Eine indisch-nepalesische Pilgertour
auf Buddhas Elefanten-Spuren
Die Flugroute von Frankfurt nach Delhi
Da kam mir, ihr Mönche, der Gedanke: „Was suche ich denn, selber der Geburt, dem Altern, der Krankheit, dem Sterben, dem Schmerze, dem Schmutze unterworfen, was auch der Geburt, dem Altern, der Krankheit, dem Sterben, dem Schmerze, dem Schmutze unterworfen ist?“
Als wir nach 7,5 Stunden Flug in Delhi zwischenlanden, sind wir insgesamt schon an die 24 Stunden unterwegs. Der Zeitunterschied zu Deutschland beträgt + 5,5 Stunden. Beim Gang aus der Maschine zur Flughafenhalle kommen wir an den „Duty Free Shops“ vorbei und das Warenangebot ist ähnlich gleich und üppig wie in Frankfurt oder Hamburg. Wir treffen die Polin wieder, die uns in Frankfurt im Flughafen-Cafe angesprochen hat, ob wir ihr in Delhi ein wenig helfen könnten, sie spräche nicht so gut Englisch. Sie hat in Delhi ein Hotel gebucht und soll vom Hotel mit einem Wagen abgeholt werden. Andreas und Horst sprechen ausgezeichnet Englisch und haben zugesagt. Ich habe schon bei den Durchsagen der indischen Stewardessen im Flugzeug gemerkt, dass ich mit meinem eingerosteten Schul-Englisch hier nun endgültig an meine Grenzen gekommen bin. Meine Aussprache ist okay, aber mein Wortschatz ist beschränkt. Doch auch akustisch verstehe ich meistens nur ein Drittel dieses indischen Englisch. Wir können der Polin nicht weiterhelfen, da wir keinen Fahrer ausmachen können, der sie abholt. Sie kann ihr Gepäck auch nicht in ein Schließfach stellen, da es keine Schließfächer gibt. In der Halle patrouillieren Soldaten mit Gewehren. Die Anschläge von 2008 in Mumbai mit 174 Toten zeigen hier immer noch ihre Wirkung. Wir könnten den Flughafen auch nur mit einem gesonderten Dokument verlassen, sagt Andreas, der sich erkundigt hat. Wir verzichten darauf. Der Mittelpunkt der Halle ist eine riesige Skulptur eines Elefanten.
An der Wechselstube tauschen wir jeder 100 €uro ein und trinken dann einen Kaffee an einem der Tische in der Halle. Ich gehe zwischendurch zu den Toiletten, die zu meiner Erleichterung sauber gehalten sind wie ein Operationssaal. Wir machen ein paar Fotos und unterhalten uns mit einem deutschen Paar am Nebentisch. So verbringen wir die Zeit bis zum Weiterflug nach Varanasi (ehemals Benares).
Die Idee zu dieser Pilgertour stammt von dem 55jährigen Andreas, einem Schwaben, den ich im Internet kennengelernt habe. Er ist Praktiker des Theravada-Buddhismus, während Horst (65) und ich (66) mehr an der Richtung des Zen-Buddhismus orientiert sind. Horst hat in jüngeren Jahren ein Jahr in einem Zen-Kloster in Tokio verbracht. Ich bin erst mit 41 Jahren in Hamburg zum ZEN-Buddhismus gekommen, weil ich die Jahre davor das Zen immer für eine ausgestorbene Angelegenheit hielt, die sich vor Jahrhunderten abgespielt hat und von dem es vielleicht in Japan noch einige Überbleibsel gab. Eines Tages fand ich ein Buch vom Zen-Meister Taisen Deshimaru in der Leih-Bücherei und lieh es mir immer wieder aus. In dem Buch war auch die Adresse des Verlags in Berlin angegeben, bei dem man die Anschriften der einzelnen Dojos erfragen konnte. Mein Brief kam als unzustellbar zurück. Jahre vergingen, bis ich eines Tages im Vorübergehen an einem Kaufhaus im Schaufenster einen drehbaren Buchständer sah. In Augenhöhe konnte ich den Titel von Deshimaru sehen: „Zen in den japanischen Kampfkünsten“. Leute mit dem Hang zur Mystik könnten hier den Fingerzeig zum Mond registgrieren. Ich kaufte mir das Buch und fand in ihm die aktuelle Adresse des Verlags. Ich schrieb dort hin und diesmal bekam ich Antwort. Ich suchte bald das Dojo in Hamburg auf und bekam einen Praxis-Schock. Hier wurde nicht diskutiert, sondern eisern gesessen. Ich verwende hier nicht das Wort „meditieren“, da ich immer starke Knieschmerzen bekam und furchtbar litt. Von Meditation konnte gar keine Rede sein, denn ich kämpfte mich regelrecht durch die Sitz-Perioden von je 40 Minuten. Ich nahm an einem zweitägigen Sesshin im Dojo teil und musste schon nach den insgesamt sieben Stunden Sitzen am ersten Tag aufgeben. Das hielt mich jedoch nicht davon ab, gleich ein zweieinhalb tägiges Sesshin im Zen-Kloster in Schönböken in Schleswig unter der Leitung von Zen-Meister L. Tenryu Tenbreul, (www.zen-vereinigung.de) anzugehen und gab wieder nach nur einem Tag auf. Ich brach in der Folgezeit mehrere Sesshins vor Schmerzen erschöpft ab, bis ich dann endlich unter Aufbietung aller Energie ein Sesshin endlich völlig durchstand. Später wechselte ich beim Sitzen zum burmesischen Stil, bei dem die Unterschenkel nebeneinander liegen. Ich habe mich selber immer kritisch als Salon-Buddhisten empfunden, also, als jemanden, der gerne und viel über den Buddhismus diskutiert, einiges über die Theorie weiß, aber bei dem letzten Ende das Möchten das Wollen überwiegt, um ein buddhistisches Leben auf sich zu nehmen. Es war jedoch immer mein Wunsch, die historischen Stätten des Buddhas in Indien wie ein Pilger aufzusuchen, um einmal an die Quelle zu kommen. Vielleicht mit der unterschwelligen Hoffnung, an den historischen Plätzen endlich von dem „echten Buddhismus“ durchdrungen zu werden. Die starke Anlehnung des ZEN an die japanische Kultur habe ich immer kritisch gesehen. Abgehalten von einer Reise nach Indien haben mich in jüngeren Jahren die Verpflichtungen um die Familie und das Berufsleben, in späteren Jahren das Klima. Ich gehöre zu jenen eher kälteunempfindlichen Wikingern, die sich körperlich unwohl fühlen, wenn sie klimatisch von Hamburg aus gesehen nach Süden „die Knödel-Linie“ (Frankfurt) überschreiten.
„Im Januar steigen die Temperaturen in Indien nicht über 25 Grad“, mailte mir Andreas, „was für eine Ausrede hast du noch?“ „Keine!“ Ich sagte spontan zu und wenig später stieg auch noch Horst mit ins Boot. Horst und ich haben ein paar Hundert Euro für die erforderlichen Impfungen im Hamburger Tropenkrankenhaus investiert, während Andreas auf sein Karma vertrauen wollte und sich wohl nicht hat impfen lassen. Die Regierung von Indien wäre sicherlich froh, wenn sie die finanziellen Mittel und Logistik hätte, alle ihre Bürger gegen Gelbfieber, Tollwut usw. impfen zu lassen.
Als wir am 2. Januar 2012 starten, hat Horst hat eine umfangreiche Apotheke im Gepäck, Mittel gegen Durchfall, Fieber, Malaria, Zahnschmerzen, usw. Wir haben Ketten und Schlösser dabei, um unsere Rucksäcke anschließen zu können, damit sie nicht einfach mal so im Vorbeigehen mitgenommen werden können. (Sehr wichtig!!) Auf meinen Vorschlag haben wir jeder eine Plastikflasche im Gepäck, falls mal keine Toilette in der Nähe sein sollte. Ich habe mir für die Reise eine Latzhose gekauft, die äußerst praktisch ist, da sie über viele Taschen verfügt. Vorne in der Brusttasche der Latzhose habe ich das Geld für den Tag. In einem Brustbeutel unter dem Hemd zusätzliches Geld und in einer Bauchtasche meinen Pass, Kreditkarte und mehrere hundert €uro in Bargeld. Darüber trage ich noch eine Weste mit vielen Taschen. Andreas hat sogar eine Tasche mit Klettverschluss, die an der Wade getragen wird. Vorweg, wir kamen in Indien und Nepal nie in eine Situation, in der wir von Taschendieben angegangen wurden. Auch unsere Medikamente brauchten wir nicht angreifen.
Endlich können wir uns für den Weiterflug nach Varanasi einchecken.Ein europäischer Mönch im tibetischen Gewand muss sein Handgepäck, einen kleinen Koffer, öffnen. Seine Begleiterin ist eine junge Frau mit ansehnlichem Dekolleté. „Die Zeiten haben sich auch für Mönche geändert, mein Jung!“ denke ich mir ein wenig irritiert. Auch ich bleibe nicht von der Gepäckkontrolle verschont und werde gefragt, ob ich ein Stahlband in meinem kleinen Rucksack, hätte. Ich verneine und muss meinen Rucksack öffnen. Der Mann von der Kontrolle und ich sind erleichtert, als das verdächtige Objekt sich als Suppenlöffel entpuppt, den ich zur Vorsorge mitgenommen habe. Die erste Hürde ist geschafft, wir werden aber bis zum Betreten des Flugzeugs noch zweimal kontrolliert.
In Gaya haben wir noch eine Zwischenlandung. Der größte Teil der Passagiere steigt aus. Es sind Pilger, die Bodhgaya besuchen. Auch der tibetisch gekleidete europäische Mönch mit der jungen Frau verlässt das Flugzeug. Der Dalai Lama wird in den nächsten Tagen in Bodhgaya zu einem Treffen erwartet. Doch bevor neue Passagiere zusteigen dürfen, wird von mehreren Sicherheits-Beamten sämtliches verbliebene Handgepäck auf ihre Besitzer kontrolliert. Man hat Angst, es könnte eine Bombe versteckt sein. Es steigen neben normalen Reisenden auch Mönche in ockerfarbenen Kutten zu. Sie bewegen sich weltmännisch, schlagen lässig die Beine übereinander und zücken ihre Smartphones, die besser sind als unsere einfachen Handys, die wir nur als Wecker benutzen wollen während unserer Pilgerreise. Ich habe mir sagen lassen, man könne auch preiswert in Indien eine Telefonkarte für das Handy kaufen und damit nach Deutschland telefonieren. Wir haben darauf verzichtet und wollen lieber an unsere Familien mailen.
Und ich zog, ihr Mönche, nach einiger Zeit, noch in frischer Blüte, glänzend dunkelhaarig, im Genusse glücklicher Jugend, im ersten Mannesalter, gegen den Wunsch meiner weinenden und klagenden Eltern, mit geschorenem Haar und Barte, mit fahlem Gewande bekleidet, vom Hause fort in die Hauslosigkeit hinaus.
Es ist so gegen 15:30 Uhr, als wir endlich in Varanasi landen. Am Laufband besorge ich einen Gepäckwagen, um wegen meiner mangelnden Englisch-Kenntnisse als Ausgleich den Posten des Lageristen zu übernehmen. Ein Inder nimmt ihn mir mit den Worten ab: „I help you!“ Vermutlich will er sich auf diese Weise etwas Geld verdienen. Ich überlasse ihm den Wagen und hole mir einen neuen, da wir noch kein indisches Kleingeld haben, um ihm ein Trinkgeld geben zu können. Wenig später sehe ich ihn mit dem Gepäck einer Touristin fahren. Am Ausgang warten jede Menge drängelnder Taxifahrer, die einen Fahrgast ergattern wollen. Ich sehe im Getümmel einen Mann ein Schild mit dem Namen von Andreas hochhalten. Es ist der bestellte Wagen für uns vom „Guesthouse Ganpati“. Wir laden unser Gepäck ein. Ehe unser Fahrer das Flughafengelände verlassen kann, muss er noch an einer Schranke Halt machen. Junge Männer kassieren von ihm Geld. Auf mich wirkt dieser Vorgang ein wenig wie vergangenes Raubrittertum, da die Männer Straßenkleidung tragen.
Wir fahren durch eine Art Elendsviertel, das sich wohl am Rande des Flughafens gebildet hat. Denke ich. Ich bin das erste Mal in Asien und muss bald feststellen, dass fast ganz Varanasi so aussieht. Überall liegen Schmutz und Müll herum, die Häuser sind oft nicht fertig gebaut. Ich werde an Sciene Fiction-Filme erinnert, die in der Endzeit spielen und in denen auf den Straßen offene Feuer brennen. In einer Bauruine spielt ein vielleicht zehnjähriges Mädchen anmutig in diesem Elend und Dreck. Wahrscheinlich ist meine Erschöpfung und meine Technic-Color-Romantik (die Karl-May-Filme haben mich mental ruiniert, ich habe den Tod von Winnetou und seinem Pferd immer noch nicht verarbeitet) daran schuld: ich sehe in dem Mädchen meine sechsjährige Enkelin und bekomme aus Rührung Pippi in die Augen. Es ist der 3. Januar und die Temperatur liegt vielleicht bei 25 Grad, aber meine Tränen reichen, um die Frontscheibe unseres Wagen beschlagen zu lassen. Ich fange mich wieder und helfe dem Fahrer beim Wischen der Scheibe, damit er in der Sicht nicht behindert ist. Der Links-Verkehr in dieser Millionenstadt ist unbeschreiblich chaotisch: ein Gewirr aus Pkws, Lastwagen, Tuk-Tuks (überdachtes Motorrad mit Kabine und mit Platz für vier Fahrgäste), Fahrrädern, Mopeds, Pferde- und Fahrrad-Rikschas, Fußgängern und hin und wieder auch eine Kuh. Wer eine Hupe hat, benutzte sie ununterbrochen. Es gibt keine Bürgersteige, die Menschen gehen ebenfalls auf der Straße. Seltsamerweise passiert in diesem Getümmel nichts. Es liegt wohl daran, dass keiner der Verkehrsteilnehmer wie bei uns auf sein Recht pocht, sondern sich im entscheidenden Moment in den kniffligen Situationen mit dem Verkehrsfluss harmonisiert. An einer Kreuzung gibt ein Polizist auf einem Podest vor, als regele er den Verkehr. Er könnte genauso gut ein nicht vorhandenes Orchester dirigieren. Diese Art des Verkehrschaos in Indien lässt mich befürchten, hätten wir in Hamburg die gleiche Verkehrsdichte bei unserem rechthaberischen Verhalten, unsere Bevölkerungszahl würde wohl innerhalb weniger Jahre unter eine Million schrumpfen. Der Fahrer hält den Wagen an, er muss mal kurz zu einem Geschäft auf die andere Straßenseite. Die Geschäfte haben hier häufig die Form einer Garage, vor der nach Verkaufsschluss ein Rollladen heruntergezogen wird.
Nach ein paar Minuten kommt der Fahrer wieder. Er fährt weiter und wird auf seinem Handy angerufen. Kurz darauf hält er an und ein junger Inder steigt zu, der sich Ari nennt. Wie sich herausstellt, gehört er zu unserem Guesthouse Ganpati. Er ist wohl so um die Zwanzig und beginnt weltmännisch wie ein Animateur mit uns zu plaudern. Er meint, ich hätte Ähnlichkeit mit einem amerikanischen Schauspieler. Yul Brenner, Telly Savallas oder doch Donald Duck?
Als wir die Altstadt von Varanasi an einer Kreuzung erreichen, müssen wir aussteigen und den Rest der Strecke zu Fuß gehen. Ich gebe dem Fahrer 200 Rupien (3,20 €uro) Trinkgeld. Ohne auf die Geldscheine zu schauen, verbeugt er sich dankend in Namaste. Wir schlagen jetzt die Richtung zur Altstadt ein. Die Gassen haben jetzt nur noch die Breite eines Wohnzimmers. Doch auch hier fahren noch Motorräder durch dieses verwinkelte Labyrinth und eine Kuh liegt angebunden auf dem bloßen Pflaster. Ein weiterer junger Inder unseres Guesthouse übernimmt mit Armar unsere drei Rucksäcke. Sie schlagen ein scharfes Tempo vor. Horst versucht Schritt zu halten, weil er wohl befürchtet, sie könnten sich mit unserem Gepäck davon machen. Andreas und ich halten Sichtkontakt. Es gelingt mir nicht, mir den Weg zu merken, zu verschlungen sind die engen Gassen. Doch ich bemerke, wir gehen bergauf, an kleinen Geschäften vorbei, die alles Mögliche anbieten, an einem offenen Pissoir, wo man praktisch gegen die Hauswand in eine ablaufenden Rinne uriniert. Dann noch ein Schwenk an einem Stier vorbei durch einen schmalen Torgang mit getrockneten Blutlachen. Ich erfahre später, dass es kein Blut ist, sondern ein Rauschmittel mit verschiedenen Zutaten, wie Arekanuss, Betelnuss, Löschkalk, das gekaut und auch ausgespuckt wird.
Wir sind am Ziel: Guesthouse Ganpati, ein ehemaliger
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 18.12.2014
ISBN: 978-3-7368-6572-3
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