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Dies ist eine Leseprobe meines Romanes "Kriegsträumer - Erstes Buch: Ehre"

Mehr Informationen und die ganze Geschichte findet ihr auf

www.deadgirlwalking.de




Viel Spaß beim Lesen.


Daniel


[…] Einen Augenblick ruhte sein Blick auf dem Toten, der mit abgeknicktem, blutverkrusteten Kopf an einem Geröllbrocken lehnte. Faszinierend, welch ein groteskes Bild dieser tote Tschetschene mit seinem viel zu weit nach vorne auf die Brust gefallenen Kopf bot. Seine Augen waren halb geschlossen und der Mund leicht geöffnet. Wenn man lange genug hinsah schien es, als würde er lächeln. Staub und Dreck hatten sich auf seinem Gesicht niedergelassen, bildeten eine an Pergamentpapier erinnernde Schicht und ließen ihn noch toter aussehen, als er es ohnehin schon war. Vermutlich war er sehr jung gestorben, denn sein Lächeln entblößte schöne, weiße Zähne, die das Bild vollkommen verfremdeten. Abstrakt, dieser als so grausam betitelte Tod, der seinen leblosen Figuren eine solch lächerliche Haltung gab. Der Tod muss ein Kind sein, dachte er. Verspielt und lachend und Kreativ. Und sich daran unsagbar freuend.

Er zog das kleine Buch aus der Brusttasche seiner Weste. Die Monate in Nässe, Kälte und Krieg hatten ihm ebenso zu schaffen gemacht, wie ihm selbst. Sein Einband war längst nicht mehr rot und leuchtend, die Seiten längst nicht mehr von hungrigem Weiß und die dicht gedrängten Worte nicht mehr vollständig lesbar. Schmutzig, den Deckel mehrmals verbogen und seine Kanten geknickt, von Dreck und Regen und seinem Blut verschmiert, klamm und farblos war es. Aber treu. Und tapfer auch.

Er schlug es auf, suchte nach dem abgenutzten Bleistift, den er kaum in seinen großen Fingern halten konnte, so klein war er, und begann zu schreiben. Dicht über die verkümmerte Seite gebeugt und sorgfältig Buchstabe um Buchstabe schreibend saß er in dem Halbdunkel des zerbombten Hauses in der Gesellschaft der albernen Hinterlassenschaft dieses übermütigen Kindes namens Tod, in dessen Grinsen und Lachen er beinahe mit eingestimmt hätte. Doch seine Gedanken konzentrierten sich unweigerlich auf die leere, gierige Seite vor ihm.

15.3.1995.
Ich habe es nicht geschafft, Nikolaj auf diesen Angriff vorzubereiten. Er ist tot. Wie über zwanzig weitere Männer. Sie hatten einen Namen und ihre Väter werden um sie weinen. Zwanzig Mann weniger, die diesen Krieg für Russland kämpfen können. Das ist schlecht. Verantwortlich bin ich. Ich war nicht hart genug zu ihnen. Ich bin zu nachlässig gewesen. Zu unüberlegt. Zu unvorsichtig mit den Soldaten umgegangen. Ich habe die falschen Männer an die falschen Orte geschickt und nun müssen wir unsere Arbeit mit zwei dutzend Männern weniger machen. Und trotzdem wir müssen ihn gut machen.

Er sah von seinen Zeilen auf. Eine tiefe Falte hatte sich in seine Stirn zwischen die Augenbrauen gegraben und sein Blick war nachdenklich nach draußen gerichtete. Es schneite. […] Vereinzelt verirrten sich die Flocken in seine toten Ruinen, schmolzen im Dreck. Er beobachtete, wie einer dieser winzigen weißen Krümel sich auf dem Rest der Fensterscheibe niederließ. Gedankenabwesend und angestrengt starrte er ihn an. […]

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Tag der Veröffentlichung: 30.06.2010

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