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Eine Fügung des Schicksals

Schon den ganzen Tag freute ich mich auf das schmale Büchlein in meiner Tasche. Ich hatte ihm am Vortag in unserer Bibliothek nicht widerstehen können. Sein silbrig blauer Einband mit der Andeutung von prasselndem Regen und schweren Gewitterwolken hatte mich neugierig gemacht. Nun saß ich unter dem Lichtkegel meiner Stehlampe und strich über die erste Seite. Doch da ...

 

 

 

 

 

 

 

 

... überfiel mich eine bleierne Müdigkeit und ich nickte ein. Kurz darauf erwachte ich sehr erfrischt und begab mich in mein Arbeitszimmer. An meinem Schreibtisch machte ich mich an die explizite Auswertung einiger Diplomarbeiten. Als geschiedener Germanistikprofessor hatte ich ohnehin nichts besseres zu tun. Allerdings wurde mir während dieser Semesterferien eine ganz besondere Ehre zuteil. Ich sollte meine Enkelin, deren Eltern verreist waren, betreuen. Meine Tochter Beatrice und mein Schwiegersohn Horst Tauber, der als Arzt bei einer Tagung in Österreich weilte, um anschließend die traute Zweisamkeit für eine romantische Italienreise zu nutzen, hatten mir die kleine Sarah samt ihres Kanarienvogels Sindbad anvertraut.

In der Zwischenzeit würden ich, meine Enkelin, deren Vogel und mein Kater Humbert, die eine eigenartige Konstellation bildeten, sich das geräumige Haus mit dem großzügigen Grundstück teilen. Einmal wöchentlich würde sich Frau Rawenstein, in ihrer Funktion als Haushaltshilfe, dazugesellen. Weswegen, unter Berücksichtigung von meiner Zerstreutheit, die sich gleichsam lustig wie anregend auf meine Enkelin auswirkte, das Chaos für die bevorstehenden Wochen bereits vorprogrammiert schien.

 

 

 

 

 

 

Sarah, die sich hier nach Herzenslust ausleben konnte, deren kindliche Phantasie dauernd aufs neue gefordert war, bemüht darum, diese Art der Belustigung im Fluss zu halten und fest dazu entschlossen, dem Chaos keine Pause zu gönnen, hatte sich seit langem ein gelbes Strickkleid gewünscht. Doch all die Bemühungen von seiten ihrer Mutter und die vielen Einkaufsversuche waren fehlgeschlagen. Ein leuchtendgelbes Strickkleid aus reiner Wolle sollte es sein. Mit einem Griff in das Schrankfach, war es um Großvaters Lieblingspullover geschehen. Genau das richtige für Sarah. Jetzt nur noch schnell in die Waschküche, wohlwissend, dass Großvater Waldemar besagten Kellerraum selten betrat und dessen Nutzung lieber seiner Zugehfrau überließ. Stunden später glich das edle Wollteil, zuvor eingeweicht und tropfnass aufgehängt, dem lang ersehnten Strickkleid. Nur noch fertig trocknen, dann reinschlüpfen und sich wohl fühlen. Stolz betrachtete Sarah das Resultat ihrer klammheimlichen Aktion und freute sich über die gelungene Arbeit.

 

 

 

 

 

Ich als ein selbsternannter Einkaufsbummelmuffel und erklärter Feind von Shoppingtouren, begegnete Sarahs Frage nach diesbezüglichem Ausflug in die Stadt mit diplomatischem Geschick. Mit der einfachen Feststellung, dass die von ihr getragene Kleidung doch neu und sehr schön sei, war der Erklärungsbedarf gedeckt. Scheinbar zufrieden verzog sich Sarah in den Garten, um mit der gleichaltrigen Nachbarstochter Simone zu spielen.

Nach einer Weile stand sie heulend in der Tür zu meinem Arbeitszimmer und beklagte sich schluchzend über die Hänseleien von Simone. Die hatte nicht mit ihr spielen wollen, weil sie diese abgetragenen und viel zu kleinen Klamotten trug und daraus ableitend bestimmt kein guter Umgang war. Kleider machen eben doch Leute, schloss Sarah das Plädoyer über ihre missliche Lage.

Tatsächlich war Sarah in kürzester Zeit sehr schnell gewachsen, und nachlässig gekleidet war sie auch. Das war nicht von der Hand zu weisen. Ich hatte mir diesmal die Mühe gemacht mich zu ihr umzudrehen und musste mit Entsetzen feststellen, dass die Nachbarstochter nicht übertrieben hatte. Die eigene innere Animosität überwindend, packte ich Sarah bei der Hand, um sie neu und angemessen einzukleiden.

 

 

 

 

 

Sarahs Plan, mit der sehr viel kleineren Simone die Kleider zu tauschen, war vollends aufgegangen.

 

 

 

 

 

Als passionierter Frühaufsteher und vehementer Verfechter eines ausgiebigen Frühstücks, war ich geradewegs im Begriff, mich ans tägliche Werk zu machen, als ich angesichts der Federspur, die von der Küche zur Hintertür führte, mir das Pfeifen im Halse steckenblieb. Die ungute Ahnung, die mich dabei befiel, fand im Garten ihre grausame Bestätigung.

Das Unheil, das mein Kater da angerichtet hatte, war nicht mehr gutzumachen. Sindbad, oder das, was noch von ihm übrig war, lag da, und Humbert, sein Mörder, war spurlos verschwunden.

Sarah durfte auf gar keinen Fall etwas davon mitbekommen.

Über den leeren Käfig im Wohnzimmer hängte ich das dazugehörige Tuch, um den Anschein zu erwecken, dass der Vogel noch schlafen würde. Ich hatte die Absicht, gleich einen neuen Vogel zu besorgen. Ich hoffte nur, dass Sarah nicht den Unterschied merken würde.

Derweil Frau Rawenstein zu ihrem großen Reinemachetag eingetroffen war, bereitete ich eilig Sindbads letzte Ruhestätte vor. Das war ich ihm schuldig. Immerhin war er durch die Pfote meines Katers ins Jenseits befördert worden.

Frau Rawenstein, die unter einer Vogelphobie litt, weigerte sich lautstark, den gewünschten Ersatz zu besorgen. Allein schon der Gedanke an einen Vogel brachte bei ihr eine Lawine ins Rollen, die eine Panikattacke auslöste und sich schließlich zum Tobsuchtsanfall steigerte. 

Durch das Geschrei aufgewacht, stand Sarah plötzlich auf dem Balkon, um mich auf frischer Tat zu ertappen.

Ich tarnte meine geheime Aktion mit dem Deckmantel der üblichen Gartenarbeit. So hatte ich vorerst meinen und Humberts Hals gerettet.

Der Kater schlich irgendwo da draußen herum und hatte mir die Drecksarbeit hinterlassen.

Frau Rawenstein war wieder bei Sinnen. Und ich fuhr zur Zoohandlung.

 

 

 

 

 

Sarah kringelte sich vor Lachen. Das war ihre bisher beste Spaßattacke gewesen. Dank ihres makabren Scherzes würde ihr geliebter Sindbad noch heute anstelle des geopferten Spielzeugvogels einen Gefährten mit dem Namen Timba bekommen. Zwei Vögel würden für Frau Rawenstein den endgültigen Zusammenbruch bedeuten.

 

 

 

 

 

Aus mir wurde mit wenigen Worten Professor Hardwig, der wieder einmal einen endlosen Vortrag hielt, der so langweilig war, dass man ihn getrost verwerfen konnte. Aber meine Enkelin Sarah, würde schon für die rechte Kurzweil und die dringend notwendige Abwechslung sorgen.

 

 

 

 

 

Ein Schauer lief mir über den Rücken und mir sträubten sich die Nackenhaare. Was sollte das? Germanistikprofessor? Enkelin? Ich war doch ein angehender Student! Und seltsamerweise saß ich immer noch unter dem Lichtkegel meiner Stehlampe und strich über die erste Seite. Anscheindend schien das schmale Büchlein mehr zu wissen als ich. Aber irgendwie war es auch sehr beruhigend zu wissen, dass das mit meiner Zukunft alles klar gehen würde.

 

 

Copyright Susanne Ulrike Maria Albrecht

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.08.2016

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