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Vor ihm tat sich ein dunkler, vermoderter Gang auf. Einige Fackeln erleuchteten ihn spärlich und der Geruch von Fäulnis und Tod hing schwer in der Luft. An den beiden Seiten des Korridors führten schwere, vergitterte Eisentüren zu den einzelnen Zellen. Samuel schlich um die Türen herum und achtete darauf im Schatten blieben. Drei Tage war es nun her und er hatte lange gebraucht um die nötigen Informationen zu sammeln. Er war überrascht keine Wachposten zu treffen als er tiefer in das Gewölbe hinab stieg. Vielleicht dachten sie das schwere Türen und zwei Wächter vor dem Zugang, die Schaulustige für ein paar Münzen oder einen Krug Wein nur allzu gerne Einlass gewährten, ausreichten. Denn was die Gefangen drinnen und die Fluchthelfer wirklich draußen hielt, waren nicht die hohen Sicherheitsmaßnahmen sonder die Angst. Die Angst vor göttlicher Strafe machte das Gefängnis der heiligen Inquisition so sicher und so gefürchtet. Ihm war Gott so egal wie sein früherer Meister. Er hatte ihr nicht geholfen. Sie nicht beschützt. Wozu war ein Gott da der Unschuldige im Stich ließ? Samuel trat nun in die Mitte, ins Licht, denn er war seinem Ziel ganz nah. Betont beängstigt und ehrfürchtig ging er um die nächste Ecke und stand vier bewaffneten Männer gegenüber. „Willst wohl auch einmal unser kleines Hexlein ansehen bevor sie morgen früh ihre Sünden büßt?“, grunzte der eine. „Schau ihr nicht in die Augen sonst belegt sie dich mit einem Fluch!“ Einfach, so einfach. Ein Stich und dieser Kerl würde tot zu seinen Füßen liegen. Samuel erinnerte sich an die Truppe Soldaten die sie abgeführt hatte. Warum eigentlich nicht? Sie töten Unschuldige, sie verdienen den Tod. Er griff zu dem Messer in seinem Ärmel. So einfach. So endgültig. Doch dann sah er ihr Gesicht vor sich schweben. Ihr liebevoller Blick mit dem sie jedes noch so unwichtige Lebewesen bedachte. Nein, das war nicht richtig. Diese Männer waren nicht Schuld an dem was ihnen beiden widerfahren war. Er ließ den Griff des Dolchs los. Er seufzte und schlug die argwöhnischen Wachen, schneller als ein Lidschlag, bewusstlos. Er nahm den Schlüsselbund und suchte den richtigen Schlüssel. Wonach er suchte, wusste er ganz genau, denn er hatte den Schlüssel unzählige Male gesehen und sein Bild genau vor Augen. Es war der Schlüssel zu ihr, zu seinem Herzen. Er drehte ihn im Schloss. Die Tür ging nicht auf. Er verdrehte die Augen, murmelte einen altbabylonischen Fluch und trat mit aller Kraft dagegen. Sie flog auf und knallte gegen die rohe Steinwand. Eine Gestalt saß aufrecht auf dem Bett. Samuel wusste trotz der Dunkelheit genau wer da saß. Zwar hatte man ihr leuchtend rotes Haar abgeschnitten und sie in ein Kleid aus Sackleinen gesteckt doch war das immer noch unverkennbar Maya, seine Maya, sie man wegen ihm als Hexe angeklagt hatte.
„Ich sagte, du sollst nicht kommen!“, sagte Maya hochmütig. „Und ich sagte, das ist mir egal.“, erwiderte er sanft. Er genoss jede Sekunde mit ihr, obwohl ihm schmerzlich bewusst war dass das ihr letztes Gespräch miteinander war, würde nicht noch ein Wunder geschehen. Denn sie war der Hexerei und dem Umtrieb mit dunklen Mächten für schuldig befunden worden und würde morgen verbrannt werden. Er verfluchte das Dämonenpack dass das zu verantworten. Obgleich er selbst ein hochrangiger Schwarzer Engel war, hatten sie sein Glück in Fetzen gerissen und seine Liebe verdammt. Auch wenn er nicht mehr der Samuel war, den sie so fürchteten, gestand er sich ein. Mayas Liebe und die Freundschaft eines Himmelsengels, Lynns, hatten ihm einen neuen Weg gezeigt. Er hat sich vom Bösen abgewandt und wollte ein sterbliches Leben führen. Soweit ihm das möglich war. Auch wenn er auf Blut geschworen hat konnte er manche Gewohnheiten, wie Maya zu sagen pflegte, nicht ablegen. Auch jetzt nahm er ihre Gedanken war. „Ich bin froh dass du da bist.“, dachte sie gerade. Sie sagte aber folgendes: „Du siehst furchtbar aus. Wann hast du das letzte Mal geschlafen?“ Sie deutete auf seine tiefen Augenringe. „Nein, sieht er nicht“, dachte sie. Sie liebte seine längeren schwarzen Haare, die ihm, auch wenn er nach der Mode der Zeit einen Zopf trug, in sein feines, blasses Gesicht fielen und seine hellblauen, klaren Augen, die so viele Gefühle auf einmal zeigen konnten. Gerade sahen sie sie mit einem Ausdruck von Verwirrung, Erleichterung aber auch tiefer Trauer an. Er war von schmaler Statur, sehr groß und die meisten Leute hielten ihn für schwach und leicht angreifbar, was etliche Strauchdiebe schon bitter bereut hatten. Sam trug meistens schlichte, dunkle Kleidung, doch er konnte darin besser aussehen als ein König in seinen prachtvollsten Gewändern. Unwillkürlich strich sie ihren Rock glatt. „Oh, das könnte schon einige Jahrzehnte zurückliegen.“, erwiderte er. „Du hast doch niemanden umgebracht um hierher zu kommen, oder? Er sah auf seine Füße. „Da war dieser eine Wächter, der gedacht hat er kenne mich…“ „Sam!“ „Ich hab nur sein Gedächtnis manipuliert. Alles in Ordnung!“ Er ging weiter in die Zelle hinein. „Bitte, Sam, komm nicht näher. Bleib stehen!“ Vor den Stadtmauern wurde ein Feuerwerk abgebrannt und im bunten, flackernden Licht sah Samuel was sie meinte. Ihr Kleid war voller dunkelroter Flecken. Sie hatte tiefe, noch kaum verheilte Schnitte an den Armen und mehrere ihrer Finger waren gebrochen und blau. Ihr rechtes Bein war bandagiert. Der Verband war durchgeweicht von Blut und das rohe Fleisch quoll aus den Zwischenräumen. „Was ist passiert?“ „Ich bin eine verurteilte Hexe, Sam! Die scheren sich keinen Deut um mein Leben! Sie haben mich gefoltert um ein Geständnis zu erpressen. Nun, es dauert nicht mehr lang bis…“ „Sag es bitte nicht!“ Maya sah ihn überrascht an. „Du hast mir erzählt das du hunderte von Jahren alt bist, du hast doch bestimmt schon mehr Menschen…gehen sehen?“ Sie überging höflicherweise das er selbst auch einige Menschenleben auf dem Gewissen hatte. „Das schon“, gab er ungern zu, „aber noch nie jemanden den ich…liebe.“ „Hab Mut. Weißt du schon etwas von Lynn?“ Auch Maya kannte Lynn. Zwar dachte sie am Anfang sie wäre eine ihrer Cousinen aus der Stadt, mit der Zeit erfuhr sie auch was Lynn und Sam in Wirklichkeit waren. Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nur das sie hoch geholt wurde und ihr der Prozess wegen Verbrüderung mit dämonischen Kräften, also mir, gemacht wird. Mach die keine Sorgen. Erstens ist sie viel zu wichtig und mächtig als das man ihr wirklich etwas antun würde und zweitens ist es ein himmlischer Prozess, die sind sowieso viel gnädiger.“ „Was ist mit drittens?“ „Drittens solltest du dir eher Gedanken um dich machen!“ Von vor dem kleinen Gitterfenster hörte man das metallische Klirren von Waffen und Rüstungen. „Du musst gehen.“, stellte Maya fest. „Du weißt dass ich…“, begann Samuel. „…die ganze Stadt mit Schwert und Magie in Schutt und Asche legen kannst und uns somit die Flucht ermöglichen kannst? Ja, ich weiß. Und ich hab dir gesagt was ich davon halte. Nämlich nichts. Ich möchte mich nicht mein ganzes restliches Leben verstecken!“ „Wenn du es nicht tust wird dein Leben morgen früh auf dem Scheiterhaufen enden!“, erwiderte er heftig. „Dann soll es so sein.“
„Das kann nicht dein Ernst sein!“, rief Sam. „Und ob es das ist! Manche Dinge sind es wert für sie zu sterben. Und bitte denk zu viel darüber nach oder mach eine Dummheit.“ Er wand sein Gesicht ab. „Eine Dummheit?“, fragte Sam eisig. Sein Ausdruck und sein Ton gefielen Maya gar nicht. Sie erinnerten sie daran dass Samuel kein netter Bauernsohn von nebenan, den ihre Eltern so gern gesehen hätten, war sondern ein altes, mächtiges und eben auch ehemals finsteres Wesen war, noch nicht einmal ein Mensch. „Du weißt was ich meine! Das Dorf zerstören oder…mir folgen.“ Sie versuchte vom Bett aufzustehen und Sam aus der Tür zu schieben aber ihr verletztes Bein versagte ihr den Dienst. Sam fing sie gerade noch auf und setzte sie zurück auf das Bett. Man hatte ihr es während der Befragung, wie die Inquisitoren es nannten, oder Folter, wie sie es nannte, zwischen zwei eiserne, stachelbewehrte Platten gespannt und immer fester zugezogen, als sie sich weigerte ihre Fragen zu beantworten. Zu spät fiel ihr ein dass Sam ihre Gedanken empfing. Er verzog gepeinigt das Gesicht. „Was haben sie dir nur angetan?“ Sie antwortete nicht. Er wand sich zur Tür. „Es ist alles meine Schuld.“, flüsterte Sam. „Ich habe mich dazu entschieden sogar als ich wusste was du bist. Ich vertraue meinen Gefühlen.“ „Ich hätte dich beschützen müssen.“ Er sah Maya unglücklich an. Schweren Herzens ließ er sie in ihrer Zelle zurück und lief nach draußen. Der helle, gleißende Sonnenschein und das fröhliche Gezwitscher der Vögel waren der reinste Hohn für ihn. Sie würde morgen sterben. Er konnte und durfte nichts ändern. Er hatte Maya nichts gesagt aber selbst wenn er von ihr aus das Dorf niedermetzeln dürfte, er hätte es nicht gekonnt. Er hatte sich von der Finsternis losgelöst und damit von seiner Energiequelle. Seine Energie war somit begrenzt und regenerierte sich nicht wieder. Bei dem Versuch sich magisch einen Fluchtweg zu schlagen hätte er seine eigene Seele in die Luft gejagt und er wäre sicher gestorben aber auch Maya konnte dabei umkommen. Mehr als einmal wünschte er sich den Rat und Beistand seiner Freundin Lynn D’Angel, als er erst auf den Sonnenuntergang und schließlich auf den blutroten Sonnenaufgang jenes schicksalhaften Tages wartete. Die ganze Nacht lang hatte er mit sich gerungen und schlussendlich hatte er sich entschieden zur Hinrichtung zu gehen. Um Maya ein allerletztes Mal zu sehen und ihr beizustehen. In der Mitte des Dorfplatzes war ein riesiger Stapel trockenen Holzes aufgeschichtet und ein Pfahl ragte aus dessen Zentrum. Hunderte Neugierige aus allen umliegenden Dörfern und Städten waren zu diesem Spektakel gekommen. Samuel drehte es den Magen um bei ihrem Anblick. Er drängte sich an den Rand der Menge, nah genug um nicht aufzufallen und gleichzeitig weit genug entfernt um allein sein zu können. Widerstrebend sah er zur Bühne, die neben dem Scheiterhaufen platziert war. Dort saß der Mann der den ganzen Wahnsinn anführte, Pater Richard, der Hexenjäger. Er war eindeutig dämonisch besessen, bei seinem Charakter vielleicht sogar willentlich um große Macht zu erlangen. Selbst ein Dämon konnte er ihn nicht bannen, Lynn hätte es getan, wäre sie nicht geholt worden. Er erinnerte sich wie sie getobt und ihre ganze Autorität eingesetzt hatte um bleiben zu können. Wenn auch am Ende hatte die Abordnung die man zu ihr geschickt hatte gewonnen. Besiegt und enttäuscht musste sie mit ihnen gehen. Gefühle am Arbeitsplatz waren nicht angebracht. Nun, sie war nicht hier, das war alles was es zu sagen gab. Als erstes traten eine Gruppe Gaukler auf, das hier war immerhin ein Fest. Jeder lachte und klatschte und freute sich. Es war der reinste Albtraum. Samuel schien es als dauerte es Stunden dabei waren es nur einige Minuten. Eine schwarze Kutsche fuhr vor. Die Menge wand in einer einzigen fließenden Bewegung die Köpfe. Die Tür ging auf. Er sah nichts und wusste trotzdem wer da den Weg entlang geschleift wurde. Endlich kam Maya in sein Blickfeld. Mehrere Männer hielten sie an Stricken, die sowohl verhinderten das sie weglief als auch das sie umfiel. Ihr Gesicht zeigte keinerlei Furcht. So stolz wie er sie kennen und lieben gelernt hatte schritt sie auf den Holzhaufen zu, der ihren Tod bedeutete. Die Menge pfiff und schrie, doch das kümmerte sie nicht. Sie hatte Sam in der Menge entdeckt und sah ihn fest an. Sie und ihre Bewacher kamen nur sehr langsam voran und es dauerte noch lang bis sie das Podest erreichten. Dann begann die Lesung der Anlage. Infame Lügen fand Sam, doch die Bevölkerung war gefesselt. Worte waren eine mächtige Waffe und Pater Richard sprach wie einer der wusste dass er mit einem Wort töten konnte. Verdammt, er hätte etwas tun müssen. Irgendetwas, auch wenn es eine verzweifelte Tat war. Aber er stand nur da wie gelähmt als sie Maya an den Pfahl banden und das Holz mit Öl übergossen. Er war immerhin in so ziemlich allen besser als gewöhnliche Menschen. In diesem Moment jedoch fühlte er sich schwach und verlassen. Der Henker nahm die Fackel in die Hand. Pater Richard, der dämonische Hexenjäger, nickte. Sam spürte wie ihm Tränen über die Wangen rannten ohne das er sich bewusst war das er weinte. Die Fackel fiel. Das Rauschen des Feuers war unerträglich laut. Und Samuel schrie. Er schrie aus Entsetzen über das was Menschen sich gegenseitig antaten und er schrie für das was er gerade verloren hatte. Doch sein Schrei wurde von dem übertönt der vom Scheiterhaufen drang. Nur noch weg von hier. Der Gestank von verbranntem Fleisch und Haar erfüllte bereits jeden Winkel. Sam drehte sich um und rannte. Der eben noch klare Himmel zog zu und es begann zu regnen. Tropfen wie Tränen fielen vom Himmel und wuschen die Erde rein. Das Feuer brannte immer noch in seinem Kopf. Das Feuer in dem Maya starb. Als er stehen blieb, bemerkte er das er zu der Lichtung gelaufen war auf der sie sich kennen gelernt hatten. Jeder einzelne Grasshalm erinnerte ihn an sie und jeder einzelne schien ihm Vorwürfe zu machen. Maya immer wieder Maya. Wie sie lacht; wie sie sich freute als er ihr die kleinen Walderdbeeren brachte, die sie so gern aß; wie sie sich ihre Nase kräuselte wenn sie sich ärgerte; wie ihr Haar schimmerte wenn sie es zurückwarf; ihre zarten Hände als sie Blumen pflückte; ihr friedlicher Gesichtsausdruck wenn sie schlief; wie sie und Lynn ihm zuwinkten als er mal wieder eine halbe Stunde vor ihrem Haus warten musste. Mit einem wütenden Aufschrei schlug er mit der Faust gegen einen Baum. Fort, fort alles fort und vergessen. „Und was bringt dir das?“, fragte eine weibliche Stimme hinter ihm. Er fuhr herum. „Lynn?“ Eine Gestalt löste sich aus den Schatten. „Ich werde wohl nie deine Nummer eins sein, was?“ Die junge Frau, die er nun sah war nicht Lynn. Mit ihren kurzen asymmetrischen blonden Haaren, dem kurzen, engen, schwarzen Kleid und dem langen, ebenfalls schwarzen Ledermantel und ihrer in die Haare geschobenen Sonnenbrille, die normalerweise ihre roten Augen verdeckte, wollte sie so gar nicht in die mittelalterliche Zeit passen in der sie sich gerade befanden. „Sante, was tust du hier?“, knurrte Sam. Sante schlich um ihn herum. „Dir in dieser schweren Zeit beistehen, natürlich.“, flüsterte sie in sein Ohr, „außerdem muss ich noch einen meiner Dämonen abholen. Gutes Personal ist heutzutage schwer zu finden.“ Sie sprang einige Schritte von Samuel weg. „Du. Du bist dafür verantwortlich?“ Sante lachte. „Was für eine Show! Die Menschen waren schon immer gut für Dramatik, aber das übertraf meine Vorstellung bei weitem. Es ist mein erster Besuch in so einer frühen Zeit. Du bist doch hier schon fast zu Hause, sag mal, passiert so was öfter? Oder muss ich um so ein Fest zu genießen immer einen meiner Dämonen schicken?“ „Verschwinde!“, schrie er sie an. „Sieh an, wie schlagfertig. Glaubst du, ich weiß nicht das die Kleine, die jetzt gerade zur menschlichen Fackel wurde, deine, ach so süße, Freundin war?“ „Ich sagte, verschwinde!!“ Die schmerzhaften Erinnerungen an Maya und Santes Hohn machten ihn rasend. Mit gehobenem Schwert ging er auf Sante los. Graue Schatten stürzten auf ihn ein. Sie hatten einen formlosen, wabernden Körper und ein graues, kleines, gleichgültiges Puppengesicht. Streich um Streich streckte er dutzende von ihnen nieder. Ihr dunkles Blut klebte an jedem Strauch und jeden Halm. Er wand sich Sante zu und stürmte los. Sie stand einfach nur da als Samuel auf sie zukam und ihr Herz durchbohren wollte. Im letzten Moment sprang sie in die Luft und mit einem Sirren bohrte sich sein Schwert tief in den Baum. Sante stand darauf und sah Samuel an der versuchte es herauszuziehen. „Wer wird denn gleich. Habe ich etwa einen wunden Punkt getroffen? Wie dem auch sei, du hast das Gesetz gebrochen. Dich von uns abgewandt und der lichten Seite angeschlossen. Du hast einen Auftrag missachtet und dämonische Gesandte angegriffen. Eigentlich hätten die Menschen ja dich festnehmen und hinrichten sollen. Du siehst, Shatterlinge sind zu nichts nutze.“ Sie deutete auf die herumliegenden Leichen und Leichenteile. „Na ja, die Hexe wird hingerichtet und der Geliebte begeht im Wald Selbstmord, das klingt doch nach einer rührenden Geschichte. Ich meine, was hast du jetzt noch für was es sich zu leben lohnt?“ Samuel ließ den Griff des Schwerts los und wankte einige Schritte zurück. „Nur wegen mir. Wegen eines Fehlers.“ Sante hatte zu wenig Ahnung von Gefühlen als das sie etwas von dem was ihn gerade bewegte verstehen konnte. „Klar, im Grunde war uns Miss Soundso egal. Schluss mit dem Gerede. Stirb endlich!“ Sie zog zwei lange Dolche aus dem Gürtel und warf sie nach Samuel. Da diese nur als Ablenkung gedacht waren, machte sie sich zum Sprung bereit. Man hatte Sante eingeschärft das er vielleicht seiner Macht leblose Dinge zu manipulieren beraubt worden ist, dennoch einer der besten und tödlichsten Krieger war die es seit Anbeginn der Zeit gegeben hatte. Zu ihrer Verwunderung bohrten sich die Dolche tief in seine beiden Schulterblätter und hefteten ihn an einen der Bäume. Samuel hatte noch nicht einmal einen Finger gehoben um sich zu verteidigen. „Das war einfach! Da hätten sie auch einen Novizen schicken könnten. Zeit zu sterben, Sammy.“ Sie schritt langsam auf den immer noch regungslosen Samuel zu. „Das reicht jetzt!“ Eine weitere Gestalt trat aus dem Wald. „Oh je, die Spaßverderber rücken an!“ Der nächste Gast auf ihrer kleinen Privatparty erschien. Er hatte sich mehr Mühe mit einem der Zeit entsprechenden Outfit gegeben und trug ein Hemd mit weiten Ärmeln, eine enge Leinenhose und kniehohe Reiterstiefel. Seine seegrünen Augen funkelten Sante von unter seinen hellbraunen wuscheligen Haaren, die in Spitzen von seinem Kopf abstanden, wütend an. „Du weißt was er gesagt und getan hat. Er ist kein Finsterer mehr! Er fällt jetzt auch unter unseren Aufgabenbereich. Und ihr habt zwei Liebende getrennt, das ist ein Verbrechen!“ „Und doch ist er keiner des Lichts! Weder Licht noch Schatten noch ein Mensch! Was sollen wir tun? Ich habe meine Aufträge und einer davon lautet Samuel, den Verräter, schnellst möglich zu töten. Misch dich in Angelegenheiten ein, die dich vielleicht umbringen könnten, kleiner Engel.“ „Und mein Anliegen ist es Samuel zu beschützen!“ Sante deutete auf Samuel, der nach wie vor reglos am Baum hing, eine Blutlache hatte sich unter seinen Füßen gebildet und es tropfte unaufhörlich weiter aus seinen Wunden. „Er hat getötet! Unzählige Male! Er hat so ziemlich alles getan was ihr scheinheiligen Lichtwesen nicht tun sollt und könnt! Wie soll er denn in den Himmel passen?“ „Ich weiß es nicht! Aber er steht unter dem Schutz von uns Himmelsengel.“ Sante schnaubte und drehte sich um. „Fein!“, sagte sie und verschwand mit einem Funkenschauer. Der fremde Engel drehte sich zu Samuel um. „Ich dachte die werden wir nie los! Zurück kommt die sicher und das nicht allein. Hörst du mir überhaupt zu?“ Er trat näher an den am Baum Gehefteten. „Hallo? Samuel? Uns läuft die Zeit davon! Und ich kann die Dinger nicht rausziehen.“ Er seufzte. „Da hilft nur noch eins. Ich entschuldige mich im Voraus und glaub mir, das tut mir ebenso weh wie dir!“ Er versetzte Samuel eine schallende Ohrfeige. Dann taumelte er zurück und hielt sich die Wange. Genau dort wo er Samuel geschlagen hatte, leuchtete jetzt bei ihm ein roter Handabdruck, derselbe den auch Samuel an der Backe hatte. Sam schüttelte sich kurz. „Autsch. War der nötig?“ Der andere grinste. „Anscheinend. Du hast nicht reagiert. Und wenn hier jemand jammern kann dann ich.“ Er rieb sich seine Gesichtshälfte. Sam sah auf. „Hör mal, wie war dein Name noch gleich? Könntest du mich nicht vom Baum herunterholen? Was machst du überhaupt hier?“ Der Himmelsengel setzte sich. „Ich heiße Nathanael, kurz Nat. Und nein, kann ich natürlich nicht. Du hast gesehen was dann passieren würde. Auf zwei Löcher in den Schultern bin ich echt nicht scharf. Außerdem weiß ich nicht was du dann machen würdest. Du könntest mich killen und dich fröhlich pfeifend aus dem Staub machen.“ Sam lachte. „Auf fröhlich pfeifen hab ich eigentlich keine Lust, ich würde eher heiter summen. Aber was führt dich hierher? Wie habt ihr da oben so schnell Wind von der Sache hier bekommen?“ Nat sah ihn vielsagend an. „Lynn, natürlich.“ „Du kennst sie?“ Nat nickte. „Wir besitzen dieselbe…Gabe. Wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen. Ich teile Schmerzen und sie fühlt Schmerzen. Deswegen habe ich mich überhaupt auf das Ganze hier eingelassen.“ „Was?“ „Ich komme nicht offiziell hierher, Lynn hat mich darum gebeten. Sie ist verurteilt worden.“ Sam erbleichte. „Ist es so schlimm?“ „Kommt darauf an, sie ist dazu verurteilt worden euch, also dir und deiner Freundin, in keiner Weise zu helfen. Und sie steht unter Arrest“ „Aber, du…“ „Ich helfe nur dir. Nach der Verhandlung kam Lynn auf mich zu und bat mich wenn sie schon nicht verhindern könne das es passiert, nachher auf dich aufzupassen.“ „Maya…Damit haben ihr sie verdammt! Ein einziger Dämon hätte gebannt werden müssen! Ihr hättet sie beschützen müssen. Ich hätte sie beschützen müssen. Ihr seid auch nicht viel besser als die Finsteren wenn ihr Unschuldige sterben lasst!“ Nathanael hörte sich die Vorwürfe ruhig an. Er war darauf vorbereitet, denn wenn ihm das widerfahren wäre was Sam durchgemacht hatte, hätte er ähnlich reagiert. „Ich habe einen Brief von Lynn dabei. Möchtest du ihn lesen?“ „Einen Brief?“, sagte Sam verächtlich. Nat zog einen Umschlag aus dem Ärmel, schlitze ihn auf und reichte Sam den Bogen. Es war festes, gutes Pergament beschrieben mit Lynns verschlungenen, grazilen Schrift in lavendelfarbener Tinte. Das Ganze war von Tränen verwischt. Sam, begann er, Als erstes muss ich sagen dass es mir Leid tut. Vergib mir, ich habe euch im Stich gelassen. Ich spüre tiefen Schmerz, den deinigen und den meinigen. Doch du bist in großer Gefahr und für Trauer ist jetzt leider keine Zeit. Der Engel, Nathanael, den ich zu dir geschickt habe, ist einer meiner Freunde. Ich bitte dich ihm zu vertrauen. Sollte es allerdings zu kämpferischen Auseinandersetzungen kommen, wird er dir leider wegen eines persönlichen Problems nicht helfen können. Ich habe keine Ahnung was jetzt passieren wird. Dein Fall ist einzigartig. Ich versuche so gut es geht von hier aus zu helfen und bin Gedanken bei dir. Ich wünschte wirklich, ich könnte bei dir sein. Oder hätte bei euch bleiben können. Vielleicht wäre dann alles anders verlaufen. Trotzdem kann niemand die Vergangenheit ändern, die Würfel des Schicksals sind gefallen. Mach dir nicht zu viele Gedanken. Ich denke nicht das wir uns wieder sehen deswegen ist dieser Brief auch gleichzeitig ein Abschied. Lebe wohl, mein lieber Sam. Verzeih mir. Darauf folgte ihre Unterschrift. Er seufzte. Törichtes Mädchen. Er hatte gar nicht vor Lynn die Schuld zu geben. Ohne sie hätte er den zarten Spross der Liebe an den Wurzeln herausgerissen. Der Abschied schmerzte ihn. Er zerknüllte das Papier. „Könntest du ihr etwas ausrichten?“ Nat nickte. „Wenn ich diesen Tag überlebe, gerne.“ Sam ließ sich Zeit die richtigen Worte zu wählen. „Sag ihr, sie habe mir das Leben gerettet. Ich habe keinen Grund ihr die Schuld zuzuschieben. Und ich bitte sie sich gut um Mayas Seele zu kümmern.“ Nat erbleichte. Ein leichtes Zittern durchlief ihn. „Was ist los? Ich weiß das sie gute Verbindungen zum Garten hat.“ Der Garten war eigentlich der himmlische Teil des Reich der Toten und körperlosen Seelen, wohin alle guten Verstorbenen kamen und dort das jeweilige Ergebnis ihres Leben, ihrer Wünsche und ihrer Bestimmung vorfanden. Mehrere Wächter waren dort tätig und Todesengel geleiteten ständig neue Bewohner dorthin. Als einer der letzteren hatte Lynn gearbeitet. „Es ist nicht deswegen.“ „Weswegen dann?“ Nathanael kostete er sichtbar Mühe ihm in die Augen zu schauen und einen Ton herauszubekommen. „Also, weißt du, es gab da einige Komplikationen.“ Sam sah ihn alarmiert an. „Was ist passiert? Spuck es aus!“ Nat sah ihn mit glasigen, weit aufgerissenen Augen an. „Der Tod deiner Freundin, von Maya, wurde als Selbstmord eingestuft. Ihre Seele befindet sich in den Händen der Dämonen.“ Sam schüttelte verzweifelt den Kopf und erwachte schreiend aus seinem Schlaf. Hektisch sah er sich um. Er sah die rohen, grauen Steinmauern, das kleine Fenster durch das er die Anfänge eines Sonnenaufgangs erahnen konnte und die schwere, verriegelte Tür. Das war unverkennbar seine Zelle im hohen Turm, sein Gefängnis auf ewig. Er stand von seinem Lager auf dem nackten Fußboden auf. Achthundert Jahre waren seit jenem Tag vergangen und noch immer konnte er nicht ein Detail vergessen. Als wäre es gestern gewesen erinnerte er sich an jedes Wort aus Lynns Brief, die Rede des Pater Richard und an jedes verdammte Gesicht der Menge, die gierig auf den Tod eines Mitmenschen warteten. Und sie. Jede einzelne Sekunde in der er Maya sah. All das hatte sich wie rot glühendes Eisen in sein Herz gebrannt und tiefe Narben hinterlassen. Doch warum jetzt? Wieso musste er den schlimmsten Alptraum, den Schatten über sein Leben gerade jetzt mit solcher Intensität noch einmal durchleben? Er durchschritt das Zimmer als Geräusche von vor der Tür zu vernehmen waren. Wahrscheinlich nur ein paar neue Wächter, die es nicht lassen konnten den geheimsten Gefangenen zu sehen. Er drückte sich ihn die dunkelste Ecke des leeren Raums. Da geschah etwas Merkwürdiges. Anstatt das der Sehschlitz aufgeschoben wurde und ein paar Augen hereinstarrten, zerbarst die massive Türe lautlos. Mehrere Gestalten drängten herein. Er trat aus den Schatten und sah in ein bekanntes Gesicht. Ein Gesicht aus längst vergangener Zeit.

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Tag der Veröffentlichung: 26.06.2010

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