Kathryn ist seit drei Jahren mit Birte liiert und hat ein eigenes Tattoostudio, wo auch Birte arbeitete. Daniel, der Azubi von Kathryn, machte sich zunehmens an Birte ran und fing mit ihr eine Affäre an. Birte trennte sich von Kathryn, die mit dem Schmerz nicht umgehen konnte. Kurzerhand entschloss sie sich den Gnadenstoß zu geben, denn sie verlor mit der Trennung ihren Lebenssinn...
Diese Widmung geht an meine beste Freundin Deathy, die mich unterstützte egal was auch anstand.
DANKE
"Wie oft soll ich dir das noch erklären Kathryn, ich hatte nichts mit Daniel. So glaub mir doch, ich liebe dich doch zu sehr, als dass ich dir fremd gehen könnte", Birtes Worte klangen in meinen Augen unglaubwürdig und überhaupt nicht so, als ob sie ein reines Gewissen hätte. Wir stritten uns mittlerweile schon seit einer halben Stunde und mir wurde es zu bunt. Seitdem Daniel in meinem Tattoostudio als Azubi war, waren die beiden immer zusammen. Da Birte auch in meinem Studio arbeitete, liefen sich Daniel und Birte jeden Tag überm Weg. Ich bekam Birte kaum noch zu Gesicht, Daniel lud Birte immer zu Dates ein, was mich am Anfang überhaupt nicht störte. Aber die Dates und Küsse häuften sich zunehmend und ich fing an vor Wut und Eifersucht zu kochen.
Ich schmiss jede Tür mit aller Wucht in ihre Rahmen, schnappte mir mein Bettzeug und verschwand im Wohnzimmer. Die Nacht verbrachte ich dort und überlegte mir, welche Schritte als nächstes getan werden müssen.
Am nächsten Morgen stand ich schon um halb Sechs auf, es musste viel getan werden. Birte war noch am schlafen, ich machte mir Frühstück und genoss es alleine in vollen Zügen. Danach zog ich mich leise an, um Birte nicht zu wecken, komischerweise. Aber ich wollte alles alleine machen, ohne Birtes Einwände. Ich fuhr zu meinem Tattoostudio und schrieb die Kündigung für Daniel. Er musste einfach verschwinden, so schnell wie möglich. Als Kündigungsgrund gab ich das Nichtbestehen der Probezeit, die Kündigung lag mit dem Arbeitszeugnis bereit, dann kam Daniel.
"Moin Cheffe", sagte Daniel vergnügt und setzte sich am Tresen hinter dem PC.
"Daniel, pack deine Klamotten und komm dann ins Büro", sagte ich und ich musste mich zusammenreißen, dass ich ihn nicht gleich umbrachte.
"Klar", meinte er und fing an seine Sachen zusammen zu räumen. Als er in mein Büro trat, saß ich mit den Papieren auf dem Tisch und wartet auf den Kerl.
"Daniel, du bist entlassen. Du kennst den Grund oder?"
"Ja, danke für die paar Monate voller Erfahrungen."
"Du bist ein guter Tattoowierer und Grafiker, aber du hast mir etwas genommen, was unverzeihlich ist."
Daniel verschwand und ich ging nach vorne. Birte kam wenige Minuten nach ihm, schmiss mir den Haustürschlüssel auf den Tresen und ich sah sie verwirrt an. Eigentlich hatte ich gedacht, dass wenn Daniel verschwinden würde, unsere Beziehung noch einmal eine Chance hatte, völlige Fehlanzeige.
"Wenn du mir nicht vertraust, dann hat unsere Liebe keine Chance und unsere Beziehung keine Zukunft."
Ich sah sie an, Birte küsste mich ein letztes Mal, dann fügte sie noch einen Satz, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ:
"Ich ziehe zu Daniel. Ich will dich nie wieder sehen."
Damit verließ Birte mein Studio und ich schrie die halbe Stadt zusammen, dazu benötigte ich nur einen Namen: Birte.
Nach wenigen Minuten kam Jenny vorbei, sie hatte einen Tattoowiertermin.
"Was ist denn mit dir los? Ist etwas zwischen Birte und dir?" fragte Jenny und sah mir beim Vorbereiten der Rose, die sie sich auf den linken Fußknöchel machen lassen wollte, zu.
Ich sah kurz auf, zog dann die Projektionsfolie ab und sah wieder auf.
"Wir haben uns getrennt."
Jenny sah mich schockiert an, ich sah ihren Ausdruck und fragte mich, ob es an der Tattoowiermaschiene lag oder an der Trennung. Ich schmiss die Maschine an und fing an die Rose zu stechen. Jenny sollte sich nicht dabei bewegen, so erzählte ich ihr die ganze Geschichte. Ich sah Jenny oft ins Gesicht, um zu sehen, wie es ihr ging. Nach einer Stunde stand Jenny wieder auf den Beinen und kam mit mir nach vorne.
"Wie viel bekommst du?" fragte Jenny und zog zwei Einhunderteuroscheine aus der Hosentasche, ich schrieb die Quittung und nahm für das Tattoo noch einhundert Euro.
"Danke Jenny, mach es gut."
"Mach es besser. Triffst du dich heute noch mit Sarah?"
"Vielleicht."
Jenny verließ mein Studio und zwei andere Frauen kamen rein.
"Moinse die Ladys, was was kann ich für euch beiden Hübschen tun?" die beiden wurden rot und begannen zu kichern. Ich war eine bekannte Lesbe und ich verhielt mich nun einmal wie ein Mann. Ich sah so aus, zog mich so an und verhielt mich auch dem entsprechend.
Die eine schubste die andere etwas nach vorne, sie fing an mich fragend anzusehen.
"Na raus mit der Sprache meine Süße."
"Kannst du mir ein Intimpiercing machen?"
Ich schluckte hart und hörbar, dann fragte ich nach ihrem Ausweis. Sie legte ihn mir vor und ich registrierte, dass sie bereits achtzehn war. Ich machte ihr klar, was für Risiken es bei einem Intimpiercing gab. Sie willigte mir den Zettel zur Versicherung ein und ich bat sie nach hinten. Der Teil meiner Arbeit war mit gemischten Gefühlen, es tat mir selbst weh, als ob ich mich stechen würde. Doch damit verdiente ich unteranderem meine Brötchen und ich stand total auf Brötchen.
Ich führte das Mädchen in eines meiner Piercingräume und nahm alles, was ich brauchte. Dann ging ich kurz raus, bat das Mädchen sich unten frei zumachen und machte in der Zeit die Quittung fertig. Nach fünf Minuten ging ich wieder in den Raum und begann ohne Emotionen das sterile Besteck zu sortieren. Das Mädchen lächelte mich an, ihre rasierten Schamlippen ließen mich leicht erröten, doch ich riss mich zusammen. In meinem Beruf durften weder Emotionen und Erregung, noch Schmerz sein. Ich zog mir die sterilen Latexhandschuhe an, markierte die gewünschte Stelle, nahm die Lochklammer und bohrte die Nadel in die Stelle. Das Mädchen verzog das Gesicht vor Schmerz. Ich zog den sterilen Plastikstab durch, dann gab ich ihr die Piercingspflege und sie zog langsam ihre Hosen wieder hoch. Ich erklärte ihr, dass es wichtig war, dass man das Piercing oft genug pflegte und dass sie nach sechs Wochen wiederkommen sollte. Wir gingen nach vorne und das Mädchen gab mir das Geld für das Piercing.
Am Abend ging ich in die Stammkneipe von Sarah und mir, ich setzte mich hin, machte eine Zigarette an und wartete auf meine beste Freundin.
Sarah kam, wir bestellten unsere Drinks und Sarah machte ich erst einmal eine Zigarette an. Ich saß etwas bedröppelt neben ihr und Sarah drehte sich mit einem Ruck zu mir. Sie wunderte sich schon die ganze Zeit, warum ich sie mitten in der Woche in unsere Kneipe beordert hatte.
"Was ist mit dir los?" fragte Sarah und ich zog nervös an meiner Zigarette.
"Birte hat mich verlassen. Daniel hatte was mit ihr."
"Oh man", wir stießen an und tranken ein paar Schlücke.
"Sie ist zu Daniel gezogen, es ist endgültig vorbei."
"Ist das Ihr Ernst?"
"Es kommt noch besser", sagte ich ironisch.
Sarah sah mich mit großen Augen an: "Noch besser?"
"Sie beteuerte mir die ganze Zeit, dass nichts mit ihm hatte. Aber als ich Daniel gefeuert hatte, wusste er auch warum. Und dann ist Birte jetzt zu ihm gezogen."
"Merkwürdig, entschuldige mich bitte. Ich muss mal kurz telefonieren", sagte Sarah und verschwand nach draußen.
"Hallo?"
"Birte hast du einen am Brett oder was? Hast du nicht genug Liebe von Kathryn bekommen?"
"Wieso?"
"Alzheimer lässt Grüßen. Warum hast du was mit Daniel gehabt? Wie konntest du Kathryn das nur antun?"
"Ich habe nichts getan."
"Lüg mich nicht an Birte, Daniel hat es doch bestätigt."
Funkstille, Sarah wurde immer wütender.
"Birte..."
Doch Birte hatte bereits aufgelegt. Sarah sah wütend ihr Handy an, sie kam wieder rein. Wie ein Pferd kam Sarah schnaufend vor Wut zu mir, exte ihren Whisky-Cola und sah mich an.
"Ich hatte dir bereits gesagt, dass Birte nicht drüber spricht. Sie will es nicht, sie ist stur. Birte will einfach nicht wahr haben, dass sie mich betrogen hat", sagte ich und nahm zwei große Schlucke.
"Ja, ach nee", meine Sarah gelangweilt, wütend und mit Sarkasmus in der Stimme.
Mir ging die Trennung erst richtig nahe, als ich Abends allein im großen Ehebett lag. Ich weinte erbarmungslos und ich schlief langsam ein. Es war keine gute Nacht, sie war unruhig und traumlos.
Am nächsten Morgen hatte ich einen Brummschädel wie ein Bulle, entstanden aus der Mischung von Alkohol und Tränen. Erst als ich in den Spiegel sah, wurde ich von dem Schrecken meines eigenen Spiegelbildes so geschockt, dass ich hellwach war. Ich spachtelte mir schnell das Frühstück ein und rauchte mir danach eine. Endlich durfte ich das im Haus und musste nicht bei eisiger Kälte vor der Tür rumjingeln. Es war zwar eh Sommer, doch ich glaube meine Nachbarn wären nicht scharf darauf mich nur in Boxershort und BH draußen rauchen zu sehen.
Aber zu welchem Preis konnte ich drinnen rauchen?
Zu einem ziemlich hohen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Der Preis war eindeutig so hoch, selbst für gute Zigaretten.
Ich fuhr in mein Studio und öffnete die Pforten für Kunden. Doch aus Erfahrung war heute, an einem Freitag, eh nichts los. Das Wochenende stand vor der Tür und da wollten die Leute feiern und mit einem frischen Tattoo oder Piercing könnten sie es knicken, gewaltig knicken.
Als um die Mittagszeit immer noch kein Menschlein für mein Studio in Sicht war, schloss ich ab und verzischte mich nach Hause. Ich war es immer gewohnt mit Birte nach Hause zu fahren. Doch so oft ich meinen Blick auch auf den Beifahrersitz kleben ließ, sie blieb verschwunden.
Die Wochen schwanden, meine verzweifelten Versuche, mit Birte zu sprechen, blieben Erfolglos. Egal was ich anstellte, Birte wollte mich nicht sehen, geschweige denn mit mir reden. Meine Laune ging merklich in den Keller. Ich ging nicht mehr zur Arbeit, mein Studio blieb fast jeden Tag geschlossen. Ich nahm kaum Nahrung zu mir, mein Frühstück, Mittag- und Abendessen sah so aus: Bier, Mettwurst und Zigaretten. Und falls ich doch mal etwas Vernünftiges im Magen hatte, ging ich schnurstracks in unsere Stammkneipe und schüttete mir ein Whisky-Cola nach dem anderen rein. Sarah beobachtete diesen Zustand beunruhigt, sie versuchte Birte auf die Situation aufmerksam zu machen. Doch auch hier blockte Birte gnadenlos ab, sie nannte das Lügen verbreiten, damit sie noch einmal mit mir reden sollte. An einem Nachmittag ging ich zum Notar und gab mein Testament ab. Am Abend setzte ich mich an mein Schreibtisch und schrieb unter Tränen den Abschiedsbrief, denn ich wollte und konnte nicht mehr...
<< Als Sarah am nächsten Tag bei Kathryn schellte, machte keiner auf. Eigentlich müsste sie doch Zuhause sein, dachte sich Sarah und ging in den Garten. Das Bild, was sich ihr dort bot, würde Sarah nie im Leben wieder vergessen. Der Schatten bewegte sich im leichten Wind mit, Schatten die von einer Erhängten kam. Sarah wusste nicht, wie lange sie da einfach nur stand und versuchte zu Verstehen, warum das alles. Doch dann rief sie den Notarzt und die Polizei an.
Kathryns schlaffer und toter Körper wurde nach der Spurensicherung in den Leichensack gelegt und dieser zugemacht. Sarahs Aussage wurde notiert, die Spurensicherung zog ab. Sarah kam es wie eine Ewigkeit vor, bis die Polizisten auch gingen. Am Abend saß sie alleine am Küchentisch, weinte, dachte nach, weinte wieder.
Das schlimmste sollte noch kommen, nämlich die Beerdigung. Erst als die vorbei war, konnte Sarah sich anderen Dingen widmen.
Nach der Beerdigung saß Sarah wieder am Küchentisch und vor ihr lagen mehrere Zeitungsartikel über Kathryns Suizid:
18-Jährige erhängt sich im Garten, Suizid der 18-Jährigen Kathryn H. und auch andere Überschriften lagen vor ihr. Doch ein Artikel könnte Sarah sich immer wieder durchlesen, er war schön geschrieben und sah sich das Datum an, es war am Tag nach dem Fund:
Suizid im Garten - Die beste Freundin findet totes Mädchen!
Kamen, den 26.06.2015 Andrea Rising
Gestern Nachmittag fand Sarah T. die beste Freundin tot im Garten. Das achtzehnjährige Mädchen hatte sich an einem Balken erhängt. Die Mittelalterbegeisterte hatte den traditionellen Henkersknoten gewählt, den trotz der Trauer ihre Freunde erfreute. Als Grund für den Suizid gab das junge Mädchen Liebeskummer und das nicht Verkraften der Trennung ihrer langjährigen Beziehung mit Birte M. an.
Kathryn B. gehörte das "Tattoo-Dream" in der Bahnhofstraße. Freunde und Bekannte trauern um die Achtzehnjährige, der Fußballverein im Ort, bei dem Kathryn seit 2008 spielte, legten Kränze in den Garten. Kerzen und Briefe säumen den grünen Rasen unter dem Balken. In zwei Wochen öffnet das "Tattoo-Dream" seine Pforten wieder, doch Sarah T. ließ es in
"In Memory Tattoo Studio" umbenennen.
Das Vorlesen des Testamentes verlief schweigend. Birte drückte hier und da eine Träne aus ihren Augen, doch Sarah ließ sich nicht davon beeindrucken oder einschüchtern.
Der Notar fing an das Testament mit dem schwarzen Kerzensigel aufzubrechen und vorzulesen:
Ich, Kathryn Becker, geboren am 15.04.1997, vermache meinen gesamten Besitz Sarah Tears. Der Besitz ist aufgeteilt in Geld, mein Tattoostudio, mein Haus, mein Auto, meine Garage und die Manuskripte, deren Recht nun bei Sarah Tears stehen. Birte Müller bekommt kein Geld von mir. Sarah du kannst ihr Geld geben, ich werde keinen Betrag nennen. Ich kann es nicht, da sie mein Herz gebrochen hat. Sarah, du kannst ihr einen Cent geben, hundert Euro oder einfach gar nichts. Es ist mir egal. Ich möchte außerdem, wie ich das schon in meinem Abschiedsbrief erwähnt habe, dass du mein Studio weiterführst. Ich weiß, dass du gut tattoowieren kannst und du bist auch eine gute Graphikerin. Du wirst einen Ordner mitbekommen, wo drin steht, was wichtig ist. Gebt auf Euch Acht und vergesst mich nicht.
Hochachtungsvoll
Kathryn Becker
< Oder doch nicht?
Nein!
Kathryn folgte ihr als Geist und schwebte langsam neben Sarah her, um sie zu beschützen...>>
Sabine verlässt ihren Freund und zieht aus, für beide ein Zustand der Erkenntnis. Doch nachdem Dean einen Unfall mit dem LKW hatte verwandeln sich ihre Gefühle erneut. Während Sabines Exfreund um sein Leben kämpft verhält sich Philipp, ihr neuer Freund, nicht wie ein Gentleman. Langsam wird ihr klar, dass sie die falsche Entscheidung getroffen hat.
Zu spät...
Das, was wir Tod nennen, ist in Wahrheit der Anfang des Lebens.
(Thomas Carlyle; * 4. Dezember 1795 in Ecclefechan, Dumfries and Galloway, † 5. Februar 1881 in London; schottischer Essayist und Historiker)
Sabine räumte die letzten Kleidungsstücke in die Pappkiste, schloss den Deckel und klebte die Kiste zu. Dean stand im Türrahmen und sah seiner Exfreundin zu, ihm war klar, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Sabine zog aus und verließ Dean nach 10 Jahren, für ihn war kein Platz mehr in ihrem Leben und schon längst hatte sie jemand anderes kennengelernt. Anstatt Sabine noch etwas zu sagen, sie zu bitten, dass sie ihn nicht verlässt, schwieg er. Dean stand einfach nur da, wie ein Ölgötze, würde seine Mutter sagen, und sah zu wie Sabine sich zu ihm wortlos umdrehte. Sekunden verstrichen, die beiden schwiegen sich an, dann ging sie mit der Kiste in den Keller, Dean folgte ihr.
„Ich hab jetzt alles gepackt, am Wochenende kommt der Wagen und holt sie ab.“
Schweißperlen hatten sich auf Sabines Stirn gebildet, der August war unerträglich heiß geworden. Noch immer sagte Dean nichts, es war ihm als würde ein Kloß im Hals jedes Wort verschlucken, wie ein schwarzes Loch. Die beiden gingen zur Haustür und endlich sagte Dean etwas: „Also dann, bis zum Wochenende.“
Sabine sah ihn mit einem traurigen Blick an, denselben hatte sie auch, als sie Schluss gemacht hatte.
„Pass auf dich auf.“
Der Knoten in Dean's Hals war verschwunden, er nickte und öffnete die Tür.
„Du auch.“
Sabine zögerte kurz, gab Dean einen leichten Kuss auf die rechte Wange und ging zu ihrem Auto, sie stieg ein und fuhr los.
Am nächsten Tag kam Dean übermüdet und mit Augenringen zur Arbeit, er sah sich seinen Tourenplan an und sprach mit seinem Disponenten. Dean fuhr für eine Spedition einen 40-Tonner LKW.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Günter besorgt, Dean nickte nur.
Er stieg in sein Gefährt und bereitete sich für die Fahrt vor. Noch wusste er nicht, wie sich der Tag entwickeln würde und er dachte bereits jetzt an den Feierabend. Einst liebte Dean seinen Job, war froh, dass er dafür zuständig war, dass die Menschen Güter zur Verfügung hatten. Aber seitdem Sabine ihn verlassen hatte war jeder Tag eine Qual für ihn. Zwar war das Haus leer, er war jeden Abend alleine, aber das war ihm irgendwie lieber, als im LKW zu sitzen und sich über die anderen Autofahrern und Trucker aufzuregen.
Sabine wusste mit ihrer Zeit nichts anzufangen, sie hatte drei Wochen Urlaub, damit sie alles organisatorisches für den Umzug schaffte. Sie saß in ihrer neuen Wohnung und sah sich mit einem Mix aus Vorfreude und Traurigkeit um. Nie hatte sie gedacht den Mann zu verlassen, mit dem sie seit ihrem 15. Lebensjahr zusammen war. Eigentlich wollte sie mit Dean Kinder haben und eine eigene, kleine Familie gründen. Doch das war nun vorbei, lange hatte Sabine mit der Entscheidung Dean zu verlassen gekämpft. Dann kam Philipp in ihr Leben und sie mochte ihn, als Freund. Sie erzählten sich gegenseitig alles und irgendwann beklagte sie sich, dass Dean manchmal erst nach zwölf Stunden Arbeit nach Hause kam, müde und abgeschlafft vom Tag und zu nichts mehr zu gebrauchen. Das nutzte Philipp geschickt aus, er fühlte schon länger mehr als nur Freundschaft für Sabine in seinem Herzen. Er spendete ihr Trost und ehe sie sich versah hatte Sabine sich in ihn verliebt. Dann gab es für sie kein Halten mehr bei Dean.
Philipp hatte einen Job mit zuverlässigen Arbeitszeiten, umgarnte seine Angebetet, wie Dean es schon seit Jahren nicht mehr getan hatte und war nebenbei ein Gentleman. Ein absoluter Traummann, würde man sagen.
Stunde um Stunde saß Sabine so auf ihrem neuen Sofa und dachte an Dean, die alten Zeiten und auch an Philipp, der sich jetzt im Büro mit ausländischen Firmen stritt, wie man am besten die Tonnen schweren Schiffsanker der Firma zu den Werften bringen konnte.
Lass diese Gedanken, sagte Sabine zu sich selbst, als sie an die Jahre mit Dean dachte.
Dean war bereits auf der Autobahn unterwegs und bekam Hassgefühle, als er im Spiegel sah, wie nah sein Hintermann auffuhr. Doch das war normal und über die Jahre hatte er sich daran gewöhnt. Mit seinen Gedanken war er zwar auf die Arbeit konzentriert, aber Sabine schlich sich nach und nach in seinen Kopf und er wusste, dass er sie vollkommen verloren hatte. Vielleicht wäre sie nicht gegangen, wenn er im letzten Moment sie angefleht hätte. Aber Dean hatte nun mal nichts gesagt und damit war das Kapitel endgültig vorbei. Es würde etwas dauern, bis er sich damit zurecht finden konnte, aber er musste damit klar kommen. Gerade als Dean sich mit seinen Gedanken wieder auf die Fahrt konzentrierte bremste der LKW vor ihm mit einer Vollbremsung ab. Er sah nur noch das Heck auf sich zukommen, dann wurde ihm schwarz vor den Augen.
Sabine stand auf und schaltete das Radio ein, gerade kamen die Verkehrsnachrichten.
Dean hatte sie immer vor der Schicht gehört, ihr war das mit der Zeit gehörig auf die Nerven gegangen. Während sie das dachte hörte sie etwas was ihr den Atmen stocken ließ: „Die A1, Bremen Richtung Dortmund ist auf Höhe Vechta in beiden Richtungen nach einem schweren LKW-Unfall für eine unbestimmte Zeit gesperrt, es muss ein Rettungshubschrauber landen, derzeit 5 Kilometer Stau.“
Das ist doch Dean's Strecke, dachte Sabine besorgt und griff zum Telefon, doch Dean hob nicht ab.
Die Computerstimme sagte immer nur, dass der Teilnehmer nicht erreichbar sei.
Gerade als Günter etwas essen wollte stand die Polizei vor der Tür. Verwundert über diesen Besuch bat er die Beamten in sein Büro.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte er und bot dem Mann und der Frau die Besucherstühle an, sie lehnten freundlich ab.
„Ihr Fahrer, Dean Douglas Hormann, hatte einen Unfall, Herr Müller, er wurde mit seinem LKW zwischen zwei anderen eingekeilt.“
„Ach herrje, wie geht es ihm.“
„Ganz schlecht“, sagte die Beamtin und sah traurig aus, „er wird mit einem Hubschrauber in die Uniklinik geflogen.“
Günter fiel in sich zusammen, Dean war ein sehr guter Fahrer, das wusste er.
„Ihr Fahrer hat keine Schuld“, beschwichtigte der Beamte, als habe er die Gedanken des Disponenten gelesen, „der Fahrer vor ihm machte aus uns unbekannten Gründen eine Vollbremsung.“
„Was passiert jetzt?“
Für Günter war es das erste Mal, dass einer seiner Fahrer einen solchen Unfall hatte.
„Wir werden einen Unfallbericht anfertigen, den wir auch an Sie schicken werden. Hat Herr Hormann Kontaktdaten im Falle eines Unfalls hinterlegt?“
Günter nickte, stand auf und nahm einen Aktenordner aus dem Schrank. Er blätterte darin herum, bis er den Personalbogen von Dean in den Händen hielt.
„Hier habe ich die Nummer seiner Freundin und seiner Eltern, die sind aber meines Wissens nach im Urlaub. Ich kann Ihnen beide Nummern gerne geben.“
Während sich die Beamtin die Telefonnummern notierte sah sich der Kollege die Ausdrucke von Dean an, die er nach jeder Schicht bei Günter abgab.
„Ihr Fahrer ist noch nie aufgefallen“, sagte er und blätterte durch die Kopien, „sehr lobenswert.“
„Er ist mein bester Mann“, nickte Günter, „ich kann mir nicht vorstellen, dass er einen Unfall hat.“
„Das ist manchmal leider so, wie gesagt, er hatte keine Schuld. Das war erst einmal, wir melden uns wieder bei Ihnen. Trotzdem einen schönen Tag noch.“
Die Beamten verließen das Gebäude, Günter ließ sich mit einem Seufzer auf seinen Stuhl zurück sinken und dachte an Dean.
Sabines Handy klingelte und voller Sorge griff sie danach, ohne auf dem Display zu lesen, wer sie anrief.
„Dean?“, es klang hysterisch und schrill.
„Bin ich da richtig? Bei Sabine Merkel?“, fragte eine ihr unbekannte Männerstimme, überrascht hielt Sabine inne.
„Ja?!“
„Sehr gut, hier spricht Polizeihauptmeister Sebastian Holte. Frau Merkel, Sie sind die Freundin von Herrn Dean Douglas Hormann?“
„Ja“, bestätigte Sabine, ihr war die Trennung in diesem Augenblick egal, das musste der Polizist nicht wissen.
„Ich rufe Sie an, weil ihr Freund einen schweren LKW-Unfall auf der Autobahn hatte.“
„Oh Gott“, rief Sabine aus, sie setzte sich schwer auf ihr Sofa, ihre Hände zitterten, „was ist passiert? Etwa das, was in den Nachrichten kam?“
„Genau das, Frau Merkel, Ihr Freund ist schwer verletzt in die Uniklinik geflogen worden. Wenn Sie ihn besuchen möchten können Sie das gerne tun. Haben Sie Kontakt zu seinen Eltern?“
„Tut mir leid, die sind gerade auf Mallorca im Urlaub.“
„Das wissen wir, wir können sie nur nicht erreichen. Würde Sie es für uns probieren?“
„Ich werde sehen, was ich tun kann“, sagte Sabine und nahm sich Stift und Papier um die Nummer des Polizeihauptmeisters aufzuschreiben.
„Rufen Sie mich bitte an, wenn Sie etwas erreicht haben.“
„Wie geht es ihm?“
„Ganz schlecht, Frau Merkel, zu dem jetzigen Gesundheitszustand kann ich Ihnen leider nichts anderes mitteilen. Da fragen Sie am besten in der Uniklinik nach und sprechen dort mit den Ärzten.“
„Das werde ich tun“, ohne noch ein Wort von dem Polizisten abzuwarten legte Sabine auf und fuhrt hastig zum Krankenhaus.
Dean wurde mit dem Rettungshubschrauber in die Klinik geflogen und die Ärzte nahmen ihn hastig entgegen. Im Helikopter musste der junge Mann bereits einmal reanimiert werden, es stand sehr schlecht um ihn.
„Er hat Suprarenin, Xylocain, Cordarex, Magnesiumsulfat und Natriumbicarbonat bekommen, Reanimation erfolgreich. Schädelhirntrauma und eingeklemmte Wirbelsäule“, gab der Sanitäter den Ärzten der Notaufnahme bekannt und sie schoben Dean weiter laufend durch die, mit Neonröhren erleuchteten, Gänge in den Operationssaal.
Die Türen schlossen sich und die Rettungssanitäter blieben davor stehen, sie waren Schweiß überströmt und mussten erst einmal durchatmen.
„Meinst du er schafft das?“, fragte einer seinen Kollegen.
„Ich bin mir nicht sicher“, sagte dieser und sie gingen zu einem Kaffeeautomaten im Aufenthaltsraum des Krankenhauses, „er hat viele Verletzungen.“
„Hast du seine vielen Narben gesehen?“
Der Sanitäter spielte auf die Narben im Gesicht und an den Armen von Dean an, sie rührten von einer Missbildung, die Dean seit seiner Geburt hatte. Am rechten Unterarm hatte Dean eine Narbe von einem Unfall, den er mit 12 Jahren hatte und am Linken, weil er eine Hauttransplantation bekommen hatte.
„Er hat scheinbar ein paar schlimme Dinge in seinem Leben erlebt, scheint aber ein Kämpfer zu sein, hoffen wir, dass er auch diesen schlimmen Zustand überlebt.“
Während der gesamten Fahrt dachte Sabine an Dean und ihr wurde übel bei dem Gedanken, wie er wohl aussehen würde oder wie es um ihm stand. Dann fiel ihr ein, dass Dean eine Patientenverfügung in seinen Unterlagen zuhause hatte. Sabine drehte mit quietschenden Reifen auf der Straße und fuhr zu ihrem ehemaligen Haus. Sie trat ein, ging in Dean's Büro und durchsuchte zwei Ordner, im dritten wurde sie fündig. Dann raste Sabine zur Universitätsklinik, wurde ein paar hundert Meter vor dem Parkplatz von einer Radarfalle erwischt, doch das störte sie nicht. Sabine parkte recht schief in der einzigen Parklücke und schlug heftig die Tür zu. Fast sprintete sie zum Haupteingang und begab sich zum Empfang. Eine nette, ältere Dame saß hinter dem Sprechglas und lächelte Sabine fröhlich an.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie und legte die Finger auf die Computertastatur.
„Heute wurde ein junger Mann nach einem LKW-Unfall eingeliefert.“
Die Frau tippte etwas am Computer ein.
„Ja, Dean Douglas Hormann. Sind Sie eine Verwandte?“
„Ich bin seine Lebensgefährtin.“
„Nun, dann darf ich Sie leider nicht auf die Intensivstation lassen. Sie sind keine nähere Verwandte, tut mir leid.“
„Ich weiß, aber“, sie gab der Frau die Verfügung, „ich denke das reicht aus, dass ich zu Dean darf.“
„Einen Moment bitte“, die Frau wählte ein e Nummer und sprach mit jemanden.
Sabine trat von einem Fuß auf den anderen, ihr ging die Bürokratie in Krankenhäusern gehörig auf den Keks. Die Frau nickte zu ihrem Gegenüber am Telefon, seufzte, nickte wieder und legte auf. Sabine sah sie an und versuchte in ihren Augen zu lesen mit wem sie telefoniert hatte, die Dame lächelte freundlich.
„Dr. Janke ist auf dem Weg zu Ihnen, er ist der zuständige Schichtarzt auf der Intensivstation.“
„Danke“, Sabine drehte sich um und sah sich die Schilder an, auf denen stand in welcher Etage welche Abteilung war.
Nach wenigen Minuten kam ein Mann Mitte fünfzig, seine Glatze glänzte im Licht der Neonröhren.
„Sind Sie Frau Merkel?“
„Ja“, Sabine drehte sich um und gab dem Mann die Hand, sein Griff war stählern und doch locker genug, um ihr nicht weh zutun.
„Dann kommen Sie mit mir.“
Sie gingen zur Intensivstation und beide hielten ihre Hände unter den Desinfektionsspender. Danach gab der Mann einen Code an der Tür ein und ein Surren gab ihnen gekannt, dass die Tür offen war.
„Um es kurz zu machen, Ihr Lebensgefährte befindet sich noch im Operationssaal, es kann noch dauern. Die Operation ist sehr kompliziert.“
„Wissen Sie genaueres?“, fragte Sabine besorgt.
„Ja, kommen Sie“, der Mann ging mit ihr in den Aufenthaltsraum der Schwestern und gab Sabine einen Kaffee in einer blauen Tasse.
Er selbst nahm sich auch eine, setzte sich Sabine gegenüber und rührte in seiner Tasse herum.
„Herr Hormann wurde neben diversen Schnittverletzungen und einem schweren Schädelhirntrauma, ebenso massiven Wirbelsäulenverletzungen eingeliefert. Im Rettungshubschrauber wurde er bereits einmal reanimiert, doch er konnte erfolgreich stabilisiert werden. Wie es im Moment um ihn steht weiß ich nicht.“
Sabine war kalkweiß geworden, zitternd klapperte der Löffel in ihrer Tasse.
„Geht es Ihnen gut?“, fragte der Arzt besorgt und sah sich Sabine sorgenvoll an.
Die Ärzte kämpfte verzweifelt um Dean's Leben, immer wieder sank sein Blutdruck und der Puls in den Keller. Die Schnittverletzungen waren enorm, tiefe Wunden überzogen seinen gesamten Körper, das Schädelhirntrauma war schlimmer als gedacht und auch die Wirbelsäulenverletzungen waren nicht ohne. Die Schwester, die zur Überwachung des jungen Mannes, neben den Geräten stand blickte sorgenvoll auf die piepsenden Geräte und Dean. Sie war noch nicht lange in dem Beruf tätig und er war der erste Patient mit solchen Verletzungen. Normalerweise war sie bei kleinen Operationen anwesend, bei denen die Überlebenschancen bei fast 100% standen. Die Ärzte säuberten die Wunden, zogen mit der Pinzette Glassplitter heraus und vernähten diese. Doch die letzte Wunde war komplizierter, die Ärzte mussten mit einem Skalpell die Wunde vergrößern und öffnen. Doch was sie darin fanden war selbst für die Routiniers eine Überraschung. In der Wunde war nicht nur ein sehr großer Glassplitter, sondern auch eine Geschwulst.
„Was ist das denn?“, fragte einer der Assistenten.
„Das sieht aus wie ein Tumor, los, wir nehmen eine Gewebeprobe.“
Der Arzt nahm eine Probe für das Labor, eine Schwester nahm sie an sich und eilte in das Labor.
„Wir vernähen die Wunde und müssen das Laborergebnis abwarten.“
Die Wunde wurde vernäht und mit einem Verband versehen.
Sabine saß bereits seit Stunden auf der Intensivstation und wartete immer noch auf eine Nachricht aus dem Operationssaal. Sie hatte Philipp bereits per SMS Bescheid gesagt, doch auf seine Versuche sie telefonisch zu erreichen reagierte sie mit Ablehnung. Im Moment gab es für sie keinen Philipp und sie hatte das Gefühl, dass die Trennung ein Fehler war. Beim nächsten Versuch Sabine zu erreichen wählte Philipp zum letzten Mal die Nummer seiner Freundin. Sabine war es leid, dass er sie ständig zu erreichen versuchte. Sie sagte einer Schwester Bescheid, dass sie kurz hinaus ging um zu telefonieren, aber wieder käme. Draußen ging Sabine ans Handy und zog eine Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche. Sie hatte sie in ihrem Auto gelassen, für Notfälle, doch das war jetzt einer dieser Fälle. Eigentlich hatte Sabine das Rauchen aufgegeben, als sie sich in den, gesund lebenden Philipp, verliebt hatte. Doch das war ihr in dem Moment egal.
„Was ist passiert? Du hast nur geschrieben, dass du im Krankenhaus bist. Bist du verletzt?“, seine Stimme klang eher genervt als umsorgt.
„Dean hatte einen schweren Unfall.“
„Du bist wegen deinem Ex da?“, fragte Philipp überrascht.
„Ja.“
„Warum?“, Wut schwang in seiner Stimme mit.
„Weil ich zu Dean immer noch ein gutes Verhältnis habe und weil ich mir eben Sorgen mache.“
„Du hast dich von ihm getrennt, weil du ihn nicht mehr liebst. Warum bist du dann da?“
„Warum hast du etwas dagegen?“
„Weil ich dich nicht verlieren will“, seufzte Philipp.
„Du verlierst mich doch nicht, nur weil ich bei Dean bin. Ich mache mir verdammt nochmal Sorgen“, Sabine war wütend auf Philipp, aber hatte er nicht doch Recht?
Was wäre, wenn sie sich doch wieder Dean zuwandte? Das Verhalten, welches Philipp in dem Moment an den Tag legte, hätte Dean nie gemacht.
„Verdammt, Sabine, so schlimm kann es doch nicht sein, dass du im Krankenhaus bist.“
„Er stirbt vielleicht“, Sabine war jetzt richtig wütend, wieso verstand Philipp nicht, warum sie da war.
Philipp seufzte, versprach Sabine sich zu beruhigen und legte auf. Verdutzt sah Sabine auf ihr Handy, schaltete es komplett aus und steckte es in die Hosentasche. Sie machte ihre Zigarette aus und betrat wieder das Krankenhaus. Als sie an der Tür der Intensivstation klingelte wurde ihr durch die Gegensprechanlage mitgeteilt, dass diese Tür gleich geöffnet werden würde.
Die Ärzte gaben Dean noch die nötigen Konserven, er hatte einen Liter Blut verloren, die sie damit wieder im Körper auffüllten. Doch Dean war ins Koma gefallen, es war für seinen Körper einfach zu viel. Sie schoben den jungen Mann in ein Zimmer auf der Intensivstation und schlossen ihn an die Maschine, die für ihn atmete und für sein Leben sorgte. Neben dem Piepen der Überwachungsgeräte war es totenstill in dem Raum. Langsam hob und senkte sich Dean's Körper, die Schwester kam zu Sabine und sagte ihr Bescheid. Sie gingen zu einem Raum und Sabine wurde mit einem grünen Kittel eingekleidet.
„Wie geht es ihm?“, fragte sie, die Schwester nahm ein Klemmbrett und las sich die Zettel darauf durch.
„Wie es scheint sehr schlecht. Hier steht, dass zwei Mal reanimiert werden musste. Die Wunden sind gesäubert und vernäht worden, aber auch eine Gewebeprobe wurde entnommen.“
„Warum das denn?“, fragte Sabine überrascht, sie besaß ein wenig Ahnung von der Medizin.
„Das steht hier nicht, tut mir leid. Ich werde einen Arzt holen.“
Die Schwester ging und ließ Sabine mit Dean alleine. Sorgenvoll sah sie sich ihren Exfreund an. So blass und ruhig, wie er da lag hatte sie ihn noch nie gesehen. Sie berührte seine Hand, sie fühlte sich kalt wie Marmor an, Sabine zuckte unweigerlich zurück. Ihr Herz schlug so schnell, wie bei ihrem ersten Date. Wenige Sekunden später betrat ein Arzt den Raum, seine Augen waren müde und klein. Er stellte ihr sich als Doktor May vor und klärte sie über die Probenentnahme auf.
„Sie meinen einen Tumor?“
„Genau. Wir müssen das Ergebnis abwarten. Wir müssen herausfinden um was es sich genau handelt und ob er gut- oder bösartig ist.“
„Was ist mit seinen anderen Verletzungen?“
„Wir haben die Wunden vernäht und verbunden, das Schädelhirntrauma, sowie die Wirbelsäulenverletzungen können wir noch nicht untersuchen. Dazu muss sich sein Zustand erst richtig stabilisieren.“
„Das verstehe ich. Liegt er im Koma?“
„Ja, wir haben ihn allerdings nicht ins Koma geschickt. Es ist ein natürliches Koma, er fiel selbst hinein. Der Körper hat seine Maßnahme zum Schutz ausgenutzt. Das heißt allerdings auch, dass wir ihn nicht aus diesem Zustand zurückholen können.“
„Wie lange wird das dauern?“
„Das können wir noch nicht sagen.“
„Ich verstehe“, Sabines Gesicht hatte wieder etwas Farbe bekommen, sie schöpfte neue Hoffnung.
Philipp seufzte, er konnte einfach nicht arbeiten. Ihm schwamm der Gedanke im Kopf herum, dass er Sabine verlieren würde. Was diese Gedanken anging war es für Philipp etwas ganz Neues. Normalerweise hielt sich seine Eifersucht in Grenzen, für ihn war es normal seiner Lebensgefährtin so zu vertrauen, dass es keinen Grund dazu gab. Doch in diesem Falle schlug sein Herz so schnell, dass er dachte es springe aus seiner Brust.
„Was ist los bei dir?“, fragte sein Kollege und setzte sich auf die Schreibtischkante,
„Meine Freundin ist bei ihrem Ex“, seufzte er.
„Huch! Warum das denn?“
„Der Kerl liegt im Krankenhaus, er hatte wohl einen Unfall auf der Autobahn.“
„Verstehst du das nicht?“
„Nein“, Philipp zuckte mit den Schultern, „ich würde nie bei meiner Ex aufkreuzen. Selbst wenn sie im Krankenhaus liegen würde.“
„Das verstehe ich nicht. Wie lange waren die beiden denn ein Paar?“
„15 Jahre.“
„Eine lange Zeit, findest du nicht?!“
„Schon, aber trotzdem.“
„Mach dir keinen Kopf“, der Kollege erhob sich, „es wird nichts passieren.“
„Hoffentlich hast du Recht.“
Sabine saß Stunde um Stunde an Dean's Bett, er zeigte keine Reaktionen auf Leben und auch das Labor war mit der Probe aus seinem Körper immer noch nicht fertig. Zwischenzeitlich war Sabine eingenickt oder draußen um zu rauchen.
„Frau Merkel?“, eine Schwester betrat das Zimmer, Sabine erhob sich, „wir haben die Ergebnisse aus dem Labor.“
„Und?“
„Es ist ein Tumor, wie es scheint ein bösartiger. Doch wir können ihn nicht entfernen und auch eine Chemotherapie kommt in dem Zustand, in dem sich Herr Hormann befindet nicht in Frage.“
„Oh Gott“, Sabine wich erneut die Farbe aus dem Gesicht, die Schwester legte sachte ihren Arm um die Schultern der jungen Frau.
„Es wird alles gut werden, Sie werden sehen.“
Sabine bedankte sich und nach drei weiteren Stunden verließ sie auf Anraten der Schwester das Krankenhaus, um nach Hause zu fahren. Doch anstatt in ihre neue Wohnung zu düsen, bog sie kurzerhand auf die Hauptstraße ab und fuhr zu Philipp. Sie stieg aus und blieb unschlüssig vor seiner Tür stehen, dann klingelte sie. Philipp öffnete und sah überrascht auf seine Freundin, er bat sie wortlos herein und schloss die Tür. Völlig ausgebrannt ließ sich Sabine auf das Sofa sinken und sah ihren Freund traurig an.
„Wie geht es ihm?“, fragte er besorgt und goss ihr ein Glas Rotwein ein.
„Sehr schlecht, zu allem Überfluss hat man einen Tumor bei ihm festgestellt, danke“, sie nahm das Glas in Empfang und trank einen gierigen Schluck.
„Einen Tumor?“
„Ja, einen bösartigen Tumor, den sie weder entfernen oder therapieren können.“
„Der Ärmste.“
„Was sollte das eigentlich am Telefon?“, fragte Sabine plötzlich.
„Es tut mir leid, ich habe das nicht so gemeint.“
„Philipp, das war nicht so der Kracher. Und es ist mir einiges klar geworden. Niemand, absolut niemand darf so über Dean reden.“
„Ich habe doch nichts gesagt, nie habe ich etwas gegen Dean gesagt.“
„Doch hast du, zwischen den Zeilen mein Lieber. Wir sollten eine Pause machen.“
„Was?“, Philipp verstand die Welt nicht mehr.
„Ich will eine Pause zwischen uns, so einfach ist das. Ich melde mich bei dir“, sagte Sabine, stellte das Glas auf den Tisch und stand auf.
Sie verließ das Haus, stieg in ihr Auto und fuhr zu ihrer Wohnung. Philipp blieb alleine, verdutzt sah er auf das Rotweinglas, schnappte es sich und schluckte den Rotwein mit einmal hinunter. Dann stand er auf, nahm eine Flasche Rum und schüttete sich ein Glas nach dem anderen ein.
Zuhause nahm Sabine das Telefon zur Hand und versuchte erneut Dean's Eltern zu erreichen. Endlich schaffte sie es und erzählte von den Vorfällen. Besorgt versprachen sie sich sofort auf den Weg zu machen um Sabine und Dean beizustehen. Als Sabine auflegte war sie noch erschöpfter, als vorher. Das Telefonat hatte ihr den Rest gegeben. Sie wusste nun, dass Philipp für sie als Lebensgefährte nicht mehr in Frage kam. Er hatte an diesem Tag sein wahres Gesicht gezeigt, mit einem solchen Mann wollte sie nicht mehr zusammen sein. Müde legte sie sich schlafen, doch in ihrem Träumen sah sie ständig Dean mit kalter und weißer Haut im Krankenhaus um sein Leben kämpfen. Sie hätte ihm gerne gesagt, dass sie in immer noch liebt und Philipp verlassen würde. Sie erwachte immer wieder aus ihrem bleischweren Schlaf und jedes Mal nahm sie sich vor am nächsten Tag Dean zu sagen, dass sie sich für ihn entschieden hatte.
Am Tag darauf fuhr Sabine so früh wie möglich ins Krankenhaus und ging zu Dean. Sein Zustand war über Nacht noch schlimmer geworden und die Ärzte wusste nicht, wie sie ihm helfen konnten. Sabine nahm neben Dean Platz und nahm seine rechte Hand. Sie wusste, dass Komapatienten, trotz ihres Zustandes, aktiv an ihrer Umwelt teilnahmen und jedes Wort verstanden.
„Dean, ich liebe dich. Ich werde Philipp verlassen, gestern bin ich schon gegangen und die Trennung von dir war ein Fehler. Werde wieder gesund, ich brauche dich doch.“
Plötzlich wurde Sabine übel, ihr war auf einmal schummrig, zitternd stand sie auf und trat auf den Flur hinaus. Eine Schwester wurde auf sie aufmerksam und eilte zur Hilfe, dann fiel Sabine in sich zusammen.
Langsam schlug Sabine die Augen auf, sie wusste nicht wo sie sich befand. Sie lag auf einem Bett, die Decke hatte ihr man behutsam auf den Körper gelegt. Eine Schwester kam in den Raum und fand Sabine wach vor.
„Hoffentlich geht es Ihnen besser“, lächelte sie, „wissen Sie noch was passiert ist.“
„Nein.“
„Sie sind auf dem Flur auf der Intensivstation zusammengebrochen. Wir haben Sie in das Zimmer gebracht, Herr Hall wird gleich zu Ihnen kommen. Er wird Ihnen sagen was genau passiert ist.“
Ein junger Mann betrat den Raum, er schien ein Assistent zu sein, er hatte eine braune Mappe bei sich.
„Guten Tag, ich bin Hendrik Hall. Ich habe Sie nach Ihrem Zusammenbruch untersucht“, er zog ein Bild aus der Mappe und reichte es Sabine.
Es war ein Ultraschallbild ihres Bauches, ungläubig sah sie sich das Bild an.
„Herzlichen Glückwunsch, Sie sind im vierten Monat schwanger.“
Schwanger? Seit vier Monaten? Das bedeutet ja, dass Dean Vater wird, dachte Sabine und lächelte. Sie rechnete zurück, mit Philipp hatte sie erst vor drei Monaten Sex, nur Dean konnte der Vater sein. Sabine freute sich, nun wusste sie, dass Dean ihr Mann war und niemand anderes.
„Freut es Sie?“, fragte der Arzt und lächelte.
„Ja, sehr.“
„Schön, dann darf empfehle ich mich. Wenn Sie sich fit fühlen dürfen Sie aufstehen.“
Der Arzt ging und Sabine richtete sich auf, etwas schummrig war ihr immer noch, doch sie zwang sich dazu auf die Intensivstation zu gehen. Sie wollte Dean die Nachricht übermitteln, doch an der Gegensprechanlage meldete sich niemand. Ein Arzt eilte vorbei, Sabine sprach ihn an.
„Ja, natürlich, ich lasse Sie hinein“, der Mann öffnete mit dem Code die Tür und ließ Sabine auf die Station.
Doch auch hinter der Tür schien niemand zu sein.
„Hallo?“, rief Sabine und endlich kam eine Schwester.
„Ach, Sie sind das, kommen Sie“, die beiden gingen zu Dean's Zimmer, er lag unverändert in seinem Bett.
„Ich möchte ihm etwas sagen“, sagte Sabine und hielt das Ultraschallbild in den Händen, die Schwester lächelte.
„Dann gehen Sie nur“, meinte diese und gab Sabine den grünen Kittel.
Sie ging in den Raum und setzte sich wieder, dann ergriff sie erneut seine Hand und lehnte sich zu ihm.
„Mein Schatz, du wirst Vater. Hörst du, ich bin schwanger von dir, Babe.“
Sabine lächelte, als sie ging und kehrte nach Hause zurück. Dort sah sie sich im Internet auf Seiten für Babys an und bestellte sich einen Wickeltisch und andere Möbel und Gegenstände. Doch ihre Freude wurde schnell zerstört.
Sabines Handy klingelte und als sie hörte wer sie anrief, weiteten sich ihre Augen. Das Krankenhaus rief an und bestellte sie sofort dort hin.
Als Sabine auf der Intensivstation ankam wurde sie direkt vom behandelnden Arzt, Doktor May, empfangen.
„Gut, dass Sie da sind“, begann er, seine Stirn war nass vor Schweiß.
„Was ist los?“, fragte sie hysterisch, „kommen Sie mir nicht mit Ausflüchten.“
Der Mann seufzte und bat Sabine in den Aufenthaltsraum, sie setzten sich, Doktor May sah sie traurig an.
„Es tut mir leid“, begann er, „aber Herr Hormann hat in der Nacht eine Art Rückfall gehabt.“
„Einen Rückfall? Wie meinen Sie das?“
„Es musste erneut reanimiert werden, die Chancen stehen schlecht, dass er jemals wieder wacht wird.“
„Kann ich zu ihm?“
„Gerne, kommen Sie.“
Die beiden gingen zu Dean's Zimmer und betrachteten ihn durch die Glasscheibe. Sabine lächelte, sie hoffte darauf, dass er aufwachte. Doch anstatt ein Lebenszeichen von sich zu geben musste Sabine mit ansehen, dass die Herz-Lungen-Maschine die EKG-Ströme in die Länge zog. Das Piepsen zog sich in einem langen Ton und Doktor May stürzte in den Raum. Eine rote Lampe leuchtete über der Tür auf, eine automatische Durchsage rief alle verfügbaren Ärzte und Schwestern in Dean's Zimmer. Sabine musste mit ansehen, dass sie versuchten Dean wiederzubeleben. Wieder und wieder musste sie mit ansehen, dass die Pads des Defibrillators auf seine Brust gedrückt wurden. Doch noch immer ließ die EKG-Linie nichts auf ein Lebenszeichen schließen, Sabine liefen die Tränen die Wangen hinunter. Sie wusste, dass Dean es nicht schaffen würde. Sie wusste, dass ihr Kind nicht mit seinem leiblichen Vater aufwachsen würde. Sabine wusste, dass er starb. Nach Minuten ließen die Ärzte von Dean ab, Doktor May kam aus dem Raum, er sah müde aus. Sabine rannen immer noch die Tränen die Wangen hinunter, sie verlor den Boden unter den Füßen. Genau in diesem Moment kamen Dean's Eltern den Flur entlang. Sie sahen Sabine und wussten sofort was passiert war. Sie lagen sich weinend in den Armen, konnten es einfach nicht verstehen, weinten und trösteten sich gegenseitig.
Am Freitag Mittag stand eine kleine Gruppe mit schwarzen Regenschirmen auf dem Friedhof und sahen, wie der Sarg in die Erde gelassen wurde. Sabine warf mit Tränen in den Augen eine Rose und das Ultraschallbild ihres ungeborenen Kindes in das Loch. Sie und seine Eltern nahmen Beileidsbekundungen von Freunden und Verwandten entgegen und fuhren dann gemeinsam in sein Lieblingsrestaurant zum Leichenschmaus. Es wurde über ihn gesprochen, über Lustiges gelacht und über Ernstes nachgedacht. Sabine hatte sich am Tag, an dem Dean im Krankenhaus verstorben war, von Philipp offiziell getrennt. Auch sagte sie ihm, dass sie schwanger war und das Kind von Dean sei. Er weinte, sagte aber nichts, dass Sabine doch bei ihm blieb. Wie auch einst Dean stand er einfach nur da, wie ein Ölgötze, und sah seiner Exfreundin an der Tür noch lange nach. Sabine wusste bereits, dass sie einen Sohn gebären wird und sie wusste bereits wie er heißen soll: Sean Douglas.
Sean, weil Dean seinen Sohn schon immer so nennen wollte und Douglas an Erinnerungen an Sean's Vater. Sabine weinte oft, Nachts, weil sie wusste, dass Dean ein guter Daddy gewesen wäre und weil sie ihn vermisste.
Als Sarah Dean tot auffindet sieht es erst nach einem Suizid aus, doch schnell wird klar, dass sich etwas anderes abgespielt haben musste. Auch ein gefundener Zettel weißt auf diese Theorie hin! Die Kriminaloberkommissare Rupert und Maybach machen sich auf die Suche nach dem Täter.
Ist er unter den Freunden oder ein Außenstehehnder?
Man muss nicht unbedingt das Licht des anderen ausblasen, um das eigene Licht leuchten zu lassen. (Phil Bosmans SMM; * 1. Juli 1922 in Gruitrode, Provinz Limburg, † 17. Januar 2012 in Mortsel, Provinz Antwerpen; war ein belgischer, katholischer Ordensgeistlicher, Verfasser geistlicher Schriften und Telefonseelsorger)
Sarah sah sich suchend im Haus um, doch sie fand Dean nicht. Dabei hatte er sich extra mit ihr in seinem Zimmer verabredet. Was genau er wollte, wusste Sarah nicht, er hatte mit Details gespart. Um ehrlich zu sein hatte Dean ihr überhaupt nicht gesagt worum es ging, nur dass sie sich unterhalten müssten. Doch als Sarah zu ihm wollte war er nicht in seinem Zimmer und auch im Haus fehlte jede Spur vom 25-Jährigen.
Vielleicht wissen die anderen wo er steckt, dachte Sarah und ging in das Erdgeschoss.
Im Kaminzimmer gab es eine Tür zur Terrasse, auf ihr standen Matthias, Annika und Vanessa und rauchten.
„Habt ihr Dean gesehen?“, fragte Sarah und ging nach draußen, doch die anderen schüttelten mit dem Kopf.
„Warum fragst du?“, fragte Annika und drückte ihre Zigarette aus.
„Wir waren verabredet, aber Dean ist nirgends zu finden.“
„Der kann sich ja nicht in Luft aufgelöst haben und Christina ist nur mit Jan und Birte einkaufen gefahren“, sagte Matthias und überlegte, „hast du mal versucht ihn auf seinem Handy zu erreichen?“
Sarah hätte sich vor den Kopf schlagen können, daran hatte sie wahrhaftig nicht gedacht. Nervös wählte sie Dean's Nummer, sie hatte auf einmal ein ganz komisches Gefühl.
Der Anruf ging durch und ganz leise hörte man die Titelmelodie von The Simpsons, die Freunde auf der Terrasse spitzten die Ohren.
„Das ist Dean's Klingelton“, rief Sarah aus und folgte dem Ton um die Ecke.
Sarah traute ihren Augen nicht, was sie sah übertraf ihre schlimmsten Albträume. Dean lag bäuchlings, ein wenig zusammengekrümmt, auf dem Steinboden, der entlang des Jugendhauses verlegt war. Eine breite Blutlache hatte sich unter ihm gebildet und auch unter dem Kopf war Blut.
„Matthias!“, Sarah rief nach dem Freund und als dieser um die Ecke bog blieb er abrupt stehen.
„Ach du Scheiße, ich rufe den Krankenwagen!“, er holte bereits das Handy aus der Tasche, Sarah hatte sich neben Dean niedergekniet.
„Vergiss den Krankenwagen“, sagte sie und sah Matthias traurig an, der blickte verwirrt zurück, „Dean ist tot.“
Aufregung machte sich in der Gruppe breit, Aufregung, Traurigkeit und die Frage was passiert war. Nachdem Matthias mit zittriger Stimme die Polizei gerufen hatte war Sarah durch das Haus geeilt und alle trafen sich im Gemeinschaftsraum. Sarah erzählte was passiert sei und sie warteten auf die Kriminalpolizei. Während ihnen die Zeit wie eine Endlosschleife vorkam wurde bereits heiß diskutiert.
„Vielleicht war es Selbstmord“, warf Vanessa traurig in den Raum.
Die meisten von ihnen kannten Dean schon fast 20 Jahre lang, ein lebensfroher Mensch, lustig und für alles zu haben.
„Das glaube ich nicht“, konterte Annika, sie war mit Dean mehr oder weniger verwandt, „dazu gab es keinen Grund.“
„Vielleicht doch“, meinte Sarah, „er wollte mir etwas wichtiges sagen.“
Eine Träne rann ihre Wange hinunter, sie waren seit 13 Jahren beste Freunde, durchlebten Höhen und Tiefen, Streit und Versöhnung, ernste Abende und spaßige Nächte.
„Wie dem auch sei“, meinte Matthias und sah auf die Uhr, er wurde langsam wütend, „wo zum Geier bleiben diese blöden Bullen denn?!“
Just in diesem Moment klingelte es an der Tür, zwei Beamten in Zivil und das Team der Spurensicherung, sowie die Gerichtsmedizinerin wurden von Vanessa ins Haus gelassen. Die Beamten ließen sich von Sarah den Tatort zeigen und die Leute von der Spurensicherung machten sich mit der Ärztin sofort an die Arbeit.
„Was sagst du dazu?“, fragte einer der Kripobeamten und kniete sich neben die Gerichtsmedizinerin zu Dean nieder.
„Schwer zu sagen, so auf den ersten Blick würde ich sagen, dass der Sturz die Ursache für den Tod war, aber diese Blutlache unter dem Ärmsten kann nicht davon kommen.“
„Hm, ja, das sehe ich“, sagte der Beamte und erhob sich wieder.
„Ben“, die Ärztin rief einen der Spurensicherung zu sich, „hilf mir mal den Knaben umzudrehen.“
Sie drehten Dean auf den Rücken, die Beamten staunten nicht schlecht. Im Bauch den jungen Mannes klaffte eine große Wunde.
„Das erklärt den hohen Blutverlust“, sagte die Medizinerin und betastete die Wunde.
„Ich gehe mal zu den jungen Leuten“, sagte der zweite Beamte und ging in den Gemeinschaftsraum, der eine blieb draußen.
„Die Wunde wurde mit einem Messer zugefügt, einschneidig, ich schätze ein herkömmliches Küchenmesser.“
„Gut zu wissen“, sagte der Kripobeamte und schrieb alles eifrig in sein kleines Notizbuch mit.
„Mit dieser Wunde sieht es nicht nach Suizid aus.“
„Nicht?“
„Nein oder würdest du dir erst ein Messer in den Bauch rammen und dann aus dem Fenster springen?!“
„Nicht wirklich, aber was ist, wenn das Opfer gemerkt hat, dass der Stich nicht ausreicht?“
„Ausgeschlossen, dieser Stich ist tief genug um sofort zu einem großen Blutverlust zu führen. Da ist der Sprung aus dem Fenster vollkommen überflüssig.“
„Da könntest du Recht haben.“
„Also ich bin hier fertig, mehr kann ich nach der Obduktion sagen.“
„Hast du eine kleine Ahnung vom Todeszeitpunkt?“
„Ich schätze vor einer Stunde. Plus, Minus fünfzehn Minuten.“
„Also etwa um dreizehn Uhr?!“
„In etwa.“
„Danke, Barbara“, der Beamte klappte sein Büchlein zu und steckte es wieder in die Innentasche seiner Jacke.
„Warte mal einen Moment“, Barbara griff zu Dean's linker Hand, öffnete sie angestrengt, die Leichenstarre hatte bereits eingesetzt und zog einen Zettel heraus, „sieh dir das an.“
Der Beamte nahm den Zettel, es war ein DIN A4 Blatt, herausgerissen aus einem Buch oder Heft.
„Das ist ja interessant“, murmelte er und steckte das Papier in eine durchsichtige Plastiktüte, dann ging er in den Gemeinschaftsraum.
„Ich bin Kriminaloberkommissar Rupert und das ist mein Kollege Maybach. Was genau ist passiert?“
Sarah meldete sich zu Wort und erzählte in allen Einzelheiten warum sie nach Dean suchte, wie sie ihn gefunden hatte und was danach geschehen war.
„Einen Selbstmord können wir ausschließen, das Opfer hatte eine große Wunde im Bauch, wahrscheinlich von einem Messer“, sagte Maybach und dann hielt er den Plastikbeutel hoch, „ist das die Schrift des Opfers?“
Sarah stand auf, nahm den Beutel und nickte dann.
„Den fanden wir in der linken Hand des Opfers, kennt jemand diese hier genannte Frau?“
Alle nickten traurig, Sarah erkannte, dass es genau das war was Dean ihr sagen wollte.
„Wo ist diese Person jetzt?“, fragte Rupert.
„Sie ist mit zwei weiteren Leuten von uns zum Supermarkt gefahren, sie müsste gleich wieder hier sein.“
Die Gruppe warf einen Blick auf den Flur, gerade wurde der Zinksarg mit Dean durch das Haus getragen, Sarah fing an hemmungslos leise zu weinen. In diesem Moment kam eine Frau Mitte Dreißig in den Raum gestürzt und ihr folgten hastig zwei weitere junge Menschen.
„Was ist passiert?“, fragte die Frau und sah dann die Kripobeamten, „entschuldigen Sie, Christina Müller mein Name.“
„Angenehm, Kriminaloberkommissar Rupert und mein Kollege Maybach.“
„Was ist denn hier los? Da komme ich vom einkaufen und was finden wir vor? Polizei!“
„Christina“, versuchte Matthias zu besänftigen, „wir haben Dean draußen tot aufgefunden.“
„Aber“, Christina war blass geworden und geriet ins stocken, „was ist denn nur passiert?“
„Wir wissen bisher nichts genaueres, nur, dass es kein Suizid war“, sagte Maybach.
Birte und Jan hatten die Szene stumm mitverfolgt, alle drei mussten sich setzen, Maybach hielt erneut den Plastikbeutel hoch.
„Wer ist Birte?“
„Ich“, die junge Frau mit den braunen Haaren und stechend grünen Augen meldete sich.
„Wissen Sie etwas darüber?“
„Kann ich das mal sehen?“, fragte Birte und bekam den Beutel ausgehändigt.
Mit erschrockenen Augen las sie sich die vier Wörter immer und immer wieder durch.
Birte, ich liebe dich!
„Das“, sie stockte, „das war mir nicht bewusst.“
Tränen bahnten sich ihren Weg das Gesicht hinunter, Vanessa legte tröstend ihre Arme um Birte.
Einer der Spurensicherung kam in den Raum und setzte die Gruppe über die Ergebnisse draußen in Kenntnis.
„Draußen sind wir soweit fertig, wir haben nichts Relevantes gefunden. Wir sehen uns jetzt das Zimmer des Opfers an.“
„Ich führe Sie hoch“, Christina ging mit den Beamten in die obere Etage.
„Weiß jemand von Ihnen woher das Blatt Papier stammen könnte?“, fragte Rupert, doch alle schüttelten mit den Köpfen, außer Sarah.
„Es könnte aus seinem Tagebuch sein“, schniefte sie, die anderen sahen überrascht auf.
„Ein Tagebuch?“, fragte Maybach, „jemand schreibt im Zeitalter von Computer und Internetblogs noch Tagebuch?“
„Ja“, nickte Sarah, „Dean schrieb regelmäßig in ein großes Notizbuch. Seine Gedanken und Träume, Wünsche und Sehnsüchte. Ich habe es selbst schon einmal gesehen, er hatte es immer mit.“
„Wenn das Buch hier ist werden die Jungs der Spurensicherung es finden“, sagte Maybach, er ging mit Rupert in Dean's Zimmer.
Die Beamten der Spurensicherung nahmen das Zimmer vollkommen auseinander, jeder Winkel wurde durchsucht, doch das Notizbuch blieb verschwunden. Ebenso gab es nicht eine einzige Blutspur, jemand war sehr bedacht darauf gewesen alle Spuren zu verwischen. Auch auf der Klinke befand sich nur ein Fingerabdruck.
„Der muss von Sarah Stein sein, sie hatte ja das Zimmer betreten, weil sie sich dort mit dem Opfer treffen wollte. Auch sagte sie, dass das Fenster zwar offen war, aber sie nicht hinaus geschaut hatte“, stellte Rupert fest.
„Richtig, aber wir müssen das Buch finden“, meinte Maybach und sah verzweifelt zur Decke, dann stach ihm etwas ins Auge.
„Ben, sieh dir mal bitte die Decke an.“
Der Beamte sah nach oben, dann fiel ihm auch auf, dass sich eine Platte nicht an der richtigen Stelle befand. Eine Ecke war schief, er organisierte eine Leiter und drückte gegen die besagte Platte, sie ließ sich hochheben. Tastend fühlte Ben in der Nische, seine Hände berührten Chipstüten, ein Kartenspiel und einen festen Gegenstand. Er holte es heraus und wedelte mit einem schwarzen Buch, DIN A4, ein Notizbuch.
„Da ist es“, sagte er, stieg von der Leiter und gab es dem Kriminaloberkommissar Rupert.
Er legte es auf den Schreibtisch im Zimmer und las sich die Seiten grob durch. Die letzte beschriebene Seite war die neben dem Zettel aus Dean's Hand.
„So wie ich das verstehe war das Opfer schon länger in die Frau verliebt, traute es sich aber nicht ihr seine Gefühle zu gestehen. Ich habe da eine Vermutung.“
„Welche?“, fragte Maybach und nahm das Buch in die Hand, er las sich die Seiten ebenfalls durch.
„Was ist, wenn es einen Rivalen gibt?“
„Meinst du einer aus der Gruppe?“
„Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Wir müssen uns die Personen getrennt vornehmen“, meinte Rupert und ging mit seinem Kollegen und dem Buch nach unten.
Während sich die Spurensicherung um das Zimmer kümmerte sprach die Gruppe weiterhin über die Umstände.
„Es war bestimmt Selbstmord“, meinte Georg, „und ein dämlicher dazu.“
„Wie meinst du das?“, fragte Matthias wütend, er mochte Georg und auch seine Art über Dean zu sprechen nicht.
„Dean hat sich bestimmt das Messer in den Bauch gerammt und als er merkte, dass es nichts bringt hat er sich aus dem Fenster gestürzt. So dumm war Dean nun mal, noch nicht einmal das hat er richtig gemacht.“
Georg hatte so abfällig über Dean's Tod gesprochen, dass Birte wie von der Tarantel gestochen aufgesprungen und auf ihn zugestürzt war, dann verpasste sie ihm eine Ohrfeige.
„Das hast du verdient“, sagte Annika und Georg rieb sich die getroffene Wange.
„Wenn du so was noch einmal sagst hau ich dir auch eine rein“, Matthias war vor Wut schon ganz rot im Gesicht, Birte setzte sich wieder und vergoss eine Träne nach der anderen.
„Mal etwas anderes“, fing Vanessa an, „wusstest du wirklich nichts von Dean's Gefühlen, Birte?“
„Nein“, sie schniefte, „hätte ich es doch nur gewusst. Warum sagte er denn nichts?“
„Ich vermute, dass er genau darüber mit mir sprechen wollte. In solchen Dingen war er sehr schüchtern und wusste wahrscheinlich nicht, wie er es dir sagen sollte.“
„Dean und Schüchternheit?“, warf Jan ein, Sarah nickte.
„Was wäre passiert, wenn er es dir gesagt hätte?“, wollte Sarah wissen.
Birte überlegte kurz, sie sah traurig nach draußen und lächelte leicht.
„Ich hätte ihm gesagt, dass es mir nicht anders ergeht. Aber auch ich habe mich nicht getraut es ihm zu sagen, wie blöd es mir jetzt vorkommt“, Birte fing wieder an zu weinen und Sarah tröstete sie.
In diesem Moment kamen die Kripobeamten wieder in den Raum. Sie erklärten, dass sie die Jungs von den Mädchen getrennt befragen wollten. Rupert ging mit Jan, Matthias, Georg und Tobias in einen Nebenraum. Maybach blieb bei Christina, Birte, Sarah, Vanessa und Annika. Nachdem sie sich in einen Stuhlkreis gesetzt hatten erzählte der Mann vom Fund des Buches.
„So wie es aussieht war das Opfer schon lange in Sie verliebt, Birte. Hatten Sie wirklich keine Kenntnis davon?“
Sie schüttelte nur mit dem Kopf, das Reden fiel ihr schwer.
„Erzählen Sie mir vom Opfer“, bat Maybach, Sarah fing an.
Im Nebenraum saß Rupert den Jungs gegenüber, ihnen war etwas mulmig zu mute. Nie hatten sie daran gedacht jemals einem Kriminaloberkommissar von einem toten Freund erzählen zu müssen. Matthias kannte Dean am besten und auch am längsten. Er erzählte mit einem Kloß im Hals von ihrer Kindheit und Jugend, die sie zusammen verbracht hatten. Von Kneipenabenden, LAN-Partys, Geburtstagsfeiern, wie sie zusammen Fußball gespielt hatten und die Meisterschaft gewannen. Matthias berichtete wie Dean war, wenn er mit anderen zusammen seine Zeit teilte und wie er war, wenn er mit ihm alleine unterwegs war. Auch die anderen Jungs konnten über den jungen Mann nur gutes berichten, auch Georg schien seine Worte bereut zu haben. Entweder, weil er Dean ebenfalls mochte oder weil er Angst vor Matthias hatte. Rupert schrieb alles, was ihm wichtig war, in ein kleines Notizbuch, nickte und hörte aufmerksam zu. Am Ende fragte er jedem nach seinem Alibi.
„Ich war draußen mit Annika und Vanessa. Wir haben zusammen auf der Terrasse eine Zigarette geraucht, vorher hatten wir Karten gespielt. Etwa von elf Uhr an, bis wir Dean fanden. Sarah war bis kurz vor Eins auch dabei“, sagte Matthias und Jan machte weiter.
„Ich war mit Christina und Birte seit zwölf Uhr im Supermarkt“, er kramte in seiner Hosentasche und zog einen Kassenbon hervor, „ich habe mir eine Schokolade gekauft.“
Rupert nahm den Bon und sah sich die Uhrzeit an, 12:45 Uhr.
„Ich kenne den Supermarkt, man braucht fünfzehn Minuten hin und zurück. Was ist mit Ihnen Tobias?“
„Ich war im meinem Zimmer und habe ein Buch gelesen“, gab er zu Protokoll, Rupert sah von seinem Notizbuch auf.
„Kann das jemand bestätigen?“
„Nein“, Tobias war bleich geworden, „aber ich hatte nichts gegen Dean, er war mein Freund.“
Rupert nickte und schrieb in sein Buch.
„Ich war ebenfalls oben, habe geduscht und mich dann etwas auf das Bett gelegt um mich auszuruhen“, gab Georg an, „das kann aber auch niemand bestätigen. Tut mir leid.“
Auch die Aussage wurde vom Kripobeamten notiert, bereits jetzt schon hatte sich ein kleiner Verdacht in seinem Gehirn eingenistet.
„Gut, wir haben die Informationen, dass es eventuell einen Rivalen gibt. Die Notizen in dem Buch des Opfers lassen darauf schließen. Kann sich jemand vorstellen, wer das sein könnte?“
„Keine Ahnung“, meinte Matthias und studierte die Gesichter seiner Freunde, auch Rupert entging nichts.
Doch es schien niemand überrascht oder beunruhigt zu sein.
Auch Maybach erzählte von den Eintragungen in Dean's Buch, Sarah sah ihn mit einem festen Blick an.
„Vielleicht kenne ich einen, der etwas gegen Dean deswegen haben könnte. Aber ich will Ihnen nicht vor allen hier den Namen sagen.“
„Das ist kein Problem, wir können uns im Anschluss dieser Gruppenbefragung erneut unterhalten. Nun hätte ich gerne von Ihnen Ihre Angaben wo sie zwischen halb Eins und viertel nach Eins waren und was Sie gemacht haben.“
„Ich habe erst bis kurz vor ein Uhr mit Annika, Matthias und Vanessa draußen Karten gespielt, dann bin ich zu Dean ins Zimmer gegangen. Wir waren dort verabredet, da ich ihn aber nicht vorfand habe ich mich auf die Suche nach ihm gemacht“, sagte Sarah, die anderen Mädchen bestätigten das.
„Ich war zusammen mit Christina und Jan im Supermarkt“, gab Birte an, Christina zeigte dem Kriminaloberkommissar den Kassenbon.
„Sehr schön, dann darf ich Sie, Sarah, bitten mit mir in ein anderes Zimmer zu gehen. Dort können Sie mir Ihren Verdacht erläutern.“
Sie standen auf und verließen den Raum, fragend sahen die anderen ihnen nach.
„Sarah weiß doch etwas“, sagte Annika und Vanessa nickte.
„Das ist alles sehr mysteriös. Wer hätte Dean so hassen können, dass er dafür einen Mord begeht?“, fragte Christina verzweifelt in die Runde, die anderen Mädchen schluckten hart.
Zum ersten Mal fiel das Wort Mord in Verbindung mit Dean's Tod.
Maybach war mit Sarah in einem Raum verschwunden und nahm aus seiner Tasche ein Diktiergerät. Er stellte es auf einen Tisch und fing an Sarah erneut zu vernehmen.
„Was wissen Sie?“, fragte Maybach und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
„Es ist ein Verdacht, weil Dean mir etwas sagte, was mich stutzig gemacht hatte. Er sagte vor zwei Tagen, als wir ankamen, dass er vielleicht etwas tun würde was eine Person ihm übel nehmen wird. Ich wusste nicht was er meinte, aber Dean sagte oft mysteriöse Dinge und so fragte ich nicht weiter nach. Doch als ich gestern in den Keller ging um Billard zu spielen konnte ich ein Gespräch belauschen.“
„Zwischen wem?“
„Dean stritt sich mit Georg im Abstellraum.“
„Haben Sie hören können worum es bei dem Streit ging?“
„Nicht genau, dazu war die Tür zu dick. Aber es fielen die Worte: Lass das bleiben, wage es nicht und du wirst es bereuen.“
„Wer sagte das zu wem?“
„Ich glaube das sagte Georg zu Dean. Dann gab es einen Knall, Dean brüllte ihn an und verließ dann den Abstellraum.“
„Können Sie sich einen Reim darauf machen?“
„Wenn ich so jetzt darüber nachdenke würde ich sagen es ging um Dean's Gefühle zu Birte und dass er ihr sagen wollte was Sache ist.“
„Vielen Dank, das wird uns sicherlich weiterhelfen“, sagte Maybach, schaltete das Diktiergerät aus und verließ mit Sarah den Raum, um wieder zu den anderen zu gehen.
Auch die Jungs waren wieder mit Rupert da, die beiden Beamten beratschlagten sich flüsternd.
„Wir müssen noch den Obduktionsbericht abwarten, da Sie alle nicht von hier kommen wird es sehr schnell gehen. In einer Stunde dürfte das Ergebnis da sein, bis dahin haben wir noch etwas Zeit.“
In diesem Moment betrat Ben von der Spurensicherung den Raum, in der Hand trug er einen durchsichtigen Plastikbeutel mit sich indem ein Messer war.
„Das haben wir in der Küche gefunden, es passt zu der Wunde des Opfers. Es sind Fingerabdrücke darauf.“
„Dann sammle von jedem die Prints und ab in das Labor zur Untersuchung. Ich will die Ergebnisse noch vor dem Obduktionsbericht“, drängte Rupert und Ben machte sich an die Arbeit.
Die Zeit verstrich zäh, alle paar Minuten sah einer aus der Gruppe auf die Uhr. Sarah tigerte im Raum auf und ab und die anderen rutschten nervös auf ihren Stühlen hin und her. Ein uniformierter Beamte bewachte die Gruppe und folgte Matthias, Vanessa und Annika auf die Terrasse damit sie rauchen konnten. Sie vermieden es die Ecke, hinter der Dean gefunden wurde, anzusehen. Leicht flatterte das rot-weiß gestreifte Plastikband mit der Aufschrift Polizeiabsperrung, zwischen Ecke und einem Baum, im Wind. Die Freunde sprachen über Gott und die Welt, kamen aber immer wieder auf Dean zu sprechen.
„Ich kann mir nicht helfen, aber die Tatsache, dass Dean tot ist will mir einfach nicht in den Kopf“, gab Matthias preis, den anderen erging es nicht anders.
„Ich denke“, sagte Vanessa traurig, „das wird auch noch einige Zeit dauern.“
„Arme Birte, sie liebten sich und keiner sagte etwas. Das ist echt beschissen“, meinte Annika und zog nervös an ihrer Zigarette.
Triumphierend wedelte Ben mit einer braunen Mappe vor den Nasen von Rupert und Maybach, er hatte es geschafft in Windeseile seine Untersuchungen abzuschließen. Sie lasen sich den Bericht durch und auch einen Augenblick später kam ein uniformierter Beamte und brachte den Obduktionsbericht von Doktor Barbara Meier.
„Ich denke Sie wollen alle wissen was wir durch die Untersuchungen herausgefunden haben“, Rupert sah in die Runde, die Nerven der Freunde war zum zerreißen gespannt.
„Nun, das Opfer starb um kurz nach ein Uhr, das bedeutet zwei von Ihnen müssen uns auf die Wache begleiten. Todesursache war der Stich in den Unterbauch, den Sturz hatte das Opfer überlebt. Georg und Tobias, Sie beide kommen mit uns.“
Die Gruppe sah sich an, Entsetzen hatte sich verbreitet, niemand wusste was das zu bedeuten hatte. Die beiden Jungs wurden von Beamten zum Präsidium gefahren und die Gruppe war alleine im Haus.
Getrennt von einander wurden Tobias und Georg von Rupert und Maybach zu den Umständen befragt. Sie waren die einzigen ohne Alibi und auch die Ergebnisse der anderen Untersuchungen ließ Fragen an die zwei offen. Rupert hatte sich im Georg in einen Raum gesetzt und Maybach mit Tobias.
„Sie haben kein Alibi, Tobias, deswegen sind Sie hier.“
„Ich verstehe.“
„Wie stehen Sie zu Birte?“
„Wie meinen Sie das?“, Tobias sah den Kripobeamten fragend an.
„Haben Sie Gefühle für diese Person?“
„Ach darum geht es“, Tobias atmete auf, „da kann ich Sie beruhigen, Birte ist und bleibt eine einfach Freundin für mich. Wissen Sie, ich bin schwul und glücklich vergeben.“
„Ausgezeichnet. Wir wissen von einem Streit zwischen Georg und dem Opfer. Wie war aus Ihrer Sicht die Freundschaft zwischen den beiden?“
„Freundschaft ist zu viel gesagt. Wir kennen uns alle etwa gleich lang, aber Georg nicht, er kam erst vor drei Jahren in unsere Clique. Von Anfang an gab es Reibungen zwischen Dean und ihm.“
„Warum?“
„Georg hat eine spezielle Art und Dean auch, sie waren wie Feuer und Wasser. Mit der Zeit versteht man sich soweit, dass man miteinander auskommt.“
„Können Sie sich vorstellen, dass es zu einer Eskalation gekommen sein könnte?“
„Möglich. Dean war ein Starrkopf und auch Georg behaart nur auf seiner Meinung und seinem Recht. Das machte es auch so schwierig für die beiden richtige Freunde zu werden. Und zur Not können auch beide ordentlich austeilen.“
„Sie meinen eine Schlägerei?“
„Genauso ist es. Dean war ein netter Mensch, aber er konnte auch unangenehm werden, wenn er merkte, dass sein Gegenüber ihn provoziert oder so etwas in der Art.“
„Danke, das war sehr aufschlussreich.“
Im Raum saßen sich Rupert und Georg gegenüber. Der junge Mann war sichtlich nervöser geworden seitdem er im Präsidium saß. Der Kriminaloberkommissar wusste, dass Georg dazu auch allen Grund hatte. Mit einem überlegenden Lächeln öffnete er die braune Mappe und legte Georg drei Fotos vor.
„Das ist die Tatwaffe, auf ihr waren Fingerabdrücke. Und jetzt dürfen Sie raten von wem die wohl sind. Richtig, von Ihnen!“
„Das ist möglich, ich hatte gestern für die Gruppe gekocht.“
„Glauben Sie, dass ich Ihnen das abkaufe? Dieses Messer wurde nicht von Ihnen zum kochen genutzt. Und wissen Sie auch warum wir das sagen können?! Wir haben alle Messer aus der Küche untersucht und nirgends waren Fingerabdrücke darauf zu finden, bis auf der Tatwaffe. Was sind Sie von Beruf?“
„Ich bin arbeitssuchend“, seufzte Georg.
„Ich frage anders, was haben Sie gelernt?“
„Ich habe eine Ausbildung zum Werkzeugmacher gemacht.“
„Falsch! Sie haben diese besagte Ausbildung nach einem halben Jahr abgebrochen und sich dann ganz dem Kochen gewidmet. Sie haben gestern für die Gruppe gekocht?“
„Ja, das sagte ich bereits.“
„Was macht ein ausgebildeter Koch beim Pizza backen mit einem Deba-Messer? Mit einem 20 Zentimeter langem, japanischen Messer?“
Georg war noch mehr in sich zusammen gesunken.
„Zudem haben wir die Zeugenaussage, dass Sie einen Streit mit dem Opfer hatten und die Worte lass das bleiben, wage es nicht und du wirst es bereuen gefallen sind. Außerdem haben Sie kein Alibi und versuchen sich hier herauszureden.“
„Aber“, Georg wusste nichts darauf zu sagen, Rupert machte weiter Druck.
„Am Messer wurden winzige Blutspritzer gefunden, das Blut stammt vom Opfer. Sie haben versucht alle Spuren zu verwischen, aber Ihnen sind Fehler passiert. Zum einen haben Sie das Tagebuch des Opfers versucht zu verstecken, dann haben Sie die Tatwaffe nicht richtig gereinigt und sich zudem noch Abfällig über den Tod des Opfers geäußert. Aber das wichtigste, Sie sind im Tagebuch erwähnt worden!“
Das war das endgültige Aus für Georg, er war blass und schwitze stark.
„Ich zitiere“, Rupert öffnete das Buch und schlug die vorletzte Seite auf, „mein Plan wird immer wahrscheinlicher, ich warte darauf was Sarah dazu sagen wird. Ich liebe Birte seit Ewigkeiten, schon viel zu lange habe ich ihr meine Gefühle verschwiegen. In dieser Woche wird es in diesem Haus passieren. Hoffentlich kommt mir G. nicht dazwischen. Er war ja auch schon hinter Birte her, aber sie hat ihn abblitzen lassen. Warum weiß ich allerdings nicht! Ich werde ihn ausstechen und Birte erobern.“
Georg senkte den Blick, Maybach kam in den Raum, Tobias saß auf dem Flur.
„Das war Ihr letzter Fehler, anstatt die Seite zu vernichten oder das Buch komplett verschwinden zu lassen haben Sie alles was darin steht so gelassen. Klar könnte man sagen, dass G. auch jemand anderes als Sie sein könnte, aber wir haben uns nach den anderen Fakten darauf geeinigt, dass nur Sie gemeint sein können. Wenn Sie jetzt gestehen kann das nur zu Ihrem Vorteil sein.“
„Ja“, sagte Georg, er hatte aufgegeben, „ja ich habe Dean das Messer in den Bauch gerammt und ich habe ihn auch aus dem Fenster geworfen. Es sollte wie ein Suizid aussehen, aber ich habe Fehler gemacht.“
„Was war das für ein Streit?“, fragte Maybach.
„Dean sagte mir, dass er sich Birte offenbaren wollte und da sind bei mir die Alarmglocken angegangen. Ich liebte Birte schon viel länger als er, doch sie hat mir einen Korb gegeben. Jetzt weiß ich auch warum! Und als er Sarah zu sich bestellte wusste ich genau was die beiden zu besprechen hatten. Also nahm ich das Messer und griff ihn an. Dabei muss er die Seite aus dem Buch gerissen haben. Ich habe panisch realisiert was ich getan hatte und alles versteckt. Ich wischte das Blut auf, duschte und brachte das Messer zurück. Es tut mir leid, ich hatte es nicht gewollt. Aber mir sind die Sicherungen durchgebrannt.“
„Ich verhafte Sie wegen des dringenden Tatverdachts des Mordes an Dean Douglas Hormann. Sie haben das Recht auf einen Anwalt.“
Georg nickte, stand auf und bekam von Maybach die Handschellen angelegt. Er wurde von dem Kriminaloberkommissar aus dem Raum geführt, Tobias stand von dem Wartestuhl auf, als er sah, dass Georg abgeführt wurde. Die Blicke der beiden trafen sich, Tobias sah Reue und Traurigkeit in Georgs Augen. Später wurde Tobias von einem Beamten zum Haus zurückgefahren und berichtete den anderem von den Ereignissen.
Eine Woche später wurde Dean unter großer Anteilnahme beerdigt. Christina sprach eine Grabrede und sie hörten Dean's Lieblingsmusik. Birte wusste, dass sie an ihm noch lange hängen würde. Sie verabschiedeten sich alle am Friedhofstor, für alle kam eine schwere Zeit auf. Ein paar mussten in psychologische Obhut um alles zu verarbeiten.
Einen Monat später wurde in einem Eilverfahren Georg wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Er verzichtete auf ein Revisionsantrag und nahm das Urteil schweigend und ohne Regungen entgegen. Die Freunde waren alle da, machten ihre Aussagen und beobachteten Georg. Er hatte beim Schlusswort vor der Urteilsberatung des Richters nochmals erwähnt, dass er bereute. Sein Anwalt hatte auf Totschlag plädiert, doch die niedrigen Beweggründe sprachen eindeutig dagegen. Georg hatte einen Menschen umgebracht, die Tat verschleiern wollen und das alles nur, weil er es nicht ertragen konnte seine Herzensdame in den Armen dieses Menschen zu sehen. Die Freunde feierten das Urteil, mit Georg hatten sie, trotz seiner Reue, gebrochen. Mit einem Mörder wollten sie alle nichts mehr zutun haben.
Noch heute trifft sich die Gruppe an Dean's Todestag auf dem Friedhof, denken an ihn und gehen dann zusammen in ein Restaurant. Sie nehmen Fotos mit, lachen über die Geschichten, die sie zusammen erlebt haben und trauern um ihren Freund, der mit nur 25 Jahren aus ihrem Leben schied. Birte blieb auch noch für viele Jahre alleine, erst als sie sieben Jahre später Sebastian kennenlernte, heiratete und mit ihm einen Sohn namens Dean bekam, war für sie die Trauer abgeschlossen. Ihr Mann verstand es und versprach immer auf sie Acht zu geben.
Tobias und sein Lebensgefährte schleppten sich gegenseitig ebenfalls vor den Altar und auch die anderen fanden ihre Traumpartner.
Vielleicht sah Dean ihnen von einer Wolke aus zu und wartet auf sie!
Texte: Dean Douglas Hormann
Bildmaterialien: Google
Lektorat: S. Hormann
Tag der Veröffentlichung: 15.08.2016
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
„Verzweiflung ist keine Todessehnsucht, sondern die Sehnsucht, nicht mehr leben zu müssen.“
(Erhard Blanck; * 1942; deutscher Heilpraktiker; Schriftsteller und Maler)