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HIMMEL UND HÖLLE

Ferien! Es ist der letzte Schultag – wir bekommen unsere Zeugnisse. Ich fast ganz oben auf der Liste, Manfred fast ganz unten, aber er hat es geschafft ohne Nachzipf in die nächste Klasse zu kommen.
Neun Wochen frei – ich weiß was ich tun werde: Meine Zeit so gut es geht zwischen Training, zu Hause und Manfred aufteilen. Manfred – tja, seit die Schleier gefallen sind und wir uns nicht voreinander mehr verstellen müssen, sind wir fast jede freie Minute zusammen. Maria ist glücklich, anscheinend weil ich glücklich bin. Nur Markus und Norbert fühlen sich zurückgesetzt, lassen sich aber nichts anmerken. Im Gegenteil, sie verschaffen Manfred und mir noch zusätzliche Zeit zusammen, indem sie uns bei verschieden Gelegenheiten ein Alibi verschaffen.
Im Verein wird es immer besser. Nick kann mich nicht mehr schlagen. Zumindest nach Punkten besiege ich ihn immer. Sobald ich aber den Kopf zu hoch trage holt mich Jochen wieder auf den Boden der Realität zurück, indem er mich mit Marc, Ingo oder Ben auf die Matte schickt. Aber außer diesen dreien kann ich jeden in meiner Altersklasse besiegen.
Ich bin glücklich, aber es schweben zwei dunkle Wolken über mir.
Paps ist inzwischen endgültig ausgezogen und das ist der größte aller Wermutstropfen. Mutter klammert sich jetzt an mich und zwar so sehr, dass mit bald die Luft wegbleibt. Nicht, dass sie nicht alles versucht mir ein gutes Leben zu ermöglichen, aber es sollte ein Leben nach Ihrer Vorstellung sein und nicht nach meiner. Das führt zu nicht geringen Spannungen, die immer öfter in Streit ausarten. Und ihr sagen, dass ich schwul bin? Dass steht außerhalb jeder Diskussion! Da kann ich mich gleich erschießen.

Das andere Problem ist Ben. Anfangs habe ich geglaubt, dass ich ihn überwunden habe, aber ich bekomme immer noch eine Gänsehaut wenn er mich angreift und wenn wir alle unter der Dusche stehen, ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich ihn anstarre und dabei daran denke, wie es wäre mit ihm Sex zu haben. Das endet meistens damit, dass ich meine Dusche auf eiskalt drehe und damit großes Protestgeschrei der Umstehenden auslöse.
Ich verändere mich auch körperlich. Aus dem eher schlaksigen Jugendlichen von einst, ist ein junger Mann mit einem ziemlich beeindruckenden Körper geworden.
Meine Schultern sind so breit wie nie und an meinem Bauch kann man schon langsam die Muskeln zählen. Ich muss zugeben, dass ich mich geil finde. Manfred findet das übrigens auch was dazu führt, dass der Sex immer besser wird. Wir haben begonnen unsere Körper gegenseitig zu erforschen und raus zu finden was dem anderen gefällt und was der andere will und geil findet.

Vor einer Woche lagen wir am Sonntag Nachmittag im Bett und hörten Musik. Draußen war es heiß und schwül und trotzdem waren wir aneinander gekuschelt – Schweiß hin oder her. Markus und Norbert hatten uns wieder ein Alibi verschafft, damit wir den Nachmittag zusammen sein konnten. Ich war irgendwo zwischen Schlaf und Wachsein und genoss einfach das Gefühl, dass Manfred vor mir lag, ich hinter ihm und den Arm um seine Brust gelegt hatte. Er streichelte leicht meinen Unterarm. Im Halbschlaf bemerkte ich wie sich Manfred immer mehr an mich drückt und seinen Hintern an mir rieb, was einen sofortigen Ständer zur Folge hatte.
Ich küsste ich am Halsansatz, wo seine strubbligen schwarzen Haare in den leichten Flaum am Hals übergehen.
Manfred stöhnte ganz leicht, eigentlich war es mehr ein Seufzen und auf einmal spürte ich seine Hand, wie sie nach meinem Schwanz greift und ihn an einen gewissen Punkt führt. Instinktiv zuckte ich zurück. „Pssst – bitte ich will dich spüren – ganz – überall an mir und in mir. BITTE“ flüsterte er heiser, den Kopf hatte er mir zugewendet und küsste mich leicht auf den Mund. Ich hörte das Zittern in seiner Stimme und es ist ein Unterton darin, der keinen Widerstand mehr zulässt. Er drückte bestimmt gegen meinen Schwanz und als wäre es das Natürlichste der Welt gleite ich in Manfred hinein. Wir schwebten buchstäblichen im 7. Himmel.

Für diesen Abend hatten wir Maria, Norbert und Markus in Manfreds Wohnung eingeladen, damit wir auf der Terrasse zusammen noch was trinken konnten.
So saßen wir also zu fünft im siebenten Stock hoch über Stadt und redeten über Gott und die Welt.
Wir hatten eine große Decke ausgebreitet und lagen alle am Rücken und schauten in den blauen Himmel über der Stadt und sahen zu, wie er die Farbe langsam von tiefblau in eine dunkles violett und schwarz änderte und die Sterne herauskamen. Ich lag mit Kopf auf Manfreds Bauch und er spielte mit meinen Haar oder zog mit seinen Fingern die Linie meiner Augenbrauen nach. Es war einer dieser Momente konzentrierten Glücks, in den nichts falsch ist und die auch nicht durch den winzigsten Funken eines Misston getrübt werden können. Einer jener Momente, die man einfach nur für immer festhalten will.
„Ihr seid ja wirklich richtig glücklich“ sagte Markus und drehte sich dabei auf den Bauch um uns ansehen zu können. Im Dunkeln konnte ich sein Gesicht nicht richtig sehen. Es war ein dunkler Schatten und nur ein dünner Streifen wurde von jenem Licht beleuchtet, das aus der Wohnung auf die Terrasse fiel. Manfred und ich sehen uns an und nicken gleichzeitig „Jaaa und wieee.“
„Ich beneide euch – ich bin nicht so … wie ihr“ er bringt das Wort schwul immer noch nicht über die Lippen „aber ich schaffe es einfach nicht jemanden zu finden, mit dem ich glücklich sein kann.“
„Wir hatten hat einfach unverschämtes Glück“ gebe ich zurück „wird bei dir auch schon noch kommen.“
„Hoffentlich – ich möchte Kinder – ganz viele Kinder. Wie ist das eigentlich bei euch? Ist es nicht traurig zu wissen, dass ihr nie Kinder haben werdet?“
Manfred lacht „Wer weiß, vielleicht bin ich ja schon schwanger. Davy gibt jedenfalls sein Bestes“
„Du bist unmöglich!“ ruft Maria und wirft ein Polster nach ihm der weit an ihm vorbei segelt und irgendwo im Dunkel landet. Ich gebe ihm einen spielerischen Boxer in die Rippen „Plaudertasche – nächsten gibst du noch Communiques mit unseren Körpermaßen heraus!!!“. „Warum nicht? Brauchen uns ja beide nicht gerade zu verstecken. Und von mir aus kann jeder wissen, was ich an dir hab.“
„Also – ich weiß nicht, ob das ein Thema von allgemeinem Interesse ist?“ brummte Markus aus dem Dunkeln heraus.
„Hey Jungs, was habt ihr geglaubt, was wir hier alleine machen? Fernstrickkurse belegen? Früher wolltest du auch immer alles wissen.“ Manfred war bester Laune.
„Na ja - das war auch was anderes. Ich zumindest kann ich es mir nicht vorstellen was ihr allein so treibt. Will ich vielleicht auch gar nicht. Ist halt ein sehr komisches Gefühl – immerhin seid ihr Zwei meine besten Freunde – nach Norbert halt. Und das ihr da – ihr wisst schon, macht mir halt zu schaffen.“
Ich beschloss das Thema zu entschärfen, bevor die Diskussion ausufern konnte.
„Ich finde das OK. Ist von dir super, dass du uns so unterstützt, obwohl dir das Thema sichtlich mehr als nur unangenehm ist.“
„Ist doch klar – wozu sind Freunde sonst da?“
Zwei Stunden später saß ich noch mit Maria auf der Terrasse. Beide hatten wir uns etwas trinken besorgt.
„Davy – du weißt wie froh ich über euch Beide bin, aber hab ich das richtig verstanden? Ihr benutzt keine Gummis?“
„Wieso sollte wir? Kinder wird’s wohl kaum geben und woher sollen wir uns was einfangen? Wir sind uns treu und vorher hat es niemand anderen gegeben – über das Thema haben wir gleich am Anfang geredet.“
„Ich bin mir sicher, ihr wisst was ihr tut – da vertrau ich dir voll und ganz!“ Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange und verabschiedete sich dann von uns. Eine halbe Stunde saß ich noch mit Manfred unter den Sternen, lies den Abend noch ausklingen aber dann musste ich leider auch gehen. Daheim hörte ich wieder Oper von wegen „diese Wohnung ist doch kein Hotel. Der Herr kann doch nicht kommen und gehen wann er will!“. Die Stimmung wurde immer schlechter. Mutter und ich gaben uns zwar alle Mühe, aber es ließ sich nicht übersehen, dass es langsam aber sicher immer schlimmer wurde und irgendwann der ganz große Krach kommen musste.

Die nächsten Wochen und Monate vergehen wie im Flug. Manfred und ich wachsen immer mehr zusammen und wir bilden mit Maria eine Art Dreiergespann, das fast alles miteinander unternimmt.
Vater hat sich um eine Bleibe umgesehen und sich entschlossen, in ein gemietetes Haus, gar nicht so weit weg von Mutter und mir zu ziehen. Vorerst bleibe ich bei Mutter. Vater will nicht, dass ich die Situation noch verschärfe, indem ich auch daheim ausziehe.
Beim Training hab ich mir im linken Oberschenkel einen Muskel eingerissen. Es hat höllisch weh getan und ich bin für drei Monate ausgefallen – nix mit Wettkampf. Verdammter Dreck. Mutter hat natürlich einen Riesenaufstand gemacht – frei nach dem Motto „Hab ich es dir nicht gesagt?!“.
In der Schule geht mir alles leicht von der Hand. Manfred kämpft wie immer mit Mathe und Physikalischer Chemie, aber irgendwie bringe ich ihn durch das Jahr, wenn auch nicht immer mit ganz legalen Mitteln.
Weihnachten war nicht der Rede wert – nur Mutter und ich – und ich war froh, dass es vorbei war. Manfred war nicht da, er und sein Vater sind über Weihnachten und Silvester zur Familie nach Oberösterreich gefahren und so hab ich einen Großteil der Ferien mit Maria und meinen Vereinskollegen verbracht.
Silvester haben wir im Alexander gefeiert. Es war traurig ohne Manfred und so bin ich schon kurz nach eins wieder abgedüst.
Nach dem Manfred wieder da ist, gibt es mit Mutter immer öfter Streit, da ich oft bis spät in der Nacht bei Manfred bin. Wenn ich gläubig wäre würde ich darum beten, dass ich bald hier raus kann. So bleibt mir nichts anderes übrig als zu hoffen, dass ich es bis zu meinem 18. Geburtstag aushalte.

Im März kann ich endlich wieder voll trainieren. Es ist die Hölle und ich will schier verzweifeln, als ich merke was für einen Rückstand ich aufholen muss. Jochen und die anderen sind echt toll! Sie helfen wo sie können. Mit Ben und Hermann versteh ich mich inzwischen immer besser und es kommt sogar vor, dass wir am Abend was unternehmen und ich Manfred daheim sitzen lasse, was zu ziemlich lautstarken Diskussionen zwischen uns führt. Wie ich jemals auf die Idee gekommen bin, dass Ben schwul sein könnte, verstehe ich nicht. Er lässt wirklich keinen Rock aus und kaum ist im näheren Umkreis ein weibliches Wesen zu sehen, verschwindet er.


Anfang Juni - Urlaubspläne.

Der Vater von Maria und Chris hat vorgeschlagen, dass ich mit den beiden auf Urlaub fahre.
Sie wurden von einem Bekannten eingeladen und wenn ich wollte, könnte ich mitfliegen. Drei Wochen Cote D’Azur – und das praktisch zum Nulltarif außer dem Flug! Ich kann es kaum fassen! Ob ich will? Natürlich will ich! Ich komme für drei Wochen weg von daheim !
Der Kampf mit meiner Mutter war heftig – sehr heftig, aber schließlich ist es uns gemeinsam mit Maria, Chris und deren Eltern gelungen sie zu überzeugen, dass es doch viel besser ist, als neun Wochen nur in Wien herumzusitzen.
Der Kampf mit Manfred war fast noch heftiger. Er war stinksauer, das ich wegfliege und das für drei Wochen. Wir haben uns zum ersten Mal wirklich gestritten. Ich kann es nicht ganz verstehen, denn er ist die beiden letzten Wochen dieser Zeit mit seinem Vater unterwegs. Der Abschied von Manfred war dann tränenreich und mit viel Schweiß versehen. Nach vielen Beteuerungen und Versprechen das wir uns treu sein und ewig lieben werden, haben wir uns verabschiedet.

Beim Abflug war Manfred dann doch mit Markus und Norbert am Flughafen, obwohl er eigentlich nicht kommen wollte.
Jochen hat mir einen Trainingsplan mitgegeben, mit dem ich auch während der Ferien meine Form halten könnte. Naja – dazu fliege ich nicht weg, aber ich werd es wohl durchziehen, sonst zieht er mir die Hammelbeine lang.

Nach etwas mehr als zwei Stunden Flug sind wir da. Wir landen in Nizza – oder besser gesagt in Nice und schon am Flughafen bekomme ich den Eindruck, dass mein Schulfranzösisch mir hier nicht wirklich helfen wird – ich verstehe fast kein Wort. Zum Glück kann Maria gut genug französisch, aber sie scheint genau zu wissen wo wir hin müssen und so ist es kaum nötig irgendjemand an zusprechen.
Vor dem Flughafen wartet eine Limousine auf uns, eines dieser langen Gefährte, in dem es eine Bar, Fernseher und so weiter gibt. Wir sind ein wenig überrascht, wir hatten ja keine Ahnung was uns erwartet. Der Vater von Maria hat zwar angedeutet, dass die Familie seines Freundes relativ wohlhabend ist, aber nichts Genaues herausgelassen. Jedenfalls ist das mal ein sehr guter Anfang, meinen wir und machen es uns im Fond des Wagens bequem.
Wir fahren also mit diesem Luxuswagen eine halbe Stunde die Küste entlang. Maria und Chris unterhalten sich aufgeregt über die Landschaft. Ich bemerke kaum wie beeindruckend die Gegend ist, die vor meinen Augen vorbei zieht. Wir haben die Fenster heruntergelassen und der Wagen gleitet über die Küstenstrasse, vorbei an einem grandiosen Panorama aus Felsen, Küste, Meer, grünen Hügeln und kleinen Dörfern. Alles sieht aus wie im Traum und das fast schattenlose Licht der südlichen Sonne macht es noch unwirklicher.
Ich denke an Manfred, was er wohl gerade macht, wie es ihm geht und ob er wohl an mich denkt.
Ich denke an gestern, unseren letzten gemeinsamen Abend, als ich vor Staunen stumm an der Dachterrassentür stand. Auf der Terrasse standen überall Kerzen und flackerten in der leichten Abendbrise. Große, kleine, dicke und dünne, weiße, rote, blaue, grüne und bunt gefleckte. In der Mitte war eine Decke aufgelegt an deren Rand Polster verteilt waren, eine Flasche Sekt in einem Kühler stand daneben und zwei Gläser auf einem kleine Silbertablett ebenfalls. Mir stiegen die die Tränen in die Augen und in diesem Moment liebte ich ihn mit einer Intensität, die fast schon weh tat. Ich umarmte ihn als wollte ich ihn nie mehr loslassen.
Später lagen wir unter dem Sternenhimmel und sagten nichts. Wir kuschelten uns aneinander und es war gut, wie es war.

Ankunft in unserem Feriendomizil. Der Wagen fährt an ein übermannshohes Gittertor, das in eine mindestens 4 Meter hohe Mauer eingelassen ist. Als der Wagen sich nähert öffnet das Tor sich wie von Geisterhand und die beiden Torflügel schwingen langsam nach innen auf. Ein mit weißem Kies bestreuter Weg führt in einer sanft ansteigenden Linkskurve vom Tor weg an hohen Bäumen und dichten Büschen vorbei weiter in Richtung Haus. Nach ca. 150 Metern bleibt der Wagen sanft stehen.
Wir steigen aus und sehen uns fasziniert das Gebäude an.
Haus? Es ist kein Haus – es ist wie ein Schloss aus einem Märchen, scheint nur aus Vorsprüngen, Türmchen und Erkern zu bestehen die in Braun und Weiß gehalten sind und zudem ist beinahe die ganze Fassade bis knapp unters Dach mit Efeu überwachsen. Wir wollen zum Wagen gehen um unser Gepäck zu holen, aber als wir uns umdrehen wuseln bereits drei in eine Art Uniform gekleidete Burschen um den Wagen herum und tragen unser Gepäck durch einen Nebeneingang in das Haus.
Hinter uns räuspert sich jemand. Wir drehen uns um und sehen uns den älteren Herren an, zu dem die Stimme gehört. „Familie Schneidinger, nehme ich an. Wenn mir die Herrschaften bitte folgen wollen.“ sagt er in perfektem Deutsch mit einem undeutbaren Akzent und deutet mit einer Hand zum Eingang während er bereits die Stufen hinauf schreitet – er schreitet wirklich, gehen würde seine Art sich zu bewegen nicht angemessen beschreiben. So folgen wir ihm durch eine Art Eingangshalle, durch Salons und Zimmer und durch Zimmerfluchten in den rückwärtigen Teil des Hauses, bis wir auf einer Terrasse stehen, von der Stufen in einem eleganten Bogen zu beiden Seiten in den Garten hinunterführen. Hinter einigen Bäumen, am anderen Ende des Gartens, schimmert die Wasserfläche eines Pools durch die Äste und hinter diesem Pool ist das Mittelmeer zu sehen. Die Sonne steht hoch über uns – es muss wohl schon Mittag sein. Wunder der modernen Technik – heute Morgen noch zu Hause gefrühstückt und jetzt über 1000 Km entfernt.
Maria zupft mich am Arm – „Davy komm schon, man wartet auf uns“
Rechts auf der Terrasse, unter einem großen, weißen Zelt, dessen Seitenwände aufgerollt und oben an den Längsverstrebungen festgebunden sind, ist ein großer Tisch aufgestellt, der festlich gedeckt ist.
Dahinter und im Garten gehen und stehen zwei Dutzend Leute herum, lachen, reden und nippen an kleinen Gläsern in denen sich anscheinend verschiedene Aperitifs befinden.
„Sir, ihre Urlaubsgäste sind eingetroffen“, sagt der ältere Mann, der uns hergebracht hat und eindeutig ein Butler ist.
„Ahhh die Kinder von meinem alten Freund Hans. Willkommen, Willkommen in diesem bescheidenen Haus. Ich bin Franz Christian von Hohenburg.“
Wenn ich mir jemals einen Adligen vorgestellt haben sollte, dann war er sicher das genaue Gegenteil von dem Mann, der nun vor uns steht. Er ist kleiner als ich, dicklich mit Halbglatze und einem riesigen Schnurrbart, der von einer Wange zu anderen reicht. Die Weste seines beigen Leinenanzugs spannt sich über seinem Bauch. Aus dem fleischigen Gesicht blitzen uns kleine, kluge Augen an. Ich habe im Fernsehen einmal eine Hercule Poirot Verfilmung gesehen und muss nun an den Schauspieler denken, der diese Rolle verkörpert hat. Seine Stimme ist die eines Baritons, tief, dunkel und voll. „Du musst Maria sein“ sagt er und küsst ihr die Hand mit einem “tre charmant“. Ich glaube ich sehe nicht richtig, aber Maria wird leicht rot. Dann sieht er uns an „Und wer von euch ist Christian?“
„Ich!“ sagt Christian „und das ist David, ein sehr enger Freund unserer Familie!“. Wir reichen ihm beide die Hand, die er überschwänglich schüttelt. „Mein Gott so groß seid ihr geworden. Richtig erwachsen. Es ist schon ewig her, dass ich euch das letzte Mal gesehen habe. Da seid ihr noch herum gebrabbelt und habt Windeln getragen. Große Güte, wie die Zeit vergeht. Jetzt werde ich euch der Familie vorstellen. Kommt, kommt mit.“ Wir folgen ihm in die Menge und fühle uns eigentlich deplatziert, denn alle sind mehr oder weniger elegant angezogen und wir in unseren Reiseklamotten. Chris hat eine Jean mit eingerissenen Knien und ein ausgewaschenes Shirt an und ich meine knielangen Skaterhosen und eine Art Hawaihemd mit der Darstellung eines tropischen Strandes bei Sonnenuntergang. Ein Ausbund an Kitsch! Nur Maria sieht in ihrem hellen Sommerkleid adrett aus und fällt auch in dieser Gesellschaft nicht unangenehm auf.
„Dein Hemd“, flüstert sie mir zu – „was ist damit?“ frag ich retour „Du kannst es zwar nicht umfärben, aber mach es wenigstens zu.“ Ich habe vergessen, dass ich nur den einen Knopf in Nabelhöhe geschlossen habe und sonst eigentlich ziemlich im Freien stehe. Also knöpfe ich mich bis fast zu Hals zu.
„Christin meine Schatz, das sind die Kinder von unserem Freund Franz. Maria und Christian und ihr Freund David.“
Fr. Hohenburg ist das Gegenteil ihres Mannes. Groß, schlank, blond und von einer unvergleichlich würdevollen Haltung, die nicht wie bei Mutter verkrampft, sondern vollkommen natürlich rüberkommt. Sie lächelt uns an „Es freut mich, dass ihr endlich einmal hier seid, nachdem wir euch ja schon so oft eingeladen haben. Es ist nur schade, dass euer Vater nicht hier sein kann.“
Maria und ich geben ihr artig die Hand, während Chris einen fast perfekten Handkuss platziert.
„Enchante Madame“ sagt er noch dazu.
„Und da sage einer, die Kavaliere sind ausgestorben.“
„Wie ihr seht, haben wir heute Gäste.“ Ich habe schon Angst, dass er uns auffordert uns der Gesellschaft anzuschließen. „ aber ich kann von euch ja wohl kaum verlangen, dass ich euch da anschließt. Ich weiß, solche Ereignisse sind nichts für die Jugend!“ dabei zwinkert er uns zu.“ Ich kann ein erleichtertes Seufzen nicht unterdrücken. “Stefan wird euch dann eure Zimmer zeigen. Euer Gepäck ist sicher schon dort. Wir werden uns später noch genug unterhalten können. Entschuldigt mich bitte, aber ich muss mich wieder um meine Gäste kümmern.“
Seine Frau sieht ihm nach, während er lächelnd auf ein älteres Ehepaar zugeht, dass an einem der kleinen Stehtische an ihren Getränken nippt. „Nehmt es ihm nicht übel, wenn er sich nicht so um euch kümmert, wie es vielleicht angebracht wäre, aber diese Gartenparty heute ist sehr wichtig für ihn. Es sind viele Investoren anwesend. Kommt mit, ich stelle euch Stefan vor. Er wird euch alles zeigen.“ Ich will schon fragen wer dieser Stefan eigentlich ist, beschließe aber den Mund zu halten und einfach abzuwarten. So folgen wir der Dame des Hauses in den Garten und gehen in Richtung des Pools. Noch bevor wir angelangt sind, klingt uns schon Lachen entgegen.
Es ist auch dort eine Art Party im Gange, aber ganz anders, als im vorderen Teil des Gartens. 10 oder 12 Leute in unserem Alter sitzen am Rande des Pools, sonnen sich, oder planschen im Wasser umher.
„Stefan – kommst du bitte?“ ruft Fr. Hohenburg einem jungen Mann zu, der mit dem Rücken zu uns an der Brüstung in Richtung Meer lehnt und sichtlich gerade mit einem Mädchen in ein Gespräch vertieft ist, das so aussieht als würde es ein Schiff weit draußen am Meer beobachten.
Der Junge dreht sich um „Ja Mam, komme schon.“ Als er schon in unsere Richtung geht, dreht er sich noch einmal um und ruft dem Mädchen etwas auf Französisch zu, was ich als „ wir reden noch darüber“ übersetze. Aber sicher bin ich mir nicht. Stefan ist ungefähr so groß wie ich, vielleicht ein Jahr älter als ich und sieht eindeutig gut aus. Sehr gut sogar, mit seiner sonnengebräunten Haut und von Wind und Sonne ausgebleichten, blonden Haaren. Er hat Surfershorts und ein Hemd an, das ungefähr dem Geschmacksniveau des meinen entspricht, also ziemlich am unteren Ende der Skala. Das Hemd ist offen und ich sehe die Haare auf der Brust, die sich auf dem Bauch zu einem Streifen verengen, der dann unter dem Nabel in der Hose verschwindet. Man sieht ihm an, dass er viel Sport betreibt.
„Stefan, dass sind Maria, David und Christian. Die Kinder unseres Freundes Franz und ihr Freund. Wir haben dir ja davon erzählt, dass sie die nächsten drei Wochen hier verbringen. Wärest du bitte so nett und kümmerst sich ein wenig um sie?“
„Hi Leute – willkommen im Palais sur le mar“ Er streckt uns die Hand entgegen und begrüßt jeden einzelnen von uns – Maria vielleicht etwas länger als notwendig.
„Ich werd mich um alles kümmern, mach dir keine Sorgen – kümmere du dich ruhig wieder um eure Gäste.“ Er gibt seiner Mutter einen kleinen Kuss, sie klopft ihm leicht auf die Wange und geht wieder zurück in Richtung Terrasse.
„Habt ihr schon was gegessen? Ich hab nämlich einen Bärenhunger und wir sind heute aus der Nähe des Hauses verbannt, bis diese Veranstaltung vorbei ist.“
Ich merke, dass mir der Magen knurrt.
„Ja – was essen wäre toll. Ich bin am Verhungern! Wie Sieht es mit euch aus?“ frage ich Maria und Chris. Es geht ihnen ähnlich wie mir.
„Gut, dann mache ich euch einen Vorschlag – wir gehen an den Strand in ein nettes Lokal und dann zeige ich euch wo ihr einquartiert seid. OK?“
Ich will schon zurück zum Haus um von dort irgendwie zum Strand zu kommen, als Stefan fragt „Wo willst du denn hin?“
„Ich dachte…“
„Falsch gedacht“, grinst er mich an „ Zum Strand geht’s da lang.“ und zeigt hinter sich auf das Geländer.
Wir gehen an die Brüstung und schauen hinunter – ca. 50 m steil unter uns ist ein Strand zu dem ein Weg aus Treppen und Stegen entlang der Klippe hinunterführt, der links unten am Strand hinter einem Vorsprung verschwindet und irgendwo rechts von uns beginnt.
„Ich frage nur schnell die anderen, ob wer mitgeht.“ Dann beginnt er auf Französisch mit den anderen zu diskutieren, wobei ich nur einen Bruchteil mitbekomme. Anscheinend müssen einige sowieso aufbrechen und so löst sich die Poolgesellschaft auf und fast alle gehen mit hinunter an den Strand. Der Abgang befindet sich hinter einem kleinen Badebungalow, in dem sich auch noch Duschen und ein paar Umkleidekabinen zu befinden scheinen.

Über die Treppen und Stege, die nur durch einen Handlauf mit einem Seil gesichert sind, trottet die ganze Gruppe nach unten. Sehr blau darf man aber nicht sein, wenn man hier rauf oder runter gehen will, sage ich zu mir selbst.
Im Restaurant sind wir dann zu siebent. Stefan, Maria, Chris, ich und noch zwei Jungs und ein Mädel von der Poolpartie, die allerdings nur französisch reden, was die Unterhaltung ziemlich schwierig gestaltet. Das Schulfranzösisch von Chris und mir ist nur sehr bedingt brauchbar, sowie ich es befürchtet habe, aber irgendwie, mit Händen, Füßen und ein paar Brocken Englisch gelingt es uns doch sich zu verständigen. Das heißt Chris und ich reden mit den Franzosen. Maria unterhält sich die meiste Zeit mit Stefan. Die beiden scheinen sich überhaupt auf Anhieb gut zu verstehen.
Später werden wir gefragt, was wir am Abend machen, denn heute findet eine Riesenstrandparty anlässlich des Schulferienbeginns statt und ob wir nicht auch kommen wollen.
Haben wir etwas Besseres vor? Nein, sicher nicht, also sagen wir zu!
Dann zeigt uns Stefan unsere Zimmer. Eigentlich sind es keine Zimmer, sondern fast eigene Suiten. Wir sind in einem Anbau an das Haupthaus untergebracht, der einen eigenen Eingang hat.
Jedes „Zimmer“ besteht aus einer Art Wohnzimmer mit Fernseher, Sitzgarnitur, Bar und Schreibtisch, Schlafzimmer und eigenem Bad.
Die Zimmer liegen nebeneinander und sind durch einen Balkon verbunden, der über den Park und die Terrasse hinweg Blick aufs Meer hat.
Ich fühle mich wie Gott in Frankreich – ein blöder Vergleich kommt mir zu Bewusstsein.
Bevor ich noch irgendwas anderes mache, versuche ich Manfred anzurufen, erreiche aber nur seinen Vater, der ausnahmsweise zu Hause ist. Manfred ist nicht da, er sei noch im Freibad oder so. Ich hinterlasse ihm Anschrift und Telefonnummer, die ich am Schreibtisch gefunden habe und bin ein wenig enttäuscht, dass er nicht zu Hause ist.
Am Abend gehen wir auf die Party. Eigentlich ist es nicht eine Party, sondern es finden verschieden Partys gleichzeitig statt und die Teilnehmer wandern von einer zu anderen. Maria hat sich sichtlich mit Stefan angefreundet und die beiden stecken die ganze Zeit zusammen, während das Mädchen, mit dem Stefan mittags, als wir eintrafen, immer in Ihrer Nähe steht und die beiden beobachtet. Ihrem Gesicht nach zu urteilen, denkt sie aber über nichts nach, was besonders nett wäre. Chris macht seinem Ruf wieder alle Ehre und es dauert keine Stunde, bis er sich schon an ein Mädel rangemacht hat und jetzt sitzen die beiden an einem der Feuer und sie lacht und kichert ziemlich blöde vor sich hin.
Ich muss wieder an Manfred denken, nehme mir eine Dose Bier aus einer der mit Eis gefüllten Kisten und setze mich an den Strand. Es ist fast vollkommen finster, da es bewölkt ist und weder Mond noch Sterne zu sehen sind. Das einzige Licht kommt von den Lagerfeuern hinter mir, von wo auch Lachen und Gesprächsfetzen herüber wehen. Hin und wieder singt auch eine Gruppe irgendwelche französischen Lieder, von denen ich aber kaum ein Wort verstehe, was ich aber mitbekomme klingt nicht ganz jugendfrei. Nachdem jedem Refrain ist wieder großes Gelächter, irgendwann verklingt das Lied mit lautem Gejohle und wieder übernehmen das Gemurmel der Stimmen hinter und das Rauschen des Meeres vor mir die Oberhand.
Ich denke an Manfred, an Vater, Mutter und meine Freunde von Schule und Verein. Plötzlich schießt mir wieder ein, dass ich immer noch in Gefahr bin, dass alles zu verlieren. Ich sitze in Südfrankreich in einer schwülen Sommernacht am Strand und fühle wie mir die Tränen in die Augen steigen. Ich würde so gerne mit Maria reden, will sie aber nicht dauernd belästigen. Sie hat schon so viel für mich getan und Anspruch auch auf ihr eigenes Leben und ich habe nicht das Recht, sie nur für mich zu beanspruchen.
Ich merke, wie sich jemand neben mich in den Sand setzt, kann aber im Dunkeln nicht sagen wer es ist.
„Na Großer, was ist denn los?“ zu meiner Verwunderung ist es Chris. Es ist das erste Mal seit langer Zeit, dass wir zwei alleine reden.
„Kannst du dir das nicht denken?“
Er sagt lange Zeit nichts, ich sehe ihn von der Seite an, wie sein Rücken und sein Hinterkopf von den Lagerfeuern hinter uns beleuchtet werden. Sein Gesicht liegt im Dunkeln und ich kann nicht erkennen, was der denkt. Er nimmt einen Schluck aus seiner Bierdose bevor er weiter spricht.
„Ich hab natürlich mitbekommen, was los ist. Ich wollt dir ja gerne helfen oder irgendwie beistehen, aber ich hab nicht gewusst, wie. Große Rede schwingen war noch nie meins!“
„Ich weiß dass doch! Und deshalb weiß ich es auch wirklich zu schätzen, dass du dass sagst “
„Danke, Du bist echt ein feiner Kerl. Schade, dass wir in den letzten Monaten so wenig Zeit gehabt haben.“
Ich sehe aus dem Augenwinkel einen Schatten vor einem der Lagerfeuer stehen und als ich hinsehe kommt die Gestalt näher und ich erkenne, dass es Maria ist.
„Na, da hat sich ja schon wenigstens ein positiver Effekt dieses Urlaubs herausgestellt. Wenn das so weitergeht…“ Sie lacht. Chris und ich stimmen in das Lachen ein und wir gehen zu dritt zurück zu unserem Lagerfeuer. Stefan ist nicht da, als ich Maria darauf anspreche, meint sie „er stellt sich gerade seiner Vergangenheit.“
„Eines wird sich nie ändern – das du Rätseln sprichst.“
„Er redet mit seiner Vielleichtviellelichtauchnichtex-Freundin, mit der er geredet hat, als wir angekommen sind.“
„Alles klaro.“
Es ist elf Uhr abends. Ich gehe in mein Zimmer um mit Manfred zu telefonieren.
Er ist zu Hause und wir quatschen und quatschen und quatschen ohne zu bemerken, wie die Zeit vergeht. Als ich endlich auflege, ist es eins durch. Ich gehe noch mal runter am Strand, die Party ist noch im Gange, aber von Chris, Stefan oder Maria ist nichts mehr zu sehen. Ein wenig bin ich enttäuscht, aber ich bin ja selbst schuld.
Um zehn wache ich auf, als jemand die Vorhänge aufreißt und die Sonne hereinlässt, die mir direkt in die Augen scheint.
„Guten Morgen Schlafmütze“ rufen Chris und Maria „Aufstehen oder willst du das Frühstück versäumen. Stefan wartet schon auf uns. Wir wollen an den Strand gehen.“ Ich bin nun wirklich alles andere als ein Morgenmensch und verkrieche mich unter den Decken und lege ein Polster über meinen Kopf.
Das nützt mir gar nichts. Die beiden reißen mir beides runter und es bleibt mir gar nichts anderes übrig als aufzustehen und ins Bad zu stolpern.
Zwei Stunden später liegen wir am Strand. Aber mir fällt auf, dass hier eigentlich nur wir und ein paar Freunde von Stefan liegen. Also frage ich ihn „Ist hier eigentlich immer so wenig los? Sind ja gar keine Leute hier.“ Chris, Maria und Stefan beginnen zu lachen und als Stefan den anderen übersetzt den anderen, was ich gefragt habe stimmen diese auch noch in das Lachen ein.
Na toll! Ich mach mich wieder mal um jeden Preis lächerlich. Ich bekomme einen roten Kopf und will schon in Richtung Wasser, als ich die Stimme von Stefan hinter mir höre.
„Das ist ein Privatstrand mein Freund. 250 m nach links und rechts gehört der Strand hier uns allein.“
Das erklärt auch die Zäune, die von der Wasserlinie bis zu den Klippen reichen und die schweren, mit Schlössern versehen Tore, durch die wir gehen mussten, als wir am Vortag im Restaurant essen waren.
„Lust auf einen kleinen Turn mit einem Jetski?“ fragt Stefan.
Ich habe zwar schon von diesen Dingern gehört, aber noch nie eines aus der Nähe gesehen.
Stefan führt uns zu einem Bootshaus, das direkt am Strand liegt und von dem ein Steg vielleicht 50m in das Meer hinausführt. Dort liegen 4 solcher Geräte vertäut und schaukeln leicht auf den Wellen. „Liegen die immer hier? Die kann doch jeder stehlen.“
„nö – in der Nacht sind sie im Bootshaus und das ist versperrt und alarmgesichert. Und am Morgen bringt das Personal sie raus.“
Ich bin immer mehr beeindruckt. „Sag mal, wie viel Geld haben deine Eltern eigentlich.“
„Du meinst deswegen?“ und zeigt in Richtung Haus, das unseren Blicken entzogen oben auf der Klippe liegt.
„Ja – ist ja wohl nicht gerade billig die Hütte.“
„Hütte?“ Er schaut mich kurz mit zusammengezogenen Augenbrauen an, was zu einer steilen Falte zwischen den Augen führt. „Mein Vater nagt nicht gerade am Hungertuch aber das gehört uns nicht – gehört der Firma und Spitzenmanager können ein paar Wochen im Jahr hier Urlaub machen und hier wohnen. Wir leben eigentlich in Paris und in Frankfurt – wo die Firmenzentralen sind.“ Er schaut kurz einen nach dem anderen an. „Können wir jetzt fahren?“

Die erste Stunde auf den Jetskis bleiben wir nahe am Strand und ich fühle mich wie ein Cowboy auf einem bockigen Pferd. Ich hab nach dem zehnten Mal aufgehört zu zählen, wie oft es mich abgeworfen hat. Aber dann haben wir den Dreh langsam raus und beherrschen die Dinger soweit, dass wir ein paar Kilometer am Strand entlang fahren können.
Bei einem großen weißen Gebäude, dem eine Terrasse mit weißen Schirmen vorgelagert ist, deutet
uns Stefan, dass wir anlegen sollen. Kaum sind wir von den Jetskies abgestiegen läuft er Richtung Haus und ruft uns noch zu, dass wir nur kurz warten sollen – er ist gleich wieder da.
Er verschwindet im Haus und ist nach wirklich nicht einmal 5 Minuten wieder zurück.
„So – weiter geht’s.“
„Nicht für mich Freunde, ich muss wieder zurück zu Haus.“ Ich habe schon schlechtes Gewissen, weil ich seit drei Tagen nicht mehr trainiert habe und will jetzt unbedingt wieder damit anfangen.
„Nee- ach komm, was kann schon so wichtig sein, dass es nicht warten kann?“
„Ich glaube unser Freund will wieder mal trainieren. Wenn er seine Hormone hier sonst schon auf die mehr übliche Art nicht los wird, will er sie wahrscheinlich auf diese Art bekämpfen. Außerdem hat er im Oktober ein Turnier.“ Chris betätigt sich also auch schon als Hellseher – bin ich wirklich so leicht zu durchschauen? Es ist erschreckend.
„Oh – ein Sportler also – dachte ich mir schon so wie du aussiehst. Und worum geht es?“
„Er ist Ringer.“
Stefan beginnt zu lachen „Is nich wahr! Das ist eine Verarsche – gib’s zu!“
Leicht indigniert gebe ich ein „doch – und was ist daran so lustig?“ zurück.
„Nicht eingeschnappt sein – ich nämlich auch!“
Jetzt ist es an mir blöd zu schauen.
„Jetzt verschaukelst du mich! Gib’s zu!“ äff ich ihn ein wenig nach!
„Nöö - wenn du willst, nehme ich dich Montag mit zum Training, ich hab mich hier im Verein eingeschrieben und gehe heute Abend noch eine Runde mit dir Joggen, wird mir ganz auch nicht schaden, dafür bleibst du aber jetzt bei uns – ist das ‚n Deal oder nich?“
Seit er wieder aus dem Haus zurück ist, hat sich seine Aussprache ziemlich verändert. Er spricht nicht mehr dieses fast reine, dialektfreie Hochdeutsch, sondern verfällt in einen Dialekt, der dem von Ben ähnelt. Seltsam, dass ich jetzt an Ben denken muss. Ich hab seit vielen Wochen nicht mehr an ihn gedacht, selbst beim Training war er nur ein Kamerad unter anderen.
Wir besiegeln den Deal mit Handschlag und fahren, nie weiter als hundert oder 150 m vom Strand entfernt, damit wir keine Schwimmer gefährden, aber nah genug um keine Angst zu bekommen, nicht an den Strand zurück schwimmen zu können, falls einer der Jetskis versagt.
Nach einer knappen halben Stunde verändert sich das Aussehen des Strandes und der Sand weicht Klippen, die wie Bastionen in das Meer hinausragen und hier und da sind kleine Buchten in die Felsen eingebettet. Bei einer dieser Buchten legen wir erneut an. Es scheint so etwas wie eine andere Art Privatstrand zu sein, der bereits von einer kleinen Gruppe Jugendlicher in Beschlag genommen wurde. Hinter dem nur ein paar dutzend Meter langen Strand, der links und rechts von hohen Klippen eingegrenzt ist, steigt das Gelände steil an und nur an der linken Seite ist es etwas weniger steil und es ist ein ausgetretener Weg zu erkennen, der auf die Hügelkuppe führt und dort im Wald verschwindet. Über diesen Weg müssen die anderen Wohl hierher gekommen sein, da ich sonst keine Boote oder etwas Ähnliches sehen kann. Stefan wird jedenfalls schon erwartet und von allen überschwänglich begrüßt. Er scheint überhaupt überall beliebt und bekannt zu sein. Das Mädchen, das lt. Maria seine vielleicht, vielleicht auch nicht Freundin ist, ist auch da. Ihrem Blick nach zu urteilen, hat sich das Verhältnis zu ‚eher nicht’ verschoben. Stefan begrüßt sie jedenfalls nicht herzlicher als die anderen und den jungen Mann, der neben ihr im Sand sitzt, lässt er überhaupt nur ein kurzes „Hi“ zukommen.
Falls Chris oder Maria etwas davon mitbekommen haben, lassen sie es sich nicht anmerken. Stefan versucht zwar uns mit allen bekannt zu machen, aber ich geben nach den ersten paar Namen auf – ich werde sie mir sowieso nicht auf Anhieb merken. Jemand hat eine komplette Picknickausrüstung mitgenommen, andere zaubern Pasteten, kaltes Fleisch, Obst und Gemüse hervor und wieder andere haben Flaschen mit Rotwein, Mineralwasser und Fruchtsäften dabei. Innerhalb kürzester Zeit sitzen wir alle herum, essen und trinken.
Die Verständigung ist dieses Mal kein großen Problem, die meisten sind Deutsche oder können deutsch und so sind wir sehr schnell in diese kleine Gesellschaft eingebunden.
Eigentlich sind es mehr Flaschen Wein, als solche mit Mineralwasser und in der herrschenden Hitze beginnt der Alkohol einigen sehr schnell in den Kopf zu steigen. Chris und ich sitzen etwas abseits und reden über Belangloses, als auf einmal ein Tumult ausbricht.
Die vielleicht-vielleichtauchnicht Freundin von Stefan schreit auf Französisch auf Maria ein, die neben Stefan sitzt und wie vom Donner gerührt ist, Stefan versucht das aufgebrachte Mädchen zu beruhigen was ihm aber sichtlich nicht gelingt- Als er versucht sie von Maria wegzuziehen beginnt sie auf ihn einzuschlagen. Stefan versucht ihre Schläge abzublocken und nimmt sie an ihren Handgelenken, doch sie beruhigt sich nicht, sondern tritt nun mit den Füßen auf ihn ein. Ich sehe, dass ihr Begleiter durch den Strand auf Stefan zustürmt, den Kopf eingezogen, als wollte er ihn rammen. Ich überlege nicht, ich lauf einfach los. Doch der Typ ist schneller und reißt Stefan derart von den Beinen, dass er auf den Bauch fällt. Dann beginnt er auf den Rücken von Stefan und seine Nieren einzuprügeln. Ich packe ihn von hinten und reagiere instinktiv als ich ihn von Stefan losreiße und einen Rückwärtsfaller mit ihm mache. Ich höre ihn hinter mir schwer auf den Sand schlagen und aufstöhnen. Schnell wirble ich herum und nagle ihn mit einen Klammergriff im Sand fest, der seinen linken Arm am Rücken fixiert und den rechten fast neunzig Grad nach hinten weg biegt. Er wehrt sich verbissen, kann aber nicht loszukommen. Er flucht in seiner Muttersprache und zu meinem Glück, so nehme ich an, verstehe ich kein Wort. Inzwischen hat er den Mund voller Sand. Ich nehme alle mein Französisch Kenntnisse zusammen und erkläre ihm, dass ich ihm richtig wehtun werde, wenn er sich nicht gleich beruhigt. Hinter mir schreit die jetzt ganz sicher Exfreundin von Stefan wie am Spieß und ich drehe den Kopf nach hinten, um zu sehen, was los ist. Stefan hat sie von hinten gepackt, und so um die Oberarme umklammert dass sie so ca. 30 cm über dem Boden schwebt, Mit den Beinen kann sie nur mehr in die Luft treten, diese zielen jetzt aber eindeutig in meine Richtung.
Der Typ unter mir bockt immer wieder auf und ich ziehe meinen Griff noch enger, so dass ich schon seine Knochen knacken hören kann, ein wenig fester noch und ich kugle ihm das Schultergelenk aus.
Ich zische ihm noch mal zu, das ich ihn freigebe, sobald er sich beruhigt. Tatsächlich lässt seine Spannung nach und er nickt. Stefan hat seine Exfreundin inzwischen zum Wasser getragen und dort mit einem lauten Platsch abgesetzt.
Ich lass den Typen los, steh so schnell wie möglich auf und gehe auf ein paar Schritte Abstand. Chris steht auf einmal neben mir, bereit mir zu helfen, falls es notwendig sein sollte.
Der Typ rappelt sich langsam auf, kann sich aber kaum auf seinen linken Arm abstützen, der sogar einmal wegsackt und er verzieht dabei vor Schmerzen dass Gesicht.
Er ruft dem patschnassen Mädchen etwas zu und beide beginnen ihre Sache zusammen zu packen und verziehen sich Richtung Hügelkamm. Auf halber Höhe dreht er sich noch mal um und zeigt auf mich. Soll wohl bedeuten, dass das noch nicht ausgestanden ist.
„Danke, Davy“ ich dreh mich um und Stefan steht hinter mir „aber ich glaube, du hast dir eben einen Feind geschaffen.“
„Wer war denn dass zur Hölle noch mal.“
„Annies Bruder. Er liebt seine Schwester abgöttisch.“
„Und was war mit ihr los?“
Stefan wird verlegen, er zögert bevor er antwortet „Ich habe gestern mit ihr Schluss gemacht. Anscheinend glaubt sie, dass Maria damit was zu tun hat.“
„Toll – einfach toll“ Ich drehe mich um suche noch was zu trinken. Einer der Freunde von Stefan, ich glaube er heißt Martin, hält mir eine Flasche Mineralwasser hin. „He – das war echt cool Mann. Dieses Arschloch hat schon lange so was verdient.“
„Martin hat Recht – ich hätte ihn schon längst mal zurechtbiegen sollen. Noch mal Danke Davy, ich hab zwar nicht alles genau mitbekommen, aber es war echt beeindruckend. Bist du auf der Matte auch so gut?“
Ich werde rot vor lauter Verlegenheit „Ich bin doch erst seit etwas mehr als drei Jahre dabei. Das war mehr Glück als Verstand.“
Stefan bekommt einen misstrauischen Gesichtsausdruck „Drei Jahre? Und dein Trainer schickt dich schon bei einem Liga-Wettkampf auf die Matte? Du musst ein echtes Naturtalent sein!“
Chris schaut mich auf einmal mit einem ganz neuen Gesichtsausdruck an – ich glaube so was Ähnliches wie Respekt zu erkennen. „Ich muss schon sagen, dass hätte ich dir gar nicht zugetraut Alter. Du wirst da ja richtig zum Tier!“
Hinter uns beginnt Maria an ihre Sachen zusammenzupacken „Ich habe genug für heute. Ich fahre zurück. Kommt ihr mit?“
Wir haben nichts dagegen. Stefan hat sichtlich Schmerzen und ich sehe auch einige blaue Flecken auf seinem Rücken, wo ungefähr die Nieren sind. Alain hatte sichtlich eine sehr genaue Vorstellung davon, wie man jemanden so trifft, dass es am Meisten weh tut. Ich beginne mir Gedanken zu machen woher er das weiß.
Wieder im Bootshaus sind die Stefans Schmerzen sichtlich schlimmer geworden und den Weg hinauf zum Haus müssen wir ihn zeitweise stützen.
Am Abend sitzen Maria und ich am Balkon meines Zimmers und unterhalten uns noch. Fortgehen wollen wir nicht mehr, zum Schlafen ist es noch zu früh und das französische Fernsehen hat auch wenig Verlockendes zu bieten.
„Ist ein netter Junge – Stefan mein ich“ sage ich zu ihr und nippe an meinem Glas mit Cola.
„So, findest du?“
„Ja eigentlich schon, aber nicht so wie du es anscheinend meinst. Ihr beide scheint euch ja blendend zu verstehen.“
„Ja, stimmt, wir verstehen uns gut, aber auf rein freundschaftlicher Basis. Ich bin ja fest vergeben, wie du weißt.“ Dabei fällt mir Manfred wieder ein. In einer Stunde werde ich ihn anrufen. Ich freue mich echt darauf, wieder seine Stimme zu hören.
„Und du – findest du nicht, dass er gut aussieht.“
„Ja natürlich sieht er gut aus, sogar sehr gut. Aber erstens er ist nun mal erwiesener Maßen voll hetero und zweitens bin ich mindestens genauso fest vergeben wie du – wenn nicht noch mehr. Wie du auch sehr gut weißt.“
Sie lacht „ Jaja – ich weiß.“
„Darf ich mich dazusetzen?“ Chris steht hinter uns – ich habe ihn nicht kommen gehört, was hat er alles mitbekommen? Etwas panisch sehe ich Maria an, die aber nur mit den Schultern zuckt.
„Na klar, setz dich und nimm dir was zu trinken.“ sage ich leichthin und rücke etwas beiseite, damit er Platz hat.
Wir reden über den heutigen Tag, über das Erlebnis in der Bucht, über unsere Sorgen und vieles andere.
Irgendwann, in einer Pause, in der niemand etwas zu sagen hat, kommt von Chris die Frage, auf die ich eigentlich schon lange warte und vor der ich mich auch gefürchtet habe.
„Davy – ich muss dich was fragen. Ich meine, wenn du nicht darüber reden willst, seh ich das ein und werde es auch akzeptieren.“
Er macht eine Pause und nimmt einen Schluck aus seinem Glas. „Du hast doch nicht wirklich eine Freundin – oder? Ich meine, so wie du und Maria es hinzustellen versuchen.“ Er macht eine lange Pause, trinkt wieder aus seinem Glas und weiß sichtlich nicht, wie er weiterreden soll. Dann setzt er sich neben mich. Ohne mich anzusehen, spricht er weiter „Ist es nicht eher ein Freund? Bevor du antwortest: Wie auch die Antwort ausfällt – es ändert nichts daran, dass ich dich als Freund sehe. OK?“
Ich habe einen Riesenklos im Hals und kann nicht antworten, ich will einen Schluck aus dem Glas nehmen, stell es aber wieder hin, sonst hätte ich sicher was verschüttet, so sehr wie ich zittere.
Ich versuche es mit einer Art Gegenangriff „Wie kommst du denn darauf?“ ich kann selbst hören, dass der Ton meiner Stimme schon allein genug Antwort ist. Chris scheint es nicht mitbekommen zu haben oder übergeht es bewusst.
„Ach weißt du, wie du mit Meike Schluss gemacht hast, wie du mit Manfred, Markus und Norbert die ganze Zeit zusammen hängst und die drei dürften was wissen, denn ein paar Mal haben sie dich gedeckt, wie es Diskussionen zu diesem Thema gab und Alibis zu Zeiten verschafft, wo ich genau gewusst habe, dass sie getürkt sind. Wegen eines Mädchens würden sie das nicht machen und – ach, ich weiß nicht, es sind viele Dinge, viele Kleinigkeiten, die ich mir nicht erklären konnte, aber irgendwann hat es klack gemacht und alle Puzzleteile sind an ihren Platz gefallen.“
„Denken viele in der Klasse so?“
„Viele ? nein – die meisten denken über so was nicht nach, aber ein paar stellen schon Vermutungen an. Wie ernst das zu nehmen ist, dass weiß ich allerdings nicht.“ Schöne Scheiße – ich werde mit Manni reden müssen, wenn ich mit ihm telefoniere.
Er schaut mich an: „Und hab ich recht?“
Ich atme tief durch und nehme mein Glas in die Hand, nur damit ich etwas in der Hand habe.
„Ja! Hast du.“ Ich kann ihm nicht in die Augen schauen, aus Angst vor dem was ich dort sehen könnte.
Er atmet tief durch „Puuhh ist schon starker Tobak muss ich sagen. Ich würd lügen, wenn ich sage, dass ich mich darüber freue. Aber ich bin froh, dass du mir die Wahrheit gesagt hast, auch wenn es mir lieber gewesen wäre, du wärst von selbst gekommen. Allerdings – so wie ich in letzter Zeit manchmal aufgeführt habe, wäre ich wahrscheinlich auch nicht zu mir gekommen. Schon gar nicht mit dem Thema.“
Ich muss zugeben, dass mir nun viel leichter ist – das Versteckspiel ist eigentlich unerträglich. Der einzige Grund, warum ich nicht hinaus brülle was eigentlich Sache ist, besteht nur darin, dass ich wahnsinnige Angst vor den möglichen Konsequenzen habe.
„Seit wann weißt du es eigentlich, Schwesterherz?“
„Seit seinem Geburtstag endgültig – vermutet hab ich es aber schon lange.“
„Und seit wann weißt du es Davy?“
„Wirklich wissen? Auch seit meinem Geburtstag. Aber vermuten und darüber nachdenken? Schon seit Jahren.“ Ich überlege schon von meinen Erlebnissen in *** zu erzählen, lass es aber bleiben.
„Und wer ist nun dein Freund? Kenn ich ihn?“
Ich blinzle ihn verwirrt an, denn eigentlich hab ich geglaubt, dass er es schon mitbekommen hat.
Ich schaue ziemlich hilflos Maria an „Das ist deine Entscheidung, ob du es verraten willst.“
„Ja, du kennst ihn…“
Ich kann sehen, wie er alle gemeinsamen Bekannte und Freunde im Geist durchgeht.
„Aber ich werde es nicht sagen – nicht jetzt. Es ist auch seine Entscheidung. Er soll selber bestimmen, wer Bescheid weiß. Ich glaub, würde ich es dir jetzt sagen, wäre es ein Vertrauensbruch.“
Er schaut mich lange an „Du bist ganz schön erwachsen geworden Kleiner. Aber das versteh ich und du hast wohl recht.“
Ich schaue auf die Uhr in zehn Minuten kann ich endlich Manfred anrufen.
„Ich würde gerne noch bis morgen früh hier sitzen und mit euch plaudern, aber ich muss einen wichtigen Anruf erledigen.“
„Oha – davon wollen wir dich nun wirklich nicht abhalten“ Maria schiebt ihn aus dem Zimmer „Lass dich nicht von ihm ärgern“ ruft sie noch, bevor sie die Türe zumacht. Ich würde ja zu gerne wissen, was die Beiden jetzt noch miteinander reden, aber der Anruf ist wichtiger. Und diesmal dauert es noch länger.

Als ich Manfred erzähle, dass mein Chris nun auch Bescheid weiß, ist er zuerst sehr still.
„Hast du ihm von mir auch erzählt?“
„Nein – ich habe ihm gesagt, dass ich diese Entscheidung nicht für dich treffen kann. Das müsste mein Freund selbst entscheiden“
Ich höre ihn erleichtert seufzen, eigenartiger Weise stört mich das.
„Soll ich ihm nichts von dir sagen?“
„Du, versteh mich nicht falsch, aber es wäre mir so lieber.“
„Warum denn? Ich will mich nicht ewig verstecken.“
„Ich auch nicht, aber ich glaube es wäre nicht richtig – ich habe das Gefühl, dass ich nicht soweit bin.“
„Was soll das den heißen? Bist du dir wegen mir nicht sicher? Ich habe geglaubt, uns kann nichts trennen!“
„Reg dich nicht auf – natürlich kann uns nichts trennen, aber irgendwie behagt mir das Gefühl nicht, dass so viele Leute Bescheid wissen. Versteh mich doch mein Kleiner.“
„Ok – ist ja deine Entscheidung – ich werde Chris nichts sagen – versprochen.“
„Danke – ich liebe dich.“
„Ich liebe dich doch auch.“

Um halb zwei lege ich endlich auf und mich ins Bett. Ich kann lange nicht einschlafen - dass Telefonat geht mir nicht aus dem Kopf – immer wieder muss ich darüber nachdenken um komme nicht dahinter, was mich eigentlich gestört hat. Als es draußen schon dämmert, schlafe ich dann doch ein.

Ich wache erst gegen Mittag auf, ohne dass mich jemand aufweckt. Im Esszimmer, wo wir am Vortag gefrühstückt haben ist niemand. Da ich auch sonst niemanden finden kann, ziehe ich mir meine Laufsachen an und beschließe eine Runde laufen zu gehen. Ich finde eine kleine Tür in der Mauer, die rund um das Anwesen gebaut wurde und laufe einfach los. Nachdem ich mich fast verlaufen habe und nur mehr durch Zufall zurückfinde als durch meine Fähigkeiten im Orientierungslauf, sperre ich die Türe wieder auf (Stefan hat uns allen Schlüssel gegeben, die uns ermöglichen jederzeit ins Haus und in unsere Zimmer zu kommen) und geh zurück auf mein Zimmer und zu duschen. Dort finde ich einen Zettel von Maria „Wollten dich aufwecken, warst aber schon fort – nehme an Laufen. Sind dann am Pool. Kuss Maria.“
Am Pool angekommen sehe ich Chris, Stefan und Maria, wie alle drei auf Luftmatratzen im Wasser treiben und vor sich hindösen. Die Welle, die ich beim Hineinspringen verursache, wirft Chris und Maria von der Matratze, nur Stefan, der am Weitesten weg ist, kann sich gerade noch oben halten.
„Na warte dass büßt du“ höre ich Chris in dem Moment rufen, als ich wieder auftauche. Mit vereinter Hilfe schaffen es die Beiden mich unter Wasser zu drücken. Irgendwann rufe ich mit gespielter Verzweiflung Stefan um Hilfe, der sitzt aber am Beckenrand und sagt nur „Da mische ich mich nicht ein – außerdem bin ich verletzt.“ Dabei grinst er mich unverschämt an.
Nach einer Weile halten wir uns alle drei nach Luft schnappend am Beckenrand an.
Stefan schaut uns an „Ich beneide euch drei – so konnte ich nie mit meinen Schwestern oder Freunden umgehen.“
Ich denke darüber nach und mir wird klar, dass wir bisher auch noch nie so unbeschwert herumtollen konnten. „Konnten wir bisher auch nicht.“ sage ich, als ich aus dem Wasser steige und mich abzutrocknen.
„Versteh ich nicht Davy – was meinst du damit?“
Chris, Maria und ich schauen uns abwechselnd an. Chris und Maria nicken ganz leicht.
Ich setze mich auf ein der Liegen und beginne Stefan unsere, also eigentlich meine Geschichte zu erzählen. Hin und wieder werfen Chris und Maria etwas ein um mich zu korrigieren oder zu ergänzen. Nach nicht ganz einer Stunde war ich fertig und Stefan ganz still.
„Schöner Sch…aden. Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst.“
Kann er nicht, ich find’s aber trotzdem nett, wie er das sagt. Allmählich find ich ihn immer netter. Vielleicht sogar zu nett.
„Aber ich hab schon so was Läuten gehört – mein Vater hat gemeint, es gehe nicht nur darum, dass ihr euren Urlaub hier verbringt, sondern auch darum, dass er einem alten Freund einen Gefallen tun soll. Ich muss ja zugeben, dass ich mich ziemlich gewehrt habe für euch den Babysitter zu spielen. Aber jetzt kann ich sagen, bin ich ziemlich froh, dass ihr hier seid.“
„Danke für die Blumen!“ sagt Chris und verbeugt sich mit einem Kratzfuß, verliert das Gleichgewicht und fällt mit seinem Hintern voraus ins Wasser.
„Hochmut kommt vor dem Fall!“ kommentiert Maria trocken und steigt aus dem Wasser. Ich schaue zu Stefan hinüber und erwarte eigentlich, dass er Maria ansieht, sie ist ein ziemlich hübsches Mädel – da kann man nichts sagen, aber er schaut mich an – er schaut mir direkt in die Augen. Und ich versinke in diesen Augen, die mich in einem irren Blau anblitzen. Ich denke eigentlich, dass Stefan zuerst wegschauen wird, aber er hält mich in seinem Blick fest.
„Die Aussicht ist ja irre. Was ist denn das dort für ein Schiff?“ sagt Chris hinter mir – er ist an den anderen Rand des Beckens geschwommen und schaut von dort hinaus aufs Meer. Weit draußen schwimmt ein großes Schiff vorbei, wenn man sich sehr anstrengt sieht man noch die bunte Bemalung, die sich quer über den Rumpf zieht. Ich bin froh, dass ich einen Grund habe, meinen Blick aus dem von Stefan zu lösen und wir schauen beide auf’s Meer hinaus.
„Das ist die Sea Princess. Ein großer Kreuzfahrer. Die läuft heute in Nice ein.“ Seine Stimme ist hohl und klingt weit weg, dabei starrt er das Schiff an, als wäre es ein Happen Essen, der einem Verhungernden vor der Nase hängt.

Es ist fast drei durch – wir liegen am Pool und reden über Gott und die Welt. Stefan ist wieder normal und man merkt ihm nicht mehr an, wie seltsam er noch vor knapp zwei Stunden war, als das Schiff vorbei gefahren ist.
Wir reden auch über Beziehungen und Frauen. Stefan sieht mich an und fragt „Auf was für einen Typ stehst du denn eigentlich?“
„ca. meine Größe, blond und eher athletisch“ ich muss verrückt geworden sein, denn eigentlich hab ich ihn ja beschrieben. Maria sieht mich groß an – sie hat genau verstanden und zeigt mir hinter dem Rücken von Stefan einen Vogel! Stefan sieht mich etwas eigenartig an und etwas tief in seinen Augen glitzert, aber er geht nicht darauf ein .Er sieht auf seine Armbanduhr und dreht sich zu mir um „Zeit zu gehen, Junior.“
Ich schiebe meine Sonnenbrillen nach oben und schau blinzelnd an „Wohin denn? Und wieso sagt alle Welt Junior oder Kleiner zu mir? Ich bin 17 und fast 1,80.“
„OK, ok – Also David – gehen wir zum Training?“
Ich hatte das schon fast vergessen. „Aber geht das bei dir? Ich dachte du hast noch Schmerzen.“
„Rotes Mann nix spüren Schmerz – Hugh!“
Eine viertel Stunde später treffen wir uns bei der Garage, dass heißt ich warte und Stefan fährt mit einem schnittigen Zweisitzer aus der Garage.
„Steig ein. Keine Angst, ich bin ein guter Fahrer.“
„Hast du denn einen Führerschein?“
„Nein, – aber wenn du es keinem sagst, tu ich es auch nicht!“
Er ist wirklich ein guter Fahrer, aber trotzdem bleibt mir bei manchen Kurven fast das Herz stehen. Ich bin heilfroh als wir vor einer Sporthalle nicht weit von der Stadtgrenze von Nizza anhalten.
Drinnen sieht es fast aus wie zu Hause – wahrscheinlich sind alle Sporthallen irgendwie gleich.
Das Training unterscheidet sich allerdings gewaltig von dem daheim. Solange ich noch mit Stefan im Kraftraum Gewichte stemme und drücke ist alles wie gewohnt, sobald wir aber zu den anderen stoßen ist alles anders. Der Trainer ist ein missmutiger alter Mann, der keinen Spaß versteht und das Training führt als würde er Rekruten in einer Armee ausbilden. Da gibt es kein Lachen während des Trainings keinen kleinen Scherz, der die Spannung lösen könnte.
Da ich da bin, will er anscheinend beweisen wie gut oder wie viel besser seine Leute sind, schickt er einen nach dem anderen gegen mich auf die Matte.
Die ersten beiden sind kein Problem. Zu langsam, zu leicht.
Der dritte bekommt mich fast, bis er einen Fehler macht und ich ihn überraschen und noch einen Schultersieg anbringen kann – danach bin ich fix und fertig und kann nicht mehr.
Aber der alte Hund lässt nicht locker und ruft Stefan und mich auf die Matte. Ich will nicht gegen Stefan antreten – erstens bin ich fix und foxi und zweitens weiß ich dass er immer noch Schmerzen von gestern hat. Aber der Alte lässt nicht locker bis, er sogar zu Schimpfen beginnt von wegen das wir nur Weicheier sind, keinen Mumm in den Knochen haben – lauter Arschficker – genau dieses Wort benutzt er – die nur stark sind, wenn sie gegen Schwächere antreten.
Ich raste fast aus und will schon auf den Alten losgehen und ihm sein überhebliches Grinsen aus dem Gesicht prügeln, als mich Stefan mit Gewalt zurückhält, aber ich bin fast nicht mehr zu bremsen, ich sehe nur mehr rot, denn kein altes französisches Arschloch nennt mich „Arschficker“ . Stefan legt mich mit einem Wurf auf die Matte und fixiert mich.
„Komm wieder zu dir – sei nicht verrückt, dass ist es nicht wert. DAVY – Sieh mich an – SIEH MICH AN.“ brüllt er mich an. Da werde ich auf einmal wieder klar.
„Schon gut – alles wieder in Ordnung – ich bin wieder ok“ sage ich zu ihm. „Du kannst wieder loslassen“ sag ich dann etwas lauter, als er den Griff immer noch nicht löst.
Langsam lässt er los, so als würde er mir nicht wirklich trauen.
Ich stehe langsam auf, schnappe mein Zeug und renne in die Umkleide – ohne mich umzuziehen stopfe ich alles in meine Sportasche und ziehe mir nur den Trainingsanzug über mein Trikot und Laufschuhe an. Eine Minute später bin ich draußen vor der Halle und lehne mich an den Wagen von Stefan. Vor lauter Wut trete ich noch gegen die Hausmauer und werfe einen Stein so fest ich nur kann über das Hallendach. Erst langsam beruhige ich mich und das Zittern lässt nach.
Auf einmal legt sich eine Hand auf meine Schulter. Ich brauche mich nicht umzudrehen um zu wissen, dass es Stefan ist. Wer soll es auch sonst sein?
„Es tut mir leid – ich weiß dass der Alte ein harter Hund, aber ich hatte keine Ahnung, dass er ein solches Arschloch ist.“
Er lässt sie Hand auf meiner Schulter liegen während er redet und drückt während er redet immer wieder leicht zu als würde er seine Worte damit unterstreichen wollen.
„Komm – wir fahren heim.“
Am Weg zurück war er wesentlich langsamer als bei der Hinfahrt unterwegs.
„Du riechst“ fängt er auf einmal an.
„Ich bin also nicht nur ein Arschficker, sondern ein stinkender Arschficker?“
„Hab ich nie gesagt und jetzt beruhig dich bitte! Ich sage nur, dass du riechst – kommt wohl daher, dass du nicht geduscht hast. Ich find’s ja nicht mal unangenehm“. Er sagt das in einem derart neutralen Ton, dass ich nichts darauf erwidern kann. Stattdessen hebe ich den linken Arm und schnuppere unter meiner Achsel – kann aber nichts riechen.
Als wir aus der Garage gehen, frage ich ihn ob wir uns noch sehen, sagt er „nein, heute wohl nicht mehr. Gute Nacht Davy – und noch mal Sorry wegen der Szene vorhin. Das tut mir echt leid, dass das passieren musste…“ sprachs und verschwindet Richtung Haupthaus. Mir fällt auf, dass ich eigentlich keine Ahnung habe wo sein Zimmer ist.
Er hat Recht, wir sehen ihn am Abend nicht mehr, auch am nächsten Morgen nicht. Er taucht erst drei Tage später wieder auf. Ich treffe ihn zufällig vor dem Haupteingang, als ich am Weg vom Abendessen mit seinen Eltern zu meinem Zimmer bin. Ich begrüße ihn, aber sieht mich kaum an, grüßt mich zurück, als hätte er mich eigentlich gar nicht bemerkt und der Gruß wäre nur eine automatische Reaktion ohne sein bewusstes Zutun.
Wir haben die drei Tage mit Ausflügen, Stunden am Strand und plaudern verbracht. Jeden Tag habe ich mindestens zwei Stunden trainiert und am Abend auf den Anruf von Manfred gewartet.
Ich weiß es nicht genau und ich kann es auch nicht an etwas Bestimmten festmachen, aber irgendwo stimmt was nicht mit ihm, nicht dass er anders klingen würde, seine Stimme nicht wie immer voller Liebe und Zuneigung wäre, aber tief in mir drinnen weiß ich das etwas nicht stimmt und ich habe keine Ahnung was es ist. Er und sein Vater sind in Kärnten in einem Hotel und das scheint ihm nicht wirklich Freude zu machen. Vielleicht liegt es ja daran.
Am Tag nach dem Stefan wieder aufgetaucht ist, ist alles wieder wie zuvor. Es ist, als wäre er nie verschwunden. Wir sitzen wieder am Pool und amüsieren uns prächtig. Nur einmal verfällt Stefan noch kurz in diese seltsame Stimmung als er aufs Meer hinaussieht. Ich folge seinem Blick und sehe die ‚Sea Princess’ draußen auf hoher See Richtung Süden davon dampfen.

Wir verbringen die nächsten beiden Tage mit rumhängen, ausgehen, Training und langen Gesprächen am Abend. Manchmal ist Stefan dabei, manchmal nicht.
Mir dämmert, dass ich Stefan die drei Tage, an denen er verschwunden war, vermisst habe. Verdammt, was ist denn los mit mir? Mein Freund wartet auf mich und ich vermisse hier einen Typen, den ich gerade mal ein paar Tage kenne. Shit – ich glaube fast, ich hab mich verknallt, falsch – ich BIN in ihn verknallt und zwar bis über beide Ohren. In Stefan – in einen Hetero – in einen ringenden, mädchenaufreißenden Hetero - ich bin ein Idiot!
Jetzt wird auch klar, was sich bei den Telefonaten mit Manni geändert hat. Nicht er ist anders, sondern ich.
Chris, Maria und ich haben vorgestern wieder eines unsere „wiegehtesweiter-waskönnenwirtun“ Gespräche geführt. Chris macht sich nun noch mehr Sorgen, was ich durchaus verstehen kann und mir das Versprechen abgenommen so vorsichtig wie möglich zu sein. No na ned! Was glaubt er denn?, dass ich ab sofort mit einem Schild um den Hals herumlaufe auf dem in großen Buchstaben steht „ ICH BIN SCHWUL! NA UND?“ Auch wenn die Vorstellung durchaus etwas für sich hätte!
Seit gestern ist Schlechtwetter und deswegen hat Stefan eine Führung durch das Haus für uns gemacht. Wir sind durch endlose Zimmerfluchten, über Treppen rauf und runter, vom Keller bis zum Dachboden und wieder retour. Sollte er mich hier irgendwo aussetzen, ich würde wohl nie mehr herausfinden. Auch seine Wohnung haben wir gesehen. Sie liegt am anderen Ende des Hauses in einem Gebäudeteil, der spiegelbildlich zu jenem angebaut wurde, in dem wir wohnen. Seine Wohnung war ungefähr doppelt so groß wie mein Zimmer und es ist das erste Mal, dass ich einen nicht aufgeräumten Raum in diesem Haus sehe.
Ansonsten hält man es hier mit dem Motto Angestellte soll man bemerken, aber nicht sehen.
Ich stehe morgens auf, gehe Duschen, komme nach dem Frühstück zurück und wenn ich zurückkomme ist das Zimmer pikobello aufgeräumt. Komme ich am Nachmittag um mich umzuziehen, ist die Schmutzwäsche vom Morgen bereits fertig gewaschen und liegt in einem der Schränke. Es ist unheimlich – ich sehe kaum jemals was vom Personal, aber es scheint immer irgendwo zu sein und darauf zu lauern, dass es hinter uns herräumen kann.

Stefans Zimmer sind das krasse Gegenteil. Kleidung liegt, Gläser stehen herum, das Bett ist nicht gemacht und durch die offene Badezimmertür sehe ich benutzte Handtücher am Boden liegen.
Er scheint meinen Blick zu bemerken. „Ich habe es mir verbeten, dass dauernd jemand hinter mir herräumt. Das Personal darf einmal in der Woche hier durch putzen, ansonsten ist dieser Bereich für sie tabu. Sonst habe ich ja überhaupt kein Privatleben mehr.“
Wirklich interessant wird es erst, als wir im Laufe der Führung in die Räume kommen, die teilweise unter der großen Terrasse liegen, die in den Garten hinausführt. Dort ist eine kleine Sporthalle, ein Fitnessraum, eine Sauna, Dampfbad, Duschen – überhaupt so ziemlich alles, was man sich wünscht, eingerichtet.
Auf dem Boden der Halle liegt sogar eine echte Ringermatte!! „Und das hast du alles für dich behalten?“ schimpfe ich.
„Ich hab ehrlich nicht daran gedacht – im Sommer nutzt das alles kaum jemand, außer das Wetter ist schlecht – so wie jetzt.“
„Und die Matte gehört zur Grundausstattung?“
„Hast ja Recht, die hab ich mir mal gewünscht, aber hab sie noch nie benutzt. Mit wem denn auch?“
Dann denkt er kurz nach und schaut mich an: „Lust auf einen kleinen Trainingskampf?“
„Nicht wirklich – der letzte Kampf mit dir steckt mir immer noch in den Knochen.“ Ich winke ab und schüttle den Kopf.
„Wenn ich mich richtig erinnere, war das kein richtiger Kampf, sondern du wolltest meinem EX-Trainer erwürgen und ich hab mich dazwischen geworfen.“
Maria schaut mich groß an: „Du wolltest was? Davon hast du mir ja gar nichts erzählt.“
„Er war ein Arschloch – und zwar ein Riesiges. Ich hab die Beherrschung verloren und Stefan hat mich wieder zur Vernunft gebracht – das war alles.“
„Das war also alles – und du meinst, das ist nicht der Rede wert? Na Bravo ! Du weißt genau, dass wir hier Gäste sind und entwickelst dich zum Schläger. Sei mir nicht bös, aber das ist ziemlich beschissen!“
Stefan stellt sich vor Maria, die vor Wut bebt – so habe ich sie noch nie gesehen. „Ist wirklich nicht so schlimm gewesen und jetzt ist alles geregelt.“
„Ja – haltet nur zusammen, ihr Supersportler“ sie geht aus dem Raum und knallt die Tür hinter sich zu.
Chris lehnt an der Wand „Jetzt ist sie sauer!“
„Kaum zu überhören- oder!“ Ich bin jetzt auch wütend und gehe Richtung Ausgang.
„Und wo willst du jetzt hin?“ fragt er
„In mein Zimmer – mich umziehen. Ich muss mich abreagieren.“
Stefan lächelt und zeigt auf sich selbst, „An mir?“
„Auch an dir- wenn ich kann!“
Chris lacht auf „Da will ich lieber nicht stören“
Bevor ich in mein Zimmer gehe, klopfe ich noch an die Marias Tür. Eines der Stubenmädchen macht mir auf –Maria ist nicht da und wütend stapfe ich in mein Zimmer und ziehe mich um.
Zwanzig Minuten später bin ich in Trikot und Ringerschuhen in der Sporthalle und beginne mich aufzuwärmen und Dehnungsübungen zu machen. Ich bin immer noch wütend auf Maria, aber in meinem Innersten weiß ich ja, dass sie Recht hat.
Nach einer halbe Stunde kommt auch Stefan und hat sein Ringertrikot an. Ich muss kurz schlucken – ich habe die letzten Tage gar nicht mehr darauf geachtet, wie gut er eigentlich aussieht aber wie er jetzt so vor mir steht. Kommt es mir voll zu Bewusstsein. Ich muss mich wirklich zusammenreißen um keinen Ständer zu bekommen.
Er ist wieder recht kurz angebunden „Sorry für die Verspätung, aber ich hab noch kurz telefoniert.“
Ansonsten wortlos beginnt auch er sich aufzuwärmen.
Wir reden kaum etwas, gerade das notwendigste und es ist zu merken, dass es in ihm fürchterlich brodelt. Ich kann nicht einmal ansatzweise erraten, was los sein könnte.
Später stellen wir uns auf der Matte auf und beginnen spielerisch Griffe anzusetzen, zu blocken, Beinaktionen zu setzen und so fort.
Alles ganz locker.
Stefan ist es schließlich der meint „So – jetzt mal Schluss mit dem Geplänkel – lass uns einen richtigen Kampf austragen. Zeig mir gut wie gut du bist.“
„OK- wie du willst, aber hab Mitleid mit mir – du weißt, dass du er bessere bist.“
„Keine Angst – ich wird dir schon nicht wehtun.“
Es ist schwer, einen Kampf ohne Kampfrichter zu führen, also machen wir uns Zeichen aus, auf die hin der Kampf sofort unterbrochen werden muss. Wenn einer dreimal auf die Matte klopft ist dass das Zeichen für das Ende des Kampfes.
Es dauert keine 30 Sekunden bis ich in Unterlage komme. Aber ich kann mich umdrehen und in die Brücke gehen, bevor er mich auf die Schultern drücken kann. Es gibt Regeln, wie eine Brücke eingedrückt werden darf und Stefan bricht so ziemlich jede davon.
Ich schaffe es irgendwie von ihm wegzukommen und trete so schnell wie möglich von der Matte.
„He – dass gilt aber nicht. So war das nicht abgemacht.“
„Tut mir leid – kommt nicht wieder vor. Noch ne Runde. Ich verspreche dir, das passiert nicht noch Mal“
Ich hätte auf seine Augen achten sollen, dort hätte ich sehen können, was los ist, aber ich gehe noch einmal auf die Matte. Ohne Warnung und blitzschnell hat er mir die Beine weggezogen und falle extrem dumm auf meine eigene Hand. Irgendwas kracht. Er drückt sich mit vollem Gewicht auf mich und fixiert mich in der Bauchlage.
Ich bekomme keine Luft mehr und er scheint immer schwerer zu werden. Irgendwo in mir knackst wieder was und ich klopfe dreimal auf den Boden und wieder und wieder. Ich sehe schon Sterne und kann gerade noch ein „Stefan – bitte“ hervorstoßen. Als ich glaube, ich werde ohnmächtig, lässt der Druck auf einmal nach und ich bin frei. Würgend und hustend schaffe ich es mich aufzusetzen. Stefan steht schwer atmend vor mir und starrt mich an, er sieht vollkommen verwirrt aus, als hätte er die letzten ein, zwei Minuten gar nicht mitbekommen. Dann sehe ich wie ihm Tränen in die Augen steigen.
„David … ich …“ er dreht sich um und stürzt in Richtung der Umkleidekabinen davon, die dem Eingang gegenüber auf der anderen Seite der Halle liegen.
In diesem Moment kommt Chris herein.
„Hi – ich wollte mir mal ansehen wie ihr euch prügelt. Hab ich was versäumt?“ Er sieht mich auf der Matte immer noch nach Luft ringen und rennt auf mich zu „DAVY – was ist los? Alles OK? Was hat er mit dir gemacht?“
Ich habe mich schon soweit erholt, dass ich antworten kann „Geht schon wieder – war ein Unfall. Kommt manchmal vor. Lass mich bitte. Es geht schon wieder.“
„Bist du dir sicher?“
„Ja ja – ich bin mir sicher und jetzt mach dir mal keine Sorgen! – wir sehen uns beim Abendessen – ich muss nur duschen.“
„Wie du willst Kleiner– es geht dir doch wirklich gut?“
„Jaja – alles OK“
Chris macht ein unsicheres Gesicht, man sieht, dass er nicht weiß, ob er gehen oder bleiben soll – aber er geht schließlich doch.
Ich bekomme zwar wieder Luft, aber in meinem Brustkorb sticht es bei jedem Atemzug. Auf der linken Seite bekomme ich inzwischen einen blauen Fleck – sehr groß und sehr hässlich.
Ich höre, dass inzwischen die Dusche angegangen ist. Ob es richtig ist oder nicht – auf jeden Fall gehe ich in die Umkleidekabine. Dort setze ich mich auf eine der Bänke und begutachte den blauen Fleck. Ich habe Schmerzen und wenn ich Pech habe, ist irgendwas angeknackst – es sticht bei jedem Atemzug höllisch.
Die Tür zur Dusche ist nur angelehnt und ich höre das gleichmäßige Rauschen des Wassers. Dazwischen ist noch ein Geräusch – es klingt wie ein Schluchzen.
Vorsichtig schaue ich in die Dusche. Stefan sitzt nackt direkt unter einem Duschkopf auf dem gefliesten Boden, mit dem Rücken an die gekachelte Wand gelehnt, die Beine angezogen und den Kopf zwischen den Knien. Er hat die Hände über dem Hinterkopf zusammengefaltet und schluchzt vor sich hin.
Während ich noch unschlüssig dastehe, nicht wissend, was ich tun soll, sieht er auf. „Es tut mir so leid“ sagt er mit belegter Stimme und fast habe ich das Gefühl, dass er geweint hat. „Ich wollte dir doch wirklich nicht wehtun.“
Ich greife in die Duschkabine und drehe das Wasser ab. Dann gehe ich vor Stefan auf die Knie und seh ihm in die Augen.
„Warum? Was ist denn los?“
In diesem Moment scheint etwas in ihm zu zerbrechen. Er drückt seinen Kopf an meine Brust, seine Arme schlingen sich um meine Hüften und er beginnt wieder hemmungslos zu weinen.
Ohne eine Art von Ahnung was ich sonst tun kann, beginne ich ihm über den Kopf zu streichen, nehme ihn in den Arm und wiege ihn wie ein kleines Kind.
Nach einer Weile beruhigt er sich, hebt den Kopf und sieht mir in die Augen. Er steht auf und schlingt sich ein Handtuch um die Hüften, auf einmal scheint es ihm peinlich zu sein, dass er nackt vor mir gesessen ist.
Er wischt sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen und lehnt sich an die Duschwand.
Er sieht mich lange nur an. Dabei hat er wieder diesen Blick, der mir schon vor ein paar Tagen am Pool die Seelenruhe geraubt hat.
„Davy – ich muss dir was sagen!“
Ich lehne mich ihm gegenüber an die Wand verschränke die Hände hinter meinem Rücken, nur um das Zittern zu unterdrücken und nicke. „Worum geht es denn?“ Ich ahne schon, was er mir sagen wird.
Er stottert richtig gehend herum, bevor er ein einziges klares Wort herausbringt. Dann holt er tief Luft und stößt es richtig heraus: „Ich glaub, ich steh eigentlich gar nicht auf Mädels. Ich glaub ich steh auf Jungens und ich glaub ich bin ich dich verknallt. Falsch – ich bin mir sicher das ich mich in dich verknallt hab!“ Er bleibt stehen und hält die Luft an und wartet sichtlich auf meine Reaktion.
Ich steh nur da und staune Bauklötze in die Luft. Da steht der netteste, hübscheste und geilste Typ, den ich jemals gesehen habe und gesteht mir stotternd, dass er schwul ist und zwar nachdem er mir fast die Rippen gebrochen hat. Noch dazu meint er, dass er in mich verknallt ist. Man sieht Stefan an, dass er Höllenängste aussteht und auf meine Reaktion wartet. Das Leben ist ein Witz. Manchmal ein schlechter, manchmal ein guter. Zu welcher Art das hier gehört hab ich keine Ahnung.
Ich muss auf trotzdem lachen, keine Ahnung wieso, aber es beginnt mich zu schütteln und auf einmal bricht es brüllend aus mir heraus. Ich hab keine Chance es auch nur ansatzweise zu unterdrücken.
„DU!?“ bringe ich heraus „DU ? Ich glaub’s einfach nicht!!“ Ich brülle weiter vor Lachen.
Stefan schläft das Gesicht ein. Er dreht sich um und geht Richtung Umkleide. Ich erhole mich langsam und bekomme auf einmal einen Riesenschrecken. Was wenn er jetzt tödlich beleidigt wäre? Ich wäre es wahrscheinlich, wenn ich das einem Typen sagen würde und er würde anfangen wie verrückt zu lachen. Ich stürme also raus und Stefan schultert gerade seine Sporttasche und geht in Richtung Halle.
„Stefan warte!“
Er tut so, als hätte er mich nicht gehört. Ich renn ihm in die Halle nach.
„Mensch warte doch!“ aber macht keine Anstalten stehe zu bleiben. Als er über die Matte geht, renn ich ihn einfach um und nagle ihn auf der Matte fest.
„Hör mir doch zu, verdammt noch Mal!!!“ schrei ich.
Stefan wehrt sich nicht, er liegt unter mir und ich sehe Tränen über sein Gesicht laufen.
„Stefan – bitte, es tut mir leid. Ich wollte dich doch nicht auslachen, es war die verrückte Situation, wegen der hab ich gelacht!“
Auf einmal schüttelt er mich blitzschnell ab, dreht sich und ehe ich mich versehe, liege ich mit dem Rücken auf der Matte. Stefan kniet auf mir und hält meine Hände fest.
Diesmal wehre ich mich nicht.
„Hat es dir Spaß gemacht? Hä? Freut es dich, dass ich mich vor dir zum Affen gemacht habe? Wirst du es jetzt wenigstens jedem erzählen?“ brüllt er mich an und drückt mich noch fester in die Matte. Ich hab fast Angst, dass er mich schlägt.
„Stefan, ich bin doch auch schwul!“ kann ich gerade noch schreien, bevor mir die Luft wegbleibt.
Jetzt ist es raus.
Er lässt mich erschrocken los, bleibt aber auf mir sitzen.
„W…Was?“
„Ja, du Idiot!“ sag ich.
„wau“
Wau ? Was wau? Wieso wau?
„Ich glaub ich hab ‚n Rad ab!“
„Schiebst du eigentlich immer solche intelligenten Sprüche?“
Er sieht mich einfach nur an und lässt dabei den Mund offen stehen. Wäre die Situation nicht so labil, würde ich sicher wieder anfangen zu lachen, ein derart intelligentes Gesicht macht er.
Als ich darüber nachdenke, warum ich es ihm eigentlich gesagt habe, erschrecke ich maßlos! Er sitzt nackt auf mir, den das Handtuch hat er bei unserem kleine Kampf verloren und ist vollkommen hin und weg. Jetzt ist es absolut sicher, dass ich mich in ihn verknallt habe, aber nicht nur irgendwie, so auf Schwärmerei, sondern bis über beide Ohren. Er ist nicht nur süß. Er ist nicht nur nett. Ich will ihn! Und wie ich ihn will! Nicht nur wegen Sex, sondern auch als Menschen. Mit Haut und Haaren!
Ich richte mich auf und so sitzen wir nun. Ich im Schneidersitz und er auf mir, die Beine um mein Hüften geschwungen. Wir sehen uns nur in die Augen, mir scheint es eine ewige Zeit zu sein, während der ich merke, wie die maßlose Angst zuerst Verwunderung, dann Verständnis und zum Schluss einfach maßloser Freude Platz macht. Dabei ändert sich die Farbe seiner Augen von einem dunklen blaugrau zu hellem, strahlenden Blau, so wie ein wolkenloser Sommerhimmel sie hat.
Ich habe, ohne es zu merken, meine Hände um seine Schultern gelegt.
„Stefan!“ flüstere ich „ich glaub, ich hab mich auch in dich verknallt. Und zwar hoffnungslos!“
Er zieht seinen unwiderstehlichen Grinser auf „Was erst jetzt? Das dauert normalerweise nicht so lange, dass sich jemand in mich verliebt!“
„Du eingebildetes, arrogantes,…“ aber da hat er mich schon geküsst.
Wir wälzen uns auf der Matte wie zwei Verrückte. „Pssst – nicht so schnell – denk mal wo wir gerade sind“ flüstert er mir zu „komm, wir gehen zu mir.“ Ich weiß nicht, wie wir zurück in die Unkleide gekommen sind um uns schnell was über zu ziehen, wie wir aus der Halle oder durch das Haus gekommen sind, ob uns jemand bemerkt, gesehen hat oder nicht. Der Weg ist unterbrochen von wilden Küssen in dunklen Ecken, dem Gleiten der Hände unter die Shirts oder in Shorts und von Zusammenschrecken bei jedem Geräusch.
Endlich sind wir in seinem Zimmer angekommen.
Was mit Manfred immer ein zärtliches Erforschen, ein vorsichtiges Vortasten war, ist bei Stefan ein Sturm, der alles mit sich reißt. Er ist nicht brutal oder rücksichtslos, aber härter, fordernder.
Nach dem wir beide gekommen sind, liegen wir heftig atmend auf seinem Bett. Ich habe meinen Arm auf seiner Brust liegen und spiele mit den weichen Haaren, die er dort hat.
„Was war denn vorher los mit dir?“ frage ich ganz leise, als ob uns jemand hören könnte.
Er legt den Zeigefinger auf meinen Mund „Nicht jetzt – bitte! Nicht jetzt“
Lange liegen wir so – der Wecker auf seinem Bett zeigt 17:45. Vor drei Stunden haben wir uns noch in der Halle geprügelt – und was ist nicht alles passiert in dieser Zeit?

Stefan fährt mir mit dem Finger den Hals entlang, bis zur Brust und dem Nabel. Noch bevor er ganz bei meinem Bauch ist, habe ich schon wieder einen Ständer.
„Oha – du bist aber ganz schön unersättlich“
„Und wie!“ sage ich!
Ich küsse wieder seine Nippel und lasse meine Zunge mich über seine Bauchmuskel weiter nach unten gleiten. Als ich seine Eichel in den Mund nehme stöhnt er leise auf. „langsam – langsam“ sagt er und zieht mich zu sich hoch.
Er legt mich auf den Bauch und legt sich auf mich. Ich spüre seine Zunge an meinem Hals hinuntergleiten, zwischen den Schultern, den ganzen Rücken entlang. Dann geht er tiefer und zieht mir die Arschbacken auseinander um besser an sein Ziel zu kommen. Ich habe das bis jetzt nicht zugelassen, obwohl auch Manfred schon öfter Versuche in diese Richtung unternommen hat.
Jetzt wehre ich mich nicht mehr. Irgendwann spüre ich wie Stefan seinen Schwanz ansetzt und beginnt Druck auszuüben. Im ersten Moment lässt mich der Schmerz zusammenzucken, aber dann verschwindet er und lässt nur ein unglaubliches Gefühl der Geilheit zurück.
Stefan stößt immer schneller und heftiger zu und ich glaube ich muss vor Lust schreien, bis wir gemeinsam kommen.
Wir bleiben lange so liegen, ich auf dem Bett und Stefan auf mir und in mir.

Mir werden die Schmerzen im Brustkorb auf einmal wieder bewusst, als ich mich vom Bett herunterrollen und in Richtung Bad gehen will. Unwillkürlich zucke ich leicht zusammen und greife mir an die Stelle, die sich inzwischen dunkelblau gefärbt hat.

„Zeig mal her“ sagt Stefan und sieht sich die Bescherung an.
„Also gebrochen ist nichts, das hast du die letzte Stunde eindrucksvoll bewiesen“ witzelt er herum.
„ Aber wenn die Schmerzen morgen nicht besser sind, werde ich dich zum Arzt bringen. Jetzt wird es aber Zeit zu duschen und sich den anderen wieder zu zeigen, sonst kommen die noch auf dumme Gedanken. Ich werde das aber noch verbinden, bevor wir uns anziehen.“
„Anziehen ist gut“ flüstere ich ihm ins Ohr „sonst komme ich noch auf dumme Gedanken.“
„Wo nimmst du bloß die Ausdauer her, mein Kleiner?“
„Das kommt daher, dass ich nicht so alt bin wie du!“
„Nur nicht frech werden sonst beweise ich dir gleich wie alt ich bin“
Ich laufe ins Bad und er verfolgt mich bis in die Dusche.
Ich habe es bis in mein Zimmer geschafft, ohne gesehen zu werden – glaube ich zumindest
Stefan hat mir einen Verband umgelegt, nachdem er mir irgendeine Creme auf die wunde Stelle geschmiert hat, die zwar nicht gerade nach Rosen duftet, aber den Schmerz sehr wirksam bekämpft.
Bevor er mich gehen lässt küsst er mich so zärtlich, wie ich es ihm nie zugetraut hätte.
Er sieht mir tief in die Augen und will etwas sagen, aus Angst es zu hören, lege ich ihm den Finger auf die Lippen „Ich weiß, Stefan – ich weiß“
Bis zum Abendessen ist noch etwas Zeit. Zeit genug, dass ich langsam wieder zu mir komme und mir bewusst ist, was geschehen ist. Zeit genug, dass das schlechte Gewissen in mir erwacht.
Was sage ich Manfred? Soll ich ihm was sagen? Ich bin ein miserabler Lügner – er wird es an meiner Stimme hören wenn ich ihn anrufe oder es mir spätestens ansehen, wenn wir uns wieder treffen.
Langsam kriecht die Verzweiflung in mir hoch.
Es klopft leise an der Türe. Tief in mir hoffe ich, dass es Stefan ist, aber es ist Maria.
„Wie geht es dir? Chris hat mir erzählt, dass irgendwas passiert ist. Alles ok?“
„Ja, alles ok – ich bin nur saudumm gefallen und hab mir anscheinend eine Rippe geprellt. Stefan hat mich einbandagiert.“ Ich hebe mein Shirt hoch und zeige ihr den Verband der meine halbe Brust umfasst.
„Tolle Leistung!“ Sie begutachtet meine Bandagen „Du könntest jetzt glatt als Mumie durchgehen. Nur schade, dass nicht Fasching ist!“
Ich muss lachen, was aber wieder weh tut.
„Wenn die Schmerzen nicht besser werden, bringt mich Stefan morgen zum Arzt. Ihm tut das fürchterlich leid und er hat sich tausendmal entschuldigt.“ Und wie er sich entschuldigt hat, denke ich bei mir – ich werde Tage brauchen um mich davon zu erholen.
„Er ist wirklich ein feiner Kerl.“
„Ja ist er – ein ganz ein Netter“ das habe ich vielleicht etwas zu schnell gesagt, denn Maria sieht mich kurz mit einem seltsamen Blick an, geht aber nicht weiter darauf ein.
„ Ich wollt mich noch für meinen Auftritt vorher entschuldigen. War nicht notwendig, dass ich so ausraste, aber ich mach mir halt einfach Sorgen.“
„Weiß ich doch Mariechen.“
„Kannst du selbst zum Abendessen gehen, oder soll ich dir einen Rollstuhl besorgen?“
„Nee – noch kann ich selbst gehen“ Sie sieht mich an, legt den Kopf schräg und zieht die Augenbrauen hoch „Nee !? Ich frage besser gar nicht, wieso du jetzt anfängst mit norddeutschen Ausdrücken um dich werfen.“

Stefan kommt nicht zum Abendessen.
Gegen 9 versuche ich Manfred anzurufen, aber er ist nicht erreichbar und ich hinterlasse eine Nachricht beim Hotelportier – irgendwie bin ich erleichtert, dass er nicht da ist.
Beim Frühstück ist Stefan wieder da – unverändert und so wie immer.
Wir trainieren jetzt jeden Tag – unter Rücksicht auf meinen kapitalen blauen Fleck, wir lachen, tollen herum und die Welt scheint in Ordnung zu sein. Jeden Tag finden wir ein, zwei oder auch mehr Stunden, an denen wir uns verdrücken können und zweimal schlafe ich nicht in meinem Zimmer, sondern bei ihm. Wir verstehen uns wahnsinnig gut und der Sex ist der pure Wahnsinn, nur sobald ich Stefan anspreche, was denn eigentlich an jenem Tag, an dem er mir fast die Rippe gebrochen hat los war, wird er verschlossen und unnahbar. Es ist auch leichter geworden uns zu treffen, denn Chris hat sich ein Mädel aus der Umgebung aufgerissen und Maria scheint auch die Tage nicht alleine zu verbringen – jedenfalls hängt sie seit Tagen mit einem Freund von Stefan herum, der keine Gelegenheit auszulassen scheint uns zu besuchen. So vergehen die Tage und der Zeitpunkt unserer Abreise rückt immer näher.
Ich habe auch Manfred wieder erreicht. Wir telefonieren, als wäre nichts geschehen. Nur als er mir sagt, wie sehr er sich auf mich freut, weiß ich nicht sofort, was antworten soll. Natürlich freue ich mich auch, aber umso näher der Tag rückt, an dem ich ihn wieder sehe, umso näher rückt auch der Moment an dem ich Stefan verlassen muss.
Drei Tage vor unserer Abfahrt sitzen Maria, Chris und ich zusammen am Balkon meines Zimmers. Es ist fast eine Wiederholung der Szene vor fast zwei Wochen, als ich Chris gestanden habe, dass ich schwul bin. Er hat das Thema seit dem nie mehr angesprochen, aber sein Verhalten ist eher herzlicher als kühler mir gegenüber geworden. Wir hatten seit Jahren kein so gutes Einverständnis mehr.
„Ich möchte euch einen Vorschlag machen“ fängt Maria an „in drei Tagen fahren wir wieder ab und ich denke, wir haben alle drei guten Grund uns bei jemanden Bestimmten zu verabschieden. Ich weiß ja nicht wie es euch geht, aber ich möchte zumindest einen Abend, oder noch besser eine Nacht dazu benutzen. Mein Vorschlag: Der morgige Abend und die Nacht von morgen auf übermorgen gehört jedem ganz alleine. Keiner stellt Fragen, keiner sagt etwas zu Hause. Einverstanden?“
„Inwiefern schließt mich das ein?“ frage ich.
Chris und Maria schauen mich beide an, ehe Chris antwortet. „Spiel nicht den Naiven und uns bitte nichts vor. Ich hoffe das haben wir nicht notwendig. Man müsste ja blind sein, um nicht zu sehen, was sich zwischen dir und Stefan abgespielt hat und anscheinend immer noch abspielt.“ Und Maria setzt noch eins drauf: „Ja, da hat’s ordentlich gefunkt zwischen euch, Davyboy. Du hast ja so sehr gestrahlt, dass es fast schon geblendet hat. Ohja – ihr wart sehr diskret und habt euch vorbildlich benommen, aber es war trotzdem nicht zu übersehen. Und ich würde sagen, auch Stefan hat’s ordentlich erwischt, auch wenn ich das persönlich zutiefst schade finde, dass er für die Damenwelt anscheinend verloren ist. Sichtlich sind alle gut aussehenden Jungs schwul. Hätte ich mir bei ihm nicht gedacht – ganz ehrlich nicht.“ Ich auch nicht! Und ich weiß ja nicht einmal, ob er wirklich schwul ist.
„Und was ist mit mir?“ Chris macht auf empört „Maria hat auch ‚gut aussehend’ gesagt“ werfe ich ein.
Nach dem das Geplänkel ein Weilchen hin und her gegangen ist, fragt Maria wieder nach:
„Wie ist es mit meinem Vorschlag? Angenommen?“
„Angenommen“
„Angenommen“
Am nächsten Tag, erzähle ich Stefan dass wir die den Abend und die Nacht gemeinsam verbringen können, als wir etwas Abseits von den anderen beim Pool sitzen. Er strahlt mich wie ein kleiner Junge an und ich habe schon Angst, dass er mich umarmt.
Gegen 17 Uhr verabschiedet sich Maria und eine halbe Stunde später ist auch Chris verschwunden.
Kaum ist er fort, kommt Stefan in mein Zimmer.
„Komm mit.“
Er wartet gar nicht, dass ich antworte, sondern schleppt mich in seine Wohnung, wo am Bett zwei Smokings inkl. Hose, Hemd und allem drum herum aufgelegt sind.
„Was soll das?“ frage ich.
„Der linke ist meiner, der Rechte deiner – zieh ihn bitte an.“
Der Smoking passt ziemlich gut, bei der Hose gibt es ein kleines Problem, sie ist ein Spur zu weit, allerdings nicht viel und es stört nicht sonderlich. Die Schuhe sind mir allerdings eine Nummer zu groß.
„Schade, aber warte mal!“
Er stopft ein Taschentuch in jeden Schuh. „Probier noch mal!“ Es ist zwar ungewohnt, aber ich kann problemlos damit gehen.
„Was hast du bitte vor?“ frage ich ihn noch mal.
„Ich will dich ausführen, das habe ich vor.“
„Ausführen? Wo bitte gehen wir hin, dass ich einen solchen Aufzug brauche?“
Er sieht ein bisschen beleidigt aus, als er erklärt: „Erstens ist das kein ‚Aufzug’, wie der Herr zu bemerken beliebt, sondern die angesagte, standesgemäße Abendkleidung, dort wo wir hingehen und zweitens – lass dich überraschen. Und drittens solltest du dich rasieren, bevor wir gehen!“
„Was?“ Ich stürme zum Spiegel im Bad und wirklich, es stehen unschön Haare vom Kinn ab.
Ich fange an verlegen herumzudrucksen. Stefan schaut mich und beginnt zu lachen. „Ok ich helfe dir, aber sicher nicht im Smoking!“

Eine halbe Stunde später bin ich rasiert und wieder eine Stunde später schaffen wir es endlich aus der Dusche zu kommen.
Es ist inzwischen halb sieben durch. Auf dem Weg nach unten machen wir einen Abstecher in das Wohnzimmer seiner Eltern.
„Hallo Vater, darf ich mir heute den Jaguar ausborgen? Ich will David zeigen was Nizza so zu bieten hat, bevor er abfahren muss. Und da müssen wir doch was darstellen.“
Sein Vater sieht uns an und stößt einen anerkennenden Pfiff aus. „Meine Fresse – ihr werdet heute mehr als nur ein Herz brechen, so wie ihr ausseht.“
„F.C. benimm dich ordentlich!“ ruft seine Frau, sie nennt ihren Mann im privaten Kreis immer nur F.C. „aber ich muss zugeben, ihr seid wirklich sehr adrett!“
Stefans Vater greift in die Lade einer Anrichte und wirft seinem Sohn einen Schlüssel zu.
„Wo sind eigentlich die Geschwister, David? Fahren Chris und Maria nicht mit?““
„Die haben sich für heute eine andere Abendgestaltung zurechtgelegt, denke ich.“
„Oh – ich versteh, glaube ich zumindest. Na, wie dem auch sei. Einen schönen Abend wünsch ich euch!“
„Warte Stefan, da ist noch was.“ Er tut so, als würde er von Stefans Smoking einen Fleck von der Schulter abwischen, aber ich kann sehen, das er ihm in Wirklichkeit etwas in die Tasche steckt, aber so, dass es seine Frau nicht sieht.
„Ich wünsche euch auch einen schönen Abend.“ sagt seine Gattin und hält mir die Hand hin. Ich gebe ihr einen Handkuss, so gut ich kann.
Stefan gibt seiner Mutter einen Kuss auf die Wange und weg sind wir.
Als wir in der Garage sind, greift er in die Jackentasche und fischt eine Karte heraus.
Als er sie ansieht bleibt er stehen. „Ich wird verrückt.“
„Wieso“
„Das ist Vaters AMEX Card. Wenn das Mutter wüsste, würde sie sicher in Ohnmacht fallen.“
„Warum hat er das getan?“
„Ich weiß es nicht, und das ist beunruhigend – ich habe ne eigene Kreditkarte. Und die hat einen Rahmen, der mehr als ausreichend für mich ist. Aber der Karte kannst du die halbe Stadt kaufen.“
Er sperrt den Wagen auf und sagt „steig ein“ als ich an der Mauer einen großen Spiegel sehe. Ich stell mich davor und sehe mich an. Ich erkenne mich in dem Aufzug fast gar nicht, muss aber zugegeben, dass ich verdammt gut aussehe.
„Stefan, komm doch bitte mal her.“
„Was ist denn?“ Er macht die Wagentür wieder zu und kommt zu mir. Als er mich vor dem Spiegel sieht, legt er seine Arme um mich und das Kinn auf meine Schulter.
„Und? Was siehst du?“
„Die beiden verdammt hübschesten Burschen zwischen hier Moskau. Und was siehst du?“
Er schaut lange in den Spiegel. Dann küsst er mich in den Nacken.
„Das verdammt hübscheste Paar zwischen hier und Moskau.“ Er lacht und gibt mir einen Klaps auf den Hintern.
„Jetzt sollten wir aber machen, dass wir weiterkommen – der Tisch ist reserviert!“
„Welcher Tisch?“
„Wird nicht verraten!“
Wir fahren nach Nizza, durch die Stadt hindurch und wieder hinaus, hinauf in die Berge. Dann bleiben wir vor einem Märchenschloß ganz in weiß stehen. Es dämmert bereits und überall im Park, auf den Terrassen und den Treppen brennen Kerzen, Fackeln und Laternen. Ein Page kommt aus dem Nichts herbeigelaufen. Stefan gibt ihm die Autoschlüssel und der Page steigt ein und verschwindet mit dem Wagen.
„Darf ich bekanntmachen: Palais Maeterlinck.“
Ich habe von diesem Hotel und Restaurant schon gehört und dachte bis jetzt, dass ich wohl nie auch nur in die Nähe kommen würde.
Und jetzt sitze ich also hier, an einem Tisch direkt am Rande der Terrasse und sehe gerade noch die Sonne im Meer verschwinden. Es ist unglaublich schön. Ich habe eigentlich nie gedacht, dass ich ein Romantiker bin, aber in diesem Moment kann ich mir nichts Schöneres vorstellen.
Das Essen ist unglaublich gut und ich fühle mich so wohl, wie noch nie in meinem Leben.
Nach dem Essen trinken wir noch eine Flasche Wein. Stefan sucht ihn zwar aus, aber ich lese die Weinkarte, so als würde ich verstehen worum es da geht und der Wein, den er gewählt hat kostet mehr, als ich in einem halbe Jahr Taschengeld habe – und dass ist im Vergleich zu anderen nicht gerade wenig und das sage ich Stefan auch. Er beugt sich zu mir vor: „Ein besonderer Wein, für besondere Gelegenheiten.“ Ich bekomme ein ganz seltsames Gefühl in der Magengegend.
Es ist schon spät, so eine Stunde nach Mitternacht, als wir abfahren.
„Und jetzt?“ frage ich.
„Jetzt zeig ich dir meinen Lieblingsplatz.“
Wir fahren die Serpentinen wieder hinunter Richtung Nizza, aber bevor wir in die Stadt kommen, nimmt Stefan eine Seitenstraße und fährt eine Zeit die Küste entlang, dann biegt er in eine Art Feldweg ab und bleibt nach ein paar hundert Meter stehen.
„Komm!“ sagt er einfach, steigt aus dem Wagen uns nimmt noch einen großen Korb aus dem Kofferraum.
Nach wenigen Metern öffnet sich der Wald und wir stehen auf einer kleinen Richtung die auf einer Seite vom Wald eingefasst ist und auf der anderen in Richtung Meer abfällt dass hier eine kleine Bucht von ungefähr 250 Metern Durchmessern bildet. Nach vielleicht dreißig Metern geht das Gras in den Strand über. Stefan packt den Korb aus und zaubert eine Decke, eine Flasche Sekt und zwei Gläser hervor.
„Ich muss mit dir was bequatschen.“
„Hab ich mir schon gedacht.“
„Es geht darum, wieso ich mich damals so mies benommen habe, als wir das erste Mal auf die Matte gestiegen sind.“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, das ist doch schon lange vorbei und vergessen.“
„Doch, doch, ist wichtig“ sagt er bestimmt. „Ich will, dass du alles verstehst, es darf keine Geheimnisse mehr zwischen uns geben.“
Dann erzählt er mir die Geschichte. Die Geschichte, die außer ihm niemand kennt.
Er greift in die Innentasche seines Smokings und zieht ein Foto heraus. Es zeigt einen Seemann. Ganz in weißer Uniform, an einem Mast lehnen und einem dreckigen Grinsen im Gesicht. Er sieht nicht unbedingt hübsch aus, zumindest nicht für mich, etwas zu alt, hat dafür aber dieses gewisse Etwas, etwas animalisches, Unwiderstehliches.
„Das ist Gregory“ sagt Stefan und bekommt wieder diesen eigenartigen Gesichtsausdruck.
„Er ist auf der ‚Sea Princess’ – hab ich recht?“ frage ich dazwischen.
Stefan schaut total verwirrt drein – „JA, aber woher weißt du das?“
„Ich habe nur geraten. Ich kann mich ganz genau an dein Gesicht erinnern, als das Schiff eingelaufen ist. Den gleichen Ausdruck hattest du auch bevor wir unser ‚kleines“ Erlebnis in der Halle hatten. Dann bist du drei Tage verschwunden und erst wieder aufgetaucht, als das Schiff wieder auf dem Weg wer weiß wohin war. Warst du bei ihm?“
Stefan schaut auf das dunkle Meer hinaus. „Nein – nicht diesmal. Ich habe mich drei Tage auf meinem Zimmer eingesperrt und wollte niemanden sehen.“
Er dreht sein Gesicht zu mir, das nur von der Kerze am Rand der Decke beleuchtet ist. „Willst du wissen warum?“
Ich kann nichts sagen – ich kann nur nicken.
„Nun gut – aber noch mal. Du bist der Einzige, der davon weiß und je wissen wird.“
Er erzählt, zuerst stockend, doch um so mehr er in die Geschichte eintaucht, umso fließender wird seine Erzählung.
Er erzählt, dass er schon seit Jahren weiß, dass er mehr mit Jungs als Mädchen am Hut hat, dass es aber undenkbar wäre offen dazu zu stehen. Es wäre eine Katastrophe. Ein Onkel von ihm hatte offen schwul gelebt. Er wurde von der Familie, von den gemeinsamen Freunden und von den Kollegen gemieden wie das Weihwasser vom Teufel. Irgendwann hat er den Druck nicht mehr ausgehalten und sich eine Kugel in den Kopf gejagt. Er erzählt von kurzen hektischen Treffen mit Touristen in dunklen Ecken und Hotelzimmern aller denkbaren Kategorien. Und von den panischen Tagen danach, weil er immer Angst hatte, dass es irgendwie rauskommt.
Er schildert, wie er mit Freunden vor einem Jahr in der Stadt am Hafen war, denn der Hafen und seine Bars hatten für ihn und seinesgleichen immer den Duft des Verbotenen, des Verruchten, auch wenn sie alle wussten, dass der Hafen von Nizza wohl kaum mit dem von Marseille oder eines anderen Industriehafens mithalten konnte. Aber für den einen Zweck, den des Nervenkitzels reichte es allemal. Eines Tages also, inmitten eines ihrer Ausflüge ergab es sich, das sie in eine der weniger gut beleumundeten Bars am Hafen gingen um den Nervenkitzel noch zu erhöhen. Und dort stand er. Gregory. Er stand am Tresen und hielt sein Bier in der Hand. Und er starrte dauernd zu Ihnen hinüber. Sie wollten weiterziehen, aber Stefan nicht, also erfand er eine Geschichte von wegen müde und rechtzeitig ins Bett kommen. In Wahrheit ging er aber zurück in die Bar während die anderen weiter zogen und glaubten er sei daheim. Mit zitternden Knien und Schmetterlingen im Bauch ging er also in die Bar zurück! Er wusste damals nicht einmal wieso er sich wieder an den Tresen stellte, er kannte so eine Situation einfach nicht – bisher hatten sie immer ihn angesprochen und nun war er eine Motte, die auf das Licht zuflog, in vollem Wissen, das er sich verbrennen würde. Aber es war ihm egal.
Gregory hatte ihn in seinen Bann gezogen und Stefan, siebzehn und naiv wie er war hatte nichts um Widerstand zu leisten. Er verbrachte einen Tag mit fiebrigen Träumen zu Hause und dann zwei Nächte mit Gregory zwischen hektischem Sex, Stunden des Wartens und Nichtstuns in einer billigen Absteige, und wieder Sex, bei dem Gregory wiederholt versuchte seinen Schwanz in Stefans Arsch zu schieben, aber immer wieder scheiterte und jedes Mal wutentbrannt aus dem Zimmer gestürmt war und die Tür hinter sich zuschlug. Dann war Gregory weg. Abgedampft mit der ‚Sea Princess’ und für sechs Monate fort. Seine Eltern hatten schon die Polizei alarmiert. Das interessierte ihn nicht besonders. Er wollte nur Gregory. Seinen Eltern erzählte er ein Schauermärchen von wegen geheimnisvolles Mädchen, großer Liebe und so weiter. Er musste versprechen, vorsichtiger zu sein. Es war ihm egal, in sechs Monaten würde Gregory wieder da sein. Gregory kam wieder. Gregory war nicht mehr interessiert. Stefan ist ihm zwei Tage wie ein Hund nachgelaufen, hat sich erniedrigt, in dem er beobachtet hat, wie Gregory sich mit einer Nutte eingelassen hat, einen Typen auf einem Parkplatz angesprochen oder mit einem dieser tuntigen Burschen aus dem schmuddeligen Cafe nahe der Rue Anglais abgezogen ist. Er hatte gewartet, bis Gregory wieder aus der dreckigen Absteige, dem Wohnhaus oder von dem Parkplatz kam auf dem er eine schnelle Nummer geschoben hatte, egal ob es 10 Minuten, eine oder zwei Stunden gedauert hatte. Er war immer ein paar Meter hinter ihm, hoffend, dass er sich umdreht und seine Anwesenheit zur Kenntnis nimmt. Er traute sich nicht nach Hause zu gehen, aus Angst, Gregory aus den Augen zu verlieren. Mehr als ein kurzes Telefonat um Bescheid zu sagen, dass alles in Ordnung sei, ging sich in den Stunden nicht aus, in denen Gregory in einer Bar, oder einem Haus, jedenfalls außerhalb seines Zugriffs war. Er könnte ja verpassen, wie Gregory wieder ging. Gerade genug um zu Hause nicht neuerlich Panik aufkommen zu lassen und zu sagen: Ich lebe noch. Am zweiten Tag war es soweit, dass Gregory sich umdrehte und ihn ansprach.
„Lass mich in Ruhe – ich will nichts mehr von dir. Dich hatte ich schon und du bist nichts so besonders, dass sich eine Wiederholung lohnen würde. Nicht einmal ordentlich ficken lässt du dich. Oder hat sich das geändert?“ Stefan hätte beinahe ja gesagt, nur um wieder mit ihn zusammen sein zu können, aber bevor er ein Wort herausbekam redete Gregory weiter „und wenn’s so wäre – auch egal. Verpiss dich einfach. Und wenn du mir weiter nachläufst, bereust du’s, du kleine Tunte. Ich prügel dir die Scheiße raus, ich schwörs dir.“ Stefan hörte nicht auf und Gregory prügelte wirklich die Scheiße aus Stefan heraus. Die Polizei fand ihn mehr oder minder zufällig halbtot und nahe am Verbluten im einem Gebüsch nahe der Straße, in der er auf Gregory gewartet hatte.
Stefan lag vier Wochen im Spital brauchte 3 Monate um sich wieder zu erholen.
Das Ganze war nun ein Jahr her und die Sea Princes war inzwischen ein- und wieder ausgelaufen und Stefan hatte sich in seinem Zimmer eingesperrt und geheult wie ein geprügelter Hund. Und nun war ich gekommen. Stefan hatte sich geschworen nie mehr einen Mann auch nur anzugreifen und er hatte mich nur einmal anzusehen gebraucht um zu wissen, dass er diesen Schwur nicht würde halten können. Bis zu dem Tag, als wir am jenem Strand waren und er in seinem Kopf noch einmal die Prügel von Gregory erlebte während Alain auf einschlug und ich ihm geholfen habe. Bis zu jenem Moment, als er sich nicht wehren und kein anderer ihm helfen konnte, glaubte er, er könnte seine Gefühle verstecken und tief in seinem Innern vergraben und unter einer Schutzschicht von Heterogehabe und Coolness verbergen. Als er mich auf Alain liegen sah, wusste er dass er keine Chance hatte Widerstand zu leisten, sollte ich ernsthaft den Versuch starten ihm näher zu kommen.
Dann kam der Tag an dem die Sea Princess am Horizont auftauchte und er musste verschwinden, sich selbst einsperren, so wie Dr. Jeckyll Mr. Hayde verstecken musste, in dem er ihn im Keller einschloss. An jenem Tag, an dem wir auf der Matte waren, kam sein ganzer Hass, seine Wut und seine Verletztheit kurz wieder hoch. Als er jedoch mein „Stefan – bitte“ gehört hat, sei ihm alles auf einmal klar geworden und er hätte sich lieber die Haare ausgerissen und die Klippe hinuntergestürzt, als mich noch einmal zu berühren. Er wollte sich mit allen Kräften dagegen wehren, wehren gegen das was er ist, aber nicht sein wollte. Er könne sich nicht erinnern, wie er in die Dusche gekommen ist, das Erste, was er wieder weiß, ist dass er mein Gesicht vor sich sah und da war es ihm auf einmal egal. Egal welche Folgen das auch immer haben möge. Er wollte sich nicht mehr vor sich selbst verstecken. Wenn er schon jedem anderen etwas vorspielen müsse, dann wollte er nun zumindest ehrlich zu sich selbst sein. Und der erste Schritt dazu war zu sagen: ‚Ja, ich bin schwul!’ Und der zweite, sich selbst zuzugeben, dass er sich hoffnungslos in diesen Jungen aus Wien verliebt hatte.
Er weint nicht. Er sitzt mir gegenüber und erzählt mir die Geschichte, als wäre es nicht die Seine. Die Kerze ist fast völlig heruntergebrannt und ich sehe sein Gesicht nur undeutlich, aber es scheint aus Stein gemeißelt zu sein, ohne jede Emotion.
Wir sitzen lange ohne ein Wort zu sagen in der Dunkelheit, die Kerze ist schon fast aus und nur der Halbmond, der tief über dem Meer steht, spendet ein wenig Licht.
Ich rücke zu ihm und lege ihm die Hand um die Hüfte, er den Kopf auf meine Schulter und wir schauen beide aufs Meer hinaus.
„Davy?“
„Ja!“
„Ich liebe dich!“
Von allen Sätzen auf der Welt wollte ich diesen am allerwenigsten und am allermeisten hören. Es ist jener Satz, der mich in die tiefste Verwirrung stürzt, die größtmöglichen Komplikationen auslöst und mich doch am allerglücklichsten macht. Hätte er es nicht gesagt, wäre ich nach Hause gefahren, hätte mich in die Arme von Manfred gestürzt, meine Polster in der Nacht voll geheult und mich mies gefühlt. Ich hätte versucht Stefan und die Tage mit ihm zu vergessen. Ich hätte es mit mir selbst ausmachen können. Das geht jetzt nicht mehr. Denn ich liebe ihn auch, so wie ich Manfred liebe. Kann man zwei Menschen zugleich lieben und wenn ja, hat man überhaupt das Recht dazu und wie bringt man es fertig, niemanden dabei weh zu tun? Also was soll ich tun? Ich kann nur eines tun: Ihm die Wahrheit sagen.
„Ich liebe dich auch und ich glaube das weißt du.“
„Ich will nicht, dass du fährst – ich will dich bei mir haben, in meiner Nähe – immer!“
„Stefan, du weißt dass das nicht geht. Du weißt, dass ich wieder heim muss weil ich keinerlei Möglichkeit habe frei zu entscheiden, solange die Probleme mit meinen Eltern nicht aus der Welt geschafft sind. Wenn es nach mir ginge, würde ich bei dir bleiben, wo auch immer das ist.“
Er nickt, ich fahre ihm mit der Hand über das Gesicht das ich so lieb gewonnen habe, dass es weh tut und merke, dass ihm die Tränen die Wange runter rinnen.
Er nimmt das Foto von Gregory, das immer noch auf der Decke liegt, sieht es kurz an und hält es dann mit einer Ecke über die Kerzenflamme. Bevor er sich die Finger verbrennt, legt er es auf einen Flecken Erde neben der Decke. Wir sehen zu, wie sich die Flamme langsam das Foto entlang frisst und nur mehr ein Haufe Asche übrig bleibt.
„Ich will dich nicht verlieren, wo ich dich doch gerade erst gefunden habe. Du bedeutest mir doch so unendlich viel.“ flüstert er.
Wieder zieht sich der Schleier vor die Welt, der uns von allem anderen abschottet, die Realität ausblendet und nur mich, Stefan und das Stück Gras zurücklässt, auf dem wir liegen. Wir liegen so eine halbe Ewigkeit, nur aneinandergedrückt, ohne ein Wort zu sagen. Ich sehe zu, wie die Asche des Fotos von einer leichten Brise erfasst und in Richtung Meer geweht wird.

Vormittags – der letzte Tag
Ich wache auf, nein eigentlich habe ich gar nicht geschlafen, es war mehr ein Treiben zwischen Wachsein und Schlafen. Die Vorhänge sind offen und draußen ist es so diesig, dass man den Übergang zwischen Meer und Himmel nicht erkennen kann. Es war keiner dieser Sonnenaufgänge, der plötzlich die Nacht verscheucht, sondern es ist langsam immer heller geworden.
Stefan liegt vor mir, eng an mich gekuschelt, sich hin und wieder im Schlaf noch enger an mich drückend. Es ist das erste Mal, dass ich so eng an einen Jungen gedrückt liege, ohne Sex haben zu wollen. Ich will nur so bis in alle Ewigkeit weiterliegen, nie mehr aufstehen.
Wir haben gestern gelacht und geweint, sich gegenseitig gehalten und wilden Sex gehabt, dass erste Mal am Strand und dann wieder in Stefans Zimmer.
Unsere Klamotten liegen im ganzen Zimmer verstreut herum, eine eindeutige Spur vom Eingang bis zum Bad, so wie wir sie uns gegenseitig ausgezogen haben.
Stefan bewegt sich und dreht sich um.
„Guten Morgen mein Schatz. Gut geschlafen?“
„Eigentlich fast gar nicht, aber es war gut so. Hab’s genossen einfach nur dazuliegen und dich anzuschauen.“
„Und was hast du gesehen?“
„Was ganz, ganz Liebes!“
Stefan schluckt und dreht sich zu mir um.
„Du machst dir Sorgen wie es daheim weitergeht?“
„Ja, ziemliche. Aber nicht heute und schon gar nicht jetzt. Jetzt ist meine einzige Sorge, wann es Frühstück gibt !“ Stefan lächelt und seine Grübchen kommen damit wieder ganz deutlich raus.
Ich fahre mit meinem Zeigefinger der Linie seiner Augenbrauen nach, seinen Nasenrücken hinunter und ganz sacht über die Lippen. Er nimmt meine Hand und küsst sie.
„Ich bin ganz schrecklich in dich vernarrt. Am liebsten würde ich dich nie mehr weglassen.“ flüstert er.
Ich will ihn nie mehr loslassen und der Gedanke, ihn vielleicht nie mehr zu sehen macht mich verrückt.
„Wir werden uns wieder sehen und wir werden zusammen sein, dass verspreche ich dir!“
Ich sage nichts, ich küsse ihn nur. An diesem Morgen gibt er mir freiwillig das, was Gregory mit Gewalt nicht bekommen hat. Das Vertrauen, dass er mir damit zeigt, bedeutet mir mehr als alles andere.
Gegen Mittag stehen wir auf. Ich helfe ihm die Klamotten zusammen zu suchen und ordentlich abzulegen. Dann ziehe ich mir wieder die zerrissenen Jeans und mein T-Shirt an, mit dem ich am Tag zuvor gekommen war. Ich will mich eigentlich in mein Zimmer schleichen, aber Stefan überzeugt mich, dass es besser ist, wir gehen ganz offen und gemeinsam essen.
Da sitzen wir nun und löffeln unsere Suppe in uns hinein. Maria und Chris scheinen auch nicht gerade extrem ausgeschlafen aus, sind aber putzmunter. Stefan hat das Personal weggeschickt und so sind wir ganz allein.
„Hat eigentlich irgendwer in seinem Zimmer geschlafen?“ fragt Chris.
„Ich nicht!“ Maria sieht richtig stolz aus, als sie uns das verkündet.
„Ich war die ganze Nacht am Strand“ Chris schaut richtig verträumt dabei aus.
„Ich habe in meinem Bett geschlafen.“ meint Stefan ganz ernst, ohne dabei ein Miene zu verziehen.
„Ich auch“ sage ich, wohl wissend, dass ich dabei offen lasse ob ich auch in meinem Bett geschlafen habe, oder bei Stefan.
„Soso – ich such mir halt aus, was du meinst?“ Chris steht auf, während er das sagt und holt sich von der Anrichte noch einen Nachschlag.
Stefan sieht mich an groß und fragend an. Mir wird siedendheiß, als mir einfällt, dass ich mit ihm noch nie darüber geredet habe, dass die beiden ja Bescheid wissen und eins und eins zusammenzählen konnten.
Maria erkennt und rettet wieder einmal die Situation. „Wir wissen Bescheid, aber mach dir keine Sorgen, man müsste uns schon foltern ehe wir was sagen. Unsere Lippen sind versiegelt.“
„Hättest mich ja warnen können. Hab fast einen Herzinfarkt bekommen.“ Stefan sieht mich etwas streng an.
„Wenn es Nacht wäre und einer würde das Licht abdrehen, wäre es hier trotzdem taghell.“ Feixt Chris in unsere Richtung.
„Wie meinst du das?“
„Stefan und du. Ihr strahlt wie die Weihnachtsbäume.“
„So schlimm?“
„Ja! So schlimm!“
Ich werde knallrot, Stefan allerdings genauso.
„Aber was soll ich tun? Ich liebe ihn nun mal“ flüstert Stefan, legt seine Hand auf meinen Hinterkopf, zieht mich zu sich und drückt mir einen Kuss auf die Lippen.
Chris ist das sichtlich peinlich und er weiß nicht wo er hinsehen soll.
Maria lehnt sich zurück und sieht uns an. „Ihr seid echt süß, wisst ihr das?“
Stefan und ich müssen beide lachen.
Später sitzen Maria und ich am Balkon in meinem Zimmer. Wir haben schon gepackt und es ist alles für die Abreise morgen früh vorbereitet. Es ist immer noch trüb draußen, aber heiß, fast schwül. Chris ist fort um sich noch einmal mit seiner Flamme zu treffen und Stefan ist mit seinen Freunden verabredet und kommt erst abends wieder.
„Bist du in ihn verliebt?“
„Ganz schrecklich“ mir wird wieder bewusst, wie verkorkst die ganze Situation ist. Ich weiß, was als nächstes kommt und will Maria erst gar nicht die Frage stellen lassen.
„Und bevor du fragst, ja ich liebe auch Manfred und nein, ich habe keine Ahnung wie es weitergehen soll. Und nein, ich hab Stefan noch nichts von Manfred erzählt.“ ich klinge ziemlich gereizt, als ich das sage.
Leise setze ich dazu „Am liebsten würde ich Stefan mitnehmen. Ich weiß nicht, wie ich ohne ihn leben kann“ mir steigen die Tränen schon wieder in die Augen „verdammt, wieso bin ich nur so nah am Wasser gebaut. Ich heule mir hier noch die Augen aus dem Kopf.“
„Ist schon komisch, nicht?“ sinnierend schaut mich Maria an „Du hast hier jemanden gefunden, ich ebenfalls und Chris auch. Und er ist der Einzige, der sich kein schlechtes Gewissen zu machen braucht.“ Verdammt – Klaus! Daran habe ich überhaupt nicht gedacht, dass Maria ja in einer ähnlichen Misere steckt wie ich.
„Wirst du es Klaus sagen?“
Sie seufzt schwer „Ich weiß es nicht, ob ich den Mut haben werde, mit der Lüge kann ich allerdings auch nicht leben. Vielleicht ist es das Beste, ich beende die Beziehung.“ Es erschreckt mich, dass Maria ernsthaft solchen Konsequenzen in Betracht zieht.
„Würde er dir nicht verzeihen?“
„Verzeihen vielleicht, aber vergessen? Es würde immer einen Schatten auf uns und unsere Beziehung werfen.“
Nach einem Schluck aus ihrem Weinglas sieht sich mich an „Und du? Was denkst du, wie würde Manfred reagieren?“
„Ich habe keine Ahnung. Er wird sicher verletzt sein, sich gekränkt fühlen. Wahrscheinlich macht er mir eine Riesenszene. Scheiße, ich will ihn nicht verlieren.“
„Und Stefan auch nicht, wie? Aber eines muss dir klar sein, wenn du nicht einen aufgibst, wirst du wahrscheinlich beide verlieren.“
Dieser Gedanke trifft mich eiskalt. Daran hatte ich noch überhaupt nicht gedacht. Ich war so mit der Idee beschäftigt beide zu halten, dass mir die Möglichkeit beide zu verlieren nie in den Sinn gekommen ist.
„Daran hast du wohl nicht gedacht.“ Ich schüttle betäubt den Kopf. Sollte ich beide verlieren, würde ich wahnsinnig werden.
„Ich kann doch nicht zu Stefan oder Manfred sagen ‚Es tut mir leid, aber…’“ ich kann den Satz nicht einmal fertig sprechen. So schnürt es mir die Kehle zu.
Maria steht auf „Überleg es dir in Ruhe, wenn wir wieder zu Hause sind.“ Sie gibt mir einen Kuss auf die Stirn und legt mir die Hand auf die Schulter. Tief in meinem Gedanken versunken bleibe ich noch lange so sitzen und komme nicht und nicht dahinter, was ich tun soll. Draußen wird es langsam finster. Die Dunkelheit und der leichte Regen verschlucken die letzten Konturen im Garten und ich denke, dass es schon seltsam ist, wie sich manchmal das Wetter und meine Stimmung gegenseitig widerspiegeln.
Ich überlege es mir in Ruhe, aber ich warte nicht, bis wir wieder zu Hause sind.
Als ich Stefan am Abend in seinem Zimmer besuche, muss ich mit der Wahrheit raus.
„Stefan, wir wollten doch immer ehrlich zueinander sein!“
„Ja – das bin ich auch! Wieso fragst du?!“
Ich brauche eine Weile, um die das zu sagen, was gesagt werden muss. Das Stefan voller Vertrauen vor mir sitzt und mich erwartungsvoll ansieht, macht die Sache nicht unbedingt leichter.
Ich kann ihm in diesem Moment nicht in die Augen schauen.
„Weil ich nicht ganz ehrlich zu dir war.“ sage ich leise „Das heißt, ich hab dich nicht angelogen, aber ich hab dir nicht alles erzählt! Was aber wohl auf das Selbe hinausläuft.“
Er sagt eine Weile nichts und nimmt dann mein Kinn in seine Hand und hebt mir den Kopf an, so dass ich ihm in die Augen schauen muss. „Liebst du mich?!“ fragt er.
„mehr als alles andere auf der Welt!“
„Dann kann nichts so schlimm sein. Aber lass mich raten: Es gibt jemanden in Wien!“
Ich kann nur nicken.
Er steht auf, geht an die Balkontür und zieht die Vorhänge beiseite. Doch statt kühler Luft kommt nur noch mehr Schwüle ins Zimmer.
„Liebst du ihn auch?!“
Diese Frage trifft mich vollkommen unvorbereitet. Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet.
„Ja, aber das ist etwas anderes. Er war 6 Jahre mein bester Freund, bevor wir beide entdeckt haben, dass wir schwul sind. Das war erst vor ein paar Monaten.“
Er steht mit dem Rücken zum Zimmer und dreht nur den Kopf fast beiläufig in meine Richtung.
„Wieso sollte das etwas anderes sein?! Du kannst doch nicht ernstlich annehmen, dass du uns beide gleich lieben kannst.“ Seine Stimme ist leise und eindringlich. Er hat sich immer noch nicht zu mir umgedreht und steht unverändert mit dem Rücken zu mir und sieht aus dem Fenster hinaus in die Dunkelheit.
„Es ist etwas anderes“ entgegne ich und in dem Moment wo ich es sage, weiß ich das es nichts als die reine Wahrheit ist, „weil ihn kannte ich schon jahrelang und er war immer ein Freund für mich und wenn ich ganz ehrlich bin, haben sich meine Gefühle in dieser Beziehung nicht allzu sehr geändert, höchstens etwas intensiviert! Aber du! Bei dir hat mich der Blitz getroffen. DU bist alles für mich und das war schon so bevor wir Sex gehabt haben. Du bist nicht nur einer der schönsten Menschen, die ich je gesehen habe, sondern auch einer der Besten. Wenn ich je von einem Idealmann geträumt hab, dann war er so wie du! Auch wenn ich dich bis vor drei Wochen nicht gekannt hab und dich vielleicht auch jetzt noch immer nicht wirklich kenne, möchte ich nichts anderes mehr, als mit dir zusammen sein. Nichts möchte ich mehr. Ich kann nicht mehr sagen, als das ich dich mehr als alles andere auf der Welt liebe.“
Ich halte gespannt die Luft an und warte auf seine Reaktion. Stefan dreht sich langsam um und wischt sich dabei mit dem Handrücken über die Augen. Er sieht mich lange nur an. Dann geht er auf mich zu, kniet vor mir nieder und nimmt meinen Kopf in die Hände. Er schaut aus nicht einmal aus 10 cm Entfernung in die Augen.
„Menno – wenn ich dich nicht so irre gern hätte, wär alles viel leichter!“ er schweigt eine Weile, dann setzt er sich mir gegenüber wieder hin. „Vielleicht wäre es am Besten, wir würden es hier und jetzt enden lassen.“
„NEIN! Niemals!! Das kann ich nicht!! Glaubst du ich geh hier raus und tu ab morgen so, als hätt’ ich dich nie kennen gelernt?! DU bist der Junge, den ich mir gewünscht habe!“ ruf ich und spring aus dem Sessel. Ich kann einfach nicht mehr ruhig sitzen bleiben. „Ich liebe dich doch so sehr! Ich kann dich nicht einfach aufgeben. Ich tu alles was du willst, aber gib uns nicht auf!“ ich werde im leiser, denn es droht mir die Stimme zu versagen. Den letzten Satz flüstere ich nur mehr. Ich habe panische Angst, ihn zu verlieren, nachdem ich ihn gerade erst gefunden habe.
„Sag das nie mehr! Sag nie mehr ‚Ich tu alles was du willst’! Ich will sicher keinen Sklave oder Ja-Sager, sondern jemanden, mit dem ich nicht auf gleicher Höhe stehe!“
Ich brauche kurz um zu realisieren, was er gerade gesagt hat.
„Das heißt wir …“ sage ich hoffnungsvoll. Er kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm.
„Ja – ich will dich doch auch nicht verlieren. Ich kann wohl nicht mehr ohne dich sein.“ dabei zeigt er sein grandiosestes Zahnpastalächeln und küsst mich auf den Mund.
„Aber eines muss dir klar sein: du musst was mit deinem Freund tun! Sei so ehrlich zu ihm, wie du es zu mir warst!“
Ich bin zwar glücklich, dass er mich immer noch will, aber ich kann es einfach nicht verstehen, dass er mich nicht sitzen lässt. SO gut kann gar niemand sein.
„So leicht ist das nicht – glaub ich zumindest. Es würde Manfred wirklich wehtun und das will ich auch wieder nicht!“
„Davy, jetzt hör mir genau zu: Ich WILL dich. Ich will mit dir zusammen sein und werde auch alles tun, dass das irgendwie passiert. Nicht heute, nicht morgen. Vielleicht dauert es ein paar Monate, wenn du bereit bist solange zu warten!“ Ich will ihm darauf sagen, dass ich bis alle Ewigkeit warten würde, aber er legt mir den Zeigefinger auf den Mund „Pssst! Warte noch, bevor du was sagst, ich bin noch nicht fertig. Ich werde nicht das dritte Rad am Wagen sein und zusehen, wie du zwischen ihm und mir hin und her pendelst! Ich habe volles Verständnis dafür, dass du ihn nicht so einfach stehen lassen willst – oder kannst, aber ich werde dir nur Zeit bis zu unserem nächsten Treffen geben um das zu regeln. Ich habe genug Vertrauen in dich um sicher zu sein, dass du das Richtige tun wirst!“ Ich kann nichts sagen, ich kann nur nicken. Mir sitzt ein dicker Kloß im Hals und ich kann nicht einmal schlucken. Ich habe diesen Mann nicht verdient und er ist viel zu gut um wahr zu sein. „Und noch was“ fährt er fort „Das Thema Sex. Das hat jetzt nur bedingt mit Manfred zu tun. Ich will dir keine Treueschwüre abfordern, da ich auch nicht schwören kann, dass da nichts sein wird. Das hat nichts mit unseren Gefühlen zu tun, aber wer weiß in welche Situationen wir kommen werden und wir sollten unsere Beziehung nicht mit schlechtem Gewissen vergiften. Wenn du was machst, sei vorsichtig– das ist alles, was ich mir wünsche!“
„Du bist das Beste, was mir je passiert ist!“ mehr kann ich nicht sagen. Ich nehme ihn in den Arm und drücke ihn an mich.
„Und jetzt, wo alles klar ist, mein Kleiner, kein Wort mehr darüber!“ Sagt er und drängt mich nach hinten ab, bis ich an der Bettkante anstoße und rücklings ins Bett falle und er auf mich darauf.

Abflug. Wir verlassen den öffentlichen Bereich des Flughafens und gehen durch den Checkpoint zu unserem Flugsteig. Stefan steht an der Absperrung und sieht mir nach. Ich stehe auf dem Rollband und sehe in seine Richtung, bis er nicht mehr zu sehen ist. Aus meinem Rucksack schaut der kleine Stoffbär, den er mir zum Abschied geschenkt hat, mit traurigen Augen in Richtung Schranken.
Zuerst wollte er nicht zum Flughafen mitfahren, hat uns dann aber sogar persönlich hinchauffiert und bis zum Check In gebracht. An der letzten Barriere, die jene die Bleiben von denen die Gehen trennt, standen wir lange Minuten, hatten uns die Hände gereicht, als wollten wir nie mehr loslassen, bis wir uns in die Arme fielen, umklammerten und sich nicht darum kümmerten, wie viele Menschen uns beobachteten. Beim zweiten Aufruf für meinen Flug lassen wir los und ich gehe mit Tränen in den Augen davon zum Gate.

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Tag der Veröffentlichung: 26.09.2010

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