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Claire de Lune



Es waren Nächte wie diese, die Kreaturen wie mir eigentlich Leben einhauchen sollten. Ich war dafür geschaffen, im nächtlichen Schutze der Dunkelheit mein Unwesen zu treiben, dem inneren Drang nachzugeben, der mir permanent den Ekel vor meiner eigenen Spezies vor Augen führte. Doch anstatt meine blutigen Taten mit gnädiger Schwärze zu ummanteln, hüllte mich die Nacht nun behutsam ein, während meine lautlosen Schritte den gewohnten Weg den Kirchgang hinauf fanden.
Vollkommen lichtlos glänzte die gesamte Kapelle, ihre Schönheit bei Neumond einzig und allein so scharfen Sinnen wie den meinen vorbehalten- welche Ironie. Niemandem sonst fiel der glimmende Schein der goldenen Ornamente auf, niemand sonst hätte den leichten Schimmer des ewigen Lichtes in jedem noch so verborgenen Winkel zu würdigen gewusst. Ich jedoch tat es. Nichts gewährte mir mehr Hoffnung, als jener blutrote Lichtschein.
Als hieße der Herr auch mich willkommen, als wäre es sein ureigener Wille, auch seelenlosen Kreaturen wie mir die Vergebung zu verheißen. Hätte doch dieses Licht nicht nur denen leuchten können, die frei von jeder Sünde rein und weiß Zuflucht suchten, sondern auch blutbefleckten Sündern- Meinesgleichen.
Doch auch dieses Hoffen war nur ein hauchdünner Strohhalm, an den ich mich zu klammern versuchte. Genauso konnte jener leuchtende Schein wie eine ewige Anklage dort oben prangen, als Mahnmal allen Blutes, das durch meine Hand vergossen worden war. Ein Sinnbild meiner ewigen Verdammnis, meines besiegelten Schicksals. Vollkommen egal wie oft ich mich noch vor ihm niederwerfen mochte, ich würde nicht errettet, Christi Blut würde meine Sünden nicht tilgen, nicht mich, sondern nur die Seelen meiner Opfer erlösen.
Doch ich war heute nicht hier, um mir die unausweichlichen Folgen meiner Existenz vor Augen zu führen. Ich war hier, um im Schutze der mondlosen Nacht Rechenschaft abzulegen, vor meinem Schöpfer und mir selbst. In einem ewig gleichen Ritual glitt ich in den Beichtstuhl hinein und wurde vom schweren Stoff des Vorhangs eingehüllt, wie von einem schützenden Mantel. Andächtig fuhren meine Finger jene Maserungen des Holzes nach, die zu Vertrauten geworden waren, im jahrzehntelangen Ritus meiner Buße, die ich hier ablegte. Der Beichtstuhl war zwar mehrmals saniert worden, aber stets der gleiche geblieben, seit über hundert Jahren. Zuvor hatte er sich im Besitz meiner Familie befunden, auf unseren alten Ländereien nahe der französischen Grenze. Ich hatte es nie gewagt, mich dort aufzuhalten und erst nachdem unsere Güter in den Besitz des letzten Zweiges unserer Familie übergingen, waren einige Stücke wie dieses hier der Kirche gespendet worden. Und nun fand sich der jahrhundertealte Beichtstuhl inmitten einer zierlichen Kapelle am Rande Frankfurts wieder, deren Name nicht nur zufällig „St. Joseph“ war. Regelmäßig waren seit fast 200 Jahren Spenden an katholische Institutionen entrichtet worden, stets mit dem Bezug auf die Namen unserer Familie, deren teilweise Auslöschung im Jahre 1813 nie aufgeklärt wurde- jedenfalls nicht für unsere Nachfahren. Ich hatte mich damals mehr zufällig hierher begeben, um zu sehen, welche Spende in Frankfurt eingegangen war. Als ich dann den Beichtstuhl fand, in dessen Sitzbankunterseite immer noch mein Name geschnitzt war, hatte ich meine Rückkehr hierher zu einem Ritual gemacht. Ein so winziges Stück Heimat als Erinnerung an den so geliebten Ort, an den ich nicht zurück kehren konnte, ganz egal wie lang mein ewiges Leben andauern würde.
Also hatte ich mir diesen winzigen Trost hier aufbewahrt, nicht zuletzt auch wegen eines weiteren winzigen Details.
Als ich mich hier nach der Osternacht eingefunden hatte, war mir ein abgegriffenes Flugblatt in die Hände gefallen- die Vermeldungen der kommenden Wochengottesdienste. Man hatte der Kapelle den spielerischen Beinamen „klein Josephine“ gegeben. Wo also sollte ich mehr Hoffnung auf göttliche Gnade schöpfen, als in einer Kirche, die meinen Namen trug und ihn in die Bank ihres Beichtstuhls eingraviert trug? Hier war der Ort, an dem Josephine von Hardenburg über Jahrhunderte existiert hatte und ein letztes Fünkchen Menschlichkeit bewahrte, in bloßer Erinnerung.
Ruckartig erwachte ich aus meiner melancholischen Träumerei, als das Knarren der Kirchentüren im leeren Gang wiederhallten. Mein ganzer Körper war mir einem Schlag vollkommen reglos, verharrte in nun lauernder Anspannung. In meinem Kopf tobte es. War ich entdeckt worden? Hatte er mich gefunden?
Unzählige Vorwürfe hallten in mir wieder, darüber, wie unvorsichtig ich gewesen war, wie ich nur so dumm hatte sein können. Gleichzeitig waren alle meine Muskeln zum Zerbersten gespannt, meine Nasenlöcher gebläht und meine Ohren wachsamer als die einer Katze. Kaum hörbare Schritte glitten über die glatten Fliesen, viel zu still für menschliche Füße. Ich konnte keinen Atem hören und dennoch blieb die Präsenz aus, die das Eintreten Meinesgleichen hätte signalisieren müssen. Stattdessen spürte ich einige Meter entfernt etwas Warmes, viel zu Lebendiges, während ich nicht wusste, ob es mich seinerseits bereits entdeckt hatte. Doch als ich das deutliche, spähende Einatmen von Luft hören konnte, leuchtete die Erkenntnis in mir auf.
-Wölfe-
Ein Schauer überlief meinen eiskalten Körper, als spanne sich brüchiges Eis darüber. Für einen Moment hätte sich beinahe Panik meiner Sinne bemächtigt, bevor ich mich wieder im Griff hatte. Rationalität war es, die meine tote Haut retten würde, nicht Hysterie. Und laut jener Logik machte es sich nun bezahlt, dass ich mich nur in Neumondnächten hier her begab. Hier und heute würde ich stärker sein als jeder Wolf, der mir nachstellte, denn ich war ein Kind jener mondlosen Finsternis. Mochte auch der Vollmond ihre Kräfte stärken, er war nie weiter entfernt als jetzt. Und das würde meine Chance sein. Problem an meiner brillanten Argumentation war lediglich die Tatsache, dass es nicht galt, ihn zu töten. Auch wenn er allein war, konnte und wollte ich es nicht, nicht hier, wo ich noch Momente vorher Buße getan hatte. Und um nichts in der Welt würde ich die Städte meines Herrn mit Blut besudeln, schon gar nicht mit dem eines räudigen Köters. Damit blieb mir nur eine möglichst schnelle Flucht, was angesichts einer silberbeschlagenen Türklinke nicht unbedingt einfach war. Es würde mich nicht töten oder verletzen, aber gegenüber Silber waren Vampire nichts weiter als gewöhnliche Menschen. Tödliche Verletzungen mit Silber konnten uns umbringen, silbergeschlagene Wunden heilten mit menschlicher Geschwindigkeit und silberne Gewichte trotzdem unseren Muskeln nicht weniger als menschlichen Anstrengungen. Zwar würde es nur Sekunden kosten, die Tür aufzuziehen, wie es auch Sterbliche nur Sekunden kosten würde. Jedoch könnte er in diesen Sekunden längst angreifen und mir keine Wahl lassen, mich zur erneuten Sünde zwingen.
Sich nähernde Schritte signalisierten mir, dass er sich vorsichtig anpirschte. Ich hörte seinen Herzschlag lange bevor ich ihn riechen konnte. Er roch nach feuchter, regennasser Erde, nach warmem Sommer und etwas Honig. Wie sie alle troff er fast über vor Leben, das aus jeder ihrer Poren rann und sie fast noch betörender machte, als wir es waren.
Nur noch wenige Schritte und er hätte mich in die Enge getrieben, mich meines Handlungsspielraumes beraubt. Also blieb mir nur dieser eine Augenblick zur Flucht nach vorn, das winzige Überraschungsmoment.
In einer einzigen Bewegung glitt ich hinter dem Beichtvorhang hervor und verbarg mich in den Schatten der Wände, die wie lange Mäntel bis zum Boden hinunter reichten. Ich begann, über die Kirchenbänke hinweg Haken zu schlagen und Kreise zu laufen, alles um den Wolf herum. Dieser war zwar gefasst gewesen, aber reagierte kaum merklich. Seine Muskeln strafften sich, als erwarte er jeden Moment einen Schlag. Sterbliche würden nur normale Spannung in ihm erkennen. Was meinen Augen jedoch nicht verborgen blieb, war die Energie, die aus seinen Poren hinaus in die Luft troff. Das Blut, das durch seine Adern rann, war nicht länger sterblich. Es war wärmer, kräftiger. Unter die schwachen Fasern seiner Muskeln mischten sich die seiner wahren Gestalt. Ein Wolf musste sich nicht ganz verwandeln, um mir einen Kampf bieten zu können. Im Gegenteil. Es reichte schon, dass sie ihre ureigene Magie heraufbeschworen und sich mit etwas wappneten, das Kreaturen wie mir versagt war- Leben.
Selbst in Bewegung konnte ich erkennen, dass er kräftig war, stärker als viele Wölfe, denen ich begegnet war. Und trotzdem hatte der Hauch eines Wandels nicht gänzlich die jugendlichen Züge verbergen können, die sein Alter verrieten. Er war vielleicht fünfundzwanzig, keine dreißig. Unglaublich jung für einen Wolf, besonders wenn er allein bei Neumond einem Vampir gegenüberstand. Wie töricht, ein solches Risiko einzugehen. Er hatte mich gewittert und war mir vollkommen allein gefolgt. Sein Rudel war nicht hier, niemand hielt sich jenseits der Kirchenmauern auf. Da war ich mir sicher, jetzt, da ich deutlich darauf achtete.
Nun, da ich nicht befürchten musste, von seinem Rudel draußen attackiert zu werden, musste ich aus der Kirche hier herauskommen, ohne sie zu besudeln. Nicht unbedingt einfach, vor allem, da sich mein Widersacher nun langsam in Bewegung gesetzt hatte. Während ich auf einer mittleren Bank aufrecht stehend verharrte, kam er menschlichen Schrittes auf mich zu. Er zögerte, der Anflug eines Knurrens stieg bereits seine Kehle auf und lies seinen Oberkörper leicht vibrieren. Er näherte sich meinem Fluchtweg, so offensichtlich, als wäre er sich sicher, mich zu bezwingen. Törichter Narr. Plötzlich musste ich lächeln. So vielen Wölfen war ich schon begegnet und einige hatte ich sogar am Leben gelassen, anderen war ich nur knapp entkommen. Aber nie war einer so förmlich übergelaufen vor Überschätzung. Er wollte es tatsächlich hier mit mir aufnehmen, mit einem Vampir, bei Neumond.
Mein Lächeln schien ihn für den Bruchteil einer Sekunde zu irritieren, bevor er nur noch gespannter wurde und anscheinend einen Angriff erwartete. Stattdessen drehte ich mich um und rannte in einem einzigen Windhauch zur Tür. Und wie erwartet musste ich mich mit menschlicher Anstrengung gegen die silbernen Beschläge stämmen.
Es dauerte keinen Wimpernschlag, bis auch der Wolf hinter mit auftauchte, während sein Herzschlag förmlich in den Mauern der Kirche wiederhallte wie ein Echo. Er glaubte wirklich, ich würde so schnell fliehen. Hochmut, eine der schwersten Bürden der Menschheit, Todsünde.
Doch womit er nicht rechnete, war die Schnelligkeit mit der ich herumfuhr. Anstatt mich darauf zu konzentrieren, die Türen zu öffnen, fing ich seinen Angriff ab und riss ihn mit mir zu Boden. Wir rollten einige Meter weit, bevor ich uns zum Halten brachte, Millimeter entfernt von einer Marienstatue. Der Wolf, nun unter mir und meinen heute mächtigeren Armen niedergerungen, präsentierte mir seine gefletschten Zähne. Nun war es sein kehliges Knurren, das die Kirchenwände empor hallte.
Ich grub meine Nägel in sein Fleisch und presste seine Schultern so fest auf den Boden, dass menschliche Knochen bereits gebrochen wären. Der Schmerz ließ ihn zusammen zucken, sodass er kurz still hielt. Dann lehnte ich meinen Kopf weit genug zu ihm herunter, um das Aufflackern bestialischer Wut in seinem Blick zu erkennen. Sein Kampfgeist spielte verrückt in seinem Inneren. Doch so eingepfercht konnte er sich nicht verwandeln, nicht wenn kein Vollmond war. Er war mir ausgeliefert und das schien er langsam zu begreifen. Als er ganz ruhig wurde, nicht panisch, lehnte ich mich noch weiter zu ihm hinunter. Mit der Nase strich ich eine dünne braune Haarsträhne von seinem Ohr weg. Die Berührung meiner kalten Haut auf seinem kochenden Fleisch ließ ihn erneut vor Wut erzittern, doch so konnte er mich auch nicht beißen. Also musste er zuhören, während ihn bereits unkontrollierte Schauer überliefen. Er war im Begriff sich zu verwandeln und konnte es doch nicht. Er würde mehr Platz brauchen und nichts Übernatürliches, das ihn so eindämmte. „Das hier muss schmerzhaft für dich sein und das tut mir leid. Aber du lässt mir keine Wahl.“ Wisperte ich in sein Ohr, fast versucht, es zu küssen, nur um zu sehen, wie es ihn nur noch mehr in Rage brachte. „Ich werde diesen Ort hier nicht besudeln, also bitte ich dich auch, dies nicht zu tun. Glaub mir, ich weiß durchaus, wie sehr du meinesgleichen hasst, aber dies ist ein Kampf, der nicht für ein Gotteshaus bestimmt ist. Außerdem weißt du selber, dass du hier und heute nicht gewinnen könntest. Bei Vollmond vielleicht, aber nicht jetzt. Also bitte, zwing mich nicht, im Angesicht meines Herrn zu töten.“ Ich war mir nicht mal sicher, ob er mich hörte, so sehr rauschte das Blut in seinen Ohren. Fast war es genug, um die Gier in mir erneut zu entfesseln, obwohl ich nicht im Geringsten hungrig war. Der Körper in meinem Griff vibrierte, als würde er von Fieberkrämpfen geschüttelt. Vor lauter Wut rann ihm der Schweiß aus allen Poren und ließ unsere Haut zusammenkleben. Ich würde nach ihm riechen.
Er brauchte nur etwas mehr Platz und einen winzigen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringen würde. Da kam mir ein diabolischer Gedanke. Ich lächelte. Das würde zumindest seiner Arroganz einen Dämpfer verpassen.
Langsam glitten meine Lippen an seinem Ohr hinab über seine Halsschlagader. Wild pochend schien das Blut fast aus ihr heraus zu quellen, so heftig pulsierte es. Er wandt sich in meinem Griff, fügte sich nur noch mehr Schmerzen zu. Er dachte wirklich, ich würde ihn beißen. Doch bevor er realisierte, was ich tat, glitt mein Gesicht hinauf an seinen Hals und meine Lippen berührten seine. Nur einen Herzschlag lang, bevor ich einen winzigen Schnitt an seiner Unterlippe zurücklies mit einem einzigen Tropfen Blut darauf. Er erstarrte, so heftig wurden die Krämpfe. Er schien zu platzen, würde ich ihn nicht sofort loslassen. Ganz recht so. Ich hauchte einen Kuss auf seine Wange und flüsterte einen leisen Abschied. „Träum von mir, wenn du mich auf deiner Haut riechst.“
Und in dem Moment, in dem ich meinen Griff lockerte, hörte ich schon das Reißen von Haut und das Brechen seiner Knochen. Er wandelte sich vollkommen, was mir gerade genug Zeit gab, zur Tür hinaus zu schlüpfen. Die Sekunden, die ich am Silber der Beschläge verlor, kostete ihn die Verwandlung. Und noch bevor ich ein animalisches Knurren hören konnte, spürte ich den kühlen Waldweg unter meinen Füßen, zusammen mit der duftenden Nachtluft, die mich empfing. Hinter mir kratzten die Krallen eines Wehrwolfes an einer Tür, die für menschliche Hände geschaffen war, oder für jene, die zumindest den Anschein erweckten…



Impressum

Texte: Das Titelbild stammt von hier http://www.savannahdaras.com/ und wurde von Savannah Daras aufgenommen.Alle Rechte am Titelbild liegen bei ihr! Ich habe lediglich den Schriftzug hinzugefügt. Alle Rechte am Text liegen bei mir!
Tag der Veröffentlichung: 29.01.2011

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