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Sicher, es gab Zeiten, da hätte ich meine Mutter auf den Mond schießen wollen, aber das ist längst Vergangenheit. Ich bin stolz auf sie, und ich bin stolz, ihre Tochter zu sein.

Als Kind hat sie den 2. Weltkrieg erleben müssen. Nur ganz selten erzählt sie von dieser Zeit, von den Ängsten, die sich damals in ihrer kleinen Kinderseele festgesetzt haben und zum Teil bis heute wirken. Aber bei Allem was sie erleben musste und durfte hat sie nie ihren Glauben an das Gute verloren. “Wer weiß, wofür es gut ist“ pflegt sie zu sagen.

Anna Luise, geboren am 31. Oktober 1931 in einer kleinen Stadt am linken Niederrhein, glaubt an Gott und an Wunder. Sie nennt sie Alltagswunder und meint damit Situationen, die ausweglos scheinen, aber in denen einem unerwartet Hilfe zu Teil wird, oft von einer Seite, mit der man überhaupt nicht rechnet.

Es war zu Anfang der 1950er Jahre als sie auf diesen Mann, der ja so charmant und liebenswürdig sein konnte, herein fiel und ihn heiratete. Damals dachte sie noch alle Männer wären solche Ehemänner und Väter wie ihr Vater. Das Leben hat sie etwas Anderes gelehrt. Aber trotz Allem ist sie bei ihm geblieben, was ich lange nicht habe verstehen können.
Heute weiß ich: sie hat es für uns, ihre Kinder, getan.
Gutmütig, großherzig und friedliebend sind Attribute die mir bei ihr sofort einfallen. Aber sie ist auch eine kampfstarke Löwin, wenn es um ihre Kinder geht, bis heute.

Wir, ihre Kinder, sind vier Jungen und zwei Mädchen. Ich bin das fünfte Kind und die älteste Tochter. Wenn es nach meiner Mutter gegangen wäre hätte es nur maximal drei Kinder gegeben. Aber es ging nicht nach ihrem Willen. Jedoch hat sie das nie einen von uns spüren lassen. Im Gegenteil. Kaum war ihr bewusst, dass wieder ein neues Leben in ihr reift hat sie die Frucht gehegt und gepflegt. Erst als ich erwachsen und selbst verheiratet war, hat sie mir solche Dinge aus ihrem Leben anvertraut. Sie wollte, dass wir eine glückliche, unbeschwerte Kindheit genießen konnten.

Mit das Wichtigste für sie war, dass ihre Kinder mit guter Schul- und Ausbildung ins Leben gehen können. Wir haben nicht alle Abitur gemacht oder gar studiert. Aber jeder von uns bekam die Chance sich einen guten Abschluss zu erarbeiten. Was auch immer kommen mag, so meinte sie, Bildung kann uns niemand nehmen. Sie hat wohl immer darunter gelitten, dass ihr selbst der Gang auf ein Gymnasium verwehrt war, obwohl der Wechsel von der Volksschule fest eingeplant war. Aber dann regnete es Bomben über Deutschland und die Menschen hatten andere Sorgen. Als der Krieg endlich zu Ende war, war die Familie froh, dass Anna Luise als Kindergartenhelferin arbeiten konnte, nicht zuletzt, da die amerikanischen Soldaten, die im Dorf untergebracht waren, mittäglich für warme Mahlzeiten im Kindergarten sorgten. Es wurde geheiratet, die Kinder kamen. Sie war Hausfrau und Mutter. Aber sie gehört zu der Sorte Menschen, die einfach nicht aufhören wollen sich weiterzuentwickeln. So machte sie ihren Führerschein zusammen mit dem ältesten Sohn und war bereits über 40 Jahre alt, als sie einen Kurs in Französich an der Volkshochschule belegte.

Für üppige Geschenke, von der Sorte die man käuflich erwerben kann, war nie wirklich Geld da. Aber unsere Mutter hat uns auf andere, auf ihre Weise reich beschenkt. Und es gibt ein paar Dinge, die ich nie vergessen werden wie zum Beispiel die Hausschuhe, die sie im Winter auf die Heizung legte während wir Kinder in der Schule oder im Schnee unterwegs waren, damit sie kuschlig warm sind, wenn dir durchgefroren ins Haus kommen.
Eine raffinierte Art, Kinder dazu zu bringen gerecht zu teilen war ihr Spruch: der eine teilt, der andere sucht aus. Es hat gewirkt und wird immer noch von mir so gehandhabt.

Unsere Mutter hat uns gelehrt, tolerant zu sein und andere mit Respekt zu behandeln. Nicht „was du nicht willst das man dir tut, das füg' auch keinem Anderen zu“ war ihre Devise, sondern „gehe mit Anderen so um, wie du möchtest, dass man mit dir umgeht“. Sie hat uns gelehrt, aufrecht durch das Leben zu gehen und das autoritär sein nichts zu tun hat mit Autorität haben. Was sie versäumte uns beizubringen ist, wie man für seine eigenen Rechte eintritt, wie man sich durchboxt in der Ellenbogengesellschaft und sich über Wert verkauft. In diesen Dingen war sie wahrlich kein Vorbild. Aber wenn es gilt einem Schwächeren beizustehen, wächst sie über sich hinaus und lässt sich nicht klein kriegen. Und das hat sie an ihre Kinder weiter gegeben.

Inzwischen ist sie 80 Jahre jung. Gut gelaunt sitzt sie in ihrem Lieblingssessel und strickt Socken für ihre Kinder, Schwiegerkinder, Kindeskinder und deren Freunde. Sie lässt sich nichts mehr sagen, von niemandem. Obwohl - einen Befehl gibt es, den befolgt sie gern und umgehend auf's Wort: mach doch was du willst!

Impressum

Texte: Lucia Petz
Bildmaterialien: Lucia Petz
Tag der Veröffentlichung: 31.01.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für meine Mama, eine großartige Frau

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