Cover

Es hiess immer kleine Lügen, wären ganz okay.
Ein bisschen Lügen, schadet nicht.
Zu Lügen sei in manchen Situationen das beste.
Warum hatte man mir damals nicht erzählt, dass eine kleine Notlüge, so viele Schwierigkeiten bringen könnte?



4.7.
Es war ein regnerischer Montagmorgen, als ich mit dem Bus zur Schule fuhr. Ich stieg wie gewöhnlich in das hintere Ende des Buses, damit mich ja keiner bemerkten würde. Man musste etwas zu meiner Person wissen. Ich bin Tabby, Tabby Biel. Mein Status, unbeliebter geht es nicht. Ich bin schüchtern und ziehe meistens Klamotten an, die nicht wirklich toll aussehen. Genau deswegen, bin ich unbeliebt und ungeliebt. Ich habe nicht einmal einen starken Charakter vorzuweisen. Ich bin und bleibe eine Person im Hintergrund. Ich warf einen Blick raus aus dem Busfenster. Weite Wiesen und Berge, eine wunderschöne Landschaft, offenbarte sich mir. Ein kleines Lächeln huschte mir über das Gesicht. Gäbe es doch weder Schule, Vorurteile, Zicken und überhaupt alles Negative, so wäre die Welt perfekt. Doch leider wollte es die Realität anders. Der Bus hielt an einer Station. Viele Schüler stiegen ein. Fröhlich erzählten sie sich gegenseitig wie ihr Wochenende war.
Ich zog meine Tasche näher zu mir, damit die drängelnden Schüler durch kamen. Und da sah ich sie schon. Karina Weller! Sie war das beliebteste Mädchen überhaupt. Meine Augen weiteten sich, als sie schwungvoll ihr blondes glattes Haar über die Schulter warf und mit ihren quietsch pinken Gummistiefeln den Bus betrat. Hatte sie die Haare wieder gefärbt? Schüchtern blickte ich auf den Boden, als sie sich neben mich setzte. Naja, neben mich, war ein wenig falsch ausgedrückt. Sie setzte sich zwei Sitzplätze weiter neben mir hin. Natürlich waren die beiden Sitze zwischen uns, als Sicherheitsabstand gedacht. Ich warf einen erneuten Blick aus dem Fenster. Der Regen klatschte an die Scheiben. Ich wandte meinen Blick wieder Karina zu, diese hatte aus ihrer Gucci-Tasche einen mit Glitzersteinen versehenen I-iPod hervor geangelt und drückte nun wie wild darauf herum. "Beschissenes Ding!" Meinte sie und zog wütend die Kopfhörer aus den Ohren. "Was ist?" Fragte ich sie und lächelte. Ein Versuch war es ja Wert. Immer hin sassen wir hier alleine, ohne ihre Clique und in vielen Bravos stand, dass Leute sich anders verhielten, wenn sie alleine wären. Karina drehte ihr Gesicht langsam in meine Richtung. Ich konnte ihren Blick nicht deuten, aber gut, sah anders aus. Ich warf rasch wieder meinen Blick zu dem Fenster und tat, als wäre ich beschäftigt. Wir hielten erneut an einer Haltestelle und nun stiegen Karina's Freunde ein. 2 Typen davon, quetschten sich auf die 2 freien Plätze neben ihr und mir. Unauffällig rutschte ich noch mehr an das Fenster und tat wie gewohnt, als wäre ich total beschäftig. Dabei presste ich meine Tasche enger an mich. Die 5-er Clique, zu der noch Karinas beste Freundinnen Lu und Sami gehörten, fingen laut stark an zu lachen. Die Jungs schlugen sich zum Spass und die 3 Mädels kreischten vergnügt. Ich verdrehte meine Augen. So ging das Ganze noch 10 weitere Minuten, bis wir endlich vor dem Schulhaus ankamen. Ich blieb sitzen und wartete bis Karina und Co ausgestiegen waren. Müde stand ich auf und lief durch den nicht mehr ganz so vollen Bus zu dem Ausgang. Ich blieb einige Sekunden dort stehen, bevor ich ausstieg. Ich mochte regen und kälte nicht. Mühsam lief ich den Weg zu unserem Schulhaus hoch. Überall auf dem Pausenplatz standen vereinzelte Gruppen. Wir hätten da zum einen, die Streber, die Coolen, die Langweiler, die Punks, die Emos, die Cheerleader, die Beliebten und natürlich, meine Wenigkeit. Die Unauffällige. Während ich schon einmal zu unserem Klassenzimmer lief, rasten mir tausend Gedanken durch den Kopf. Ich war nicht immer die Unauffällige gewesen. Nein, vor 1nem Jahr hatte ich damals noch Freunde hier. Wir waren eine 4er Clique und damals gab es Karina und Co noch nicht. Ich fuhr mir durch mein braunes Haar. Damals, war Karina noch meine Nachbarin gewesen. Wir hatten oft etwas zusammen unternommen. In unserer Schule war sie aber bis dahin noch nicht, sie ging auf das St. Klair Gymnasium. Doch bald wurde ein neues Schulsystem eingeführt und die Niveaus und Klassen wurden alle geändert. Meine 3 besten Freundinnen, kamen nun an das St. Klair, Karina und ein paar wenig andere kamen zu uns. Natürlich war ich traurig, aber ich habe zu dieser Zeit noch gedacht, dass Karina und ich echt gute Freundinnen werden könnten. Leider hatte ich da falsch gedacht. Es ging nicht lange und bald wurde sie zu der Beliebtesten der ganzen Schule. Mich vergass sie. Inzwischen weiss sie glaube ich nicht einmal mehr meinen Namen geschweige denn, dass ich neben ihr wohne. Nun bin ich also hier, seit mehr als 1 Jahr und habe noch keine Freunde gefunden. Ich seufzte und sah mich dabei um. Das Schulzimmer war leer, bis auf ein paar Taschen, mit denen die übrigen aus meiner Klasse ihre Stühle besetzt hatten. Ich lief in die hinterste Reihe, warf meine Tasche neben dem Pult auf den Boden und setzte mich hin. Ich blickte auf die Uhr, neben der grossen Tafel. Tick, Tack. Tick, Tack. Noch 1 Minute, bis es läuten würde. Tick, Tack. Noch 10 Sekunden. Wie gebannt, starrte ich auf die Sekundenzeiger die sich immer schneller Richtung 09:00 Uhr näherten. Und dann war es so weit. Es klingelte. Auf einmal wurde die Stille unterbrochen und man hörte aus dem Gang Geschrei, Gedrängel und Gelächter. Ich bückte mich zu meiner Tasche und holte mein Etui und die Hefte raus. Ich setzte mich gerade hin, verschränkte die Finger in einander und wartete. Ein paar wenige Schüler erschienen im Klassenzimmer und setzten sich ebenfalls an ihre Plätze. Ich blickte auf die Uhr. 3 Nach 9. Noch 2 Minuten, dann würde Herr Gerber, wie immer pünktlich, im Klassenzimmer erscheinen. Ich sortierte die Stifte nach den Farben. Zuerst die hellen, dann weiter bis zu dem schwarzen. Noch 1 Minute. Ich hielt inne und blickte zum Türrahmen. Noch 50 Sekunden. Nach einigen weiteren Sekunden erschienen Karina und ihre Freunde. Ganz gelassen, lief Karina durch die Sitzreihen, blieb kurz vor meinem Pult stehen und fegte mit einer lässigen Handbewegung meine Stifte und alle Hefte zu Boden. Ich erschrak und blickte zu ihr hoch. "Was soll das?" Fragte ich sie. "Was soll das?" Äfte sie mich nach. "Kannst du nur so dämliche Fragen stellen?" Meinte sie und baute sich vor mir auf. "Ich verstehe nicht? Du sitzt an meinem Platz!" Schnaubte Karina. In zwischen war die ganze Klasse an ihren Plätzen und alle beobachteten die Diskussion zwischen ihr und mir. "Deiner? Ich sitze hier immer!" Schrie ich sie an. Ich steckte allen Mut in diesen einen Satz. Sie blickte mich ziemlich verdutzt an. Wurde aber gleich wieder die alte Karina. Sie schnappte sich meine Tasche, die immer noch auf de, Boden lag und schmiss sie quer durch das ganze Schulzimmer bis vor zur Wandtafel. Dabei riss die Tasche auf und alle Sachen flogen raus. Tränen stiegen mir in die Augen. Karina bückte sich, um etwas aufzuheben, das aus der Tasche gefallen war. Sie nahm es in die Hand und betrachtete es. Es waren meine Tabletten gegen Husten. Ich bekam immer wenn es kalt war, starken husten und musste deswegen alle paar Stunden eine von diesen nehmen. "Was ist das?" Sie sah mich fragend an. "Kann dir doch egal sein." Schnaubte ich, lief nach vorne und sammelte meine Sachen ein. "Sind das...Tabletten? Was denn sonst?" Ich schluckte und versuchte nicht gleich los zu heulen. "Oh mein Gott!" Saget sie. Ich drehte mich mit Tränen in den Augen um. "Bist du krank?" Ich wollte sie grade mit allem möglichen beschimpfen, als ich merkte wie sie dies gemeint hatte. "Ja. Etwas Ernstes?" Ich dachte einen kurzen Moment lange nach. Anscheinend, machte sie sich Sorgen. Gut so. "Ja, es ist eine Krankheit...eine, eine... Herzkrankheit! Ich würde nicht lange leben, ohne diese..ehm Tabletten." Brachte ich stammelnd hervor. Karinas Blick wurde besorgt. "Es..es tut mir leid!" Meinet sie, ging zu mir und half mir alles einzusammeln. "Bist du okay? Es tut mir echt wahnsinnig leid, wenn du willst kannst du eine von meinen Taschen haben." Ein Gemurmel ging durch die Klasse und alle starrten mich an. Zum Glück musste ich nicht weiter mit meinen Lügen um mich werfen, denn Herr Gerber lief mit eiligen Schritten in das Schulzimmer, schmiss die Tasche auf sein Pult und begann mit dem Unterricht.

***

Zum Glück hatte niemand Zeit mir am Nachmittag Fragen zu stellen, da ich in der Mittagspause eilig auf das Klo verschwand und dort meinen Mittag verbrachte. Im Übrigen hatten wir ein volles Stundenprogramm und kaum Freizeit. Zu meinem Glück. Ich hätte nicht gewusst was sagen. Im Lügen war ich nicht gut. Irgendwie fühlte es sich gut an, von allen beachtet zu werden. Aber irgendwie hatte ich ein komisches Gefühl im Magen und es fühlte sich ganz und gar nicht gut an. Wieso wusste ich aber nicht.

***

11.7.
Ich sass wieder einmal an einem Montagmorgen in dem Bus. Doch es hatte sich so einiges geändert. ich strich mein schwarzes Mini-kleid flach und blickte auf meine nagelneuen Schuhe, die mir Karina Gestern noch vorbei gebracht hatte. Wegen der Tasche, die sie kaputt gemacht hatte. So zu sagen als Wiedergutmachung. Ich grinste. So eine kleine Lüge hatte eigentlich nur gutes an sich. Der Bus hielt an und Karina stieg ein. Sie war jedes Wochenende bei ihrem Vater, da ihre Eltern getrennt waren, deswegen stieg sie eine Haltestelle später ein. Sie setzte sich lächelnd neben mich. Ohne irgendwelche Sitze dabei auszulassen. "Wie geht es deinem Herz?" Fragte sie mich. "Wie soll es auch gehen? Na, du weisst schon wegen ..deiner Krankheit. Krankheit?" Ich sah sie fragend an. Plötzlich viel es mir ein. "Ach so, gut, dank den Tabletten." Ein falsches Lächeln huschte mir über mein Gesicht. Grade noch gerettet...

12.7
Menschen können sich ändern...es braucht dafür nicht einmal viel...nur ein bisschen und wir sind anders...obwohl wir gleich sein wollen...es aber dennoch nicht sind.



Herzkrankheit...was war das überhaupt? Ich tippte mit einer raschen Bewegung den Begriff in der Goggle-Suchmaschine ein.
Hierbei bedingen Ablagerungen in den Gefäßwänden eine Versteifung sowie eine zunehmende Verminderung des Gefäßquerschnitts. Die Folge ist eine Beeinträchtigung der Durchblutung und damit eine verminderte Sauerstoffversorgung der Herzmuskulatur
Eine Heilung ist nicht möglich, jedoch kann die zunehmende Verschlechterung durch die Vermeidung oder die Behandlung von Risikofaktoren häufig eingedämmt werden.


Eine Heilung ist nicht möglich...ich hielt den Atem an. Wieso? Das war doch nur eine Krankheit. Ich klickte auf zurück und las weiter.
Herzerkrankung führte zum Tod des Ausschaffungshäftlings
Der Mann, der am 7. März kurz vor der Rückführung nach England auf dem Flughafen Zürich starb, litt an einer schweren Herzkrankheit. Nachdem die Todesursache bekannt ist, werden die seither eingestellten Zwangsausschaffungen mittels Sonderflügen im Juli wieder aufgenommen.


Mein Atem stockte...Tod durch Herzerkrankung? Ich ging erneut zurück und öffnete einen anderen Link.
Herztod ist ein Fachausdruck aus der Medizin. Man bezeichnet damit einen nicht erwarteten Kreislaufstillstand, der innerhalb einer Stunde nach Beginn der Beschwerden zum Tode des Betroffenen führt.
Definitionsgemäß muss dem plötzlichen Herztod eine Herzerkrankung zugrundeliegend.


Ich wusste nicht, dass es so etwas Ernstes war. Da klopfte es an meiner Zimmertüre. Sie wurde aufgestossen und Draussen stand eine fröhlich strahlende Karina. Ich werde ihr alles sagen, beschloss ich. Unsere Freundschaft war zwar nun ein starkes Band, aber entweder sie mochte mich mit oder ohne Herzfehler. Ich konnte nicht einfach alles und jeden damit belügen. Etwas kleines, hatte sich nun zu etwas Grossem entwickelt. "Du Karina, ich muss dir was sagen. Echt? Hat das nicht Zeit, ich habe etwas für dich." Sie strahlte von einem Ohr zum anderen. Sie hielt etwas Kleines in der Hand. Ich starrte sie an. Was war das? Sie streckte ihre Hand mir entgegen und öffnete die Handflächen. "Für dich, damit du wenigstens ein ganzes Herz hast." Ich blickte auf ihre Handflächen. Dort lag eine Silberkette mit einem grossen Herzanhänger. Ich staunte nicht schlecht. "Was wie aber..wieso? Weil ich dachte, dass passt grade so gut." Sie öffnete den Verschluss und henkte mir die Kette um. Das Metall fühlte sich kalt an und ein Schauer lief mir über den Rücken. Es war, als würde sich die Kette immer enger ziehen. "Danke. Bitte doch, lass uns jetzt gehen, es ist schon spät sonst verpassen wir den Bus." Sie lief fröhlich aus meinem Zimmer. Ich drehte mein Blick wieder zu dem Bildschirm. Es war eine Lüge, klar. Aber was wollte schon Grosses passieren?


14.7
Heute hatten wir Sportunterricht. Wir mussten Runden laufen. Nur ich nicht. ich durfte auf dem Boden hocken und zusehen. Wegen meinem Herzfehler. Anscheinend hatte der Lehrer es mitbekommen. Nächste Woche sollte ich ein Arztzeugniss mitnehmen. Werde ich aber nicht tun. Morgen, gleich Morgen werde ich die Wahrheit erzählen.
Ich muss.

19.7
Ich wünschte, ich könnte einiges ändern was ich gesagt habe. Ich wünschte ich würde nachdenken, bevor ich etwas sage.

Ich sass wieder im Bus. Diesmal aber alleine. Karina sass mit ihren Freunden ein paar Reihen vor mir. Doch es war mir egal. Ich weiss was ihr jetzt denkt. Hat sie die Wahrheit gesagt? Nein, dies habe ich nicht und werde ich auch nie schaffen, dies zu tun. Umso grösser die Lüge, umso schlimmer die Wahrheit. Ich habe mich nicht getraut die Wahrheit zu erzählen. Wäre auch nicht mehr nötig gewesen. Karina hat bald die Interesse verloren, weil ich ja nur einen Herzfehler hatte und nicht ein Model oder Millionärin war. Sie hat mich vergessen und die anderen auch. Ich bin wieder ich. Die Unauffällige. Ich werde lange an diese Lüge denken und mir das niemals verzeihen. Da Draussen gab es Leute, die hatten so etwas, ich hingegen habe es nur erfunden, damit es mir besser ging. Manchmal werden Lügen niemals enttarnt, aber sie fressen uns von innen her auf. Ich habe aus meinem Fehler gelernt, aber ich werde es bestimmt wieder tun.
Lügen, denn wer einmal lügt, der tut es wieder.
Lächelnd fasste ich mir an meine Herzkette.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.09.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Wettbewerb "Kurzgeschichten*

Nächste Seite
Seite 1 /