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Freund oder Feind?

Der Schrei war kurz und tief, dann folgte ein dumpfer Aufschlag. Als fünf Personen angerannt kamen wussten sie nicht was passiert war. Sie fanden ihren Freund zwar bei Bewusstsein, doch schwer, sehr schwer verletzt. Er schien aus jeder Pore zu bluten, Knochen waren gebrochen und sein Blick war seltsam milchig. Erst als der Krankenwagen kam um ihn zu retten schloss der junge Mann seine Augen.

 

Der Gerichtssaal war voll mit der Presse, Zuschauern und den Rechtssprechern. Einen solchen Fall war in der Stadt im Ruhrgebiet noch nie verhandelt worden. Zwar hatte das Gericht Einbrecher oder Randalierer bestraft, doch nie zuvor war ein Fall so brisant und von öffentlichem Interesse, wie dieser. Der Raum war erfüllt von Fotografen, die das letzte Bild des Angeklagten vor der Verhandlung machen wollten, von den Diskussionen der Anwesenden und den letzten Berichten der Nachrichtensprecher.

Dennis saß auf der Anklagebank und hielt die letzte Rücksprache mit seinem Anwalt. Der 55-jährige Mann trug seine schwarze Robe und sah während des Gespräches seinen Gegner, Staatsanwalt Doktor Jochen Raching, eisig an. Als sich am Kopf des Saals die Tür öffnete und Richter Harming mit seinen Beratern und der Gerichtsschreiberin den Raum betrat standen alle Anwesenden auf und setzten sich nach einem Nicken des Richters wieder auf ihre Plätze. Die Reporter wurden von den Justizbeamten darauf hingewiesen die Kameras auszuschalten und das Fotografieren zu unterlassen. Der Richter sah sich um und schlug die Akte auf, dann begann er die Verhandlung zu eröffnen: „Heute verhandeln wir den Fall von Dennis Meier. Herr Staatsanwalt, Ihr Anfangsplädoyer.“

„Hohes Gericht, am 12. November um 15.35 Uhr stürzte das Opfer Dean Douglas Hormann aus dem zweiten Stock einer Jugendherberge und verletzte sich schwer. Er war mit mehreren Kindern auf einer Freizeit die von der evangelischen Kirche organisiert wurde. Nach den Ermittlungen der Polizei wurde festgestellt, dass der Angeklagte Dennis Meier ein Tatmotiv hat und er wurde verhaftet. Das Opfer liegt derzeit im Koma und schwebt immer noch in Lebensgefahr. In diesem Verfahren soll die Schuldigkeit des Angeklagten festgestellt werden und dem Opfer Recht geschehen. Die Anklage lautet Versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Strafgesetzbuch §212 und Strafgesetzbuch §224.“

„Danke, Herr Staatsanwalt. Nun, Herr Meier was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?“, der Richter wandte seinen Kopf zu Dennis, der in sich zusammengesunken und regungslos auf seinem Stuhl saß.

Sein Anwalt ergriff das Wort: „Mein Mandant verweigert eine Aussage.“
Diese Bemerkung ließ das Gesicht von Herrn Doktor Raching verfinstern, er hasste es wenn sich Angeklagte auf das Aussageverweigerungsrecht besannen.

„Dann bitte ich die erste Zeugin herein.“

Die Tür hinter den Zuschauerrängen öffnete sich und eine junge Frau betrat den Raum, ihre Augen waren vom Weinen verquollen, sie trug einen schwarzen Hosenanzug und ihre Finger umspielten nervös ein kleines Stofftaschentuch mit eingestickten Initialen D und H. Sie nahm an dem Tisch mit dem Mikrofon zwischen dem Staatsanwalt und der Anklagebank platz. Die kleinen Schwingtüren, durch die sie gegangen war, bewegten sich noch nach. Richter Alexander Harming sah die junge Frau mitfühlend an und auch die Miene des Staatsanwaltes drückte Bedauern aus.

„Schön, dass Sie gekommen sind“, begann der Richter, Birte nickte nur schwach, „ich weiß es ist schwer, doch Ihre Aussagen können bestimmt zu dem Fall beitragen. Sie heißen Birte Neumann, geboren am 19.02.1989 in Unna, wohnhaft in Kamen, verwandt oder verschwägert sind Sie mit dem Angeklagten nicht?“

„Nein.“

„Was machen Sie beruflich?“

„Ich bin Familienberaterin beim städtischen Jugendamt in Bergkamen.“

„Was können Sie uns zu dem 12. November sagen?“

Birte seufzte leise, doch dann begann sie ihre Version des Nachmittags zu erzählen: „Ich war in der Küche mit den letzten Vorbereitungen für das Kaffeetrinken um 16.00 Uhr beschäftigt, als eine Freundin zu mir kam und mich nach Draußen zerrte. Erst wollte ich nicht, weil der Kuchen im Backofen fast fertig war und ich ihn jeden Moment hätte herausnehmen müssen. Als ich nach draußen kam und zu den anderen ging sah ich Dean blutend auf dem Boden der Terrasse liegen. Er lag auf dem Bauch und blutete stark aus unbestimmten Körperregionen. Ich war geschockt“, sie blickte einmal kurz mit finsterer Miene zu Dennis, doch der saß mit gesenktem Blick auf dem schwarzen Stuhl.

Seine Hände lagen gefaltet auf seinem Schoß und man hätte meinen können, dass er betete.

„Was ist dann passiert?“, fragte Richter Harming, er wusste wie schwer es war, wenn ein Freund im Koma um sein Leben kämpfte und ein anderer Freund beschuldigt wurde der Verursacher zu sein.

„Als der Krankenwagen kam und Dean mitnahm erschien auch die Polizei um den Fall zu untersuchen. Wir blieben alle zurück.“

„Gut“, der Richter nickte und erteilte dann dem Staatsanwalt das Wort.

Herr Doktor Raching erhob sich und ging zu einem Chartboard zu seiner Rechten, er schlug die erste Seite des DIN A3- Blockes um und legte eine Verbindungskette frei, die er mit einem roten Stift auf das Papier geschrieben hatte, doch die Felder waren frei. Er griff zu einem schwarzen Stift und wandte sich dann an Birte: „Wenn Sie sich das hier einmal ansehen könnten.“
Birte drehte sich zu dem Staatsanwalt um und blickte diesen fragend an.

„Ich möchte zuallererst feststellen, wie Sie in welcher Verbindung zu wem stehen. Fangen wir mit dem Angeklagten an.“

„Dennis und ich waren drei Jahre lang ein Paar.“

„Wann war das?“

„Von 2008 bis 2011.“

„Gut, wer von Ihnen hat diese Beziehung beendet?“

„Das war ich, ich fand mich damals kaum im Studium zurecht und fand es nur fair mich von ihm zu trennen.“

Herr Doktor Raching schrieb die Namen und Daten auf und verband sie durch einen Strich, ebenso mit einem Blitz, der die Trennung symbolisierte.

„Wie war Ihre Verbindung mit dem Opfer?“

„Dean und ich sind seit 2012 ein Paar.“

Auch das notierte der Staatsanwalt fleißig, das Zeichen dieser Beziehung war ein Herz auf der Linie zwischen Birte und Dean. Er setzte sich wieder auf seinen Stuhl und befragte Birte weiter: „Waren die Gefühle von Ihnen zu Herrn Meier völlig erloschen?“

„Ja, wir hatten uns auseinander gelebt und als das Studium kam sah ich keine Zukunft mehr.“

Dennis sah plötzlich auf und in seinen Augen schimmerten Tränen, dem Staatsanwalt entging das nicht, doch er schwieg zu dieser Emotion. Es war sein Trumpf, den er bis zuletzt behalten wollte.

„Eine Frage habe ich noch, Frau Neumann, trauen Sie es dem Angeklagten zu das Opfer aus dem zweiten Stock gestoßen zu haben?“

„Ich weiß es nicht.“

Ein lautes Raunen ging durch zu Zuschauerreihen und es entstand eine kurze Unruhe, die der Richter durch laute Rufe wieder unter Kontrolle brachte.

„Danke, ich habe keine weiteren Fragen.“

Jetzt bekam Verteidiger Herr Harald Hümpelt das Wort: „Frau Neumann, Sie haben bei der Polizei ausgesagt, dass Ihre Beziehung zu Herrn Hormann geheim war. Können Sie uns verraten warum?“

„Aber natürlich. Wir wusste ja, dass wir durch unsere Arbeit in der Kirchengemeinde viel Kontakt zu Dennis haben würden und wir nahmen auf die Vergangenheit Rücksicht.“

„Das klingt mir zu rücksichtsvoll um Wahr zu sein.“

„Was unterstellen Sie mir da?“, fauchte Birte, plötzlich wich ihre Traurigkeit der Wut und sie funkelte den Verteidiger wütend an.

„Das möchte ich auch gerne wissen“, mischte sich der Staatsanwalt ein, Herr Hümpelt lächelte geheimnisvoll.

„Ich habe herausgefunden, dass das Opfer es mit der Ehrlichkeit meistens nicht so genau nahm.“

„Da muss ich Ihnen widersprechen“, sagte Birte und sah den Mann kühl an, „Dean ist einer der ehrlichsten Menschen, die ich kenne. Dennis ist der Verlogene!“

„Wie meinen Sie das?“, jetzt sprach der Richter, ihm wurde der Zwist zwischen Staatsanwalt und Verteidiger zu bunt, er kannte die Rivalität nur zu gut.

Birtes Stimme wurde wieder ruhig, als sie mit dem Richter sprach: „Sehen Sie, als ich mich von Dennis trennte spionierte er mir monatelang nach bis ich ihm mit der Polizei drohte und er dachte sich immer neue Geschichten aus um wieder mit mir in Kontakt zu kommen.“

„Brennende Liebe ist das, Frau Neumann“, sagte Herr Hümpelt und lächelte die Zeugin an, der Staatsanwalt mischte sich erneut ein: „Brennende Eifersucht und eine Krankheit in meinen Augen, die Ihren Mandanten zu einer Bestie werden ließ.“
„Das ist eine Unterstellung, Herr Doktor Raching.“

„Bitte meine Herren“, sagte Richter Harming, „haben Sie noch eine Frage an die Zeugin, Herr Hümpelt?“

„Keine weitere Frage.“

„Dann“, der Richter zeigte auf eine Stuhlreihe hinter dem Vernehmungspult der Zeugen, „bleiben Sie unvereidigt und dürfen Platz nehmen.“

„Der nächste Zeuge, bitte.“

Die Türen öffneten sich erneut und herein kam ein fast zwei Meter großer Mann mit Dreitagebart, dunklen Ringen unter den Augen, in schwarzer Kleidung und schwarzen schweren Schuhen. Er nahm schwerfällig Platz auf dem Stuhl auf dem zuvor Birte gesessen hatte und warf seine langen schwarzen Haare zurück. Nervös strich er sich eine Strähne hinter die Ohren, seine Fingernägel waren abgekaut und brüchig.

„Herr Matthias Jene, Sie sind am 25.12.1991 in Unna geboren, wohnhaft in Dortmund und sind weder verwandt noch verschwägert mit dem Angeklagten?“

„Nein“, seine Stimme war tief, fast nur ein Grollen und seine Blicke hätten Dennis umbringen können, sein Hass auf den jungen Mann auf der Anklagebank war noch offensichtlicher und deutlicher als bei Birte.

„Was sind Sie von Beruf?“

„Ich bin Kraftfahrzeugaufbereiter.“

„Was können Sie uns zu dem Tattag sagen?“

„Ich war voll mit dabei, ich habe alles mitbekommen. Wir standen draußen auf der Terrasse zum rauchen, als wir einen kurzen Schrei und dann ein dumpfes Geräusch hörten.“

„Was haben Sie dann gemacht?“

„Wir sind dem Geräusch gefolgt und fanden Dean auf den Steinen liegend. Wir alarmierten die Polizei und den Krankenwagen und leisteten erste Hilfe so gut wir konnten. Als der Rettungswagen kam wurde Dean abtransportiert.“

„Herr Staatsanwalt, darf ich bitten?“

„Selbstverständlich“, Doktor Raching ging erneut zu seinem Chartboard und griff zum schwarzen Stift, „wie war Ihre Beziehung zu dem Angeklagten?“

„Dennis ist kein Freund von mir, aber auch kein Feind. Man akzeptiert sich und arbeitet zusammen, mehr war da nie.“
Der Staatsanwalt notierte die Verbindung und kennzeichnete sie durch einen Pfeil mit Spitzen an beiden Enden, darüber ein Plus und ein Minus.

„Und zwischen Ihnen und dem Opfer?“

„Dean ist mein bester Kumpel, wir kennen uns seit der Grundschule.“

Auch das wurde aufgeschrieben, erneut mit dem Pfeil mit beiden Spitzen an den Enden, doch auf dem Strich gab es ein Doppel-Plus.

„Und nun zu Ihrer Beziehung zu der Zeugin Birte Neumann.“

„Birte und ich sind Freunde, eng durch die Beziehung zwischen ihr und Dean.“
Wieder markierte Doktor Raching die Verbindung, dann setzte er sich scheinbar zufrieden auf seinen Stuhl.

„Sie wussten von der Liebesbeziehung zwischen dem Opfer und Frau Neumann?“

„Natürlich, ich war der Einzige der es vor der Tat erfuhr. Schließlich haben Dean und ich uns alles erzählt, Birte war damit einverstanden.“

„Gut“, der Staatsanwalt erhob sich erneut und ging zum Chartboard, er blätterte das erste Blatt um und auf dem Zweiten war ein Umriss der Jugendherberge.
„Zeigen Sie uns doch bitte wo Sie und ihre Freunde geraucht haben und wo das Opfer auf den Boden aufschlug.“
Matthias stand auf, er war um einiges größer als der Staatsanwalt und nahm sachte den Stift in die Hand. Er markierte mit einem X die Stelle an denen er mit den anderen stand und mit einem roten X die Stelle an der Dean auf die Terrasse fiel.


„Danke, Sie dürfen sich wieder setzten“, Doktor Raching nahm ebenfalls wieder Platz und sprach weiter: „Sie haben also den Schrei und den Aufschlag gehört und sind dann um die Ecke gegangen um zu sehen was passiert war.“
„So ist es.“
„Keine weiteren Fragen.“
„Herr Hümpelt, Ihr Zeuge.“
„Danke, Herr Jene, ich stelle Ihnen nur eine Frage und ich möchte eine ehrliche Antwort. Trauen Sie meinem Mandanten diese Tat zu?“

Matthias blickte Dennis an, lehnte sich nah an das Mikrofon und grollte ein „Ja!“ in das Gerät. Ein erneutes Raunen schwang durch die Menge der Zuschauer und die leisen Diskussionen fingen erneut an, Richter Harming hatte mehr Schwierigkeiten die Menge wieder unter Kontrolle zu bringen, doch er schaffte es.

„Keine weiteren Fragen“, sagte Herr Hümpelt und schrieb dabei etwas in seinen Block.
„Dann bleiben Sie unvereidigt, setzten Sie sich bitte neben Frau Neumann.“
Matthias stand auf, setzte sich neben Birte, die ihren Kopf traurig an seine linke Schulter lehnte, sie war müde und erschöpft.

„Dann bitte die nächste Zeugin.“

Durch die Tür kam eine Frau mittleren Alters, ihre blonden Haare waren mit einem Zopf nach hinten gebunden, ihre Augen waren von Lachfalten umgeben und doch strahlten sie keine Freudigkeit aus. Seufzend setzte sie sich auf den Stuhl und rückte näher an den Tisch. Richter Harming fing an: „Sie heißen Christina Gnade und sind am 01.06.1960 in Hannover geboren. Wohnhaft sind Sie in Kamen und mit dem Angeklagten weder verwandt noch verschwägert.“
„Korrekt.“
„Ihr Beruf?“

„Ich bin die Jungendreferentin der Kirchengemeinde.“

„Was können Sie uns über den Nachmittag des 12. November erzählen?“
„Ich hörte einen Aufruhr, ich war mit der Reinigung einer der Toiletten beschäftigt, auf der sich eines der Kinder zuvor übergeben hatte. Ich ging zu den anderen im Haus und fragte nach was das zu bedeuten habe, sie wusste es allerdings auch nicht. Ich wurde erst über alles informiert als der Krankenwagen Dean mit der Bahre abtransportierte.“

„Herr Staatsanwalt, Ihre Fragen.“

Doktor Raching stand direkt auf und kehrte zum Chartboard zurück, schlug die erste Seite auf und fragte nach den Beziehungen.

„Wir kennen uns schon ewig und das Verhältnis zwischen meinen Mitarbeitern und mir ist freundschaftlich.“
Der Staatsanwalt malte die entsprechenden Pfeile mit den Pluszeichen auf, dann kehrte er zu seinem Tisch zurück: „Frau Gnade, Sie waren bestimmt geschockt, als die Ermittlungen der Polizei den dringenden Tatverdacht gegen den Angeklagten erhärteten, oder?“
„Natürlich, ich wusste nicht, dass Dennis zu solch einer Tat fähig sein könnte.“
„Sie glauben also auch, dass der Angeklagte Schuld an dem Vorfall trägt?“

„Nun, was ich glaube oder nicht, tut hier nichts zur Sache und zutrauen würde ich es Dennis auch nicht. Aber wenn sich Dean und er kurz vor dem Sturz gestritten haben hätte es leicht passieren können.“

„Was meinen Sie damit?“

„Dean ist ein Hitzkopf und Dennis ist auch ziemlich stur, beide sind kräftig gebaut und wenn sie sich handgreiflich in den Haaren hatten hätte es passieren können.“

„Wissen Sie was die Ermittlungen der Polizei ergeben hat?“

Christina schüttelte den Kopf.
„Nun“, begann Doktor Raching, „die Hämatome am Rücken des Opfers lassen daraus schließen, dass der Täter ihn von hinten gestoßen haben musste. Hinterhältig und arglistig, das Fenster hatte bereits offen gestanden.“

Aus Christinas Gesicht war jegliche Farbe gewichen, ihr schien bewusst zu werden, dass Dennis tief in der Tinte saß.

„Das,“ stammelte sie erschrocken, „hatte ich nicht gewusst.“

Der Staatsanwalt spielte seinen ersten Trumpf aus: „Leider schweigt der Angeklagte verdächtigerweise über den Vorfall.“
Abrupt drehte sich Christina zu Dennis um, der den Kopf hob und fuhr ihn an: „Rede endlich, haben wir dir nicht beigebracht zu Dingen zu stehen die man begangen hat?“

„Ich kann nicht“, hauchte Dennis und versank wieder in sich zusammen.

„Keine weiteren Fragen.“
Herr Hümpelt ordnete kurz seine Unterlagen und stellte dann seine Frage: „Frau Gnade, wussten Sie von der Beziehung zwischen dem Opfer und meinen Mandanten?“

„Explizit wusste ich nichts davon, aber ich hatte mir gedacht, dass es eine neue Frau in Dean's Leben geben musste.“
„Wie kommen Sie darauf?“

„Dean war es sehr schnell anzumerken, wenn es ihm sehr gut ging, meist war das der Fall, wenn er sich in einer glücklichen Beziehung befand.“
„Sah man es ihm auch an, wenn es ihm nicht so gut ging?“

Doktor Raching platzte erneut der Kragen: „Was sollen diese Fragen?“

Herr Hümpelt hingegen lächelte angriffslustig: „Die Antwort der Zeugin würde ein ganz anderes Licht auf diesen Vorfall werfen, werter Kollege. Bitte fahren Sie fort, Frau Gnade.“
„Dean konnte man auch das sehr gut ansehen, er ist offen wie ein Buch, das man nur zu lesen braucht.“
„Wie war seine Stimmung an diesem Tag?“
„Ich konnte nichts außergewöhnliches feststellen.“
„Es kann also sein, dass es ihm nicht gut ging? Dann frage ich mich doch, ob es möglich gewesen sein konnte, dass sich das Opfer aus dem Fenster stürzte.“

Christina sah den Rechtsanwalt erschrocken an, wie konnte er nur solch eine Vermutung in den Raum werfen. Sie wandte sich zu Birte um und vertraute auf ihren Verdacht von dem sie noch keinem erzählt hatte.

„Sie meinen einen Suizidversuch?“, fragte Christina und sah hilfesuchend den Richter an.

„So ist es. Nach meinen Informationen wäre es nicht der erste Versuch gewesen“, Herr Hümpelt sah sich bereits als Gewinner.

„Selbst wenn, Dean hatte keinen Grund dazu“, rief Birte plötzlich wütend von ihrem Stuhl aus, der Richter sah sie verwundert an.

„Ich würde gerne die Zeugin Birte Neumann noch einmal in den Zeugenstand rufen“, sagte der Staatsanwalt und als der Verteidiger keine weiteren Fragen an Christina hatte wurde dem Antrag stattgegeben.
Birte saß erneut am Mikrofon und wurde vom Staatsanwalt verhört: „Frau Neumann, ich entnahm ihrem Aufschrei auf der Zeugenbank, dass Sie den Vorwurf der Selbsttötung es als eine unmögliche Theorie des Herrn Verteidiger ansehen.“

„So ist es.“
„Warum?“

„Es gab für Dean einfach keinen Grund, wir sind glücklich zusammen und“, Birte unterbrach sich kurz um neue Kraft zu sammeln, „er wird gebraucht.“

„Wie darf man das verstehen?“, fragte der Richter und machte sich Notizen.
„Ich bin schwanger!“

Diese Aussage schlug ein wie eine Bombe, die Unruhe in den Zuschauerreihen kam zum dritten Mal auf, der Staatsanwalt grinste seinen Gegner triumphierend an und Herr Hümpelt wich die Farbe aus dem Gesicht.

„Diese Aussage muss natürlich nachgeprüft werden“, sagte dieser um sich an dem letzten Strohhalm seiner Verteidigung zu klammern.

„Ich hatte gehofft, dass Sie das sagen, mit dem Einverständnis der Frau Neumann habe ich hier die Ultraschallbilder und den schriftlichen Bericht der Frauenärztin. Dass die Zwillinge nicht von jemand anderem als dem Opfer gezeugt wurden können wir leider noch nicht feststellen, allerdings darf ich bescheiden zugeben, dass der Zeugin zu glauben ist.“

„Darf ich das mal sehen?“, fragte Richter Harming und bekam beide Dokumente vom Staatsanwalt ausgehändigt.

„Die Echtheit der Dokumente ist von der Ärztin bestätigt worden. Jetzt stellt sich mir die Frage ob Ihr Mandant davon wusste, Herr Hümpelt.“

Der Verteidiger redete wütend auf Dennis ein, der Richter sah sich das zwei Sekunden lang an, dann unterbrach er die Verhandlung für eine halbe Stunde. Auch er musste sich und seine Notizen sortieren und eine kleine Rücksprache mit seinem Beratungskollegium halten. Birte und Christina gingen mit Matthias an die frische Luft und wurden von einem Justizbeamten begleitet, die Nachrichtensprecher erstatten einen Kurzbericht vor ihren Kameras und Dennis musste sich mit seinem Anwalt besprechen.

 

Nach der halben Stunde eröffnete der Richter die Verhandlung erneut und sprach Birte wieder unvereidigt frei. Er sah den Verteidiger an und wollte gerade etwas sagen, als dieser sich zu Wort meldete: „Mein Mandant möchte sich doch gerne äußern.“

Dennis stand langsam auf und es sah fast so aus, als würde Herr Hümpelt ihn zu dem Zeugenstand stoßen wollte.

„Schön, dass Sie sich doch zu einer Aussage entschlossen haben, Herr Meier. Was möchten Sie uns sagen?“

Dennis seufzte leise, dann brach er sein Schweigen: „Ja, ich habe Dean aus dem Fenster gestoßen. Es war kein Unfall, aber auch keine Absicht, ich weiß nicht wie das passieren konnte. Ich war so wütend und enttäuscht. Es erschien mir ungeheuerlich, dass er tatsächlich mit Birte zusammen ist und auch noch Vater wird. Ich hätte an seiner Stelle sein sollen.“

Den letzten Satz hatte Dennis so hasserfüllt gesagt, dass er ihn geschrien hatte, Richter Harming mahnte ihn zur Ruhe.

„Es tut mir leid, aber dieser Typ hat mir das genommen was mir am wichtigsten ist. Birte ist mein Leben und ich habe sie nie aufgegeben. Jetzt ist Dean nicht nur ihr Freund sondern hat sie sich auch noch ewig an sich gebunden. Es hätten meine Kinder sein sollen.“

Auch das hatte Dennis herausgeschrien, so wandte sich der Richter an seine Gerichtsschreiberin: „Herrn Meier wird eine Geldstrafe von 500 Euro wegen einer Ordnungswidrigkeit bei Gericht auferlegt.“

Dann sprach er Dennis an: „Jetzt mäßigen Sie sich, Herr Meier.“

„Entschuldigen Sie.“
„Erzählen Sie uns von dem Tag.“
„Also“, Dennis schwieg einen Augenblick, „also schön. Dean befand sich in seinem Zimmer und ich wollte ihn fragen, ob er wisse warum Birte so glücklich sein. Mir war es schon seit Tagen aufgefallen, dass sie anders war als sonst. Dean wusste es natürlich und so eröffnete er mir, dass er und Birte glücklicher den je sind. Ich verstand erst nicht warum, aber dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen, sie sind ein Paar. In mir brach die Welt zusammen und ich fuhr ihn wütend an: 'Du hast sie mir weg genommen.'. Doch er lachte nur, er lachte mich aus und sagte, dass ich schon seit Jahren bei ihr verschissen habe. Verzeihen Sie den Ausdruck, Herr Richter, aber genau das sagte Dean zu mir. Dann habe ich ihn geschlagen und er mich, wir hatten uns ineinander verkeilt bis Dean mich weggestoßen hatte und sagte, dass ich mich aus dem Staub zu machen habe. Er drehte sich zum Fenster und sah nach draußen und ich tat so als ginge ich. Dann schlich ich mich hinter ihm und stieß ihn mit voller Wucht aus dem Fenster. Ich wartet am Fenster was passierte und kam hinterher als Ahnungsloser von der Toilette zu den anderen.“
Dennis senkte den Kopf als er geendet hatte und sah erst wieder auf als der Staatsanwalt das Wort an ihn richtete: „Herr Meier, wussten Sie von der Schwangerschaft?“
„Zu erst nicht, aber als Birte zu Dean gelaufen kam und mit ihm zu sprechen sagte sie es ihm leise ins Ohr, doch an seinem Gesichtsausdruck sah ich es ihm an. Er lächelte plötzlich obwohl er quasi schon im Sterben auf dem Boden lag.“

Birte, Christina und Matthias sahen erschrocken auf den Freund der sich als ein Monster in Menschengestalt entpuppte, der sonst so ruhige Dennis Meier hatte einen Freund aus Eifersucht absichtlich aus dem Fenster gestoßen. Der Verteidiger sah seinen Mandanten kopfschüttelnd an, der Staatsanwalt lächelte gewinnend und der Richter sah sich gezwungen sich das Geständnis in seine Unterlagen zu schreiben.

„Sind noch weitere Zeugen oder Anträge dem Verfahren hinzuzufügen?“

Als sich weder Staatsanwalt noch Verteidiger äußerten klappte der Richter sein Notizbuch zu: „Dann schließe ich die Beweisaufnahme, Herr Staatsanwalt, Ihr Plädoyer, bitte.“

Doktor Raching erhob sich und fing an sein Plädoyer zu halten: „Hohes Gericht, Herr Verteidiger, wir haben gerade den wahren Dennis Meier erlebt, getrieben von Eifersucht stieß er mit Absicht das Opfer aus dem Fenster, ob Tötungsabsichten eine Rolle spielten können wir leider nicht einwandfrei feststellen, dieser Vorwurf liegt allerdings sehr nahe. Denn wenn man so eifersüchtig ist, dass man dafür eine gefährliche Körperverletzung in Kauf nimmt, kauft den Tod des Opfer automatisch mit. Ich erkenne die arglistige Handlung und somit plädiere ich auf Versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung Strafgesetzbuch §212, §224 und halte eine Gefängnisstrafe von 10 Jahren durch die besondere schwere der Schuld für angemessen. Danke.“

Er setzte sich und der Richter bat den Verteidiger um sein Plädoyer. Herr Hümpelt stand mit etwas wackeligen Knien auf und fing an: „Hohes Gericht, Herr Staatsanwalt, was wir hier gehört haben ist die verzweifelte Stimme eines Mannes gewesen, der die Trennung von seiner Freundin nicht verkraften konnte und so keinen Ausweg mehr sah als seinen Kontrahenten zu verletzten, auch, wie der Staatsanwalt schon sagte, mit dem Risiko sein Opfer zu töten. Allerdings kann ich weder eine schwere der Schuld feststellen, noch halte ich die geforderten 10 Jahre für angemessen. Ich plädiere somit auf die fünf Jahre Freiheitsstrafe, wie es laut Strafgesetzbuch §212 steht. Vielen Dank.“

„Herr, Meier, Sie haben das letzte Wort.“

Doch Dennis schwieg erneut, kein Wort der Reue kam über seine Lippen.

„Die Kammer zieht sich zur Beratung zurück“, sagte Richter Raching und er ging mit seinem Beratungskollegium durch die Tür hinaus.

 

Als die fünf Personen erneut den Gerichtssaal betraten standen die Anwesenden auf und setzten sich nachdem der Richter auf seinen Platz zurückgekehrt war. Er blieb als einziger stehen um das Urteil zu verlesen: „Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil. Der Angeklagte Dennis Meier, geboren am 4.5.1989 in Dortmund wird zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren ohne Bewährung verurteilt. Die Kosten des Verfahrens werden dem Angeklagten zur Last gelegt.“

Dann setzte er sich und las die Begründung vor: „Wir haben uns für acht Jahre Freiheitsentzug entschieden, weil keine eindeutige schwere der Schuld festgestellt werden konnte, allerdings waren die harten Absichten des Angeklagten ausschlaggebend uns gegen die, vom Verteidiger geforderten, fünf Jahre zu stellen. Zudem wird sich Herr Meier einer psychologischen Therapie unterziehen um seine krankhafte Eifersucht und seinen Verlust der Liebesbeziehung zwischen Frau Birte Neumann und ihm zu verarbeiten. Herr Meier, Sie hatten mehr als einmal die Gelegenheit ihr Bedauern auszudrücken, leider haben Sie das Angebot immer wieder nicht wahrgenommen. Gegen das Urteil kann innerhalb einer Woche Revision eingelegt werden. Damit schließe ich diese Verhandlung.“

Ein Justizbeamte legte Dennis wieder die Handschellen an und führte ihn ab, Rechtsanwalt Harald Hümpelt folgte mit der Akte unterm Arm und Staatsanwalt Doktor Jochen Raching ging zu seinem Wagen auf dem Parkplatz.

Birte kehrte nicht wie die anderen nach Hause zurück, sie fuhr in das Krankenhaus um Dean zu besuchen. Auf der Intensivstation wurde ihr der grüne Kittel umgelegt und sie ging in den Raum indem ihr Freund mit all seinen Schläuchen lag. Am Anfang tat es ihr auch körperlich weh ihn mit all den Maschinen und Kanälen zu sehen, aber wie das mit der Gewohnheit so war veränderte sich das auch im Laufe der Zeit. Birte saß wie immer auf dem kalten Stuhl neben Dean und hielt seine Hand, währenddessen erzählte sie von der Gerichtsverhandlung und dem Urteil. Ob es daran lag oder dass die Zeit reif war konnten weder die Ärzte noch Birte sagen, aber sobald die Worte des Urteils von ihren Lippen kam spielten die Geräte verrückt. Das EKG-Gerät zog die Kurven der Herzströme nach oben, das Piepen hätte selbst einen Feueralarm übertönt und die HLM pumpte auf höhstem Niveau. Der Alarm schien bei den Ärzten angekommen zu sein, doch schon nach wenigen Augenblicken waren die Geräusche der Geräte auf dem Normalpunkt angekommen. Alles war wie bisher, bis auf eine Tatsache, Dean hatte die Augen geöffnet.


Justitia und Gott sei Dank!

 

 

Impressum

Texte: Dean Douglas Hormann
Bildmaterialien: Google
Lektorat: Hormann
Übersetzung: -
Tag der Veröffentlichung: 28.11.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Aber der Gerechten Pfad glänzt wie das Licht, das immer heller leuchtet bis auf den vollen Tag. (Luther-Bibel; Sprüche 4, 18)

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