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Russisches Roulette ist ein sehr einfaches Spiel, dessen Ausgang keinerlei Raum lässt für Fragen, wer denn nun Gewinner oder Verlierer ist. Man nimmt einfach einen sechsschüssigen Trommelrevolver, steckt in eine der Kammern eine Patrone, lässt die übrigen Kammern frei und bringt die Trommel einmal kurz zum Rotieren, bevor die Runde beginnt.
Die Regeln sind leicht verständlich: Einmal wird in die Luft abgedrückt, einmal wird die Mündung gegen die Schläfe gehalten und nochmals der Abzug betätigt. Früher oder später scheidet auf diese Weise einer der Mitspieler aus. Ein Spiel, das den Begriff "Zufallsfaktor" perfekt illustriert.

"Wer fängt an?" fragte Chris mit einem diabolischen Grinsen, das seine Vorfreude auf das Spektakel verriet. Niemand wollte der Erste sein, und so ließ er den Zufall entscheiden. Er legte den Revolver auf den Tisch und versetzte ihn in Drehung – eine bizarre Form von Flaschendrehen – bis die Mündung auf Alan zeigte.

"Ah, wir haben einen Gewinner!" imitierte Chris die Stimme eines dieser Losverkäufer auf Jahrmärkten, bei denen man bestenfalls billige Plastikteddybären gewinnen kann. Persönlich zog ich, trotz des erheblich höheren Risikos, unser Spiel den Kirmeslosen vor. Als Gewinn winkte die Chance, am Leben zu bleiben. Und in solchen Momenten konnte ich endlich wieder einmal spüren, dass ich überhaupt noch am Leben war.

Alan war nur mäßig begeistert und ließ ein geflüstertes "Verdammter Mist!" hören, als Chris ihm die Waffe über den Tisch hinweg zuschob. Ein Wunderwerk an mechanischer Präzision, eiskaltes Metall, auf Hochglanz poliert. Ich kannte dieses Instrument. Schon oft hatte ich es in der Hand und an der Schläfe gehabt. Sie lag gut in der Hand, und Fehlfunktionen waren ausgeschlossen.

Mit zitternden Fingern nahm Alan die Waffe und schaute sie nachdenklich an, als müsse er sich erst darüber klar werden, was er da in der Hand hielt.

"Na? Ein Schlückchen Zielwasser vor dem Schuss?" Tom lachte und goss Alan einen Whisky ein. Eine Prozedur, die er im Augenblick noch ohne Zittern und Kleckern zustande brachte. Noch war die Reihe nicht an ihm.

Ich hatte schon immer geahnt, dass Alan ein Angeber und Lügner war; ein richtiger Großkotz, der immer davon redete, dass er absolut keine Angst vor dem Tod habe, weil der etwas völlig natürliches sei. In der Theorie klang das gut und plausibel. Aber in der Praxis erweckte Alan nun gerade einen ganz anderen Eindruck.

Er kippte den Whisky in einem Zug. Ich goss mir auch einen ein. Wenn ich schon vielleicht in ein paar Minuten oder Stunden tot sein konnte, dann wollte ich wenigstens noch ein paar gute Tropfen genießen. Der Whisky wärmte innerlich und drängte dieses flaue Gefühl im Magen in die Ecke. Ich wurde ruhiger und gelassener. Noch zwei oder drei Gläser davon und ich würde mich wenigstens nicht lächerlich machen, wenn die Reihe an mich kam.

Die Show, die Alan uns da bot, war unbezahlbar. Zitternd hob er die Waffe und ließ sie wieder sinken, hob sie an und ließ sie wieder sinken. Obwohl die anderen genau wie ich keine Spur eines Lächelns zeigten, wusste ich doch, dass sie genau wie ich in sich hineinbrüllten vor Lachen.

"Na, wie steht's denn nun, Alan?" spöttelte Tom. "Der Tod ist doch etwas völlig Natürliches, nicht wahr?!"
Das Ziel seines Spottes zitterte wie Espenlaub. Auch Kate wurde langsam nervös, obwohl sie noch lange nicht an der Reihe war.
"Das wird noch ein schlimmes Ende nehmen", murmelte sie ständig vor sich hin. "Mist, warum habe ich mich bloß darauf eingelassen?"

Es ist wirklich bemerkenswert, wie sehr sich die Menschen doch ähneln: Auf der Schwelle ihres eigenen (möglichen) Todes werden sie entweder zu alles zerfleischenden Bestien oder zu wimmernden Feiglingen. Oder sie geben auf und warten nur noch ab. Ich zählte mich zur dritten Kategorie.

Russisches Roulette! Was für ein Spiel! Hier geht es nur oberflächlich gesehen darum, wer sich eine Kugel einfängt. Außenstehenden mag es so erscheinen. Tatsächlich aber machen die verschiedenen kleinen Intermezzi, die sich zwischen den einzelnen Betätigungen des Abzugs abspielen, den wahren Reiz dieses Spieles aus.

Für mich lag es auf der Hand, dass Tom mit seinem Spott nur seine eigene Angst maskierte. Er war schließlich als nächster dran.
"Mach' schon, drück' endlich ab, du Feigling", brüllte er Alan an. Pure Angst. Reine Panik. Ich drehte mir eine Zigarette. Vielleicht meine letzte. Es sollte noch eine Weile dauern, bis die Reihe an mich kam. Meine Chancen, diesen Abend zu überleben, standen gut und wurden zunehmend besser. Trotzdem war dies nicht der günstigste Zeitpunkt, um mit dem Rauchen aufzuhören.

Mitten im Drehen der Zigarette hielt ich inne. Alan hob in Zeitlupe den Revolver an und richtete den Lauf gegen die Decke. Er kniff die Augen zusammen und drückte ab. Genaugenommen dauerte das alles nur Sekunden, vielleicht auch nur Bruchteile von Sekunden. Doch mir kam es wie eine halbe Ewigkeit vor.

Klick!

Alan riss die Augen auf und starrte ins Leere. Jetzt musste er den Lauf an seine Schläfe setzen und hoffen, dass es noch einmal klicken würde. Wenn das nicht der Fall war, würde er keine Zeit mehr haben, um sich über sein Pech aufzuregen.

"Noch irgendwelche letzten Worte, Alan?" Tom grinste breit, und auch Chris sah dem Ganzen mit einem Grinsen zu, für das ich ihn den Rest seines Lebens hassen wollte. Vorausgesetzt, ich würde lebend hier heraus kommen. Chris zählte ich zu der Kategorie der alles zerfleischenden Bestien.

Alan atmete tief ein, schloss die Augen, hob den Revolver und drückte ihn sich gegen den Kopf, bevor er "Mein Gott", stöhnte und abdrückte.

Klick!

Mit einer gichtartig verkrampften Hand und kreidebleichem, schweißüberströmtem Gesicht ließ er den Revolver sinken, bis das schwere Metall hart auf die Tischplatte aufschlug. Seine Lippen bewegten sich und er gab einen leisen, wimmernden Laut von sich, der wie das Winseln eines verängstigten Welpen klang.

"Ich hab' immer gewusst, dass er ein Feigling ist", höhnte Chris, riss Alan den Revolver aus den Fingern und schob das Mordinstrument über den Tisch. "Tom, du bist dran!"
"Oh Gott oh Gott oh Gott …" Kate durfte sich als einziges weibliches Wesen in dieser erlesenen Runde dieses Gejammer erlauben, ohne dafür Spott zu ernten.

Ich muss zugeben, dass ich mich geirrt hatte. Jedenfalls sah alles sehr nach einem Irrtum aus, als Tom den Revolver nahm. Die ganze Zeit war ich fest davon überzeugt gewesen, er würde sein Angst nur überspielen. Aber tatsächlich war er eiskalt und bewundernswert lässig.

"Na, dann wollen wir mal", sagte er wie einer, der gerade beim Tontaubenschießen an der Reihe war. Ein Vergleich, der den Tatsachen beachtlich nahe kam.
"Wo soll das nur enden … oh Gott …!"
"In der Hölle", raunte ich seelenruhig. Mir war klar, dass sich die Kugel in einen Kopf bohren würde, bevor der Revolver zu mir kam. "Da werden wir sowieso alle landen, Kate."
"Oh Gott!"
"Süße, nur die Ruhe." Tom lächelte sie an. Ich hatte immer schon den Verdacht gehabt, dass zwischen den beiden etwas am Laufen war. Und das konnte Chris überhaupt nicht gefallen. Der glaubte nämlich, Kate gehöre zu ihm. Kate selbst hatte sich noch nie näher dazu geäußert. "Das ist hier gleich erledigt."
Tom schien es sehr eilig zu haben. Er saß da und hielt lächelnd den Revolver nach oben. Kategorie: Selbstzerfleischende Bestie.
Chris nickte ihm zu und Tom drückte ab.

Klick!

Soviel zum Thema "eiskalt und bewunderswert lässig". Toms Gesicht wurde schlagartig bleich, sein Lächeln huschte davon wie eine verschreckte Katze und er übernahm als Zweitbesetzung die Rolle des Feiglings. Er war ein Schaf im Wolfspelz.
"Scheiße", zischte er. Seine Berechnungen hatten nicht gestimmt.
"Das nimmt ein schlimmes Ende!" Kate natürlich, wer sonst.
"Ruhe, verdammt!" Alan schaute gebannt zu. Er war aus dem Schneider und gab sich wieder lässig. Ich zog es vor, den Mund zu halten.

"Nun, wie steht's, Tom, du eiskalter Engel?" Chris grinste breiter als je zuvor. "Du weißt ja, wie es geht. Dein nächster Schuss."
Toms Lippen formten ein tonloses "Verdammt", während er versuchte, mit seinen Augen einen Blick von Kate aufzufangen und in ihren Augen vielleicht eine Antwort zu finden auf eine Frage, die er nicht gestellt hatte.

"Äh, Tom, wolltest du nicht gerade abdrücken?" Chris gluckste und kicherte wie ein Irrer. Vermutlich hatte er wirklich gerade den Verstand verloren und sich von der Realität verabschiedet. Seine Blicke wanderten zwischen Kate und Tom hin und her. Spätestens jetzt musste sogar er begreifen, dass zwischen beiden mehr lief.

"Mach' schon, Tom!" Er beugte sich über den Tisch und brachte sein Gesicht ganz nahe an das seines Gegenübers. "Drück' ab, du Feigling. In der nächsten Kammer sitzt die Kugel."
Tom zitterte. Speichel rann ihm aus dem Mundwinkel und Schweißperlen überzogen sein Gesicht wie klarer Zuckerguss. Sein Atem ging schnell und flach. Immer wieder leckte er sich über die Lippen.

"Bring's zu Ende, Tom. Mach' schon! Kate und ich haben heute noch etwas vor!"
Für ein paar Augenblicke stand die Zeit still. Tom brachte es zu Ende. Er hob den Revolver und drückte ab. Der Schuss ließ mir die Ohren klingeln, der Rauch legte sich wie ein Nebel über uns. Es herrschte Schweigen, nur Kate schrie hysterisch wie am Spieß. Nichts Neues.

Als der Qualm sich verzog, sah ich den entsetzten, erschrockenen Gesichtsausdruck von Chris. Er starrte Tom fassungslos an. Tom hatte es getan. Er hatte es zu Ende gebracht. Aus dem dunklen Fleck auf der Stirn von Chris sickerte Blut und bahnte sich in einem dünnen Rinnsal seinen Weg über seine Nase, seine Lippen, sein Kinn, bevor er vornüber auf den Tisch fiel.

"Halt' endlich dein blödes Maul, Chris!" schluchzte Tom.
"Das nenne ich einen Volltreffer!" Alan pfiff durch die Zähne.
"Du hast dich nicht an die Regeln gehalten, Tom", meinte ich und wusste, mit wem Kate heute nach Hause gehen würde. Eben jene Kate, die gerade hysterisch kreischte "Welcher Schwachkopf hat denn eine scharfe Patrone in die Knarre getan?"

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Tag der Veröffentlichung: 11.02.2009

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