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Michaela war die ewigen Attacken von Manuel leid. Sie waren Kollegen, zugegebenermaßen, deshalb aber noch lange nicht Freunde und schon gar nicht ein Liebespaar. Ihm das aber klar zu machen, gelang ihr einfach nicht. Nicht daß es an Versuchen ihrerseits gefehlt hätte, aber am Ende des Arbeitstages war er doch stets noch an ihrer Seite und irgendwie - sie wusste selbst nicht wie – auch so manches Mal in ihrer Wohnung. Er war kein kreativer Mann, nicht in der Arbeit und keinesfalls im Privaten, abgesehen von seinen Geschichten, die zu erzählen er nie müde wurde.

„Ich weiss nicht“, sagte sie verzagt. „Ich habe heute Abend wirklich viel zu tun und bin bereits überlastet. Ich kann es mir einfach nicht leisten, weiter zurückzufallen.“
Michaela spielte, nach Manuels Meinung, wie üblich der Widerspenstigen Zähmung. Er kannte das und liess sich davon nicht im Geringsten abschrecken. Es provozierte ihn nur noch, unbarmherziger als bisher vorzugehen. Schließlich, soweit war er mit sich übereingekommen, wollte sie ihn, daran gab es keine Zweifel. Sie wusste es nur noch nicht, jedenfalls ihr bewusstes Ich, das Unterbewusste schrie ja geradezu nach ihm. Um sie von dieser Last zu befreien, nahm er ja gerade erst all diese Mühen auf sich. Ja, man durfte ruhig sagen, er war ein Held, unser Manuel.

Er lächelte sie auffordernd durch seine Lachfalten an, die durch seinen nicht gerade schlanken Körperbau sich in riesige und scheinbar endlose Schluchten des Grauens verwandelten. Auch seine Halbglatze machte ihn nicht attraktiver. Schwer zu glauben, dass er einmal ein überragender Sportler gewesen sein sollte. Das war eine seiner vielen Geschichten, die er immer dann einbrachte, wenn sich der Tag dem Abend hin wandte.

„Also, das glaube ich dir nicht wirklich. Bist du dir absolut sicher, dass du keine Zeit hast? Jeder Mensch hat Freizeit. Das ist nun mal sicher und belegt. Ich erinnere mich, als ich noch in Brasilien gearbeitet habe. Damals, in meinen Anfangsjahren für die Firma, war ich in Sao Paulo unterwegs, aufstrebend und schon damals so attraktiv.“ Er lächelte keck, aber sein fett verquollendes Gesicht, liess nicht viel davon ankommen. „Es war hart in den Dschungels um Sao Paulo und hätte ich nicht damals Jorgé und José gehabt, ich wäre sicherlich nicht mehr am Leben. Ich nannte sie damals aber nur JJ; aus Zeitgründen versteht sich.“

Sie machte erst gar keine Anstalten ihn zu fragen, worum es dabei überhaupt ging oder wer die beiden waren. Sie musste keine zwei Sekunden warten und die Antwort kam von ganz alleine. Und ihr war die Geschichte auch nicht unbekannt; sie kannte sie alle und es schien ihm auch nichts auszumachen sie ständig zu wiederholen. Sie musste, sie hatte den Überblick etwas verloren, im 7. oder 8. Umlauf sein und es gab kein Entrinnen. „Jedenfalls Jorgé und José waren Milizen.“ Er lachte. „Zumindest José hatte in einer Eliteeinheit gekämpft, aber frag mich ja nicht bei welcher sonst müsste ich dich töten.“ Und lachte aber- mals. Sie aber nahm seine Drohung todernst. Sie wusste nicht, wer sich wirklich hinter diesem Gebilde von Fett, Knochen und Geschichten verbarg.
„Mich verfolgte die Guerilla, weiß Gott warum und ich fürchtete um mein Leben. Mir blieb also nichts anderes übrig als eine Schuld bei einem Freund einzutreiben, dem ich einmal das Leben gerettet hatte. Das ist eine andere Geschichte, die ich dir bei Zeiten erzählen werde.“ Natürlich kannte sie auch diese und sie erschauerte bei dem Gedanken an diese Erzählung, die noch schlechter, unglaubwür-diger, aber vor allem länger als die anderen war.

„Jedenfalls, er schickte mir zu meinem Schutz, die bereits erwähnten JJ. Ich mach’s kurz.“ Dafür war sie ihm wirklich dankbar. „Eines Tages fing die Guerilla mich auf den Straßen Sao Paulos ab und ich hatte keine Wahl. Ein offener Kampf war die Folge. Es war ein blutiges Gemetzel. Ich erinnere mich nur noch, daß eine Granate in meine Richtung flog und José mich hinter ein Auto schleuderte. Ich kam glimpflich davon; nur diese eine Schramme“, und verwies auf einen kleinen Kratzer am Unterarm, der genauso gut auch von einem Fingernagel hätte stammen können.
„Doch José hatte weniger Glück, er brach sich mehrere Rippen und hatte nun eine Narbe, die durch das ganze Gesicht geht. Doch von Jorgé möchte ich gar nicht erst anfangen. Ihn hatte es noch weit schlimmer erwischt. Einige Wochen habe ich an seinem Krankenbett um sein Weiterleben gebangt.“ Er machte eine dramatische Pause. „Aber alle von der Guerilla waren danach tot und ich konnte JJ meinem Freund, wenn auch nicht ganz unversehrt, zurückgeben.“

Aber Manuel war für heute noch nicht mit ihr fertig. „Du hast wirklich keine Zeit, heute?“ Sie traute sich ihn kaum anzusehen, wusste sie doch, was gleich kommen würde. Er lachte und sagte scheinbar im Scherz. „Du, wenn du wirklich keine Zeit hast, schau ich bei dir heute Abend vorbei und überprüf´das. Ich kenne ja deine Adresse.“ Für sie war das kein Scherz und sich ständig beobachtet zu fühlen, war kaum etwas, das für ein angenehmes Kribbeln in der Magengegend sorgte.

„Vielleicht kann ich mich ja heute Abend frei machen und zum Essen kommen.“
„So geht das aber nicht meine Kleine.“ Er schüttelte theatralisch mit dem Kopf. „Ich brauche eine klare Antwort und sie sollte doch bitte mir gefällig ausfallen.“
Sie seufzte. „Ich komme heute Abend.“
„Super. Ach, habe ich dir schon von meiner Geschichte erzählt, wie mir in Guadelupe ein Rennboot angeboten worden war und ich befürchtete, es könnte Hehlerware sein?“
Sie wusste, was nun kommen würde und ergab sich einfachhaltshalber in ihr Schicksal.
„Das ist eine klasse Geschichte; halt dich fest: also, alles beginnt mit...“

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Tag der Veröffentlichung: 07.01.2009

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