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Ist derjenige ein Snob, der darauf beharrt, dass jemand, der sich einem so schwierigen Gebiet wie der Literatur zuwendet, zumindest den Grundkurs „Deutsch für Anfänger“ erfolgreich absolviert haben sollte? Ich fürchte, ich stehe mit meinem Schrei nach Mindestanforderungen in einer Gesellschaft, die „Spontaneität des Ausdrucks“ für ein legitimes Stilprinzip hält, wohl ziemlich allein.
Schon mehrfach bin ich in rabiater Weise darüber belehrt worden, dass es an pädagogischen Terrorismus bzw. Erziehungsdiktatur grenzt, auch nur darauf hinzuweisen, dass es seit Konrad Duden gewisse Regeln der deutschen Sprache gibt, deren Aneignung jemanden, der sich dieses Instruments öffentlich für literarische Zwecke bedient, nicht vor unüberwindliche Schwierigkeiten stellen sollte. Kurzum, wer darauf zu bestehen wagt, dass im Geltungsbereich dieser Regeln Substantive groß und Verben klein geschrieben werden, sieht sich alsbald gemobbt und hat, wie ich es habe erfahren müssen, die selbstbewusste, dreist-aggressive Dummheit auf dem Hals.
Natürlich sind noch nicht alle Bereiche des Geschriebenen in Gefahr, vom Plebiszit der sekundären Analphabeten niedergestimmt zu werden; aber je mehr sich die optischen gegenüber den Printmedien verbreiten, desto kleinlauter treten Grammatik und Orthographie ihren Rückzug an, desto schwieriger wird es, eine Seite Prosa zu finden, an der, um Nietzsche zu beschwören, wie an einer Bildsäule gearbeitet wurde. Es scheint, als müsse man nachträglich jenen ahnungsvollen Bildungsbürgern Recht geben, die schon das Aufkommen des Fernsehens und der Comics für den Einstieg in den Untergang des Abendlandes erachteten. Allerdings war ihr Kulturpessimismus, so prophetisch er einen im Nachhinein anmuten mag, wohl doch etwas verfrüht. Das Bollwerk der Literatur hielt dem Ansturm der Serien und Reality Soaps noch lange Zeit stand. Es musste erst das Internet kommen, um aus den Nadelstichen und vereinzelten Scharmützeln jenen massierten Angriff zu machen, gegen den die Verteidigung des Bollwerks allmählich aussichtslos zu werden droht.
Hören wir es also wieder einmal läuten, das Totenglöcklein der Literatur? Handelt es sich bei dem, was wir hier erleben, um die Rückkehr in das Zeitalter vor der Fixierung der Schriftsprache, in dem das gesprochene Wort die Priorität vor dem gedruckten beanspruchte, in dem ein Autor nur auf ein verständiges Publikum hoffen durfte, wenn er erzählte, seinen Text laut vorlas oder zur Laute sang und es in einer mehrheitlich illiteraten Gesellschaft zur Verständigung stets der Hilfe phonetischer Mittel bedurfte? Kehren wir, auf dem Umweg über das Hörbuch, zu einer Kultur der Mündlichkeit zurück, in der ein gesetzter und gebundener Text nur noch den Charakter einer konservierenden, stets interpretationsbedürftigen Aufzeichnung hat wie etwa die Partitur in der Musik? Wird, kurz gesagt, das Buch zu einer Angelegenheit für Museen und Archive, während in der Welt da draußen Geschrei und Gesäusel, Getöse und Gestammel herrschen?
Mir erscheint dieses Schreckensszenario mittlerweile als ein durchaus plausibler Blick in unsere mittelfristige Zukunft. Wobei der Verfall der Sprachkultur durchaus nicht etwas ist, was uns demnächst droht. Er ist in vollem Gange! Schon zuckt man beim Radiohören mehrfach am Tag zusammen, weil wieder einmal ein Nachrichtensprecher den Dativ mit dem Genitiv verwechselte. Schon lesen wir Zeitungen, denen man anmerkt, dass der Korrektor eingespart wurde. Schon hat sich die bedauernswerte Präposition „zu“ von ihrer einst so symbiotisch erscheinenden Bindung an das Verbum „brauchen“ gelöst und ins Nirwana verabschiedet. Im Übrigen beeilen sich die berufenen oder selbsternannten Sprachlehrer, die ubiquitäre Schlamperei durch Beugung der Regeln zu legitimieren. Der Purist gilt unter all den bedenkenlosen Schwätzern und Skribenten inzwischen als obsolete, komische Figur und wird wohl bald jenen letzten Gang antreten, auf dem ihm Erscheinungen wie der „Sittenwächter“ voraus gegangen sind.
Und dabei ist jener öffentliche Diskurs, in dem die Sprache ums Überleben kämpft, nur der Bereich oberhalb jener wallenden Nebel, unter denen sich die wahren Abgründe verbergen. Ich rede natürlich vom Internet, einem wahren Schlachthof der Sprache, wo alltäglich vor aller Augen die blutigsten Gemetzel stattfinden, ohne dass es ein „Rettendes“ (Hölderlin) auf den Plan riefe. Wer immer die Blogs zum Leben erweckte, hat die Büchse der Pandora geöffnet. Das schnoddrige Gestammel ist nicht nur in abseitigen Chatrooms, sondern im gesamten Web2 das gängige, allgemein anerkannte Ausdrucksmittel. Und nicht nur das! Dem vermeintlichen „Oberlehrer“, der sich mit dem Duden in der Hand in diese geistigen Elendsviertel wagt, wird ungeniert Saures gegeben! Die Bezeichnung „Rechtschreiber“ wird wohl demnächst, wie schon das „Opfer“ oder der „Schwule“, zum geläufigen Schimpfwort erniedrigt werden, mit dem der Terrorismus der Ignoranz seinem Hass auf die Bildung aggressiven Ausdruck verleiht, denn es ist der „Besserwisser“, der Wisser überhaupt, dem die Verachtung der Minderbemittelten und ein von Rachedurst gespeister Volkszorn gelten. Die Feuer der Bücherverbrennung dürften nicht zum letzten Mal gebrannt haben.
Aber natürlich bin ich viel zu pessimistisch. Das Buch hat eine altehrwürdige Tradition und wird wohl nicht so schnell von jenem „Bildungssturm“, der die Nachfolge des „Bildersturms“ angetreten hat, überrannt werden. So bald müssen sich die Leser und Liebhaber wohlgesetzter Worte noch nicht in die Wälder zurückziehen, um ihre verehrten und geliebten Texte zu memorieren. Totgesagte leben länger! Das gilt auch für die Sprache und die Literatur, der schon so viele verfrühte Grabreden gehalten wurden, dass es einem bei der neuesten Jeremiade unweigerlich den Mund zu einem herzhaften Gähnen aufreißt. Lasst doch den Pöbel schwätzen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist! Gebt ihnen die Flachbildschirme, die elektro-idiotischen Medien! Uns bleibt immer noch die kleine, feine Buchhandlung; und was amazon wegen mangelnder Nachfrage aus dem Sortiment geworfen hat, findet man immer noch im Zentralverzeichnis antiquarischer Bücher. Ja, seien wir, die geistigen Eliten, ruhig antiquarisch und museal! Es werden sich in der Trümmerlandschaft des Geistes wohl immer noch genug bewohnbare Elfenbeintürme finden.
Ja, wenn sie uns nur in Ruhe ließen! Aber das tun sie nicht und werden sie immer weniger tun, je länger die Epidemie des Gehirnsterbens anhält. Die Aggressivität der Dummheit wächst in geometrischer Progression mit ihrer Verbreitung. Nein, sie werden uns nicht verschonen. Im Gegenteil, sie rotten sich zusammen, rücken dichter auf, verengen uns je länger, je mehr die Räume. Da wirken zunächst einmal die unvermeidlichen Gesetze des Marktes. Wie lange wird die Kaufkraft der Literaturbeflissenen noch ausreichen, um einen Buchmarkt am Leben zu erhalten, der uns zur Zeit noch mit einer unerschöpflich scheinenden Fülle von Lesestoff versorgt? Ein Blick auf die Konzentrationsprozesse im Buchhandel und im Verlagsgewerbe lassen in dieser Hinsicht wenig Hoffnung aufkeimen. Der Abbau des Unrentablen macht keinen Bogen um die Bildungsgüter, deren letzter Rettungsanker die Buchpreisbindung zu sein scheint. Deren Wegfall, der im Verlauf der unsäglichen EU-Egalisierungsmaßnahmen wohl demnächst ansteht, wird einen Berg ins Rutschen bringen, der schon jetzt reichlich unterspült ist. Und nicht nur der Buchmarkt wendet seine Mechanismen gegen uns, die zagen Bewohner des Elfenbeinturms. Was den Büchern die Preisbindung ist den elektronischen Medien die Rundfunkgebühr: der letzte Schutzwall vor dem endgültigen Abschleifen der wenigen noch verbleibenden Bastionen einer „Fernsehkultur“, die wie „arte“ und „3sat“ als letzte, spärlich bewohnte Eilande aus dem Meer der Kommerzialisierung und Programmverpöbelung ragen, während die einst als elitär und bildungsbeflissen geschmähten „Dritten Programme“ inzwischen längst vor dem Diktat der Reichweiten kapituliert haben und vom Tsunami des Seichten überspült wurden. Wer wissen will, wie es den guten Filmen, den Feuilletons und Dokumentationen ergehen wird, sollte sich mit dem Schicksal der einst stolzen Gattung des Hörspiels befassen. Des was? Ja, tatsächlich, des Hörspiels! Denn das gibt es wahrhaftig noch immer, auch wenn man es nur noch in den Reservaten der vierten und fünften Programme findet, wo es zur besten Sendezeit (des Fernsehens!) verzweifelt um Aufmerksamkeit kämpft.
Ja, uns steht einiges bevor. Die geballte, mit bildungsfeindlichen Ressentiments vollgestopfte Sprachverhunzung, die uns im Internet (auch hier bei bookrix) die Laune verdirbt, gibt uns einen probaten Vorgeschmack auf das Kommende, wenn die aggressive Dummheit, die längst das Feld beherrscht, sich anschickt, die verhassten Besserwisser auch noch in ihren letzten Refugien aufzuspüren und auf den Markt zu treiben, wo ihnen das Scherbengericht bereitet wird. Denn die Dummheit, geben wir uns darüber keinen Illusionen hin, ist aggressiv! Sie besitzt eine (geschichtsnotorische) Neigung zum Totalitären, ja sie sinnt, sofern ihr die Gelegenheit geboten wird, auf Ausrottung. Erinnern wir uns, was folgte, nachdem im vergangenen Jahrhundert zunächst die Bücher brannten. Und vergessen wir nicht, was den Autodafés vorausging, nämlich das heisere Gebrüll eines kulturfeindlichen, kraftmeiernden, jegliche Äußerung des Geistes als Verweichlichung verachtenden Mobs! Natürlich sehe ich hier (noch) keine braunen Uniformen, spüre ich noch nicht die Spitze des gewetzten Dolches am Hals. Aber mir will scheinen, dass derjenige, der angesichts all der unübersehbaren Vorzeichen einer herannahenden Barbarei noch Zuversicht predigt, sich in der Lage eines Menschen befindet, der im zehnten Stock aus dem Fenster fällt und in Höhe der zweiten Etage sagt: „Bis jetzt ist alles gut gegangen!“ Er wird kommen, der Volkssturm der Analphabeten. Die schamlosen Barbaren werden sich für ihre tatsächliche oder vermeintliche Zurücksetzung an denjenigen rächen, die sie für dünkelhaft halten und denen sie unterstellen, ihnen den Zugang zu den Paradiesen des Ruhms und der Privilegien zu versperren, wo wir doch nur darauf bestehen, dass derjenige, der seine Hände in heiliges Wasser taucht, sie vorher zu waschen hat. Sie sind – vielleicht durch unsere Mitschuld, durch unser Versagen als Pädagogen und „Integrationsbeauftragte“ – bösartig geworden, das Gebell ihrer lang unterdrückten Wut, das uns schon jetzt mitunter die Haare zu Berge stehen lässt, ist nur die Vorankündigung des finalen Zuschnappens ihrer Fangzähne um unsere Kehlen. Der Mob, der zur Zeit nur mobbt, wird, wenn mobilisiert, auch morden. Sagen Sie, wenn Sie auf der Suche nach ihrer zerschlagenen und zertretenen Brille über den Bürgersteig tappen, nicht, sie wären nicht gewarnt worden. Die Vorzeichen sind unübersehbar und finden sich hier, in Ihrer nächsten Umgebung.
Ja, ich bin paranoid! Aber sie sind trotzdem hinter mir her!


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Tag der Veröffentlichung: 12.10.2010

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