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Prolog




Unser Leben ist auf einen bestimmten Zeitpunkt begrenzt,
den wir selbst nicht kennen, da wir ihn nicht bestimmen können.
Die meiste Zeit verdrängen wir die Tatsache, das wir eines Tages sterben werden.
Doch ändern können wir es dadurch nicht.

Doch was ist mit den Menschen, die schon lange aufgegeben
haben, nach einem Ausweg zu suchen?
Was ist mit den Menschen, die ihr Schicksal bereits kennen und sich damit
abgefunden haben?
Was, wenn sie sich selbst für diesen weg entschieden haben, was wäre,
wenn sie dem Tot freiwillig entgegentreten?

Ja, was wäre dann?




Knatternd rollte die kutsche über den Kiesweg. Ein größerer Stein ließ das hintere Rad aufspringen, sodass ich kräftig durchgeschüttelt wurde und meine düsteren Gedanken vergaß. Müde sah ich den Mann an, welcher mich mit grimmigen Gesicht anstarrte.
»Was ist los Damon?«, fragte ich genervt und kniff mir mit den Fingern in den Nasenrücken.
»Nichts ist los«, knurrte dieser und funkelte mich weiter an.
Ich seufzte. Es hatte keinen Sinn sich mit Damon zu Unterhalten, wenn er in solch einer Stimmung war. Er würde nur noch wütender werden und ich hatte derzeit weder Lust noch Kraft mit ihm zu streiten.
Ich ließ meinen Kopf gegen das kleine Seitenfenster der Kutsche fallen und schloss die Augen.
Weit konnte es nicht mehr sein.
»Hey, wage es ja nicht einzuschlafen, hast du mich verstanden!«, beschwerte sich Dämon.
Ich antwortete, ohne die Augen zu öffnen.
»Ich schlafe nicht Damon, ich versuche mich zu entspannen aber ich sollte diesen versuch wohl aufgeben, da du mir ja anscheinend ohnehin keine Ruhe lassen wirst«
»Wie konntest du nur?«
»Ich weiß nicht wovon du sprichst«
»Wie konntest du mich nur wie einen Diener behandeln?!«, sagte er Wütend.
Langsam öffnete ich die Augen und sah sein wutverzerrtes Gesicht seine blauen Augen fixierten meine doch ich hielt ihnen stand. Seufzend setzte ich mich wieder gerade hin und glättete mein Kleid.
»Wieso sollte ich dich nicht wie einen Diener behandeln, immerhin bist du einer.
Du hast jedem meiner Befehle folge zu leisten, wenn ich dich daran erinnern darf«, sagte ich zuckersüß und lächelte Damon an.
»Ich bin dein Leibwächter, nicht dein Butler, dafür ist George da!«, rief Damon und riss die Arme hoch.
»Das ist richtig aber nicht George hat mich begleitet sondern du. Ich bin ja schon froh, dass du dich außerhalb der Villa zu benehmen weißt. Nicht auszudenken, welche Unannehmlichkeiten du mir bereiten würdest, wenn du dich auch in der Öffentlichkeit so benehmen würdest, wie du es sonst immer tust«
»Ach ja, wie benehme ich mich denn, My Lady?«, fragte Damon spöttisch und mit hochgezogener Augenbraue.
»Ironisch, Selbstverliebt, Vulgär, Unreif und Unkonventionell«, zählte ich an einer Hand ab.
»Unreif? Wie meinst du das?«
»Du benimmst dich wie ein kleines Kind, bei dem man es versäumt hat, es vernünftig zu erziehen. Ich sehe es als meine Pflicht an, dich hin und wieder zu züchtigen und dich an deinen Stand zu erinnern« Freundlich lächelte ich ihn an.
»Das ich mir so etwas bieten lassen muss. Mit dir einen Vertrag zu schließen, war die größte Dummheit meines Daseins«
»Na wenigstens gestehst du dir ein, dass es deine Schuld ist. Du machst fortschritte«
Darauf schimpfte er wütend weiter und wedelte hektisch mit seinen Armen umher.
Meine Augen folgten den Bewegungen seiner Lippen doch ich hörte nicht mehr, was er sagte. Stattdessen versank ich in Erinnerrungen an die Zeit, in der ich Damon kennenlernte.

»Also ich an deiner stelle hätte keine Lust, hier die ganze Zeit rumzuhocken«
Erschrocken blickte ich hoch zu der Gestalt, welche über mir schwebte. Ein Junger Mann mit dichtem schwarzem Haar und blauen Augen, schwebte über mir. Sein kantiges Gesicht war wunderschön und sein geöffnetes Hemd, erlaubte mir den Blick auf seine nackte Brust. Ohne das ich es wollte, wurde ich rot, da ich einen Mann vorher noch nie mit weit geöffneten Hemd gesehen hatte.
»Wer bist du?«, fragte ich, als ich mich von meinem ersten schrecken erholt hatte.
»Wer bist du, woher kommst du, warum bist du hier? Maaan es sind doch immer die selben Fragen, da macht das gar keinen Spaß« Der Mann, den ich um die zwanzig Jahre schätzte, wandte sich zum gehen. Erschrocken und von Angst gepackt stand ich auf.
»Bitte warte, lass mich nicht alleine, ich brauche deine Hilfe!«, schrie ich zu ihm rauf.
Der Mann hielt inne, dreht sich um und schwebte langsam zu mir herab.
»Wenn du mir hilfst zu entkommen, bekommst du alles was du willst, ich habe ein großes Vermögen und...« Hastig schnippte er mit seinen Fingern zwischen meine Worte und unterbrach mich.
»Dein Wohlstand interessiert mich nicht meine kleine, ich will etwas anderes«
Mit einem Abschätzenden Blick, fuhren seine Augen über meinen Körper. Mich durchzuckte ein schaudern und ich begann zu zittern. Als er es bemerkte, der Mann an zu lachen.
»Keine sorge, ich rühr dich schon nicht an, wie alt bist du denn, wenn ich fragen darf?«
»Sechzehn«, antwortete ich und in zwei Monaten würde ich Siebzehn werden.
»Hmm, wir beide warten besser noch ein bisschen, ich bin momentan nicht bereit für eine Beziehung«
Was bildete sich dieser Mann, der unmöglich ein Gentleman sein konnte, eigentlich ein? So mit einer Dame zu sprechen ziemt sich nicht in der Gesellschaft. Doch was machte ich mir Gedanken über die Sittsamkeit, ausgerechnet in dieser Lage.
»Was bist du?«
Seine Augen weiteten sich.
»Ah, das ist eine interessante Frage aber willst du die Antwort darauf wirklich wissen?
Sie könnte dir nicht gefallen«
Ich sagte nichts, sondern starrte ihn einfach nur an. Seine Augen schienen funken zu sprühen und auf seinem Jugendliches Antlitz breitete sich ein Lächeln aus.
»Falls du gehofft hast, ich sei ein Engel, der gekommen ist um dich zu befreien, muss ich dich enttäuschen, ich bin das genaue Gegenteil von einem Engel und selbstverständlich viel mächtig als einer von diesen blöden Flattermännern« Gott was ging mir dieser Mensch auf die Nerven.
»Kannst du mich befreien oder nicht« Meine Geduld neigte sich dem Ende, entweder er ließ worten taten folgen oder er konnte wieder verschwinden.
»Pff, natürlich kann ich das aber nicht umsonst«
»Was willst du haben?« Nun wurde ich misstrauisch
»Deine Seele«
Ich erstarrte.
»Ich soll dir meine Seele geben, nur damit du diese verdammte Tür öffnest?!«, schrie ich und funkelte das Wesen zornig an.
»Ich bin sicher wir können uns einigen, was willst du?«, fragte er mich mit einem spöttischen grinsen in seinem schönen Gesicht.
»Ich will hier raus und mich an jedem rechen, der mir dieses Leid zugefügt hat, sie alle sollen für das bezahlen, was geschehen ist und ich will herausfinden, was ich bin«
»Und wie soll ich dir helfen?«
»Ich will das du mir hilfst und mich beschützt und wenn alles geklärt ist, dann kannst du meine Seele haben«
»Na das klingt doch interessant. Ich bin einverstanden, schließen wir einen Vertrag«



Als die Kutsche auf festem Stein aufkam, tauchte ich wieder aus meinen Gedanken auf.
Damon war sich immer noch über sein klägliches Leben am beschweren, während die Kutsche zum stehen kam.
»Du hast die Bedingungen akzeptiert, das ist alles, was ich dazu zu sagen habe«
Ein ruck fuhr durch die Kutsche, als Sam vom Bock sprang. Wenige Sekunden später öffnete sich die Kutschentür.
»My Lady, wir sind zurück«
»Danke Sam«, antwortete ich, blieb jedoch noch einen Moment sitzen und wartete bis Damon aus der Kutsche gestiegen war.
Dieser reichte mir dann mit einem spöttischen Lächeln die Hand und half mir aus der Kutsche.
»Kommt My Lady, eure Dienerschaft wartet bereits« Und für deinen Sarkasmus würde ich dich am liebsten erwürgen.
»Vielen Dank Mr. Carter«, sagte ich mit einer Stimme wie flüssiger Honig und hackte mich unter seinem Arm ein, welchen er mir anbot.
Dann erklommen wir gemeinsam die Treppen der imposanten Villa.


Unerwarteter Besuch




Ich saß in dem großen Arbeitszimmer, welches einst meinem Vater gehört hatte.
Die dunkelgrüne Tapete kombiniert mit der dunklen Holzverkleidung, ließen den Raum normalerweise dunkel wirken, doch da es gerade mal später Nachmittag war, schien die Sommersonne durch die großen Fenster und schenkten dem Raum Wärme und Klarheit.
Damon saß gelangweilt in einer Ecke des Zimmers und lümmelte sich auf einem grünen Sofa umher. Ich versuchte ihn nicht zu beachten.
Gerade als ich mich meiner eigentlichen Arbeit widmen und die Finanzunterlagen meiner Firma kontrollieren wollte, klopfte jemand leise an die Tür.
»Ja bitte«
Als sich die Türe öffnete, trat George mein Butler ein und verbeugte sich kurz.
»My Lady, verzeiht mir die Störung aber so eben ereilte uns die Nachricht eines plötzlichen Besuchs«
Damon wurde hellhörig und setzte sich interessiert auf.
»Und wer ist im begriff uns zu Besuchen?«, fragte ich, ohne von den papieren aufzusehen. Wahrscheinlich war es nur mein Onkel, den die Sehnsucht nach seiner einzigen Nichte ergriffen hatte.
»Die Havering Zwillinge, My Lady«
Vor Schreck rutschten mir die Dokumente aus der Hand und vielen vom Tisch, während sich Damon vor Lachen kaum noch halten konnte und fast vom Sofa gefallen wäre.
»Na das sind ja gute Nachrichten. Der Tag scheint ja noch richtig unterhaltsam zu werden« Lachend stand Damon auf, schritt zu mir und hebte die Papiere auf, die ich fallen gelassen hatte.
»Was ist los Amy? Du siehst so blass aus«
»George, könnten sie mir bitte einen beruhigenden Tee zubereiten«, presste ich zwischen meinen Zähnen hervor. Dieser nickte, verbeugte sich abermals und verließ das Zimmer.
Erschöpft und deprimiert sank ich in die Lehne meines Schreibtischsessels und rieb mir die Stirn. Bitte Gott, tu mir das nicht an. Nicht jetzt, nicht heute, flehte ich.
Damon stützte sich auf meinem Schreibtisch ab und musterte mich belustigt. Nur mit mühe konnte er einen weiteren Lachanfall unterdrücken.
»Komm schon Amy, so schlimm sind die beiden doch nicht«, trällerte er. Ich weiß nicht, was er an den beiden findet, wahrscheinlich weil sie vom fast gleichen Charakterschlag sind. Ich seufzte frustriert und starrte an die Zimmerdecke.
»Ich bin es gar nicht gewohnt von dir, das du dich so gehen lässt«
Genervt sah ich Damon an. Es missfiel mir, dass er sich über meine Situation so zu freuen schien.
»Makayla und Makenzie sind eigentlich nur nach England gekommen, weil sie in Amerika ein zu zügelloses Leben geführt haben. Damit die beiden eine angemessene Erziehung bekommen und zu anständigen Damen heranwachsen, hat ihre Mutter sie nach London geschickt. Doch statt Erziehung fanden sie nur noch mehr Zerstreuung.
Die beiden sind noch viel schlimmer geworden, als sie es waren, bevor sie nach England gekommen sind«
Verzweifelt stützte ich meinen Kopf in die Hände. Warum hatten die beiden ausgerechnet an mir gefallen gefunden?
»Jetzt stell dich mal nicht so an. Ist ja grauenhaft, dich so zu sehen. Macht schon fast keinen Spaß mehr dich aufzuziehen. . . Ach schau mal, dahinten kommen sie schon«
Erschrocken fuhr ich hoch und blickte in Damons belustigte Augen.
»Ich hab mich geirrt. Es macht doch Spaß« Lachend verließ er das Arbeitszimmer. Selbst als die Tür schon geschlossen war, hörte ich sein gedämpftes Gelächter über den Flur hallen.
Er war wirklich der unverschämteste, arroganteste und fürchterlichste Mann, dem ich je begegnet war und doch war er hier. Wie töricht.
Geschmeidig erhob ich mich aus meinem Sessel und schritt zu den riesigen Fenstern hinter mir. Auf dem Vorplatz der Villa war noch niemand zu sehen, alles war ruhig und friedlich, wie immer.
Der große Brunnen, den meine Mutter so geliebt hatte, plätscherte fröhlich vor sich hin. Lieblich kräuselte sich die Sommerbrise um die Blätter der voll blühenden Bäume
und die Blumen strahlten in den schönsten Farben, welche die Natur zu bieten hatte.
Am Ende der breiten Allee, die zum Eingangstor meines Anwesens führte, fuhr nun eine dunkle Kutsche mit Zweiergespann auf den Kiesweg und kam, für meinen Geschmack, mit hoher Geschwindigkeit näher.
Ein leises Klopfen riss meinen Blick vom Fenster.
»My Lady, euer Tee ist fertig«, sagte George
»Vielen Dank, bitte stell ihn auf meinen Schreibtisch. Wissen die anderen schon von unserem Besuch?«, erkundigte ich mich.
»Noah wird einen zweiten Kuchen vorbereiten und auch Blair habe ich angewiesen, für zwei weitere Personen einzudecken. Sam hat den großen Tisch nach draußen gebracht, damit die Herrschaften ihren Tee im Garten genießen können«
Ich nickte zustimmend und überlegte, ob ich etwas vergessen hatte.
»Wo befindet sich Damon?«
»Er befindet sich in der Eingangshalle und kann es kaum erwarten, dass unsere Gäste eintreffen« Wohl eher, dass sie mich um den Verstand bringen, dachte ich.
»Danke George, das wäre dann alles«
George lächelte mir aufmunternd zu und verließ den Raum. Ich mochte George, er war schon bei uns, als ich noch ganz klein war und hat mich stets fürsorglich und sehr respektvoll behandelt, was man von Damon nicht gerade behaupten konnte.
George war mittlerweile über fünfzig und sein einst schwarzes Haar war ergraut doch
seine braunen Augen waren immer noch Jung und voller Leben.
Ich griff nach dem Tee, den er mir zubereitet hatte und nippte daran. Der süße Geschmack des warmen Getränks, ließ meine Zunge kribbeln. Als ich mich auf meinem Schreibtisch abstützte, viel mir erst das Chaos auf, welches ich in der letzten Stunde errichtet hatte und beschloss es zu beseitigen. Als ich das letzte Schriftstück in einer der vielen Schubladen verstaut hatte, klopfte es erneut, diesmal war es Blair.
Ihre kleine, schlanke Gestalt tauchte verlegen im Türrahmen auf. Nervös knetete sie
Ihre schürze in ihren Händen. Ein paar rote Strähnen hatten sich aus ihrem Dutt gelöst und standen wirr von ihrem Kopf ab. Entschuldigend sah sie mich mit ihren grauen Augen an. Ich ahnte schon, was passiert war.
»Was ist passiert Blair?«, fragte ich freundlich, um das schüchterne Mädchen nicht zu verängstigen.
»Verzeihen sie mir Herrin aber mir ist ein Missgeschick passiert, als ich den Servierwagen mit dem Geschirr nach draußen schob, viel das gesamte Silberbesteck auf den Boden«, klagte sie und starrte nun auf den Boden.
»Ist denn kein Geschirr zu Bruch gegangen?«, hackte ich nach. Ich konnte meine Verwunderung nicht verbergen, normalerweise Zerbrach sie immer Geschirr aber das ihr nur der Besteckkasten heruntergefallen war, war fast schon amüsant.
Selbstverständlich war mir klar, dass jeder Normale Mensch meines Ranges eine offensichtlich so inkompetentes Hausmädchen wie Blair es war, schon längst gefeuert hätte.
Doch ich brachte es nicht übers Herz. Sie war neunzehn und mittellos, von der Familie verstoßen und was war schon ein bisschen zerbrochenes Geschirr, wo ich doch die mittel hatte, es zu ersetzen.
»Es ist alles in Ordnung Blair, bring Noah das Besteck. Er soll es waschen und polieren. Sam soll ihm dabei helfen, währenddessen kannst du das andere Silberbesteck aus dem Keller holen« Blair strahlte mich an, nickte und verließ eilig den Raum.
Als ich mich umdrehte saß Damon plötzlich lässig auf meinem Schreibtisch und betrachtete nachdenklich seine Fingernägel. Erschrocken quietschte ich auf.
»Damon, ich habe dich schon mehrere male darum gebeten, nicht einfach hinter mir aufzutauchen und was wenn Blair dich gemerkt hätte? Nicht auszudenken, was dann passiert wäre!«, tadelte ich ihn.
Belustigt sah er zu mir herüber, während sein Mund sich zu einem spöttischem Lächeln verzog.
»Oh, hab ich dich erschreckt? Das wollte ich nun wirklich nicht«
Seine Stimme triefte vor Sarkasmus und die Ironie in seinen Worten, ließ seine Augen aufblitzen.
»Wo sind die Zwillinge? Sie müssten doch schon längst hier sein. George sagte du wärst unten, um sie zu empfangen«
»Ich habe die Lust daran verloren« Ich keuchte auf.
»Du hast sie alleine gelassen? In meinem Haus?!« Beruhige dich Amy, es ziemt sich nicht für eine Lady, die Fassung zu verlieren, ermahnte ich mich. Ich versuchte Ruhig zu Atmen und meinen Puls zu beruhigen doch Damons belustigte Miene brachte mich so in rage, dass ich ihm sein unverschämtes grinsen am Liebsten aus dem Gesicht gewischt hätte. Als ich mich einigermaßen beruhigt hatte, deutete er auf die große Fensterfront.
»Sie sind nicht im Haus. Ich hatte gar nicht die Chance, sie zu empfangen, weil sie seit gut einer Viertelstunde im Brunnen herumplanschen«, sagte Damon gelassen, während ich zum Fenster eilte.
Das konnte doch nicht wahr sein, hatten die beiden den keinen funken Anstand im Leib? Mit gerafften Röcken standen Makayla und Makenzie in dem großen Springbrunnen und bespritzten sich gegenseitig mit Wasser.
»Wieso hast du mich dessen nicht unterrichtet Damon?!«, schrie ich ihn an, lief an ihm vorbei und riss wütend die Tür auf. Er hatte keine Probleme mit mir schritt zu halten und er hatte immer noch dieses unangebrachte Grinsen im Gesicht, das mich verhöhnte.
»Also ich finde es recht amüsant, zwei junge, vollbusige Damen zu sehen, die sich gegenseitig die Kleidung mit Wasser befeuchten«
»Welche Busen?«, fragte Noah und trat geradewegs aus der Küche.
»Nichts, kümmere dich wieder um deine Arbeit!«, entgegnete ich barsch, was mir im nächsten Augenblick fast schon wieder leid tat aber Noah war immerhin der Koch und hatte nun wirklich besseres zu tun als sich seinen Gelüsten hinzugeben.
»Armer Noah, jetzt hast du ihm sein Herz gebrochen«, säuselte Damon und kicherte in sich hinein. Oh, ich könnte ihn dafür erschlagen.
Schnell stieg ich die große Marmortreppe zur Eingangshalle hinunter, während Damon am Geländer runterrutschte und vor mir unten ankam. Wütend starrte ich ihn an.
»Das gehört sich nicht Damon!«
»Ich weiß«, sagte er mich freudig anlächelnd und legte den Kopf schief.
Wütend stampfte ich weiter und riss die große Eingangstür auf.
»Werdet ihr beiden wohl augenblicklich mit diesem Unsinn aufhören! Was fällt euch ein, einfach in irgendwelche Brunnen zu steigen«
Kichernd hielten die beiden in ihrem Albernen Spiel inne. Sahen sich gegenseitig an und fingen an zu lachen.
»Raus aus dem Brunnen, sofort!«
Kichernd und um Beherrschung ringend, stiegen die Beiden aus dem Brunnen. Klatschnass, vom Haaransatz bis zum Saum ihrer Kleider standen sie da und tropften vor sich hin. Ihre aufwändigen Hochsteckfrisuren hatten sich gänzlich aufgelöst und man konnte ihre Korsetts unter dem dünnen Stoff durchscheinen sehen.
»Damon!«, rief ich laut, obwohl er genau neben mir stand.
»My Lady?«, fragte er höflich und unschuldig wie ein Engel. Das machte er immer, wenn wir Gäste hatten oder außerhalb zu Besuch waren.
»Würdest du dich wohl bitte der beiden Damen annehmen und ihnen im Gästezimmer neue Kleider zur Verfügung stellen« Meine Stimme war scharf wie ein Messer.
»Mit dem größten Vergnügen«, sagte Damon und leckte sich unauffällig über die Lippen. Für einen kurzen Augenblick überlegte ich ob es wirklich eine gute Idee war, die beiden Damon anzuvertrauen doch meine Sorge löste sich schlagartig auf, als Makayla und Makenzie sich kichernd links und rechts von ihm einhackten und ihm mit schmachtenden blicken in die Villa folgten.
Erschöpft ließ ich mich auf die Treppe vor der Tür sinken, als ich plötzlich eine Hand
auf meiner Schulter spürte. Erschrocken fuhr ich herum. Hinter mir stand George, mit besorgter Miene und musterte mich eingehend.
»Ist alles in Ordnung My Lady, fühlt ihr euch unwohl?«
»Gekränkt wäre das passendere Wort«
Ich machte Anstalten aufzustehen doch meine Röcke hinderten mich daran. Ich schaffte es erst, als George mir seine Hand reichte.
»Danke«, sagte ich Dankbar und lächelte ihn an.
»Ich wollte ihrer Ladyschaft nur mitteilen, dass der Tee serviert werden kann aber da sich die beiden Damen gerade umziehen, werden wir den Tee wohl verschieben müssen« Mit freundlichen Augen sah George mich an und wartete auf meine Entscheidung.
»Nein, ich möchte den Tee jetzt zu mir nehmen. Die Zwillinge müssen mit den Konsequenzen ihres Benehmens leben« George nickte.
»Dann gebe ich Noah Bescheid«
An der Tür hielt George jedoch inne und drehte sich zu nochmal mir um.
»Werdet ihr die Geschwister an ihre Mutter verraten?«, fragte mich George, sorge lag in seinem Blick. Er war einfach zu gutherzig.
»Verdient hätten sie es aber nein, ich werde ihrer Mutter nicht schreiben. Eines Tages, werden sie erkennen, was aus ihnen und ihrem Leben geworden ist und dann ist es zu spät« Mein Butler nickte ernst und folgte mir zurück in die Villa.


Einigermaßen entspannt saß ich im Garten und Trank genüsslich einen Earl Grey, als plötzlich Damon auf die Terrasse stürmte. Er sah nicht gerade freundlich gestimmt aus.
»Diese beiden Hexen bringen mich noch um den Verstand«, beschwerte er sich und lief vor mir auf und ab. Wie auf einen Befehl öffnete sich eines der oberen Fenster und zwei blonde Köpfe erschienen im Rahmen.
»Mr. Carter, wo bleiben sie denn nur?«
»Sie müssen uns unbedingt beim umkleiden helfen«
»Das schaffen wir unmöglich alleine«
Damon verzog, mir zugewandt, das Gesicht zu einer Grimasse um mir seine Missbilligung mitzuteilen. Ungerührt trank ich meinen Tee.
Als er zu den beiden Mädchen hinaufschaute, war seine Miene wieder freundlich und Charmant.
»Aber meine Damen, so etwas ziemt sich doch nicht«
Leise lachte ich in meinen Tee und fing mir dafür einen Seitenblick von Damon ein. Diese Worte ausgerechnet aus seinem Mund zu hören, war fast schon ein Wunder.
»Aber wir schaffen es doch nicht alleine«, maulte Makenzie.
»Sonst würden wir sie doch nie um so etwas bitten«, säuselte Makayla.
Ich bis mir auf die Unterlippe, um nicht laut loszulachen. Damons Mundwinkel zuckten angestrengt von seinem aufgesetzten Lächeln. Seufzend senkte ich die Tasse ein kleines Stück und sah Damon an.
»Sam?«, rief ich und aus einem der Sträucher kam mein Junger Gärtner angerannt.
»Ja, Herrin?«
»Sag bitte Blair Bescheid, das die Havering Zwillinge ihre Hilfe benötigen und sie umgehend das Gästezimmer aufsuchen soll«, befahl ich und führte die Tasse wieder an meine Lippen.
»Sehr wohl, Herrin« Sam Salutierte gespielt und verschwand dann im Gebäude.
Enttäuscht schlossen nun auch die Zwillinge das Fenster, sodass Damon seine Mundwinkel entspannen konnte.
»Das wurde aber auch langsam Zeit, wie konntest du mich nur mit ihnen alleine lassen?« Genervt ließ er sich auf einen Stuhl fallen.
»Ich dachte du magst sie so sehr«
»Ja, wenn sie DIR auf die Nerven gehen« Ich hob die Augenbrauen.
»Möchtest du ihnen doch beim umziehen helfen? Ich bin mir sicher, sie...«
Ein eiskalter Blick von Damon brachte mich zum schweigen aber ein kleines Lächeln des Triumphs konnte ich mir nicht verkneifen.

Nach einer weiteren halben Stunde, waren die beiden fertig und kamen hinaus in den Garten geschlendert. Plötzlich blieb Makayla stehen und starrte wie gebannt auf den leeren Tisch.
»Aber wo ist denn der Kuchen?«, rief sie empört und auch ihre Schwester sah sich suchend um.
»Fort«, sagte ich knapp und lächelte die beiden an.
»Was meinst du mit fort?«, fragte Makenzie.
»George hat ihn vor zehn Minuten abgeräumt, hättet ihr nicht in meinem Brunnen euer Unwesen getrieben und hättet ihr euch beim umkleiden mehr beeilt, dann hättet ihr den Nachmittags Tee auch nicht verpasst«, schloss ich meine Erklärung.
»Wie gemein«, jammerten beide im Chor und ließen sich kraftlos, und mit bekümmerten Gesicht, in die Stühle fallen.
»Du bist eine richtige Spielverderberin«, begann Makenzie
»Da macht es ja«, fuhr Makayla fort.
»Gar keinen richtigen Spaß«
»Dich zu besuchen«
»Wie ermüdend«, schlossen beide ihr Wechselspiel und seufzten schwer.
Ich lächelte immer noch, obwohl ich innerlich brodelte. Ich hasste es, wenn die beiden abwechseln ihre Sätze beendeten oder gleichzeitig sprachen. Es war zum verrückt werden.
Damon schien meine innere Unruhe zu bemerken und grinste voller Freude in die Runde. Es machte ihm wirklich Spaß, mich leiden zu sehen.

Eine weitere Stunde, saßen wir draußen und ich musste das Gerede und Gekicher der beiden stumm ertragen, während Damon den Zwillingen schöne Augen machte.
Makayla wickelte eine ihrer langen blonden Strähnen um ihren Zeigefinger und fixierte Damon mit ihren Himmelblauen Augen. Sie war ein Hübsches Mädchen, mit einer Tadellosen Figur und Makenzie sah genauso aus.
Die beiden hatten schon immer Spaß daran gehabt, andere zu verwirren und ihnen Streiche zu spielen, daher trugen sie fast immer die gleichen Kleider. Nur das Band in ihren Haaren, deutete darauf hin, wer Makenzie (rot) und wer Makayla (blau) war. Doch manchmal, wenn sie wirklich wieder unglaubliche Langweile hatten, wechselten sie die Bänder Stündlich und trieben damit jeden in den Wahnsinn.
Außer mich, denn ich konnte sie auch ohne die Haarbänder oder unterschiedliche Kleidung auseinander halten, auch wenn ich nicht genau wusste, woran das lag. Wahrscheinlich war auch dies der Grund, warum sie mich so mochten, auch wenn sie eine seltsame Art hatten, ihre Zuneigung zu zeigen.
Plötzlich tauchte George auf der Terrasse auf.
»Es wird Zeit, für die Damen, wieder nach Hause zu fahren, es wird langsam spät«
Nach kurzem protestieren und betteln, doch länger bleiben zu dürfen, verließen sie mit hängenden Köpfen die Villa und fuhren zurück in die Stadt.
Erleichtert atmete ich aus, als ich die Kutsche nicht mehr sehen konnte und machte mich auf den weg in die Bibliothek. Als ich die große Flügeltür erreichte, schob sich ein dunkler Schatten vor mich und versperrte mir den Eintritt. Erschrocken hastete ich nach hinten und stieß mit dem Rücken gegen die Wand.
»Bilde ich es mir ein oder bist du schreckhafter geworden?«, fragte Damon gelassen und musterte mich interessiert, während sich mein schnell schlagender Puls langsam wieder beruhigte.
»Nach einem Jahr, sollte man meinen, dass du dich wieder eingelebt hast«
Wütend ging ich auf ihn zu, schob ihn zur Seite und trat in die Bibliothek.
»Du kannst versuchen mich zu ignorieren aber das wird dir nicht gelingen«, trällerte er an meiner Seite und Pfiff fröhlich vor sich hin.
»Bitte Damon, hör auf«
»Womit denn?«
»Meine Geduld so auf die Probe zu stellen«
»Aber wieso? Es macht doch solchen Spaß«
»Nur dir macht es Spaß Damon«
»Reicht doch«
Ich rollte mit den Augen.
Ich lief in die hinterste Ecke der Bibliothek und nahm „Die Göttliche Komödie“ zur Hand, ließ mich auf einem weichen Sofa nieder und las an der Stelle weiter, an der ich zuletzt aufgehört hatte.
Damon saß in einem großen Ohrensessel und beobachtete mich aus wachsamen Augen. Blinzelte er überhaupt? Ich versuchte ihn nicht zu beachten.
Oft sah er mir bei dingen zu, die für jeden normalen Menschen wahrscheinlich höchst langweilig gewesen wären, wie zum Beispiel das Lesen. Einmal hatte ich ihn sogar dabei erwischt, wie er mir beim schlafen zugesehen hat. Doch mittlerweile kümmerte es mich nicht mehr, wenn er mich beobachtete, immerhin war es ja seine Aufgabe auf mich zu achten.
Nach einer Gefühlten Ewigkeit, kam Blair in die Bibliothek und rief uns zum Essen.
Damon erwachte aus seiner starre und verließ vor mir den Raum, er schien es ziemlich eilig zu haben. Schmachtend sah Blair ihm hinterher und auch mein Blick hing an ihm, was mir nun wirklich gar nicht gefiel. Um die wirren Gedanken zu vertreiben, schüttelte ich leicht den Kopf und legte das Buch zur Seite um dann mit Blair die Bibliothek zu verlassen.

Blutige Vergangenheit




Schweigend saßen wir an dem großen Esstisch im Speisesaal. Noah hatte sich wirklich Mühe gegeben, das schmeckte man.
Es gab Lammbraten mit Gemüse und zur Nachspeise ein Erdbeerparfait.
Damon saß an seinem gewohnten Platz rechts von mir und stocherte in seinem Essen herum, während er angestrengt nachzudenken schien. Für einen kurzen Moment machte ich mir ernsthaft Sorgen, ob mit ihm etwas nicht stimmte, doch dann leuchtete ein triumphierendes Grinsen auf seinem Gesicht auf.
»Noah, ich habe gewonnen!«, rief er und drehte sich zu dem Koch um, der noch zusammen mit den anderen Angestellten im Raum war.
Noah lief aufgeregt zu ihm hinüber und starrte verblüfft den kleinen Gegenstand an, den Damon zwischen seinen Fingern hielt.
»Tatsache, du hast sie gefunden«, bestätigte Noah staunend und wollte Damon den Gegenstand wegnehmen, doch dieser zog schnell die Hand weg.
»So nicht, erst deinen Einsatz, wenn ich bitten darf«, verlangte er.
Noah kramte in seiner Hosentasche. Währenddessen beugte ich mich ein Stück vor, um zu sehen, was Damon da zwischen seinen Fingern hin und her rollte.
Es war eine kleine Perle, die er unaufhörlich zwischen Daumen und Zeigefinger kreisen ließ. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Was hatte es damit nur auf sich?
Noah war mit seiner Sucherei fertig und legte zwanzig Pfund auf den Tisch. Mit einem frechen Grinsen reichte Damon Noah die Perle und steckte das Geld in die Brusttasche seiner Weste.
»Könnte mir einer von euch beiden großzügigerweise erklären, was hier eigentlich vor sich geht?«, fragte ich und sah sie scharf an.
»Nur eine kleine Wette«, sagte Damon gelassen und zuckte mit den Schultern.
»Die was beinhaltet?«, fragte ich an Noah gewandt, weil ich von Damon keine ernst gemeinte Antwort zu erwarten hatte. Noah kratzte sich langsam am Hinterkopf und sah dabei alles andere als glücklich aus.
»Nun ja, Damon schlingt ja immer mein Essen so runter, da hab' ich gesagt, er würde es nicht mal merken, wenn ich eine Perle im Essen verstecken würde. Er würde sie wahrscheinlich einfach verschlucken, so gierig wie er manchmal ist.«
Damon setzte eine Unschuldsmiene auf und schüttelte missbilligend den Kopf, als ob es gar nicht um ihn ginge.
»Nun gut, und weiter?«
»Damon hat sich das nicht gefallen lassen und hat mir die Wette vorgeschlagen, und deswegen hab' ich eben die Perle in seinem Essen versteckt«, erklärte Noah und wagte es dabei nicht, mir in die Augen zu schauen.
»Nun, das erklärt, warum er den ganzen Abend über sein Essen seziert hat. Noah, du kannst gehen, ich denke, der Verlust von zwanzig Pfund an Damon ist für dich Strafe genug«
Noah nickte eifrig und verließ dann den Speisesaal. Wütend funkelte ich Damon an.
»Was dich betrifft: Was fällt dir ein, irgendwelche Wetten mit meinen Angestellten abzuschließen? Anstatt sie zu irgendwelchen Dummheiten zu animieren, solltest du deine anscheinend übermäßig bemessene Freizeit lieber anderen Dingen widmen!«
»Und was für Dingen?«, fragte Damon und zog eine Augenbraue hoch.
»Wichtigeren Dingen.«
Schnell tupfte ich mir den Mund ab, warf das Tuch auf den Tisch und verließ das Speisezimmer. Ich war zu müde, um mich mit Damon über anzügliche Dinge zu unterhalten oder mit ihm zu streiten. Ich hastete den Flur entlang, doch er holte mich ein und lief neben mir her.
»Habe ich dich verärgert?«
»Ja«, sagte ich knapp und blickte stur geradeaus.
Bei dieser Antwort wurde Damons Lächeln breiter und seine Augen glitzerten, als würden sie gleich Funken sprühen.
»Wie interessant!«
»Was sollte daran interessant sein?«, fragte ich schneidend. Müsste ich seine Nähe noch zwei Minuten länger ertragen, würde ich den Verstand verlieren, dessen war ich mir sicher.
»Frauen, die nach außen ihren kühlen Schein aufrechterhalten, obwohl in ihrem Inneren ein Orkan tobt, üben eine große Faszination auf mich aus. Sie bieten die größten Herausforderrungen, falls Eure Ladyschaft das versteht.« Entnervt rollte ich mit den Augen. Wie konnte er in solch einer Situation an so etwas Ungebührliches auch nur denken?
»Es würde mich freuen, wenn du aufhören könntest, in meiner Gegenwart von solchen Sachen zu sprechen. Ich bin sicher, Noah wird dir in diesen Angelegenheiten mehr Gehör schenken«
Damon kicherte leise vor sich hin. Endlich waren wir vor meinem Schlafzimmer angekommen.
»Du willst doch nur nicht zugeben, dass ich Recht habe. Nach außen hin bist du die starke Amy Baker, aber innerlich bist du zerbrochen, und die Scherben, die um dich verstreut liegen, können nicht so einfach wieder zusammengefügt werden. Auch wenn du versuchst zu verdrängen, was geschehen ist, kannst du es nicht ungeschehen machen. Egal, wen du versuchst glauben zu machen wer du bist, deine Seele kannst du nicht belügen.«
Mit einem lauten Klatschen landete meine Handfläche in Damons Gesicht, dann wirbelte ich herum, schlug die Tür hinter mir zu und ließ ihn mit seiner Fassungslosigkeit allein im Flur zurück.

Schwer Atmend presste ich mich mit dem Rücken gegen das Eichenholz.
Wie hatte es nur so weit kommen können? Ich hatte die Beherrschung verloren, das war mir zuvor noch nie passiert, noch nie! Ich hatte Damon ins Gesicht geschlagen, in sein schönes, vollkommenes Gesicht. Was war nur in mich gefahren? War ich wirklich so zügellos?
Ich sank an der Tür hinab zu Boden, zog die Knie an und schlang die Arme darum. Ich war geschockt von mir selbst. Ich hätte mir nie träumen lassen, das Damon jemals meine undurchdringliche Maske zu Fall bringen würde. Wieso hatte er es nur so weit kommen lassen? Ich verbarg mein Gesicht in meinen Armen. Meine Wangen brannten vor Scham. Es sah mir gar nicht ähnlich, gegen irgendjemanden die Hand zu erheben, aber Damon war schließlich selbst schuld. Er hatte einfach nicht aufgehört. Hätte er nur den Mund gehalten, hätte er mich doch nur einfach in Ruhe gelassen! Wieso musste er mich nur immer wieder herausfordern?
Meine Gedanke überschlugen sich und mein schnell schlagendes Herz ließ sich nicht beruhigen.
Plötzlich spürte ich einen leichten Windstoß an meinem Haar und sah auf.
Die breite Fenstertür stand einen kleinen Spalt offen, so dass ein leichter Luftzug durchs Zimmer wehte. Die schweren Samtvorhänge waren weit aufgezogen, und der Vollmond tauchte das Zimmer in kaltes Licht.
Starres, weißes, kaltes Licht, das über den Boden kroch und sich am Saum meines Kleides hinauf zog, um mir dann mit seinen kühlen Fingern übers Gesicht zu streicheln.
Ein Schaudern durchfuhr mich. Wie gebannt starrte ich zum Mond hinauf.

O schwöre nicht beim Mond, dem wandelbaren,
Der immerfort in seiner Scheibe wechselt.*



Ich weiß nicht warum aber plötzlich musste ich an diese Zeilen denken. Nun ja, vielleicht deshalb, weil der Mond das Einzige war, was sich in all der Zeit nicht verändert hatte.


Tief in der Nacht wurde ich wach. Verschlafen rieb ich mir über die Augen und sah mich in meinem dunklen Zimmer um. Durch einen kleinen Spalt in den langen Vorhängen fiel ein schmaler Mondscheinstreifen durch das Fenster. Müde stand ich auf und taumelte zu der Fenstertür, um die Vorhänge wieder zu zuziehen. Doch statt diese zu schließen, wie geplant, riss ich sie weit auseinander. Ich wusste selbst nicht genau, warum ich das eigentlich tat. Meine Hände schienen sich wie von selbst zu bewegen.
Der Vollmond stand in perfekter Symmetrie über dem Balkon an meinem Zimmer und da ich die Vorhänge nun weit geöffnet hatte, war der gesamte Raum in helles Mondlicht getaucht. Geblendet von der Schönheit dieser Szenerie, war meine Müdigkeit verschwunden, und ich merkte, wie sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen stahl. Ich ließ meinen Blick langsam über die erhellte Ebene wandern.
Eine schwarze Gestalt in der Nähe des Brunnens zog meine Aufmerksamkeit auf sich.
Ruckartig drehte ich ihr den Kopf zu und erkannte ein schwarzes Pferd, welches aus dem Brunnen trank. Beruhigt atmete ich aus. Ein Pferd war nicht gefährlich.
Doch so schnell wie die Angst gegangen war, kehrte sie auch zurück. Ein Pferd tauchte nicht allein, noch dazu mitten in der Nacht, an einem Ort wie diesem auf, schon gar nicht, wenn es gesattelt und der Besitzer weit und breit nirgends zu entdecken war.
Mit einem unguten Gefühl und einer bösen Vorahnung, die mir die Beine erzittern und mein Herz höher schlagen ließ, verließ ich mein Zimmer und lief den Flur entlang.
Ich brauchte keine Kerze, der Mond spendete Licht genug.
Während ich den Gang entlang eilte, versuchte ich auf besondere, untypische Geräusche zu achten, doch es war totenstill im Haus. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken.
Ich verlangsamte meine Schritte. Auf Zehenspitzen schlich ich weiter, bis ich an dem Zimmer Matildas, unserer Köchen, vorbei kam. Normalerweise ging ich zu George, wenn ich mich unwohl fühlte. Er war schon bei uns, seit ich denken kann und mir von allen Dienstboten der Liebste.
Da meine Eltern der Ansicht waren, dass man mit sechzehn erwachsen genug sein musste, um mit seinen Ängsten alleine umgehen zu können, hatten sie mir verboten, nachts ihr Schlafzimmer aufzusuchen, doch George hörte mir immer zu, wenn mich etwas bedrückte, und war mir gegenüber stets so fürsorglich und zuvorkommend, als wäre ich seine eigene Tochter, auch wenn er die Kluft zwischen Herrin und Diener niemals überschritt.
Doch George war nicht da, er war auf Wunsch meines Vaters besonderen Geschäften nachgegangen und würde bis morgen Nacht nicht zurück sein.
Leise klopfte ich an Matildas Tür, aber nichts geschah. Ich rief leise ihren Namen, doch auch darauf bekam ich keine Antwort. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Matilda gehörte nicht zu den Menschen, die einen tiefen Schlaf besaßen, ganz im Gegenteil, schon bei dem leisesten Geräusch wurde sie wach. Einmal hatte sie mir sogar erzählt, dass sie die Pfoten der Mäuse auf den Dielen hören konnte, wenn sie sich genau konzentrierte, wobei ich nicht genau wusste, ob sie sich da nicht einen Scherz mit mir erlaubt hatte.
Nach dem dritten Versuch, Matilda auf mich aufmerksam zu machen, drückte ich behutsam die Klinke hinunter und betrat in den kleinen, spärlich eingerichteten Raum.
Matilda lag in ihrem Bett, mit zurückgeworfener Decke, die Arme in einer grotesken Pose weit von sich gestreckt.
Langsam ging ich auf sie zu. Ungefähr einen Meter vor dem Fuße ihres Bettes blieb ich stehen. Wie aus weiter Ferne hörte ich ein leises Tropfen. Wie Wasser, das auf Holz fiel.
Und mit einem Mal war das Unbehagen verschwunden und machte einer tiefen Panik Platz, die mich ganz einfing und mit eiserner Hand umklammert hielt.
Ich überwand den letzten Meter und spähte über den Rand ihres Bettes.
Matilda lag in ihrem Blut, die leeren Augen an einen Punkt an der Decke geheftet.
In ihrer Brust klaffte eine tiefe Wunde. Das leise Tropfen kam von dem Blut, das durch die Matratze gesickert war und nun unaufhörlich auf den Holzboden fiel.
Für einen Moment stand ich wie erstarrt da, außer Stande, mich zu bewegen, und starrte die tote Köchin an, die nun nie wieder Mausepfoten auf den Dielen hören würde.

Selbst als ich endlich realisiert hatte, was ich da sah, brachte ich nicht mehr als ein leises Wimmern zustande. Ich wollte hier weg, sofort!
Blind stolperte ich aus dem Raum in das nächste Dienstbotenzimmer, welches sich Mary und Olivia, die Dienstmädchen, teilten.
Marys Körper beugte sich leblos über dem Schreibtisch, auch ihr Rücken war von einer tödlichen Wunde entstellt, doch erst der Anblick von Olivia ließ mich aufschreien und zurückweichen. Jemand hatte ihr ein Messer in den offenen Mund gestoßen und sie so an der Wand festgenagelt. Nur ihre Zehenspitzen berührten noch den Boden.
Von Ekel und Abscheu gepackt erbrach ich mich heftig und taumelte wie eine Betrunkene aus dem Zimmer. Heiße Tränen rannen mir übers Gesicht. Mary und Olivia waren kaum älter als ich selbst gewesen.
Ich sparte es mir, die Räume der anderen Dienstboten aufzusuchen, da ich eigentlich schon wusste, was mich erwarten würde, und die Panik in mir brachte mein Blut zum kochen.
Wie vom Teufel besessen rannte ich den Flur entlang zum Schlafzimmer meiner Eltern und riss die Tür auf, doch das Bett und das gesamte Zimmer waren leer.
Verwirrt suchte ich den Raum mit hektischen Kopfbewegungen ab, fand jedoch keinen Hinweis über den Verbleib meiner Eltern.
Ich verließ das Schlafzimmer und lief ziellos durch einen Seitenflur, als ich plötzlich ein metallisches Klirren hörte, das aus der Richtung des Kaminzimmers kam. Hastig wirbelte ich herum und rannte in die entgegengesetzte Richtung, die Treppe hinunter und stürmte ins Kaminzimmer.
Meine Mutter schrie gerade ihre letzten gurgelnden Laute, als der verhüllte Mörder ihr das Messer aus der Kehle zog und ihr blütenweißes Nachthemd mit Blut besudelte.
Mein Vater lag ein paar Meter von ihnen entfernt am Kamin, das Schüreisen ragte aus seiner linken Augenhöhle empor. Heiße Kohlen lagen über dem Boden zerstreut und sengten langsam den Teppich an.
Die Gestalt ließ meine Mutter zu Boden fallen wie ein Kind, das an seinem Spielzeug die Lust verloren hatte.
Langsam drehte sich der Kopf des Mörders in meine Richtung. Sein Gesicht lag im Schatten seines Kapuzenumhangs verborgen, so dass ich es nicht erkennen konnte.
Ruhig kam er auf mich zu und blieb eine knappe Armlänge vor mir stehen.
Unfähig mich zu bewegen starrte ich den Schatten an, der vor mir aufragte. Sein fauliger Atem schlug mir ins Gesicht, und ich spürte erneut die Übelkeit in mir aufsteigen.
Und das Letzte, was ich sah, war die flache Hand des Mörders, die auf mich hinab sank und mir das Bewusstsein nahm.




Ich weiß nicht, wie lang ich dort auf dem Boden saß. Der Mond schien immer noch, also war es Nacht, die Sterne funkelten, also war es Nacht, alles war immer noch so, wie es vorher war, aber war es wirklich Nacht? Oder war ich nur in einem weiteren Traum gefangen? Ein leises Pochen an der Tür weckte mich aus meiner Trance. Ich war wach.
»Wer ist da?«, fragte ich mit mühsam ruhiger Stimme.
»Verzeiht, Milady, ich wollte mich nur erkunden, ob alles in Ordnung ist.«
Die Sorge in Georges Stimme versetzte mir einen Stich.
»Mir geht es gut«, antwortete ich laut und richtete mich langsam auf.
»Seid Ihr Euch sicher, Milady?«
»Ich sagte doch, es geht mir gut!«, rief ich und starrte die Tür wütend an.
Dann hörte ich, wie sich seine Schritte entfernten.
Rastlos lief ich in meinem Zimmer auf und ab, ballte die Hände zu Fäusten zusammen und vergrub meine Fingernägel in meinen Handflächen, bis ich den Schmerz nicht mehr spürte. Ich wurde immer wütender. Am liebsten hätte ich geschrien.
Ich war es leid, leid zu suchen, leid nichts zu finden, leid zu warten und doch nichts zu erreichen.
Ein. Verdammtes. Jahr!
Vor der Kommode blieb ich stehen. Auf ihr lagen ein silbernes Schmuckkästchen, Haarnadeln, ein Handspiegel und weitere unbedeutende Kleinigkeiten herum.
Mit einem Aufschrei fegte ich alle Gegenstände von der Kommode. Glas zerbrach, ein dumpfer Aufschlag, ein metallisches Klirren, irrelevant.
Plötzlich flog die Tür auf und Damon trat schnellen Schrittes herein. George blieb traurig an der Tür stehen, während Damon immer näher kam.
»Ihr sollt mich in Frieden lassen!«, schrie ich doch ehe ich wirklich begriff, was geschah, traf mich Damons Hand im Gesicht. Es schmerzte, aber gerade dieser Schmerz war nötig, um mich wieder zu Verstand zu bringen.
»Aber Mr. Carter!«, rief George erschrocken und wollte zu mir eilen, doch Damon hielt ihn auf. Vorsichtig legte ich eine Hand an die schmerzende Stelle. Erst jetzt bemerkte ich, dass meine Wange feucht war. Ich hatte die ganze Zeit geweint.
»Damon, wie konntet Ihr nur?« Damon ignorierte George und starrte mich an.
»Bist du jetzt wieder bei Verstand?«, fragte er ruhig.
»Ja«, krächzte ich und erwiderte seinen Blick.
»Ich werde schnell etwas zum Kühlen herbringen.«
George lief aus dem Zimmer und verschwand in Richtung Küche. Nun waren Damon und ich allein.
»Danke.«
»Wofür?«
»Das du mich zurück geholt hast.«
Damon zuckte mir den Schultern.
»Ich habe nur nach einem Grund gesucht, dich zu schlagen und mich für vorhin zu revanchieren. Jetzt sind wir Quitt.«
»Dann tut es mir leid.«
Damon hob fragend eine Augenbraue.
»Ich glaube, ich habe nicht fest genug zugeschlagen. Du bist immer noch nicht ganz bei Sinnen. Keine Sorge, dieses mal schlage ich härter zu.«
»Mr Carter!« George stand mit einer Schale Eiswasser in den Händen in der Tür und starrte Damon empört an.
»Ah, George, Sie kommen genau im richtigen Moment. Erlauben Sie, dass ich ihnen das hier abnehme, dann können sie gehen.« Fragend sah George mich an. Auf mein Nicken hin überreichte er Damon die Schale. Als George fort war, dirigierte mich Damon zum Bett und hielt mir dann das kalte Tuch an die Wange.
»Aua«, beschwerte ich mich.
»Stell dich nicht so an, du hast schon Schlimmeres durchgemacht.«
Ich zuckte zusammen. Danke, Damon! Eine Weile lang sagte keiner etwas, doch ich spürte die ganze Zeit über seinen Blick auf mir ruhen.
»Du hattest lange keinen Anfall mehr«, sagte er dann.
»Den heutigen Anfall habe ich auch nur dir zu verdanken.«
»Du warst schon den ganzen Tag so gereizt, seit wir vom Palast zurückgekehrt sind. Ich wollte testen wie lange es dauert, bis du die Beherrschung verlierst«
»Und, bist du mit dem Ergebnis zufrieden?«, erkundigte ich mich mürrisch.
»Nein, du hast mich geschlagen, und darauf war ich nicht vorbereitet. Obwohl, es war auch irgendwie aufregend.«
»Hat es wenigstens weh getan?«
Damon lachte.
»Nein, keines Wegs, aber...« Seine Miene wurde ernster.
»... es hatte etwas Erniedrigendes«
»Dann war es wenigstens für etwas gut.« Ich seufzte.
»Worüber hast du nachgedacht, bevor George und ich gekommen sind?«
»Über die Vergangenheit« Ein Klaps auf meinen Hinterkopf ließ das Bett erzittern.
»Was in Gottes Namen sollte das?!«, rief ich.
»Ich habe es dir schon einmal gesagt, sieh nach vorn, nicht zurück. Du kannst die Vergangenheit ohnehin nicht ändern, also bringt es nichts, sich über Eventualitäten den Kopf zu zerbrechen. Zeig mir deine Hände.«
Ich reichte sie ihm und er drehte sie um. In meinen Handinnenflächen waren die blutigen Abdrücke meiner Nägel zu sehen. Nachdenklich betrachtete Damon die kleinen, sichelartigen Vertiefungen und sah mir prüfend in die Augen, dann packte er meine Handgelenke fester, beugte sich über meine offenen Hände und leckte über die wunden Stellen.
»Damon, was zum-!« Ich versuchte mich aus seinem Griff zu entwinden, doch es war zwecklos, ich bewegte meine Hände keinen Millimeter. Ein leichtes Kribbeln zuckte erst durch meine Fingerspitzen und dann durch meinen ganzen Körper. Als er über alle Wunden geleckt hatte, wischte er meine Hände mit dem Eiswasser ab und gab sie wieder frei.
Als ich meine Handflächen betrachtete waren sie wieder makellos.
»Ich wusste nicht, dass du so etwas kannst«, stammelte ich.
»Ich habe viele Talente.«
»Welch Überraschung.«
»Warum hast du nichts gesagt?« Verwirrt sah ich ihn an.
»Was dich bedrückt, meine ich.«
»Ich glaubte nicht, dass du mir zuhören würdest«, gestand ich.
»Es hätte mich auch nicht wirklich interessiert, aber es ist trotzdem wichtig, weil sich durch deine Gefühlslage der Geschmack deiner Seele verändert und ich mag keine depressiven Menschen. Die schmecken immer so bitter.«
»Was du nicht sagst.« Ich hob eine Augenbraue.
»Ich sollte jetzt schlafen, morgen wird ein anstrengender Tag«
Damon nickte und wollte das Zimmer verlassen, doch ich griff nach seinem Ärmel und hielt ihn auf. Verwundert sah er zu mir hinab.
»Bleib bitte in der Nähe, ja? Falls ich dich brauche.«
Damon nickte und für einen Moment wurde sein Blick weich, ja, fast schon liebevoll.
Aber dann bekam Damon wieder dieses spöttische Glitzern in den Augen und ich glaubte, mir alles nur eingebildet zu haben.
»Hat da etwa jemand Angst?«, fragte er hämisch und grinste mich an.
»Keine Sorge Milady, solange ich über Euch wache wird Euch nichts geschehen.«
Als Damon das Zimmer verlassen hatte, sah ich ihm noch eine Weile hinterher.
»Ja, dessen bin ich mir sicher.«


Impressum

Bildmaterialien: file:///DeskVictorian_grunge_I_by_Myruso.jpg file:///1188997946-851.jpg
Tag der Veröffentlichung: 24.11.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Sarah Renker

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