenkt ein Transparent auf dem groß und deutlich steht: „Die HBLV 17 grüßt ihren Champ DAVID.“
Sie sind fast alle da – fast die ganze Klasse. Dann sehe ich auch Chris, Maria und Paps bei der Gruppe stehen. Es ist mir extrem peinlich, aber die sind alle fast 700 km eine Strecke gefahren, um mich kämpfen zu sehen. Das verschlimmert das mein Lampenfieber noch um eine Kategorie, als ob es nicht so schon schlimm genug wäre.
Und dann sehe ich Manfred. Er steht neben Maria und sieht aus, wie das sprichwörtliche Häufchen Unglück – es will mir das Herz zerreißen. Gerade jetzt, wo Stefan – MEIN Stefan - mehr oder weniger zu mir zieht. Und in diesem Moment werde ich auch noch zu meinem ersten Kampf aufgerufen. Mein Gegner ist so am oberen Ende der Gewichtsklasse, wie ich am unteren und sieht respekteinflößend aus. So handle ich mir zuerst eine Verwarnung wegen Passivität ein. Jochen ruft mir vom Mattenrand zu „Ran an ihn – aus der Distanz hast du keine Chance.“
Ich hab nur eine Möglichkeit: Seine Beine. Und wirklich gelingt es mir eines seiner Beine zu erwischen und in der Bewegung einen Hebel anzubringen. In der Pause liege ich 5 zu 3 vorne.
Irgendwie überstehe ich die zweite Hälfte und gewinne noch 6 zu 5. Haarscharf, aber doch.
Jochen ist zufrieden, ich auch und mein Fanclub jubelt.
Den zweiten Kampf verliere ich glatt mit 8 zu 2. Der Typ ist einfach technisch besser als ich und auch wesentlich erfahrener.
Von meinen sieben Kämpfen verliere ich drei und gewinne vier. Ich überstehe damit den ersten Tag und kann auch morgen wieder antreten.
Jochen ist trotzdem hochzufrieden, als wir in die Umkleidekabine gehen. Marc und Ingo kommen gerade aus der Dusche, als ich hineingehe. In der Dusche ist die Hölle los – es wuseln ca. 25 Ringer herum und versuchen einen Platz unter einer der ca. 20 Duschen zu ergattern und Stefan ist auch da. Ich drehe meine Dusche die ich ergattern kann, auf kalt – sehr kalt, sonst wird es außer peinlich nur peinlich. Stefan merkt es uns grinst mich mit seine geilsten Grinser an – und trotz dem kalten Wasser muss ich meine ganz Selbstbeherrschung zusammen nehmen. Wirklich hilft mir nur, dass ich mir unsere Mathelehrerin vorstelle. Fr. Brauer ist erstens eine Frau und zweitens nicht gerade eine Zierde ihres Geschlechts. Sie hätte sogar Casanova zu Erektionsstörungen verholfen.

Vor der Halle wartet mein ganz persönlicher „Fanclub“ auf mich. Inklusive Paps, Chris und Maria.
Und Manfred. Was zu einer recht seltsamen Situation führt. Ich komme mit Stefan lachend und scherzend aus der Halle, denn wir sind wirklich gut drauf, warum auch nicht?
Manfred sieht vollkommen verstört aus der Wäsche, Maria eher sauer und Paps kommt voller Stolz auf mich zu, umarmt mich und gratuliert mir, so wie die anderen meiner Klasse. Die Einzigen, die sich zurückhalten sind Markus und Norbert, die natürlich wissen was los ist. Manfred wirft mir einen bittenden Blick zu, fast schon flehend, aber ich tue so, als würde ich es nicht bemerken.
Die Clique will mit mir am Abend fortgehen, wobei ich aber noch nicht weiß, ob sich das auch machen lassen wird. Morgen ist immerhin wieder Wettkampftag und Jochen wird wie ein Drachen über uns wachen, dass wir ja zeitig ins Bett gehen.
Aber wir schaffen es am Abend doch noch, in einem Lokal ein paar Plätze zu ergattern. Es ist alles oberflächliche Plauderei und wenig bis nichts sagendes Geschwafel, aber jeder will mit mir reden. Stefan und ich wollten uns eigentlich treffen, aber ich kann hier nicht weg und bei meinen Freunden nicht einfach so tun, als wären sie nicht da. Manfred geht mir seltsamer Weise jetzt aus dem Weg. Nach einem Weilchen, muss ich mal aufs Klo und am Rückweg fängt mich Maria ab. „Komm, gehen wir an die Bar was trinken.“ Wir stellen uns an die Bar, die ziemlich leer ist.
„Wie ich sehe ist Stefan auch da – war das geplant?“
„Geplant ? Blödsinn – er ist genauso von seinem Verein hierher geschickt worden, wie ich von meinem. Reiner Zufall!“
„Ist es auch Zufall, dass er gerade jetzt bei uns zu studieren beginnt und keine 20 Gehminuten von uns eine Wohnung bezieht? Das er extra deshalb von Deutschland hierher zieht? Erzähl mir nicht, du hast das nicht gewusst!“
„Ich weiß es auch erst seit gestern – glaub mir! Er hat mir vorher kein Sterbenswörtchen davon erzählt. Sollte eine Überraschung sein. Woher weißt du eigentlich davon?“
„Mein Vater hat es mir erzählt und der weiß es von Stefans Vater. Und was ist jetzt mit Manfred!“
Ich kann nicht antworten – mir fällt nichts ein, also zucke ich mit den Schultern.
Maria fährt fort „Wie soll es da weitergehen?“
„Wie meinst du das?“
„Ich hab auf der Herfahrt lange mit Manfred geredet. Er hat mir erzählt, was los ist.“
„Gut, dann weißt du ja, dass es vorbei ist.“
Sie runzelt die Stirn „Vorbei? So hat er es nicht gesagt, er redet von einer Beziehungspause!“
Scheiße – so hatten wir das nicht ausgemacht.
„Wir haben uns getrennt, um jeder für sich darüber nachzudenken, was das alles für einen Sinn hat! Bis dahin liegt alles auf Eis.“
„Und wie lange soll das dauern?“
„Ich glaube, ich weiß was ich will.“ Ich sage das und schaue in mein Glas, als ob es dort was Interessantes zu sehen gäbe, nur damit ich Maria nicht ansehen muss.
„Stefan?“ fragt Maria.
„Ja!“ und während ich ihr, ohne lange nachzudenken, die Antwort gebe, ist es glasklar, dass es genau das ist, was ich will und nichts anderes. Ich will Stefan. Punkt!
Maria sagt lange nichts.
„Dann musst du es Manfred sagen.“
„Ich weiß. Aber ich habe Angst davor.“
„Versteh ich, Junior, aber da musst du durch!“
„Na, schon wieder Geheimgespräche?“ fragt Paps, der in diesem Moment dazu tritt.
„Was gibt es denn Geheimnisvolles?“ will er wissen.
„Hmm – das Gefühlsleben eines 17 jährigen. Da ist nichts Geheimnisvolles dabei – es weiß jeder, dass es da kein Durchblicken gibt!“ sagt Maria und lächelt. Paps lacht und klopft mir auf die Schulter. „Weißt du eigentlich wie stolz ich auf dich bin?“
Ich wusste es bis dahin nicht, aber ich werde rot. Ich freue mich darüber wie der berühmte Schneekönig.
Es ist neun Uhr durch und ich muss zurück ins Quartier. Vorher treffe ich mich noch kurz mit Stefan draußen vor der Pension und nach ein paar langen Küssen geht`s dann ab in die Heia.

Der zweite Wettkampftag.
Um sechs holt uns Jochen aus den Federn und macht noch vor dem Frühstück einen kleinen Waldlauf.
Nach dem Frühstück geht es ab in die Halle.
Ich kontrolliere die Pairingliste und stelle erleichtert fest, das ich erstens ‚nur’ fünf Kämpfe den ganzen Tag habe und zweitens nicht gegen Stefan antreten muss, aber Ben muss gegen ihn ran. Da bin ich schon gespannt.
Mein erster Kampf endet durch Verletzung. Mein Gegner landet nach einem Wurf von mir blöd auf der Seite und hat zu allem Überfluss die eigene Faust unter sich. Ich höre das Knacken und sein Aufstöhnen. Rippenbruch – für ihn ist das Turnier zu Ende.
Beim zweiten Kampf erwischt es mich. Mein Gegner ist ein Schweizer, dunkel, leicht 10 cm kleiner als ich, aber ein Bär. Er erwischt mich mit einem Klammergriff, wobei sein linker Arm zwischen meinen Oberschenkeln durchgreift und sein rechter über meine Hüfte geht. Normalerweise unangenehm, weil man sich schwer befreien kann und der Gegner damit einen guten Ansatz für einen Hebel hat, aber nicht schmerzhaft. Diesmal schon. Er hat meine Eier eingeklemmt und reißt auch noch heftig an, um seinen Hebel richtig rüberzubringen. In diesem Moment wird mir schwarz vor Augen, ich höre einen Schrei und merke zuerst nicht, dass ich das war. Es ist, als hätte mir jemand die Eier mit einer Kneifzange zusammengequetscht. Der Kampfrichter pfeift zwar sofort ab, aber ich krümme mich am Boden und vor Schmerzen rinnen mir die Tränen herunter. Mein ganzer Unterleib scheint in flüssiges Blei eingetaucht zu sein. Ich bekomme nur halb mit, wie zuerst Jochen bei mir steht und dann die Sanitäter auftauchen, die mich in einen Erste Hilfe Bereich bringen, der vom Rest der Halle abgetrennt ist.
Wie durch einen Nebel bekomme ich mit, dass mir jemand das Trikot aus- und die Jocks herunterzieht.
„Hmmm – damit ist ja wohl klar, was mit dem Ausdruck ‚dicke Eier haben’ gemeint ist.“, sagt jemand.
Die Sanis klatschen mir Kühlpacks auf die Schwellung und irgendjemand meint noch, dass es „toll wäre jetzt einen Fotoapparat dabei zu haben, denn so was sieht man ja nicht alle Tage!“.
Nach einer Stunde kann ich wieder normal atmen und habe mich aufgesetzt. Vater ist da und Maria auch. Jochen kommt herein und fragt wie es mir geht. Eigentlich fühle ich mich wieder ganz gut.
„Wie geht’s dir denn Junge?“
„Geht eigentlich wieder. Mein nächster Kampf ist in zwanzig Minuten – ich werd dann wieder rausgehen!“
Jochen legt den Kopf schief und sieht mich an „Ok, dann steh mal auf.“
Ich will locker aufstehen, aber in dem Moment sticht mir jemand mit einem Skalpell in den Unterbauch – zumindest glaube ich das. Ich kann nur ganz gebückt stehen und gehen ist eine Qual.
„Woher hast du das gewusst?“ frage ich Jochen
„Weil mir schon das Selbe passiert ist – woher denn wohl sonst? Vergiss es, dass du heute noch mal auf die Matte gehst. No Chance.“
Ich will protestieren, als ich aber in Jochens Gesicht schaue, wird mein Protest immer leiser und endet in einem undeutlichen Gemurmel. Ich sehe, dass es keinen Sinn hat, mit ihm darüber zu diskutieren. Hermann und Ernst helfen mir in die Umkleidekabine, als wäre ich hundert.
In der Umkleide hockt Stefan und hat einen dicken Verband um sein Knie.
„Was ist denn dir passiert?“
„Ich hab gesehen, wie sie dich fortgebracht haben und hab nicht aufgepasst. Hab’s wohl überdehnt.“
„Scheiße“ ich mache wohl ein ziemlich unglückliches Gesicht, denn er fast mich an der Schulter „Nich’ so schlimm – hab das schon öfter gehabt. Wird schon wieder. Wie geht’s deinen …?“
„Als hätte jemand versucht sie aufzuschlagen und zu braten.“
Stefan lacht, Paps schaut auch wieder zuversichtlicher drein, aber irgendwie sieht er Stefan und mich etwas seltsam an. Paps und Maria begleiten Stefan und mich zurück ins Quartier.
„Danke, dass du dich so um meinen Sohn kümmerst!“ sagt Paps auf einmal zu Stefan. „Ich weiß ja, dass ihr euch in Frankreich ziemlich gut angefreundet habt.“
Er sagt das ohne einen Unterton, aber Stefan und ich sehen uns an und tauschen fragende Blicke.
Es ist erst Mittag. In der Halle geht der Wettkampf weiter und ich will mir nachmittags die Finale ansehen. Ben und Ingo sind ziemlich weit vorne und wenn ich schon selber nichts tun kann, dann wenigstens meinen Leuten moralische Unterstützung zukommen lassen.
Ein Sportarzt kommt auf vorbei und will uns untersuchen – er wurde von den Veranstaltern geschickt „Das mag ich nicht besonders, wenn ich meinen Patienten hinterherlaufen muss.“ schnauzt er Stefan und mich an „Sie hätten ruhig in der Halle bleiben können, wo ich ja auch eigentlich hingehöre!“.
„Würden sie bitte das Zimmer verlassen? Alle! Außer den beiden jungen Genies hier will ich keinen sehen!“ scheucht er die anderen hinaus.
„So und jetzt legen sie sich aufs Bett und lassen Sie vorher die Hosen runter!“
Ich schaue Stefan an, der Arzt sieht den Blick deutet ihn aber falsch.
„Soll er auch gehen?“
„nöö – er kann ruhig bleiben, wenn er den Anblick verkraftet!“ sage ich cool. Stefan grinst und ich lege mich gehorsam hin, während der Arzt mich untersucht. Er mag zwar sonst ein Rüpel sein, hat aber goldene Hände. Er ist sanft und verursacht nicht mehr Schmerzen als unbedingt notwendig.
„Ganz schön heftig, was Ihnen da passiert ist. Ist aber weniger schlimm als es aussieht. Ernstlich verletzt dürften sie nicht sein!“
Während der Arzt mich untersucht steht Stefan schräg hinter ihm und sieht sich die Bescherung an. Er sieht richtig besorgt aus. Ich liebe ihn unglaublich.
Dann darf ich mich wieder anziehen. „Wenn es morgen Abend nicht abgeklungen ist, dann gehen sie zu Ihrem Arzt und lassen das noch mal anschauen!“ Er gibt mir ein paar Pillen „Gegen die Schmerzen. Mindestens zwei Tage kein Sport und keine Anstrengungen und keine irgendwie geartete sexuelle Betätigung. Verstanden junger Mann?“
Jetzt sieht Stefan wirklich traurig aus!
„Ja, Hr. Doktor!“
„Ok – und jetzt Sie!“ sagt er zu Stefan. Er nimmt den Verband ab und ich sehe, dass das Knie richtig dick aussieht und er untersucht es. Hin und wieder sehe ich Stefan die Zähne zusammenbeißen, wenn er an bestimmten Stellen drückt.
„Tjaa – da kann ich nicht viel tun, außer Ihnen dringend zu Empfehlen, das ansehen zu lassen. Am liebsten würde ich sie ins hiesige Spital für eine radiologische Untersuchung einweisen. Ich tippe auf ein eingerissenes Band, möglicherweise ist auch der Knorpel beschädigt.“
„Nee – kommt nich in Frage!“
„Wie sie meinen, aber ich werde noch mit Ihrem Trainer sprechen – er hat hier das letzte Wort!“
„Fragt sich nur, wer das sein wird?“ murmelt Stefan. Ich schau ihn fragend an, aber reagiert nicht.
Dann geht der Arzt und schickt meinen Vater und Maria wieder herein.
„Na wie geht’s meinen Helden? Irgendwelche anstehenden Amputationen?“ scherzt Maria.
„Ha – ha – ha“ sagen Stefan und ich gleichzeitig, schauen uns an und prusten los.
„Freut mich, dass es euch wieder einigermaßen geht!“ sagt Paps und er wirkt erleichtert, will aber sichtlich noch was sagen, weiß aber anscheinend nicht, wie er anfangen soll.
Maria gibt ihm ein Zeichen, was wohl bedeuten soll, dass er weiter machen kann.
„Da wir hier nun alleine sind, sollte ich die Gelegenheit nutzen, um noch was anderes anzusprechen.“ Paps windet sich sichtlich, er scheint nach Worten zu suchen.
„Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Begonnen hat es damit, dass mich die Telefonrechnungen stutzig gemacht haben. Zuerst dauernd Frankreich und dann fast jeden Tag Frankfurt. Dann war ich mit Marias Vater essen und er hat mir gesagt, dass Stefan an der hiesigen Wirtschaftsuni zu studieren beginnt und das er sogar schon eine Wohnung in Wien hat, die seltsamer Weise fast bei uns ums Eck liegt. Irgendwie sind da ein paar Dinge an den richtigen Platz gefallen. Vorgestern habe ich dann Maria deshalb angesprochen. Sie hat zwar nichts gesagt, aber sie konnte mich auch nicht anlügen als ich sie unter Druck gesetzt habe. Ich gebe zu, es war nicht die wirklich feine Art, aber was sollte ich denn machen? Ich muss auch zugeben, dass ich deswegen zuerst ziemlich schockiert war. Ich hatte keine Ahnung wie ich darauf reagieren soll. Es war Maria, die mir klar gemacht hat, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt. Ich kann es akzeptieren und das Beste aus der Situation machen, oder ich kann mich dagegen stemmen und das Risiko eingehen dich zu verlieren. Dass es keine anderen Optionen gibt, hat sie mir sehr deutlich gemacht.“
Ich schaue zu Stefan, der vollkommen ruhig auf dem Bett sitzt und nur sein Gesicht zeigt mir, wie beunruhigt er ist. In meinen Ohren rauscht es und ich fasse es nicht. Paps weiß Bescheid – so viel ist klar.
„Ich will dir keine Vorwürfe machen – wirklich nicht, oder dir irgendetwas über Moral und so weiter erzählen. Ich will dir, nein, eigentlich euch nur klarmachen, dass ihr euch da für einen steinigen Weg entschieden habt. Sollte es aber so sein, dass ihr euch dazu entschieden habt, dann werde ich helfen, so gut ich kann. Es ist euer Leben und ihr müsst das Beste daraus machen.“
‚Euch entschieden habt‘ – als würde man eines Tages aufwachen und beschließen, so ab jetzt bin ich schwul. Ich will gerade antworten, als Paps fortfährt:
„Ich werde sogar noch mehr sagen. Was auch immer deine Mutter sagt, oder wie sehr sie auch toben mag. In meinem Haus ist immer Platz für euch, falls es mal nötig sein sollte, oder ihr mich besuchen wollt!“
Ich glaube schlecht zu hören, mir wird schummrig und es ist, als ob ich jeden Kontakt zu jeder festen Oberfläche verloren habe.
Wieder schaue ich Stefan an, der mindestens so fassungslos ist wie ich und mich einem vollkommen blöden Gesichtsausdruck ebenfalls anstarrt.
Ich bin vollkommen sprachlos. Ich versuche irgendwas zu sagen, aber es kommt nur Gestammel heraus. Mein Gesicht muss derart dumm aussehen, dass Maria laut zu lachen anfängt, sogar Paps muss schmunzeln. „Du darfst ruhig was sagen.“, sagt er und lächelt mich an.
„Ich .. Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll. Meinst du dass wirklich ernst, Paps? Du würdest Stefan und mich akzeptieren, obwohl du weißt, dass wir…, dass wir mehr als nur Freunde sind?“
Er greift nach meine Hand „Glaub mir, dass fällt mir nicht leicht, aber ich denke, dass ist der Beste Weg! Außerdem denke ich, wenn du Stefan um dich hast … wenn du das wirklich willst und es das ist, was dich glücklich macht, bin ich auch glücklich. Und das ist mir immer noch am Wichtigsten, dass meine Kinder glücklich sind. Außerdem bist du noch minderjährig und Stefan nicht mehr. Das würde helfen einen Haufen Probleme, die sich vielleicht ergeben könnten, gleich im Vorhinein abzufangen.“
„Stefan?“ ich drehe mich zu ihm um und sehe ihn an.
„Ich bin vollkommen paff! Sie sind echt ein Hammer!“
„Und? Nehmen sie das Angebot an?“
„Ich.. ich .“ Stefan sieht mich an, nimmt meine Hand, sieht wohl das Flehen in meinen Augen und sagt „Ja, ich nehme es an!“
Ich falle Paps um den Hals, er fällt fast hinten über und sein Knie trifft mich genau dort, wo heute schon einer versucht hat mich zum Eunuchen zu machen. Mir pfeift wieder die Luft aus den Lungen und wieder liege ich am Boden und krümme mich vor Schmerzen.
„DAVY – tut mir echt leid. Tut es sehr weh? Verflucht, was bin ungeschickt!“
Ich höre Maria lachen. „Tut mir leid Davy, aber das war zu komisch.“
Später liege ich auf meinem Bett und denke über alles nach. Paps hat mich in den letzten Monaten vollkommen überrascht, aber was er jetzt abgezogen hat ist unglaublich. Überhaupt ist es irre, wie sich mein Leben die letzten Monate verändert hat.
Noch viel später sind wir dann alleine.
Stefan sitzt am Bettrand und streicht mir die Haare aus dem Gesicht. „Bist du glücklich?“
„Und wiiiieeeee!“ strahle ich ihn an. „und du?“
„Ja, mein Schatz – wenn du glücklich bist, bin ich es auch!“
„Irgendwie klingst du nicht sehr froh.“
„Dein Vater hat etwas angeschnitten, an das ich noch gar nicht gedacht habe“
„Und das wäre?“
„Seit zwei Monaten bin ich 18. Und du wirst erst in etwas weniger als einem Jahr volljährig.“
„und? Wo ist das Problem?“
„Laut eurem Recht kann ich deswegen ins Gefängnis gehen, wenn mich jemand anzeigt!“
„Blödsinn, wer sollte dich anzeigen? Vater bestimmt nicht – Maria und Chris auch nicht!“
„Und deine Mutter? Und Manfred? Die Sache zwischen euch ist doch sichtlich noch nicht ausgestanden!“
„Was wird das? Willst du mich bis zu meinem achtzehntem Geburtstag stehen lassen?“ mir steigen Tränen in die Augen.
„Nein, wirklich nicht! Ich sage nur, dass wir SEHR vorsichtig sein müssen.“
In diesem Moment klopft es an der Tür. Stefan kann gerade noch rechtzeitig aufstehen, bevor sie aufgeht und Jochen mit einem Typen, den ich noch nie gesehen habe hereinkommt. „Hallo Manni“ sagt Stefan. Manni heißt eigentlich Manfred und ist Stefans Trainer. Er macht den Eindruck eines Stiers in der Arena. Kurz vor dem Angriff.
„Hmm – eigentlich wollten wir mit Stefan alleine reden – aber was soll’s, du kannst das auch ruhig hören.“ sagt Jochen und sieht ziemlich ernst drein, was ich bis jetzt nur selten bei ihm bemerkt habe.

„OK – Stefan, ist das wahr? Du gehst nach Wien?“ fängt Manni ziemlich direkt an und man merkt, dass er ziemlich wütend ist.
Die Diskussion scheint Stefan ziemlich unangenehm zu sein. „Jau – ich muss – wegen dem Studium.“
„Und du glaubst nicht, dass es vielleicht angebracht gewesen wäre DEINEN ARSCH IN MEIN BÜRO ZU SCHIEBEN UND MIR DAS ZU SAGEN?“ Manni schreit ziemlich laut, was mir wiederum ziemlich peinlich ist.
„Trainer – ich hätte es dir am Montag gesagt – kein Grund herum zu krakeelen!“
„Du kleine miese Ratte, hattest aber den Mut, dich schon vorher wegen eines Vereins in Wien schlau zu machen – oder nicht?“
Daran hatte ich noch gar nicht gedacht – würde Stefan hier auch Ringen? Und das vielleicht sogar bei uns im Verein? Ich schlucke.
„Aber woher weißt du…?“
„Denkst du denn, die Trainer kennen sich nicht? Da gibt’s ein richtiges Netzwerk. Wenn ein Talent wie du den Verein wechselt, dann reden die Trainer – dass kannste glauben! Das ist Jochen, er ist der Cheftrainer für die Ligamannschaften in dem Verein, den du kontaktiert hast.“ Manni schnaubt immer noch vor Wut, hat sich aber Momentan im Griff.
„Jochen hat mich vorher angesprochen und ich stand wie’n Idiot da, weil ich nichts davon gewusst habe!“
„Stefan“, fängt Jochen an, „ich muss zugeben, dass sich jeder Verein nach Ringern wie dir die Finger abschlecken würde, aber dass… - puhh dass ist schon stark – muss ich zugeben.“
„Wollen sie mich jetzt deshalb nicht aufnehmen?“ fragt Stefan und schaut Jochen ziemlich unsicher an.
„Das ist noch nicht raus – aber es muss dir klar sein, dass das keinen guten Eindruck macht, wie du deinen Verein hier behandelt hast! Aber vielleicht kannst du das ja erklären?“
Stefan sieht mich Hilfe suchend an, aber ich weiß nicht, wie ich ihm helfen könnte.
Jochen bemerkt den Blick und ich erkenne, wie er plötzlich versteht. Auch wenn er die genauen Zusammenhänge nicht kennt, weiß er doch so ungefähr was gespielt wird. Er runzelt die Stirn, sagt aber nichts.
Stefan versucht irgendwie zu erklären, was passiert ist, redet von der hektischen Zeit nach dem Abi, von Stress wegen Studium, der Suche nach einer Wohnung, von den Problemen mit dem Bund und davon, dass er zwar mit Manni reden wollte, aber keine Gelegenheit dazu gehabt hatte, Es klingt zwar einigermaßen wüst, ergibt aber alles in allem doch Sinn, wenn auch nicht sehr viel.
Manni hört sich das Ganze an und dreht sich dann um Richtung Türe. Beim Rausgehen sagt er noch „Montags holst du dein Zeug aus der Vereinshalle, gib deine Lizenz und anderen Vereinsunterlagen im Sekretariat ab und verschwinde danach! Ich werde dir woanders keine Steine in den Weg legen, aber der Weg zurück zu unserem Verein ist für dich zu!“ Damit knallt er die Türe hinter sich zu und lässt Jochen, Stefan und mich alleine im Zimmer stehen. Jochen setzt sich auf einen der beiden Stühle und sieht uns lange an. Stefan ist blass und kaut an seiner Unterlippe.
„Woher kennt ihr euch eigentlich? Ihr habt euch ja sicher nicht gestern zum Ersten Mal gesehen!“
„Ich war mit Freunden im Sommer in Frankreich – bei Freunden von deren Vater. Stefan ist der Sohn dieses Freundes.“
Jochen schaut uns wieder lange an. „Soll ich ihm einen Platz im Verein beschaffen? Dir ist schon klar, dass er sicher im A-Team wäre und das er damit einem von euch den Platz wegnehmen würde.“
Ich nicke heftig. „Das wäre super – ich meine für den Verein – er wäre doch toll, als Verstärkung mein ich und wir könnten sicher alle was von ihm lernen …“
Jochen sagt nichts, bis meinem Plädoyer die Luft ausgeht. „Ist das der einzige Grund?“
Ich erinnere mich wieder an mein Gespräch mit Jochen, das schon so lange her zu sein scheint.
„Du hast mir mal gesagt, ich soll dich nicht anzulügen. Dass werde ich nicht tun. Nein, es ist nicht der einzige Grund…ich…ich habe ihn sehr gern und es wäre toll ihn in meiner Nähe zu haben!“
Stefan reißt die Augen auf und starrt mich entsetzt an.
Ich werfe ihm einen Blick zu, der heißen soll „Mach dir keine Sorgen – ich weiß schon was ich tue!“
„Gut, wenn du mich angelogen hättest, würde ich ihn nicht nehmen, so gut er auch ist, denn dann hätte ich nicht gewusst, ob ich ihm trauen kann. Da du ihm traust, will ich es nun auch tun, wenn ich euch nun ein Versprechen abfordere werdet ihr es einhalten? Ihr werdet nichts tun, oder sagen was den Verein irgendwie in ein schlechtes Licht rückt. Versprecht ihr das, dann ist die Angelegenheit hiermit geregelt.“
Er sieht uns auffordernd an
„Ich verspreche es!“ sage ich
„Ich verspreche es auch!“ gibt Stefan gleich nachher von sich.
„Gut – Hand drauf!“
Nachdem Jochen gegangen ist, dreht sich Stefan zu mir um und sagt: „Weißt du eigentlich, was du für ein Riesenglück hast?“
„Glück? Na klar, weil ich dich habe!!“
„Das auch, mein Dummerchen“ sagt er und grinst „Nein, weil du von so großartigen Menschen umgeben bist, die zu dir stehen und dich respektieren, so wie du bist! Ist bei Gott nicht überall so.“
„Wie meinst du das?“
„Ich habe da meine ganz eigenen Erfahrungen – glaub mir…“
„Schatz, was ist denn?“
„Nichts, was nicht warten könnte, dass ich es dir erzähle…“ Er steht auf und geht zur Tür, schließt ab und dreht sich um.
„Was wird denn das?“
„Jetzt werd ich dich gesund machen! Stefan’s Spezialtherapie“
Küssen geht, aber mehr auch schon nicht, so sehr sich Stefan auch bemüht die Schmerzen sind immer noch zu stark, sobald er an gewisse Stellen greift. So liegen wir eng aneinander gekuschelt und alles ist gut, so wie es sein soll. Am Abend ist die Abschlussveranstaltung. Stefan und ich humpeln gemeinsam hin. Sein Wechsel dürfte sich schon herumgesprochen haben, denn seine Leute sind ziemlich ruhig, während unsere uns mit einem großen Hallo begrüßen. Da auch Fans und Angehörige dabei sind, werde ich von meinen Freunden umringt, von den Mädels kommt hirnrissiges Gekicher und von den Jungs gutmütiger Spott. Irgendwann hab ich genug und geh mal raus vor die Türe.
Draußen ist es milder als gestern, nicht so beißend kalt. Ich gehe die Veranda entlang und sehe auf einmal Stefan, wie er an der Brüstung lehnt und in die Nacht hinaus schaut.
„Na, mein Schatz, was suchst du da unten?“ frag ich ihn.
„Die Antwort, womit ich das alles verdient habe vielleicht?“
„Wer, wenn nicht du?“
Er nimmt mich in den Arm und ich drücke mich an ihn.
„Ich liebe dich so sehr – ich werde dich nie mehr hergeben – bis in den Tod nicht!“ flüstert er mir leise ins Ohr und ich merke, dass seine Stimme zittert.
Von Richtung Eingang hören wir wie Stefan gerufen wird. Es scheint Manni zu sein. Wir lösen uns voneinander und Stefan küsst mich noch mal und läuft dann Richtung Eingang. „Komme!“ ruft er noch und ist weg.
Ich bleibe noch stehen und schaue in die Nacht hinaus.
„Ist er schuld, dass du mich hast stehen lassen?“ höre ich auf einmal aus dem Dunkel rechts von mir. Dann löst sich eine Gestalt aus der Finsternis.
„Nein, Manfred – ist er nicht. Er hat damit nichts zu tun.“
„Und das soll ich dir glauben?“
„Ach glaub doch was du willst“ sage ich und will gehen, aber Manfred hält mich am Arm fest.
„Du glaubst anscheinend wirklich, ich bin völlig verblödet. Du redest im Schlaf mein Bester und ich wollt schon immer wissen, wer dieser Stefan ist, wenn du schon seinen Namen im Schlaf flüsterst!“
„Manfred – er hat wirklich nichts mit uns zu tun – das warst schon du, in der Disco“
„Ist dir doch sehr recht gewesen oder? Wenn’s nicht die Gelegenheit gewesen wäre, dann eine andere. Davy ich liebe dich doch – ich wollt dich nie verlieren!“
Ich kann nicht sofort was sagen und es dauert den Frosch im Hals loszuwerden.
„Ich wollte dich auch nie verlieren – aber es ist passiert – irgendwie hab ich dich verloren. Du warst immer weiter weg, ohne dass ich weiß warum!“
„Wie lange kennst du Stefan schon?“
Warum weiß ich nicht, aber ich will schon sagen ‚mein ganzes Leben’ und wie mir der Gedanke durch den Kopf schießt, weiß ich auf einmal, dass es wahr ist. Es ist als ob ich ihn schon mein ganzes Leben kennen würde.
Stattdessen sage ich nur „Lange genug!“
Manfred schweigt lange. Auf einmal holt er sich Zigaretten aus einer Tasche und zündet sich eine an.
„Wahrscheinlich will ich’s gar nicht wissen…“ sagt er leise und nimmt einen tiefen Zug von der Zigarette.
„Seit wann rauchst du denn?“
„Seit ich in der Nacht nicht mehr weiß, was ich mit meinen Händen tun soll! Ist immer noch besser, als auf Wände einzuprügeln.“
„Es wird dich umbringen!“
„Und? Wer fragt danach?“
„Manfred - Bitte sei nicht so – es hat mit uns nicht sein sollen, aber ich will doch weiter dein Freund sein. Soll alles so vorbei sein?“
„Mein Freund!“ er lacht bitter – „hab ich mir auch schon gedacht. Aber es tut jedes Mal so weh, wenn ich dich nur anschau und ich könnte auszucken, wenn du mit einem anderen Typen redest. Ich werd sogar narrisch, wenn du dich auf der Matte mit deinen Gegnern herum prügelst. Du warst der erste Mann, den ich geküsst hab und der erste und bisher auch Einzige mit dem ich ins Bett gegangen bin. Glaubst du wirklich, ich kann das so wegstecken? Freunde? Nein, nicht im Moment – ich kann das nicht! Vielleicht später einmal.“
Er nimmt einen tiefen Zug von der Zigarette und schnippt den Rest in die Dunkelheit, wo sie wie ein Glühwürmchen irgendwo im Gras verschwindet.
„Ist aber auch egal- Ich sag dir eins – Ich werd nichts tun was dir weh tut, weil ich liebe dich noch immer! Daran wird sich nie was ändern.“ Damit dreht er sich um und geht.
„Manfred!“ rufe ich ihm nach, so will ich ihn nicht gehen lassen, aber er ist schon um die Ecke und ich höre wie kurz die Musik lauter und dann wieder leiser wird, als er die Türe öffnet und hinter sich zumacht.
Ich hole noch mal tief Luft und gehe auch wieder zurück. Dort lassen sie gerade Ben hochleben. Er hat den zweiten Platz gemacht und den ersten nur um 2 Punkte verpasst. Marc ist vierter und die schlechte Serie von Ingo hat sich fortgesetzt. Er ist nur 15.
Jochen ist zufrieden – der Verein ist in der Gesamtwertung 3. geworden, trotz der Ausfälle.
Ich kann mich kaum von Stefan verabschieden – sein Club fährt schon am Abend weg.
Montag fahren wir die acht Stunden retour nach Hause. Im Bus ist es ruhig, die meisten dösen vor sich hin oder haben einen Walkman und dröhnen sich die Ohren voll. Ich sitze in der letzten Reihe und höre mir Queen an - „We are the champions“. Auf einmal tippt mich jemand an die Schulter, ich mach die Augen auf und sehe Ben vor mir.
„Hi – was liegt an?“ frag ich und nehm die Kopfhörer ab. Ben hört sichtlich noch Freddy Mercury sein „We are the champions“ schmettern und lächelt. „Wie passend! Gefällt dir Queen?“
„Jau – schon ziemlich! Mercury hat eine irre Stimme.“
„für ne Tunte nicht schlecht – stimmt!“ Oha – gefährliches Terrain und die Frage ob Ben schwul sein könnte lässt sich hiermit wohl eindeutig und endgültig mit nein beantworten. Tunte – was für ein grausiger Ausdruck.
„Du warst echt gut gestern und vorgestern!“
„Gibt’s Punkte für die beste Vorstellung nach dem Eierquetscher?“ frag ich.
Ben lacht „Ne, wahrscheinlich nicht, aber da warste auch nich schlecht. Ich mein aber vorher.“
Was wird denn das? Ich sehe in abwartend an und schau mal was noch kommt.
„Ich hab mit Jochen geredet, er meint du brauchst eine Art Spezialtraining – so was wie Einzelbetreuung. Vor allem an der Technik musst du noch einiges machen.“
„Und was heißt das?“
„Ich werde wahrscheinlich nicht mehr allzu lange im Ringsport bleiben. Meine Mutter will sich ein Geschäft aufbauen und ich werd da wohl einsteigen müssen. Da bleibt dann nicht mehr viel Zeit fürs Ringen über! Aber bis dahin, möchte ich mich nützlich machen. Zum Beispiel, indem ich dir was beibringe.“
„Du hörst auf? Du bist doch unser bester Mann!“
„Noch ist es nicht so weit – und fix ist nix.“
„und wie soll das mit dem Privattraining aussehen?“
„Zwei Mal die Woche zwei Stunden – nur wir beide!“
Ich fühl mich, als bekäme ich einen Schüttelfrost. Ben und ich – zwei Stunden auf der Matte. Vor vier Monaten hätte ich noch alles dafür getan, aber jetzt? Irgendwie freu ich mich, und irgendwie ist es so, als sollte ich mich davor fürchten. Meine Schwärmerei für Ben ist vorbei – denke ich zumindest.
War das überhaupt ich, der vor gut einem Jahr schweißgebadet aufgewacht ist und seinen Namen gerufen hat? Ich weiß zwar, dass ich es war, kann es mir aber irgendwie nicht mehr vorstellen.
Seit dem gibt es Stefan – und gab es Manfred.
„Da is noch was.“
„Ja – noch eine Art Privatbetreuung?“ höre ich mich sagen und frag mich dabei ob ich komplett verrückt geworden bin.
„Was? Nö – ist wegen dem Neuen“
„Welchen Neuen?“
„Jochen hat uns gestern gesagt, dass ein Freund von dir von Frankfurt nach Wien wechselt und bei uns anfängt. Wer ist denn das?“
„Ahso – hab ich gar nicht mitbekommen, dass er das schon gesagt hat!“
„Du warst gerade nicht da!“
Das muss wohl während der Zeit auf der Veranda gewesen sein.
„Also – wer ist es?“
„Stefan, Stefan Hohenburg“
„WAS?“ Ben wirbelt herum, als wäre von einer Tarantel gestochen worden. Ein paar der Jungs vor uns schauen auf, lümmeln sich aber wieder in ihre Sitze, als nichts weiter passiert.
„Wieso? Was ist denn, kennst du ihn?“
„Kennen? Ohja – und wie!“
„Hattet ihr Zoff?“
„Zoff? Nein – nicht wirklich – waren eher Probleme zwischen ihm und meiner Schwester. Ich kam eigentlich ganz gut mit ihm aus“
„Schlimm?“
„Frag meine Schwester. Die ist schwanger von ihm!“
Ich werde blass.
„Wieso .. ich meine wann und …“
„Wieso? Ich hoffe doch nicht, dass man dir erklären muss wieso ein junges Mädchen schwanger wird!“
„SO hab ich es nicht gemeint – ich hab nur nichts davon gewusst!“
„Er wohl auch nicht – ist abgehauen, bevor Isabella es gewusst hat – irgendwohin nach Frankreich. Hat vorher noch mir ihr Schluß gemacht!“
„Und was ist jetzt mit ihr?“
„Unsere Eltern wollten sie zwingen es abtreiben zu lassen. Sie wollte aber nicht. Seitdem war zu Hause die Gacke am dampfen. War auch ein Grund, weshalb unsere Eltern geschieden und wir hier in Wien sind.“
„Scheiße!“
„Das kannste laut sagen“
„Ich hoffe... ich mein, du wirst doch deshalb mit Stefan keinen Krieg anfangen?“
„ich weiß nicht – er weiß ja nichts davon. Zuerst wollte ich wochenlang ihm nur in die Fresse hauen, aber dann hab ich irgendwann mal nachgedacht. Er hat ja nichts gewusst und niemand wollte ihm was sagen – und ich hab ja nicht gewusst wo er war. Hat ja keine Chance gehabt zu reagieren. Dicke Freunde werden wir wahrscheinlich keine werden, aber ich wart mal ab – glaub ich.“
„Ich bin mir sicher, er hätte sie nicht stehen lassen, wenn er das gewusst hätte!“
„Glaub ich auch nich – kenn ihn zwar nich so gut wie du es anscheinend tust, aber dafür gut genug.“
Was sollte das denn jetzt wieder heißen? Ich sehe und höre wohl schon Gespenster.

Dienstag in der Schule war so wie immer. Geschichtetest, Rückgabe der Matheschularbeit und Turnstunde. Manfred und ich weichen uns nicht mehr aus, aber wir reden kaum mehr als das Notwendigste.
Norbert hat sich in Götzis anscheinend verliebt – er redet dauernd davon, bald wieder hinzufahren, weil die ‚Gegend so schön ist!’ ha ha ha .
Am Abend ruft Stefan an. Er hat alles klar gemacht und kommt am Freitag in Wien an. Sein Gepäck ist schon unterwegs.

Beim Training verkündet Jochen, das er die Trainingseinheiten umstellen wird. Er wird mehr Einzeltraining machen lassen und nur mehr zu Beginn der Einheiten das ganze Team beisammen haben wollen.
Dann verkündet er, wer mit wem wann Einzeltraining machen wird.
Marc bekommt Ernst, Ingo Manfred, Hermann Martin und ich Ben. Laut Jochen sollen die Stärkeren die Schwächern, die an sich schon ganz gut sind, noch weiter nach vorne ziehen. Den Rest des Teams nimmt er sich weiter selbst zur Brust und auf Grund der Erfolge der letzten Zeit bekommen wir auch einen Co-Trainer. Er heißt Florian. Florian ist vielleicht Ende Zwanzig – für mich also uralt und war früher in der obersten Gewichtsklasse aktiv. Dementsprechend sieht er auch aus: Ein Berg von einem Mann, mehr dick als muskulös und dicke Hände.
Florian soll die Einzeltrainings beaufsichtigen. Jochen hat für jedes Pairing genaue Pläne ausgearbeitet, die dem Schwächeren vorwärts bringen sollen. Damit die Stärkeren nicht abbauen, werden die mindestens einmal pro Woche in eigenen Trainingseinheiten zusammengesteckt.
So geht es dann die restliche Woche dahin.
Ben und ich üben hauptsächlich Griffe. Mindestens eine Stunde denselben Griff. Es ist voll öde, aber ich merke, wie er mir langsam in Fleisch und Blut übergeht.
Florian macht sich gut an diesem ersten Tag. Er meckert nicht herum, er erklärt immer ganz ruhig, was falsch ist und wie man es besser machen kann.
Hermann hat neuerdings eine Freundin, zumindest holt ihn seit einigen Tagen immer das gleiche, hübsche Mädchen vom Training ab und dann ziehen die Beiden Händchen haltend davon.
Freitagabends fahren Paps und ich zum Flughafen – ich kann vor Aufregung kaum ruhig sitzen.
Wir kommen in die Empfangshalle, wo die Passagiere aussteigen und sein Flug steht da bereits auf ‚gelandet’.
Keine zwanzig Minuten später kommt ER aus dem gesicherten Bereich und wir fallen uns in die Arme.
Paps tritt nervös von einem Fuß auf den anderen und wird erst ruhiger, als wir wieder im Wagen sitzen und über die Autobahn Richtung Wien fahren.
Stefan und ich reden ununterbrochen, als hätten wir uns Wochen nicht gesehen. Später dann sind wir in Stefans Wohnung. Sie ist nicht sehr groß, aber gemütlich und das Gepäck und ein Haufen Umzugskisten sind auch schon da. Chris und Maria sind auch dazu gestoßen und helfen beim Auspacken, beim Einräumen und gegen ein Uhr sind wir fertig. Paps ist schon vorher heimgefahren – er hat morgen eine wichtige Sitzung und muss noch was arbeiten. Chris fährt mit ihm.
Wir sitzen in einer total gemütlichen Ledercouch und sind ziemlich fertig.
„Und was machen wir mit dem angebrochenen Abend?“ fragt Maria.
Ich schaue Stefan an und sehe, was er eigentlich will, aber er sagt „irgendwo noch gemütlich was trinken wäre nett – ich hab ja noch nichts im Kühlschrank.“
Ich muss zugeben, dass mir die Idee gefällt, also ziehen wir los und setzen uns in ein kleines Cafe gleich um die Ecke, bestellen uns ein Bier und plaudern mit Maria noch eine Stunde.
Dann steht sie plötzlich auf „Ich glaub, ich muss heim – bin total müde.“ Ich will noch was sagen, aber sie unterbricht mich „Ich fahr jetzt, da ist das Geld für meine Zeche.“ Damit wirft sie zwei Scheine auf den Tisch. Sie zwinkert uns zu, gibt mir einen Kuss auf die Stirn und verschwindet aus der Eingangstür.
Stefan und ich schauen uns an und nicken beide nur. Stefan nimmt vom Cafe noch eine Flasche Rotwein mit und wir gehen Richtung seiner Wohnung. Sie liegt im 4. Stock und schon im Aufzug fallen wir fast übereinander her. Stefan bringt kaum den Schlüssel ins Schloss und als er die Tür endlich offen hat, fallen wir fast in das Vorzimmer. Irgendwo nagt die Geschichte in meinem Hinterkopf, die mir Ben von Stefan und seiner Schwester erzählt hat. Ich überlege kurz, ob ich das nicht erwähnen soll, aber dann sehe ich Stefan vor mir, wie er sich gerade sein Hemd über den Kopf hinweg auszieht und ich vergesse den Gedanken sofort wieder – dafür ist später auch noch Zeit. „Gehen wir duschen?“ frag ich ihn leise.
Er gibt mir keine Antwort sondern zieht mich an meinem Sweater Richtung Bad.
Wir lassen unsere Klamotten so wie wir uns in Richtung Bad bewegen und gegenseitig ausziehen Stück für Stück fallen, wo wir gerade sind, so dass wir eine Spur aus Kleidungstücken hinterlassen.
In der Dusche dreht Stefan das Wasser auf, drückt mich gegen die Kachelwand und gleitet mit seiner Zunge über meine Nippel. Ich hab das noch nie so bemerkt, aber das Gefühl ist irre.
Seit wir in den Aufzug gestiegen sind, steht mein Schwanz wie ein Eins und langsam beginnt es fast schon weh zu tun. Stefan kniet sich nieder und ehe ich was sagen kann, fühle ich wie es warm um meine Eichel wird. Ich fühle dass gleich alles zu spät ist und will ihn wegdrücken, aber er packt mich an den Arschbacken drückt meinen Schwanz so tief rein, wie noch nie und in dem Moment explodiere ich. Schwer atmend lehne ich immer noch an der Wand, während Stefan wieder hochkommt und mich ansieht. „Na das ging aber flott heute – schmeckt aber guuut.“
„Na warte“ sag ich, drücke ihn gegen die Wand und beginne ihm einen zu Blasen. Er jammert und stöhnt, aber immer wenn ich glaube, es ist gleich soweit höre ich kurz auf. Dann habe ich aber doch Mitleid mit ihm und mach ihn so richtig fertig. Stefan stöhnt so laut, dass es fast ein Schrei ist und kommt, kommt immer wieder, so dass ich schon glaube es hört nie mehr auf und ich mit dem Schlucken fast nicht mehr nachkomme.
Wir haben das Bad in die Hellbrunner Wasserspiele verwandelt, dass Wasser rinnt schon durch den Türspalt in Richtung Vorzimmer, aber es ist uns momentan scheißegal. Wir sind glücklich.
Ich rufe noch schnell daheim an und verkünde, dass ich bei einer Party hängen geblieben bin und sehr spät, vielleicht erst morgen heimkommen werde. Mutter macht einen Riesenaufstand, aber ich häng dann ein und kümmere mich nicht weiter darum.
Viel später liegen wir auf seinem Bett, dass wir gerade Mal notdürftig überzogen haben und reden über alles Mögliche. Sein Studium, meine Schule, das Ringen und vieles mehr.
„Was willst du eigentlich nach deinem Abi machen?“ die Frage kommt ziemlich unerwartet, aber ich hab sie mir in letzter Zeit auch schon öfter gestellt. Andere wissen schon als kleine Jungs, was sie werden wollen, oder haben irgendwelche, mehr oder weniger phantasievolle Vorstellungen von Ihrem zukünftigen Beruf. Bei mir war das nie so. Ich bin nie durch die Gegend gelaufen und habe erzählt, dass ich Feuerwehrmann, Astronaut oder sonst was werden will. Bis vor kurzem hatte ich nur die Vorstellung, dass ich Chemiker werde, aber umso länger ich die Schule mache, umso so weniger bin ich mir deswegen sicher.
Aber seit meinem kleinen Unfall letztes Wochenende könnte ich mir vorstellen Arzt zu werden und zwar Sportarzt.
„Zuerst mal Bundesheer – und dann studieren!“
„Und was?“
„Medizin – ich glaube, ich will Sportarzt werden.“
„Naja, deine anatomischen Kenntnisse haben sich in letzter Zeit stark verbessert, aber denkst du wirklich, dass das ausreichen wird?“ ich dreh mich zu ihm und seh ihn grinsen.
„Ich werd dir zeigen, wie viel ich von Anatomie verstehe!“ ruf ich und beginne ihn zu kitzeln. Daraus wird ein spielerischer Ringkampf und daraus – naja.

Am Morgen fahre ich heim, dusche und leg mich nieder – Es geht wieder los mit „Das ist doch kein Hotel hier“ und „Du könntest dich ruhig mehr um mich kümmern!“ Am Nachmittag packe ich mein Ringerzeug und fahre zurück in Stefans Wohnung. Er packt auch seine Sachen ein und wir düsen ab. Ich will ihm die Halle zeigen und vielleicht ist ja auch jemand da. Ich will zwar nicht trainieren, aber ein wenig Kraftkammer kann ja nicht schaden.
In der Halle sind Jochen, Mark, Ingo und Ben. Sie sitzen im Kreis und unterhalten sich, als wir reinkommen.
„Wenn man von der Sonne spricht…“ Höre ich Jochen sagen.
„Ich hab den dreien gerade erklärt, wer du bist und das du am Montag anfängst. Hallo Stefan. Servus Davy“
Stefan sieht Ben und bekommt das große Staunen im Gesicht. „Du hier? Ich wusste ja nicht…“
Ben macht zwar kein böses, aber ein ernstes Gesicht. „Hat dir Davy nicht erzählt, dass ich hier trainiere?“
„Kein Sterbenswort hat er gesagt! Tut mir leid, dass ich im Sommer so schnell abgehauen bin. Aber meine Eltern haben mich mehr oder weniger eingesackt und nach Frankreich verfrachtet.“
„Ich weiß – hab ich schon gehört“ sagt Ben und sieht dabei mich an.
Jetzt sieht mich auch Stefan an und es ist eine eher komische Stimmung. Ich fühl mich extrem ungemütlich. Zum Glück reißt uns Jochen raus und stellt Stefan auch Mark und Ingo vor. Die drei verstehen sich, so wie es aussieht, auf der Stelle.
„Wir wollten eigentlich nur ein bisschen in den Kraftraum – nix Aufregendes. Ich bin erst am Morgen heimgekommen und noch fix und foxi.“
„Kein Problem – Mark, Ingo, Ben und ich reden gerade über die nächsten Turniere.“
Stefan und ich gehen in die Umkleidekabine. Kaum ist die Tür zu, fängt Stefan an.
„Du hast mit ihm über mich geredet?“
„Ja und?– sollt ich nicht? Er hat mich ein paar Sachen gefragt als wir im Bus heimgefahren sind“
„Hat er was erzählt?“
„Ja, so einiges. Das ihr euch von früher kennt zum Beispiel!“
„Und sonst? Das war doch sicher nicht alles!“
„Naja, eigentlich würd ich das gerne von dir hören! Komm schon, raus mit der Sprache um was ging es eigentlich?“

Stefan schaut unglücklich drein und weiß sichtlich überhaupt nicht, wie er anfangen soll.
„Es gab da noch jemanden…“
„Ich weiß, seine Schwester“ Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich kann ihm doch nicht ins Gesicht sagen, dass sie schwanger von ihm war.
„Ja! Wir haben uns getrennt, bevor wir nach Frankreich gefahren sind.“
„Weiß ich auch“
„Weißt du alles, oder gibt’s was, was ich dir noch erzählen kann?“
Ich atme tief durch und ziehe mir die Sportschuhe an, während ich nachdenke.
„Davy – was ist los? Da ist doch was. Wir können doch über alles reden.“
Ich lehne mich mit dem Rücken an den Spind hinter mir, schau ihn an und treffe eine Entscheidung.
„Zuck mir jetzt bitte nicht aus, aber da ist wirklich noch was“
„Sag nicht du hast mit Ben… Das kann ich nicht glauben, der ist mehr hetero als eine spanische Matadorschule.“
„Darum geht’s auch nicht – es geht um Isabelle“
Stefan wird sehr ruhig, fast könnte man sagen, er versteinert bevor „was ist mit ihr“ herausbringt. Es ist fast ein Krächzen. „Ist sie auch in Wien?“
„Nein – sie ist noch immer in Hamburg - soweit ich weiß.“
„Mann - jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Was ist los?“
Ich hole tief Luft „Stefan – Isabelle war schwanger als du nach Frankreich weg bist.“
Er verliert den Halt unter den Füssen und muss sich setzten. Er ist kreidebleich.
„Das… das ist unmöglich!“ sagt er stirnrunzelnd.
„Was? Wieso?“
Stefan wird fast zornig, als er leise sagt „Weil ich nie mit ihr geschlafen habe. Also nie wirklich. Ein bisschen Gefummel und Geblase im Dunkeln und dass war’s schon! Ich hab sie nie gefickt, wenn du es so hören willst. Sie hat sich immer geziert und wirklich darauf angelegt hab ich es auch nicht.“
„Aber wer …?“
„Das ist eine gute Frage – oder?“
In diesem Moment geht die Türe auf und Ben kommt herein. Er bleibt kurz unschlüssig stehen, macht dann aber doch die Türe hinter sich zu und setzt sich auf die Bank uns gegenüber.
„Hast ihm wohl gerade erzählt, was war- oder nich?“ fragt er und es hört sich irgendwie lauernd an, so als würde er auf eine bestimmte Antwort warten.
Ich nicke nur.
„Hör mal Ben, da gibt’s ne Erklärung dafür…“ stösst Stefan heraus
„Die würde ich allzu gerne hören.“ Ben klingt jetzt echt gefährlich „denn immerhin hast du meine Schwester geschwängert und bist dann abgehauen!“
„Darum geht es doch – ICH war’s eindeutig nicht! Soweit ist es bei uns nie gekommen, dass sie von mir hätte schwanger werden können.“
Ben sieht misstrauisch drein „Willst du damit sagen, du hättest sie nie …“
„Nein hab ich nicht – ich wollte, aber sie nicht!“
„Aber du warst doch mit ihr zusammen, oder etwa nicht!“
„Drei Wochen, drei lausige Wochen, die ich auf Trainingscamp in Hamburg war. Deswegen hab ich doch auch Schluss gemacht, weil es keinen Sinn hatte. In keiner Beziehung.“
„Und du hast nie..??“
„Nein, hab ich nicht. Ich hab sie nie gepoppt! Soll ich auf die Bibel schwören?“
„Würd ich vielleicht verlangen, wenn ich an so was glauben würde.“
Die beiden sind aufgestanden und stehen sich Aug in Aug gegenüber. Sie starren sich eine gute Minute an und ich warte auf die Explosion, die unweigerlich zu kommen droht. Anscheinend haben sie mich vergessen. Dann scheint Ben nachzugeben – er entspannt sich und sagt
„Nächste Woche bin ich für drei Tage in Hamburg. Ich werd sie fragen. Bis dahin Burgfriede.“
„Ok – ich hoffe, sie sagt dir die Wahrheit“
„Ich hoffe, du sagst mir die Wahrheit, denn wenn nicht Gnade dir Gott!“
„Vielleicht kann ich es beweisen. Ich hab ein Muttermal auf meinem Schniedel! Das müsste sie doch kennen, wenn es so war, wie sie behauptet.“
„Das heißt nicht viel, du könntest sie auch im Dunkeln gevögelt haben!“
Sie sehen sich noch immer in die Augen. Ziemlich lange und ich sehe, dass es in beiden arbeitet.
„Du würdest mir deinen Schwanz zeigen, um das zu beweisen?“
„Menno! Ich würde dir alles zeigen, wenn es beweisen könnte, dass ich es nicht war!“
Ben überlegt noch mal kurz.
„Lass ihn in der Hose. Ich lass es mal damit bewenden.“
Ich denke schon die ganze Zeit nach, da fällt mir was ein. Immerhin passe ich in Mikrobiologie auf.
„Vielleicht sollte ich mich nicht einmischen, aber kannst du herausfinden, welche Blutgruppe das Kind hat?“
„Ich denke schon, sollte raus zu finden sein – aber was hat das damit zu tun?“
„Simple Biologie und Vererbungslehre. Hat das Kind eine bestimmte Blutgruppe könnte Stefan der Vater sein, wenn er eine andere bestimmte Blutgruppe hat, kann er zu hundert Prozent als Vater ausgeschlossen werden!“
Ben überlegt nur sehr kurz. „Ich rufe heute noch an – eigentlich müsste Isabelle ja schon wissen, was das Kind für ne Blutgruppe hat! Stefan, welche Blutgruppe hast du denn?“
„AB – bin ich mir ziemlich sicher!“
„Sollte das Kind was mit 0 haben, kannst du nicht der Vater sein!“ werfe ich ein.
„Also – Heute Abend weiß was ich los ist“ meint Ben
„OK – ein letzter Vorschlag: Wir treffen uns morgen bei Maria im Haus. Auf neutralem Boden sozusagen. Dann können wir über alles reden – egal, wie es ausgeht. Sagen wir um 4. Ist das OK?“
„An mir soll’s nicht liegen – ganz sicher nicht!“ sagt Stefan.
„OK – morgen um 4. Deine Adresse hab ich ja noch Davy!“
„OK, dann bis morgen!“
Ben sieht uns noch etwas unsicher an und verzieht sich dann in die Dusche.
„Puhhh – was hab ich doch für einen gescheiten Freund!“ sagt Stefan als Ben draußen ist.
„Ich weiß“ grinse ich ihn an „aber jetzt gehen wir Kraft tanken – ich möchte auch so einen Waschbrettbauch wie Ben“
„Sieht schon geil aus, gelle?“
„Wer? Ben oder sein Bauch?“
„heee – gleich werd ich eifersüchtig!“
25 Minuten später liege ich gerade unter einer 45 KG Hanteln und drücke sie das ungezählte Mal, als Ben noch mal zur Tür hereinkommt. Stefan ist gerade mal kurz ‚für kleine Jungs’
„Davy, alle Achtung. Solche Jungs wie dich muss man mal suchen. Ich wollt nur sagen – egal wie das hier ausgeht, bei mir biste Bestens angeschrieben. Also dann bis morgen. Tschüüs mit ü“.
Wenn er das vor ein paar Monaten gesagt hätte, wäre ich ihm um den Hals gefallen – aber jetzt bleibt nur ein seltsamer Druck in meinem Hinterkopf.
Als Ben geht, kommt Stefan gerade bei der Tür rein. Die beiden sehen sich nur kurz an und nicken sich wortlos zu.
„Was wollte er denn noch?“
„Mir meinen Seelenfrieden rauben“
„Hä – wie denn das? Hat er dir einen geblasen?“
„ha, ha ,ha – ich lach mich tot! Nöö – ist ganz ne andere Geschichte.“
„Hören will – darf doch keine Geheimnisse zwischen uns geben!“
„Ok – hast ja recht – ich war mal bis über beide Ohren in ihn verliebt – hab sogar feuchte Träume von ihm gehabt“
„Oha – da kommt ja eine ganz neue Seite von dir zu Tage!“
Er setzt sich neben mich auf die Bauchspeckwegbank und beginnt seine SitUps zu machen.
Nach einer Weile fängt er wieder an „Aber wenn ich es mir recht überlege – müsste geil sein…“
„Was? Was müsste geil sein?“
„Nicht gleich ausrasten Darling!“
„Raus damit – was meinst du?“
Er druckst ein wenig herum – „Naja wenn du mit Ben und ich wäre dann dabei – die Vorstellung hat was…“ sinniert er dann vor sich hin.
„WAS – Spinnst du denn komplett?“ Ich merke dass ich ziemlich laut geworden bin.
„Du willst wirklich einen Dreier mit Ben machen? Das mach mal schön allein und such dir einen anderen als Nummer drei! Ich mach da nämlich nicht mit!“ sag ich dann noch wesentlich leiser.
Wütend steh ich auf und gehe ziemlich schnell in Richtung Duschen.
„Davy – so warte doch mal. Herrgott lass mich nicht hinter dir her rennen!“
In der Umkleide angekommen werf ich wütend meine Trainingsklamotten auf eine Bank, schnapp mir ein Handtuch und stell mich unter die Dusche.
Kurz danach merke ich, dass Stefan neben mir steht und das Wasser aufdreht.
„Himmel noch mal, das war eine Phantasie, nichts als eine Vorstellung mit nichts dahinter. Ich will doch nur dich!“ Ich sehe nicht auf und versuche dahinter zu kommen, wieso ich so bescheuert reagiere. Hat Stefan vielleicht Recht? Würde es mir auch gefallen, könnte es sein, dass es das ist und ich es nur nicht wahrhaben will? Ich weiß es nicht, ich bin total verwirrt.
„He - Kleiner – schau mich an.“
Ich drehe meinen Kopf und schau an Stefan hoch. Unglaublich – er hat schon wieder einen Harten.
„Ups – passiert mir immer, wenn ich dich angucke – und wenn du nackt neben mir in der Dusche stehst ist es ganz vorbei. Das funkt nur bei dir! Ich liebe dich doch!“
„Ich weiß doch. Ach komm her du Dolm. Mein lieber Dolm!“
Ich nehm ihn in den Arm und merke, dass auch ich schon wieder so weit bin und mein Schwanz steil hochsteht. In diesem Moment kracht irgendwas draußen in der Umkleide und wir hören ein Fluchen.
„Welcher Idiot hat hier denn seine Sachen herum liegenlassen. Verflucht noch mal.“ Es ist eindeutig Jochen.
Schnell stellen wir uns unter unsere Duschen und widmen uns ausgiebig der Körperpflege. Jeder für sich und ganz unverfänglich.
„Ah ihr seid noch da. Dachte ihr seid schon weg. Stefan – ich brauch am Montag deine Unterlagen und den Einzahlungsbeleg für den Mitgliedsbeitrag. Dann können wir dir eine Lizenz besorgen.“
„Liegt alles schon daheim – bring ich Montag mit“
„Ok – schönen Abend noch ihr zwei – und ihr wisst, brav sein.“ Er zwinkert uns zu und geht.
Stefan und ich machen so schnell wir können und fahren zu ihm nach Hause.
Am Abend Alexander’s – Manfred ist nicht da, aber einige von unserer Klasse. Karin versucht ziemlich heftig Stefan anzubaggern, der lässt sie jedoch links liegen, was Karin ziemlich in Rage bringt. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, jeden rum zukriegen, der nicht bei drei auf einem Baum ist und halbwegs in ihr, recht weit gestecktes, Beuteraster fällt. Um eins gehen Stefan und ich, aber diesmal fährt jeder zu sich nach Hause, damit wir ‚endlich mal ausschlafen können’.
Am Sonntag kommt Stefan. Um halb zehn, putzmunter und ausgeschlafen steht er vor der Türe.
„Mach dich fertig – wir gehen!“
„Was denn wohin?“
„Schwimmen natürlich, haben wir doch ausgemacht!“
Ich kann mich trübe erinnern, dass wir darüber geredet haben, ‚mal schwimmen“ zu gehen, aber nicht, dass wir das für heute abgemacht hätten. Aber was soll’s, die Idee ist ja nicht schlecht. Also lauf ich in mein Zimmer und packe meine Schwimmsachen ein.
„Wohin geht’s?“ frag ich, als wir aus dem Haus gehen.
„In die Stadthalle, hab ich mir gedacht – ist nicht sooo weit weg und angeblich das größte Hallenbad von Wien“
„Von mir aus – let’s go“
Wir ziehen unsere Runden im großen Becken, was nicht ganz leicht ist, da man im seichten Teil Horden von Kindern ausweichen muss, und im tiefen Teil nicht über die Mitte nach links schwimmen kann, da dort die Turmspringer trainieren. Nach sieben oder acht Längen wird es mir zu bunt dauernd irgendwen zu rammen und ich setzte mich auf einen der Startblöcke und sehe den Springern zu, während Stefan weiter versucht seine Runden zu ziehen.
Ich sehe einem der Springer zu, wie er die Stufen hinaufsteigt und denke mir gerade ‚ist ja süß der Kerl’ als mir auffällt, dass ich ihm auf die Badehose gestarrt habe. Ich hoffe dass er nichts gemerkt hat und sehe in sein Gesicht. Er schaut mir direkt in die Augen, grinst und zwinkert mir zu. Ich werde knallrot und weiß nichts Besseres als mich wieder ins Wasser zu werfen und noch ein paar Runden zu schwimmen. Stefan hab ich aus den Augen verloren, aber dann sehe ich ihn ruhig seine Bahnen ziehen. Ich schwimme auf die andere Seite des Beckens und dort knalle dort mit dem Kopf voran in ein verrücktes Kind, das gerade ins Wasser gesprungen ist. Seine Mutter macht einen Riesenaufstand, dass Kind heult und mir reicht es. Ich gehe auf die Toiletten und will nachher Stefan suchen um dann nach Hause abzurauschen. Als ich gerade an einem Pissoir stehe, kommt der Springer rein, der mir vorher vom Turm aus zugezwinkert hat und stellt sich genau neben mich. Ich bin nicht schüchtern, aber wenn einer neben mir steht, kann ich nicht pinkeln.
Er pinkelt aber auch nicht und ich riskiere einen Blick zur Seite und sehe, dass er ein volles Rohr aus der Badehose stehen hat und anfängt es zu bearbeiten. Dann sehe ich ihm wieder ins Gesicht und er schaut mir voll in die Augen. Ich bekomme die volle Panik. So gut es geht packe ich zusammen, laufe in die Halle zurück und springe sofort ins Wasser. Als ich auftauche, ramme ich jemanden in den Bauch. Unter prusten und klatschend tauche ich auf. „Idiot – kannste nicht aufpassen?“ höre ich jemanden rufen.
„DU bist es?“ Stefan sieht mich groß an. „Was war das denn? Willst du mich versenken?“
Ich bin nur froh, dass er es ist.
„Lass uns bitte gehen- ja? Ich will raus hier!“
Ich schwimme zum Beckenrand wo unsere Handtücher liegen, steige aus dem Wasser und noch während ich mich abtrockne gehe ich in Richtung Abgang.
“Davy, warte doch!“ Er läuft mir nach und rutscht fast auf den feuchten Stufen aus, kann sich gerade noch abfangen.
„Willst du dass ich mir alle Knochen breche? Verflucht noch mal – jetzt bleib doch stehen!“
Am Absatz, wo die Treppe ein 180 Grad Wendung macht bleibe ich stehen und lehne mich an die Wand.
„Was soll denn das zum Teufel noch mal? Spinnst du?“
„Tut … tut mir leid. Aber ich weiß nicht…“
„Kannst du bitte in Klardeutsch reden? Ich versteh kein Wort!“
Ich erzähle ihm, dass mich der Typ am Klo SEHR deutlich angebaggert hat und Stefan schaut zuerst verdutzt, dann beginnt er zu lächeln und zum Schluss lacht er aus vollem Hals. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass er mich nicht ernst nimmt.
„Du Dummerchen – deswegen machst du so einen Aufstand? Guter Gott – und ich hab schon geglaubt, es ist was Ernstes passiert!“
„Wenn am Klo einer neben dir steht und sich einen runterholen will, ist das nichts Ernstes?“
„Nöö – bestenfalls spaßig.“
„Und was würde der Herr Stefan machen? Ihm dabei helfen?“
Sein Gesicht wird ernst. „Nein – natürlich nicht! Ich würde ihn einfach stehen lassen.“
Eigentlich habe ich mich wie der größte Idiot oder eine Jungfrau vor der Defloration aufgeführt, dass wird mir immer klarer wenn ich in das Gesicht von Stefan schaue.
„Schau Davy – das wird dir immer wieder passieren. Du bist nun mal ein echtes Leckerchen und ich würd dich selbst anbaggern, wann und wo immer es geht, wenn ich du nicht schon mein Freund wärest! Freu dich doch, dass du solchen Eindruck machst.“
„hast ja recht – ich führ mich auf, wie eine Jungfrau.“
„hmm – stimmt. Biste aber nicht mehr. DAS weiß ich ganz genau!“
Wir müssen beide lachen.
„Ok- geht’s wieder? Ich würd gerne was kleines Essen. Gehen wir ins Restaurant?“
„Hast Recht Meister – ich habe auch Hunger!“
Wir gehen was essen und danach plantschen wir noch im Wasser herum. Die Sprungbretter sind auch wieder freigegeben und die Springer anscheinend schon fort. So versuchen wir es mit ein paar Sprüngen vom Dreimeterbrett. Stefan ist echt gut, aber mich haut es immer wieder mit dem Rücken oder dem Bauch auf das Wasser. Nach dem dritten Bauchfleck hab ich genug. Außerdem ist schon halb drei und um vier kommt ja Ben mit dem Ergebnis seiner Nachforschungen. Also machen wir uns am Heimweg.
Wir richten bei Maria im Wintergarten alles für eine Kaffeejause her, schenken uns eine Tasse ein und plaudern. Maria verzieht sicher dankenswerter Weise in ihr Zimmer als an der Haustür läutet. – 15 Minuten zu spät.
„Du bleibst sitzen – ich mach auf. Nur für den Fall, dass er dir eine scheuern will.“ sag ich und gehe Richtung Eingang, ohne auf eine Reaktion von Stefan zu warten.
Als ich aufmache steht Ben auf der Treppe und schwitzt.
„Hi Genie, tschuldige, dass ich spät bin, hab mich aber mit dem Rad total verkoffert.“
„Ist schon OK, los komm rein!“
„Ist Stefan da?“
„Klaro“
„Gut – Sehr gut!“
Ich ahne Fürchterliches, aber Stefan sieht locker und entspannt aus. Ich führe ihn in den Wintergarten. Er setzt sich hin, sagt aber kein Wort und seine Miene ist undurchdringlich
„Kaffee, Tee, irgendwas?“
„Ein Bier wäre toll!“
Stefan und ich sehen uns an, ich zucke mit der Schulter. „Warum eigentlich nicht. Ich nehme mir ein Glas Rotwein. Willst du auch Stefan?“
Er nickt, schaut dabei aber Ben an, der noch immer keine Miene verzieht.
Als wir alle drei sitzen, halte ich es nicht mehr aus.
„So – jetzt hast du uns lange genug auf die Folter gespannt. Was ist los?!“
„AAAlso. Ich hab heute mit meinem Vater, meiner Schwester und einem Arzt telefoniert. Außerdem habe ich um halb eins einen Kumpel aus dem Bett gescheucht, der Medizin studiert. Kurz und gut. Es kommt, egal wie man’s dreht und wendet, immer auf das Selbe raus. Stefan du bist nicht der Vater.“
Stefan stößt einen langen Seufzer aus.
„Problem: Isabelle bleibt dabei, auch wenn es unmöglich ist und schließt jede andere Möglichkeit aus.“
Stefan beugt sich nach vorne. „Tut mir leid das sagen zu müssen Kumpel, aber dann lügt sie!“
„Ich weiß, aber das macht es nicht leichter. Jedenfalls bin ich froh, dir nicht eine in die Fresse hauen zu müssen. Auch wenn du meine Schwester sitzen gelassen hast, bist du doch kein so ein Riesenarschloch.“
Er grinst. „Na, dann Prost!“
Wir reden und ich fülle immer wieder nach. Irgendwann kommt Marias Vater heim und wir essen zu Abend. Auch Ben bleibt noch. Danach macht Marias Vater eine seiner besseren Flaschen auf und auch Ben steigt auf Rotwein um und wir reden übers Ringen, über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Ringen und Judo und ich erkenne wie Marias Dad voller Leidenschaft darüber spricht. Er geht in dem Gespräch richtig auf.
Irgendwann bietet er uns das Du an und verzieht sich ein wenig später nach oben, Er muss morgen früh raus. Maria, Stefan, Ben und ich bleiben noch auf. – Schule beginnt erst um zehn und Ben und Stefan haben überhaupt frei.
Also machen wir noch eine Flasche auf und reden weiter. Reden und füllen die leeren Gläser immer wieder an. Ab einem gewissen Moment, merken wir wie Ben eine schwere Zunge bekommt und beginnt über sich selbst zu reden. Über seine Mutter, die noch als Krankenschwester arbeitet und von heute auf morgen Schicht von 20 Uhr bis 20 Uhr hat, wie er seinen Vater überhaupt nicht vermisst, weil er „ein alkoholkrankes Arschloch ist“ – seine schwierige Beziehung zu seiner Schwester, wie sehr er seine Freunde in Hamburg vermisst und wie schwer es für ihn ist, in Wien Freunde zu finden.
„Wenn ich hier Freunde hab, dann seid ihr zwei es“ lallt er mehr, als er es sagt und steht auf.
Er geht Richtung WC und stützt sich schwer am Türrahmen ab.
„Breit!“ sagt Stefan
„Superbreit!“
Mir dämmert, dass er mit dem Rad da ist und ich keine Ahnung habe, wo er wohnt.
„Scheiße!“
„Was?“ Stefan schaut verdutzt.
„Wir können ihn doch so nicht raus schicken! Der kann doch kaum noch gehen und schon gar nicht Radfahren.“
„Dann setzen wir ihn in eine Taxe!“
„Ich kenn seine Adresse nicht – du?“
„Nöö – aber er!“
„Soweit er sie noch rausbringt!“
Im Gang draußen kracht es und etwas Schweres schlägt mit einem dumpfen Knall auf dem Boden auf.
„Oh – je“ sag ich nur. Stefan und ich laufen hinaus und dort liegt Ben am Boden.
Wir greifen ihm unter die Schultern, aber es ist verflucht schwer, ihn aufzubekommen. Irgendwie schaffen wir es, ihn auf die Wohnzimmercouch zu bugsieren.
Ich rede kurz mit Maria und es ist für sie kein Problem, wenn wir die Nacht über bleiben. Ich hab schon oft in dem schönen großen Haus geschlafen. Sie ruft kurz bei meiner Mutter an und erklärt ihr, dass ich ‚wohl einen zu heftig über den Durst getrunken habe und es wohl besser ist, wenn ich nicht mehr rausgehe und bei ihr schlafe’.
„Eines sag ich dir, wenn er hier schläft, dann ich auch!“ flüstert mir Stefan ins Ohr
„Naaa – was traust du mir denn zu? Er kommt mir sicher nicht in mein Bett!“
„Hat damit nix zu tun. Ich vertrau dir doch vollkommen, aber ich fühl mich einfach besser! Außerdem können wir dann die Nacht zusammen verbringen!“
„OK – Wir müssen ihn hoch schaffen. Wir legen ihn ins Eckzimmer. Hier kann er nicht bleiben.“
„Gut – dann an die Arbeit!“
Es ist extrem mühsam Ben hochzubekommen. Laut letzter Wiegung hat er 96 Kg, Stefan und ich sind nicht gerade schwach, aber das verlangt uns ziemlich alles ab. Zudem haben wir auch ordentlich was gesüffelt, was sich auch nicht gerade förderlich auswirkt.
Es dauert fast eine halbe Stunde, Ben in das Eckzimmer zu bringen, ihn bis auf die Unterhosen auszuziehen und ins Bett zu verfrachten.
Danach gehen Stefan und ich noch runter und helfen Maria die Folgen unseres Gelages zu beseitigen. Bis wir in unser Zimmer kommen ist es eins durch.
„So – und jetzt zeige ich dir mal was es heißt fremde Typen ins Haus zu bringen!“ flüstert Stefan, sperrt die Türe zu und zieht mich an sich.
Es ist seltsam und es turnt auch irgendwie an zu wissen, dass Ben nebenan pennt, Marias Vater am anderen Ende des Ganges und Maria nur zwei Türen weiter.
Stefan geht es anscheinend genauso und der Sex ist irre gut.
Nach mehr als einer Stunde gehen wir in die Dusche danach stelle ich den Wecker auf halb neun und wir kuscheln uns aneinander und schlafen eng aneinander gedrückt ein.
Ich wache auf und ein Blick auf den Wecker zeigt mir, dass es erst knapp nach sieben ist. Und ich muss dringend aufs Klo – und Durst hab ich auch! Also sperr ich die Zimmertüre auf und gehe pinkeln.
Als ich aus dem Klo rauskomme steht Ben vor mir. Vollkommen nackt und mit einer gewaltigen Morgenlatte. Ich habe ihn schon oft in der Dusche gesehen und habe mir immer gedacht, dass sein Schwanz eher klein ist. Aber nun bin ich paff. Er ist mindestens fünf Zentimeter länger als meiner und auch um einiges dicker. Und ich dachte, dass ich schon ziemlich gut bestückt bin.
Irgendwie schaffe ich es nicht so lange auf seinen Schwanz zu starren, dass es auffällt und sage so cool wie möglich, obwohl es in meinem Kopf wild umgeht:
„Guten Morgen – na? Kopfschmerzen?“
„Als würde mir einer mit einem Hammer gegen den Schädel hauen!“
„Ähh – ich möchte ja nicht aufdringlich erscheinen, aber DAMIT solltest du hier nicht herumlaufen“ und zeige auf seinen Schwanz „wenn dich Maria sieht, schmeißt sie Ihren Freund weg und fällt über dich her!“
Er schaut an sich runter und wird rot „Ups – hab ich gar nich’ bemerkt – bin schon weg“
Damit verschwindet er am WC und schließt hinter sich ab.
Mir klopft das Herz und im Kopf dreht sich alles. Geht das schon wieder los? Ich hab meine Verschossenheit in Ben doch schon hinter mir gehabt – oder etwa doch nicht? Hab ich da jetzt irgendwo einen Springteufel in meinem Hinterkopf, der jedes Mal losgeht, wenn ich glaube, es ist vorbei? Scheiße – ich brauch was zu trinken.
Ich gehe runter in die Küche und nehm mir ein Glas Wasser.
„Da bist du. Bin aufgewacht und du warst weg.“ sagt Stefan ziemlich laut und lehnt an der Eingangstür zur Küche.
„Pssst – Ben schleicht irgendwo herum. Ich war vorher am Klo und jetzt hab ich einen Riesendurst.“
„Bist du ihm auch begegnet?“
„Auch? Sag bloß er hat dich gesehen.“
„Klar – kam gerade vom Pissen.“
„Möchte gar nicht wissen, was er sich jetzt denkt.“
„Gar nix – er hat gefragt wo ich denn penne. Da hab ich einfach auf das Zimmer von Maria gezeigt und gesagt, dass hier jeder sein Bett bekommt, denn das hier ist ja ein gastfreundliches Haus.“
„Jetzt glaubt er, du hast bei Maria geschlafen? Na toll!“
„Nöö – hab ihm gesagt, dass sie nicht da ist!“
„und wo ist er jetzt?“
„Hat gemeint, dass er sich wieder niederlegt. Sag mal, haben wir ihm gestern nicht die Boxershorts angelassen?“
„Ja – hab mich auch gewundert, dass wir so viel Beherrschung hatten!“
„Schatz - DAS hab ich nicht gemeint. Vorhin hatte er sie nicht an!“
„Ist mir auch aufgefallen. Vielleicht schläft er ungern damit und hat sie sich runter gestrampelt!“
„Wird wohl so sein…“ sagt Stefan und sieht mich dabei ziemlich seltsam an.
„Schlafen wir noch eine Runde?“
„hm – meinst du Schlafen oder Schlafen?“
„Sexmonster!“
„Ich weiß – aber das hat dich ja bisher noch nie gestört!“
“Stört mich auch nicht“ sag ich und gehe voraus in unser Zimmer.
Um halb neun sitzen Stefan und ich beim Frühstück. Chris ist gerade erst vor ein paar Minuten heimgekommen und hat nur „ich geh pennen“ gesagt, bevor er in seinem Zimmer verschwunden ist.
„War für ihn wohl auch eine harte Nacht!“ sagt Stefan zwischen zwei Bissen.
Die berühmte vierte Stufe der Treppe knarrt und Ben kommt herunter. Er hat sein T-Shirt und auch wieder seine Boxer an und sieht extrem verkatert aus.
„Moinsen Jungs“
„Hi Ben – na, geht’s jetzt wieder?“
„Nich so laut – um Himmels Willen!“
„Willste Frühstück?“ fragt ihn Stefan
„Ja – Kaffee schwarz und was gegen meine Kopfschmerzen.“
„Mit Kaffee kann ich dienen, Aspirin gibt’s hier auch irgendwo – glaub ich“ ich gehe zum Medikamentenschrank und hole zwei Aspirin, gebe sie in ein Glas Wasser und stelle es Ben hin, Stefan hat ihm inzwischen einen Kaffee eingeschenkt.
„Davy – tut mir leid, dass ich dir solche Umstände gemacht habe – is sonst nich meine Art, dass ich in fremden Betten meinen Suff auspenne!“
„Ist schon ok – warst ja nicht der Einzige, der heute hier geschlafen hat!“
„Sag mal, hattest du heute noch ne Tussi da?“
Ich werde etwas blass und schaue schnell Stefan an. „Nööö – dass hätte ich wohl bemerkt. Wieso fragst du?“
„Könnt schwören, dass im Nebenzimmer wer gevögelt hat – kann’s aber auch geträumt haben.“
OH OH ganz schlecht !
„Dass du heute Nacht feuchte Träume hattest konnte ich in der Früh ja sehr deutlich sehen – vielleicht kam das eine vom Anderen?“ Stefan sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen fragend an und Ben scheint angestrengt nachzudenken. „hmm – könntest recht haben – kam mir aber so realistisch vor. Was soll’s – is ganz sicher nich so wichtig um viel darüber nachzudenken.“
„Wir reden noch ein Weilchen belangloses Zeug, dann meint Ben, dass er sich jetzt duschen und anziehen geht – er will heim und dort noch ein paar Stunden schlafen, bevor er doch noch auf die Uni fährt.
Als wie die Stufe knarren hören, fahre ich zu Stefan herum.
„Scheiße – er hat uns gehört!“ flüstere ich ihm hektisch zu.
„hm – aber wir waren doch so leise – glaub ich wenigstens!“
„Ich hätte es nicht gehört, wenn einer die Tür mit einem Rammbock eingeschlagen hätte! Mir ist zeitweise Hören und Sehen vergangen.“
Stefan lacht leise „hast ja recht, aber wie hast du das denn mit den feuchten Träumen und ‚das konnte man ja sehr gut sehen’ gemeint?“
„Ganz einfach – er hatte einen Ständer, als ich ihm Gang begegnet bin!“
„Mein Fresse. In Hamburg haben alle Mädels hinter seinem Rücken nur über seine ‚besonderen Qualitäten’ geredet!“
„Kann ich nur bestätigen!“ ich deute ihm mit den Händen die Länge und den Durchmesser an. Stefan pfeift anerkennend mit den Lippen „Würde man so gar nich glauben, wenn man ihn unter der Dusche sieht!“
Stefan schaut mich an, legt den Kopf schief und lächelt etwas schräg „Hat es dich angeturnt?“
Ich muss wieder an unsere frühere Auseinandersetzung denken, die wir darüber schon hatten und diese eigenartige, irrationale Wut kriecht mein Rückgrat hoch. Ich unterdrücke sie und versuche ruhig zu bleiben. Ist das vielleicht der kleine Springteufel, den mir der Anblick von Ben heute Morgen in den Hinterkopf gesetzt hat?
„ Wieso willst du das wissen? Ganz ehrlich jetzt!“
„Kleiner – alles was dich anturnt, turnt auch mich an! Und ich liebe es, wenn du beim Sex außer Kontrolle gerätst.“
Es macht KLACK und ich weiß, das ist der Punkt! Er liebt es und ich habe Angst davor, Angst, dass wenn diese Tür einmal offen ist, ich sie nicht mehr zumachen kann. Plötzlich ist alles klar und ergibt Sinn. Erschreckend viel Sinn.
„Ich habe Angst – ganz einfach“
„Aber wovor denn?“
„Angst, was passiert, wenn ich mich nicht unter Kontrolle habe. Wenn ich mit dir zusammen bin, ist es mir egal, aber was wenn ich es einmal zulasse, wenn wir nicht alleine sind? Wo hört es dann auf? Kann es dann aufhören?“
Ich höre Ben die Treppe runterkommen. Die Dusche hat ihm sichtlich gut getan. Er strahlt richtig.
„So Jungens – ich verlasse euch jetzt. Wir sehen uns am Abend beim Training. Und danke noch mal für die Bewirtung und die Unterkunft.“
„Null Problemo. Ich lass dich noch raus!“
Während ich in Richtung Haustür gehe, drehe ich mich um und sehe Stefan tief in Gedanken versunken am Frühstückstisch in der Küche sitzen.
Ben schwingt sich auf sein Rad und verschwindet hinter der Hecke, die den Vorgarten von der Strasse trennt.
Ich gehe zurück und will mich gerade zu Stefan setzen – dabei seh ich auf die Uhr. Verflucht halb zehn! In dreißig Minuten habe ich die erste Stunde – Mikroanalytische Chemie mit der Novak. Scheiß drauf. Zu Mathe um Elf reicht es auch noch!
„Ich muss kurz telefonieren!“ sag ich zu Stefan und ruf schnell bei Markus an – er wohnt nur fünf Minuten von der Schule und ist sicher noch zu Hause. Er hebt wirklich ab, ich erkläre ihm schnell, dass ich erst um elf komme und erfinde irgendeine Ausrede von wegen Arztweg.
Ich setze mich wieder an den Tisch.
Stefan sieht auf und ich bemerke, dass er feuchte Augen hat.
„Versprich mir, dass du mich nie verlässt! Wenn du willst, kannst auch mit anderen Typen rummachen, aber verlass mich nie – niemals. Hörst du? Ich wüsste nicht, was ich tun würde, wenn es dich in meinem Leben nicht mehr gibt! Ich hab dich so furchtbar lieb.“
Ich versteh nicht, was das jetzt soll und wo der Stimmungswandel herkommt.
„Bärchen! Spinn doch nicht herum. Ich werd dich nie verlassen – ganz sicher nicht. Und was soll der Blödsinn von wegen rummachen. Ich will doch nur dich! Ich liebe dich doch!“
Ich sage ihm die Wahrheit, aber nicht ganz. Seit heute weiß ich, dass ich nicht nur ihn will, aber ich liebe ihn ganz schrecklich und ich werde ihn nie verlassen. Aber seit heute weiß ich, dass ich es mir vorstellen kann, auch mit anderen in die Kiste zu hüpfen, doch finde ich sicher nicht den Mut dazu – noch nicht. Und ich fürchte den Tag, an dem es soweit sein wird.

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Tag der Veröffentlichung: 27.09.2010

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